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Elfenland

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Elfen sind keine Engel

Oder: Eleonore und Miranda

Es war einmal eine kleine Elfe, die, wie alle Elfen ihrer Art, einige Jahre ihres Lebens in einer Wohngemeinschaft in einem Internat verbrachte, beaufsichtigt und erzogen von Lehrerinnen, von denen jede eine Spezialistin auf ihrem Gebiet war. Es ist üblich, dass die kleinen Elfenmädchen im Alter von drei Jahren von ihren Müttern in diese Schule gebracht werden und dort bis zu ihrem 13. Geburtstag bleiben, egal, ob sie hoch begabt oder eher dürftig begabt sind, oder wieviel und was sie lernen. Danach gehören sie so oder so zu den Erwachsenen und können sich ihren zukünftigen Wohnort aussuchen: Zum Beispiel eine Wiese, eine Höhle im Berg, an einem Fluss oder in einem Baum. Nun dürfen sie auch die Farbe ihrer Garderobe wählen, die aus einem seidenfeinen Sommerhemdchen und einem dicken, warmen Gewand mit langen Ärmeln, einer Mütze und Schuhen für den Winter besteht. Während ihrer gesamten Kindheit jedoch tragen sie ein neutrales Weiß. Dieses Erziehungsmodell hat zur Folge, dass Mütter, sobald sie ihre Töchter an der Schulpforte abgeben, diese zehn Jahre lang nicht sehen und danach gar nicht mehr erkennen, denn Besuche, z.B. mit Geburtstagsgeschenken, sind nicht erlaubt. Da auch Dreijährige schon nach kurzer Zeit keine Erinnerung mehr an ihre Mütter haben, ist der Schuleintritt somit ein Abschied – was niemanden stört. Einmal, weil man es so gewohnt ist seit Urzeiten, zum anderen weil in der Regel alle Elfen freundschaftlichen Umgang pflegen – ihr Leben lang. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, doch davon später.

Die Geburt einer Elfe ist ein ganz außergewöhnlicher Vorgang: Jedes Jahr an einem bestimmten Sommermorgen, wenn sich in der Nacht zuvor Tau auf den Blättern gesammelt hat und nun in der Sonne funkelt wie Diamanten, dürfen die Elfen einmal in ihrem Leben von diesen Tropfen trinken. Wenige Wochen später wird dann ein Elfenbaby geboren, so winzig, dass von einer Mühsal der Geburt nicht die Rede sein kann – weshalb der Beruf der Hebamme gänzlich unbekannt und Kinderkriegen somit das reinste Vergnügen ist.

Die Lebensdauer einer Elfe beträgt exakt zweihundert Jahre – kein Grund für Bedenken oder Sorgen, wenn man sein Lebtag immer gleich gut aussieht, nicht größer oder dicker, nicht grauhaarig und faltig, nicht schwerhörig und kurzsichtig wird oder falsche Zähne braucht. Auch Krankheiten sind eher selten, vielleicht dass jemanden mal eine kleine Magenverstimmung nach allzu gierigem Genuss von Süßem quält, oder leichte Schwindelgefühle auftreten beim Hubschrauberspiel, bei dem sie sich spiralförmig hochschrauben in die Luft.

Sogar ihr Ende ist viel angenehmer als z.B. bei Menschen: Wenn die Zeit gekommen ist, legen sich die Elfen ins Bett und schlafen friedlich ein. Dann verwandeln sie sich in das Samenkorn einer Blume. In welche ist reiner Zufall - es kann ein Gänseblümchen oder eine Silberdistel sein, ein Löwenmäulchen oder Klatschmohn. Es besteht auch keine Gewissheit darüber, wie bald und ob man überhaupt als Blume von Menschen gepflückt oder von Tieren gefressen wird – oder lange und unbehelligt blühen darf. Auch hier gibt es eine Ausnahme von der Regel: Die Elfenköniginnen verwandeln sich in Rosenstöcke, die in den Garten auf der Südseite des Königspalastes gepflanzt werden. Da Elfen scheue Wesen sind und den Blicken der Menschen möglichst verborgen bleiben wollen, besitzt die Königin, und nur sie allein, die Gabe, diesen herrlichen Rosengarten, den Palast, die Schule und andere Einrichtungen für das menschliche Auge unsichtbar zu machen. Alle anderen Elfen verfügen nur über recht schwache Zauberkräfte, die gerade ausreichen, um sich bei Bedarf selber unsichtbar zu machen. Je nachdem, wie gut sie während ihrer Schulzeit im Fach Elfenmagie aufgepasst haben, gelingt ihnen das mehr oder weniger perfekt – manchmal dauert es ewig lange, manchmal sind nur Teile von ihnen verschwunden. Es ist vorgekommen, dass ein Paar Flügel umherflogen ohne sichtbaren dazugehörigen Körper.

Über das Elfenvolk herrschte zu der Zeit, als Miranda ihr vorletztes Jahr im Internat verbrachte, die Königin Eleonore. Deren offizielle Anrede lautete: „Hochverehrteste, weiseste und gelehrteste Majestät“, worauf sie jedoch meistens verzichtete – Eleonore war eine unkomplizierte, uneitle Frau. Außerdem wusste jeder, dass sie tatsächlich weise und gelehrt war – also wozu es ständig betonen? Und dass sie von all ihren Untertanen geduzt wurde, tat der Verehrung keinen Abbruch. Nur manchmal, wenn sie schlechte Laune hatte oder sich nach einem ungebundenen Leben sehnte ohne Verpflichtungen, dann wurde sie unruhig, ungeduldig, auch gelegentlich ungerecht. Dann konnte es vorkommen, dass sie plötzlich mit Nachdruck ihren vollen, pompösen Titel forderte.

Eleonore war Königin geworden, wie alle Königinnen vor ihr auch, und das läuft so ab: Kurz bevor eine Königin ihr letztes Lebens- bzw. Dienstjahr beginnt, wird unter den Mädchen des Internats eine geeignete Nachfolgerin gesucht. Alle Lehrerinnen beteiligen sich an der Suche und die Schulleiterin präsentiert der Königin anschließend zwei Mädchen zur Auswahl. Die prüft beide und entscheidet, welche ihre Nachfolge und welche die Nachfolge der Schulleiterin antreten soll, denn beide Termine, und auch das ist seit Urzeiten so, fallen zusammen. Sodann widmen sowohl die Königin als auch die Schulleiterin einen Großteil der ihnen verbleibenden Zeit für die besondere Erziehung ihrer Schützlinge, von denen erwartet wird, dass sie nicht nur intelligent und fleißig sind, sondern auch bereit, Verantwortung zu übernehmen und ein einwandfreies Leben zu führen, ein Vorbild zu sein für alle anderen Elfen.

Ganz ähnlich werden auch die übrigen Lehrerinnen ausgewählt, womit eine gleichbleibend gute Qualität des Unterrichts gewährleistet ist - das System hat sich bewährt.

Alle Elfen, außer den Internatsschülerinnen mit ihren Lehrerinnen und der Königin mit ihren Bediensteten, leben allein. Jedoch begegnen sie sich nicht nur ständig im Alltag, besuchen sich und halten Schwätzchen, es gibt auch genügend Anlässe zu Versammlungen des gesamten Volkes. Zum Beispiel findet regelmäßig im Palast der Königin ein Sommerfest statt. Einmal im Jahr während der sogenannten ‚Öffentlichen Woche‘, die mit einer Rede der Königin zur Lage der Nation beginnt, hat jede Elfe die Gelegenheit, ein Anliegen vorzutragen. Es werden Streitigkeiten geschlichtet, Aufträge erteilt, Beschwerden gehört und Belobigungen und Ermahnungen ausgesprochen.

Danach begibt die Königin sich auf Reisen, zwei bis drei Wochen lang besucht sie jeden Winkel ihres Reiches und ist zu Gast bei anderen Elfenvölkern - da gibt es zum Beispiel solche, die nur aus Männern bestehen oder auch gemischte. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, Grenzen bestimmt und Freundschaften geschlossen. Außerdem nimmt sie an Geschäftsessen mit Zwergen teil, ihren wichtigsten Handelspartnern, und schließt neue Verträge ab. Während jeder dieser Abwesenheiten wird ihr Palast renoviert und gesäubert, so dass bei ihrer Rückkehr alles blitzt und blinkt und frisches Obst auf dem Tisch steht.

Auch Miranda war mit drei Jahren in die Schule gekommen und hatte in den ersten fünf Jahren das übliche Grundlagenprogramm absolviert: Schreiben, Rechnen, Lesen. Bevor die zweite Hälfte ihrer Ausbildung beginnt, werden die Elfenkinder stets gefragt, worin sie sich spezialisieren, also welche besonderen Fächer sie von nun an belegen wollen.

Als man Miranda diese Frage stellte, antwortete sie keck: „Alle!“

„Oha, alle! Weißt du, was das bedeutet? Natürlich nicht,“ sagte Cornelia, die Leiterin der Erziehungseinrichtung, in mütterlichem Tonfall, obwohl sie Miranda nicht mochte, „sonst hättest du diesen Wunsch nicht geäußert. Alle Fächer sind entschieden zu viel, das kannst du mir glauben, mein Kind. Nicht mal ich habe das geschafft,“ fügte sie mit spitzem Mund hinzu und dachte an die Andere, die es auch seinerzeit versucht hatte. „Also geh nochmal in dich und überlege dir, was du aus deinem Leben machen willst … und entsprechend wählst du deine Fächer aus.“

„Könnte ich es nicht umgekehrt machen,“ Miranda sah ihr fest in die Augen, „erst alles lernen und dann entscheiden, was ich später machen möchte … dann hätte ich eine größere Auswahl, findest du nicht auch?“

Cornelia dachte scharf nach – das klang neuartig, ungewöhnlich, rebellisch, wie so vieles, was von Miranda kam – aber auch logisch.

„Na schön,“ gab sie nach, fest überzeugt, dass sie bald scheitern würde, „aber jammere mir nicht die Ohren voll von wegen Stress. Glaube nicht, dass du ein Extra-Jahr geschenkt bekommst. Wenn deine Zeit hier um ist, ist sie um … dann musst du gehen, wie alle anderen auch.“

Miranda und Stress? Doch nicht vom oder beim Lernen. Das kam höchstens bei der Vorbereitung von Kinderpartys oder in Hauswirtschaftslehre vor.

„Miranda, wenn du keinen Zucker hineinrührst, wie soll denn da Holundersirup entstehen?“

„Sirup ist so eklig süß und klebrig.“

„Das ist das Wesen von Sirup.“

„Ich mag kein süßes, klebriges Wesen.“

„Du magst keinen Holunder?“

„Sicher mag ich Holunder, seinen Duft und die kleinen weißen Blüten.“

„Aber die anderen Kinder mögen den Sirup!“

Oder: „Miranda, wir wissen ja, dass du Klebriges nicht magst, aber Klebstoff ist nicht süß und du sollst ihn auch nicht zu essen … aber wir brauchen massenhaft bunte Papierblumen und grüne Blätter für die Girlanden … also papp sie endlich zusammen!“

„Wenn wir so viel Girlanden aufhängen, sehen wir ja die richtigen Blätter und Blumen nicht mehr.“

„Aber die anderen Kinder lieben Blumen aus Papier!“

Cornelia konnte sich nicht erinnern, jemals ein so schwieriges und wissbegieriges Kind erlebt zu haben. Denn außer mit Mirandas ganz eigenen Ansichten kämpfte sie auch noch mit ihren pausenlosen, äußerst lästigen Fragen.

„Miranda, wann hört diese Fragerei endlich auf, wann endlich hast du genug, wann endlich weißt du genug?“

Worauf Miranda prompt mit einem Zitat des anerkannt weisen Sokrates aus dem antiken Athen aufwartete: „Je mehr ich weiß, desto mehr weiß ich, dass ich nichts weiß.“

Und das bedeutet nichts anderes, als dass sich jedes Mal, wenn man etwas Neues kennenlernt oder dazulernt, sogleich eine Unmenge neuer Fragen ergeben.

„Sie zaubert tadellos,“ sagte die Lehrerin für Elfenzauber, der natürlich an Raffinesse nicht einem Hexenzauber vergleichbar ist, „ich kann ihr nichts mehr beibringen.“

„Sie kennt Fische und Wasserpflanzen aus dem Teich, die nicht einmal ich kenne, weiß der Kuckuck, woher sie das alles hat,“ meinte die Wasserwelt-Expertin leicht pikiert.

„Sie fliegt wie eine Schwalbe, sogar den Sturzflug beherrscht sie perfekt,“ sagte die Flugübungsleiterin nicht ohne eine gewisse Bewunderung in der Stimme.

„Und den Kopfsprung vom Zehnzentimeter-Ast auch,“ fügte die Schwimmtrainerin hinzu, „ihr solltet sie sehen, wie sie ins Wasser taucht, wie ein Eisvogel! Fehlt nur noch, dass sie anschließend einen Fisch quer im Mund hat.“

„Nein, Fische sammelt sie nicht, aber leere Schneckenhäuser, Steine, Muschelschalen, getrocknete Blätter, Zapfen, Rinde … ganze Schubladen hat sie mit diesem und anderem Krimskrams vollgestopft,“ ereiferte sich die Elfendame, die für Ordnung, Sauberkeit und gutes Benehmen zuständig war und verdrehte die Augen.

Die Himmelskundige, die bisher nur mit verkniffenem Gesicht zugehört hatte, meldete sich nun auch zu Wort: „Ihr werdet es mir nicht glauben, was sie neulich mir gegenüber behauptet hat: Es gäbe außer unserer Sonne noch viele andere Sonnen.

‚Etwa auch noch eine Erde wie unsere,‘ frage ich ironisch. ‚Wie kommst du nur auf so eine Wahnsinnsidee? Hast du die Sonnen etwa mit eigenen Augen gesehen?‘

‚Wir alle sehen sie, du auch,‘ antwortet sie frech, ‚schau nur nachts zum Himmel hoch, all die unendlich vielen Sterne, das sind Sonnen.‘

‚Diese winzigen Dinger,‘ frage ich, ‚Unsinn, das sind nur Splitter unserer Sonne, die sie wohl mal verloren hat, weiter nichts.‘

‚Sie erscheinen uns so klein, weil sie weit weg sind, in Wahrheit sind sie riesengroß. Und auf den Erden, die um sie umkreisen, wachsen vielleicht Bäume und Blumen wie bei uns. Und vielleicht leben auch Elfen, Tiere und Menschen dort.‘

„Ihr könnt euch vorstellen, wie sprachlos ich war. Was soll man auch einem so zügellos phantasierenden Kind antworten? ‚Lass mich jetzt mit deinen Flausen in Ruhe, ich habe Ernsthafteres zu tun,‘ sage ich schließlich zu ihr um dem ein Ende zu machen. Die Kleine hat sie doch nicht mehr alle!“

Die Lehrerinnen schüttelten ihre Köpfe oder grinsten verstohlen und die für artfremde Sprachen stieß ein: ‚Heaven!‘ hervor.

Eines Tages, nach insgesamt gut acht aufreibenden, erschöpfenden Jahren mit Miranda, ließ sich die Bio-Lehrerin während einer Konferenz entnervt in ihren Stuhl fallen und stellte die entscheidende, alles ins Rollen bringende Frage: „Was will dieses Mädchen eigentlich? Sie kennt alle Kräuter, Pflanzen und Tiere des Waldes. Sie spricht deren Sprachen, und, soweit ich weiß, auch die der Zwerge und Menschen … will sie etwa eine Gelehrte werden?“

Das war das erste Mal, dass Miranda mit dem Begriff ‚gelehrt‘ in Zusammenhang gebracht wurde und nicht wie üblich mit ‚unbequem‘ oder ‚vorlaut‘. Cornelia horchte auf. Als gelehrt wurde gemeinhin nur die Königin bezeichnet, selbst die Lehrerinnen durften sich allenfalls ‚gebildet‘ nennen. Sie zog scharf die Luft ein – könnte es sein, dass sich diese Miranda ein bestimmtes, sehr hoch gestecktes Ziel in den Kopf gesetzt hatte? Zuzutrauen wäre es ihr. Aber sie, Cornelia, hatte längst ihre Wahl getroffen unter den Mädchen: Regina, die fleißigste Schülerin des Internats, brav, bescheiden und anspruchslos. In wenigen Monaten war es soweit, dann würde sie Regina der Königin als einzig Passende unter allen Mädchen empfehlen. Gewisse Ereignisse durften sich nicht wiederholen! Nein, sie wollte nicht ein zweites Mal erleben, dass eine Andere der Besten vorgezogen wurde, eine, die genauso unverbesserlich, so schwer zu erziehen war wie Miranda. Cornelias Gesichtszüge strafften sich vor Entschlossenheit, diesmal musste es nach ihrem Willen gehen und nicht nach Eleonores. Auf der Stelle musste sie die Königin vor Miranda warnen, von vornherein musste ausgeschlossen werden, dass Miranda für ein Amt infrage kam, am allerwenigsten für das der Königin.

Noch am gleichen Tag flog sie zum Palast und bat um eine Audienz.

„Hallo Cornelia, du hast Glück, ich habe keine weiteren Termine heute Nachmittag. Da brennt dir aber was unter den Nägeln, wenn du ganz unangemeldet hier hereinschneist, oder?“

Eleonore benutzte an schönen Sommertagen eine Rosenlaube als Büro, die zwar sehr hübsch anzusehen und herrlich kühl war, in der es auch stets angenehm duftete, aber man musste höllisch aufpassen, dass man den Wänden nicht zu nahe kam.

„Ja, du hast Recht … es pfeifen ja schon die Spatzen von den Zweigen … und ich, d.h. wir, sind inzwischen völlig ratlos. Sag du uns, was wir machen sollen.“

„Herzlich gern, worum geht es denn,“ fragte Eleonore freundlich.

„Um Miranda …“

„Wer ist Miranda?“

„Du kennst sie nicht? Bis zu dir ist es also noch nicht gedrungen?“

„Nein … was denn?“

„Diese Miranda ist eine Schülerin in der vorletzten Klasse, und sie ist das gerissenste, wildeste, widerborstigste und dümmste Mädchen der Schule. Deshalb wollte ich dich dringend bitten, sie für den Rest der Schulzeit zum Volk der Gemischtlebenden zu schicken.“

„So schlimm ist es? Du meine Güte … und ihr, das heißt das ganze Lehrerkollegium ist auch dieser Meinung? Na schön, ich habe Freunde unter den Gemischten, ich bin sicher, dass sie uns helfen werden. Weißt du, sie haben vorwiegend Männer als Lehrer … und das wäre für deine Miranda wahrscheinlich genau das Richtige: Mal ein bisschen härter angefasst werden, mal die Ohren langgezogen kriegen. Wer weiß, ob sie danach nicht doch noch ein ganz ordentliches Geschöpf wird … sie könnte nach der Schulzeit ihren Wohnsitz an einer Quelle nehmen … murmelndes Wasser beruhigt und besänftigt.“

Cornelia frohlockte innerlich, das ging leichter als gedacht. Gerade wollte sie sich herzlich dankend verabschieden, da schaute Eleonore sie nachdenklich an: „Andererseits … der Fall beginnt mich zu interessieren. Weißt du was, ehe wir zu so drastischen Maßnahmen wie Verbannung greifen, schick sie doch gleich morgen früh zu mir, ich möchte mir gern selber ein Bild von ihr machen und bei der Gelegenheit ein paar passende Worte an sie richten … mal sehen, ob sie es wagt, auch ihrer Königin gegenüber ungezogen zu sein.“

„Das möchte ich dir unter allen Umständen ersparen,“ rief Cornelia erschreckt und riss sich an den Rosendornen.

„Mach dir keine Sorgen,“ winkte Eleonore lachend ab, „ich werde doch wohl eine kleine Göre bändigen können. Also, denk dir irgendeinen Vorwand aus, unter dem du sie hierher schickst … sag ihr auf keinen Fall, warum ich sie sehen will!“

Cornelia, die schlecht geschlafen hatte und dementsprechend müde war, fiel auch nach längerem Grübeln nichts Besseres ein, als Miranda am nächsten Tag ein Schilfkörbchen mit drei Walnüssen vom letzten Jahr, deren Schalen schon schwarz verfärbt waren, in die Hand zu drücken.

„Bring bitte dieses Geschenk der Hochverehrtesten, weisesten und gelehrtesten Majestät … mit besten Grüßen von mir.“

Miranda schaute auf die unansehnlichen Nüsse und in ihrem Gesicht war deutlich zu lesen, was sie dachte.

„Was schaust du so, sie mag Walnüsse, sie freut sich bestimmt darüber.“

„Wenn du meinst.“

„Ist nur die Schale, die so … na ja, also schön ist sie nicht, aber die Kerne sind sicher noch gut.“

„Vielleicht.“

Cornelia überlegte, Honig kam nicht infrage, Eleonore hasste süße, klebrige Sachen. „Genau wie Miranda,“ fuhr es ihr durch den Kopf. „Hast du eine bessere Idee,“ fragte sie ziemlich grob.

„Die Walderdbeeren sind gerade reif.“

Natürlich, Eleonore liebte Beeren, alle, die hier im Wald vorkamen: Himbeeren, Blaubeeren, Brombeeren, Preiselbeeren und Erdbeeren. Dass sie darauf nicht selber gekommen war.

„Ich habe gleich Unterricht, nacheinander in der 4., 5. und 6. Klasse …“ Cornelia sah Miranda prüfend an, sie war 12 Jahre alt, fast erwachsen.

Als wenn Miranda ihre Gedanken gelesen hätte, sagte sie: „Du könntest mich schicken. Wenn du mich in Hauswirtschaftslehre abmeldest, fliege ich gleich los.“

„Hauswirtschaftslehre! Ich verstehe! Na schön, ausnahmsweise … du hast meine Erlaubnis, Erdbeeren für die Königin zu sammeln. Du wirst dich doch hoffentlich nicht verlaufen?!“

Normalerweise war es Kindern streng verboten, ohne Begleitung von Erwachsenen in den Wald zu gehen, auch Miranda war bisher immer nur mit ihrer Schulklasse dort gewesen.

„Bestimmt nicht, ich weiß, wo es Erdbeeren gibt, es ist gar nicht weit,“ sagte sie deshalb schnell, schnappte sich das Körbchen, drückte Cornelia die Walnüsse in die Hand und flog davon bevor diese noch weitere Bedenken äußern konnte.

Elfen sind keine Engel

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