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Friedrich Gerstäcker

Gold

Ein californisches Lebensbild

Gesammelte Schriften

Volks- und Familien-Ausgabe Band Eins

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Umschlagzeichnung von Petr Sadecky © Verlag

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2005 / 2020

1.

Ho! Califormien!

„Land! - Land!" - über die blaue leise wogende See schallte der laute jubelnde Ruf von der Mastspitze nieder, „Land!" - und „Land! Land!" schrie es im jauchzenden Echo nach, in Kajüte und Zwischendeck hinein, und von einem Ende des Decks zum andern.

Noch dämmerte kaum der Morgen; aber eben dieser erste lichte Streifen, der den östlichen Horizont erhellte, hatte auch die noch ferne zackige Küste dem Auge des vom Top ausschauenden Steuermanns verrathen. Schon vor Tag war es ihm auf seiner Wacht so gewesen, als ob er manchmal das dumpfe Rauschen der Brandung höre, wie es die Brise in unterbrochenen Absätzen herübertrug. Deshalb stieg er nach oben, und der dämmernde Morgen zeigte ihm, daß er sich nicht geirrt. Der Jubel, den die frohe Kunde hervorbrachte, kannte keine Grenzen, und auch der alte Seemann freute sich der willkommenen Erscheinung, wenn auch aus einem andern Grunde wie die Passagiere da unten.

„Gott sei Dank," murmelte er vor sich hin, als er langsam an der Want des Fockmastes wieder nieder an Deck stieg, „daß wir die verwünschten Landlubbers, das Passagierpack, nun endlich los werden. Wie die Kerle grölen, daß sie nun bald wieder Schlamm treten können. So viel weiß ich aber, das war die letzte Fahrt, die ich mit einem Passagierschiff /6/ gemacht, und lieber wahrhaftig auf einem alten Walfischfängcr Blubber auskochen, als sich mit solchem Gesindel noch einmal abzuplagen. - Hallo, da kommen sie - jetzt seh' ein Mensch die blinden Maulwürfe an."

Ingrimmig vor sich hin lachend, blieb er noch oben in der Want halten und schaute auf das Deck nieder, wo gerade unter seinen Füßen die Zwischendecks-Passagiere aus der Vorderluke zu Tage drängten. Für den Seemann mochte es auch wohl ein komischer Anblick sein, wie die verschlafenen Gesichter der Leute, noch nicht halb munter, verdutzt umher und in die Höhe schauten, gerade als ob sie einen hohen, ganz nahen Berg mit den Augen suchen wollten. Die Wenigsten wußten dabei, nach welcher Himmelsrichtung sie ausschauen müßten, die ersehnte Küste zu entdecken, und nur als die glänzende Sonne dem Meer entstieg, ließ sich in ihrer Scheibe das scharf und schwarz abgezeichnete Land nicht mehr verkennen. Leider war aber die Brise nicht besonders günstig, die Küste anzulaufen, und die wackere Brig Leontine mußte schräg daran niederhalten, um durch Laviren näher hinan zu kommen. Gegen Mittag bäumte der Wind allerdings etwas auf, und der Bug der Leontine konnte sich mehr der Küste entgegenneigen. Die Brise blieb aber außerordentlich schwach, und das Fahrzeug rückte trotz des ausgeblähten Segels nur langsam von der Stelle.

Den Passagieren durfte man es übrigens nicht verdenken, daß sie der Erlösung von dem engen Schiffsleben entgegenjubelten. Die Leontine, eine deutsche Brigg, hatte, seit sie von Hamburg ausgelaufen, eine Reise von beinahe sechs Monaten gehabt, der ein wöchentlicher Aufenthalt in Rio de Janeiro und Valparaiso allerdings einige, doch nur geringe und viel zu kurze Abwechselung gegeben, und - was versäumten sie indessen nickt Alles an Bord. Jene ersten Auswanderer nach Kalifornien, zu denen im alten Vaterland nur eben auch die ersten, fabelhaft klingenden Nachrichten gefundener Schätze gedrungen waren, hatten noch Alle den Kopf voll goldener Hoffnungen und Träume. In den Minen fanden sie, jener Kunde nach, „eine Unze Gold täglich", und wenn sie diese nur geradehin zu zwanzig Thlr. Pr. Cour, taxirten, ließ /7/ sich eine vollkommen genaue Berechnung aufstellen, um was sie hier in jeder Woche nutzlosen Harrens gebracht wurden.

Endlich, endlich war das so heiß ersehnte Ufer am Horizont in Sicht, und die Leute wogten und drängten jetzt hastig durcheinander, um so rasch als möglich ihre nöthigen Vorbereitungen zum Landen zu treffen. Sie wollten nicht selber noch muthwillig Zeit versäumen.

Kajüte und Zwischendeck hatten sich bis dahin auch ziemlich streng geschieden gehalten; der Capitain des Schiffes gestattete wenigstens unterwegs nie, daß die Zwischendecks-Passagiere das Hinterdeck betraten, wenn er auch den Kajüts-Passagieren nicht verwehren konnte, sich dann und wann unter die weniger begünstigten Reisegefährten zu mischen. Aber auch von dieser stillschweigenden Erlaubniß hatten die ersteren nur sehr spärlich Gebrauch gemacht, bis auf einmal die Nähe des Landes alle derartigen Formen aufzuheben schien. Es war ordentlich als ob die Leute ahnten, daß sie doch jetzt sehr bald alle miteinander „in einen Topf geworfen würden", und Alles drängte vorn nach der Back - dem Ueberbau des Vorpastells gerad' am Bugspriet - um einen möglichst vollen Überblick über die Küste zu gewinnen.

Wie es unter ähnlichen Verhältnissen auf fast allen Passagierschiffen geschieht, so lebten die meisten der Leute auch in dem Wahne, daß sie, das Land kaum in Sicht, auch schon aussteigen könnten, und zum innigen Ergötzen der Matrosen beendeten Viele von ihnen in äußerster Hast ihre „Ufertoilette" - um sie gegen Abend wieder auszuziehen. So standen auch jetzt auf der Back der Leontine eine Anzahl von Menschen in den wunderlichsten Trachten versammelt, und zwar ein Theil von ihnen in Hemdsärmeln oder dünnen Jacken, wie sie gewöhnlich an Bord herumgingen, und Andere wieder mit Röcken oder gar Frack angethan, Stöcke in der Hand und schwarze hohe Hüte auf den Köpfen. Besonders auffallend erschien unter diesen eine Figur, die man an Bord bis dahin kaum bemerkt hatte. Sie trug einen langen erbsgelben, allerdings arg mitgenommenen Mantel, mit einer unbestimmten Anzahl von Krägen jeder Breite. Dieser Mantel, dessen linker Aermel einen hellgrünen baumwollenen und sehr /8/ dicken Regenschirm hielt, ging bis fast auf die Knöchel hinunter und ließ dort ein Paar schwere, mit großen Nägeln beschlagene Stiefeln sichtbar werden, während unmittelbar oben darauf ein schmalrandiger, entsetzlich ausgeschweifter und abgeschabter Hut saß. Ob in dem Hute noch ein Kopf steckte, blieb dahingestellt; äußerlich war wenigstens nichts von einem solchen zu erkennen.

Neben ihm stand ein junger, sehr anständig gekleideter Mann mit sorgfältig frisirten und geölten Haaren, ja selbst in gewichsten Stiefeln, und blickte neugierig fast mehr nach seinem Nachbar als dem Land hinüber. Es kam ihm nämlich sonderbar vor, fast ein halbes Jahr mit allen diesen Leuten auf dem eng gedrängten Schiffe zusammengewesen zu sein, und jetzt plötzlich Jemanden vor sich und an Bord zu sehen, der ihm vollkommen fremd und unbekannt schien. Herr Hufner, wie der junge Mann hieß, war aber zu schüchtern ihn anzureden, bis ein Hamburger - ein Kaufmann wie man munkelte, der, wegen schlechter Geschäfte daheim, bessere in Californien beginnen wollte - ihm ziemlich ungenirt den gelben Mantelkragen etwas zurückschob und dann ganz erstaunt ausrief:

,,Ballenstedt - hol's der Henker - Junge, wie siehst Du aus?"

„Wie soll ich denn aussehen, Herr Lamberg," sagte aber der Mann sehr ruhig, indeß die Umstehenden in ein lautes Gelächter ausbrachen. „Man darf doch wohl seinen Mantel anziehen?"

„Gewiß darf man, mein Bursche," lachte der Hamburger, der noch kein Stück seiner Schiffskleidung abgelegt hatte, „aber wenn Du nicht gerade jetzt bedeutend frierst, hättest Du Dir wohl das Stück Ueberzug mit seinem gewaltigen Fachwerk heute noch ersparen können. Oder willst Du gleich an Land?"

„So wie wir anlegen," sagte der Mann auf das Entschiedenste.

„Und wo ist Dein übriges Gepäck?"

„Hier," antwortete Ballenstedt und producirte unter dem Mantel vor ein in ein rothbaumwollenes Taschentuch einge-/9/knüpftes Bündel und - eine Schaufel, die er jedoch mürrisch wieder verbarg, als er die Fröhlichkeit der Umstehenden bemerkte. Diese hatten aber doch zu viel mit sich selbst zu thun, als aus den wunderlichen Gesellen weiter zu achten, und die Matrosen, die jetzt auf die Back sprangen, die Anker da vorn „klar zu machen", brachen überhaupt die Unterhaltung kurz ab. Der Ort mußte geräumt werden, und die Passagiere zerstreuten sich wieder über Deck, um, hinter der Schanzkleidung vor, nach der immer noch fernen Küste sehnsüchtig hinüber zu schauen.

Eine der hervorragendsten Gestalten unter diesen war ein ältlicher Herr, ebenfalls schon vollständig gerüstet an Land zu gehen, vorläufig aber noch mit einer langen Pfeife im Munde, der ernst und schweigsam, die rechte Hand auf den Rücken gelegt, auf- und abging und ein Lied, fortwährend dabei detonirend, vor sich hin brummte.

„Na, Justizrath, Sie sind auch schon fertig?" redete ihn da ein kleiner Mann in einem grauen Rocke an, der auf der Nagelbank des Fockmastes saß und den vor sich auf und ab Schreitenden schon eine Weile lächelnd gemustert hatte. Es war ein Apotheker aus Hannover, und sonst ein drolliger, aber höchst anständiger Gesell.

„Ich? - ja," sagte der „Justizrath", indem er sich scharf gegen ihn wandte und vor ihm stehen blieb - „habe das verwünschte Schiffsleben satt - machen, daß ich an Land komme - daran gedenken - hol's der Teufel!"

Der Mann sprach außerordentlich rasch, mußte aber noch viel rascher denken, denn er verschluckte die eine Hälfte seiner Worte, während er die andere auf eine so barsche Weise herauspolterte, daß er Allen, mit denen er sprach, fortwährend die größten Grobheiten zu sagen schien. Ohlers, der Apotheker, kannte ihn aber schon, und war auch überhaupt nicht der Mann, sich leicht einschüchtern zu lassen.

„Der Herr Justizrath scheinen mit der Behandlung nicht recht zufrieden," lachte er leise vor sich hin und sah dabei an seiner langen, scharfgeschnittenen Nase nieder.

„Hundeleben," bezeichnete der Justizrath seine ganze gegenwärtige Existenz mit dem einen, eben nicht schmeichelhaften /10/ Wort - „wollen's Capitain aber schon anstreichen - Criminal-Proceß."

„Na da gratulir' ich," sagte Ohlers - „der arme Capitain."

„Nun, Justizrath, auch schon gestiefelt und gespornt?" näselte in diesem Augenblick ein langer junger Mensch, ein Kajüts-Passagier, dessen Eltern ihn, wie es hieß, zu ihrem eigenen Besten nach Californien geschickt hatten, um ihn nur von Hamburg los zu werden. Die Hände in den Taschen war er langsam angeschlendert, und lehnte sich jetzt mit der Schulter an einen der Hühnerkasten an, als ob er seinen Beinen das Gewicht des dürren Körpers nicht weiter anvertrauen möge.

„Ja woll, Herr Binderhof," brummte der Angeredete, indem er eine solide Tabakswolke von sich blies und den Kajüts-Passagier nur über die Schultern anblickte. - „Ihnen besser gefällt - können hier bleiben."

„Danke Ihnen, Herr Justizrath," lachte aber der Lange, „ausgenommen Sie schenken mir die Ehre Ihrer Gesellschaft."

„Unausstehlicher Mensch," brummte der Justizrath in den Bart, qualmte ärger als vorher und lief auf die andere Seite des Decks.

„Verrückter Kerl," lachte der Lange hinter ihm drein - „was erzählte er Ihnen denn eben, Ohlers?"

„Oh," sagte der Apotheker, „blos von Ihnen, Herr Binderhof."

„Von mir?"

„Ja wohl, Herr Binderhof; er erzählte mir, wie Ihre Eltern so außer sich gewesen wären, daß Sie absolut nach Californien wollten."

„Holzkopf," murmelte Herr Binderhof vor sich hin, verließ den Hühnerkasten und schlenderte ärgerlich nach der Kajüte zurück. Ohlers sah ihm mit einem seiner trocken-komischen Blicke nach, als Herr Hufner an ihm vorüberschritt. Die Gelegenheit war zu verlockend, nicht wenigstens ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.

„Herr Hufner, Herr Hufner," drohte er ihm lächelnd mit dem Finger, „Sie scheinen mir auf bösen Wegen zu sein!" /11/

„Ich? mein guter Herr Ohlers," rief der junge Mann bestürzt, „ich wüßte wahrhaftig nicht weshalb. Ist etwas vorgefallen?"

„Noch nicht," sagte Ohlers ernst, „aber Sie haben sich so herausgeputzt, als ob Sie in San Francisco augenblicklich auf Eroberungen ausgehen wollten, und indessen sitzt Ihre Braut daheim und grämt und härmt sich ab."

„Wahrhaftig nicht," rief aber Herr Hufner rasch und erröthend - „nein, da thun Sie mir unrecht, mein guter Herr Ohlers."

„Schalk, Schalk," fuhr aber dieser fort, „ich hätte große Lust, Ihrer armen Braut mit der nächsten Post ein paar Zeilen zu senden und das unschuldige Ding zu warnen."

„Um Gottes willen machen Sie keinen solchen Scherz," rief aber Herr Hufner erschreckt, „Sie haben keine Idee davon, wie eifersüchtig sie ist, und - sie nähme den Spaß am Ende für Ernst. Nun Gott sei Dank, unsere Trennung har jetzt die längste Zeit gedauert." .

„Was?" rief Ohlers erstaunt, „wollen Sie gleich wieder umkehren?"

„Nein, das nicht," sagte Herr Hufner vergnügt, „aber es ist schon unter uns ausgemacht, daß sie mir in drei Monaten - von meiner Abreise an gerechnet - nachkommen soll. Sie kann also schon jetzt recht gut in Rio de Janeiro sein."

„Aber was um Gottes willen wollen Sie mit Ihrer Braut in Californien machen!" sagte Ohlers kopfschüttelnd - „Sie wissen noch selber nicht einmal, was aus Ihnen wird. Hat sie denn Geld?"

„Meine Braut? - nein," sagte Herr Hufner, „das ist aber auch nicht nöthig."

„Na, haben Sie denn 'was?"

„Noch nicht," lächelte der junge Mann vergnügt vor sich hin, „aber da drüben liegt ja Californien."

„S-o?" sagte Ohlers - „und das ist Alles?"

„Nun, ist das nicht genug?" lächelte Herr Hufner. „Ich habe volle drei Monat Zeit, mir ein Vermögen zu erwerben. Als Commis darf ich freilich nicht eintreten, denn wenn ich auch drei- bis viertausend Dollar Gehalt bekäme, machte das /12/ auf drei Monate höchstens tausend Dollar, und damit kann man noch nicht viel beginnen. Aber ich gehe in die Minen; eine Unze täglich ist mir dort gewiß, und drei Monate, den Monat nur zu siebenundzwanzig Arbeitstagen gerechnet, liefern doch immer schon ein kleines Capital von wenigstens eintausend sechshundert und zwanzig Thalern, einzelne glückliche Tage, die gar nicht ausbleiben können, ganz abgerechnet. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß Goldwäscher dort an manchen Tagen fünf- und sechshundert Dollar gefunden haben."

„Und darauf hin allein lassen Sie wirklich Ihre Braut nachkommen?"

„Darauf hin?" wiederholte Herr Hufner erstaunt. „Als ob das nicht Sicherheit genug wäre! Fragen Sie einmal die Frau Siebert, oder lassen Sie sich einmal die Briefe zeigen, die deren Mann ihr von San Francisco geschrieben hat. In drei Tagen haben ihrer Zwei aus irgend einer alten Schlucht dort drüben für viertausend Dollar blankes Gold herausgegraben. In drei Tagen sage ich Ihnen."

„Da haben sie allerdings brillante Geschäfte gemacht," meinte Ohlers, „wie Viele aber werden da oben in den Bergen herum hacken und schaufeln, ohne mehr zu finden, als was sie .eben zum Leben brauchen - und wie theuer sind die Provisionen dann wahrscheinlich dort? Ne, mein guter Herr Hufner, wo ein Viergroschen-Brod fünf spanische Dollar kostet, hört die Gemüthlichkeit auf."

„Aber weshalb sind denn Sie da nach Kalifornien gegangen?" lächelte Herr Hufner, und sah Ohlers schalkhaft von der Seite an, als ob er ihn jetzt fest und sicher gefangen hätte.

„Wahrhaftig nicht, um oben in den alten faulen Bergen nach Gold zu puddeln!" rief aber der Apotheker. „Kranke Menschen wird's genug in San Francisco geben - leichtsinniges Gesindel, das sich oben in den Minen so lange Herumgetrieben hat, bis es die Knochen nicht mehr regen kann. Die fallen mir nachher in die Hände, und daß ich die auspressen will, bis sie auch kein Korn Gold mehr hergeben, darauf können Sie sich verlassen."

Ihr Gespräch wurde hier unterbrochen oder vielmehr ge/13/stört, denn zwei andere Personen waren den Gangweg heraufgekommen, und standen jetzt an der Larbord-Schanzkleidung, nach dem Lande hinüber zu schauen. Die eine von diesen war eben jene Frau Siebert, von der Herr Hufner vorhin gesprochen; die andere der alte Assessor Möhler, der gefälligste, bescheidenste, aber auch wunderlichste Mensch unter der Sonne.

Der Mann jener Frau, eigentlich ein etwas leichtes Subject, wenigstens in früherer Zeit, war nach Amerika gegangen, sein Glück zu versuchen, und hatte Frau und Kinder indeß' in Deutschland zurückgelassen.

Er ließ auch Jahre lang nichts von sich hören, bis plötzlich - fast mit der ersten Kunde von der Entdeckung des Goldes in Californien - ein Brief von ihm kam, der die unglaublichste Botschaft enthielt. Siebert war nämlich, mit noch vielen anderen Deutschen, in damaliger Zeit unter jenem Trupp von Freiwilligen gewesen, den die Vereinigten Staaten nach Californien schickten, um von dem Land Besitz zu er-greifen. Diese Leute, meist Abenteurer, die aus keine andere Weise ihr Leben hatten fristen können, hielten auch im Anfang vortrefflich aus und gingen nicht aus dem Bereich ihrer Rationen. Kaum aber drang die Kunde der neuentdeckten Goldminen zu ihnen, als sie fast Alle desertirten und sich nun in den Bergen zerstreuten, um nach Gold zu graben.

Eigenthümlicher Weise fielen diese Leute gleich im Anfang auf die reichsten Stellen, und Manche von ihnen gruben allerdings in wenigen Tagen den Goldwerth von Tausenden von Dollars aus den Bergschluchten. Zu diesen gehörte auch Siebert, und wenn auch leichtsinnig, doch von gutem Herzen, schrieb er augenblicklich nach Hause, seine verlassene Familie zu sich zu rufen. Die Beschreibung der californischen Schätze, die er dem Briefe beifügte, lief sogleich mit Blitzesschnelle durch die ganze Nachbarschaft und verleitete Manchen, die eigene Heimath zu verlassen und sich gleichfalls mit so leichter Mühe Schätze zu erwerben. Niemand aber war glücklicher als die Frau Siebert, die von Haus zu Haus zu ihrer Bekanntschaft lief, den Glücksbrief ihres Mannes vorzuzeigen. Wie sie dabei beneidet wurde, läßt sich denken, aber sie verlor /14/ auch keine Zeit, sich und die Kinder zu ihrer Reise zu rüsten. Das Geld zur Ueberfahrt hatte ihr der Mann auf Hamburg angewiesen, und das erste Schiff, das von dort nach San Francisco bestimmt in See ging, nahm sie und die Kinder an Bord, um dem Ruf des Gatten Folge zu leisten und in seine Arme zu eilen.

Unterwegs war die Frau übrigens, in so ärmlichen Verhältnissen sie bis jetzt gelebt haben mochte, mit einer eigenen Art von Ehrfurcht betrachtet worden. Ging sie doch in Californien keineswegs einer ungewissen Zukunft entgegen, und gehörte ja ihr Mann selber mit zu den wenigen Glücklichen, die im ersten Anfang Gelegenheit gehabt, die Schätze jenes wunderbaren Landes auszubeuten. Sie hatten gewissermaßen den Rahm schon abgeschöpft, und die Frau traf jetzt nur dort ein, die Früchte jener leichten Arbeit zu genießen. Ihr Mann wußte dabei gewiß die besten und reichsten Stellen in den Bergen, und hätte ihnen treffliche Anleitung geben können - wenn er eben wollte. Jedermann behandelte deshalb die Frau höchst achtungsvoll und that ihr alles Mögliche zu Gefallen - vielleicht daß sie doch ein gut Wort für sie einlegen konnte.

Dieses ehrfurchtsvolle Betragen der Leute an Bord gegen sie verwöhnte sie aber. Nach dem Brief ihres Mannes mußte sie sich außerdem als eine, ihren Begriffen nach reiche Frau betrachten, und das neue, bis dahin nie gekannte Gefühl: Jemanden protegiren zu können, that das Uebrige. So schüchtern sie an Bord gegangen war, so zuversichtlich wurde sie nach und nach, und ihre Einbildungskraft half ihr dabei sich das Leben in Californien mit den glühendsten, lebendigsten Farben auszumalen.

Der „Assessor" Möhler war gerade das Gegentheil von ihr, und zwar ein Mann schon im reifsten Mannesalter - ein angehender Fünfziger. Er selber sprach allerdings nie über seine früheren Verhältnisse; Einzelne an Bord schienen ihn aber früher gekannt zu haben, und so erfuhren denn die Andere» auch sehr bald, daß er, wenn auch nicht in glänzenden, doch ganz angenehmen, jedenfalls gesicherten Verhältnissen in Deutschland gelebt hatte, und eigentlich nur durch seine ver/15/heiratheten Töchter - kleine Gonerils und Regans, als ein sehr bescheidener König Lear - nach Californien geschickt war. Während er früher Alles, was in seinen Kräften stand, und eigentlich noch mehr, für seine Kinder gethan hatte, ermüdeten diese seine kleinen, sehr unschuldigen Eigenheiten. Zum Reisen hatte er überdies stets Lust gezeigt, und man wußte ihn aus geschickte Art halb zu überreden, halb zu zwingen, daß er noch in seinem Alter „sein Glück" in dem fremden und fabelhaften Goldlandc versuche.

Der Assessor ging allerdings - aber wenn er auch nicht darüber sprach, fühlte er doch, wie er eigentlich behandelt worden und daß er seinen eigenen Kindern im Wege gewesen wäre, und das gab seinem ganzen Wesen etwas Gedrücktes, Schmerzliches. Seine angeborene Gutmüthigkeit ließ es jedoch keinem Andern entgelten wie nur sich selber. Gegen sämmtliche Mitpassagiere war und blieb er, trotz mancher heimlichen und offenen Neckerei, die Gefälligkeit selber, und half, wo er nur irgend konnte. Kein Messer wurde an Bord geschliffen, zu dem er nicht den Stein drehte, kein Knopf angenäht, den er nicht, aus einem beträchtlichen Vorrath solcher Artikel, mit Zwirn und Nähnadel lieferte; sein Kochgeschirr wanderte von Hand zu Hand, und so oft es auch verbogen oder beschädigt 'zu ihm zurückkehrte - so oft er sich dann auch vornahm, es nicht wieder auszuleihen, dauerte solch ein guter Vorsatz doch nie länger als bis zur erneuten Bitte eines Reisegefährten - denn eine Bitte konnte er nun einmal nicht abschlagen.

Schon in Deutschland hatte er sich dabei sehr gern mit kleinen Kindern beschäftigt. Die einzigen jedoch, die er an Bord vorfand, gehörten der Frau Siebert, und die kleinen Wesen merkten gar bald, wie sie mit ihm standen. Wo er sich aufhielt, hingen sie sich an ihn, und er wurde auch wirklich nicht müde, sich mit ihnen zu beschäftigen und sie nach Umständen selbst zu warten und reinlich zu halten. Zugleich wußte er eine Menge Spielereien für sie anzufertigen, malte ihnen Bilder und schnitt ihnen Figuren und Häuser aus Papier, und war mit einem Wort das Factotum der drei Kleinen an Bord. Die Frau hatte das im Anfang mit großem und /16/ aufrichtigem Dank angenommen, und es sich sogar nicht nehmen lassen, dem Assessor, für so manchen ihr erwiesenen Dienst, wenigstens die Wäsche in Stand zu halten. Schon von Rio ab fand sie aber, daß der Mann nur wenig mehr that als die Uebrigen, wenn auch auf andere und nützliche Art. Alle übrigen Passagiere wuschen sich dabei die Wäsche selber, warum konnte es der Assessor nicht ebenfalls thun? Und als er sich endlich den Kübel selber vorholte, seine Hemden einweichte und dann die eigenen Aermel zu der etwas ungewohnten Arbeit aufstreifte, machte sie sich an einem andern Theil des Decks etwas zu schaffen und ließ es ruhig geschehen.

Von da an blieb der Assessor allerdings seine eigene Waschfrau, trotzdem aber auch derselbe Freund und Beschützer der Kinder, mit dem einzigen Unterschied, daß sich die Frau nicht mehr bei ihm dafür bedankte. Wenn sie aber nach Kalifornien kam, hatte sie sich vorgenommen, daß ihr Mann ihm ,,eine gute Stelle sagen solle"; das versprach sie auch dem Assessor aus freien Stücken, und der gutmüthige einfache Mann hatte eine aufrichtige Freude darüber. Kalifornien kam ihm jetzt nicht mehr so fremd und öde vor; er sollte ja einen Freund dort finden, der ihn mit seinem Rath und seiner Erfahrung unterstützen würde. Mit diesen Gefühlen schaute er, das jüngste Kind der Frau Siebert auf dem Arm, nach dem auftauchenden Land hinüber und zeigte dem kleinen dreijährigen Burschen die Berge, „hinter denen sein Vater wohnte".

„Die Frau ist versorgt," sagte jetzt Herr Hufner, aber mit etwas unterdrückter Stimme, zu dem Apotheker - „der Mann hat ein Heidenglück gehabt."

„Wer? - der Assessor?"

„Bst - sprechen Sie nicht so laut - nein, ich meine jener Siebert. Ich weiß nicht, wie viel tausend Dollar der und seine Kameraden im Ganzen förmlich aus der Erde geschaufelt haben. Der Stellen giebt es aber noch mehr, und die Matrosen haben da ein vortreffliches Sprüchwort: Es sind noch so gute Fische im Meer, wie je herausgekommen."

„Ja," sagte Ohlers, „und: was Deines Amts nicht ist, /17/ da laß Deinen Vorwitz, ' oder: Schuster bleib bei Deinem Leisten."

„Wie so?" frug Herr Hufner verwundert.

„Nun, ich meine nur," erwiderte Ohlers trocken. „Die aber, denk' ich, die sich das als ein so großes Vergnügen vorstellen, eine Schaufel statt Spazierstock und eine Spitzhacke statt Regenschirm zu tragen, werden am Ende doch wohl finden, daß sie sich eine verwünscht unbequeme Unterhaltung ausgesucht haben. Nun - der Geschmack ist verschieden. - Aber - wenn ich nicht irre, kommt da unser verrückter „Amerikaner" angeschlichen. Bin auch neugierig, was der eigentlich in Kalifornien verloren hat, und was er dort mit seiner Frau anfangen will."

Der Passagier, von dem er sprach, war ein noch junger, schlanker und blasser Mann, ein geborener Amerikaner, der auf dem Schiff, seines scheuen, abgeschlossenen Wesens wegen, kurzweg den Beinamen des „Verrückten" erhalten hatte. Schiffs-Passagiere sind außerordentlich rasch mit solchen Beinamen bei der Hand. Er war erst in Valparaiso mit einer jungen, höchst liebenswürdigen Frau an Bord gekommen, da ein paar Kajüts-Passagiere dort das Schiff verlassen hatten, und konnte Tage lang auf dem Quarterdeck sitzen, ohne ein Wort mit irgend Jemandem zu sprechen. Nur auf das Meer starrte er dann hinaus, der Richtung zu, in der er Kalifornien wußte, und die Zwischendecks-Passagiere meinten dabei, er suche sich nur einen Platz unten im Wasser aus, wo er nächstens einmal bequem hineinspringen könne.

Die ersten Tage war er allerdings, und zwar ununterbrochen, auf dem Schiff umhergegangen, die verschiedenen Passagiere zu mustern. Er sah sie dann einzeln, wie sie an ihm vorüber- oder ihrer Beschäftigung nachgingen, starr und aufmerksam an, sprach aber mit keinem, und es schien ordentlich, als ob er Jemanden unter ihnen suche. Auch hatte er sich gleich am ersten Tage die Namenliste geben lassen und sie eifrig durchstudirt. Ob er freilich irgend einen Bekannten zu finden hoffte oder fürchtete, wußte Niemand, und es war wohl natürlich, daß sich die Passagiere, mit keiner weiteren Beschäftigung, über das sonderbare Betragen des Mannes /18/ die wunderlichsten Erzählungen bildeten. Da er sich aber still und anspruchslos zurückhielt, ermüdeten sie auch endlich, sich mit ihm zu beschäftigen, und fertigten ihn zuletzt mit dem schon erwähnten Beinamen ab.

Seine Frau war ein junges liebenswürdiges Wesen von kaum achtzehn oder neunzehn Jahren, und wenn sie an Deck erschien, wich sie nie von seiner Seite. Gegen sie selber blieb er auch immer zärtlich und aufmerksam, ja er konnte dann sogar heiter sein. Nur wenn sie ihn verließ, kam der düstere, unheimliche Geist über ihn. Heute freilich schien selbst ihre Nähe den sonst so wohlthätigen Einfluß auf ihn verloren zu haben. Mit dem Land in Sicht, war eine seltsame wilde Unruhe über ihn gekommen, und wieder und wieder lief er über das ganze Deck bis vorn zum Bugspriet, starrte hinüber nach der Küste, als ob er damit ihre Ankunft dort beschleunigen könne, und kehrte dann wieder auf das Quarterdeck zurück.

An Bord befand sich noch, als Kajüts-Passagier, ein alter Herr, ein Arzt, und nur schlichtweg der Doctor genannt - der sein Kojen-Nachbar und dabei der Einzige war, mit dem er sich manchmal unterhielt. Er klagte dann über Schmerzen im Kopf und Beklemmung auf der Brust, und ließ sich leichte Mittel von dem Arzt verschreiben. Diese nahm er auch gehorsam ein, aber das Uebel besserte sich nicht, und Doctor Rascher merkte bald, daß dem hartnäckigen Unwohlsein eine tiefere, das Gemüth betreffende und berührende Ursache zu Grunde liege. Alle Anspielungen darauf blieben jedoch erfolglos. Der Patient leugnete hartnäckig etwas Derartiges zu kennen, ja wich zuletzt ängstlich jeder nur dahin zielenden Andeutung aus. Er schien entschlossen, den fremden Doctor nicht zu seinem Vertrauten zu machen, und dieser konnte ihn natürlich nicht dazu zwingen, deshalb aber auch seinen Zustand nicht verbessern.

Der Amerikaner, dessen Name Hetson war, hatte wieder eine Weile über Bord gesehen, während Ohlers ihn schweigend und kopfschüttelnd betrachtete. Endlich richtete er sich auf, hob gegen Süden, von welcher Richtung sie hergekommen waren, wie drohend die geballte Faust, murmelte einige Worte /19/ in englischer Sprache, die weder der Apotheker noch Hufner verstanden, und wandte sich dann rasch wieder, um auf das Quarterdeck zurückzukehren. Die ihn umstehenden Zwischendecks-Passagiere hatte er keines Blicks gewürdigt.

„Ob sie wohl Narrenhäuser in San Francisco haben?" sagte Ohlers, der ihm nachsah, als er langsam über den Gangweg schritt - „wäre am Ende gar keine so üble Speculation, ein solches, etwas geräumiges Institut da drüben anzulegen. Eigentlich und genau genommen ist schon die Hälfte von Denen, die überhaupt jetzt hier hinüberlaufen, halb und halb verrückt, und daß es bei den Meisten drüben zum Ausbruche kommt, läßt sich mit Gewißheit annehmen. Ich muß mir die Sache doch einmal ordentlich überlegen/'

Hetson schritt indessen auf dem Quarterdeck auf und ab. Seine Frau ging zu ihm und legte ihren Arm in den seinen, und das schien ihn zu beruhigen; wenigstens verließ er bald daraus das Deck und stieg in seine Kajüte hinunter.

Der Mittag rückte jetzt heran, und Capitain wie Steuermann hatten sich mit ihren Instrumenten an Deck eingefunden, ihre Observationen zu nehmen. Leider aber versteckte sich gerade gegen zwölf Uhr die Sonne hinter dichten Wolken, und wenn auch die Seeleute hartnäckig versuchten wenigstens einen Schein ihrer Scheibe zu bekommen, blieb doch Alles vergeblich. Auf offener See hat das nun nicht viel zu sagen; das Schiff hält eben seinen Kurs, und ein heller Tag gleicht Alles wieder aus. Hier aber, dicht vor einer fremden Küste, deren Landmarken noch Keiner von ihnen kannte, mußten sie nothwendig eine mittägige Sonnen-Observation bekommen, um genau die Breite zu erfahren, in der sie sich befanden. Die Wolken verhinderten das, und doch rückten sie, bei der jetzt immer günstiger werdenden Brise, dem Land rasch näher. Das geschah aber nur, um möglicher Weise ein oder das andere Fahrzeug zu treffen, das ihnen den Weg zeigte, wenn sie nicht die Einfahrt selber von außen erkennen konnten. Jedenfalls mußten sie den Versuch machen.

Mehr und mehr traten jetzt auch die schlossen, felsigen und vollkommen kahlen Küstenberge des Festlandes vor, und deutlich konnten sie in deren Nähe mehrere Segel erkennen. An-/20/statt aber von diesen eine Richtung zu erfahren, wurden sie nur noch mehr irre gemacht, denn einige hielten nach Süden hinunter, andere nach Norden hinauf, während einzelne sogar ihren Cours änderten und von der Küste wieder abfielen. Es war augenscheinlich, daß diese alle die Einfahrt eben so wenig kannten wie sie selber, und gleichfalls ein Schiff, das sie führe, oder den nächsten Mittag erwarten wollten.

Die Leontine änderte jetzt ebenfalls ihren Cours, den starren Uferklippen nicht zu nahe zu kommen, und die Passagiere wußten gar nicht, was sie davon denken sollten. Draußen in offener See nämlich sind sie wohl gezwungen, der Führung des Capitains zu vertrauen. Sie selber haben keinen Anhaltepunkt für das Auge, und die Seeleute waren ja dafür verantwortlich, sie richtig an Ort und Stelle zu bringen; hier jedoch wurde das ganz etwas Anderes. Hier sahen sie das Land hell und klar mit all' seinen Einschnitten und Kuppen, seinen Bergen und Thälern liegen, und daß der Capitain dort nicht geradezu anlief und Anker warf, kam ihnen unverantwortlich vor und betrog sie nur wieder so viele Stunden um ihre kostbare Zeit. Die Gefahr, die ihnen und ihrem Schiff drohte, wenn ein schweres Wetter sie in der Nähe der fremden Küste betroffen hätte, kannten sie ja nicht.

Mr. Hetson war ebenfalls wieder an Deck gekommen, und besonders schien ihn hier der Anblick der fremden Schiffe aufzuregen. Er lief zum Capitain und verlangte von diesem zu wissen, was für Fahrzeuge das wären und wo sie herkämen. Da jedoch keins derselben geflaggt hatte, ließ sich das gar nicht bestimmen, und höchstens konnte ihm der Seemann nach der Bauart einzelner und der Stellung ihrer Segel die Vermuthung aussprechen, daß es Amerikaner, Engländer, Franzosen oder Deutsche seien.

Die Sonne neigte sich dem Horizont, und die Leontine, anstatt so rasch als möglich einen Ankerplatz zu suchen, hatte ihre Segel umgebraßt und hielt so viel sie konnte von der Küste ab. Die Passagiere deshalb, die sich für eine augenblickliche Landung vorbereitet hatten, waren gezwungen, ihre „Uferkleider" wieder auszuziehen, und unverhehltes Mißvergnügen herrschte ziemlich überall an Bord. Erst mit Dunkel/21/werden war der junge Amerikaner in seine Koje hinabgegangen, und die meisten der Passagiere hatten sich ebenfalls, trotz des wundervollen und warmen Abends, in die Haupt-Kajüte zurückgezogen, um mit Kartenspielen und einer Bowle den „hoffentlich letzten" Abend an Bord zu feiern. Nur der Doctor war mit dem Steuermann oben auf Deck eine Weile hin und her geschritten, und als diesen seine Geschäfte nach vorn riefen, irgend etwas an Segeln oder Tauwerk nachzusehen, blieb der Doctor allein zurück, lehnte sich über das Deck hinaus und schaute nach dem Steuerruder nieder, das in der leicht bewegten See einen Feuerstrudel zog und in tausend und tausend Funken blitzte und glitzerte.

„Doctor," flüsterte da eine leise, ängstliche Stimme an seiner Seite.

Rasch fuhr er empor, denn an der Stimme hatte er Mrs. Hetson, die Frau des Amerikaners, erkannt.

Die junge Dame stand auch wirklich, fest in ihren Shawl gehüllt, dicht neben ihm, und erstaunt rief er aus:

„Mrs. Hetson? und was führt Sie noch so spät in der feuchten Nachtluft hier allein an Deck? - wo ist Mr. Hetson?"

„Er schläft, Doctor,"' antwortete ihm die Frau, sichtlich erregt, „und ich habe den Augenblick benutzt, Sie einmal allein zu sprechen. Ich muß Sie sprechen, muß mit Ihnen reden, so lange das noch ungestört geschehen kann, und an Land zweifle ich fast, daß mir die Gelegenheit werden wird. Ich - ich weiß nur nicht, ob Sie Geduld haben, mir eine Viertelstunde Gehör zu schenken."

„Beste Mrs. Hetson," sagte der alte Mann freundlich - wäre - und hier also nur meine Pflicht thue - würde der Zweifel ungerecht gewesen sein. Sie wollen mit mir über Ihren Gatten sprechen?"

„Ja“, hauchte die Frau und warf einen scheuen Blick über das Deck zurück, ob auch Niemand weiter in der Nähe wäre. Nur der steuernde Matrose lehnte an den Speichen seines in Rades, konnte aber von der mit unterdrückter Stimme und in englischer Sprache geführten Unterhaltung nichts verstehen. Der Steuermann, der wieder auf das Quarterdeck gekommen /22/ war, stand vorn an einer der auf das Mitteldeck niederführenden Treppen und beobachtete den Gang des Schiffes.

„Ich dachte es mir," sagte der Arzt, „und habe mir lange gewünscht, daß er oder Sie offen gegen mich gewesen wären - ich hätte Ihnen dann vielleicht Hoffnung auf seine Heilung geben können, denn sein Leiden scheint mir tief und schwer zu sein. So leicht wir aber die meisten Krankheiten des Körpers nach ihren äußeren Erscheinungen zu bestimmen vermögen, so schwer, ja unmöglich ist es für den Arzt, den Seelenleiden eines Patienten aus die Spur zu kommen, wenn er selber uns nicht freiwillig die Hand dazu bietet - und ein Seelenleiden ist es jedenfalls, das den Körper Ihres Gatten aufreibt und auf die Länge der Zeit selbst verderblich für ihn wirken muß."

„Sie haben Recht," antwortete leise die Frau, „und oft schon bat ich ihn, aber stets vergebens, Ihnen zu vertrauen. Er hat mir sogar streng verboten, mit irgend Jemandem, wer es auch sei, darüber zu sprechen. Aber ich fühle, daß ich nur zu seinem Besten handle, wenn ich sein Gebot übertrete - ja ich muß meinethalben reden, wenn mich nicht die Sorge um ihn - um mich zuletzt aufreiben soll."

„Fassen Sie sich, beste Frau, fassen Sie sich," bat aber der alte Mann die Erregte, indem er hinüber nach dem aufmerksam werdenden Matrosen deutete. „Die Leute verstehen fast alle etwas Englisch, und wir brauchen keinen weiteren Zeugen."

„Sie haben Recht," sagte die junge Frau mit völlig ruhiger, gesammelter Stimme. „So hören Sie denn, und zürnen Sie nicht, wenn ich etwas weiter ausholen, wenn ich auf mich selbst zurückkommen muß - ich werde Sie aber mit keinem unnöthigen Wort ermüden."

„So kommen Sie hier zur Schanzkleidung," sagte der Arzt - „in die See hinausgesprochen verhallen die Worte, und Niemand an Deck kann hören, über was wir hier verhandeln."

Die Frau trat zu ihm, lehnte sich mit ihrem Arm auf die breiten Bulwarks und sagte dann, mit jetzt fast ruhiger Stimme: /23/

„Ich will Ihnen Alles ersparen, was mich selbst betrifft; nur so viel müssen Sie wissen, daß ich vor etwa zwei Jahren mit einem Landsmann von mir, einem jungen Engländer, in meinem Vaterlande verlobt wurde und ihn von Herzen liebte. Er war Seemann und wollte nur noch eine Reise nach Ostindien machen; nach seiner Rückkehr sollte dann der Kirche Segen uns verbinden. - Wenige Tage später traf uns da die Schreckenskunde, daß sein Schiff, gleich beim Auslaufen aus der Themse, auf den Goodwin Sands verunglückt und mit seiner ganzen Mannschaft untergegangen sei. Nur ein einziger Matrose war wie durch ein Wunder gerettet und wieder an die englische Küste gebracht worden. Mich warf der Schmerz um den Bräutigam auf das Krankenlager, und mein Vater nahm in jener Zeit um so lieber eine ihm gebotene amtliche Sendung nach Buenos Ayres an, als er auch für mich am leichtesten Heilung in einem Luft- und Scenenwechsel zu finden hoffte. Wir reisten dorthin ab, und schon unterwegs erholte ich selber mich vollkommen. Unser Aufenthalt in der Argentinischen Republik dauerte aber nicht lange, und die politischen Verhältnisse jenes unruhigen Landes nöthigten meinen Vater, dem ihm nicht gewogenen, allmächtigen Dictator Rosas aus dem Wege zu gehen. Von dort schifften wir uns nach Chile ein, und in Valparaiso machte ich die Bekanntschaft meines jetzigen Gatten, Mr. Hetson's. Dieser hatte nämlich meinem Vater mit der aufopferndsten Uneigennützigkeit verschiedene Dienste geleistet. Wir lernten ihn dabei Alle als einen so wackern und edlen Mann kennen, daß wir ihn lieb gewinnen mußten und ich endlich seiner Bewerbung um meine Hand nachgab. Er war unendlich glücklich und trug mich auf den Händen - ja, thut es noch, und ich durfte an seiner wahren Liebe keinen Augenblick zweifeln.

„So kam unser Hochzeitstag heran. - Wir sollten im Hause des amerikanischen Consuls getraut werden, und eben im Begriff einzusteigen, um dorthin zu fahren, bekam mein Vater noch Depeschen von Europa, die er natürlich bis nach dem Schluß der feierlichen Handlung liegen ließ."

Mrs. Hetson schwieg einen Augenblick, als ob sie erst Kräfte sammeln müsse, die Erinnerung an jene Zeit noch /24/ einmal durchzuleben; als sie der Arzt aber mit keinem Worte unterbrach, fuhr sie endlich nach kurzer Pause langsam fort:

„Als wir nach Haus zurückkehrten, wo meine Eltern ein kleines Fest für uns arrangirt hatten, fand ich auch einen Brief für mich vor, und ein eigenes Zittern durchlief schon bei dem Anblick der Aufschrift meinen ganzen Körper. - Ich will Sie aber nicht mit dem ermüden, was ich empfand und litt, sondern Ihnen nur einfach die Thatsachen mittheilen. Der Brief war von Charles -"

„Von wem?"

„Von meinem früheren Bräutigam," flüsterte die Frau. „Nach dem Schiffbruch seines eigenen Fahrzeugs von einem amerikanischen Schooner gerettet, hatte diesen der in jener Nacht und die nächsten Tage tobende Nord-Ost-Sturm verhindert, ihn an Land zu setzen. Bald ließen sie Europa hinter sich, und Charles war gezwungen, die Reise nach Brasilien, wohin der Schooner bestimmt war, mitzumachen. Dort warf ihn ein hitziges Fieber Monate lang aus das Krankenlager; schon bewußtlos wurde er an Land und in ein Spital geschafft, und als er wieder zu sich kam und an uns nach England schrieb - erhielt er von dort keine Antwort mehr. Wir waren indessen abgereist - ja hatten eine volle Woche in einer und derselben Stadt, in Rio de Janeiro, zugebracht, ohne von seinem Leben eine Ahnung zu haben. So wie er sich aber erholt, reiste er selber nach England, erfuhr unsern Aufenthaltsort und schrieb nach Buenos Ayres. Aber auch der Brief verfehlte uns, da wir indessen nach Valparaiso übergesiedelt waren, und erst als er nach langer Zeit zufällig in England unsern neuen Aufenthaltsort erfahren, schrieb er auf's Neue, schrieb von seinem Leben - von seiner Liebe - und daß er dem Briefe auf dem Fuße folgen würde."

„Und weiß Mr. Hetson von dem Briefe?" frug der Arzt.

„Ja," sagte die Frau. „Ich war sein Weib - ich fühlte, daß ich kein Geheimniß - kein solches Geheimniß vor ihm haben dürfe, wenn nicht unser ganzes künftiges Lebensglück gefährdet sein sollte, und beschloß, wahr gegen ihn zu sein. Eine Verbindung mit Charles war ja doch unmöglich geworden - ich gehörte meinem Gatten an und hoffte, er würde mir /25/ genug vertrauen, meinen Versicherungen auch zu glauben.

An dem nämlichen Abend konnte ich freilich keinen Muth zu dem Schritt fassen; aber am nächsten Morgen gestand ich meinem Gatten Alles, zeigte ihm den Brief und versicherte ihm, daß ich Charles zwar früher geliebt, aber auch fest entschlossen sei, jede, selbst briefliche Verbindung mit ihm abzubrechen. Das nächste Postschiff sollte den Scheidebrief an ihn mitnehmen, in dem ich ihm das Geschehene auseinandersetzte und ihn bat, sich wie ein Mann in das nun einmal Unabänderliche zu fügen."

„Und wie nahm Ihr Mann das Geständniß auf?" frug der Arzt leise.

„Im Anfang so ruhig und vernünftig, wie ich nur hoffen und erwarten konnte," erwiderte die Frau. „Er dankte mir auf das Herzlichste für das Vertrauen, das ich in ihn gesetzt, bedauerte den Unglücklichen, der durch eine solche Reihe von Unglücksfällen um meinen Besitz gebracht sei, und bat mich selber, ihm so rasch und ausführlich als möglich zu schreiben. Nur wenn er Alles wußte, lernte er am leichtesten entsagen.

„Augenblicklich schrieb ich den Brief, den ich Hetson zu lesen gab. Er war vollkommen damit einverstanden, und die nächste Post nahm ihn nach England mit; aber selbst von dem Tage an bemächtigte sich meines Gatten eine eigene Unruhe. Wieder und wieder las er Charles' Zeilen, der mir allerdings geschrieben, daß er keine Antwort abwarten, sondern seinem Briefe mit dem nächsten Schiffe folgen würde. Vergebens gab ich ihm die Versicherung, daß ich ihn, wenn er selbst nach Valparaiso käme, nicht sehen wolle und fest überzeugt wäre, er würde das Land augenblicklich wieder verlassen, sobald er erfuhr, was indessen hier geschehen war. Es blieb Alles umsonst. Tag und Nacht ließ es ihm keine Rast; der Gedanke, daß Charles kommen und mich zurückfordern werde - so wild und unwahrscheinlich auch immer - bemächtigte sich mit jeder Stunde mehr seiner Seele, und in einem reinen Ausbruch von Verzweiflung bat er mich endlich, mit ihm in ein anderes Land zu fliehen, denn er sei nicht mehr im Stande, diese stete, ihn aufreibende Angst zu ertragen.

„Ich willigte endlich ein. Mein Vater, dem ich Alles ge-/26/standen, redete mir selber zu, den Wunsch meines Mannes zu erfüllen, und da gerade Ihr Schiff, nach San Francisco bestimmt, in Valparaiso anlegte, beschloß Mr. Hetson die Gelegenheit ohne Weiteres zu benutzen. Unsere Vorbereitungen waren auch bald getroffen, nur wußte ich nicht, weshalb Mr. Hetson dieselben so geheim betrieb. Endlich gestand er mir, er fürchte, daß uns mein früherer Bräutigam selber nach Kalifornien folgen würde, und habe deshalb beschlossen, ihn von unserer Fährte abzubringen. Ein anderes Schiff lag nämlich gleichzeitig, nach Sidney in Australien bestimmt, im Hafen von Valparaiso, und ein Brief, der für Charles zurückbleiben sollte, enthielt die Meldung, daß wir uns nach Neu-Holland eingeschifft hätten.

„Vergebens bat ich Hetson, bei der Wahrheit zu bleiben und sich fest darauf zu verlassen, daß Charles seine Ruhe nie versuchen würde zu stören. Schon die Bitte allein erweckte sein Mißtrauen, seine Eifersucht. Er fing an zu glauben, daß mir daran liege, ihm ein Zeichen zu hinterlassen, wohin wir uns gewendet, und überwachte jeden meiner Schritte, ja selbst meine Blicke auf das Aengstlichste, so lange wir uns noch an Land befanden. Meine Eltern beschwor er dabei bei Allem, was ihnen heilig sei, dem Ankommenden unsern wahren Aufenthalt nicht zu verrathen, und befand sich auch fortwährend in einer solchen Aufregung, daß ich zuletzt selber den Augenblick herbeisehnte, in dem wir Chile verlassen würden. Hoffte ich doch, daß sich dann seine Unruhe legen, seine unglückliche Angst beschwichtigt werden würde."

„Aber das hat sich nicht erfüllt?" sagte theilnehmend der Arzt.

„Nein," seufzte die Frau; „es ist im Gegentheil, seit wir das Land in Sicht haben, noch mit vermehrter Stärke wieder ausgebrochen. Hatte er doch schon in den ersten Tagen unserer Reise die unglückselige und fixe Idee, daß sich Charles heimlich mit an Bord geschlichen habe. Erst als er sich vom Gegentheil fest und unleugbar überzeugt, wurde er ruhiger; mit dem Land aber vor sich, mit den fremden Schiffen in Sicht, scheint die alte Angst nur stärker wiederzukehren. Auf jedem Fahrzeug, das den Eingang zur San Francisco-Bai /27/ sucht, fürchtet er den Mann, den er für seinen Nebenbuhler hält. Er zittert sogar schon vor dem Betreten des fremden Bodens, den Jener vor uns erreicht haben könnte, und ich selber bin über diesen Zustand des Unglücklichen, der nahe an Wahnsinn grenzt, in Verzweiflung. Deshalb, verehrter Herr, drängte es mich auch, mein Herz einmal gegen irgend Jemanden auszuschütten, und wem hätte ich da eher vertrauen können, wie gerade Ihnen?"

„Ihr Vertrauen soll Sie da nicht getäuscht haben, verehrte Frau," sagte der alte Mann gerührt, „aber ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen da jetzt beistehen kann. Ihr Gatte hat einmal diese unglückliche fixe Idee gefaßt, und mit äußeren Mitteln ist da nichts zu bessern."

„Wenn man ihm nur die Kunde bringen könnte," seufzte die Frau, „daß - Jener wirklich nach Australien gegangen sei."

„Um Gottes willen nicht," rief der Arzt schnell, „dann würde er erst die Gewißheit haben, daß er Sie wirklich verfolge, und nie im Leben mehr Ruh' und Rast finden. Von Australien kommen überdies, wie ich gehört habe, sehr häufig Schiffe in San Francisco an, und jedes von diesen würde seiner Unruhe neue, und dann gerechtfertigte Nahrung geben."

„Aber was soll, was kann ich da thun? Wie wird das überdies enden," frug verzweifelnd die Frau, „wenn diese fixe Idee mehr und mehr überhand nimmt? Schon jetzt ist sein Körper dieser ununterbrochenen Aufregung fast erlegen."

„Fahren Sie vor allen Dingen fort," sagte der alte Mann, „wahr und aufrichtig gegen Ihren Gatten zu sein. Der geringste Widerspruch, auf dem er Sie beträfe, könnte und müßte das Uebel nur verschlimmern. Geben Sie ihm dagegen nicht den geringsten Anlaß zu Verdacht, und hört er nichts mehr von dem vermeintlichen Nebenbuhler, so ist die Zeit sein bester Arzt und wird ihn bald vollkommen wiederherstellen."

„Aber wenn nicht?" frug, ängstlich die Hände gefaltet, die Frau - „wenn in dem fremden Lande diese entsetzlichen Träume stärker und stärker würden?"

„Vertrauen Sie auf Gott," unterbrach sie ernst der alte Mann, „und bedenken Sie vor allen Dingen, daß Sie durch solche ängstliche Phantasien Ihre eigene Gesundheit muth-/28/willig untergraben. Haben Sie guten Muth; das neue rege Leben da drüben wird den besten und heilsamsten Einfluß auf Ihren Gatten ausüben. Jetzt in das enge Schiff einge¬schlossen, Tag für Tag ohne jede Beschäftigung, nur immer auf die gewohnte Umgebung angewiesen, deren man ohnedies müde wird, ist es kein Wunder, daß er sich solchen unglück¬lichen Ideen mit doppelter Schärfe hingegeben. Erst einmal von dem praktischen californischen Leben, von all' dem Drängen und Ringen nach Gold und Schätzen umrauscht, wird und muß er seine trüben Gedanken bald vergessen."

„Ich will es hoffen," seufzte die Frau aus tiefstem Herzen, „ich selber will ja gern Alles thun, was in meinen Kräften steht, ihn aufzuheitern und zu zerstreuen - wenn nur sein Geist nicht schon gelitten hat."

„Ich fürchte das nicht," sagte freundlich der Arzt. „Geben (sie sich nur nicht selber solchen gefährlichen Träumen hin, dann wird schon Alles gut werden. Uebrigens kenne ich nun sein Leiden, und sollten Sie in San Francisco meiner Hülfe bedürfen, so seien Sie versichert, daß ich Ihnen treu und redlich zur Seite stehen werde."

„Das lohne Ihnen Gott," sagte die Frau und ergriff zitternd seine Hand; der alte Herr bot ihr aber freundlich den Arm und geleitete sie zu der in die Kajüte hinabführenden Treppe, wo er sie verließ, um an Deck zurückzukehren.

2.

Das „goldene Thor".

Sonnen und klar brach der nächste Morgen an. Kaum aber warf der erste Dämmerschein seinen mattgrauen Strahl über die ruhig wogende See, als das Deck der Leontine schon von Passagieren wimmelte, denn „Da liegt das /29/ Land! Dort liegt Califonium!" (wie es die Leute wunderbarer Weise nannten) schoß wie ein Lauffeuer durch das ganze Zwischendeck.

Der Capitain hatte nämlich die erste Hälfte der Nacht vom Land soviel als möglich abgehalten; nach acht Glasen aber (um Mitternacht) ließ er die oberen Segel einnehmen, um nicht zu viel Fortgang zn machen, und segelte gerade wieder auf die Küste los, um mit vollem Tag derselben nahe zu sein. Bei dem ruhigen Wetter hatte er auch nichts für sein Schiff zu fürchten und lag mit anbrechendem Morgen kaum zwei englische Meilen von der Küste entfernt, die er jetzt, die Brandung voll und deutlich in Sicht, nach Norden auflief.

Acht verschiedene andere Fahrzeuge konnten sie dabei um sich her zählen; einige noch weiter südlich, andere oben mehr nach Norden, und einzelne noch weit draußen in See, die Küste jetzt ebenfalls anlaufend, und keins von diesen schien mehr von der Einfahrt zu wissen wie sie selber.

„Hallo!" schrie da plötzlich der Obersteuermann, der oben in die Marsen gestiegen war, einen besseren Ueberblick zu gewinnen, und deutete mit dem Arm hinüber nach der schroffen Felsenküste, „was ist das da drüben?"

„Wo?" rief der Capitain, der mit dem Fernglas in der Hand auf dem Quarterdeck stand, indem er das Teleskop auszog und hinüberrichtete - „was giebt es dort?"

„Ein Segel, so wahr ich lebe, das gerade aus dem Felsen herauskommt," rief aber der Seemann fröhlich zurück - „dort muß die Einfahrt sein. Sehen Sie da drüben den flachen Felsenkegel, Capitain, mit scharf ausgezackter Wand daneben?"

„Ich hab's!" rief der Capitain zurück, und der Steuermann ergriff eine der ihm nächsten Pardunen, an der er blitzesschnell an Deck hinunterglitt. Aber langes Schauen war nicht mehr nöthig. Der Capitain hatte mit seinem guten Fernrohr bald die schmale Felsschlucht ausgemittelt, aus der heraus gerade jetzt das Helle Segel sichtbar wurde, und im Nu flogen die Raaen herum und strebte der eigene Bug der ersehnten und lange gesuchten Einfahrt entgegen. Kaum weniger aufmerksam waren aber die übrigen Fahrzeuge gewesen, denn wie sie nur die veränderte Richtung der Leontine /30/ sahen, die nicht ohne Grund so gerade auf die schroffe Felsenküste lossteuern konnte, änderten sie sämmtlich ihren Cours. Vielleicht hatten sie dabei ebenfalls das kleine Segel bemerkt; sie mußten aber jedenfalls dort die Einfahrt vermuthen und - hatten sich auch in der That nicht geirrt. Je näher sie der Küste kamen, je deutlicher erkannten sie, daß sich dort die schroffen Felsen von einander trennten und einen schmalen, kanalartigen Eingang bildeten. - Gerade in dem Augenblick kam noch eine amerikanische Brig heraus, und sie wußten nun, daß sie wirklich vor dem sogenannten golden gate oder „goldenen Thore" Kaliforniens lagen.

Das war ein Jubel an Bord, wie sich die Passagiere plötzlich ihrem Ziel so nahe sahen. Alles drängte nach vorn, das so lang ersehnte Ufer endlich begrüßen zu können, oder doch wenigstens zu den hohen kahlen Felsen empor zu starren, die rechts und links die Einfahrt bezeichneten. Zwischen den Passagieren hindurch aber, die heute überall im Wege standen, schoben und preßten die Matrosen, fluchend und wetternd, und, wo dies nicht genügte, auch wohl ohne besondere Umstände die Fäuste gebrauchend, bis sie sich Raum für ihre nothwendigsten Arbeiten erzwangen.

- Jetzt, wie mit einem Zauberschlag, klafften die beiden schroffen Felsenwände zurück, während das Fahrzeug, von Wind und Fluth begünstigt, rasch durch die enge Straße schoß, und weit voraus öffnete sich das herrliche, großartige Wasserbecken der Bai von San Francisco, an dessen rechter Seite, nur noch von einer vorspringenden Landzunge geschützt, sie schon den Mastenwald der dort ankernden Schiffe erkennen konnten. Das war ein Drängen und Fragen und Jubeln und Laufen an Bord, denn wunderbar rasch entfaltete sich mehr und mehr das eigenthümliche Leben der Bai vor ihren Augen; aber zum Antworten hatte Niemand Zeit oder Lust. Jeder wollte nur sehen - genießen, und achtete schon des Gegenwärtigen nicht mehr, denn gerad' voraus enthüllte sich mit jeder Schiffslänge mehr das eigentliche Ziel der langen Fahrt, die Hauptstadt ihrer goldenen Träume: San Francisco.

Noch hatten sie erst einzelne zerstreute Häuser und Zelte auf den dort nächsten Hängen erkannt; plötzlich aber, die /31/ Spitze der Landzunge umfahrend, lag die wunderlichste Stadt der Erde in ihrer ganzen Ausdehnung, vorn von Hunderten von abgetakelten Schiffen, im Hintergründe von kahlen Bergen umschlossen, vor ihnen da. Der eigene niederrasselnde Anker - die herrlichste Musik nach so langer Fahrt - brachte sie auch erst wieder zu sich selber und kündete den Passagieren, daß ihr passives Leben, dem sie sich fast ein halbes Jahr gezwungen hingegeben, jetzt einem thätigen, selbstständigen Raum machen müsse.

Der Anker faßte - das Hintertheil ihres Fahrzeugs schwang herum, den Bug der Einfahrt wieder zugekehrt, und zu gleicher Zeit fielen die Raaen und flatterten die gelösten Segel und kletterten die Matrosen nach oben, die in der scharfen Brise auswehende Leinwand fest zu beschlagen. Das Manöver aber, das zu jeder andern Zeit die Aufmerksamkeit der Passagiere gefesselt haben würde, blieb in diesem Augenblick von ihnen vollkommen unbeachtet. Da draußen war mehr zu sehen, als ihnen ihr eigenes Schiff und dessen Regierung bieten konnte, und wer von ihnen gerade nicht damit beschäftigt war, sein eigenes Gepäck zusammenzuraffen, hing gewiß an der Schanzkleidung und schaute hinüber nach dem lärmenden Leben und Treiben der Bai.

Dicht neben der Leontine, d. h. vielleicht zweihundert Schritte davon entfernt, lag eine Bremer Barke, die gleichfalls eben, oder doch vor ganz kurzer Zeit eingekommen schien; sie hatte wenigstens ein flachbodiges Boot langseits, in das die Seeleute die Güter der Passagiere hinabließen. Das Lichterfahrzeug war auch geräumig genug, eine ziemlich schwere Last und eine Anzahl von Menschen zu fassen. Kisten und Kasten, Ballen, Fässer, Koffer und Hutschachteln standen schon in Masse darin weggestaut, und die wunderlichste menschliche Fracht hütete überdies dabei ihr Eigenthum und wartete auf den Moment des Abstoßens.

Fast Alle waren bis an die Zähne bewaffnet mit Flinten, Pistolen, Säbeln und Dolchen; ganze Bündel Spaten, Spitzhacken und Brecheisen lagen ebenfalls in dem Boot aufgeschichtet, und ein paar matrosenähnliche Burschen mit rothen chinesischen Schärpen und Strohhüten auf - aber ohne /32/ Dolche und Pistolen - schienen die Führer des californischen Bootes zu sein.

„Alle an Bord?" rief jetzt der Steuermann der Bremer Barke vom Deck hinunter.

„Alle - Gott sei Dank, daß wir Euer nichtsnutziges Schiff hinter uns haben!" schrie einer der Passagiere.

„Ihr werdet froh sein, wenn Ihr hier trocken Brod zu kauen habt!" rief da der Capitain von seinem Quarterdeck aus.

„Und das wird uns gut schmecken, wenn wir Eure Fratze nicht mehr dabei anzusehen haben, Capitain Meier," lautete die wenig schmeichelhafte Antwort.

„Werft die Falle da los!" tönte der Ruf des Steuermanns über Deck - „na, was heißt das? - was schleppt Ihr das Boot noch weiter nach vorn? Hinunter mit den Tauen!"

„Ja woll, Stürmann!" lachte einer der Matrosen - „Alles in Ordnung! - soll gleich besorgt sein!"

„Halt! - was werft Ihr da noch hinunter?" schrie der Steuermann plötzlich, als sechs oder acht weißleinene, festgeschnürte Säcke in das Boot hinabflogen. „Was ist das? - was geht da vor?"

„Nichts, mein Herzchen; nur unsere Garderobe," lautete die Antwort des Matrosen zurück, und wie die Katzen folgten eben so viele der Seeleute ihrem vorangegangenen Eigenthum in das Boot.

„Halt - Donnerwetter, das wird zu viel!" riefen die beiden Eigenthümer erschreckt - „wir sinken!"

„Gott bewahre - Kameraden - stoßt ab! aho ih!" - und sich mit bestem Willen gegen die Seite ihres eigenen Schiffes legend, schoben sie das vierkantige Frachtfahrzeug ein Stück ab und in offenes Wasser hinaus.

„Ihr dürft nicht abstoßen! bleibt hier! - halt! meine Jolle hinunter!" schrie und tobte der Capitain auf seinem Deck herum, denn diese kecke Flucht der eigenen Leute, gerad' unter seinen Augen, war ihm doch außer dem Spaß. Die Bootführer kehrten sich aber entsetzlich wenig an seine Ausrufungen. Erstlich bekamen sie von jedem Kopf, den sie mehr hinüberbrachten, einen Dollar extra, und dann waren es /33/ ebenfalls weggelaufene Matrosen, die andere Kameraden nicht so leicht im Stiche ließen. Freilich führten sie nur zwei Ruder, und das Boot ging so schwer im Wasser, daß sie entsetzlich langsam damit fortrücken konnten, aber das Land war auch nicht weit entfernt, und das erst einmal erreicht, und alle Capitaine der Bai hätten sie nicht wieder holen können.

Capitain Meier gedachte indessen nicht, sie bis an Land zu lassen, und hoffte noch immer genug von seiner Autorität über die Leute, sie vorher zurück und aus dem Boote zu holen.

Rasch sank die schon bereitgehaltene Jolle auf's Wasser nieder, und mit seinen beiden Steuerleuten, wie dem Zimmermann und Koch, setzte er den Flüchtigen nach, die er auch bald eingeholt hatte. Das viereckige kastenartige Fahrzeug war gerade vor dem Bug der Leontine vorübergefahren, und zwar so dicht, daß das eine Ruder die angespannte Ankerkette streifte, als die leichtgebaute Jolle heranschoß und der Capitain seine Leute barsch herüber und zu sich an Bord beorderte. Sein Empfang dort lautete aber nicht ermunternd.

„Komm herüber und hol' uns, mein Schatz!" riefen ihm die Matrosen höhnend zu, während die Passagiere ihren bisherigen Schiffsführer mit Schmähungen überhäuften. Alle nur erdenklichen Schimpfwörter wurden gegen ihn geschleudert und selbst dabei blieb es nicht, denn Stücken Zwieback flogen gegen ihn an, und mit den Blechbechern schöpften Einige Wasser und gossen es nach ihm.

Mit Gewalt war da nichts auszurichten, so viel sah Capitain Meier endlich ein, und den Bug seines Bootes herumwerfend, hielt er, so rasch er konnte, der nächsten Landung zu, wahrscheinlich um gerichtliche Hülfe in Anspruch zu nehmen. War das übrigens seine Absicht gewesen, so kam er damit zu spät, denn das Lichterboot gelangte bald darauf an eine Stelle, wo es die Matrosen bequem an Land setzen konnte. Diese schulterten dort ihre Säcke, zahlten ihr Ueberfahrtsgeld und waren im nächsten Augenblick in dem Gewühl am Ufer verschwunden, wahrend das Boot jetzt langsam dem gewöhnlichen Landungsplatz entgegenruderte. /34/

Der Capitain der Leontine schien einmal nicht übel Lust zu haben, seinem Kollegen zu Hülfe zu eilen, besann sich aber doch wieder eines Besseren und mischte sich nicht in fremde Händel, deren günstiges Resultat immer nur höchst zweifelhaft geblieben wäre.

Die Passagiere und besonders die Matrosen hatten übrigens dieser Scene mit außerordentlichem Interesse zugeschaut, und wie auf gemeinschaftliche Verabredung stockten, so lange sie dauerte, alle Arbeiten. Der Capitain selbst vergaß ganz, daß sich die eigenen Leute doch am Ende ein Beispiel daran nehmen könnten, und nur erst als die Deserteure an Land und jubelnd den Abhang hinaufsprangen, rief er seine Mannschaft mit lauter und barscher Stimme an ihre Arbeit zurück. Dadurch wurden die Passagiere aber ebenfalls gemahnt, daß sie hier ihre Zeit nutzlos vergeudeten. Dort drüben lag Kalifornien, und Alles drängte und schrie durcheinander nach einem Boot, das Schiff so rasch als möglich zu verlassen.

So sehr sich nun die Auswanderer bei ihrer Landung in Nordamerika oder Australien scheuen, das Schiff gleich die ersten Tage zu verlassen, weil sie doch gern erst einmal recognosciren und den Boden kennen lernen wollen, auf dem sie ihre neue Heimath gründen sollen; so rücksichtslos suchte jetzt hier Alles nur Land - nur Boden zu gewinnen, dem man eben mit Spaten und Spitzhacke beikommen konnte. - Daß dort Gold lag, verstand sich von selbst. In diesem nach Außendrängen der Masse konnte sich aber der Einzelne natürlich nicht um den Einzelnen bekümmern. So geschah es denn auch, daß die Frau Siebert, der man bis dahin jede Freundlichkeit erwiesen, unbeachtet und allein mit ihren drei Kindern an Deck stand, und mit klopfendem Herzen über die Bai hinausschaute, auf der sie jeden Augenblick das nahende Boot ihres Gatten erwartete. Das geankerte Schiff zeigte schon lange die Hamburger Flagge; - er wußte, daß sie mit einem solchen in dieser Zeit eintreffen mußte, und hatte gewiß schon Wochen lang auf sie und die Kinder gehofft - ja ohnedies auch in seinem Briefe fest versprochen, sie gleich von Bord abzuholen, - und doch kam er nicht.

Nur der alte Assessor Möhler war bei ihr geblieben. Ein/35/mal fürchtete er, daß das Jüngste, bei der Aufregung der Mutter und in der allgemeinen Verwirrung, vielleicht doch am Ende zu Schaden kommen könne, und dann sagte ihm auch wohl ein unbestimmtes, eben nicht ermuthigendes Gefühl, daß er immer noch früh genug jenes fabelhafte Land betreten würde. So, indem er Schutz gab, suchte er auch wieder zugleich Schutz unter den Fittigen der Frau, und glaubte die Bekanntschaft des reichen Californiers unter keinen besseren Umständen machen zu können, als wenn er ihm die gewiß sehnlichst erwartete Familie gesund und wohl überliefere.

Eine Menge kleiner Boote kreuzten herüber und hinüber zwischen den verschiedenen Schiffen und dem Land - oft dicht an ihrem eigenen Fahrzeug vorüber. Angerufen aber schüttelten die Rudernden stets mit dem Kopfe, oder antworteten auch gar nicht - sie hatten irgend ein anderes Ziel - was kümmerten sie die Neuankommenden, denen Schiff auf Schiff folgte. Nur ein paar leere Boote, von einzelnen Männern gerudert, legten langseit, Passagiere mit hinüber zu nehmen. Es waren Amerikaner, die mit ihren eigenen Booten auf solche Art ihren Lebensunterhalt verdienten, und die Passagiere wunderten sich darüber, solche Leute hier noch zu finden. Warum waren die nicht oben in den Minen und gruben Gold?

Mr. Hetson, der, seit sie die Einfahrt des goldenen Thores passirt, das Deck noch keinen Augenblick verlassen hatte, rief eins dieser Boote an, und miethete es zu einem enormen Preis für sich und seine Frau und sein Gepäck. Andere wurden von den übrigen Kajüten-Passagieren in Beschlag genommen, und mehrere Stunden mochten vergangen sein, ehe dasselbe viereckige und kastenähnliche Fahrzeug, das früher von der Bremer Barke den Matrosen zur Flucht verholfen, wieder zwischen den Schiffen sichtbar wurde und auf sie zuhielt.

Der Capitain der Leontine war indessen schon lange mit seiner eigenen Jolle an Land gefahren, und der Steuermann wollte das gutgemerkte Fahrzeug nicht an seinen Bord legen lassen. Die Passagiere aber, denen das Deck unter den Füßen brannte, sammelten sich in Masse gegen den Seemann, und drohten ihn über Bord zu werfen, wenn er ihnen verbieten wolle, /36/ das Schiff zu verlassen. Das Lichterfahrzeug nahm übrigens nicht die geringste Notiz von den drohend hinübergerufenen Worten des Officiers. Einzelne der Passagiere, während sich die Matrosen vollkommen unthätig dabei verhielten, warfen ihnen dabei ein Tau hinunter, und Alle, die ihr Gepäck schon bereit hatten, reichten ihre Kisten und Kasten hinab, und sprangen nach, so rasch sie irgend konnten. - Nur die Frau Siebert blieb theilnahmlos bei dem Allen stehen und schien blos Augen für die Ufer, blos für die anfahrenden Boote zu haben, um wieder und immer wieder getäuscht zu werden. Der alte Assessor aber redete ihr fortwährend Trost ein und bat sie, ja nicht ungeduldig zu werden. In dem Wirrwarr, der dort am Ufer zu herrschen scheine, habe Herr Siebert rechr gut die Ankunft ihres Schiffes übersehen können, oder wenn er darauf gewartet, so hätte er auch die übrige kleine Flotte, die ihnen gefolgt sei, bemerken müssen. Noch eine Hamburger und eine Bremer Flagge wehe von deren Masten, und es wäre sehr leicht möglich, daß er erst nach den beiden anderen deutschen Schiffen - leider den falschen - hinübergefahren sei, ehe er an Bord käme, seine Frau und Kinder hier zu finden. Die Frau nickte schweigend mit dem Kopf; so zuversichtlich sie aber bis jetzt aufgetreten war, ein so beengendes Gefühl hatte sich jetzt ihrer bemächtigt, denn gar so einsam, gar so verlassen kam sie sich in dem fremden Land vor. Sie wußte wohl recht gut, daß das nur aus ein paar Stunden sein konnte, aber sie hatte sich den Empfang doch ganz anders gedacht und ausgemalt - hatte gehofft, daß ihr Mann noch an Bord springen würde, so lange alle Passagiere versammelt waren, sie dann im Triumph an Land zu führen, und jetzt - ein Boot nach dem andern glitt an ihnen vorüber, und keins von allen trug den so heiß Erwarteten.

Der Eigenthümer des viereckigen Lichterbootes war mit an Bord gekommen und lehnte an der Schanzkleidung, das Einladen seiner Fracht zu überwachen. Was an Bord übrigens vorging, schien ihn nicht im Mindesten zu interessiren, denn er hatte nur Augen für die aus seinem Boot eingestauten Güter. Der Assessor stand kaum zwei Schritte von ihm entfernt, aber der Bootsmann drehte ihm den Rücken /37/ zu und überhörte auch ein paar höflich und leise an ihn gerichtete Fragen des alten Mannes. Wer von ihm etwas erfahren wollte, mußte laut sprechen.

„Heda - Hans!" rief er da plötzlich in deutscher Sprache dem Einen der unten beschäftigten Leute zu - „Donnerslag, pack' nich Alles da hinüber zu Stürbord. Du willst uns woll den Kasten umdrehn?"

„Aber die Passagiere! -" rief der Mann zurück.

„Die mögen sehn, wo sie Platz finden," lautete die Antwort, „hierüber damit, Junge, wir können ja auch sonst das eine Ruder gar nicht führen."

„Verzeihen Sie," faßte sich der Assessor da ein Herz, als er den Mann deutsch sprechen hörte, indem er dem über Bord Gelehnten leicht und schüchtern auf die breiten Schultern klopfte. -

„Ja!" sagte der Seemann und drehte den Kopf nach ihm um.

„Kennen Sie einen gewissen Herrn Siebert hier in Californien?" frug jetzt der Assessor, fest entschlossen, der fraglichen Sache ernst zu Leibe zu rücken. Die Frau horchte auf, als sie den Namen hörte.

„Ja, mein guter Mann," antwortete aber der Bootseigenthümer, seine Aufmerksamkeit wieder dem eigenen Fahrzeug zuwendend, „Californien ist groß, und in dem mögen schon eine gute Portion Sieberts herumlaufen. Einen Gottlieb Siebert hab' ich hier übrigens gekannt, wenn es der sein soll.“

„Gottlieb heißt mein Mann!" rief da die Frau, indem sie rasch ans den Bootführer zutrat, „kennt Ihr den, guter Freund, und ist er in San Francisco?"

„Hm," sagte der Mann und drehte sich nach ihr um - „Jhr seid seine Frau? - ja ich weiß - er hat sie von Deutschland erwartet."

„Ist er in San Francisco?" bat die Frau. -

„Wenigstens nicht weit davon," murmelte der Deutsche leise vor sich hin und spuckte seinen Tabakssaft über Bord – „thut mir leid, Madame, den - haben wir aber vorgestern begraben.“ /38/ „Begraben?" schrie die Frau und faßte in Todesangst den Arm des Mannes, der ihr die furchtbare Kunde mitgetheilt. Selbst der Assessor setzte das kleinste Kind, das er bis dahin auf dem Arm gehalten, rasch an Deck nieder, denn er fürchtete, daß er es fallen ließe - so war ihm der Schreck in die Glieder gefahren. Der Deutsche nickte aber mit dem Kopfe und sagte:

„Ja - thut mir leid, aber - erfahren hättet Ihr's doch müssen, und so ist's vielleicht besser, Ihr hört es gleich vom Anfang an. Er ist an einer Art Ruhr gestorben, und die Sache muß entsetzlich schnell gegangen sein, denn Abends waren wir noch zusammen, und am Morgen lag er in seinem Bette todt."

Die Frau Siebert war in die Kniee gesunken und barg das Gesicht in den Händen, und einzelne der Passagiere drängten herbei, zu hören, was vorgefallen.

„Siebert ist todt!" ging da die Kunde von Mund zu Mund - „na, das ist eine schöne Geschichte - die arme Frau, die sitzt jetzt da. Und was ist aus seinem Gold geworden?"

Der Deutsche zuckte die Achseln.

„'s ist eine böse Wirthschaft hier in dem Californien," meinte er. „Es sollte mir lieb sein, wenn die Frau noch 'was davon vorfände, aber - es sind schon zwei Tage her. Na, fragt da 'nmal in Nergel's deutschem Boarding-Haus an - halt da, Hans - nimm nichts mehr ein - wir haben genug. Was jetzt nicht mit kann, muß bis zur nächsten Fuhre bleiben. Hinunter mit Euch - jeder Mutter Sohn, der an Land will. - Wir stoßen jetzt ab, und wer nicht drin ist, bleibt zurück!"

Der Mann schwang sich dabei auf die Schanzkleidung und hinüber, und wollte eben nach unten gleiten, als der Assessor noch einmal seinen Arm ergriff.

„Wie hieß das Haus, das Sie uns nannten, in dem Herr Siebert gewohnt hat?" frug er rasch und ängstlich.

„Nergel's Boarding-Haus," lautete die kurze Antwort - „in Pacific Street" - und im nächsten Augenblick war er unten bei seinen Leuten. Ihm nach drängten die Passagiere; /39/ die, die ihre Sachen schon unten hatten, um nicht zurückgelassen zu werden, die übrigen ein anderes, ähnliches Boot herbeizuwinken, das gerade nicht weit von dort vorüberfuhr und dem Rufe Folge leistete. - Kreuzte es doch nur eben zu dem Zweck in der Bai umher, Passagiere und Güter von den frisch einlaufenden Schiffen an Land zu befördern. - Um die Frau bekümmerte sich Niemand mehr, und wenn sie auch wohl - wie die Leute meinten: „schlimm daran war, jetzt ohne Mann in Californien da zu sitzen", hatten sie doch zu viel mit sich selber zu thun, um länger über eine Sache nachzudenken, an der sie doch „nichts ändern konnten".

Nur der alte Assessor war zurückgeblieben, und als das zweite Lichterboot von Bord abstieß, kauerte die Frau noch immer mit in den Händen geborgenem Antlitz auf dem Deck, und der alte Mann stand neben ihr, hielt das Jüngste wieder auf dem Arm und zeigte ihm, mit selber blutendem Herzen, die bunte lebendige Bai, das rege, lustige Schaffen und Treiben da draußen - damit es nur nicht mehr so schreien sollte.

3.

Anf kalifornischem Boden.

Auf einer so laugen Seereise, und in einen so engen Raum zusammengedrängt, gewöhnen sich auch natürlich die Passagiere aneinander. Man ißt aus einem Topf, schläft unter einem Deck mitsammen, und wird zuletzt so gewöhnt, sich „guten Morgen" zu sagen, daß man sich ordentlich unbefriedigt fühlt, wenn man nicht mit jedem neuen Tage die verschiedenen Gefährten wieder begrüßt und gesehen hat. Unterwegs werden gewöhnlich Pläne gemacht, daß man nach der Landung sich zusammenhalten, oder, wenn wirklich ent/40/fernt, schreiben wolle - und was geschieht nach der Landung? -

Werft einen Tropfen Quecksilber auf den glatten Boden und seht, was mit ihm geschieht, und so eng eine Schiffsgesellschaft auch an Bord zusammengehalten haben mag: der erste Schritt an Land, noch dazu wenn das Land der Boden eines Golddistricts ist - trennt alle Bande, löst alle Versprechungen und streut die Einzelnen wie Spreu im Winde umher.

Schon auf dem Ueberfahrtsboot existirte keine Gemeinschaft mehr. Jeder hatte auf sein eigenes Gepäck zu sehen, die verschiedenen theils in die, theils in jene Ecke geworfenen Gegenstände zusammenzusuchen, oder wenigstens im Auge zu behalten, und wie das Fahrzeug nur festen Grund berührte, keuchte was immer konnte den ziemlich steilen, staubigen, heißen Hang hinauf, so rasch als möglich in das neue Leben einzutauchen. - Wer dachte hier daran, auch nur den Reisegefährten Lebewohl zu sagen? Fanden sie diese zufällig wieder, desto besser; wo nicht - nun so war hier Kalifornien, und Jeder mußte ja doch zusehen, daß er selber durchkam.

Mr. Hetson hatte mit seiner Frau in dem leichten Boot die Landung schon weit früher erreicht, dort zufällig einen leeren Karren getroffen, der Güter an den Strand geführt, und diesen augenblicklich gemiethet, sein Gepäck in irgend ein Hotel zu schaffen. Der Karren hielt auch bald, durch die bunten Straßen dieser wunderlichen Stadt fahrend, vor einem Mittelding zwischen Zelt und Schuppen, denn die Wand rechts von der Thür bestand aus übereinander genagelten Brettern, die links aus Segeltuch. Ueber dem Eingang aber prangten mit großen schwarzen Buchstaben die Worte „Union Hotel", und er durfte nicht daran zweifeln, den erfragten Platz erreicht zu haben.

Union Hotel - der Verschlag sah eher einer Meßbude ähnlich, in der Merkwürdigkeiten um ein geringes Eintrittsgeld gezeigt werden, als einem Hotel, aber, lieber Gott, in solch' einem neuen Lande durfte man auch nicht hoffen, all' die Bequemlichkeiten des alten Vaterlandes wiederzufinden. Vielleicht hielt auch das Innere mehr, als das Aeußere ver/41/sprach, und Hetson wünschte deshalb vor allen Dingen zu erfahren, ob er hier Aufnahme, und dann ein eigenes Zimmer für sich und seine Frau bekommen könne.

Eine Art Kellner - ein Individuum wenigstens, das in Ermangelung eines Besseren dafür gelten konnte, - war auf des Karrenführers Ruf in der Thür erschienen, und zeigte sich hier auch insofern geschäftig, als es ohne Weiteres einen Koffer und eine Hutschachtel aufpackte und damit im Innern wieder verschwinden wollte.

„Halt!" rief ihm da Hetson nach - „kann ich hier ein eigenes Zimmer bekommen?"

„Eigenes Zimmer? - gewiß," sagte der Kellner - „Nr. 7" und tauchte damit wieder hinter der Leinwand unter. Hetson blieb nichts weiter übrig als ihm zu folgen, um den bezeichneten Platz erst selber einmal in Augenschein zu nehmen. Selbst die geringsten Anforderungen aber, die er an dieses, dem Aeußern nach sehr bescheidene Hotel gestellt, fand er nicht befriedigt. Ein „eigenes Zimmer" zeigte ihm der Kellner allerdings, aber es war das nur ein kleiner Verschlag, eine Art Zeltabtheilung, die einfach durch ein Stück blauen Kattun hergestellt schien. Das ganze Hotel bestand aus acht oder zehn solchen oben offenen Abtheilungen unter dem gemeinschaftlichen Dach, jenen engen Gefachen nicht unähnlich, deren man sich in Badeanstalten zum Aus- und Anziehen bedient.

Das mochte nun allerdings für Männer, und auf kurze Zeit, ein erträglicher Aufenthalt sein; wenigstens ließ sich darin existiren und man konnte es als eine Art Bivouak betrachten. Hier aber eine Dame einzuquartieren, blieb ganz außer der Frage.

Der Karrenführer hatte indessen schon den größten Theil des Gepäcks heruntergegeben, als Mr. Hetson erklärte, hier unter keinen Umständen bleiben zu wollen. Irgend ein passenderer Platz war wohl schon aufzufinden, schlechter wenigstens konnte er ihn nirgends treffen.

Rasch ging er deshalb wieder zu dem Karren hinaus, sich das Fuhrwerk jedenfalls so lange zu sichern, bis er ein ihm genügendes Absteigequartier gefunden habe, und blickte eben ziemlich rathlos die von Menschen wogende Straße auf und ab,/42/ als ein an dem „Hotel" gerad' vorbeikommender Mann vor ihm stehen blieb, ihn einen Augenblick aufmerksam betrachtete und dann ausrief:

„Hetson! bei Allem, was lebt! Kamerad, welcher glückliche Wind hat Dich nach Kalifornien getrieben?"

Der Mann war eine zu auffallende Persönlichkeit, ihn je, wenn einmal gesehen, wieder zu vergessen, und doch konnte sich Hetson, als er überrascht zu ihm aufschaute, seiner nicht erinnern.

Um die hohe kräftige Gestalt hing eine bunte mexikanische Zarape, in derselben Art, wie sie die Spanier und Californier trugen, über die linke Schulter geschlagen; den Kopf deckte ein breitrandiger brauner Filzhut, unter dem die kleinen stechenden schwarzen Augen aus einem Wald von Haupt- und Barthaaren vorschauten. Die Beine staken in schwarzsammetnen, an den Seiten offenen und am Schlitz reich mit silbernen Knöpfen besetzten Hosen, und an den Schuhen klirrten ein Paar schwere mexikanische Sporen von polirter Bronze. Auch die dem jungen Amerikaner entgegengestreckte weiße, fast zarte Hand funkelte von fünf oder sechs steinbesetzten Ringen - aber wer war der Mann?

„Bester Herr," sagte Hetson etwas verlegen, „Sie sind da jedenfalls im Vortheil, denn Sie scheinen mich zu kennen, während ich mich in der That nicht besinnen kann, wo -"

„Hahaha!" unterbrach ihn aber lachend der Bärtige - „hab' ich mich so verändert, daß mich selbst ein alter Kommilitone nicht wiedererkennt? - Du erinnerst Dich wohl gar nicht eines gewissen Bill Siftly, heh?"

„Siftly? - ist es denn möglich!" rief Hetson jetzt erfreut, die noch immer dargebotene Hand ergreifend und schüttelnd, „das ist allerdings ein wunderbares Zusammentreffen. Das Woher? sollst Du mir aber nachher erzählen, jetzt erlaube mir erst, Dir meine Frau hier vorzustellen."

„Deine Frau?" rief der neugefundene Freund verwundert und drehte sich rasch nach der Dame um.

„Gentlemen," unterbrach da der Karrenführer die Unterhaltung, „ich kann mir wohl denken, daß es ganz angenehm sein muß, in diesem blutigen verbrannten Lande einen alten /43/ Bekannten zu treffen. Die Geschichte geht mich aber eigentlich nichts an, und ich kann deshalb nicht ein paar Stunden hier halten und meine Zeit versäumen. Zeit ist hier Geld, und wenn Sie mich nicht mehr haben wollen, so bezahlen Sie mich und ich fahre meiner Wege."

„Was giebt's? - was hast Du?" frug jetzt Siftly rasch, „Du kommst eben an? -"

„Ja - und suche ein Hotel, in dem ich mich und meine Frau einquartieren kann. In dem Neste hier ist es unmöglich."

„Ich sollt's denken," lachte der Andere, „aber ich weiß ein besseres. Dreh' um mein Bursch und fahr' nach dem Parkerhaus."

„Kein Platz mehr," brummte der Fuhrmann, „war schon vorhin mit einer andern Partie dort."

„Ich mache Euch Platz," sagte aber der mit der Zarape vollkommen zuversichtlich, „komm nur mit mir, Hetson, und ich stehe Dir dafür, daß sie Dich aufnehmen. Lad' nur wieder auf, was da liegt, wir sind gleich dort."

Der Mann gehorchte mit ziemlich mürrischem Gesicht. -

„Fehlen noch zwei Stück," sagte er dann, „die der Dings da in das Haus getragen hat."

„Ach ja, ein Koffer und eine Hutschachtel" - rief Hetson - „bitte, Kellner, bringen Sie die beiden Stücke einmal wieder heraus."

„Mit dem größten Vergnügen, mein Herr," erwiderte der Angeredete, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren - „sobald Sie mir die fünf Dollar Miethe für den heutigen Tag entrichtet haben."

„Die Miethe für den heutigen Tag?" rief der junge Amerikaner erstaunt aus - „ich habe noch gar nicht daran gedacht, mich hier einzumiethen "

„Sie haben von dem Zimmer mit Ihrem Gepäck Besitz genommen," sagte achselzuckend der Kellner, „und ich hätte es seit der Zeit schon dreimal wieder vermiethen können. Wenn Ihnen unser Hotel nicht gut genug ist, zahlen Sie wenigstens, was Sie schuldig sind, oder Sie bekommen Ihr Gepäck nicht eher wieder." /44/

„Nun das ist aber doch zu arg," rief Hetson entrüstet, „ich will doch einmal sehen, ob -"

„Zahle um Gottes willen," beschwichtigte ihn jedoch der Andere, „und laß die Gerichte hier in Frieden, wenn Du nicht hundert Dollar für Deine fünf loswerden willst. Du kannst noch froh sein, daß der junge Herr mit der weißen Schürze nicht unverschämt war und zwanzig forderte. - Ich werde Euch empfehlen, Jack," wandte er sich dann an den Kellner, „doch nun schafft die Sachen heraus, denn unser Fuhrmann wird ungeduldig. Ihr sollt Euer Geld bekommen."

Der Bursche nickte nur mit dem Kopfe, verschwand dann in der Thür und kam nach wenigen Minuten mit dem Gepäck zurück. Dieses wurde auf den Karren geworfen, Hetson zahlte, bot seiner Frau den Arm, und wenige Minuten später erreichten sie den Hauptplatz der Stadt, die sogenannte Plaza, und mit ihr das Parkerhaus, ein mehrstöckiges hölzernes Gebäude.

Siftly hielt Wort; der Wirth machte Raum für die beiden Gatten, wenn er ihnen auch nur ein einziges Stübchen anweisen konnte, und Mrs. Hetson fand sich bald, wenn auch nicht gerade wohnlich, doch wenigstens erträglich eingerichtet. Hetson hatte übrigens seinen so zufällig gefundenen alten Universitätsfreund gebeten, unten auf ihn zu warten, da er ihn noch um Einiges fragen wolle, und Siftly ihn zu dem Zweck in den Schenk- und Spielsalon des Hauses bestellt. Als Hetson seine Frau eben in der Eile so gut es gehen wollte eingerichtet, stieg er die schmale Treppe wieder hinab. Aus dem ersten Gange aber schon traf er Doctor Rascher von der Leontine, der eben seine Zimmerthür hinter sich abschloß.

„Ah steh da, Mr. Hetson!" sagte dieser, über das Begegnen sichtlich erfreut - „haben Sie sich ebenfalls hier einquartiert? Das Haus ist wie ein Bienenstock, und Ihre Frau Gemahlin wird eine unruhige Zeit bekommen."

„Ach Doctor," rief Hetson, ihm die Hand entgegenstreckend, „es ist mir lieb, daß wir Sie wenigstens in der Nähe haben. Gedenken Sie in San Francisco zu bleiben?"

„Für's Erste, ja," erwiderte der alte Mann, „dann aber werde ich hinauf in die Berge ziehen, mir das Leben dort einmal mit anzusehen."

„Und Gold zu graben?"

„Nein, das nicht," lächelte der alte Mann gutmüthig, „dazu reichen meine Kräfte doch wohl nicht aus. Aber der Hauptzweck, wegen dessen ich hierhergekommen, ist, die Flora des Landes zu untersuchen. Ich will nicht im Mineralreich, sondern in der Pflanzenwelt meine Schätze sammeln, und glaube kaum, daß ich darin einen Mißgriff machen werde. Sie, mein lieber Mr. Hetson, werden sich wohl auch nach andern Beschäftigung als Spitzhacke und Schaufel umschauen.“

„Wer weiß," lächelte der junge Mann düster vor sich hin - „in den Bergen drin - wenn sie so sind, wie ich sie mir denke, - entgeht man vielleicht mancher unangenehmen, unerwünschten Gesellschaft, die uns hier in der Stadt doch aufgedrungen wird. - Ich habe große Lust in die Minen zu gehen."

„Mit Ihrer Frau?"

„Und warum nicht? Wie ich aus den Zeitungen gesehen habe, sind gar nicht so wenig Frauen in den Bergen, und die Sommermonate über muß der Aufenthalt sogar reizend sein."

„Das überlegen Sie sich doch vorher noch recht reiflich, mein guter Mr. Hetson," sagte aber der alte Mann, bedenklich dabei mit dem Kopfe schüttelnd. „Für einen einzelnen Mann geht es wohl, ja; aber eine so zarte Frau wie die Ihrige hielt es am Ende nicht aus, und Sie machten sich nachher die bittersten Vorwürfe. Gold ist schon ein gut Ding, und wir brauchen es nun einmal zu unserem Leben; aber wir dürfen dagegen nichts noch Kostbareres einsetzen, sonst bleiben wir immer die Verlierer, erbeuteten wir auch noch so viel davon."

„Haben Sie keine Sorge, guter Doctor," sagte der junge Mann, „das Gold hat mich nicht nach Kalifornien geführt, und wird mich also auch nicht verleiten, einen thörichten Streich zu begehen. Also auf Wiedersehen, Doctor. - Sie thun mir aber einen Gefallen, wenn Sie nachher einmal nach meiner Frau sehen, Nr. 57. Ich bleibe vielleicht eine /46/Stunde aus, und sie klagte vorhin über heftigen Kopfschmerz."

„Es wird mir ein Vergnügen sein, Mrs. Hetson auf festem Lande zu begrüßen," sagte der alte Herr, und Hetson sprang mit einer freundlichen Handbewegung die Treppe hinab, seinen Gefährten dort aufzusuchen.

Der Doctor folgte ihm langsam, um unten im Hause noch einige Abänderungen in seinem Zimmer zu verlangen. Die californische Lebensart war ihm noch zu fremd - er hatte die deutschen Gasthöfe noch nicht vergessen. Außerdem sehnte er sich aber auch einmal wieder nach einer kräftigen Mahlzeit von grünem Gemüse und frischem Fleisch, was man auf einer so langen Seereise freilich entbehren muß, und zuletzt oft schmerzlich vermißt.

Der Speisesaal - ein großer, mit einer Menge von Tischen besetzter Raum - war zu dieser Tageszeit noch ziemlich leer. Zwischen Mittag und Abend lag immer eine stille Zeit, die nur von geschäftig hin und her eilenden Kellnern benutzt wurde, die Tische wieder für das Souper in Ordnung zu bringen. Das Schicksal der armen, hier nach Kalifornien geworfenen Dame ging dem alten Mann aber doch im Kopfe herum, und er achtete deshalb weniger auf seine Umgebung, als sonst wohl der Fall gewesen wäre. Leise nickte er dabei vor sich hin, als er der heimlichen Beweggründe gedachte, die den geängstigten Mann in die Minen trieben - und war es denn gar nicht möglich, ihn von diesem Wahn zu heilen?

Der Oberkellner - eine dürre, vertrocknete Gestalt - wie alle Uebrigen in Hemdsärmeln, schneeweißer Wäsche, einer Granattuchnadel und einem ächt französischen, sonngebräunten Gesicht, hatte den einzelnen Gast bemerkt und sandte einen seiner dienstbaren Geister zu ihm, zu fragen, was er verlange. Der Geschickte, ein schlanker junger Mann mit blondem Haar und blauen Augen, einem leichten lichten Schnurrbart und einer, für einen Kellner eben nicht passenden, tiefen Narbe auf der rechten Wange, trat zu dem Fremden, die Serviette unter dem einen Arm, den Speisezettel in der Hand:

,,Anything you want, Sir?"

Der Doctor sah langsam, noch ganz in seine Grübeleien vertieft, auf und starrte verwundert in das lächelnd auf ihm haftende Auge des Kellners.

„Und was bringt Sie nach Califormen, Doctor? lachte dieser endlich, indem er dem Doctor die Hand entgegenstreckte.

„Baron Lanzot?" rief der Doctor aber, in vollem Erstaunen von seinem Sitz emporspringend - „guter Gott, spielen Sie Komödie?"

„Wenn Sie wollen - ja," lautete die leichtherzige Antwort des jungen Edelmanns, indem er des Doctors Hand ergriff und schüttelte. „Für zweihundert Dollar per Monat spiel' ich eine kurze Zeit Marqueurs-Rollen, anstatt einem Phantom in den Minen nachzulaufen - dem Phantom des Millionärs."

„Aber um Gottes willen, Baron, wenn das Ihre Eltern erführen - Ihre Mutter grämte sich zu Tode."

„Ich halte sie für eine weit vernünftigere Frau, Doctor. Sie wird mich lieber hier mein Brod in ehrlicher Weise verdienen sehen, als daß ich müßig ginge und vielleicht Schulden machte. Wir, die uns das Schicksal an diese Küste geworfen, arbeiten nun Alle einmal für unser Leben, und während ich einem Theil der Leute hier verlangte Speisen als garcon vorsetze, lasse ich mir von Anderen als gentleman mein Gold aus den Minen graben. Ob das nun direct oder indirect in meine Tasche kommt, bleibt sich gleich - wenn es nur eben den Weg dahin findet."

„Sie sind Philosoph, Baron."

„Bitte um Verzeihung, ich bin Kellner," lachte der junge Mann, „und wenn Sie nicht bald etwas bestellen, werde ich von meinem französischen Vorgesetzten dahinten - ich nenne ihn immer mon capitain - wahrscheinlich eine Nase bekommen."

„Aber ich kann mich doch, weiß es Gott, nicht von Ihnen bedienen lassen?" rief der Doctor ordentlich verlegen aus.

„Sie werden Ihre Freude an mir haben," unterbrach ihn der Kellner, indem er ihm mit einer leichten Verbeugung den Speisezettel vorschob - „bitte, befehlen Sie: beefsteal. roastbeef, mutton chops - Eier, Kartoffeln, Bohnen - mehr Auswahl können Sie nicht verlangen; nur unsere Weine sind vortrefflich, und alle geschmuggelt." /48/

Der Doctor nahm den Speisezettel, schob ihn aber wieder von sich und rief:

„Nein wahrhaftig, Baron, die ganze Geschichte hier kommt mir wie ein toller Spuk vor. Sie, den ich zuletzt in der Soirée des Fürsten Lichtenstein, mit Orden geschmückt, mit der Fürstin selber tanzend, verlassen, finde ich jetzt mit der Serviette unter dem Arm, mit dem Speisezettel in der Hand - oh gehen Sie - Sie haben mich zum Besten."

„Da ich sehe," lächelte der junge Mann, „daß Sie Ihre, in Californien höchst kostbare Zeit nur mit vollkommen nutzlosen Ausrufungen verschwenden, werde ich mich Ihrer annehmen und Ihnen selber etwas zu essen bestellen - ich hoffe, Sie sollen damit zufrieden sein. Wenn Sie nachher die Preise erfahren, werden Sie merken, daß wir hier keineswegs spaßen, sondern bittern Ernst machen."

Der junge Mann ging lachend zum Buffet zurück und ließ den Doctor, noch immer stumm und starr vor Staunen, an seinem Tische, denn so hatte er sich Californien doch eigentlich nicht gedacht.

Baron Lanzot - oder vielmehr Emil mit seinem Kellnernamen, kam indessen bald zurück, servirte äußerst geschickt und blieb dann an der andern Seite des Tisches vor dem Gaste stehen.

„Aber, bester Baron -"

„Emil, wenn ich bitten darf -"

„Es geht nicht, Baron, es geht wahrhaftig nicht," rief aber der alte Mann in Verzweiflung aus - „bedenken Sie, ich bin noch kein Californier."

„Das entschuldigt allerdings Vieles," erwiderte Emil. „Seien Sie übrigens versichert, daß Ihnen da noch Manches zu erleben bevorsteht, von dem Sie sich im Augenblick nichts träumen lassen. Hier in Californien sind alle Bande des gesellschaftlichen Lebens, die wir im alten Vaterlande nur zu oft als unumgänglich nothwendig für jede Existenz halten, gelöst. Jeder lebt für sich, so gut oder so schlecht er kann der Nebenmann kennt ihn nicht, oder bekümmert sich nicht um ihn, und wenn er oben schwimmt, hat er's nur allein sich selber zu verdanken. Wir leben allerdings unter Gesetzen /49/ einer civilisirten Nation, aber auch nur dem Namen nach, denn keine Kraft ist genügend, sie aufrecht zu erhalten, und das Faustrecht blüht deshalb so wunderbar und herrlich wieder hier, wie je im Mittelalter daheim im lieben Vaterlande."

„Aber weshalb sind Sie nach Californien gegangen?"

„Fragen Sie das Jahr 48," sagte achselzuckend der junge Mann. „Es giebt nichts Entsetzlicheres als einen Bürgerkrieg, und da ich die Wahl hatte, zog ich diese Verhältnisse vor. Ob sie mir auch auf die Länge der Zeit zusagen werden, ist eine andere Sache, mit der ich mir aber vor der Hand den Kopf noch nicht zerbreche. Jetzt bin ich einmal in Californien, und mit den Wölfen - Sie kennen wohl das Sprüch-wort. Wohnen Sie hier im Hause?"

Der Doctor nickte nur und arbeitete in die ihm vorgesetzten Speisen hinein, schüttelte aber fortwährend dabei mit dem Kopfe und schmeckte in der That gar nicht, was er aß. Emil wurde aber in diesem Augenblick abgerufen, und das Gespräch war für jetzt unterbrochen.

Hetson ging indessen unten in den Spielsalon, wohin ihn Siftly beschicken hatte, und vergaß im ersten Augenblick, als er den wunderlichen Raum betrat, wirklich ganz, was ihn da hergebracht.

Es war ein nicht sehr hoher, aber wohl fünfzig bis sechzig Schritt langer und vierzig Schritt breiter Saal; die Wände noch ziemlich kahl und nur hier und da mit schlechten Oelgemälden - schlecht sowohl was Ausführung als Vorwurf betraf - bedeckt, denn ich darf nicht sagen „geschmückt". Nicht dem Schönheitssinn der Besucher sollten sie aber auch genügen, sondern nur ihre Sinne reizen und sie eine Zeit lang fesseln, und das bezweckten sie denn allerdings.

Rechts war ein Buffet angebracht für geistige Getränke, und im Hintergrund ein hohes, noch ziemlich rohes Gerüst aufgebaut, auf dem eine Anzahl von Musik machenden Individuen - Musici konnte man sie nicht gut nennen - saßen. Sie bildeten zusammen allerdings eine Art Orchester, und dazu nöthigen Instrumente schienen vertreten. In ihrem Zusammenspiel blieb aber immer mehr guter Wille als wirkliche Kunst erkennbar, und wenn man ihnen nur /50/ wenige Minuten zuhörte, fand man bald, daß sie sich zusammen einzig und allein über ein zu spielendes Stück gütlich vereinigt hatten und nun nach Gehör einander accompagnirten. Wer dann einmal zufällig aus dem Tact kam, wartete nur einen Augenblick, bis er die Anderen wieder „erwischen" konnte, und nachdem sie die verschiedenen Stücke solcher Art drei- oder viermal durchgearbeitet, ließ sich recht gut unterscheiden, was sie eigentlich spielen wollten.

Es kam aber auch wirklich nicht darauf an, hier ordentlich zu musiciren, es sollte nur „Musik" gemacht werden, und die wenigen amerikanischen Lieblingslieder und Nationalmelodien, die im Lande überall bekannt waren, lernte das Orchester auch bald spielen. Dazu gehörte vor allen der „Yankee Doodle", dann „Washingtons Marsch", das „Sternenbanner" und ein sehr mittelmäßiger Marsch, den sie wunderbarer Weise „Napoleon's Rückzug" nennen. Diese Melodien sang und stampfte das Publikum hier und da mit, und war in seinen Ansprüchen bescheiden genug, sie wieder und wieder anzuhören, ob sie nun auf einem wirklich kunstvollen Instrument oder auf einer Maultrommel vorgetragen wurden. Die Musik aber hatte denselben Zweck mit den Bildern, denen sie gewissermaßen vorarbeitete. Die Musik lockte die Vorbeigehenden in den Saal; die Bilder hielten sie dort, damit sie ihr Geld an dem Trinkstand ausgaben und an den Spieltischen versuchten. Einmal das eigentliche Hazardspiel dann gekostet, war Musik und Bild nicht mehr nöthig, sie zu halten. Diese Spieltische bildeten deshalb auch das Centrum des Saales, und Hetson blieb wirklich überrascht auf der Schwelle stehen, denn in dieser Ausdehnung hatte er sich die „Spielhöllen", von denen er früher schon so viel gehört und gelesen, doch nicht gedacht.

Etwa dreißig verschiedene Tische standen nämlich, nicht geordnet, sondern wie es gerade der Raum zwischen den Säulen gestattete, bunt durcheinander, nur überall den nöthigen Platz für die hindurchführenden Passagen lassend, und jeder Tisch verfolgte dabei seine eigenen Interessen, hatte sein eigenes Capital und spielte auch oft sein eigenes Spiel.

Zwischen den Tischen durch drängten sich aber die Müßig/51/gänger der Stadt, deren es auch selbst in San Francisco zur Genüge gab, bis sie an einem von ihnen und den daraus angehäuften Goldstücken und Silberdollarn hängen blieben. Amerikaner und Deutsche, Franzosen und Engländer, Mexikaner und Californier, Alles in buntem Gemisch, Einzelne elegant gekleidet, Andere in zerlumpter, abgerissener Minertracht, mit zerknickten Hüten, und schiefgetretenen Schuhen. Wer aber sah auf die Tracht; das Gold, das auf den Tischen lag, ebnete Alles, und wenn die abgerissenen Burschen - was sehr häufig der Fall war - nur tüchtige Lederbeutel mit Goldstaub unter den zerrissenen Kitteln trugen, war wahrlich hier Niemand, der ihre Gemeinschaft beanstandet hätte. Karten, Würfel, Roulette und Alles, was nur sonst Glücksspiel heißt, fand sich hier vertreten, und bedeutende Summen wechselten fortwährend von einer Hand in die andere, ohne eine Äußerung der Leidenschaft hervorzurufen - einen leise gemurmelten Fluch manchmal ausgenommen. -

Hetson wäre vielleicht noch eine Stunde dort stehen geblieben, denn zu viel des Neuen bot sich, wohin er auch immer schaute, seinem Blick, hätte ihn nicht Siftly selber aus seinen Träumen geweckt.

„Nun, bist Du da?" lachte dieser, „das ist recht, und hier kannst Du nun auch gleich die Quintessenz californischen Lebens und Treibens kennen lernen. Hier concentrirt sich das ganze wunderbare Schaffen in den Bergen draußen, und diese Tische hier sind unser Barometer in San Francisco, wie der Reichthum im Lande drinnen steigt und fällt. Sind die Tische schlecht besetzt, dann darfst Du auch sicher sein, daß die Ausbeute in den Minen, durch was auch immer für Umstände nicht so günstig ausgefallen. Drängt sich dagegen, selbst über Tag, Alles herein, wie das heute geschieht, so haben die Leute „vortrefflich ausgemacht", wie sie sagen, und wandert lustig von Hand zu Hand. Hast Du Dein Glück schon an einem der Tische probirt?"

„Ich spiele nie," sagte Hetson ruhig.

„Bah, das darf man hier in Californien nicht verreden,“ lachte sein Freund. „Daß Du selber Gold graben willst, kann ich mir nicht gut denken, und dem Glück muß /52/ man eben selber ein Pförtchen öffnen, wenn es uns nicht ganz im Stiche lassen soll. Ich zum Beispiel habe mir Alles, was ich eigentlich besitze, an den Tischen da geholt, und mir einiger Vorsicht denke ich mir solcher Art ein kleines Vermögen zusammenzulegen und dann nach den Staaten als reicher Mann zurückzukehren."

„Und wenn Du wieder verlierst, was Du gewonnen hast?"

„Dem Kühnen lächelt das Glück, Freund!" rief der Amerikaner, den Kopf trotzig zurückwerfend, „ja, es giebt sogar Mittel, das Glück zu zwingen, uns zu gehorchen, und hast Du Lust, so lehr' ich Dich vielleicht einmal die Kunst. Jetzt aber wollen wir unsere Zeit hier nicht nutzlos versäumen, sondern einmal einen Gang durch den Saal machen. Ich muß Dir doch Californien erst vorstellen."

Ohne auch weiter eine Antwort abzuwarten, zog er Hetson's Arm in den seinen und schlenderte mit ihm in einen der Gänge hinein, die zwischen den Tischen hinführten. Einzelne von diesen waren augenblicklich unbesetzt, d. h. es standen keine Fremden daran, denn zwei Spieler saßen an jedem, und zwar einander gegenüber, während zwischen ihnen ein größerer oder kleinerer Haufen Silber-Dollar, Goldstücke und Goldstaub in kleinen Lederbeuteln oder einzelnen „Klumpen" aufgehäuft lag. Die müßigen Spieler mischten dann gewöhnlich ihre Karten, hoben ab und probirten mögliche Erfolge, bis ein Vorbeikommender auf eine der Karten setzte und dann auch gewöhnlich Andere nach sich zog.

An verschiedenen Tischen standen dagegen die Spieler und Zuschauer so dichtgedrängt, daß man kaum vorüberkommen konnte, und das war dann ein sicheres Zeichen, daß hohe Einsätze das Interesse der Leute erregt hatte. Kopf an Kopf drängte sich über- und nebeneinander, und sehr bedeutende Summen standen dort nicht selten auf dem Spiele.

An einem der augenblicklich nicht benutzten Tische saßen sich zwei Leute, ebenfalls nur mit Kartenmischen beschäftigt, stumm gegenüber, die vielleicht nur durch ihren Kontrast Hetson's Aufmerksamkeit erregten. Der Eine von ihnen war ein kleiner, rothbäckiger, dicker Mann mit ein paar entsetz/53/lichen Vatermördern, die ihm selbst die Ohren halb bedeckten, und über die er, wenn er den Kopf auf eine oder die andere Seite wandte, nur eben hinwegsehen konnte. Der Andere war das gerade Gegentheil. Lang und knochendürr, zeigte er auch nicht eine Spur von weißer Wäsche, die sonst im amerikanischen Anzug eine Hauptrolle spielt, und der enganschließende braune Rock war so fest zugeknöpft, wie er die schmalen Lippen geschlossen und die kleinen braunen Augen zusammengekniffen hielt. Auch den hohen schwarzen Hut, den er trug und selbst im Saal nicht absetzte, hatte er sich tief in die Stirn gedrückt, und es war ordentlich, als ob der Mann nur so wenig wie irgend möglich von seiner eigenen Person wolle sehen lassen.

„Ein paar merkwürdige Gestalten," flüsterte Hetson seinem Begleiter zu, indem er auf die Beiden deutete. „Welch' verschiedene Menschen das Schicksal doch oft zusammenführt!"

„Nicht wahr?" lächelte Siftly; - „komm, wir wollen einmal an ihren Tisch treten; ich habe den Beiden übrigens schon manchen Dollar abgewonnen, und ich glaube fast, es sind eben nicht die durchtriebensten Spieler im Saal - scheinen auch gerade keine besonderen Geschäfte zu machen."

Ohne weiter die Zustimmung des Freundes abzuwarten, blieb er neben dem Tisch stehen, nahm eine Hand voll Dollar aus seiner Tasche und setzte sie auf die nächste Karte. Ein weiteres Wort wurde dabei nicht gewechselt, die Spieler zogen die Karten ab - und Siftly hatte gewonnen.

„Versuch' Du es jetzt einmal, Hetson," ermunterte er diesen. „Wer weiß, was Dir in Californien noch für ein Glück blüht, und den ersten Tag am Land sollte man nicht ungenutzt vorübergehen lassen."

Hetson zögerte. Er hatte bis dahin wirklich noch nie gespielt; das viele Gold aber überall auf den Tischen, das lockende Klingen der Münzen, der rasche Gewinnst des Freundes vielleicht, das Alles reizte ihn, der Aufforderung Folge zu leisten. Er nahm einen halben Adler - ein Fünf-Dollar-Goldstück - aus der Tasche, setzte es und – gewann.

„Laß es stehen," flüsterte sein Gefährte; „die Sache geht." /54/

Es wurde wieder abgezogen, aber die Karte verlor diesmal.

„Ich würde auf das Aß setzen," sagte Siftly.

„Ich habe zu der Sieben mehr Vertrauen," meinte Hetson und setzte jetzt zehn Dollar auf diese Karte. Wieder und wieder verlor er aber, und fünfzig Dollar waren in wenigen Augenblicken aus seinem Besitz in den der beiden Spieler übergegangen.

„Das weiß der Henker," flüsterte Siftly mit einem noch kräftigeren Fluch - „ich glaube, die beiden Halunken betrügen doch; aber warte, ich werde ihnen auf die Finger passen. Setz' jetzt fünfzig auf den Reiter - der hat dreimal hintereinander verloren und muß gewinnen."

„Ich danke," erwiderte aber ruhig der junge Mann - „ich habe Dir jetzt den Willen gethan und für mich selber Lehrgeld genug gezahlt. Den beiden Herren dort gönn' ich auch meine fünfzig Dollar, aber ich habe auch weiter kein Geld für sie und werde nicht mehr spielen."

„Unsinn," rief aber Siftly, „Du wirst ihnen doch wahrhaftig nicht die fünfzig Dollar lassen, ohne wenigstens einen Versuch zu machen, sie wieder zu bekommen?"

„Gewiß werd' ich," erwiderte Hetson, indem er sich von dem Tische abdrehte, „denn der Versuch könnte mich mehr als das kosten. Aber was ist das für ein wunderbarer Ton, der auf einmal den Saal erfüllt? Erst noch dieses schauerliche Lärmen mit allen möglichen Blas- und Streich-Instrumenten, und jetzt plötzlich diese himmlische Melodie. Wie kommt diese Musik in solche Spielhölle?"

„Hm," brummte Siftly, der indessen, ohne daß Hetson es merkte, mit dem magern Spieler einen raschen und verstohlenen Blick gewechselt hatte, indem er verdrießlich mit den Silber-Dollarn in seiner Tasche klimperte; „das ist das spanische Mädchen, das hier alltäglich zwei Stunden spielt - eine Stunde Nachmittags und eine Stunde Abends. Sie heißt, glaub' ich, Manuela; mir könnte ihr Gefiedel aber nicht besonders behagen, und unsere Landsleute machen sich auch nichts d'raus. Die Seňores sind jedoch wie toll dahinter her, und so wie sie ansfängt, wird der Saal immer /55/ gleich bunt von ihren farbigen Zarapen. Siehst Du, wie sie dort schon hereinkommen? - Denen zu Liebe läßt man es sich also schon so kurze Zeit gefallen, denn die Burschen haben meist alle Gold und sind alle leidenschaftliche Spieler."

Hetson blieb wie gebannt auf seiner Stelle, so mächtig ergriff ihn das Spiel des spanischen Mädchens, das er jetzt oben auf der Tribüne mit einer Violine stehen sah. Die übrigen „Musici" mochten auch wohl fühlen, daß ihre Instrumente nicht würdig waren, dieses seelenvolle Spiel zu begleiten, und lautlos horchten sie den Tönen, die wie aus den Saiten einer Aeolsharfe die Luft durchzitterten. Aber auch nur sie da oben, in unmittelbarer Nähe der Künstlerin, konnten einen Genuß davon haben, denn unten im Saal wogte indessen die Menschenmasse eben so laut und lärmend durcheinander wie vorher. Was kümmerte sie die fremde Melodie. - Und wenn es Engelsharfen gewesen wären, - das Klimpern des Goldes hatte für sie einen besseren Klang.

„Hetson," sagte da endlich ungeduldig der Amerikaner, „ich glaubte, Du hättest mir etwas sagen wollen. Dem Gefiedele da oben zu lauschen habe ich weder Zeit noch Lust, und wenn Du doch einmal nicht mehr spielen willst, so rück' heraus mit dem, was Du hast, oder ich gehe meiner Wege."

„Du hast Recht," sagte Hetson rasch, indem er seinen Arm ergriff und ihn dem Eingang zuzog - „ich war ein Thor, mich nur so lange, als ich gethan, diesen fremden Eindrücken hinzugeben. Komm mit mir in's Freie, und Du sollst Alles wissen."

„Hoho, hast Du schon Geheimnisse, und kaum den Fuß auf unsern Boden gesetzt?" lachte Siftly.

„Geheimnisse gerade nicht, wenn ich Dich auch bitten werde, mit Niemandem weiter darüber zu sprechen," sagte Hetson, während er mit einiger Mühe der Thür zu drängte und endlich das Freie gewann; „aber ich brauche Deinen Rath, und den wirst Du mir nicht versagen."

Die beiden Männer hatten jetzt die Plaza wieder betreten und schritten langsam Arm in Arm über den offenen Platz, das ärgste Gedränge der hier auf und ab wogenden Menschen an den Häusern und Zelten zurücklassend. Als sie /56/ etwa die Mitte desselben erreicht hatten, blieb Hetson stehen und sagte:

„Existirt hier ein Platz, wo man die Fremdenlisten einsehen kann?"

„Fremdenlisten?" frug Siftly erstaunt - „was willst Du mit denen? und wer bekümmert sich hier eigentlich um Die, die kommen oder gehen?"

„Werden überhaupt Fremdenlisten geführt?"

„Ich glaube, ja. Wenn man auch die Leute selber nicht mit Fragen belästigt, müssen wenigstens die Capitaine, so viel ich gehört habe, ihre Passagierlisten einreichen. Nur über die Tausende, die aus den Staaten über die Berge kommen, wird aus dem einfachen Grunde keine Controle geführt, weil das unmöglich wäre."

„Die Schiffslisten genügen," sagte Hetson rasch, „und wo kann ich die einsehen?"

„Ich glaube im Courthouse, wo ein Fremdenbureau errichtet ist, oder errichtet werden soll. Aber Du fürchtest doch nicht etwa einen Gläubiger? Hahaha, der müßte viel Geld mit herbringen, wenn er in jetziger Zeit eine derartige Klage gegen einen Amerikaner durchsetzen wollte. Ja, wenn Du ein Fremder wärst. Außerdem bist Du, so viel ich weiß, Advocat, und -"

„Es ist kein Gläubiger," unterbrach Hetson finster den Redenden, „und die Sache, in der ich Dich um Deinen Rath bitten wollte, betrifft weder Geld noch Geldeswerth, sondern die Ruhe meines ganzen Lebens."

„Was hast Du?" sagte Siftly erstaunt, „Du bist ja ganz außer Dir. Wen erwartest - oder wen fürchtest Du?"

„Fürchten - Du hast das rechte Wort genannt," rief Hetson rasch, indem er des Mannes Arm ergriff und scheu über seine eigene Schulter sah, als ob er das Schreckgebilde, das seine Ruhe vergiftete, schon da, schon in seiner Nähe wähnte.

„Fürchten - bah!" zischte aber der Amerikaner verächtlich zwischen den Zähnen durch. „Wenn es ein Wesen ist, dem sich mit Pulver und Blei oder kaltem Stahl beikommen läßt, was hast Du da zu fürchten? Ich fürchte den Teufel nicht!" /57/

Hetson sah wild und stier in seine Augen. Es war, als ob ihm selber in dem Moment ein neuer Gedanke, ein Hoffnungsstrahl dämmere.

„Und wer ist's?" frug Siftly jetzt mit ruhiger Stimme, während das verächtliche Lächeln seine Lippen noch immer nicht verlassen hatte.

„Der Bräutigam meiner Frau!" flüsterte da Hetson.

„Hahaha!" lachte der Amerikaner, „das ist allerdings eine wunderliche Verwandtschaft. Bist denn Du der nicht selber gewesen?"

„Höre mich," sagte Hetson, mit vor innerer Aufregung fast heiserer Stimme. „Meine Frau war verlobt, ehe sie mich kennen lernte; sie hielt ihren Bräutigam für todt, heirathete mich und erhielt erst nach unserer Trauung die Nachricht, daß er noch lebe und sie aufsuchen wolle."

„Und woher weißt Du das?"

„Sie hat es mir selber gesagt - mir den Brief gezeigt."

„Sie selber? Hm, dann ist die Sache auch nicht so gefährlich. Sie mag dann jedenfalls nichts mehr von ihm wissen."

„Ich fürchte, sie liebt ihn heißer als je," flüsterte aber Hetson, „und thut nur das, was sie eben für ihre Pflicht hält."

„Und weiß er, wo sie ist?"

„Ich hoffe, nein - ich habe ihn wenigstens auf eine falsche Fährte gesetzt, falls er ihr nachforschen sollte. Aber wenn er nun doch -"

„Du quälst Dich mit einem Hirngespinst," sagte da kopfschüttelnd der Amerikaner. „Wozu die vielen Wenn und Aber? Erst laß ihn kommen; nachher ist immer noch Zeit, ihn bei Seite zu schaffen, falls er gefährlich werden sollte. Es ist ein Landsmann?"

„Nein - ein Engländer."

„Ein Engländer? - puh, und deshalb das Aufheben!" lachte der Mann und machte sich von Hetson, der seinen Arm gefaßt hatte, los. „Ich hätte Dich für vernünftiger gehalten. Ist er gescheit, so folgt er Dir nicht nach, und käme er wirklich - wollten wir es ihm vertreiben, auf fremdem Revier zu jagen. Aber jetzt sag' mir, was ist Dir überhaupt eingefallen, mit einer Frau nach Californien zu kommen? Was um Gottes willen gedenkst Du hier mit ihr zu thun und wo zu bleiben? In der Stadt?"

„Ich weiß es selbst noch nicht," sagte Hetson. - „Nur fort wollte ich - fort aus jener Gegend, wo ich jeden Augenblick fürchten mußte, mit einem Nebenbuhler zusammenzutreffen, und da war Californien -"

„Das unglücklichste Land der Welt, das Du Dir hättest aussuchen können," unterbrach ihn Siftly. „In späterer Zeit mag es allerdings sein, daß auch Frauen und Familien hier herüberziehen; jetzt aber ist das ganze Land nur ein rauher Staat für Männer. Wie eine Fürstin könntest Du auch in jedem andern Deine Frau mit demselben Geld unterhalten, was es Dich hier kosten wird, ihr nur die nöthigsten Bedürfnisse zu verschaffen. Doch das ist eine Sache, die Du mit Dir selber auszumachen hast - apropos, wie heißt denn jener englische Herr, vor dem Du einen so heillosen Respect hast - wenn ich ja einmal zufällig mit ihm zusammentreffen sollte?"

„Golway - Charles Golway."

„Es ist gut - ich werde mir den Namen merken," nickte Siftly.

„Und was soll ich jetzt thun?"

„Du? - Nichts. Warte ab, bis er wirklich kommt, dann erklär' ihm ganz einfach, daß Du ihm ohne weitere Warnung eine Kugel durch den Kopf schießen würdest, so wie er nur ein einziges Wort mit Deiner Frau wechselt - und nachher mach' Deine Drohung wahr. Die Gesetze brauchst Du nicht zu fürchten; erstlich schützen sie Dich, wo Du so auffallend in Deinem Rechte bist, und - thäten sie es nicht, so sind wir selber Manns genug, das zu besorgen. Jetzt aber muß ich fort; ich habe überdies schon viel zu lange Zeit hier mit Dir verplaudert. Heut Abend findest Du mich wieder im Saal des Parkerhauses."

„Aber das Courthouse?"

„Ist jenes lange Gebäude dort drüben," sagte Siftly, mit dem Arm über die Plaza deutend, nickte Hetson zu und schritt rasch die der Bai zu führende Straße hinab. /59/

4.

Die Plaza von San Francisco.

Die Plaza oder der Hauptplatz von San Francisco, jetzt ein mit prachtvollen und massiven Gebäuden umgebener Platz, zeigte im Sommer des Jahres 49 noch ein buntes Gemengsel von Holzbaracken und Zelten, wie sie die ersten Einwanderer nur flüchtig aufgeschlagen.

Die obere Front nahm allerdings noch das alte Gerichtshaus ein, das, von ungebrannten Backsteinen, sogenannten adobes, erbaut, unter mexikanischer Herrschaft ausgerichtet worden. Sonst aber war in den wenigen Monaten, die seit der Entdeckung des Goldes erst verflossen, der spanische Charakter desselben schon ganz verschwunden und ein Stadtheil dort entstanden, der sich in seiner wunderlichen Mischung mit keinem andern Orte der Welt mehr vergleichen ließ. Nur an der unteren Front, dem Courthouse gerade gegenüber, stand ein einzelnes mehrstöckiges Holzgebäude, das schon erwähnte Parkerhaus, das ein Amerikaner Namens Parker aufgebaut und woraus er enormen Miethzins, theils von den Spieltischen, theils von Wirthschaft und Gastzimmern zog.

Dicht daneben befand sich das El Dorado - später eine der prachtvollsten Spielhöllen der Welt - damals nur ein großes, weitgedehntes Zelt, und rechts und links reihten sich andere kleinere Zelte und Holzschuppen an, in denen fast in allen gespielt und getrunken wurde, und die für den Augenblick keinen andern Zweck hatten, als ihre Insassen nur wenigstens unter Dach zu bringen. Die Plaza bildete dabei den eigentlichen Mittelpunkt der Stadt, und während sie von den Hauptstraßen gekreuzt wurde, concentrirte sie den eigentlichen Verkehr San Franciscos. Was von Fremden in die Stadt kam, suchte vor allen Dingen diesen Ort auf, oder wurde von dem Menschenstrom dorthin gedrängt. Sämmtliche Hausirer besonders glaubten hier den vortheilhaftesten Platz zum Aus-/60/stellen ihrer Waaren zu finden, und boten diese theils in tragbaren Körben, theils auf rasch hingestellten und beweglichen Tischen aus. Eine Controle für diese Leute fand natürlich noch nicht statt, und wer irgend einen Gegenstand, feilbieten wollte, konnte seinen Ort sich selber dazu wählen. War er dem freien Verkehr dort, wohin er sich stellte, im Wege, so drängte ihn die Menschenmasse schon selber bei Seite. Der Hauptstrom der Menschenmenge wogte aber an den Häusern hin, und die Meisten schlenderten nur aus einem Spielzelt in das andere, oder gingen eben auf der dort vorüberführenden Straße ihren Geschäften nach. Auf der Plaza selber sammelten sich nur hier und da kleine Gruppen, oder kamen Einzelne quer herüber, um den Weg nach einer der Wasserstraßen abzukürzen.

Dort hatte Siftly seinen neugefundencn Freund verlassen, und Hetson blieb, als die bunte Zarape des Amerikaners schon lange in dem Gedränge der Fußgänger verschwunden war, noch immer wie träumend auf derselben Stelle stehen und starrte vor sich nieder. - Die Trostgründe, die Siftly für ihn gehabt, schienen nämlich seine Unruhe eher vermehrt als vermindert zu haben, denn hatte dieser es nicht als ziemlich fest angenommen, daß ihm der gefürchtete Nebenbuhler wirklich folgen würde? - Schon der Gedanke daran trieb ihm aber das Blut in rasender Schnelle durch die Adern und machte sein Herz stärker klopfen - es war der Gedanke eines möglichen Verlustes seines Weibes, den er nicht verfolgen durfte, wenn er nicht fürchten wollte wahnsinnig zu werden. Vergebens kämpfte er auch selber mit allen Vernunftgründen dagegen an, vergebens sagte und wiederholte er sich, daß ihn Jenny liebe, daß sie ihn nicht wieder verlassen würde - es blieb umsonst. Ein tückischer Geist flüsterte ihm wieder und wieder in's Ohr, daß die erste Liebe das Herz eines Menschen nie verlasse, und seine krankhaft erregte Einbildungskraft malte sich dabei den Nebenbuhler mit allen Reizen der Jugend geschmückt aus, der nur erscheinen dürfe, um das Herz Jenny's auf's Neue zu voller Liebe zu entflammen.

Ueber die Plaza kam eine einzelne wunderliche, uns übrigens nicht unbekannte Gestalt, die selbst von den an das /61/ Sonderbare hier genugsam gewöhnten Amerikanern nicht unbeachtet vorbeigelassen wurde, denn hier und da blieben Einzelne stehen und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Es war ein alter Bekannter von uns: Ballenstedt, der mit seinem erbsgelben Kragenmantel, die Hosen aufgestreift, die Stiefeln frisch geschmiert, den Hut etwas nach hinten fest in den Kopf gedrückt, in der linken Hand sein Bündel und unter den linken Arm den grünbaumwollenen Regenschirm geklemmt, in der rechten aber die Schaufel haltend, langsam und bedächtig über den Platz herüberkam und nicht ganz einig mit sich zu sein schien, welche der davon abzweigenden Straßen er eigentlich wählen sollte. Er blieb wenigstens manchmal stehen, sah sich nach den verschiedenen Himmelsrichtungen um und konnte dabei zu keinem rechten Resultat gelangen.

Endlich hatte er die Stelle erreicht, auf welcher Hetson noch immer in sich verloren stand, ging auf ihn zu, berührte leise mit dem Griff des Spatens seinen Ellbogen und sagte:

„Hören Sie einmal, können Sie mir nicht sagen, wo ich hier am schnellsten in die Minen komme?"

Hetson drehte sich rasch und fast erschreckt nach dem Frager um, dieser aber, der alsbald den Reisegefährten erkannte, fuhr enttäuscht und ziemlich unbekümmert, ob er ihn verstand oder nicht, fort:

„Ach Herrje, Sie sind ja auch von uns; ja, da werden Sie auch noch nichts wissen. Na, nehmen Sie's nicht übel. Gehen Sie auch in die Minen?"

Hetson schüttelte unwillig mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß er nicht verstehe, was der Fremde sage - kannte er ihn doch nicht einmal in dem weiten entsetzlichen Mantel; zugleich drehte er sich rasch ab von ihm und schritt - jetzt entschlossen, die Fremdenlisten jedenfalls nachzusehen - dem Courthouse zu.

„Na, der ist grob," brummte Ballenstedt mürrisch vor sich hin, „trag' Du aber mein'twegen die Nase so hoch Du willst, in vier Wochen tausch' ich doch nicht mit Dir, so viel weiß ich" - und seinen Spaten wieder fester packend, wollte er eben seinen Weg fortsetzen, als er von ein paar laut lachenden Stimmen angerufen wurde. /62/

„Ballenstedt - he - hallo, Ballenstedt!"

Er blieb stehen und drehte sich nach den Rufern um. Aufrichtig gestanden war ihm aber nichts daran gelegen, von alten Schiffsgenossen angesprochen und aufgehalten zu werden. Er hatte keine Zeit mehr zu vertrödeln, und je eher er in die Minen kam, desto besser. - Wohin er wanderte, brauchte überdies Niemand zu wissen.

„Ballenstedt, Junge!" rief aber der Eine der Beiden, die jetzt auf den Reisegefährten zueilten und lachend bei ihm stehen blieben - „Donnerwetter, wo soll die Reise nun all' hingehen? Doch nicht direct zum Puddeln?"

Es war Lamberg, der augenscheinlich der Flasche ein wenig zugesprochen hatte und den Hufner begleitete.

„Soll ich mich etwa erst noch hier einmiethen und Geld verzehren?" sagte aber Ballenstedt, der eine weitere Begrüßung für unnöthig hielt. „Ich habe keine Zeit übrig, denn ich muß in zehn Monaten wieder in Deutschland sein."

„In zehn Monaten?" lachte aber Lamberg, „da wirst Du verwünscht wenig da oben herausschaufeln können, denn fünf mußt Du auf die Rückreise rechnen."

„Das schadet nichts," erwiderte aber Ballenstedt ruhig - „ich brauche auch nur zwanzigtausend Thaler."

„Zwanzigtausend Thaler? - so? - mehr nicht?" rief Lamberg verwundert, „und das sagt der Mensch da mit einer Ruhe, als ob er das Papier in der Tasche hätte und nur auf die Bank zu gehen brauchte, es ausgezahlt zu bekommen. Und was willst Du mit der kleinen Summe machen, Alterchen?"

„Den neuen Hof zu Hesselbach kaufen," sagte Ballenstedt, „der kostet gerade so viel."

„Und glauben Sie wirklich, daß Sie in der kurzen Zeit so viel Gold herausgraben können, Herr Ballenstedt?" frug da Herr Hufner, dem die bestimmte Zuversicht des Mannes imponirte.

„Wirklich glauben?" sagte aber Ballenstedt ordentlich verwundert - „na, wenn ich das nicht gewiß wüßte, weshalb wäre ich denn da die vielen tausend Meilen hier nach Califonium gekommen, heh?"

„Hahahahaha!" lachte da Lamberg laut auf - „Ballcn-/63/stedt ist göttlich!" Hufner aber, den Zeit und Summe, seiner eigenen Zwecke wegen, außerordentlich ansprachen, und der auch wohl nebenbei in den derben Fäusten des Burschen eine Garantie für die Erdarbeit sah, der er sich doch nicht so recht gewachsen fühlte, sagte:

„Wenn ich das wüßte, Herr Ballenstedt, dann hätte ich große Lust gleich mit Ihnen zu gehen. Zu Zweien arbeitet es sich überdies immer bester als allein, und morgen früh wollte ich ohnedies aufbrechen. Haben Sie einen Augenblick Zeit?"

„Wer? ich? -" sagte Ballenstedt -„nein."

„Ich meine nur höchstens zehn Minuten," drängte aber Hufner - „das können Sie mir schon aus alter Kameradschaft zur Liebe thun. Meine Sachen sind bereits zusammengeschnürt und ich brauche sie nur da drüben in der Straße abzuholen. Nicht wahr, Sie warten einen Augenblick auf mich?"

„Sie sind wohl nicht klug?" rief da Lamberg, dem dieser rasche Entschluß auf solche Grundlagen hin doch außer dem Spaß war. - „Ballenstedt weiß doch auch die Flecke nicht, wo es sitzt."

„Nicht wahr, Sie bleiben einen Augenblick hier?" rief aber Herr Hufner noch einmal, dem ein unbestimmtes Gefühl sagte, daß er den glücklichen Moment getroffen habe, und ihn jetzt beim Schopf erwischen müsse, wenn er ihm nicht wieder unter den Händen entschlüpfen solle. Ohne deshalb auch nur eine Antwort Ballenstedt's abzuwarten, lief er über die Plaza hinüber nach Kearney Street hinein, und Lamberg, der ihm den tollen Entschluß noch ausreden wollte, folgte ihm, so rasch er konnte.

„So?" brummte aber Ballenstedt leise vor sich hin „mitgehen, nicht wahr? Auf dem Schiff hat sich der Musje den Henker um mich gekümmert, und jetzt, wo ihm das Gold in die Nase sticht, bin ich ihm auf einmal gut genug. Na, ich will ihm nur wünschen, daß er mich wiederfindet." Und wie er die Beiden um die nächste Ecke verschwinden sah, bog er in eine andere Straße ein und ließ sich nicht wieder blicken.

Eine gute Viertelstunde mochte vergangen sein, als von der Bai herauf ein Karren mit Gütern beladen fuhr. Hinter /64/ ihm drein ging mit gebücktem Kopf, ein Kind an jeder Hand, eine Frau und neben ihr ein ältlicher, anständig gekleideter Herr, der ein drittes Kind auf dem Arme trug. Er schien sich aber in dieser Situation nicht besonders behaglich zu befinden, denn er schaute, trotz des neuen Lebens, das ihn von allen Seiten umgab, weder rechts noch links um sich, als ob er damit die Aufmerksamkeit der ihm Begegnenden ebenfalls von sich ablenken könne. Das hals ihm jedoch nur wenig, denn gerade als der kleine Zug die Mitte der Plaza erreicht hatte, rief ihn eine bekannte Stimme an:

„Assessor - Donnerwetter, wo wollen Sie hin?"

Der Assessor Möhler drehte etwas scheu den Kopf nach der Seite, von die die Stimme kam, und erkannte seinen alten Schiffskameraden, den Justizrath, der, mit der langen Pfeife im Munde, wie er ihn eigentlich an Bord auch nie anders gesehen, hinter ihnen drein gekommen war.

„Ah, Herr Justizrath," sagte der Assessor freundlich - „ist mir doch sehr angenehm, Sie auf festem Land begrüßen zu können. Ich gehe, wie Sie sehen, mit der armen Frau Siebert in die Stadt hinauf - in das Kosthaus, in dem ihr seliger Mann gestorben ist."

„Hm - ja - hab's gehört - thut mir leid. - Eigentlich verfluchte Geschichte," brummte der Mann des Gerichts, in einem leisen Anflug von Mitgefühl - „na, schad't weiter nichts," setzte er dann aber auch gleich, gewissermaßen als Trost hinzu, - „können dann Erbschaft gleich antreten und mit nächstem Schiff wieder umkehren. - Heilloses Land das Californien - fordern Einem für ein Pfund schlechten Knaster sieben Dollar ab - noch gar nicht dagewesen. Wie kann eine Frau da existiren?"

Die arme Frau antwortete keine Silbe; der Schmerz und Schreck hatte sie niedergebrochen, und so zuversichtlich, ja selbstbewußt sie auch an Bord dem Leben in Californien entgegengesehen hatte, so niedergedrückt, so todt für Alles, was außer ihr geschah, war sie jetzt. Der Justizrath nahm indessen weiter keine Notiz von ihr und erkundigte sich bei dem Assessor nach seinem Kosthaus, dem er zuging, da er selber das Schiff nur deshalb verlassen hatte, sich einen Wohnplatz /65/ auszusuchen, ehe er sein Gepäck an Land schaffte. Da er übrigens die Worte auf seine gewöhnliche barsche Art herauspolterte und sich dabei dicht neben dem Assessor hielt, fing das Kind, das dieser auf dem Arme trug, wieder an zu schreien und wollte sich gar nicht beruhigen lassen. Den Justizrath konnte das allerdings nur wenig abhalten, in seinen Meinungsäußerungen über das Land - von dem er eigentlich noch gar nichts gesehen hatte - fortzufahren; der kleine Einwanderer schien aber entschlossen, das Wort zu behalten. Je lauter der Justizrath sprach, desto mehr schrie das Kind, und die Leute auf der Straße blieben schon stehen, ihnen nachzusehen. - War doch auch selbst ein kleines Kind etwas Ungewöhnliches in Californien.

Dem armen Assessor besonders war seine Lage auf's Aeußerste peinlich, und er warf ein paar Mal einen halb verzweifelten Blick auf den neben ihnen herfahrenden Güterkarren, ob er dort vielleicht nicht seine kleine unruhige Last deponiren könne. Dies ging aber doch nicht gut an; die Mutter nahm gleichfalls nicht die geringste Notiz von dem Kinde, das sie vollkommen gut aufgehoben wußte, und dem Manne blieb schon nichts Anderes übrig, als eben auszuharren.

Die Umstehenden würden sich vielleicht mehr mit der wunderlichen kleinen Caravane beschäftigt haben, hätte San Francisco in jener Zeit nicht unausgesetzt zu viel des Neuen und Sonderbaren geboten, dem Einzelnen auch nur mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Die Aufmerksamkeit der Leute wurde überdies auf einen andern Trupp gelenkt, der sie allerdings auch mehr verdiente. Die Gerüchte nämlich, die damals im Auslande über Californien umliefen, schilderten das Land kaum besser als eine Art von umfangreicher Räuberhöhle, in dem man fortwährend mit gespannten Pistolen seinen Sack voll Gold und sein Leben zu wahren hätte. Daß in einem noch so wilden Lande zuweilen ungesetzliche Handlungen vorfielen, ließ sich allerdings nicht leugnen; die ganzen Zustände waren ungesetzlich, wenn auch freilich nicht in dem Maße, in dem sie geschildert wurden. Dem zu Folge hatten sich denn auch die meisten Einwanderer, die sich ein Land ohne Polizei noch nicht recht denken könnten, mit allen nur /66/ tragbaren Waffen und Wehren reichlich versehen, und Gewehre, Dolche wie Pistolen spielten bei dem Minengepäck eine nicht unbedeutende Rolle. Das non plus ultra dieser fast krankhaften Selbstschutz-Manie bot aber ein kleiner Trupp von Leuten, die in diesem Augenblick über die Plaza zogen und allerdings der auf sie gewandten Aufmerksamkeit werth waren Die kleine Gesellschaft bestand aus fünf Personen, deren Führer, eine fast riesengroße Gestalt mit .krausem schwarzen Bart und mächtigem Schulterbau, gravitätisch voranschritt. Der Mann, der sicher seine sieben Fuß in den Schuhen stand, trug einen breiträndigen weißen Filzhut, eine grüne Blouse und lichte Beinkleider, um den Leib aber einen etwa fünf Zoll breiten weißlackirten Ledergurt, und an diesem einen riesigen Pallasch, der hinter ihm klirrend den trockenen Staub aufwühlte. Neben dem Pallasch aber hing noch ein mäßiger Hirschfänger mit Hirschhorngriff, wahrscheinlich zu engem Handgemenge bestimmt, und neben diesem wieder ein etwa achtzehn Zoll langer Nickfänger, zum Zusammenklappen, aber ebenfalls in einer Scheide. Rechts im Gürtel stak außerdem ein Dolch mit Terzerolläufen daran, und zwei doppelläufige Pistolen füllten den vorderen Raum aus. Zugleich hing ihm über der Schulter eine leichte Vogelflinte von enormem Kaliber. Trotzdem paßte zu dieser wahrhaft verzweifelten Armirung - das Gesicht des Mannes keineswegs, der mit seinen rothen Backen und treuherzigen blauen Augen gar gutmüthig und freundlich, ja sogar etwas erstaunt umherschaute. Möglich, daß er geglaubt hatte, er würde sich bei seiner Landung jeden Zoll breit des Bodens mit der blanken Waffe erkämpfen müssen, und er schien nun überrascht zu sein, nirgends auch nur auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Komisch aber wurde sein Erscheinen durch seine vier Begleiter, zu denen er sich - vielleicht absichtlich - den kleinsten Menschenschlag schien ausgesucht zu haben. Die vier kleinen Burschen, die ihm folgten, und von denen keiner selbst das Militärmaß haben konnte, trugen dabei ebensolche Bärte und Kleider wie er, - nur allerdings im verjüngten Maßstab, - auch fehlte ihnen der Pallasch, denn ihre Bewaffnung begann bei dem Hirschfänger, der auch besser zu ihrer Statur paßte. /67/

Sonst waren sie gleichfalls reichlich mit Dolchen und Pistolen versehen, und zogen dabei einen kleinen vierrädrigen Handkarren, wahrscheinlich mit ihrem Gepäck. Ein großer und vier kleine Koffer standen wenigstens darauf, von einer Garnitur von Schaufeln, Spitzhacken, Blechpfannen, Kochgeschirr und Regenschirmen umgeben, und die vier kleinen Riesen, von denen zwei wahrscheinlich abwechselnd zogen und die anderen beiden mit der Flinte auf der Schulter als Wache hinterdrein gingen, folgten dem großen vertrauensvoll, wohin er sie führen würde.

Es waren übrigens unverkennbar Deutsche - schon die baumwollenen Regenschirme verriethen das, hätte sie auch nur ein Zug ihrer Mienen oder ein Stück ihrer Kleider Lügen gestraft, und still und schweigend, ohne sich um irgend Jemand zu bekümmern, schritten sie über die Plaza hin und verschwanden bald in einer der nach Westen führenden Beistraßen.

In diesem Augenblick erschien Herr Hufner wieder auf dem Schauplatz, und zwar in Schweiß gebadet, und ängstlich überall nach der wunderlichen Gestalt Ballenstedt's umhersuchend. Der aber war nirgends mehr zu finden, und auf einige, in höchst mittelmäßigem Englisch gethane Fragen an Vorübergehende, schickte man den bestürzten jungen Mann rasch hinter dem kleinen Trupp der Bewaffneten drein. Hier erkannte Hufner allerdings gar bald, daß er sich geirrt. Ballenstedt war aber in diesem Gewirr von Menschen nicht mehr aufzufinden, und die Deutschen, an die er sich wandte, wußten ihm ebenfalls keine Auskunft zu geben. Der Schaden ließ sich jedoch ersetzen; ja vielleicht war er im Stande, seine Aussichten um ein Bedeutendes zu verbessern, wenn er sich dieser Caravane anschloß. Bekam er dadurch doch auch zu gleicher Zeit Gelegenheit, sein schweres Bündel, das ihn schon tüchtig heiß gemacht, auf eine Fuhre zu bringen. Ohne Weiteres wandte er sich auch deshalb an den Führer des kleinen Trupps und sagte:

„Hört einmal, Landsleute, - ich habe eben meinen Kameraden verloren, mit dem ich in die Minen wollte. Wenn's Euch aber recht ist, so bleib' ich bei Euch, und wir können dann „da oben" zusammen arbeiten." /68/

„Und wo haben Sie Ihre Waffen?" frug da der Riese, der zu Hufner's Erstaunen eine ganz merkwürdig feine und weiche Stimme hatte.

„Meine Waffen?" fragte dieser etwas verblüfft, - „Waffen habe ich gar keine, mein Brodmesser ausgenommen und eine kleine Pistole hier. Sie ist aber nicht geladen, denn ich fürchte, sie möchte mir einmal von selber in der Tasche losgehen. In Bremen ist neulich so ein Unglück vorgefallen."

„Keine Waffen?" rief da der Niese und machte vor lauter Erstaunen Front gegen ihn, „und womit wollen Sie sich denn da vertheidigen?"

„Ja," stotterte Herr Hufner - „ist es – ist es denn so gefährlich in den Minen oben? - Ich glaubte -"

„Gefährlich?" wiederholte jedoch mit einem fast mitleidigen Achselzucken der Riese, - „sehen Sie uns einmal an. Glauben Sie, daß wir bis an die Zähne bewaffnet ausrücken würden, wenn es nicht gefährlich wäre?"

„Aber Ballenstedt hat nur einen Regenschirm und eine Schaufel bei sich," sagte Herr Hufner bestürzt.

„Armer Mann," seufzte leise der Riese, - „wer weiß, unter welchem Baum seine Knochen in den nächsten Tagen bleichen werden. Wir gedenken uns jeden Abend ordentlich zu verschanzen. In ein paar Stunden können wir Fünf schon einen tüchtigen Wall auswerfen, und sind auch gern gesonnen, noch mehr tüchtige Besatzung zu uns stoßen zu lassen; aber wehrhafte Männer müssen wir haben. Mit dem Schirm da können Sie sich nicht vertheidigen, und selbst Ihr Terzerol ist nicht genügend. Unter diesen Umständen thut es mir also leid, Sie nicht meiner kleinen Schaar einverleiben zu dürfen; es ist gegen unsere Statuten."

„Aber da kann ich doch nicht ganz allein –“

„Bedauere sehr," unterbrach ihn der Gewaltige, - „hier in Californien hat aber Jeder für sich selber zu sorgen. Achtung, Ihr Leute - Ordnung beibehalten - vorwärts - marsch!" Und gegen Herrn Hufner freundlich und huldreich die linke Hand neigend, machte er eine militärische Schwenkung, warf den rechten Arm in die Höhe und stellte sich wieder an /69/ die Spitze des Zuges, der im nächsten Augenblick seinen unterbrochenen Weg fortsetzte.

Herr Hufner blieb noch eine ganze Weile unschlüssig auf derselben Stelle stehen, aus der ihn jene verlaßen hatten, und der Gedanke stieg in ihm auf, ihnen von Weitem zu folgen und sich wenigstens den Schutz ihrer Nähe zu sichern. Angeborene Bescheidenheit verwarf das aber wieder, denn er wollte nicht zudringlich erscheinen, und er kehrte endlich, da eine Menge Menschen gegen ihn anrannten, wieder in sein eben verlassenes Quartier zurück. Unter solchen Umständen durfte er natürlich nicht wagen, allein in die Minen zu wandern, und es blieb ihm jetzt nichts weiter übrig, als sich Waffen anzuschaffen und irgend eine andere Gesellschaft abzuwarten, der er sich mit Sicherheit anschließen konnte.

Auf der Plaza nahm indessen das geschäftige Leben, trotzdem daß die Sonne sich mehr und- mehr dem Horizont neigte und ihre rothe Scheibe schon hinter dem Rand der Küstenberge verschwand, noch nicht ab. Von allen Seiten wogten die Menschen herüber, und hinüber, und schwergeladene Karren kamen ununterbrochen vom Ufer herauf, gelandete Passagiergüter in die verschiedenen Kosthäuser - oder vielmehr Kostzelte - abzuliefern. Die Einwanderung war gerade in dieser Zeit außerordentlich beträchtlich, denn die ersten glänzenden Nachrichten von der Entdeckung uud dem Reichthum der Goldfelder hatten draußen in der Welt gewirkt, und von allen Welttheilen zugleich kamen die Abenteurer herbeigeströmt, jene fabelhaften, in ihrer Einbildungskraft noch verhundertfachten Schätze auszubeuten. Zehn bis zwölf Schiffe an einem Tage waren etwas ganz Gewöhnliches, und verhinderte der Wind manchmal die Fahrzeuge einzulaufen, so überstieg ihre Zahl, sobald er sich wieder günstig drehte, gar nicht selten zwanzig. Die große Mehrzahl von all' den Passagieren, die sie mitbrachten, sahen aber San Francisco nur eben als ersten Landungsplatz an, in dem sie sich keine bleibende Stätte suchen wollten. Ihnen waren die Berge das Ziel, das sie so rasch als möglich zu erreichen strebten, und sie hätten vielleicht nicht einmal die erste Nacht in einem Kosthause geschlafen, vor dessen hohen Preisen sie sich fürchteten, /70/ wäre ihnen nicht das eigene Gepäck im Wege gewesen. - Aber wohin mit dem? - ihre Koffer und Kasten konnten sie nicht mit in die Minen schleppen, und sie mußten wegen deren jetzt schon suchen irgendwo ein Unterkommen zu finden. So waren die meisten Passagiere der Leontine den ganzen Nachmittag herumgelaufen, um eine sichere Niederlage für ihr Gepäck aufzutreiben, aber ohne Erfolg. Die Wirthe erklärten sich allerdings bereit, das Gepäck in Verwahrung zu behalten, - aber einstehen konnten sie nicht dafür - ihm nicht einmal mehr Schutz gegen Regen geben, als das etwas zweifelhafte Zeltdach gewährte. Die Lagermiethe betrug nichtsdestoweniger einen Dollar für einen Koffer per Monat, und zwei Dollar für eine Kiste.

Aber das half nichts, - hatten sich die Leute daheim, Tausende von Meilen entfernt, von Freunden und Verwandten, von Allem losgerissen, an dem ihr Herz hing, so konnten sie sich hier nicht von einem Koffer oder einer Kiste festhalten lassen. In irgend einen ihnen angewiesenen Verschlag von Leinen oder Brettern wurden deshalb die verschiedenen Colli hineingeschleppt; der Wirth stellte einen Zettel aus, daß er das und das Stück erhalten, „aber weiter nicht dafür hafte", und fort zogen die Goldlustigen in die Minen - selbst ohne Abschied von ihrem Gepäck zu nehmen - und doch, in wie wenig Fällen sahen sie es wieder.

„Fort in die Minen!" hieß der allgemeine Ruf, und die wenigen in San Francisco damals noch erscheinenden Zeitungen steigerten die Hast mit jedem Tage durch immer neue, immer fabelhaftere Berichte frisch entdeckter Schätze. Jede Stunde, die die „Goldwäscher" noch hier ausharren mußten, hielten sie für verloren, und in rastloser Ungeduld durchstreiften sie die Stadt, als ob sie mit dem Umherwandern die Zeit selber betrügen könnten. Gerade diese Tausende aber, die solcher Art ohne Beschäftigung in San Francisco lagen und am nächsten Tage wieder großen Theils von Anderen ersetzt wurden, füllten die zahlreichen Spielsäle, von denen es schon eine enorme Anzahl in der Stadt gab. Einmal konnten sie dort am besten ihre Zeit verkürzen, da es die einzigen Plätze waren, auf denen man sich zusammenfand, und dann blieb es zu¬/71/gleich ein Beginn des Goldlandes, - ein Probirstein, wie günstig ihnen das Glück in den Minen sein würde. „Jedenfalls," hieß es, „müsse man Fortunen einmal die Thür öffnen und ihr Gelegenheit geben herein zu kommen," und fünfzehn bis zwanzig - ja auch wohl mehr Dollar - opferte fast Jeder auf den Tischen. Daß dort falsch gespielt wurde, fiel ihnen natürlich nicht ein. Die Leute sahen so ehrlich aus, - das Spiel selber ging einen so geregelten Gang, ein Betrug konnte ja da kaum vorkommen - und doch verschwand ihr Geld. „Es hat nicht sein sollen," trösteten sie sich dann, und wohl ihnen, wenn sie es damit aufgaben.

5.

Ein Abend in San Francisco.

Die Nacht brach an, und wie sich in jenen Ländern gleich nach Sonnenuntergang die Dunkelheit rasch und fast plötzlich auf die Erde legt, so unterbrach sie auch hier das geschäftige Treiben der Menge. Die Karren verschwanden; die Lastträger, die, meist mit ihrem eigenen Gepäck, durch die Straßen gekeucht waren, brachten ihre Bürden unter, so gut das in der Eile ging, und die hell erleuchteten Spielsalons der Plaza sandten jetzt ihren vollen strahlenden Glanz durch die geöffneten Thüren aus in's Freie. Lockten sie mit diesem doch jetzt mehr Menschen heran, als in dem Hhellen Tageslicht, wo die Meisten überdies andere Beschäftigung hatten. Jetzt war fast Jeder frei, und in die zurückgeschlagenen Zelte und geöffneten Pforten strömten Schaaren von Menschen.

Das Parkerhaus, das zu jener Zeit den geräumigsten und bestdecorirten Saal aufwies, strahlte besonders in heller, lichter Pracht, und um sämmtliche Spieltische - deren jeder einzelne einen enormen Pacht zahlen mußte - drängten sich /72/ Leute, und hier galt weder Rang noch Stand - nur Gold.

Wieder kreischten dazu oben auf dem Orchester die Violinen, schmetterten die Trompeten und donnerten die Pauken, und durch den weiten, menschengefüllten Saal lief das dumpfe Murmeln der Menge, klang der Laut der springenden Münzen, und tönte manchmal der gellende Jubelschrei eines glücklichen Spielers, oder der lästerliche Fluch eines Verlierenden. Zuweilen knallte auch ein Champagnerpfropf dazwischen - leicht gewonnenes Geld mußte auch leicht vergeudet werden - und die Gläser der Zechenden klirrten zusammen. Aber den Gang des Spiels konnte das nicht unterbrechen, und den alten abgefeimten Spielern war das sogar ein angenehmer Ton. Die Leute, die dort ihr Geld verpraßten, glaubten, sie hätten es gewonnen, und doch war es nur geborgt, denn in einer Stunde brachten sie es, den Feuerwein in ihren Adern, gewiß mit Zins und Zinses zins an die Bank zurück.

Mitten durch diese Tische, weder das Spiel noch den Saal selber weiter eines Blickes würdigend, drängte sich ein Mann, und schon die Hast, mit der er es that, fiel hier um so mehr auf, da Niemand Eile hatte. Man war hier eben hereingekommen den Abend zu verbringen, und Schritt für Schritt alle Augenblicke an einer oder der anderen Stelle Halt machend, wogte der Menschenschwarm auf und ab im Saal. Wer da schneller vorwärts wollte als die Uebrigen, mußte natürlich die ganze Ordnung stören.

„Hallo," brummte ein Mann in einer blauen Blouse, den der Eilige etwas derb zur Seite geschoben hatte, indem er sich mehr erstaunt als ärgerlich nach ihm umsah - „na, Du wirst Dein Geld doch in diesem verbrannten Neste noch früh genug los werden, daß Du in solcher Hast danach rennst. Was der Narr läuft!"

„Hat sich gewiß neuen Baarvorrath geholt," lachte ein Anderer - ein Bursche, der einem Strauchdieb weit ähnlicher sah als einem ehrlichen Menschen - „wenn er zurückkommt, geht er langsamer - er ist noch grün."

„Je früher sie ihm dann die Flaumfedern ausrupfen, desto /73/ bester," sagte der in der Blouse, und drehte sich wieder einem der nächsten Tische zu, das Spiel zu beobachten.

Der Fremde hörte wahrscheinlich diese Bemerkungen gar nicht, oder, wenn so, achtete er ihrer nicht, denn unaufhaltsam drängte er vorwärts, und sein ängstlich dabei umherschweifender Blick schien irgend Jemanden im Saale zu suchen.

„Hier, Sir - hier ist der Platz, Ihre Taschen voll Gold zu gewinnen!" rief ihn wohl hier und da einmal ein gerade nicht beschäftigter Spieler von einem oder dem andern Tische an, konnte ihn aber nicht aufhalten, bis er plötzlich den, den er suchte, an einer Säule lehnend entdeckte und sich nun rasch zu ihm hinarbeitete.

„Siftly!" rief er dabei, als er die Schulter des Mannes berührte - „ich habe ihn gefunden!"

„Heda, Hetson?" sagte der Amerikaner, sich langsam nach ihm umdrehend - „Mensch, was hast Du, - Du siehst ja leichenbleich aus!"

„Er ist da!" - war die einzige Antwort, die er bekam, und der junge Mann wandte scheu den Kopf, als ob er das gefürchtete Schreckbild schon auf seinen Fersen glaube.

„Er? - wer?" frug aber sein Freund ruhig, der andere Sachen im Kopfe und die vorige Mittheilung des Mannes schon wieder vergessen hatte.

„Charles Golway!" flüsterte da Hetson in sein Ohr, und sah ihn mit einem Blicke an, als- ob er sein Todesurtheil von ihm erwarte.

„Charles Golway?" wiederholte erstaunt der Amerikaner. - „Ach - der Bräutigam?"

„Bst -um Gottes willen!" bat Hetson und drückte seinen Arm.

Gold!

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