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Gesammelte Schriften

Friedrich Gerstäcker

Die beiden Sträflinge

Australischer Roman

Volks- und Familien-Ausgabe Band Neun

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2015 / 2020

1.

Die Station am Murray.

Reges Leben herrschte heut auf der sonst so still und einsam am Murray gelegenen Station des Squatter Powell - reges, jubelndes Leben, und der Ruf: „die Karren kommen!" lief von Mund zu Mund.

Die Karren kamen allerdings, und irgend ein Fremder würde darin auch nicht das geringste Außergewöhnliche gesehen haben; derjenige aber, der dort gelebt hat, oder die Verhältnisse näher kennt, weiß, was der Ruf bedeutet und in sich saßt.

Die am Murray, oder überhaupt im Innern von Australien gelegenen Stationen - deren Besitzer Squatter genannt werden - stehen nämlich mit der übrigen Welt fast nur durch Ochsenkarren in Verbindung. Diese schaffen die Producte derselben, als da sind: Wolle, Talg, Rindshäute und Schaffelle, nach der nächsten Stadt, wo möglich nach einem Hafen, und bringen dafür Alles zurück, was „drin im Busch" gebraucht wird, - Mehl in vollgestampften Säcken, Fässer mir Zucker, Kisten mit Thee, Tabak, Hufeisen, Nägel, Kleidungsstücke, Schuhwerk usw. Da das nun jährlich, besonders bei den entfernteren Stationen, nur ein einziges Mal geschieht, so läßt es sich denken, mit welcher Sehnsucht diese Karren erwartet, mit welchem Jubel, wenn sie endlich kommen, sie begrüßt werden. /7/

Die kleine Bevölkerung einer solchen Station, die wie eine Insel im weiten Buschmeere liegt, hat auch noch außerdem Gelegenheit genug, sich dabei in Geduld zu üben. Ochsenkarren sind ein entsetzlich langsames Fuhrwerk, Ochsentreiber erstaunlich schläfrige Postboten, so zuverlässig sie sonst sein mögen, und wenn man die Zeit, in der sie zurück sein können, nach Monaten zählen muß, so will sic kein Ende nehmen.,

Heute Morgen nun, noch vor dem Frühstück, brachte schon ein Stockkeeper oder Rinderhirt, der auf schnaubendem schäumenden Pferde zur Station gesprengt kam, die fröhliche Kunde, daß die Karren nur wenige Meilen von dort entfernt die Nacht am Flusse „geduscht" hätten und in wenigen Stunden eintreffen könnten; außerdem aber auch noch ein großes Brief- und Zeitungspaket, das der Haupttreiber ihm anvertraut hatte, um es so rasch als möglich in die Hände des Herrn zu bringen.

Briefe aus der Heimath! - Wer jemals draußen in der Fremde Monate, Jahre lang ohne Nachricht von seinen Lieben daheim gewesen, nur der kann sich in das selige, wunderbare Gefühl hineinversetzen, das uns beim Eröffnen der so lange, so heiß ersehnten Nachrichten erfaßt, und uns im Anfang die lieben, so lange vermißten Schriftzüge toll und bunt vor den Augen herumtanzen läßt. Briefe aus der Heimath! - Der heimathliche Poststempel ist schon eine Erinnerung aus der Jugendzeit, die Adresse, das Siegel - der Name unserer Vaterstadt neben dem freilich schon gar alten Datum. Und nun die Kunde selber - die herzlichen Worte, die uns das Schreiben bringt, die uns innig bewegende Nachricht, daß Alle, die uns theuer, noch wohl und munter sind, und unserer mit der alten Liebe gedenken. - Solch ein Tag ist ein Fest in dem sonst so stillen, monotonen Leben des Ansiedlers, und die Briefe werden wieder und wieder gelesen, erst still und allein, dann laut im versammelten Familienkreise, und man wird nicht müde, die lieben, theuren Züge zu betrachten.

Powells machten keine Ausnahme hiervon. Das Frühstück ward hereingebracht, aber bald auf dem Tische kalt, denn Niemand, die Kinder ausgenommen, dachte ja daran, es zu /8/ berühren. Aufgerissene Couverts deckten den Boden, ge¬öffnete und erst flüchtig durchblätterte Briese, so wie noch fest eingeschnürte Zeitungen den Tisch nach allen Seiten, und die Familie saß theils an diesem, theils in den Ecken zerstreut, um im Stillen zu lesen.

John Powell war einer der angesehensten Squatter am Murrap, mit weit verbreiteten Heerden und einer ziemlich wohnlich eingerichteten Station - das heißt wohnlich für den Busch, denn in einer civilisirten Gegend hätte sie dennoch wohl kaum den Ansprüchen genügt, die ein Mann in seiner Stellung an das Leben zu machen berechtigt war. „Draußen im Busch" sind aber eben diese Ansprüche außerordentlich bescheiden, und selbst die Frauen hatten sich, nach einigen ziemlich schwer durchlebten Jahren, endlich hineingefunden, und fühlten sich wohl - wenigstens zufrieden - in der ihren früheren Verhältnissen und Gewohnheiten sonst kaum entsprechenden Lage.

John Powell war verheirathet und hatte fünf Kinder: zwei Töchter, die eine von neunzehn, die andere von siebzehn Jahren, und drei Söhne, von denen der älteste zwanzig, die beiden anderen aber dreizehn und zwölf Jahre zählten, und war jetzt seit sieben Jahren hier an den Murray gezogen, um Raum für seine ziemlich ausgedehnten Heerden zu gewinnen. Raum bekam er allerdings, denn sein nächster Nachbar wohnte einige dreißig (engl.) Meilen von ihm entfernt; aber er hatte seine Familie zugleich in eine Wildniß geführt, in der sie nur in ihrem eigenen Beisammensein, nicht einmal durch die monotone Scenerie des einförmigen australischen Gumwaldes Entschädigung finden konnte. War es ein Wunder, daß sie da der Zeit entgegenharrten, wo der Vater, wie sie hofften, sein Besitzthum wieder zu Geld machen und nach dem alten Vaterlande zurückkehren würde? Die meisten Colonisten draußen in der Ferne, sei es in welchem Erdtheil es wolle, hegen ja alle denselben Wunsch, vorzüglich dann, wenn sie ihre Frauen aus dem Mutterlande mit herübergebracht haben. Das Herz hängt an der alten Heimath, mag ihnen bieten so viel sie will; die alten Beziehungen, die alten Stätten können sie nicht vergessen, selbst wenn nicht /8/ Familienbande sie dorthin zurückziehen. Die eigene Sehnsucht läßt ihnen keine Ruhe und nagt und bohrt, bis sie den Bug ihres Schiffes wieder dem alten lieben Strande entgegenwenden dürfen.

Und wie viel stärker wird sie, wenn es mit solchen Freundesbriefen mahnend an die Herzen klopft. Lust und Schmerz mischt sich dann in die lächelnde Thräne. Eins sucht dem Andern zu bergen, was Jedes so gern aussprechen möchte, und doch auch wieder nicht wagt. Es fürchtet in der Brust des Nachbars ähnliche Gefühle zu erwecken, wie sie die eigene quälen - und ahnet nicht, daß derselbe Schmerz die Brust des Andern in gleichem Maß erfüllt.

„Gott sei gedankt - sie sind Alle wohl und gesund," brach die Mutter endlich das Schweigen, indem sie sich rasch und verstohlen eine Thräne aus dem Auge wischte und die Brille neben sich auf das Fensterbrett legte - „selbst die Mutter noch. Lieber Gott, die alte Frau hat selber geschrieben, wenn sie auch klagt, daß es mit den Augen gar nicht mehr so recht gehen wolle. Du mußt den Brief nachher lesen, John. - Sie sehnt sich so sehr danach, uns noch einmal zu sehen, eh' sie stirbt."

„Nun, wer weiß, wer weiß," lächelte der Gatte, selber einen Brief zusammenfaltend und einen neuen öffnend - „mein Bruder ist auch glücklich in Bombay angekommen, und es geht ihm gut."

„Und Onkel Ernst ist noch in Quebeck?" frug Sarah, „er hat doch versprochen, daß er uns hier besuchen wollte. Schreibt er nichts darüber?"

„Doch, doch," sagte der Vater, ihr einen Brief hinüberreichend, „da, lies selbst - er hat seinen Abschied genommen und denkt zu Weihnachten nach Altengland hinüberzugehen. Von dort ist dann sein nächster Weg zu uns -"

„Sein nächster Weg?" wiederholte die Mutter mit einem leisen, kaum unterdrückten Seufzer - „Du lieber Gott, es sind Tausende von Meilen."

„Nun ja, so sehr nahe ist er gerade nicht," lächelte ihr Gatte, „aber was heißen in unserer Zeit Entfernungen? Man geht eben an Bord und richtet sich dort häuslich ein, und ob /9/ die Reise nun vier Wochen oder vier Monate dauert, bleibt sich am Ende gleich. Man ist eben nur so viel länger unterwegs."

„Und wie zerstreut sind wir in der Welt," sagte Sarah, indem sie den Brief gedankenvoll mit ihren Händen in den Schooß sinken ließ - „welche entsetzliche Strecken liegen zwischen allen Denen, die uns lieb und theuer sind."

„Allerdings," erwiderte der Vater, langsam mit dem Kopfe nickend, „und die Meinigen besonders. Wir sind unserer fünf Brüder, und davon lebt nur einer noch in Altengland; ich bin hier, Ernst in Kanada, Eduard in Bombay, und der fünfte schwimmt jetzt, Gott weiß wo, auf einem von Ihrer Majestät Kriegsschiffen entweder im Chinesischen oder Stillen Meere umher. Das wäre ein Festtag, der uns einmal Alle wieder um einen Tisch versammelte, aber guter Gott, daran ist freilich nicht zu denken - wir müßten denn sämmtlich alt und grau geworden sein."

„Gebe dann nur Gott, daß der Tisch in England steht," sagte die Mutter lächelnd - „wenn mir ein guter Geist das fest vorher versprechen könnte, wollte ich ja Alles gern und willig tragen."

Ihr Gatte sah zu ihr auf, als ob er reden wollte. Wenn dies aber seine Absicht gewesen, so änderte er sie, noch während er die Lippen öffnete, und vertiefte sich bald wieder in den eben erbrochenen und begonnenen Brief.

Mit diesem war er übrigens kaum zu Ende, als das Bellen der Hunde draußen und das pistolenschußähnliche Knallen der langen Ochsenpeitschen die nahenden Karren verkündete. Die ganze Familie, den ältesten Sohn ausgenommen, der draußen im Busche war, um ein paar weggelaufene Pferde wieder aufzusuchen, trat jetzt vor die Thür der Wohnung, um die Leute zu begrüßen und die mitgebrachten Waaren in Empfang zu nehmen.

„Nun, Cole," rief Mr. Powell dem alten Treiber zu, der den vordern Karren führte, „wie geht's - seid Ihr glücklich wieder angekommen? Wohl schlechter Weg draußen?"

„Danke, Sir," sagte der Mann, indem er mit einem kräftigen, mi- beiden Händen geführten Schlage seiner langen, /10/ gewichtigen Peitsche die vorderen Stiere herum und den Wagen dadurch geschickt vor die Thür des Vorrathshauses brachte - „oh, wohl Diamant - hoh, Bock - so recht, meine Thiere - verdamm' Eure Augen - bitt' um Entschuldigung, Sir - verflucht - sehr schlechte Wege draußen, und Holz hier unten noch im Billibong umhergestreut, als ob es in Klaftern aufgestellt werden sollte. - Haben doch das Paket Papier bekommen?"

„Alles in Ordnung, Cole."

„Die Rechnungen liegen dabei."

„Habe sie schon gesehen - Wolle hatte ziemlich guten Preis."

„Aber Mehl auch - will verd- hm - will - hm - es ist doch merkwürdig, was die Händler da drin unverschämt werden, wenn sie das liebe Gut, das Mehl, herausrücken sollen. Wissen wahrhaftig bald gar nicht mehr, was sie dafür fordern möchten."

„Geht nur vorsichtig mit den Säcken um, Leute, daß keiner platze. So - hier legt sie hinunter - die Säcke aufeinander, und das Uebrige dort in eine Reihe, daß ich es erst revidiren kann. Der Thee - ach, da sind die Kisten."

„Ja, die vergessen wir schon nicht," lachte der Treiber, der das Entladen der Güter den anderen Arbeitern überließ, während er sich selber nur mit seinen Thieren beschäftigte und sie ausspannte, - „wär' ein ver- wär' ein „blutiges" Leben im Busch ohne Thee - g'rad' wie ein Dingo ohne Känguru, oder gar so ein schwarzes Beest von Indianer."

Der zweite Treiber hatte ihm indeß geholfen, seine Stiere frei zu machen, und Cole, der erste Treiber, lenkte sie jetzt mit einem nur halb unterdrückten Fluche seitab an den Häusern vorbei, der eigenen Hütte zu, um ihnen dort die Joche abzunehmen und sie endlich frei auf die Weide hinaus zu lassen.

Kaum war er aber außer Gehörweite der Häuser, an denen Mr. Powell noch mit den Damen stand, als er, gleichsam um seinem Herzen Luft zu machen, den Leitstieren erst ein paar Mal um die Ohren knallte und dann ein so lästerliches Fluchen begann, daß selbst die Ochsen verwundert die /11/ Köpfe nach ihm umdrehten. Erst verdammte und verfluchte er Alles, was auf und unter der Erde war, dann sein Vieh, dann sich selber noch einmal ganz besonders, und zuletzt die Schuhe, in denen er stand. Eigentlich geschah dies nur, wie sich gleich darauf auswies, aus lauter Freude, daß er wieder glücklich angekommen war; daun aber auch, um sich für den ganz ungewohnten Zwang zu entschädigen, den ihm, wenn auch nur auf einige Minuten, die Nähe seines Herrn und der Damen aufgelegt. Er wußte, daß Mr. Powell es nicht litt, wenn seine Leute in seiner Gegenwart fluchen wollten.

Cole war ein durchaus redlicher, treuer und zuverlässiger Diener, und außerdem ein herzensguter Bursche, der keinem Kinde ein Leid zugefügt hätte - obgleich er allerdings ein früherer, indeß schon seit mehreren Jahren freigelassener Sträfling war. Nur das Fluchen war seine Leidenschaft, und es ist überhaupt entsetzlich, wie das Fluchen und Blasphemiren bei den Leuten im Busch getrieben wird und überhand genommen hat. Man glaubt sonst gewöhnlich, daß dies eine Haupt- und hervorragende Eigenschaft - ja, man möchte fast sagen, ein Laster - der Seeleute wäre, die ihrem Herzen ebenfalls nur zu oft mit einem Kernfluche Luft machen; den „old hands" im australischen Busch kommen sie aber nicht gleich und können ihnen darin wahrlich nicht das Wasser reichen.

Fast jedes Wort, das sie sprechen, selbst das gleichgültigste, ist von einem Fluche und dem Eigenschaftsworts „blutig" begleitet, und das „verdamm' Deine Augen" eigentlich noch eine ganz herzliche und vollkommen gut gemeinte Redensart zwischen ihnen, etwa gleichbedeutend mit: „wie geht's, alter Junge?" - Nur die Mississippi-Bootsleute dürften sich in dieser Hinsicht mit ihnen messen.

Der stete Umgang mit den störrischen Ochsen mag viel dazu beitragen, die Leute zu solchen gotteslästerlichen Reden zu verleiten, mehr aber fast noch der stete rauhe Umgang mit lauter Männern - einer der schlimmsten Uebelstände im australischen Busch - wo sie der mildernden Nähe weiblicher Wesen gänzlich entrückt sind und bleiben. Der Herr hat allerdings seine Familie bei sich auf der Station, aber die /12/ Leute kommen mit dem Hause - wie dessen Wohnung zum Unterschied von den Hütten genannt wird - nicht zusammen. Selbst die Küche besorgt dort ein Koch, und da noch überdies von allen auf der Station beschäftigten oder dort einsprechenden Arbeitern wenigstens neun Zehntheile gewesene Sträflinge sind, so läßt es sich leicht erklären, wie die Unterhaltung der Leute keineswegs eine zarte sein kann. Nur das herbe Geschick ihres Lebens spricht sich darin aus, und das „feine Reden" überlassen sie den „swells" - das heißt allen Denen, die einen ordentlichen Rock anhaben und nicht zur Klasse der „old hands" und „bundlemen" gehören.

Die Zufuhren waren jetzt mit Hülfe der übrigen, gerade in der Nähe des Hauses beschäftigten Arbeiter in das Vorrathshaus geschafft, aber noch nicht verschlossen worden. Georg, der älteste von Powell's Söhnen, der eben in vollem Galopp zum Hause zurückkehrte, weil er draußen die Ochsenpeitschen der ankommenden Treiber gehört, hatte mit dem jüngsten Bruder auch wohl eine Stunde lang vollauf zu thun, den ihn umringenden Arbeitern Tabak abzuwiegen und zuzumessen oder andere Kleinigkeiten zu verabreichen, auf die sie schon mit Schmerzen Monate lang gewartet hatten.

Tabak besonders, jenes Labsal des Busches, war schon in den letzten Wochen ein vergebens ersehntes Bedürfniß, und die danach lechzende Schaar von Tag zu Tag auf die rückkehrenden Karren vertröstet worden. Kein Wunder, daß sie jetzt in ihrer Ungeduld die Zeit nicht erwarten konnten, bis ihnen wieder etwas davon zugetheilt wurde, und kauend und rauchend erfüllten sie bald mit sehr zufriedenen, ja man könnte fast sagen glücklichen Gesichtern den Hof. Das Leben dünkte ihnen jetzt noch einmal so leicht - hatten sie doch wieder einmal Tabak.

Endlich waren die Briefe im Hause gelesen und wieder gelesen und besprochen worden, und Georg Powell, der älteste Sohn, hatte die Zeitungspakete aufgeschnitten und begann, sich in deren Inhalt zu vertiefen. Darin folgte ihm der Vater bald, denn die Nachrichten kamen nicht allein aus der Heimath und brachten ihm getreue Kunde von den dortigen Zuständen, nein, auch von Adelaide und Melbourne waren Journale /13/ angekommen, und die dortigen Marktberichte, die Ein- und Verkäufe und Auctionen berührten ihr eigenes, wenn auch nur materielles Interesse auf das Genaueste. Selbst die Nachrichten aus England wurden im Ansang darüber vernachlässigt.

„Sieh nur, Georg," sagte der Vater, als er die Spalten des einen Melbourneblattes eine Weile durchblättert hatte, „Pferde haben wahrlich auf dem letzten Markt in Melbourne und Adelaide 12 Pfund Sterling gebracht - wenn wir da eine Partie von den unseren hätten hinunterschaffen können."

„Aber Rinder scheinen desto schlechter im Preise," erwiderte Georg, sein Blatt dem Vater hinüberhaltend. „Da unten steht, daß die Treiber einen ganzen Trupp Kühe mit 1 ½ Pfund Sterling per Kopf haben verkaufen müssen."

„Mageres Zeug, das sie Hinübertreiben und halb ausgehungert zu Markt bringen," sagte der Vater kopfschüttelnd. „Wenn wir die unsrigen hinuntertrieben, bin ich sicher, daß sie bessere Preise hielten."

„Ja, wenn wir sie glücklich hinbrächten," erwiderte der Sohn, „aber mit dem Futter unterwegs sieht es jetzt entsetzlich dürftig aus. Ich weiß wahrhaftig nicht einmal, was wir hier anfangen sollen, wenn wir nicht bald Regen bekommen. Selbst die Wasserlöcher oben in der Lagune fangen schon an einzutrocknen, und das Gras steht so dünn, daß die armen Thiere wieder hungrig werden, während sie von einem Halm zum andern gehen."

„Nun, so arg ist's noch nicht," lachte der Vater, „aber Regen könnte uns allerdings nicht schaden. Das Mehl ist auch wieder theurer geworden. Es sind aber auch ganze Schiffsladungen davon nach Sidney gegangen. Der Zucker scheint billiger zu sein."

„Reis auch," sagte Georg - es ist gut, daß Cole davon mitgebracht hat."

„Hallo, hier haben wir auch wieder einen „bushranger“1 /14/ rief der Vater plötzlich aus, als er ein neues Blatt aufnahm und die ersten Spalten mit seinen Blicken überflog.

,,Dem wird die berittene Polizei bald auf den Hacken sein," sagte der Sohn, den Kopf herüber und das rechte Bein über das linke werfend. „Der Art Burschen treiben es jetzt nicht lange."

„Jack London, sonst Murphy, auch wohl Bridol," las der Vater laut vor - „der Bursche hat eine ganze Reihe von Namen, - ist von Van Diemens Land mit noch drei Gefährten in einem kleinen gestohlenen Kutter geflüchtet und, wie es scheint, an der Küste gescheitert. Hat sich dann nach Adelaide gewandt, Spitzbübereien verübt, ist eingefangen worden und wieder entsprungen, und man hat jetzt einen Preis von hundert Guineen auf seinen Kopf gesetzt. - Alle Wetter, da werden die Polizeidiener nicht schlecht dahinter her sein. Hundert Guineen sind ein Capital für die."

„Auch eine Menge Raubanfälle und Diebstähle sind in der Stadt selber vorgefallen," sagte Georg - „hier steht eine ganze Spalte von solchen Verhandlungen."

„Ich möchte nicht in den Städten wohnen," sagte Sarah tief aufseufzend, „denn die schlimmsten Leute aus den ganzen Colonien ziehen sich doch dort zusammen. Ich glaube, ich könnte keine Nacht ruhig schlafen, aus Furcht, daß Räuber bei uns einbrächen oder sonst etwas Schreckliches geschähe."

„Du bist nun einmal die Stille und Einsamkeit hier gewohnt, liebes Kind," sagte der Vater freundlich. „Aber ebenso würdest Du das Geräusch und Leben und Treiben der Städte gewohnt werden, und Dich dort gerade so sicher fühlen, wie hier im Busch. Als wir vor drei Jahren in Sidney waren, hat es Dir doch dort recht gut gefallen. Und erinnere Dich nur, wie Ihr Euch im Anfang hier vor den erwarteten Ueberfällen der Schwarzen gefürchtet habt, und sind sie ein einziges Mal gekommen?"

„Frevle um Gottes willen nicht, John!" rief bittend die Frau. „Man soll den Bösen nicht an die Wand malen; denn sind wir heut etwa sicherer, als wir es vor sieben Jahren waren?"

„Allerdings," lachte ihr Mann; „wir haben nicht allein /15/ drei Leute mehr auf der Station, sondern meine Jungen sind unterdessen auch herangewachsen, und können ein Pferd bändigen und ein Gewehr führen. Das sind sechs Mann mehr zur Vertheidigung, und die wiegen einen ganzen Stamm solcher feigen Schwarzen auf, wie die hiesigen Eingeborenen. Ich habe jetzt keine Furcht, und wenn sie in einem Schwarm von sechzig Mann kämen. Sobald es dunkel ist, wagen sie ja außerdem keinen Ueberfall, weil sie sich selber vor ihren eigenen bösen Geistern fürchten."

„Wenn die Leute alle zerstreut im Busch sind, überfällt mich doch manchmal ein eigenthümliches, ängstliches Gefühl," sagre Mrs. Powell, „und wenn ich dann die Briefe hier ansehe und denke, wie sicher Die dort wohnen, die sie geschrieben —"

„Du bist nur in der letzten Zeit so melancholisch geworden," beruhigte sie freundlich lächelnd ihr Gatte, „weil wir gerade in den letzten Monaten so gar einsam gelebt haben. Nicht ein einziger Besuch, ein paar wandernde „Bündelträger" für die Küche ausgenommen, hat bei uns eingesprochen, und der Weg scheint fast wie ausgestorben."

„Wer soll die lange einsame Strecke wandern," sagte die Fram kopfschüttelnd, „manchmal vielleicht ein paar Viehtreiber oder ein Stockman, der sich nach neuem Weidegrund umsieht, und das sind immer auch nur Leute, die uns für das, was wir entbehren, keinen Ersatz bieten könnten. Im vorigen Jahre hatten wir doch wenigstens die Freude, den jungen Mac Donald hier bei uns zu sehen. Seitdem der aber so plötzlich Abschied nahm, hat sich fast kein anständiger Mensch mehr bei uns blicken lassen."

„Es ist doch eigentlich merkwürdig," sagte der Vater, das Blatt vor sich auf die Kniee sinken lassend, „wie wirklich spurlos Mac Donald damals vom Erdboden verschwand, und ich fange jetzt wahrhaftig selber an zu glauben, daß er doch am Ende irgend einem verzweifelten Buschrähndscher könnte in die Hände gefallen sein. Auch damals ging das Gerücht, daß sich mehrere im Busch herumtrieben, und Mac Donald schien nicht der Mann, der sich gutmüthig von ihnen hätte plündern lassen.“ /16/

„Ich fürchte weit eher, er ist in einen Hinterhalt der Schwarzen gefallen," sagte Georg, ein schlanker, blauäugiger, blondhaariger prächtiger Bursche mit treuen und ehrlichen, aber tüchtig sonnverbrannten Zügen und kräftigem, wie aus Eisenholz geschnittenem Körper. „Wüßt' ich das nur gewiß, die schwarze Bande sollte mir wahrlich dafür büßen."

„Die sind unschuldig," entgegnete ganz bestimmt der Vater. „Du weißt, daß ich ihm damals auf den verschiedenen Stationen nachforschen ließ, und erst eigentlich in den besiedelten Distrikten seine Spur verloren habe. Dort hat er wahrlich nichts mehr von den Schwarzen zu fürchten gehabt."

„Er wird schon noch kommen," lachte Lisbeth, die siebzehnjährige zweite und überaus heitere Tochter Mr. Powell's, „er ist ja damals eigentlich nur fortgegangen, um einige Bücher für Sarah zu holen, die sie sich so sehr gewünscht hatte, und wird, da er dieselben wahrscheinlich in Melbourne nicht fand, einmal nach England hinübergefahren sein. Früher kann er da kaum wieder zurück sein."

Sarah hatte still und schweigend dem Gespräch gelauscht; unbewußt schweiften ihre Augen dabei über die Spalten der Zeitung hin, die sie in der Hand hielt, und so bleich sie im Anfange geworden, so schnelles Roth rief die letzte scherzende Anspielung der Schwester auf ihre Wangen zurück.

Sarah war eine wunderliebliche Buschblume; schön wie das Sonnenlicht, wenn es auf das saftige Grün ihrer Malleyfichten fiel, mit blondem Haar und tief dunkelbraunen, seelenvollen Augen. Sie kannte auch kaum eine andere Welt als den Busch, denn, ein Kind noch, hatte sie England verlassen, mit ihren Eltern einige Jahre in Sidney gelebt, und war dann mit ihnen gleich hierher, an die entferntesten Grenzen der australischen Civilisation gezogen. Wenig hatte sie deshalb von Erinnerungen, an die sich ihr Herz halten konnte, das Wenige aber, das ihr geboten worden, hielt sie deshalb um so fester, und solch' einen freundlichen Punkt in ihrem sonst so monotonen Leben bot damals wirklich das Erscheinen eines jungen Squatters, der von Melbourne heraufgekommen war, etwa vierzehn Tage bei ihnen verweilte und, als er von /17/

ihnen schied, nie wieder etwas weiter von sich hören ließ. Lisbeth's Neckerei hatte allerdings auch einigen Grund, denn ihr Wunsch, mehrere Bücher in ihrer Einsamkeit zu besitzen, unter denen sich vorzüglich Thomas Moore's Lalla Rookh2 und Walter Scott's Lady of the Lake befanden, war die eigentliche Veranlassung gewesen, daß Mr. Mac Donald in einer Art ritterlicher Galanterie sein Pferd bestieg und der fernen Stadt zusprengte. Er versprach damals allerdings in spätestens acht Wochen zurück zu sein, aber ein volles Jahr war jetzt vergangen, und man hatte nie wieder erfahren können, was aus ihm geworden.

„Scherze darüber nicht, mein Kind," erwiderte jetzt die Mutter, die gar wohl einsah, welchen peinlichen Eindruck die Worte auf Sarah machten. „Wer weiß, was dem armen, unglücklichen jungen Mann zugestoßen ist, und wir wollen nur hoffen, daß Gott seine Hand über ihn gehalten. Es würde mich recht freuen, sein offenes, ehrliches Gesicht hier wieder einmal begrüßen zu können, damit wir nicht glauben müßten, wir seien in der That die Ursache gewesen, die ihn irgendwo zu Schaden gebracht."

„Solche Gedanken dürfen wir uns nicht machen," beruhigte sie der Gatte. „In dem weiten Australien treiben sich Einzelne oft wunderbar umher. Bald hier- bald dorthin durch irgend eine Zufälligkeit geworfene Leute, die ich schon gestorben und verdorben glaubte, sind mir oft wieder ganz unvermuthet unter die Augen gekommen, so rasch auf's Neue verschwindend wie vorher, um eben nur ihren verschiedenen Geschäften nachzugehen. Ein angehender Squatter, wie Mac Donald war, hat auch außerdem noch alle Ursache, seine Wege, wenn er einem guten Weidegrund nachgegangen, geheim zu halten, damit ihm kein Anderer darin zuvorkomme. Wer weiß, auf welchem trefflichen Hütungsgrund er jetzt sitzt, und Schafe und Rinder zieht, daß es eine Lust ist."

„Da kommt Mr. Bale, der Stockkeeper, angesprengt," sagte Lisbeth, deren Aufmerksamkeit auf das Hufgeklapper eines herangaloppircnden Pferdes gelenkt worden.

„Mr. Bale? - das ist Mr. Bale nicht," sagte Bill, der zweite Sohn Mr. Powell's, der neben der Schwester stand /18/ und ebenfalls den Kopf dorthin gewendet hatte. „Das ist ja ein Grauschimmel, und Mr. Bale reitet einen Braunen - wahrhaftig, das ist ein Fremder."

„Ein Fremder?" rief Mr. Powell, von seinem Sitze aufstehend und zum Fenster tretend, wohin ihm bald die ganze Familie folgte - „in der That - und wie es scheint ein Gentleman-Squatter, denn der lange starke Bart verkündet keinen Städter, das Gewehr, das er trägt, sogar einen Jäger. Geh hinaus, Georg, begrüße ihn und lade ihn zu uns ein. Sein Pferd thu in die Umzäunung. Es ist doch wirklich wahr," wandte er sich dann lächelnd an die Seinen, „Unglück oder Glück kommt nie allein. Die lange Zeit haben wir uns nun nach Nachrichten aus der Welt draußen gesehnt, und immer vergebens gewartet, und heute kommen Briefe und Zeitungen zusammen, und noch ein Fremder obendrein. Er soll uns herzlich willkommen sein."

2,

Der Besuch.

Nur wenige Minuten vergingen, bis der Reiter, den sie indessen kaum vom Pferde gestiegen glaubten, an die Thür des Zimmers klopfte, das er, zur großen Verwunderung Georg's, so genau zu kennen schien, als ob er ein alter Insasse des Hauses sei. Kaum wartete er auch das überraschte Herein des Eigenthümers ab, als sich die Klinke unter seiner Hand bog, und der Fremde, seine Satteltasche über denr linken Arm, mit einem herzlichen „Wie geht es Ihnen Allen?" in's Zimmer trat.

„How are you, Sir?" begrüßte ihn, wenn auch etwas verwundert über die mit so zutraulichem Tone gesprochene Anrede, Mr. Powell, während ihn die Anderen neugierig, Sa-/19/rah jedoch mit peinlich gespannter Aufmerksamkeit betrachteten. - Seien Sie uns hier willkommen in unserer stillen Einsamkeit, und machen Sie es sich bequem. Sie sind zu Hause."

„Herzlichen Dank, Mr. Powell," rief der Fremde, des Angeredeten Hand ergreifend und von Herzen schüttelnd - „aber habe ich mich denn wirklich so sehr verändert? entstellt mich der große Bart so gewaltig, daß Sie, daß Mrs. Powell, daß mich die jungen Damen nicht wiedererkennen? - und wie die Kinder indeß herangeschossen sind!"

„Heiliger Gott!" rief Sarah, während die Eltern den Fremden erstaunt und unschlüssig betrachteten, und die jüngeren Geschwister sich neugierig hinzudrängten - „ist das nicht- ist das nicht Mr. Mac Donald?" und während sie den Namen aussprach, fühlte sie, wie sich tiefes Roth ihr über Stirne und Schläfe goß.

„Es freut mich doch, daß Sie wenigstens den Fremden nicht vergessen haben," sagte mit herzlichem Tone Mac Donald, indem er ihr die Hand, in die sie schüchtern die ihre legte, zum Gruß hinüberreichte.

„Mac Donald, so wahr ich hoffe selig zu werden!" rief aber auch jetzt Mr. Powell, seine linke Hand fassend und herzlich schüttelnd, und Alle drängten sich jetzt um ihn her, den früheren liebgewonnenen Gast zu begrüßen.

„Und ob wir nicht in diesem nämlichen Augenblick von Ihnen gesprochen und uns den Kopf zerbrochen haben, was aus Ihnen geworden sein könnte," rief Mrs. Powell.

„Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt, ist ein altes gutes Sprüchwort," lächelte Mac Donald - „aber hatte ich nicht Miß Sarah die Bücher versprochen, und mußte ich ihr die nicht bringen?“

„Seht Ihr, ich hatte Recht!" rief Lisbeth jetzt lachend aus – er hat sie in Melbourne nicht bekommen, und ist eine Straße weiter gegangen, nach London vielleicht, sie dort zu holen.“

„Doch nicht ganz so weit," lautete die freundliche Antwort des jungen Mannes, „aber - Mühe hat es allerdings gekostet. Dies indeß erzähl' ich Ihnen vielleicht ein anderes /20/ Mal; hier sind sie jedenfalls, und mag Miß Sarah wenigstens die Freude darin finden, die sie erwartet."

Bei diesen Worten öffnete er seine Satteltasche und nahm ein halbes Dutzend in Wachsleinen gut eingepackte und verwahrte Bücher heraus, die er vor dem erröthenden, aber dankend zu ihm aufblickenden Mädchen auf den Tisch legte. „Ich hoffe, sie sind nicht naß geworden," setzte er dann hinzu, „denn ich mußte den Murray mehrere Male kreuzen, dreimal sogar mit dem Pferde schwimmen, habe sie jedoch immer auf das Sorgfältigste in Acht genommen."

„Da ist ein Loch drin," sagte Ned, der zwölfjährige Knabe, der neugierig mit zum Tisch getreten war, und die Pakete ziemlich ungenirt in die Hand nahm und betrachtete.

„Das sieht gerade so aus, als ob eine Kugel hineingeschlagen wäre," rief Georg, der die Stelle in dem Paket ebenfalls beschaute und sie dann seinem Vater reichte.

„Und es sieht nicht allein so aus," lachte der Fremde, „sondern ist auch wirklich der Fall gewesen. Das Buch hat mir, wenn nicht das Leben gerettet, doch mich jedenfalls vor einer vielleicht ebenfalls tödtlichen Schußwunde in das Bein verwahrt. Das Pistol ging mir in der Holster los, und die Satteltasche, die ich gerade vor mir auf's Pferd gehoben, um einige Provisionen herauszunehmen, fing zu meinem Heil den Schuß auf. Hoffentlich ist Ihnen das Buch nicht sehr beschädigt worden, denn der dicke Einband und das festgepreßte Papier haben die Kugel wohl nicht weit hineingelassen. Ich hatte noch nicht einmal Zeit danach zu sehen."

„Und Sie waren vielleicht nicht einmal im Bereich menschlicher Hülfe?" frug die Mutter, besorgt die Hände faltend.

„Weite, weite Strecken von irgend einer menschlichen Wohnung, von menschlichem Mitleiden entfernt," sagte der junge Mann ernst; „tief im Busche drin, selbst ohne Wasser und von einem Schwarm von Schwarzen bedroht, die der unglückselige Schuß sogar auf meine Spur brachte. Wäre ich nur einigermaßen schwer verwundet worden, so hätte ich ihnen unbedingt in die Hände fallen müssen. Nur Miß Sarah's Bücher haben mich geschützt." /21/

„Das getroffene Buch soll mir da immer ein liebes Andenken daran sein," sagte Sarah bewegt - „aber mußten Sie sich denn solcher Gefahr aussetzen?"

„Solcher Gefahr?" lachte der junge Mann, „fragen Sie einmal Ihren Vater, Ihre Brüder, ob sie nicht ähnlichen Zufällen fast in jeder Woche ihres Lebens hier im Busche ausgesetzt sind? Ein Pferd kann beim wilden, halsbrechenden Ritt mit ihnen stürzen; ein gereizter Stier sich auf sie werfen und sie verstümmeln oder tödten; ein Schwarm von Schwarzen einmal plötzlich den einzelnen Reiter im Busche überfallen -"

„Oder ein Buschrähndscher uns hinter einem Gum eine Kugel durch's Hirn jagen," bestätigte lächelnd Mr. Powell - „vor solchen Sachen sind wir allerdings nicht sicher."

„Vor Buschrähndschern doch wohl," meinte lächelnd der Gast, „denn so viel ich weiß, hat man von solchen lange nichts gehört."

„Lange nichts gehört?" rief Georg - „da in der neuesten Zeitung steht eine große Geschichte von Einem, der entwischt ist, und aus dessen Einbringung oder Kopf die Regierung hundert Guineen gesetzt hat."

„Hundert Guineen?" wiederholte erstaunt Mac Donald, „aber wie ist das möglich? Ich komme jetzt direct von Melbourne, und müßte doch von einem solchen ganz außergewöhnlichen Falle ebenfalls etwas gehört haben. Hundert Guineen - ich erinnere mich allerdings eines solchen Falles, aber - von welchem Datum ist denn Ihre Zeitung?"

„Von welchem Datum? ich habe wahrhaftig noch nicht einmal nachgesehen," erwiderte John, die fragliche Nummer dabei wieder unter den übrigen heraussuchend - „doch wohl gewesen – nun freilich, die Karren sind eine ganze Weile unterwegs gewesen.“

„Die Ochsenkarren haben die Neuigkeit mitgebracht?“ lachte Mac Donald, „das ist nicht übel."

„Ach hier ist das Blatt. Vom 15. - ja freilich, das ist etwas spät - vom 15. December vorigen -Jahres."

„Und jetzt haben wir April," sagte der Gast — „ja, dann kann Ihre Zeitung Recht haben. Wie hieß der Bursche?" /22/

„Jack London3 mit einer Anzahl alias," sagte der Vater.

„Ganz recht; das ist derselbe. Der wurde aber bald darauf eingefangen, und der Fangpreis ist auch, so viel ich weiß, Denen, die ihn einbrachten, richtig ausgezahlt worden."

„Vom 15. December?" rief die Mutter erstaunt, „geht mir mit Euren altbackenen Neuigkeiten. Und damit wird Einem jetzt noch Schrecken eingejagt!"

„Haben Sie den Mann einmal draußen wild im Walde gesehen?" frug Ned, der Jüngste, der sich besonders für den Buschrähndscher interessirte.

„Wild draußen nicht," meinte Mac Donald, „und bin damit auch ganz einverstanden; in der Stadt aber wohl, wenn auch nur flüchtig, gerade als er gefangen eingebracht wurde."

„Und wie sah er aus?" rief Bill rasch und begierig.

„Ja, mein junger Freund," sagte der Gast, „das bin ich wirklich nicht im Stande, Euch so genau anzugeben. Auf mich macht solch ein Schauspiel jedesmal einen entsetzlich unangenehmen, ich kann wohl sagen, peinlichen Eindruck, und ich gehe ihm lieber soviel als möglich aus dem Wege, suche es wenigstens nie freiwillig auf."

„Und daran thun Sie auch vollkommen wohl," stimmte ihm die Mutter bei. „Es ist schon außerdem genug Jammer und Elend in der Welt, und stößt uns überall auf, wo wir ihm mit dem besten Willen nicht ausweichen können; man muß sich nicht noch muthwillig solch' schmerzlichen Eindrücken preisgeben."

„Ich sähe aber für mein Leben gern einmal einen Buschrähndscher hängen!" rief Bill mit leuchtenden Augen.

„Bill!' riefen Mutter und Schwestern fast zu gleicher Zeit erschreckt und tadelnd aus. „Wer um Gottes willen hat dem Knaben solch' blutdürstige Gedanken in das Herz gelegt?" setzte die Mutter noch schaudernd hinzu; - „pfui, Kind, schäme Dich, solchen Wünschen Worte zu geben; hüte Dich aber noch viel mehr, sie in Deinem Herzen zu nähren."

„Aengstigen Sie sich deshalb nicht, Mrs. Powell," beruhigte sie Mac Donald. „Die Knaben wachsen hier im Busche auf und schwatzen nur meist nach, was sie von der /23/ eben nicht zarten Gesellschaft der Hirten, Schäfer und Ochsentreiber hören. Das Herz kann dabei gut und rein bleiben; nur der jugendliche Uebermuth sprudelt heraus, und wird Bill einmal älter, so sieht er schon selbst ein, daß es eben nichts Wünschenswerthes sein kann, einen Nebenmenschen - und wenn es ein Verbrecher wäre - vom Leben zum Tode gebracht zu wissen."

„Dann sind die Schwarzen wohl auch unsere Neben menschen?" fragte Bill, halb trotzig, halb beschämt.

„Allerdings," erwiderte Mac Donald freundlich, „und so wild sie sich manchmal benehmen, so würden wir an ihrer Stelle, und von einer andern Menschenrace so behandelt, oder vielmehr mißhandelt, wie wir sie mißhandeln, uns noch viel ungeberdiger, unfügsamer, vielleicht sogar grausamer zeigen als sie."

„Das glaub' ich auch," stimmte ihm Mr. Powell bei. „Die meisten Stationshalter betrachten aber wirklich die Schwarzen für wenig besser als die wilden Hunde, und vermehren dadurch nur die Feindschaft, erweitern den Riß, der leider schon unausfüllbar groß geworden ist."

„Du bist besser mit ihnen, John," sagte die Frau herzlich zu ihrem Manne, „Du hast nie nach ihnen geschossen, oder sie mit Hunden gehetzt, und ich glaube, dem Umstand allein haben wir es auch zu verdanken, daß sie uns bisher so gänzlich in Ruhe gelassen und nie eine wirkliche Feindseligkeit versucht haben."

„Liebes Kind," sagte der Mann achselzuckend, „darauf allein dürfen wir nicht bauen, und ich verlasse mich dabei doch immer mehr auf die Furcht, die wir ihnen einflößen, als auf sine Dankbarkeit, zu der wir sie verpflichtet, wie Du glaubst. Bedenke, daß ich, so gut wie alle übrigen Stationshalter, ihnen doch trotzdem direct den größten Schaden zufüge, der ihnen nur überhaupt von den Weißen zugefügt werden kann. Daß ich persönlich freundlich mit ihnen bin, und Rohheiten meiner Leute gegen sie nicht gestatte, kann das nicht gut machen. Wir haben sie mit unseren Heerden von ihren Jagdgründen verdrängt, mit unseren Hunden ihr Wild, /24/ ihre Kängurus, Emus und Wallobys4 vom Flusse weg in die Malleybüsche gejagt; ja, noch schlimmer, einen Stamm dem andern, die sich alle feindselig gesinnt sind, in die Nähe gezwungen, daß das Blutvergießen zwischen ihnen seit der Zeit nicht aufgehört hat. Das vergessen uns die schwarzen Burschen nicht, können sie nicht vergessen, und ihr ganzer Charakter ist überhaupt nicht so versöhnlicher Art. Wer sie noch außerdem persönlich reizt, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben."

„Das wissen Sie doch," sagte Mac Donald, „daß ein ganzer Stamm von ihnen kaum eine halbe Stunde Wegs am Flusse lagert?"

„Wirklich? - nein, das wußte ich nicht," sagte Mr. Powell lächelnd, „hätt' es mir aber allenfalls denken können, und heut Abend werden wir ihre Feuer hier dicht bei uns haben, und ihren Corroberrys5 zusehen können. Wenn die Zufuhren kommen, sind die Schwarzen auch nicht weit, darauf kann man sich fest verlassen, und wie der Raubvogel oder der wilde Hund ein Aas im Walde wittert, so merken die schwarzen, eben so scharfsinnigen Burschen frische Transporte, bei denen sie recht gut wissen, daß auch etwas für sie abfällt."

In diesem Augenblicke klopfte es an die Thür, und auf das einladende „walk in!" des Hausherrn erschien der erste Stockman Mr. Bale auf der Schwelle, grüßte die Familie, sowie den Fremden, und meldete, daß ein Stamm der Rufus-Schwarzen - dieselben, die im vorigen Jahr einmal ein paar Tage hier gelagert und bei ihrem Abschied ein halbes Dutzend Schafe mitgenommen hätten - im Anzug wäre, und, wie es schien, Lust habe seine Gunyos6 hier aufzuschlagen.

„Ah, da sind sie also schon," lachte Mr. Mac Donald, „die müssen mir dann gerade in der Fährte gefolgt sein."

„Ja, die schwarzen Halunken lassen nicht lange auf sich /25/ warten, wenn sie einmal irgendwo Tabak oder Brod riechen," meinte der Stockkeeper. „Sollen wir sie denn zu der Station lassen, Sir? ich dächte, wir litten die schwarzen Spitzbuben nicht so ganz in der Nähe?"

„Wie viele sind's ihrer wohl?" frug Mr. Powell.

„Nicht so sehr viele," lautete die Antwort, „vielleicht zehn Männer und fünfzehn oder sechzehn Frauen und Kinder. Der alte Krüppel ist auch wieder dabei, und wandert auf seinen Händen rüstig mit. Der Bursche ist zäh wie rohe Haut."

„Der arme Mensch," sagte Mrs. Powell, während die Söhne hinausgegangen waren, um die Schwarzen ankommen zu sehen. „Laß sie nur heran, John. Sie bleiben nicht lange, und es muß ihnen ja auch wohlthun, einmal menschliche Wohnungen zu sehen und in ihrer Nähe weilen zu können."

„Glauben Sie das ja nicht, Madame," warf hier der Stockman ein. „Die Canaillen hassen die Wohnung eines Weißen, wie den Weißen selber, und finden sie draußen im Busche einmal eine leere Hütte - mag es vom Himmel heruntergießen, so viel es will - gehen sie nicht etwa hinein, sondern lagern hartnäckig im Freien. Wenn sie den innern Raum ja auf eine Viertelstunde betreten, so geschieht es nur vielleicht, um zu sehen, ob sie drinnen nichts mehr zu stehlen finden, denn gebrauchen können sie Alles. - Hätt' ich meinen Willen - aber was thut's - und wie soll's gehalten werden, Sir?"

„Lassen Sie die Burschen nur heran," sagte Mr. Powell gutmüthig; „wenn sie uns ja lästig werden sollten, können wir sie bald wieder los werden. - Hier ist ein Brief für Sie mitgekommen, Mr. Bale," brach er dann ab, und ging nach dem Tische zu - „zwei sogar, wie ich sehe, und wenn Sie heut Abend einige von den Zeitungen durchblättern wollen, stehen sie Ihnen ebenfalls zu Diensten."

„Dank Ihnen, Sir," sagte der Mann, indem er die Briefe anscheinend gleichgültig nahm und nach einem nur flüchtigen Blick auf die Adresse in die Tasche schob. Aber seine Augen glänzten, und über das derbe, sonnverbrannte Gesicht des Mannes, das ein kurz gehaltener, aber voller Bart mehr /26/ zierte als verdeckte, zog sich ein freundliches Lächeln. - Briefe aus der Heimath, wer auch hätte dem Zauber widerstehen können!

„Wolle ist theurer geworden, wie ich höre, Sir?" sagte er dann, als er sich zum Fortgehen anschickte, „und Pferde sollen auch einen guten Preis bringen. Wie wär's denn, wenn wir einmal einen Trupp von ihnen, sobald das Gras ein bischen mehr herauskommt, hinunterjagten? Was andere Leute können, können wir auch, und unser Pferdefleisch darf sich schon auf dem Adelaide-Markt sehen lassen."

„Ich habe auch schon daran gedacht, Mr. Bale," erwiderte Mr. Powell, „zu riskiren haben wir kaum etwas dabei. Wissen Sie vielleicht, Mr. Mac Donald, wie die Preise standen, als Sie Melbourne verließen? Meine Berichte hier sind etwas sehr alt."

„Gut - vortrefflich sogar, so viel ich weiß," erwiderte der junge Mann, „wenigstens für Die," sehte er lächelnd hinzu, „die Pferde zu verkaufen hatten. - Die Käufer mußten, was sie brauchten, hoch bezahlen."

„Vortrefflicher Grauschimmel der, den Sie reiten, Sir," sagte der Stockkeeper zu dem Fremden gewandt; „darf ich fragen, was er gekostet hat? - Bitt' um Entschuldigung," setzte er aber rasch hinzu, als er sah, daß der Gast leicht erröthete.- „Was er gekostet, brauch' ich nicht zu wissen, nur was er etwa in den Ansiedelungen jetzt werth ist."

„Sie können auch erfahren, was er mich gekostet hat," lachte Mac Donald, dem Zartgefühl des Mannes begegnend. „Im Busche drin, wie überhaupt in den Colonien, sind den Eigenthümern die Pferde gewöhnlich immer feil, vorausgesetzt, daß sie einen guten Preis dafür bekommen. Was sie selbst dafür gegeben haben, ist indeß eine delicate Frage, die auch wohl in den wenigsten Fällen, besonders dann, wenn ein Wiederverkauf beabsichtigt wurde, wahr beantwortet wird. Ich bin kein Pferdehändler und habe deshalb auch kein Geheimniß aus dem Preise zu machen. Der Graue kostet mich mit Sattel und Zaum, wie er da steht, gerade fünfzehn Pfund Sterling."

„Vielleicht nicht zu viel für ein gutes Pferd," sagte der /27/ Stockkeeper mit den Achseln zuckend, „im Durchschnitt darf man aber wohl kaum auf mehr als acht Pfund Sterling rechnen. War das der geforderte Preis?"

„Gebotener, und der Verkäufer ließ es gelten."

„Glaub' ich - ist auch annehmbar, aber doch nicht zu viel. Springt er gut?"

„Wie ein Reh, und braucht fast kein Wasser den ganzen Tag."

„Treffliches Buschpferd - wenn ich meine eigene Station hätte, möcht' ich's schon haben."

„Nun, wenn das einmal geschieht, Mr. Bale, werden wir vielleicht handelseinig," lächelte Mac Donald.

„Je eher dann, desto besser," sagte der Mann und verließ wieder artig grüßend das Zimmer. Er hatte kein Wort mit den Damen gewechselt, und ihnen nur beim Eintreten und Abschied seine stumme Verbeugung gemacht. Nur im Spiegel suchte sein Blick manchmal und flüchtig die schlanken Gestalten, und es war dann, als ob er selbst solcher Kühnheit wegen erröthe.

Als Mr. Bale das Zimmer verlassen hatte, drehte sich das Gespräch noch kurze Zeit um Pferde, Rinder und Wollpreise, jene, den dafür sich nicht Interessirenden oft zur Verzweiflung treibende australische Buschunterhaltung, bis sich die Damen endlich derselben bemächtigten, und Sarah besonders die Bücher ausgepackt hatte, die einen ihrer Lieblingswünsche erfüllten.

Das Buch, das die Kugel getroffen, ohne ihm jedoch wesentlichen Schaden zu thun, war Lalla Rookh. Nur durch Einband und Titel und die ersten Blätter des „verschleierten Propheten" war sie gefahren, und das jetzt harmlose Blei stak noch fest in der Umhüllung.

Mac Donald nahm die Kugel lächelnd in die Hand, betrachtete sie einen Augenblick und wollte sie dann in die eigene Tasche schieben, als Sarah ihre Hand auf seinen Arm legte und ihn mit

freundlichem Blick ersuchte, ihr dieselbe zu überlassen.

„Sie gehört mit zum Buche“, sagte sie bittend, „es würde etwas darin fehlen, wenn ich sie nicht behalten dürfte." /28/

Mac Donald sah ihr lange und fest in's Auge, bis sie ihren Blick vor dem seinen zu Boden schlug. Fast schien es, als ob es ihn Ueberwindung koste, die werthlose Kugel herzugeben. Endlich aber streckte er langsam den Arm aus, reichte ihr das Stück Blei und sagte freundlich, aber mit einem fast wehmüthigen Zug um die Lippen:

„Nehmen Sie die Kugel, Miß Powell. - Es ist auch vielleicht besser, ich gebe sie weg, damit sie mir nicht zum zweiten Mal gefährlich werde."

„Sind Sie abergläubisch?" frug Sarah, die, während sie die Kugel nahm, wieder lächelnd zu ihm aufschaute.

„Ein wenig," erwiderte Mac Donald - „ich bin ein leidenschaftlicher Jäger und ein halber Seemann, und Seeleute wie Jäger sind, wie bekannt, alle ein wenig abergläubisch, mögen sie es leugnen, so viel sie wollen. Das Geschäft bringt das schon mit sich."

„Nun aber erzählen Sie uns auch," bat Mrs. Powell, „wo in aller Welt sie so lange gesteckt haben, und warum Sie gar nichts von sich hören ließen. Glauben Sie mir, wir ängstigten uns Ihrethalben, und fürchteten wirklich schon, es könnte Ihnen unterwegs von Buschrähndschern oder Schwarzen etwas zugestoßen sein."

„Wo ich gewesen bin?" sagte Mac Donald achselzuckend - „wo eigentlich nicht. Mein Plan war damals, wie Sie wissen, mich irgendwo als Squatter niederzulassen, eine eigene Heimath zu begründen. Zufällig hörte ich da auf dem Wege nach Melbourne von einer neu entdeckten prachtvollen Gegend für Viehzüchter, von einem Paradies für Schafe und Rinder - Gerüchte, wie sie im australischen Busch ebenso von reich bewässerten Weidedistricten in Umlauf sind, wie in den Städten von eben aufgefundenen Kohlenminen, die sich nachher als nichts Anderes ausweisen wie Phantasien, im Hirn eines Schwärmers oder Betrügers entsprungen. Trotzdem, trotz all' meinen ähnlichen Erfahrungen aus früherer Zeit, ließ ich mich verleiten, der falschen Fährte nachzugehen, und verbrachte mit ein paar Leidensgefährten eine lange trostlose Zeit drin im trockenen Malleybusch. Bald spürten uns auch die Schwarzen aus, und nur mit Müh' und Noth entgingen /29/ wir endlich der doppelten Gefahr des Verschmachtens und ihrer hölzernen Speere, von denen einer meiner Gefährten ziemlich arg, wenn auch nicht lebensgefährlich, verwundet wurde."

„In welcher Gegend war das?" fragte Mr. Powell, der sich besonders für diesen Bericht über einen neuen Weidegrund interessirte; ist es doch das im Buschleben, was dem Squatter vorzüglich und zunächst am Herzen liegt.

„Zwischen dem Hindmarsch- und dem Curon-See," erwiderte Mac Donald.

„Ich habe immer gedacht, daß dort noch einmal eine gute Stelle aufgefunden würde!" rief Mr. Powell, von seinem Stuhl aufspringend - „und Sie fanden gar nichts?"

„Schwarze genug, aber keinen Tropfen Wasser für uns und für die Thiere, außer wenn wir zum Hindmarsch-See zurückkehrten, um dort unsere Gefäße wieder zu füllen und unseren Pferden Ruhe zu gönnen."

„Dann sind Sie auch nicht weit genug im Innern gewesen ; ich bin fest überzeugt, daß innerhalb jener beiden Seen irgendwo ein alter Wassercurs und noch feuchtes Land liegen muß. Wär' ich nur bei Ihnen gewesen!"

„Danken Sie Gott, daß Sie es nicht waren," erwiderte Mac Donald ernst; „ich möchte die Zeit nicht noch einmal durchleben."

„Und haben Sie es jetzt aufgegeben, einen passenden Weideplatz zu finden?" frug die Mutter den jungen Mann mit vieler Theilnahme, „oder führt Sie gerade deshalb Ihr Weg hierher zurück?"

„Das ist eine noch viel indiscretere Frage," rief lachend Ihr Gatte, „als die des Mr. Bale, was das Pferd gekostet habe. Du weißt, liebes Kind, daß ein angehender Squatter mchts auf der Welt so geheim hält, als welche Richtung er nehmen will, um einen Weidegrund zu finden."

„Jedem andern Squatter gegenüber, ja," erwiderte Mac Donald, dem alten Herrn die Hand hinüberreichend, welche dieser nahm und herzlich drückte. „Ihnen kann ich ganz offen gestehen, daß es allerdings mein Plan ist, hier irgendwo am Murray noch einen Weidegrund aufzufinden /30/ obgleich die besten oder eigentlich brauchbaren Stellen schon lange und fest in Besitz genommen sind."

„Und ich gestehe Ihnen, daß ich Niemanden lieber zum Nachbar hätte, als gerade Sie," erwiderte ihm eben so herzlich Mr. Powell. „Nur zu oft geschieht es, daß wir unter den Squattern eine Menschenklasse in die Nähe bekommen, die nicht allein an Bildung, nein, auch an gutem Betragen so weit unter uns stehen, daß wir bei dem besten Willen mit ihnen keinen Umgang pflegen können, wenn wir auch nicht im Stande sind, jeden Verkehr mit ihnen zu vermeiden. Was könnte uns da Lieberes geschehen, als uns auf solche Weise zu verbessern? Für unsere Heerden haben wir doch noch Raum genug; das Land ist groß, und bis dahin, daß sie sich so vermehrt haben, um uns zu zwingen einen andern Platz zu suchen, wird auch schon Rath werden. Zerstreuen sich die Kinder doch meist, wenn sie einmal das richtige Alter erreicht haben und flügge geworden sind! So wollen wir denn hier auf fröhliche und gute Nachbarschaft anstoßen, Mr. Mac Donald!" setzte er hinzu, als Sarah, die sich einen Augenblick auf einen Wink der Mutter entfernt hatte, mit einer Flasche Sherry und einigen Gläsern zurückkam, indem er diese füllte und das seinige dem Gast entgegenhielt.

„Das gebe Gott!" erwiderte, sein Glas dem gebotenen entgegenbringend, mit einem recht aus tiefster Brust geholten Seufzer der junge Mann, und leerte es auf einen hastigen Zug. Ein lautes „ku—ih!" von draußen, der gewöhnliche Zuruf der Schwarzen untereinander, den sich übrigens auch die Weißen im Innern des Landes angeeignet haben, tönte in diesem Augenblick herüber.

„Aha, da sind unsere schwarzen Gäste schon," lachte Mr. Powell; „das ließ sich denken, daß die nicht viel Zeit versäumen würden, von der erhaltenen Erlaubniß Gebrauch zu machen. Uebrigens thun sie höchstens beim Abziehen einigen Schaden, denn so lange sie an der Station lagern, hüten sie sich gar sehr, von irgend fremdem Eigenthum etwas anzurühren."

„Wenn sie das aber beim Abschied thun, so setzen sie sich /31/ doch stets, sollten sie den Platz einmal später wieder besuchen, einem rauhen und unfreundlichen Empfang aus," meinte Mac Donald.

„Daran denken sie nicht," erwiderte Mr. Powell. „Die Burschen haben untereinander übrigens irgend eine Art von moralischem Gesetzbuch - nach so luftigen Grundsätzen dieses auch entworfen sein mag - und irgend welche Bestimmungen und Ordnungen unter sich. Wir Weißen kennen überhaupt bis jetzt nur die alleräußerste Schale ihres politischen wie geistigen Lebens, und geben uns, aufrichtig gesagt, auch entsetzlich wenig Mühe, eine bessere Kenntniß von ihnen zu erlangen. Nach dem aber, was ich bis jetzt in meinen langjährigen Erfahrungen von ihnen gesehen und erlebt habe, scheint cs mir, daß hinsichtlich solcher und selbst anderer, schwererer Vergehungen eine Art Verjährungsrecht unter ihnen besteht, vermöge dessen nach einer gewissen Zahl von Monaten von irgend einer unangenehmen Sache nicht mehr gesprochen werden darf. So sind mir mehrere Fälle vorgekommen, daß Schwarze, nachdem sie einen Weißen erschlagen, plötzlich spurlos aus der Gegend verschwanden und von keinem nach ihnen Suchenden wieder aufgefunden werden konnten, bis sie plötzlich, gewöhnlich nach sechs Monaten, ganz ungenirt und von selbst wieder zum Vorschein kamen, und so unbefangen mitten in die Polizei hineinliefen, als ob sie mit der ganzen früheren Sache von Mord und Blut auch nicht das Mindeste zu thun gehabt hätten. Einige von ihnen haben sich auf diese Weise auch wirklich dem beleidigten Gesetz freiwillig oder vielmehr unbewußt in die Hände geliefert, und schienen bei dem ersten Verhör sehr entrüstet darüber zu sein, daß man jetzt noch einmal eine Geschichte aufrühre, die schon „sechs Monde alt wäre."

„Das allerdings gäbe auch mir den Schlüssel zu manchen von ihren Handlungen“, sagte Mac Donald – „aber wollen wir nicht einmal lieber zu ihnen hinausgehen? Aufrichtig gesagt, kam mir heute, als ich an dem Stamm vorbeiritt, der Gedanke, ob ich nicht einen oder zwei von diesen Burschen bewegen konnte, mit mir in den Busch zu gehen irgend einem Weidegrund zu suchen." /32/

„Ich würde Ihnen doch nicht rathen, sich mit ihnen einzulassen," sagte Mr. Powell.

„Trauen Sie ihnen um Gottes willen nicht," warnte ihn auch Mrs. Powell - „sie sind Alle falsch, selbst die besten unter ihnen, und sollten Sie sich einen der schwarzen Menschen noch so sehr zu Dankbarkeit verpflichtet haben, so dürfen Sie es doch nicht wagen, ihm, wenn Sie mit ihm allein sind, den Rücken zuzukehren. Hat er seine Keule in der Hand, so kann er der Versuchung nicht widerstehen, Sie zu Boden zu schlagen."

„Darin liegt allerdings viel Wahres" versicherte Mr. Powell. „Im Sidney-District, in dem ich doch eigentlich meine Schafzucht begann, hatte ich in der damals noch ziemlich wilden Gegend einen Nachbar - einen Schotten - der sich der Schwarzen ungemein annahm und einen jungen Burschen von sechzehn Jahren, dem er als Kind einmal das Leben gerettet, stets mit sich herumführte. Der junge Bursche war ihm auch wirklich ergebener, als ich es je von einem Schwarzen gesehen hatte. Einmal aber sind sie zusammen draußen im Wald, um einen Baum umzuhauen; auf einmal kommt der Schwarze mit einer blutigen Axt allein und heulend und schreiend zur Station gelaufen, und klagt sich mit den aufrichtigsten Zeichen der Reue und des Schmerzes selber an, seinen Herrn ermordet zu haben. Seiner eigenen Aussage nach hatte er, mit der Axt in der Hand, neben ihm gestanden und der Versuchung, als er ihm einmal den Rücken zukehrte, nicht widerstehen können, nach ihm zu schlagen. Der Schlag hatte den Tod des Unglücklichen zur Folge, und der Schwarze war im Anfang außer sich, seinen Wohlthäter getödtet zu haben. Als sie ihn aber dieser That wegen einsperren wollten, fand er Gelegenheit zu entspringen und hat sich nie wieder in der dortigen Gegend sehen lassen."

„Das sind einzelne Fälle," sagte Mac Donald; „ich kenne dagegen andere Beispiele, nach denen sich Schwarze treu und ehrlich bewiesen haben, allerdings immer nur während eines sehr kurzen Zeitraums, denn daß ihnen auf die Länge zu trauen wäre, möchte ich selbst nicht behaupten. Aber sorgen Sie sich nicht um mich. Wenn ich wirklich einen Schwarzen /33/ mit mir in den Busch nehme, wähle ich mir auch meinen Mann heraus und bin dann vorsichtig genug, mich mit ihm auf solch' einen Fuß zu stellen, daß er nur dann seinen Vortheil findet, sobald er sich mir eben treu zeigt, in keinem andern Fall aber einen Nutzen von mir hat."

„Sobald Sie das können, sind Sie geborgen," lachte Mr. Powell, indem er seinen Strohhut aufsetzte, „und nun wollen wir, wenn es Ihnen recht ist, einmal hinüber zu den Schwarzen gehen, die dort schon, wenn ich nicht sehr irre, ihre Gunyos herstellen und ihre Feuer anzünden. - Zum Mittagsbrod sind wir wieder zurück." Den Arm seines Gastes nehmend, der sich den Damen freundlich empfahl, schritt er gleich darauf mit diesem über den Vorplatz, der vor dem Stationsgebäude lag, hinweg und dem nächsten, sich den Häusern anschließenden Dickicht zu, von welcher Richtung her das Hacken der Tomahawks, aufsteigender Rauch und wildes Hundegekläss die Nähe der Schwarzen verkündeten.

3.

Die Schwarzen.

Kaum vierhundert Schritt von Mr. Powell’s Stationsgebäude entfernt begann der „Busch" – das heißt, einzelne starke Gumbäume standen dort parkähnlich zerstreut auf einer ziemlich zerstampften, wenigstens nicht mehr mit Gras bedeckten Uferfläche des Murray, während ein niederes Unterholz von starren, Gott weiß weshalb so genannten Theebüschen und besenartigem Gesträuch hier und da in kleinen Gruppen oder Dickichten zusammen wuchs. Die Hohe der Bäume zeigte aber hier die Nähe des Flusses an, hätte auch wirklich nicht der merkwürdige kleine Glockenvogel7, der zuverlässigste Wasseranzeiger Australiens, von Zeit zu Zeit in den /34/ Zweigen sein lustiges, fast metallisch klingendes ting-ling hören lassen.

Dicht von dem hier ziemlich schmalen Waldstreifen und vom Flusse ab, den Malleyhügeln zugekehrt, lief ein kleiner sandiger, fast kahler Hügelrücken hinauf, der zugleich die westliche Grenze der Station bildete, und dicht unter diesem, noch im Schutze der Gumbäume, war der oben beschriebene Stamm eifrig beschäftigt, die dickstämmigen Gums abzuschälen und ein leicht errichtetes Lager mit der Rinde derselben für sich herzustellen.

Die beiden Männer hatten noch etwa ein Drittheil des Wegs zurückzulegen, als ihnen aus dem Gebüsch heraus mit wüthendem Gebell eine ganze Meute lebendiger Hundeskelette entgegenstürzte und den Wald mit ihrem wolfsähnlichen Geheul erfüllte. Es waren die Hunde der Schwarzen, und eine buntere Mischung nichtswürdiger, eben nur noch in den Knochen hängender räudiger und halb verhungerter Köter war wohl noch nie in einem andern Theile der Welt versammelt gewesen. Und wovon lebten sie überhaupt? - Die Schwarzen fanden kaum für sich selber Nahrung genug, um im Walde ihr Leben, so wie das der Ihrigen zu fristen. Kängurus fingen ebenfalls schon an, in diesem Theile des Busches zu einer sehr seltenen Jagdbeute zu werden, und wenn die ganze Meute nicht dann und wann vielleicht einmal einen Dingo oder wilden Hund überraschte und mit Haut und Haar auffraß, blieb ihr wahrlich nichts weiter übrig, als was ihre Herren ebenfalls in Zeit der Noth mit ihnen thaten, nämlich einen unter ihrer eigenen Meute herauszusuchen, niederzuwürgen und zu verschlingen.

Die Hunde sind den Schwarzen insofern nützlich, als sie ihnen besonders das Opossum, das Walloby und manchmal auch ein Känguru jagen helfen, von denen sie dann vielleicht die Eingeweide zu fressen bekommen. Sonst müssen sic sich oft genug ihr Futter ebenso wie ihre Herren in Würmern oder Engerlingen aus der Erde graben, oder - sie leben von der Luft.

Die beiden Männer blieben stehen, einen etwaigen Angriff der Bestien mit einem rasch aufgegriffenen Holz abzuwehren, /35/ und Mr. Powell sah sich nach seinen eigenen Hunden um. Diese hatte aber Georg, der noch einmal den Fluß hinabgesprengt war, mit fortgenommen. Die Schwarzen selber bemerkten indessen rasch die nahenden Weißen; den Eigenthümer der Station kannten sie überdies, und wie dem Boden entwachsen, standen plötzlich fünf oder sechs junge Burschen mitten zwischen den Hunden, und warfen mit solchem Erfolg ihre Bumerangs oder aufgegriffene Stücken Holz zwischen die heulende Schaar hinein, daß diese winselnd und mit eingezogenen Schwänzen auseinanderstob, den Weg zum Lager für die Weißen frei lassend.

Trotz der kurzen Zeit, in der sie sich eigentlich hier an Ort und Stelle befanden, war das eigentliche Lager doch schon großentheils hergestellt worden. Die Männer hatten nämlich mit den kleinen Beilen, die Einige mit sich führten, von den nächsten Gumbäumen große Stücken Rinde rasch abgehackt und heruntergezogen, die Frauen schleppten sie herbei und stellten dann drei oder vier Stück derselben nach der Windseite so zusammen, daß sie oben eine Spitze bildeten. Gegen diese, die vorn etwas überneigte, wurde ein etwa sieben Fuß langer Stock schräg eingestemmt, um eine Art Dach herzustellen, und das Lager, Bett und Haus - war fertig.

Allerdings schützten diese Rindenstücke die darunter Liegenden nur nach einer Seite gegen Wind und Wetter und die heißen Strahlen der Mittagssonne, und die nackte Erde, nur selten mit einem Opossumfellmantel zur Unterlage, war das Bett. Was aber kümmerte das die abgehärteten und eben an Wind und Wetter gewöhnten Kinder dieser trostlosen Gumwälder! Sobald sie nur genug hatten, ihre Bäuche zu füllen welcher Art die Speise auch war - um das Uebrige nugen sie wahrhaftig keine Sorge.

Von dem Eigenthümer der Station nahmen sie indessen weiter keine Notiz, als daß sie ihn von den Hunden frei hielten. Es war ihnen vor allen Dingen einmal erlaubt, hier ihr Lager aufzuschlagen, und das Andere fand sich dann von selbst. Alle Hände voll hatten sie außerdem auch zu thun, um ihr Nachtquartier in Stand zu setzen, und wie nur die Rindenblätter standen, wurden vor jeder einzelnen Gunpo /36/ Feuer angezündet, anscheinend zur Bereitung für ein Mittagsessen, obgleich an Lebensmitteln, ein erlegtes Walloby und zwei Opossums ausgenommen, nichts zu sehen war.

Der australische Wald oder „Busch" ist eine traurige Heimath für den Wilden, dem er wenig mehr bietet als Feuerholz und ein Stück Rinde, um sich gegen das Wetter zu schützen. Waldfrüchte wachsen gar nicht darin. Die wenigen, welche in Form oder Farbe einer Frucht wirklich ähnlich sehen, sind ungenießbar, und entweder hart wie Holz und eben so saftlos, oder wollig und fade von Geschmack. Die australische Birne gehört zu der ersten, die Himbeere zu der zweiten Gattung. Die australische Kirsche, die den Kern außen an der obern Spitze sitzen hat, ist ebenfalls eine kleine, ganz werthlose, fade schmeckende Beere, und somit sind die Buschfrüchte der südlichen Hälfte des australischen Continents vollkommen erschöpft. Natürlich muß der Eingeborene, was ihm der Wald an Früchten versagt, in der Insectenwelt suchen, und Larven und Käfer, Maden, Engerlinge und Raupen sind vor seinem Hunger niemals sicher. Eine Akazienart liefert ihm außerdem noch ein nahrhaftes Harz, das besonders die Frauen sammeln und in Netzen mit sich tragen, und eine Art Eisgewächs mit kleinen dreieckigen fleischigen Blättern, fast wie eine kurze dreieckige Feile, die selbst in der dürrsten Jahreszeit ihr saftiges Fleisch bewahrt, dient ihnen daneben zur Hauptnahrung. Hier und da wachsen auch an sumpfigen Stellen im Walde einzelne Kräuter und kohlartige Pflanzen, die von ihnen mit großer Sorgfalt gesammelt und verzehrt werden. Sie essen überhaupt Alles, was ihnen nur irgend vorkommt und genießbar scheint, und die Gumbäume würden noch viel leerer und trostloser im Walde umherstehen, wenn sich ihre Blätter nicht gleich von vornherein durch einen scharfen öligen Geschmack dagegen verwahrt hätten, weder von Vieh noch Menschen verzehrt zu werden.

Diese Gunyos oder Rindenzelte waren, dem Anschein nach, unregelmäßig unter den Bäumen umhergestreut, alle nur das Schutzdach gerade der Richtung zukehrend, von welcher der Wind herwehte. Sorgfältiger als die übrigen schien auch nur ein einziges Lager hergerichtet, denn der Rindenschutz war /37/ war niedriger als bei den anderen, zog sich aber fast ringsum und ließ nur vorn eine kleine schmale Stelle offen, vor der der Besitzer desselben sich an dem schon angezündeten Feuer wärmen konnte. Diese Gunyo lag etwas abgesondert von den übrigen, und besondern Respect schienen die Hunde davor zu haben, die einen weiten Bogen machten, um sie zu umgehen.

Dort hauste eins der merkwürdigsten Wesen, das die schwarzen Stämme wohl unter sich aufzuweisen hatten. Es war ein Krüppel, und zwar durch jene wunderbare, dem australischen Continent eigenthümliche Krankheit, in der das Fleisch der Arme und Beine, gewöhnlich eines Beines oder eines Armes, unter der Haut wegschwindet und den auf diese Weise angegriffenen Theil wie ein mit Gummi elasticum überzogenes Skelet erscheinen läßt. Man könnte die Krankheit eine negative Elephantiasis nennen, so ganz in ihrer Wirkung ist sie verschieden, und so ganz ähnliche Ursache schreibt man ihr hier, wie aus den Nachbarinseln in der Südsee jener zu: nämlich das Liegen auf dem feuchten Boden. Sonderbar aber ist es, daß sich das in zwei gar nicht so weit von einander gelegenen, jedenfalls von einem Meere bespülten Ländern auf so gerade entgegengesetzte Weise äußern sollte: in dem einen durch ein unnatürliches Anschwellen der Beine, wodurch die Haut fast in Leibesdicke wie ein Trommelfell angespannt wird, und in dem andern durch gänzliches Schwinden des Fleisches, bei dem die Muskeln und Sehnen zusammentrocken, und die zusammengeschrumpfte Haut sich dicht und fest um die Knochen legt.

Die Schwarzen schreiben das allerdings übernatürlichen Kräftten und bösen Geistern zu, die heimlich und bei Nacht, wenn die Feuer zufällig ausgegangen waren, herbeischlichen und mit gierigen Lippen an den Gliedern solcher Unglücklichen sogen. Betrifft es auch nur eins der Glieder, einen Arm oder ein Bein, wie das gewöhnlich der Fall ist, so laufen solche dem Geist verfallen Gewesene noch immer ruhig mit durch’sLeben, und scheinen sich aus dem Unfalle wenig mehr zu machen, als ihre Nachbarn in der Südsee aus ihren zum Zersrpingen angeschwollenen Beinen.

Der schwarze Bursche nun, der zu diesem Stamme gehörte, /38/ war schlimmer als die Uebrigen heimgesucht, und durch den bösen Geist des Gebrauches beider Beine beraubt worden. Er hatte die Kraft und Fähigkeit verloren darauf zu stehen, und wenn auch der Oberkörper bis zu den Hüftknochen hinab völlig gesund, ja sogar stark und kräftig schien, mit breiter, gewölbter Brust und muskulösen Armen, so waren die Beine dagegen zum Skelet zusammengeschrumpft. Dadurch wurde er gezwungen, sich mit den Händen fortzubewegen, auf denen er, während er die Beine kreuzweise zusammenlegte, ordentlich und ohne anscheinend sehr große Beschwerde ging. Bei längeren Märschen erleichterte es ihm der Stamm übrigens dadurch, daß man ihn da, wo der Boden es erlaubte, auf ein Stück Rinde setzte. Dieses, von den Frauen gezogen, unterstützte ihn bei seinem Fortbewegen wenigstens in etwas.

Verkrüppelte, besonders Blinde, werden von den Schwarzen keineswegs besonders geachtet. Schon ihr ganzes politisches Leben zeigt das an, in Folge dessen die ältesten und stärksten Männer die Häuptlinge und Regierer sind, die anderen aber ihnen unbedingt Folge zu leisten haben. Hier bei diesem Unglücklichen jedoch, der selbst der Fähigkeit beraubt schien, sich zu ernähren, mußten andere Umstände obwalten, denn der Stamm bewies ihm nicht allein die größte Achtung und Aufmerksamkeit, sondern betrachtete ihn fast als ein höheres, jedenfalls mit den Geistern in genauer Verbindung stehendes Wesen.

Besondere Fähigkeiten besaß er jedenfalls, und obgleich der Stamm nur selten mit den Weißen verkehrte, so hatte sich dieser Unglückliche doch so viel von der Sprache des fremden Volkes angeeignet, daß er sich recht gut, ja fast geläufig, mit ihnen verständlich machen konnte. War es deshalb, oder vielleicht wegen seines Verkehrs mit den Geistern der Nacht, mit denen er, wie die Eingeborenen glaubten, stete Verbindung unterhielt, und zwischen denen und seinem Stamm er vermittelte, aber er hatte den Namen Nguyulloman, der Dolmetscher, erhalten mit dem Ehrentitel Burka, der alte Mann. Keine Beute wurde auch in das Lager gebracht, kein feistes Känguru, kein rundes Opussum, kein Ballen Wattelharz oder Netz /39/ voll schneeweißer Engerlinge, von denen er nicht sein Theil als schuldigen und ehrerbietigen Tribut bekommen hätte.

Nguyulloman nahm das auch an als eine Sache, die sich von selbst verstand, und forderte sogar die Ehrfurcht von den Seinen, die sich nicht regen durften, wenn er manchmal Nachts unter seinem einsamen Rindendache mit tiefer, hohltönendcr Stimme seine Beschwörungen in den dunkeln Wald hineinsang. Nur die Hunde heulten dazu, denn sie fürchteten den verkrüppelten Mann, der mit nie fehlender Sicherheit Steine und Holzstücke nach ihnen schleuderte, so oft sie nur in die Nähe seiner Hütte kamen, und gar schauerlich klangen dann die Beschwörungsformeln, wenn sich der angstvoll thierische Laut mit ihnen mischte. Der ganze Stamm lauschte dann auch in peinlicher Spannung dem Schlusse des Liedes; kein Kind wagte zu schreien, und nur schüchtern und vorsichtig kroch hier und da eine Frau zum Feuer, um mehr Holz hineinzuschieben, damit die Flamme nicht verlösche. Der furchtbare Nokunno, der in der Nacht umherschleicht und die Unglücklichen überfällt, deren Feuer verlöscht sind, hätte ja sonst Macht und Gewalt über sie gewonnen.

Nguyulloman saß vor seinem Rindendach auf einem für ihn ausgebreiteten Mantel von Opossumfellen, und schaute aufmerksam einer Anzahl kleiner schwarzer Burschen zu, die trockenes Holz für ihn, wo sie es finden konnten, herbeischleppten und in den Bereich seines Armes schoben, damit er es selber auf sein Feuer werfen konnte.

Abends nach Dunkelwerden durfte Niemand, den er nicht herrief, zu seiner Hütte kommen.

Die beiden Weißen schritten auf diesen Platz - um den sich einige der Burkas oder alten Männer schon versammelt hatten, wie sie die Annäherung derselben von Weitem bemerkten – zu, und hatten hier auch nichts mehr von den Hunden zu furchten.

„Nun, Nguyulloman," sagte Mr. Powell, der den Krüppel von früher kannte und ihm manches Gute erwiesen hatte, „auch wieder einmal hier? Wie ist es gegangen die Zeit über?“

„Gut, Master," sagte der Wilde mit einer merkwürdig /40/ reinen Aussprache der Worte, wie sich die australischen Schwarzen überhaupt darin auszeichnen, ein ungemein empfängliches Ohr für fremde Klänge zu haben. Dem afrikanischen Neger ganz entgegengesetzt, sprechen sie das, was sie von den fremden Worten behalten, auch so rein und deutlich aus, als ob sie von Jugend auf in dem Lande, dem die Sprache eigenthümlich ist, erzogen worden wären; „tausend gut - aber Stamm ist arm - hat kein Känguru mehr und kein Emu - weiße Männer haben Alles fortgejagt - und viel Krieg mit Darling-Schwarzen - böse Schwarze - haben viel Butter8 genommen. Arme Rufus-Schwarze sind übel dran."

„Aber im Malleybusche sind noch viele Kängurus, Nguyulloman, und im Murray viele Fische und Hummern. Opossums giebt's überall, und an wilden Hunden, die Ihr ja so gern eßt, fehlt es leider Gottes auch nicht."

„Wo sind sie?" sagte der Krüppel achselzuckend. „Eure großen Känguruhunde jagen sie weit hinweg in den Busch. Schwarze Mann kann sie nicht mehr finden. Lebt von Pigs-face9 und Würmern, und leidet Hunger - tausend Hunger."

„Nun," sagte Mr. Powell freundlich, „Nguyulloman soll heute wenigstens keinen Hunger leiden. Ich habe Euch erlaubt, hier auf meiner Station zu lagern, und ich hoffe, daß Ihr Euch die kurze Zeit, die Ihr hier bleibt, gut aufführen werdet. Ich weiß, Nguyulloman kann seinen Stamm zwingen, es zu thun, denn er hat Macht über ihn." /41/

Ein flüchtiges, kaum bemerkbares Lächeln stahl sich über die dunkeln Züge des Schwarzen, als er zwischen den buschigen Augenbrauen hindurch, ohne den Kopf zu heben, zu dem Weißen aufsah. Endlich erwiderte er langsam:

„Nguyulloman soll keinen Hunger leiden?"

„Nein - denn mein Stockkeeper mag dafür sorgen, daß Euch heute drei Hammel und eben so viele Damper10 gegeben werden."

„Butscheri!" sagte Nguyulloman mit augenscheinlicher Befriedigung und blitzenden Augen, indem er einige Mal langsam mit dem Kopfe nickte - „butscheri! Kein Speer wird von uns auf Euer Vieh geworfen werden. Meine jungen Männer werden weder Deine Rinder, noch Pferde essen. Nguyulloman wartet auf die Damper!"

Mac Donald lachte.

„Der alte Bursche spricht sehr decidirt," sagte er, „und scheint sein eigenes Wohlbehagen vor allen Dingen zu Rathe zu ziehen. Es ist doch ein schrecklicher Anblick, dieses Halbskelet. - Oben ein Mann in seiner Kraft und vollen Stärke, ein halber Riese dem Anschein nach, und unten ein mit Haut überzogenes, scheußliches Gerippe. Sieht er nicht aus rme ein Mensch, der aus seinem eigenen Grabe herausschaut?“

„Brust und Arme sind bei ihm besonders so stark ausgeildet," erwiderte Mr. Powell, „weil er mit diesen nun schon seit vielen Jahren seinen ganzen Körper fortbewegt. Alle seme Säfte haben sich deshalb auch auf die oberen Theile geworfen. Ich habe wirklich nie einen kräftigeren, schöner gebauten Oberkörper eines Mannes gesehen." /42/

„Wetter, wen haben wir da?" rief Mac Donald erstaunt, als sein Blick über die übrigen Schwarzen schweifte und dort der Gestalt eines vollkommen nackten Indianers begegnete, der, vielleicht zehn Schritt von ihnen entfernt, auf seinen langen hölzernen Speer gelehnt stand und einer aus dunklem Marmor gehauenen Statue glich. Der Körper des etwa dreißigjährigen Mannes war tadellos schön; sein Gliederbau - eben so kräftig als proportionirt, Hand und Fuß sogar klein und zierlich, während die Augen wie ein paar dunkle Kohlen unter dem seidenartigen lockigen rabenschwarzen Haar hervorfunkelten. Aber das Merkwürdigste an ihm war der Bart, der ihm nicht allein vorn bis auf die Brust herabfiel, sondern ihm auch den Hals, die Schultern und den obern Theil des Rückens vollständig bedeckte. Wie sich der Epheu dicht um ein Gemäuer legt, so schien dieser krause Bart sich um seine Schultern ausgedehnt zu haben, auf denen er wie ein glänzender Pelz auflag. Solche Bärte sind, wenn auch gerade unter den australischen Indianern keine Seltenheit, doch auch eben nicht so häufig, wenigstens nicht in solcher Vollkommenheit. Sie decken den ganzen Nacken und die Schultern wirklich wie ein ordentlicher übergelegter Pelz, und geben dem Träger ein eigenthümlich wildes, aber auch malerisch schönes Ansehen.

War es nun, daß der Bärtige den Eindruck fühlte, den er machte, kurzum, er heftete sein dunkles Auge fest auf das Antlitz des fremden Weißen, der ihn auch seinerseits mit Erstaunen betrachtete.

„Ein vortreffliches Exemplar eines australischen Negers“, sagte Powell, der dem Blick, sowie dem ausgestreckten Arm seines Gastes mit den Augen gefolgt war, „und diese beiden Männer, der eine in seiner Vollkommenheit, der andere in seinem diesem Boden heimischen Elend, könnten als treffliche Repräsentanten der Stämme gelten. Nur noch ein paar von jenen schwarzen Evas müßten wir dazu nehmen, um die Gruppe vollständig zu machen."

„Kakurru!" rief aber Mac Donald jetzt in der Sprache der Eingeborenen. „Wie kommst Du hier zwischen die Rufus-Schwarzen? Hast Du die wilden Sümpfe der En-/43/counterbai verlassen und Frieden mit Deinen alten Feinden geschlossen?"

.Kakurru hat die Augen des weißen Mannes gesehen und seine Stimme gehört," erwiderte der Schwarze, „aber das Gesicht ist ihm fremd geworden. Es hat gewechselt wie der Mond."

„Hallo, Mr. Mac Donald!" rief jetzt sein Gastfreund erstaunt aus - „wo in aller Welt haben Sie die Sprache der schwarzen Burschen so vortrefflich gelernt? Sie sprechen ja dieselbe so geläufig wie ein Eingeborener."

„Langer Aufenthalt zwischen ihnen einestheils, und ein wohl angeborenes Talent, fremde Sprachen zu erlernen, möchten als Ursache gelten," sagte Mac Donald lächelnd. „Uebrigens ist ihre Sprache nicht schwer, und mit einiger Aufmerksamkeit kann man es leicht dahin bringen, sich mit dem Nothwendigsten verständlich zu machen. Leider geben sich meine Landsleute fast gar keine Mühe, sich solche Kenntnisse zu verschaffen, und das Resultat ist, daß diese schwarzen, angeblich in geistigen Fähigkeiten weit unter uns stehenden Burschen uns fast immer beschämen, und mehr von unserer Sprache lernen, als wir von der ihrigen."

„Allerdings haben Sie Recht, aber was sollen wir mit dem Kauderwelsch anfangen? Den Schwarzen muß mehr daran liegen, uns zu verstehen, als uns, mit ihrer Sprache vertraut zu sein; also mögen sie sich auch die Mühe geben. Jedenfalls können sie mehr von uns lernen, als wir von ihnen. Aber kennen Sie den Burschen?"

„Ja; ich habe ihn einst an der Encounterbai getroffen und ihm, wie ich wenigstens glaube, damals einen Dienst geleistet. Er scheint mich aber ebenfalls kaum wieder zu kennen, denn ich trug damals keinen Bart."

Kokurry hatte indeß sein Auge auch nicht auf einen Moment von der Gestalt des Fremden gewendet, der ihn in seiner eigenen Sprache angeredet, und auch die übrigen erste Schwarzen blickten staunend zu ihm empor. Es war der erste Weiße, den sie geläufig die Sprache eines ihrer Stämme reden hörten. /44/

„Mach' ein Licht, arme Lubra - ngarang Damper!"11 sagte da eine Stimme neben ihnen, und an ihrer Seite erkannten sie, rasch dorthin niederschauend, eins der entsetzlichsten Wesen dieser Stämme, das sich die menschliche Einbildungskraft nur möglicher Weise als Uebermaß von Scheußlichkeit und Häßlichkeit denken könnte.

Es war eine alte Frau; von welchem Alter, ließ sich aber nicht erkennen, denn Schmutz und Runzeln entstellten und bedeckten ihre Züge. Nicht das geringste Kleidungsstück verhüllte dabei ihre Blöße, das Haar hing ihr wirr um die knöchernen Schultern, und aus den triefenden Augen sprach fast so viel Ingrimm und Haß, dem weißen Stamm gegenüber, als Bitte um Mitleid.

„Das wäre noch ein Exemplar für Ihre australische Menagerie," sagte Mac Donald, sich mit Ekel von der Alten abwendend. „Furchtbar bleibt es immerhin, wie tief der Mensch sinken kann, und was würden unsere Philosophen und Orthodoxen sagen, wenn sie dieses Scheusal mit in die „Herren der Schöpfung" einreihen sollten!"

„Kommen Sie fort von hier, Mr. Mac Donald," sagte jetzt plötzlich Mr. Powell, seinen Arm. ergreifend, „mir wird ganz übel, wenn ich dieses Schreckbild hier länger betrachten soll. Himmel! sollte man denn glauben, daß menschliche Wesen zu solchen furchtbaren Geschöpfen herabsinken können, wie diese Frau hier!"

„Ihr werdet bekommen," wendete sich Mac Donald beschwichtigend an die Frau, und dann noch einen Blick auf den bärtigen Indianer zurückwerfend, der regungslos in seiner Stellung verharrt war, sein Auge aber nicht von dem Weißen weggewendet hatte, schritt er mit Mr. Powell nach dem Hause zurück. /45/

Kaum hatten übrigens die beiden Männer ein paar Schritte gethan, als Kakurru sich langsam aufrichtete und, den Speer in der Rechten haltend, vorsichtig hinter ihnen herging. Nur die im trockenen Lehm und Sandboden zurückgelassene Spur des jungen Weißen behielt er dabei im Auge, bis er zu einer Stelle kam, an der die Fährten klar und rein abgedrückt waren. Hier blieb er stehen, bog sich einige Minuten aufmerksam darüber hin, maß sie dann mit seiner Hand, indem er auf eine eigenthümliche Weise die Knöchel darüber drückte, und sprang dann plötzlich, während ein eigenes triumphirendes Lächeln über seine Züge flog, empor und hinter den Weißen her, die er in wenigen Sätzen eingeholt hatte.

Mac Donald hörte die Schritte hinter sich und drehte sich rasch danach um. Als er Kakurru erkannte, blieb er stehen.

„Nun, Kamerad, was willst Du?" frug er, ihn lächelnd betrachtend.

„Jack!" sagte aber dieser und streckte ihm die linke Hand entgegen - „Jack - gewiß!"

„Alle Wetter!" rief der junge Mann, indem er leicht dabei erröthete - „so hat der Bart Dir mein Gesicht doch nicht genug versteckt gehalten?"

„Bart gewiß, aber die Füße nicht," lachte der Schwarze, aus die Fährten nicderzeigend - „Kakurru kennt sie, wenn cr sie ein einziges Mal gesehen."

„Was sagt er?" frug Mr. Powell erstaunt.

„Er hat mich nach meinen Fußstapfen wiedererkannt," erklärte ihm Mac Donald, „man sollte es kaum für möglich halten.“

„Doch, doch“, erwiderte Powell. „Es ist erstaunlich, was die schwarzen Burschen darin leisten, und die Fährte eines Menschen merken sie sich auch fast rascher als sein Gesicht. In ihren ewigen Kriegen mit einander ist das auch unumgänglich nöthig, beim Auffinden von Spuren Feind und Freund von einander unterscheiden zu können. Der Bursche scheint Ihnen aber noch etwas sagen zu wollen."

„Ich komme nachher wieder zu Dir, Kakurru," nickte ihm /46/ ohne weitere Erwiderung Mac Donald zu, und schritt dann mit Mr. Powell, ohne fernere Notiz von dem Schwarzen zu nehmen, zum Hause zurück.

Wie lebendig das jetzt aber in dem Lager der Schwarzen zuging. Die Frauen schleppten Holz herbei, als ob sie sich gegen den Angriff eines feindlichen Stammes verschanzen wollten, und die Männer lagen schon lange mit ausgestellten Vorposten bei ihren verschiedenen Lagerplätzen auf dem Rücken, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Die Schafe waren ihnen einmal versprochen worden und mußten nun auch kommen. - Und sie kamen auch, aber nicht so bequem, wie es die Schwarzen erwartet hatten.

Eine halbe Stunde etwa dauerte es, als Mr. Bale, der Stockkeeper, auf seinem Braunen an das Lager sprengte und von den Eingeborenen in einem furchtbaren Kauderwelsche von englischen, australischen und überhaupt gar keiner Sprache angehörenden Worten ein halbes Dutzend Männer aufforderte, oben nach dem Stationshause zu gehen und die für sie bestimmten Geschenke in Empfang zu nehmen. Ein Theil der Schwarzen schien nicht übel Lust zu haben, die Frauen hinaufzuschicken, da sie es unter ihrer Würde hielten, sich damit selber zu befassen. Nguyulloman entschied das aber durchs einen Machtspruch - er war jedenfalls hungrig geworden und fürchtete, daß die Frauen zu lange zögern möchten, indem er dreien von seinen jungen Leuten befahl, mit vier von den Frauen der Aufforderung Folge zu leisten und die versprochenen Lebensmittel so schnell als möglich zum Lager zu schaffen.

Das geschah auch verhältnißmäßig sehr rasch. Die drei jungen Burschen kamen kaum zehn Minuten später, jeder ein Schaf auf den Schultern, in wilden, jubelnden Sprüngen angesetzt, und während die Frauen etwas langsamer mit den Dampern folgten, ging der ganze Stamm an das Ausschlachten der erhaltenen Thiere, bei dem sie eine außerordentliche Geschicklichkeit zeigten.

Sämmtliche Nieren bekam einmal vor allen Dingen Nguyulloman, der sie auch ohne Weiteres auf die Kohlen warf und mit ziemlich einem halben Damper verzehrt hatte, /47/ ehe die Uebrigen nur mit dem Ausschlachten und Abstreifen der Thiere fertig waren, wonach er noch eine doppelt so große Quantität Fleisch verschlang.

Es ist ganz erstaunlich, welche Massen von Lebensmitteln diese Schwarzen auf einem Sitz in sich hineinschlagen können, und ihre Bäuche schwellen danach wie wohlgefüllte Säcke auf. Eben so lange können sie aber auch hernach fasten, und das Hanf- oder Bastseil, das sie häufig als Gürtel um den nackten Körper tragen, dient ihnen dann, fest angezogen, zum Hungerriemen, um den rebellischen Magen im Zaum zu halten.

Das Fleisch, wie überhaupt sämmtliche Lebensmittel wurden jetzt von den Burkas oder alten Männern, die zugleich die Häuptlinge jedes Stammes sind, eingetheilt, um den verschiedenen Altersklassen und Geschlechtern zugewiesen zu werden. In keinem Land der Welt werden nämlich in dieser Hinsicht so viele und strenge Gesetze aufrecht erhalten, als gerade bei den australischen Wilden, und dies gilt von dem ganzen australischen Continent.

Gewisse Speisen, gewisse Theile der verschiedenen erlegten Thiere oder gefangenen Fische werden nur von einem Theil gegessen und sind einem andern verboten, wofür man die verschiedensten Ursachen angiebt. Theils sollen sie Die, welche sich des Vergehens schuldig machen und sie dennoch genießen, vor der Zeit altern und schwächen, theils ihre Muskeln und Zehnen erschlaffen, theils ihnen tödtliche Krankheiten zuziehen. Gewisse Altersgrade bilden am häufigsten die Scheidewand, indes doch nicht immer. Nur die Burkas dürfen Alles essen, wie es auch bezeichnend ist, daß diese, von denen jene Gesetze ausgehen, die besten Stücken sich selber, als am zuträglichsten, und verordnet haben. Diese Gesetze werden übrigens sehr streng und meistentheils durch abergläubische Drohungen aufrecht erhalten.

Wie nun Alles bestimmt und zur Zubereitung fertig war, gaben sich diese sorglosin Kinder der Wildniß dem Genuß des Mahles mit einer solchen Gier hin, als ob ihnen eine gleiche Lieferung, wie die heutige, für jeden der folgenden Tage versprochen wäre und sie diese für die nächste schon auf-/48/räumen müßten. Ob ihnen für den morgenden Tag noch etwas blieb, kümmerte sie entsetzlich wenig - der mochte für sich selber sorgen.

Nach dem Essen, bei dem die Hunde ebenfalls ein volles. Mahl erhielten - vielleicht das erste seit langer Zeit - warfen sie sich dann auf den Rücken neben ihre Feuer nieder. Ngupulloman war ihnen darin schon mit gutem Beispiel vorangegangen, und gegen Abend blieben nur noch die dunkeln Gestalten der Frauen sichtbar, die mehr Holz zu den Gunpos schafften, um das Feuer auch in der Nacht zu unterhalten.

„Wir haben noch Zeit, Mr. Mac Donald," sagte Mr. Powell, als das Mittagsmahl vorüber war, „vor Abend einen kleinen Ritt zu machen. Ich wollte auf unsere nächste Schafstation reiten und Einiges dort bestellen. Haben Sie Lust,, so nehmen wir die Hunde mit und jagen auf dem Heimweg, vielleicht einen Dingo aus."

„Von Herzen gern, aber mein Pferd wird heut etwas müde sein."

„Oh, das muß rasten, das versteht sich von selbst. Pferde sind genug im Paddock, und wir nehmen ein paar von mir. Sie sehen auch dabei gleich ein wenig mehr von unserem Busch, und ein paar tüchtige Heerden Schafe kann ich Ihnen ebenfalls zeigen."

„Und wann brechen wir auf?"

„Gleich! Ihrer Zusage ziemlich sicher, habe ich die Pferde vorher bestellt; dort drüben wartet mein Bursche mit ihnen schon auf uns."

Die beiden Männer schritten auf die Pferde zu, die schon ungeduldig in die Gebisse schäumten, und sprangen in die Sättel. Mr. Powell rief mit einem gellenden Pfiff auf der Peitsche seine Hunde herbei, und wenige Minuten später galoppirten sie mit verhängten Zügeln, und von den Hunden kläffend und heulend gefolgt, in den pfadlosen weiten Busch hinein. /49/

4.

Im Busch.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika neckt den Neuangekommenen oft das Wort „der ferne Westen, den er vergebens, immer der Sonne nach, mit Eisenbahn, Dampfboot und im Sattel zu erreichen strebt. Je weiter er westlich kommt, desto weiter scheint der „ferne Westen" vor ihm zurückzuweichen, und selbst in den endlosen Wäldern, die westlich vom Mississippi liegen, in den Sümpfen, denen nur der Jäger und das Wild ihre Fährten eindrücken, spricht der erstere noch davon, daß er „nach dem Westen" ziehen wolle, weil die Bären dünner würden und ein Büffel schon zu den Naturmerkwürdigkeiten gehöre.

Aehnlich nun geht es dem Neuangekommenen in Australien mit dem Busch, wenn er hier auch nicht so weit danach zu suchen hat. Die Bewohner von Sidney oder einer der übrigen Hafenstädte sind nicht selten geneigt, den Busch schon von der Grenze ihres Weichbildes an zu rechnen. Auf der Wanderung erfährt der Reisende aber bald, daß er noch weiter zurückliegt, und selbst die Stationen im wildesten Innern lassen den Busch noch nicht gelten, so weit ihre Fenzen reichen und ihre gebahnten, das heißt befahrenen Straßen gehen. Von dort aus können sie ihn aber nicht mehr verleugnen, dort beginnt er gleich in seiner wildesten Oede, mit Sand und Malleybüschen, mit Stachelschweingras und Salzbusch, und wie die Monstrositäten der australischen Vegetation alle heißen.

Weite, entsetzlich weite, endlose Strecken dehnen sich da aus in Hügel und Ebene, aber ohne den freundlichen bestimmten Charakter, den sonst eine Hügelscenerie dem Lande giebt. Kein Tropfen Wasser fließt in diesen Strecken, kein klarer Bach rieselt durch die Thäler und bietet dem Wanderer /50/ oder Jäger einen festen oder bestimmten Lauf, dem er folgen könnte, die Einöde wieder zu verlassen. Wie die durch ein Wort der Allmacht festgebannten Wogen der See mit ihren Höhen und Tiefen gleichförmig eingeschnitten nach allen Richtungen hin sich verbreiten würden, so gerade ist es für Hunderte von Meilen mit dem Malleybusch, der sich nur an seiner Grenze in eine öde, salzige Fläche verliert, die sogar der eingeborene Schwarze nicht mehr zu betreten wagt. Hitze und feiner salziger Sandstaub bedrohen dort selbst sein Augenlicht, und kein Tropfen Wasser, das er noch hier und da in den wunderbar saftigen Wurzeln einiger Malleyarten zu finden weiß, würde den erschöpften, aufgeriebenen Körper vor dem Tode des Verschmachtens schützen können. Mit Kameelcn wäre es vielleicht möglich, in diese Wüste eine Strecke vorzudringen, aber selbst der Versuch würde zwecklos sein und hat schon viele Menschenleben gekostet. Möge da drinnen noch irgend eine bewohnbare Oase liegen oder nicht, wir Menschen würden sie schwerlich benutzen können - wären wir auch wirklich im Stande, sie zu erreichen. Zum Anbau wäre sie jedenfalls verloren, denn wo schon der heiße Wind, der aus der innern Wüste weht, die entferntest gelegenen Colonien mit seinem dörrenden Athem überstreicht und alle Vegetation versengt, da würde er dort drinnen, trotz allem Fleiß, trotz aller Aufopferung, ein Pflanzenleben nimmer aufkommen lassen. Und dann das Wasser! Selbst in den bewaldeten und bergigen Districten Australiens, in den blauen Bergen und dem andern trefflichen Waldlande, ist Wasser eine Seltenheit; die meisten gegrabenen Brunnen haben einen mehr oder weniger salzigen Geschmack. Vergebens ist da die Hoffnung, daß es im Innern jener Sand- und Salzwüste besser sein sollte, denn nicht einmal ein Flußbett zeigt, daß je eine Quelle von daher dem Meere zugeflossen sei.

In den Malleybusch nun hinein, den Murray in der Nähe behaltend, um wenigstens von hier aus gegen Wasser Mangel geschützt zu sein, legen die australischen Squatter ihre Stationen und treiben ihre Heerden in die Mallrybüsche, um das dort spärlich, aber süß wachsende Gras, de wilden Hafer und besonders den dem Schafe so besonders /51/ zusagenden und auf den Ebenen wachsenden Salzbusch aufzusuchen.12

Mitten im Busch drin, an einem kleinen trockenen Creekbett, in dem sich in der Regenzeit vielleicht auf wenige Tage Wasser sammeln mochte, das aber jetzt leer und mit trockenem und aufgerissenem Lehmboden lag, stand die Hütte der Schäfer. Es war ein einfaches, aus jungen Fichtenstämmen aufgerichtetes Gestell mit breiten Stücken Gumrinde, zu Wänden und Dach benutzt, und mit kaum mehr Bequemlichkeiten versehen, als sie eine Gunyo der Schwarzen bot. Der einzige Unterschied zwischen diesen schien auch fast nur der im Innern ausgewühlte Feuerplatz, der den Rauch zur Decke, oder wo er sonst Abzug fand, hinauswirbelte, während in der Ecke ein einzelnes Lager von Schaffellen, mit einem Opossummantel überworfen, hergerichtet stand.

Ein paar Blechbecher und ein einzelner eiserner Topf bildeten das ganze Kochgeschirr, und nur einige Kleidungsstücke, die an in die Pfosten eingetriebenen Pflöcken hingen, wie ein /52/ ebenfalls an diesen aufgehangenes Gewehr verriethen, daß hier Weiße hausten.

Vor der Hütte, im Schatten einer zierlichen Malleyfichte, die man vielleicht zu eben diesem Zweck hier hatte stehen lassen, lag ein Mann - der sogenannte Hutkeeper, eine selbst dem Schäfer untergeordnete Persönlichkeit - dem die Bewachung der Schafe über Nacht in den Hürden anvertraut ist, währen er den Tag über nur für sich selbst zu sorgen und Morgens und Abends die einfache Mahlzeit zu kochen hat. Der Bursche schien übrigens eins der schlechtesten Exemplare dieser untergeordnetsten Menschenklasse der Weißen in Australien zu sein. Er sah schmutzig und zerlumpt aus; der alte Kohlpalmenhut der ihm wie oft wohl schon als Kopfkissen gedient, saß ihr zerknittert und in Fetzen halb über die Stirn hinüber, und Hände und Gesicht verriethen nur zu deutlich den Wasser Mangel dieser Gegend, in die Alles, was man selbst zum Trinken brauchte, in Fässern von der Hauptstation herüber geschafft werden mußte. Natürlich durfte da auf Wasche nichts verschwendet werden. Aber er las wenigstens in einem kleinen abgegriffenen Buche, das vor ihm während er den Kopf auf die linke Hand stützte, aufgeschlagen lag. So vertieft schien er dabei in den Inhalt, daß er die heransprengenden Pferde erst hörte, als sein eben so fauler, neben ihm in der Sonne ausgestreckter Hund langsam den Kopf hob und leise zu knurren anfing.

In demselben Augenblick fast sprengten die beiden Männer Powell und Mac Donald auf den kleinen freien Platz, sprangen dort aus den Sätteln und warfen die Zäume um die schwanken Stangen eines Malleybusches.

Der Hutkeeper war, als er seinen Herrn erkannte, rasch aufgesprungen, und sein Hund, eine nichtswürdige Art von halb Spitz, halb Straßenköter, drückte sich, als ihn die mächtigen, starkknochigen Känguruhunde mit aufgesträubten Haaren majestätisch umschritten, ängstlich und winselnd zwischen die Füße Dessen, von dem er allein Schutz hoffen durfte.

„Nun, Miller, wie geht es?" rief Mr. Powell, indem er langsam auf ihn zuschritt - „wo ist Hendricks mit den Schafen?" /53/

„Drüben über dem Fichtencreek, Sir, am trockenen Sumpfe - er meinte, das Gras wäre besser dorten."

„Dann sind wir bei ihm vorbeigeritten und finden ihn anf dem Rückweg. - Doch nichts vorgefallen hier? keine Schafe verloren?"

„Nein, Sir."

„Noch keine Lämmer?"

„Sie fangen eben an; aber cs sieht bös mit dem Gras aus. - Wenn's nur einmal regnen wollte!"

Mac Donald war indessen langsam zu der Stelle hingeschritten, wo der Bursche gelegen hatte, und hob das Buch auf. Es interessirte ihn, zu sehen, was ein Mensch in dem Zustande wohl zu seiner Lectüre wählen würde. Kaum hatte er übrigens einen Blick hineingeworfen, als er laut und überrascht ausrief: „Homer - bei Allem, was da lebt - und in der Ursprache!"

„Liest Der Homer? so?" sagte Mr. Powell lächelnd - ,als göttlicher Schafhirt wohl?"

Miller's Gesicht färbte sich bei der Entdeckung mit tiefem dunkeln Roth - er konnte sich des Buches nicht schämen, es mußte des Zustandes wegen sein, in dem er sich selbst befand, und der durch die entdeckte Lectüre erst recht hervorgehoben wurde.

„Die Langeweile plagt Einen im Busch," stotterte er verlegen, und biß gleichwohl wieder zugleich die Zähne auf die Lippen, daß er sich überhaupt entschuldigt hatte. Mac Donald aber konnte nicht umhin, ihn nur um so schärfer zu betrachten und erkannte bald, trotz Schmutz und Lumpen, die ihn deckten, daß jene Züge einst eine bessere Zeit gesehen, und diese Hände andere Arbeit verrichtet haben mochten, als jetzt dem Schäfer zu kochen und den Schafen die Hürden aufzustellen. Stak sogar ein Ring an dem einen Finger der linken Hand, und das blitzende Gold hatte nicht einmal von dem darauflagernden Schmutz und Stand ganz verdunkelt werden können.

Mr. Powell war indessen nach den einige hundert Schritte entfernten Hürden gegangen, um sie zu besichtigen und nachzusehen, ob sie noch in Ordnung wären, und Mac Donald konnte /54/ indeß den Blick nicht abwenden von der vor ihm stehenden, ineinander gedrückten scheuen Gestalt des Mannes. War es ihm doch fast, als ob er diesen grauen, matten Augen schon einmal begegnet sei im Leben - die Stimme schon einmal gehört habe - aber wo? - Sein wechselndes Leben hatte ihn bald da-, bald dorthin geführt durch den Busch, und ihn mit Dem und Jenem in Berührung gebracht - konnte er die Züge alle im Gedächtniß behalten? Auch so verwildert sah der Bursche vor ihm aus; die Schale, in der er stak, war so rauh geworden, daß er ihn recht gut einmal früher in anderen, besseren Verhältnissen gefunden haben konnte, und ihn doch jetzt nicht wiedererkannte, trotz alledem.

Er fühlte aber, daß sein Anstarren dem Mann, der scheu und wie ärgerlich den Blick zur Seite wandte, unangenehm wurde - fürchtete es wenigstens und sagte freundlich:

„Was für ein Landsmann sind Sie?"

„Ein Deutscher," lautete die Antwort.

„Ich dachte es wohl - und Ihr Name?"

„Miller," sagte der Mann zögernd.

„Aus welcher Gegend?" fragte Mac Donald weiter, jetzt aber in dessen eigener Sprache, die er geläufig redete.

„Aus Württemberg," erwiderte der Gefragte, ohne von der deutschen Anrede aus des Fremden Munde weiter Notiz zu nehmen.

„Aus Württemberg? - Dort aber folgten Sie einem andern Geschäft, als nur der Schafzucht?"

Ein wildes, fast höhnisches Lächeln stahl sich über die Züge des Gefragten, und es war fast, als ob er eine rasche unwillige Antwort darauf geben wolle. War das der Fall gewesen, so besann er sich jetzt, und erwiderte nach kurzem Besinnen nur ein langsam zögerndes „Nein".

„Kommen Sie, lieber Freund," unterbrach aber der zurückkehrende Powell hier das Gespräch, „wir dürfen uns nicht so lange aufhalten. Wenn wir an dem „trockenen Sumpf" vorbei wollen, haben wir keinen Augenblick mehr zu verlieren, und ich möchte doch gern den Schäfer heut Abend noch selber sprechen. - Habt nur gut Acht, Miller," wandte er sich dann, während er wieder auf sein Pferd zuschritt, an den /55/ Deutschen, „ein schwarzer Stamm lagert an der Station, und sind gewöhnlich noch mehr von den Burschen m der Nähe. Habt Ihr weiter keine Hunde als den Köter da?"

„Hendricks hat seinen Pollo."

„Nun, der ist besser - guten Tag! .

Mac Donald nickte, ebenfalls schon im Sattel, dem Deutschen noch einen Gruß zu, und gleich darauf schloß sich der Busch wieder hinter den davonsprengenden Reitern, die, als sie die Schäferhütte verlassen, wieder in kurzem Galopp den ziemlich offenen Wald der bezeichneten Richtung folgten.

„Was für ein merkwürdiger Mensch ist das den Sie dort in der Hütte zum Wächter liegen haben?" sagte Mac Donald, als es das Terrain erlaubte, daß er sich für eine kurze Strecke neben seinem Begleiter hielt. „Vernachlässigt und heruntergekommen bis zum Aeußersten, liest der Bursch in all' seinem Elend den Homer! Sollte man nicht glauben, daß Der, dem noch ein solch' edles Bedürfniß geblieben, auch etwas thun müsse, wenigstens sein Aeußeres menschlich zu halten?"

„Lieber Freund," erwiderte Powell, sorgfältig dabei die starren, spitzigen Büschel des hier ziemlich zahlreich wachsenden Stachelschweingrases vermeidend, „kein Ort der Welt zeigt vielleicht in dieser Hinsicht solch' merkwürdige Erscheinungen menschlicher Entartungen und alles Ueberstürzens menschlicher Verhältnisse, als gerade der australische Busch, und mir kommt es manchmal wahrlich vor, als ob der liebe Gott uns damit recht klar und deutlich beweisen wollte, daß nicht allein die Natur in Australien sich im Paradoxen gefalle sondern daß selbst der Mensch von dieser Lust einer oft verkehrten Welt angesteckt werde. Amerika soll allerdings ähnliche Erscheinungen bieten, aber lange nicht in dem Maße wie Australien, denn es fehlt den Leuten dort die Gelcgenheit, zu der tiefsten Stellung der menschlichen Gesellschaft herabzusinken und der Hüttenwächter eines faulen Schäfers zu werden. Es ist das hier der letzte Zufluchtsort aller jener Unglücklichen, die in der alten Heimath Australien für das Land hielten, in dem sie, wenn sie sich nur ein halb /56/ Dutzend Schafe kauften, im Stande wären, in nur wenigen Jahren reiche Leute zu werden, und jeder Stand, jede Fakultät, jeder Rang aus Europa, möchte ich sagen, hat in den Rindenhütten im Busche seine unglücklichen Vertreter."

„Es muß ein fürchterliches Leben sein," seufzte Mac Donald, „und doch -"

„Viele derselben verlangen es nach einiger Zeit nicht besser," unterbrach ihn Powell; „so dieser Deutsche, der, wenn das Gerücht nicht lügt, hier noch irgendwo in Australien sogar eine unglücklich gemachte Familie sitzen hat. Er war früher auf einer andern Station Buchhalter und hatte sich wohl hundert Pfund Sterling nach und nach verdient, mit denen er, wie er sagte, in seine Heimath wollte. Der unglückselige Trunk aber, dem er, wenn er nur irgend Gelegenheit dazu findet, ergeben ist, ließ ihn nicht dahin kommen. Er verthat, was er hatte, sank tiefer als das Vieh, und ich habe ihn endlich, mehr aus Mitleid, als weil ich ihn brauchen konnte, hier als Hüttenwächter angestellt. Er ist außerdem faul und unaufmerksam selbst in diesem Beruf, und ich will froh sein, wenn ich ihn wieder los bin. Als er zu mir kam, sah er auch noch ordentlich und anständig aus, jetzt aber ist er in Schmutz und Liederlichkeit verkommen. Die Haare hängen ihm in's Gesicht, der Bart wächst ihm verwildert, so lange er Lust hat, und ich habe ihn heute kaum selber wiedererkannt."

„Die Deutschen sollen aber sonst so gute Schäfer sein."

„Das ist möglich; in ihrer Heimath vielleicht und wenn sie in diesem Beruf erzogen sind - aber nicht hier in Australien, wohin wir ja überhaupt die verlaufensten Subjecte aus allen Erdtheilen bekommen. Sonderbarer Weise geben sich auch die Deutschen am allerwenigsten mit der Vieh- und Schafzucht bei uns ab, und halten nur die kürzeste Zeit - wenn sie nicht müssen - im Busch aus."

Rasch und plötzlich zügelte er sein Pferd ein, das dem geringsten Druck des Zaumes parirte, warf es herum und ritt an die Stelle zurück, an der ihm eben irgend etwas Außergewöhnliches aufgefallen sein mußte.

„Es sind Schwarze hier im Busch gewesen," sagte Mac /57/ Donald, der sein Pferd ebenfalls herumwarf - „ich habe die Fährten schon vorhin bemerkt."

Die verwünschten Burschen kriechen mir hier um die Schafe herum," sagte Mr. Powell, „und sehen, was sie heimlicher Weise erwischen können."

,Glauben Sie, daß Sie etwas von ihnen zu fürchten haben, so lange der Stamm bei Ihrer Station lagert?" frug Mac Donald.

„Das hält sie nicht im Mindesten ab," lautete die Antwort des Stationshalters, der mit finster zusammengezogenen Brauen die untrüglichen Zeichen, tief im Sand eingedrückte Fährten eines nackten Fußes, betrachtete. „Die allerdings, die ich füttere, stehlen nichts - so lange das wenigstens dauert - ein Theil der Bande kriecht aber indessen in der Nähe herum, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie von ihren Freunden am Flusse Boten abgeschickt bekämen, wohin sie sich am besten wenden könnten. Ich werde morgen früh den Busch hier einmal untersuchen lassen. Aber da drüben hör' ich die Glocken der Schafe, und hier haben wir auch schon den Mann gefunden, den ich suche. - Sehen Sie, Mac Donald, einen ächt australischen Schäfer - einen Sträfling der mit einem Frei- oder Urlaubsschein in den Colonien umherzieht und hier in behaglichem Nichtsthun endlich gefunden hat, dem er eine ganze Lebenszeit zustrebte. Henricks ist ein wahres Musterexemplar der ganzen Klasse.“

Von der Stelle aus, auf der sie hielten, gerade auf dem Wipfel eines kleinen, ziemlich dünn bewaldeten Sandhügels, konnten sie in etwa zweihundert Schritt von sich entfernt unter einer der einzelnen kleinen grünen Fichten einen Mann ausgestre4ckt liegen sehen, der, als er die nahenden Hufe hörte, zur Seite drehte und, selbst als er seinen Herrn erkannte, ruhig in seiner Beschäftigung fortfuhr. Diese bestand übrigens in nichts Geringerem, als eine alte rostige Maultrommel spielen, während der Hund, ein schwarzer trefflicher Rüde, wachsam auf einem nahen spitzen Sandhügel saß, von wo aus er die ganze weidende Heerde überschauen konnte. /58/

„Nun, Hendricks," sagte Mr. Powell, als sie auf ihn zugeritten waren und er lächelnd eine Weile neben ihm halten geblieben war und ihn betrachtet halte - „Ihr nehmt die Sache ziemlich kaltblütig."

„Beste in der Welt, Sir," erwiderte der Mann, indem er das Instrument jetzt erst aus dem Mund nahm, ausblies, abwischte und in die Tasche steckte - „wohl Dem, der's kann."

„Die Karren sind angekommen, Hendricks." ,

„Alle Teufel!" rief der Bursche, plötzlich lebendig werdend und in die Höhe springend - „frischer Tabak?"

„Ist allerdings dabei; aber wie steht's mit den Schafen? - noch nichts gespürt von der Krankheit?"

„Nichts - alle so gesund wie Butter!"

„So? - und die Lämmer?"

„Ist noch zu früh mit denen; die wenigen, welche kommen, gehen auch gewöhnlich drauf. - Kommt der Rationsbringer morgen?"

„Morgen früh - und nehmt Euch in Acht, wir haben Schwarze hier ganz in der Nähe gespürt. Auch an der Station lagert ein kleiner Trupp."

„Hol' sie der Böse!" knurrte Hendricks.

„Und seht mir Eurem Hüttenwächter ein wenig auf den Dienst. Ich glaube, der Bursche schläft in der Nacht so gut wie am Tage."

„Das glaub' ich auch," lachte der Schäfer, „aber das ist seine Sache. Wenn ich am Tage alle Hände voll zu thun habe, werd' ich ihm nicht auch noch sollen in der Nacht wachen helfen."

Mac Donald lachte, und Mr. Powell sagte, indem er sein Pferd wieder wendete:

„Dem Rationsbringer gebt morgen früh zwölf von Eurenbesten Hammeln mit, und wie sich nur eine Spur von der Krankheit zeigt, schickt mir augenblicklich Miller mit der Meldung auf die Station. Verstanden?"

„Ay, ay, Sir," erwiderte der Schäfer mürrisch - „vergesst nur nicht, mir Tabak mitzuschicken. Verdammt will ich sein, wenn ich nicht schon alle meine Taschen ausgekaut und /59/ nicht einmal einen Platz mehr habe, wohin ich ihn stecken kann.“

„Ich werde daran denken - aber laßt auch, wenn ich bitten darf, wenigstens das lästerliche Fluchen."

„Ay, ay, Sir - aber was ich noch fragen wollte - sind frische Maultrommeln angekommen?"

„Bestellt hab' ich sie," lachte Mr. Powell, „aber noch nicht nachgesehen, ob sie dabei sind. Jedenfalls, denk' ich aber, sind sie dabei."

„Dann komm' ich morgen Abend selber hinüber und suche mir ein paar neue aus," sagte der Mann, selbstzufrieden und entschlossen vor sich hin nickend.

„Nun, ich denke, die Eure spielt noch recht gut," warf hier Mac Donald ein.

„Ich kann Euch auch morgen früh ein paar mit herübersenden," sagte Mr. Powell.

„Nein, ich danke," brummte Hendricks - „ich muß sie selber visitiren - ich möchte gern ein paar neue haben, welche andere Lieder spielen. Die hier kenn' ich alle schon."

„Ach so!" lachte sein Herr - „ja, dann müßt Ihr freilich selber kommen. Ich fürchte aber, Ihr werdet wohl keine darunter finden."

„Wäre ver- wäre fatal," brummte der Schäfer.

„Und nun Good bye. Habt nur ein Auge auf die Schwarzen und auf Miller, und seht mir gut nach den Schafen!" Und mit den Worten stieß er seinem Pferd wieder die Sporen in die Seiten und sprengte, von Mac Donald gefolgt, der eigenen Heimath zu.

„Augen überall, heh?" knurrte Hendricks, der den beiden mürrisch nachgeschaut hatte - „für fünfundzwanzig Pfund Sterling jährlich und keinen Tabak! Wer nur der neue cove gewesen sein mochte - etwa ein frischer Aufpasser? – könnten wir hier gebrauchen. Aber was kümmert's mich," setzte er noch nach kurzer Pause hinzu, indem er seinen alten Strohhut auf den Kopf drückte und seinen Mantel von der Erde aufnahm. „Morgen giebt's Tabak und heute treiben wir heim. Die vermaledeiten Bestien werden sich /60/ doch den Wanst vollgeschlagen haben oder bis morgen früh nicht verhungern. Hier, Pollo! - nach Hause!"

Der Ruf galt dem Hunde, und das kluge Thier wußte genau, was es zu thun hatte. Mit lautem Bellen trieb er die Schafe aus den verschiedenen Büschen heraus, der nächsten offenen Stelle zu, bis er die ganze Heerde beisammen hatte, und dann, an seinem Herrn vorüber, der Richtung nach den Hürden zu. Hendricks blieb stehen, bis sie an ihm vorbeipassirt waren, und wollte dann langsam folgen, als er ein einzelnes Mutterschaf bemerkte, das in der letzten Stunde gelammt hatte und bei dem Jungen zurückblieb. Das Kleine war noch nicht im Stande, der übrigen Heerde so rasch zu folgen.

„Heh - Pollo, dort!" rief er dem Hunde zu, mit seinem Stock auf das arme Thier deutend, „weiß die Bestie nicht, was sich schickt?"

Der Hund sprang auf das Schaf zu und bellte es ein paar Mal an. So scharf er aber auf die übrigen einbiß, wenn es ihnen etwa einmal in den Kopf kam, die Heerde zu verlassen, so rücksichtsvoll benahm er sich jetzt, und sah bald auf das kleine noch kaum auf den Füßen feste Lamm, bald auf seinen Herrn, als ob er hätte sagen wollen: „Du wirst hier wohl ein wenig Geduld haben müssen; ich kann doch die Mutter nicht vom Kind verjagen!"

Hendricks schien aber anderer Ansicht. - Die Heerde wanderte indeß schon langsam weiter, und wenn er sich hier aufhielt, kam er vielleicht eine halbe Stunde später heim. So, einen gotteslästerlichen Fluch ausstoßend, und Schaf und Hund und seine eigenen Augen verdammend, ging er auf das arme, ängstlich zu ihm aufschauende Thier, das sich, wie Böses ahnend, zwischen ihn und das Lamm drängte, zu, stieß es bei Seite und vernichtete mit einem Fußtritt, den eine neue Gotteslästerung begleitete, das junge Leben. Blökend sprang die arme Mutter zu - es war aber zu spät, das kleine Lamm zuckte am Boden und lag dann still, und während die Mutter um das gemordete jammerte, hetzte Hendricks den Hund auf's Neue gegen sie an.

Pollo that es vielleicht nicht gern, denn von den Beiden /61/ hatte er jedenfalls mehr Gefühl, als sein Herr, aber das Lamm war nun doch einmal todt, der Schäfer schlug auch mit seinem Stock auf das blökende Schaf los, und so trieben es die Beiden der indeß ein Stück vorangegangenen Heerde nach und dem Hause zu.

Hätte Mr. Powell das mit ansehen können, Hendricks wäre jedenfalls auf der Stelle fortgejagt worden. Entdeckung war aber hier nicht zu fürchten, denn ehe eine Stunde verging, hatten die immer in der Nähe von Schafheerden umherschleichenden wilden Hunde jedenfalls schon das Lamm aufgefunden und verzehrt. War es denn auch der Mühe werth, sich eines einzelnen Lammes wegen eine halbe Stunde länger im Busch aufzuhalten?

Der Deutsche war, als ihn die beiden Reiter verließen, allein an der Hütte zurückgeblieben. Bis der letzte Schall der Hufschläge verhallt war, starrte er auch den Pferden nach, dann warf er sich wieder auf sein Lager nieder, barg das Gesicht in den Händen und lag wohl eine halbe Stunde still und regungslos. Nicht ein Zucken seines Körpers verrieth, daß er lebe.

„Hallo hier - todt?" sagte da plötzlich eine rauhe, fremde Stimme, und die Spitze eines breiten, nägelbeschlagenen Buschschuhes berührte die Seite des Liegenden, der rasch den Kopf hob und dann erstaunt empor und auf die Füße sprang.

„Oho, da ist ja noch Leben genug," lachte der eben Gekommene. „einer halben Schöpfenkeule und drei oder vier Quart Thee gefährlich zu werden. - Wie geht's, old cove!13 Und wer warendie beiden Männer, die vorhin hier vorüberritten?“ /62/

„Wer seid Ihr denn eigentlich, wenn man fragen darf?" erwiderte ihm jetzt statt aller Antwort der Deutsche, indem er die vor ihm stehende Gestalt mit mißtrauischen Blicken betrachtete. Dazu hatte er übrigens auch alle Ursache, denn wenngleich im Busche, was die äußere Erscheinung der verschiedenen Individuen betrifft, entsetzlich wenig Ansprüche gemacht werden, so schien dieser Gesell doch nicht einmal einem gewöhnlichen bundleman zu gleichen. Er sah im Gegentheil weit eher aus wie ein entsprungener Räuber, als ein ehrliche Beschäftigung suchender Arbeiter, der gewöhnlich zu solchem Zweck von Station zu Station zieht.

Auf dem Kopfe trug er nicht einmal einen Hut, und die wirren, langen, rothbraunen Haare hatte er sich mit einem Streifen Bast, fast wie die Indianer, zusammengebunden; der gleichfarbige Bart war in Monaten nicht geschoren. Den Oberkörper deckte dabei ein zerrissenes Opossumfell, während er eine anscheinend noch neue Opossumdecke zusammengeschnürt auf dem Rücken trug. Die Beine staken in durch Dornen und langen Gebrauch unten ausgefransten Baumwollen-Hosen und nur die bloßen Füße in neuen, derben Schuhen Außerdem hing ihm ein Netz, wie es die Frauen der Schwarzen brauchen, um das gefundene Harz und andere Delicatessen umherzuschleppen, über die linke Schulter, und in dieser war eine Feldflasche, ein kupfernes Pulverhorn, ein lederner Beutel und ein zusammengewickeltes kleines Paket sichtbar. Nichtsdestoweniger hielt er dabei in der rechten Hand eine sehr elegant gearbeitete doppelläufige Schrotflinte, die allerdings zu dem ganzen übrigen abgenutzten Aeußern des Mannes eben so wenig paßte, wie ein Paar Epauletten auf die Schultern eines Bettlers.

„Wo ich herkomme, Kamerad!" lachte der Mann, stieß den Kolben seines Gewehrs auf den Boden und stemmte seinen linken Arm auf den Lauf, „nun, wie Du siehst, aus /63/ dem Busche, und möchte die nächste Hauptstation aufsuchen, um Arbeit zu bekommen. Aussicht dazu hier herum?"

„Kann ich nicht sagen," erwiderte Miller trocken.

„Wer aber waren die beiden „swells", die da hinüberritten?" frug der Fremde auf's Neue, indem sein Blick wie unwillkürlich an den Hufspuren haftete, die hier von den Pferden der beiden Reiter dem weichen Boden eingedrückt worden.

„Der Stationsherr der Eine - der Andere ein Fremder, den ich selber nicht kannte."

„Hm - von oben oder unten?"

„Ihr meint den Fluß?"

„Ahem."

Die beiden Sträflinge

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