Читать книгу Von Gnomen und Menschen - Gisela Schaefer - Страница 5

Bomburs, Nidis und Durins Reise

Оглавление

Unter all diesen gründlichen Vorbereitungen verging das Jahr wie im Fluge. Der Abend der Abreise kam. Buba holte Bombur ab, ihr Sohn Nori ließ zur gleichen Zeit Durin auf seinem Rücken Platz nehmen und ihre Tochter Billa Nidi. Da tauchten überraschend für alle Beteiligten Zimbel und Trudi, die beiden anderen Kinder Bubas auf und erklärten, dass man nie wissen könne, ob Ersatzflie ger notwendig würden, oder Gepäckträger. Die Wahrheit war, dass die beiden auf keinen Fall die Dummen sein wollten, denen dieses aufregende Abenteuer versagt bliebe.

„Welches Gepäck,“ dachte denn auch Bombur sofort, der, genau wie seine Kollegen, einen Kittel zum Wechseln in einem Rucksack auf dem Rücken trug nebst einem kleinen Vorrat an in Blätter gewickelte Pülverchen gegen Magenverstimmung und andere Unpässlichkeiten – nicht ahnend, als wie weise sich die kleinen Notlügen der beiden jungen Uhus erweisen sollten.

In allen drei Familien spielten sich rührende Abschiedsszenen ab. Begleitet von Jubelrufen und Tränen gleichermaßen, hoben Buba, Nori und Billa mit ihren Passagieren, Zimbel und Trudi ohne vom Boden ab, stiegen empor bis über die höchsten Baumspitzen und flogen dann nebeneinander Richtung Waldrand. Wie Buba richtig vorausgesehen hatte, mussten sie häufig kleinere und größere Pausen einlegen, dann kam ihnen auch noch ein heftiges Gewitter mit Donner, Blitz und Hagelschlag dazwischen, vor dem sie sich in eine Felshöhle flüchteten, wo sie stundenlang ausharrten, bis die dicke Wolkenfront vorübergezogen war – und tagsüber taten sie das, was Uhus üblicherweise tun, nämlich schlafen. Nidi, Durin und Bombur versuchten, sich dem anzupassen, mussten sie doch während der Nächte wach bleiben, was nicht nur wegen ihrer Art als Tag-Lebewesen schwierig war, sondern auch deswegen, weil sie mit ihren tageslichtgewohnten Augen wenig sahen und daher die Minuten sich wie Stunden dehnten.

Drei Nächte brauchten sie, dann, am vierten Morgen, sahen sie die Ansiedlung und den Rauch, der von den Herdfeuern durch die Kamine aufstieg. Häuser und Menschen waren so winzig klein, dass ihnen ihr Vorhaben kurzzeitig wie ein Kinderspiel vorkam. Doch ihr

Übermut schwand, je tiefer sie flogen. Sie landeten auf halbem Wege zum Dorf und Buba sagte; „Mir ist nicht wohl dabei, aber wir müssen euch hier verlassen. Auf jeden Fall bleiben wir in der Nähe. Falls ihr in Bedrängnis geratet, stoßt den schrillen Schrei aus, den ich euch gelehrt habe … wir kommen so schnell wie möglich. Ansonsten, wie besprochen, werden wir am Anfang des nächsten Monats an drei Abenden hintereinander um die gleiche Zeit hier an diesem Platz sein und auf euch warten. Wer bis dahin nicht zurück ist, von dem müssen wir leider annehmen, dass er … äh … wohl nicht mehr kommen kann. Viel Glück!“

Es war das Jahr 920 n. Chr., als sich dies zutrug und die Gnome dem Dorf am Rande des Waldes ihren ersten Besuch abstatteten – der dazu führte, dass nach der glücklichen Heimkehr der drei Mutigen entschieden wurde, auf eine Beziehung zu den Menschen vorerst zu verzichten und einen erneuten Versuch in genau 100 Jahren zu unternehmen – genauso, wie Bombur es von Anfang an bei ungünstiger Beurteilung geplant hatte.

Er führte auch dazu, dass die Menschen durch einige unerklärliche Vorfälle in ihrem Dorf während des ganzen Monats September noch abergläubischer und misstrauischer wurden, als sie es ohnehin schon waren und von der Existenz der bisher nur vermuteten bösen Geister, die ihren Wohnsitz im Wald hatten – wo sonst – nun vollends überzeugt waren. So verhielt sich das Vieh in dieser Zeit recht ungewöhnlich. Kühe warfen mit ihren Hinterläufen die Milcheimer um, so dass sich die weiße Flüssigkeit auf dem Boden verteilte, oder sie schlugen mit aller Kraft dem Melkenden ihre grün-braun besudelten Schwänze um die Ohren. Pferde tobten störrisch, stiegen auf die Hinterbeine, galoppierten in den Wohnraum und äpfelten dort vor Aufregung auf die Schlafstätten. Nicht wenige Tiere entkamen, weil Fesseln gelöst waren und Stalltüren offen standen, was wiederum zu mancher Anschuldigung gegenüber Ehefrauen, Kindern und Gesinde führte, zu Backpfeifen, Kopfnüssen, Tränen und Unschuldsbeteuerungen. Mehr noch, Lebensmittel verschwanden oder waren angeknabbert, von Würsten und Käse-Laibern fehlten Ecken und Herdfeuer entzündeten sich ganz allein, so dass Suppen überkochten oder Fleisch verbrannte. Die Männer ärgerten sich über verlegtes Werkzeug, die Frauen über zerquetschte Eier im Hühnerstall und alle staunten nicht schlecht, als sie im Fell der Lämmer dieses Jahres runde Löcher fanden. Nachts schreckten die merkwürdigsten Geräusche die Bewohner aus dem Schlaf, denen sie anfangs nachgingen, aber als sie weder Katzen, Mäuse oder Ratten fanden, nur noch mit der Heimsuchung durch jene bereits erwähnten bösen Geister erklären konnten. So blieben sie in ihren Betten, zogen bleich und schlotternd die Decken über die Köpfe und hofften, dass der Spuk bald vorbei sei und sich der Schaden in Grenzen halte.

Eines der unerklärlichsten Ereignisse fand beim alten Bastian statt, als sein als aggressiv und deshalb allseits gefürchteter Hahn eine halbe Stunde lang stocksteif auf dem Hof stand, in einer Haltung, die auf eine Verfolgungsjagd schließen ließ, in deren Verlauf ihn der Blitz getroffen haben musste. Aber kein Haar war ihm gekrümmt, starr blickte er geradeaus, kein Ton kam aus seinem Hals. Das Phänomen sprach sich in Windeseile im Dorf herum, er wurde zur Attraktion für Jung und Alt, die den schrecklichen Hahn nun gefahrlos von allen Seiten beäugen konnten. Man überbot sich im Aufstellen von Mutmaßungen und Theorien, was ihm wohl zugestoßen sein könnte. Aber noch während sie das taten, erwachte der Unhold plötzlich aus seiner Erstarrung, sah sich von einer gaffenden Menge umringt, sein Kamm schwoll zu feuerrotem Zorn an und dann stürzte er sich mit wildem Geschrei auf die ihm Nächststehenden. Die Dorfbewohner stoben in Panik davon, der Hahn hinter ihnen her, zwickte mal dem einen in die Wade, mal dem anderen ins Ohrläppchen, rupfte Haarbüschel aus, grub blutende Löcher in Schultern, wo er mit seinen scharfen Krallen Halt suchte, kurzum, er veranstaltete ein solches Massaker, dass so mancher anschließend mit Salben und Tinkturen behandelt werden musste.

Am nächsten Tag, nach einer allgemeinen Versammlung und Beratung zu diesem ungeheuerlichen Vorfall, forderte man den alten Bastian auf, dem Hahn den Hals umzudrehen. Auch sollte er selber für einen neuen Sorge tragen, da er zu viel Unheil angerichtet habe und nicht auch noch Schadenersatz fordern könne für ein von Geburt an boshaftes Viech, das nun vollends übergeschnappt war. Der Hahn wurde geschlachtet und über dem Feuer am Spieß knusprig gebraten, was im ganzen Dorf zu riechen war und jeden zufriedenstellte. Und als im Oktober wieder Ruhe einkehrte, waren sie heilfroh und hofften, dass der Friede lange erhalten bleiben möge.

Noch eine Veränderung brachte der verwunschene September mit sich. Gernot, ein hochgewachsener Mann im besten Alter, mit außergewöhnlichen Kräften in den Armen und ebensolchen geistigen Fähigkeiten, erklärte den verdutzten Dorfbewohnern, dass es in solch unsicheren Zeiten eines Anführers bedürfe, der die Gemeinschaft leiten und schützen könne. Da niemand unter ihnen Gernot an Redegewandtheit gewachsen oder gar überlegen war, mangelte es an Gegenargumenten und auf diese Weise bekam das Dorf nun einen Beschützer. Der bestimmte kurz vor seinem Tod seinen erstgeborenen Sohn zum Nachfolger, was ebenfalls widerspruchslos hingenommen wurde und sich von da an von Generation zu Generation wiederholte. Einen Höhepunkt erreichte die Karriere der Gernot‘schen Nachfahren mit der Verleihung des Adelstitels ‚Graf‘ – doch davon später.

Bombur, Durin und Nidi waren nach der glücklichen Landung zuhause von ihren Familien mit großer Freude und Erleichterung empfangen worden. Natürlich schielte man zugleich verstohlen auf die mitgebrachten prallvollen Säcke, die Zimbel und Trudi transportiert hatten und von denen man annahm, dass sie voller Reiseandenken steckten. Aber obwohl sie schier barsten vor Neugierde, war eine der ersten Fragen, die verriet, dass sie ihre alte Heimat nicht vergessen hatten: „Hast du Nordmänner gesehen?“

„Nein,“ schüttelte Bombur den Kopf, „aber gehört, dass sie erobernd und plündernd durch die ganze Welt ziehen … Angst und Schrecken verbreiten sie.“

„Das wundert mich kein bisschen, denn ich kann mir denken, woher sie das Eisen für ihre Waffen haben,“ unterbrach ihn sein Vetter Nain mit funkelnden Augen.

Alle nickten zustimmend – nur zu gut erinnerten sich die älteren unter ihnen der fremden Gnome, von denen sie einst so brutal vertrieben worden waren.

„Was die Dorfbewohner hier anlangt“, fuhr Bombur fort, „sie jammern immer noch ihrem Großen Kaiser nach, Karl hieß er, obwohl er schon so lange tot ist. Unter ihm soll angeblich alles besser gewesen sein. Der Wald gehörte ihm auch, und heute seinem Nachfolger Heinrich I von Sachsen, der erst letztes Jahr zum König gekrönt wurde. Der kümmert sich aber auch nicht, weil er noch Hunderte andere hat.“

„Erzähl uns, wie ihre Häuser aussehen.“

„Sind alle aus Holz und sehen alle gleich aus … bis auf eines, das ist größer als die anderen. Der Mann, der dort mit seiner Familie lebt, heißt Gernot.“

„Ist er auch ein König oder ein Weiser Mann?“

„Weder noch … aber es würde mich nicht wundern, wenn er es noch weit bringen würde. Er ist ein wenig schlauer als die anderen, hat mehr Ziegen, Schafe, Schweine und Rinder. Er ist besser gekleidet als die anderen Männer in ihren ausgebeulten, geflickten Beinlingen und grobgewebten Hemden. Und seine Frau, die besitzt eine ganze Truhe voller Kleider … ein blaues, ein gelbes, ein grünes und ein rotes … so rot wie Blut, ich schwöre es.“

„Rot? Wie machen sie das?“

„Sie färben mit verschiedenen Erden und Pflanzen. Der rote Farbstoff jedoch ist getrockneter Schneckenschleim, den ein umherziehender Händler eintauscht gegen ein gut gemästetes Schwein, was sich im Ort nur Gernots Frau leisten kann.“

„Igitt! Schneckenschleim … müssen sie dafür die Schnecken töten?“

„Ich fürchte ja. Der Fuchs hatte Recht als er behauptete, dass sie die Tiere ausnutzen … aber das taten die Nordmänner auch.“

„Was meinst du, hat er auch Recht mit seiner Warnung, dass sie … na ja … auch für uns Verwendung hätten?“

Bombur wiegte seinen Kopf hin und her. „Das wäre denkbar,“ sagte er schließlich gedehnt, „ich habe mal eine Frau belauscht während sie Erbsen pielte. Dabei fluchte sie lautstark und wünschte sich für diese langweilige Arbeit ein paar Wichtelmänner. Der Schmied des Dorfes sagte zu seinen Kindern, sie hätten einen kleinen Mann im Ohr. Natürlich habe ich, als sie schliefen, in ihre Ohren geschaut … keine Spur von kleinen Männern. Wie dem auch sei und was immer diese geheimnisvollen kleinen Kerle darin machen, für ihre Ohren könnten sie uns nicht brauchen, weil sie ziemlich klein sind.“

Bombur, der schon längst ihre begehrlichen Blicke Richtung Reisesack bemerkt hatte, zog diesen nun zu sich heran und öffnete ihn lächelnd. „Übrigens,“ sagte er wie nebenbei, „ehe ich’s vergesse, ich hab da ein paar Sachen mitgebracht …“, und zog ein Büschel heller, lockiger Haare hervor. „Schafwolle … und seht nur, was sie daraus stricken … das legen sie sich um den Hals, wenn es kalt ist.“

Ein Schal kam zum Vorschein, so weich und anschmiegsam, dass alle Gnom-Frauen in helle Aufregung gerieten ob dieser unbekannten Technik, Fäden zu verarbeiten. Weben und zusammennähen, das kannten sie, aber stricken? Sofort bedrängten sie Bombur, ihnen jetzt gleich und auf der Stelle vorzuführen, wie man die beiden dünnen, langen Holzstäbchen einsetzen musste, um ein solch kompliziertes Maschenwerk zu zaubern.

„Hat mit Zauberei nichts zu tun, ist eine elende Plackerei, ich hoffe, ich hab’s nicht vergessen,“ brummte der und kratzte sich am Kopf – stricken war ganz und gar nicht sein Ding. Aber schließlich brachte er es fertig, mit steifen, ungeschickten Fingern eine erste Reihe Schlingen aufzunehmen und eine zweite Reihe zu stricken ohne eine Masche unterwegs zu verlieren.

„So geht das,“ sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, „jetzt die volle Nadel auf die andere Seite und von vorne. Sie können sogar Muster hineinstricken, aber das tüftelt ihr bitte selber aus.“

Damit drückte er seiner Frau das Kunstwerk in die Hand und wechselte schnell das Thema.

„Manchmal,“ sagte er, „zu besonderen Anlässen, trägt Gernots Frau Schmuck aus Silber und bunten Steinen um den Hals, an den Fingern und an den Ohren.“

„So wie die Gewandspangen, Gürtelschnallen und Bernsteinketten der Nordmänner?“

„So ähnlich, ja, aber zierlicher gearbeitet.“

Bombur fragte sich in diesem Moment, wie wohl die rundlichen Frauen seiner Sippe mit ihren niemals von einem Kamm berührten Wuschelhaaren, mit Knubbelnäschen und Riesenohrmuscheln, barfuß mit reichlich schwarzer Erde unter den Nägeln so herausgeputzt aussehen würden. Bisher war es den Gnomen noch nie in den Sinn gekommen, sich selber mit Gold und Edelsteinen zu schmücken. Aber Bomburs Ehrgeiz war entflammt, seit er diese kunstvollen Arbeiten gesehen hatte.

Nach und nach holte er auch die übrigen Mitbringsel hervor: einen Kamm, einen Spiegel, eine Holzflöte, getrocknete Bohnen und Erbsen, Karottensamen, Weizen- und Haferkörner und vieles mehr, was jedes Mal mit Ausrufen des Staunens begleitet wurde. Tränen lachten sie über die kleinen Streiche ihrer Weisen Männer, die sie aus Übermut oder auch als Strafe verübt hatten. Wie zum Beispiel Durin den Hahn vom alten Bastian verzaubert hatte, weil der kurz davorstand, ihn ordentlich zu zerhacken. Oder wie sie Unruhe in den Ställen gestiftet hatten und schlaflose Nächte durch mancherlei störende Geräusche. Als alles bis ins Kleinste erzählt war, was es nur zu erzählen gab, stellte Bomburs Urenkel und zukünftiger Nachfolger Olof die entscheidende Frage: „Und wie steht‘s damit … können wir ihnen vertrauen oder nicht?“

„Nein, können wir nicht und werden wir nicht,“ antwortete Bombur mit großer Entschiedenheit. „Die meisten von ihnen sind streitlustig, sie belügen und betrügen sich untereinander, selbst ihre Frauen und Kinder können nicht Frieden halten, und irgendwo im Land scheint immer ein Krieg zu toben. Sie besitzen Unmengen an Waffen, und sie haben so große Angst vor ihren Mitmenschen, dass sie um ihr Dorf einen Palisadenzaun errichten wollen. Wie könnten wir ihnen vertrauen, wenn sie sich untereinander nicht trauen? Nein, meine Lieben, so leid es mir tut, nicht während meiner Amtszeit!“

So oder so ähnlich äußerten sich auch Bomburs Reisegefährten Nidi und Durin gegenüber ihren Familien – und damit war die Sache vom Tisch, wie man so schön sagt.

Als hundert Jahre später, im Jahre 1020, Olof, Frido und Grendel von ihrem Ausflug zurückkamen, konnten auch sie nichts anderes sagen als: „Nein, meine Lieben, so leid es uns tut, nicht während unserer Amtszeit!“

Auch ihre Urenkel nicht, und deren und immer so fort.

So kam es, dass diese Fahrten über die Jahrhunderte Tradition bei den Gnomen wurden, wie das Bergbauwesen, wie das Amt des Weisen Mannes und wie der Transport durch Bubas Nachkommenschaft - immer noch im Andenken an die gute Tat Bomburs an der allerersten Uhu-Familie des Waldes.

Nun waren diese Reisen aber keineswegs ergebnislos, denn jedes Mal gab es neben dem Altbekannten auch Neuigkeiten, Erheiterndes oder Bedrückendes. Mal lachten die Gnome schallend über die Verrücktheiten der Menschen, mal weinten sie Tränen, wenn sie von deren Schicksalsschlägen und Bosheiten hörten. Mit einer Mischung aus Entsetzen und Stolz reagierten sie auf die Nachricht, dass die Normannen, Nachfahren der Bewohner ihrer alten Heimat, im Jahre 1066 England erobert hatten. Die Nachkommen Gernots, die längst ihre Machtbefugnisse über das reine Beschützen hinaus ausgedehnt hatten, bauten sich eine Burg aus Holz und nannten sie Gernotsheim.

Als jedoch eine Generation später das erste Gotteshaus aus Steinen errichtet wurde, ließen sie flugs eine steinerne Burg errichten und gaben ihr fortan den Namen Gernotstein. Die alte diente nun zur Unterbringung des Gesindes, das immer zahlreicher wurde, so wie ihre Ländereien immer größer und ihre Schatztruhen immer voller.

„Was ist denn ein Gotteshaus?“ wurde Harald, der Urenkel Olofs nach seiner Reise im Jahr 1120 gefragt, worauf er etwas in Verlegenheit geriet.

„Also … äh … das ist ein Haus mit einem ganz hohen Turm, worin sich eine Glocke befindet.“

Mit einem Stöckchen malte er das Abbild einer Glocke in den Sand und versuchte zu beschreiben, welch einen ohrenbetäubenden Lärm der Klöppel machte, wenn er gegen die Glockenwand schlug.

„Viel lauter, als wenn hundert Wildschweine kreischen … oder tausend Nordmänner grölen nach einigen Fässern Met … ihr könnt Lars und Fiete fragen, wir waren zwei Tage lang taub.“

„Ja, warum machen sie denn einen solchen Lärm?“

„Damit die Leute wissen, wann sie ins Gotteshaus kommen sollen, um zu beten … also mit Gott zu sprechen.“

„Was ist Gott?“

„Ein ER! Ein Geist oder was weiß ich, jedenfalls lebt er da oben,“ Harald zeigte nach oben, „weit hinter den Wolken, im Himmel. Dieser Gott hat viel mehr Macht als der mächtigste König. Er hat zehn strenge Gebote aufgestellt, nicht lügen und streiten und solche Sachen. Wenn ein Mensch stirbt, der zu seinen Lebzeiten folgsam war und diese zehn Gebote beachtet hat, kommt er auch in den Himmel. Dort lebt er dann mit anderen Verstorbenen in Frieden, Gesundheit und Liebe füreinander.“

Eine hübsche Vorstellung, fanden die Gnome, fragten sich aber verwundert, warum sie nicht schon auf Erden in Frieden und Liebe füreinander lebten – wie sie selber es seit jeher taten. Und ihre Gesundheit? Nun ja, da hatten die Weisen Männer herausgefunden, dass diese sich in den meisten Fällen allein durch eine friedliche Lebensweise erhalten ließe - und die restlichen Krankheiten musste man eben kurieren, es wuchs für alles ein Kraut, nur wussten das offenbar die Menschen, insbesondere ihre Ärzte nicht.

„Sie schnippeln entweder was weg oder öffnen eine Ader,“ sagte Harald kopfschüttelnd über so viel gefährliche Unwissenheit.

„Was passiert denn mit denen, die die Regeln des Gottes nicht befolgen?“

„Die kommen in die Hölle, ein so grauenvoller Ort, dass ich kein Wort darüber verlieren möchte von dem, was ich gehört habe.“

„Warum streiten sie dann trotzdem, ich versteh das nicht,“ sagte Haralds Frau Line.

„Ich auch nicht!“ Harald zog die Schultern hoch. „Dabei gehen sie mindestens einmal in der Woche in das Haus Gottes und versprechen zu gehorchen, aus Angst vor seinem Unmut und seiner Hölle. Kaum sind sie draußen, haben sie alle Versprechen vergessen und sind so unanständig wie eh und je.“

Die Gnome schüttelten entsetzt den Kopf, als Knut, Eric und Vindale wieder hundert Jahre später von Kriegen berichteten, die wegen des Glaubens an diesen Himmelsgott geführt wurden – weil nämlich die Menschen ganz unterschiedliche Vorstellungen von IHM hatten und unbedingt ihr eigenes Bild allen anderen aufzwingen wollten. Ganze Heerscharen von bewaffneten Rittern kämpften auf Leben und Tod gegen ‚Ungläubige‘. „Obwohl das gar nicht stimmt,“ erklärte Knut, „denn alle Menschen glauben an irgendeine Art von Gott. Sie sind also nicht ungläubig, sondern andersgläubig.“

Als er einen typischen Ritter beschrieb, waren sie nicht sicher, ob er ihnen einen Bären aufbinden wollte.

„Brustpanzer?“

„Kettenhemd?“

„Helm mit Visier?“

„Alles aus Erz? Wie kann man sich denn darin bewegen?“

„Nicht gut,“ kam seine prompte Antwort, „die schwere Rüstung ist Segen und Fluch gleichermaßen. Sie schützt vor den Waffen der Feinde, aber macht ihre Träger schnell müde … und wenn sie umfallen oder vom Pferd stürzen, liegen sie dort wie Käfer auf dem Rücken, total hilflos.“

So verbrachten die Gnome nach den Reisen ihrer Weisen Männer viele Abende mit nicht enden wollenden Fragen, bis sie alle eine ungefähre Vorstellung hatten von der Lebensweise und den Gepflogenheiten der Menschen – was wiederum jedes Mal zu dem Entschluss führte, weiter im Verborgenen zu leben und ihren eigenen Sitten und Gebräuchen treu zu bleiben.

Die Ansiedlung am Waldrand war mit den Jahren langsam aber stetig gewachsen, erreichte jedoch nicht die Größe einer Stadt, von denen es immer mehr im Lande gab, mit Tausenden Menschen darin, die sich Bürger nannten und die ein Handwerk ausübten oder Handel trieben. Und weil es so viele Menschen gab, genügte es nicht mehr, ihnen Vornamen zu geben. Jeder erhielt nun auch einen Nachnamen oder Familiennamen. So wurde zum Beispiel aus einem einfachen Matthias ein Matthias Müller, wenn dieser eine Mühle betrieb und von Beruf Müller war. Oder ein Gottlieb, der Schuhe herstellte oder flickte, wurde Gottlieb Schuhmacher genannt. Kinder und Ehefrauen bekamen den Nachnamen des Vaters bzw. Ehemannes.

Solveig konnte nicht anders und musste seinen Bruder Knut ein bisschen necken: „Dann könnten wir dich Knut Weise nennen, oder Knut Zaubermann.“

„Und dich, Solveig, nennen wir Tischemacher,“ bemerkte ein anderer.

„Tischler,“ verbesserte ihn Knut lachend. „Einen Mann, der Tische und andere Möbel aus Holz herstellt, nennen sie Tischler … aber sonst liegt ihr vollkommen richtig.“

Dieser Abend endete in großem Gelächter, weil jedem von ihnen ein passender Name für seine Freunde und Verwandten einfiel, wie zum Beispiel Steinklopfer, Wurzelgraber, Scheibenschleifer, Murmelmacher, Ohrenzieher und Kräuterpantscher.

„Da wir gerade von passenden Namen sprechen,“ sagte Knut, „ihr Kaiser ist jetzt ein Friedrich Barbarossa, das heißt Friedrich Rotbart.“

Da es niemanden mehr unter den Gnomen gab, der je einen Nordmann gesehen hatte mit blondem oder rotem Bart, rief die Vorstellung von Haaren ähnlich dem Fell des Fuchses, und dann auch noch mitten im Gesicht, weitere Heiterkeitsausbrüche hervor.

„Ob rot, schwarz, gelb oder grau ,“ Knut verzog missbilligend seine Mundwinkel, „es hängen in diesen Bärten andauernd Speisereste, oder es klebt Bier daran … nicht sehr appetitlich. Etwas anderes hat mir dagegen sehr gefallen: Es reisen neuerdings Spielleute mit Musikinstrumenten durch die Lande, die wunderschöne Balladen singen, von Rittern und Edelfrauen, von Liebe, Hass und Heldentum … das geht richtig zu Herzen. Andere erzählen Geschichten, eine davon handelt von den Nibelungen, einem Zwergenvolk, das weitläufig mit uns verwandt ist.“

Weder die Menschen noch die Gnome konnten ahnen, dass all die Grausamkeiten des 13. Jahrhunderts wie Grippe und Kriege noch überboten wurden von der Kältewelle, den Hungersnöten und dem Schwarzen Tod oder der Pest des 14. Jahrhunderts. Die Weisen Männer, die 1320 und 1420 in die Ansiedlung kamen, konnten nichts als Bedrückendes berichten. Jammer und Elend in allen Familien. Allerdings gab es auch – wie immer - staunenswerte Fortschritte: So hatte der Kirchturm inzwischen eine Uhr bekommen, so dass jeder die genaue Tageszeit kannte. Die Bauern auf dem Feld ernteten ihr Getreide nun mit einem sehr scharfen Gerät, das sie Sense nannten

und das soviel Halme auf einmal schnitt, wie sie mit einer weit ausladenden Armbewegung erreichen konnten, so dass ihnen die Arbeit schneller von der Hand ging als jemals zuvor. In den Bauernstuben saßen die Frauen und Mädchen und bedienten das Spinnrad, mit dessen Hilfe ihnen immer feinere Fäden gelangen.

Leider gab es auch Fortschritte in der Kriegstechnik. So entwickelten die Menschen Feuerwaffen mit Schießpulver und Kanonen, die entsetzliche Zerstörungen anrichteten. Sehr unglaubwürdig erschien den Gnomen das Gerücht von Gewässern, die tausende Male größer sein sollten als ihr See im Wald, und dazu so tief wie die Berge auf dem Land hoch waren. Nicht genug damit, hinter diesen Unmengen von Wasser sollte Land entdeckt worden sein, eine ganz Neue Welt. Wahrscheinlich nichts weiter als das berühmt-berüchtigte Seemannsgarn, vermuteten sie mit vielsagendem Grinsen - von diesen großmäuligen, angeberischen Übertreibungen der Fischer und Seefahrer hatten ihnen schon ihre Vorfahren aus dem hohen Norden erzählt.

Als sie Anfang des 16. Jahrhunderts in das Dorf kamen, gerieten sie mitten in einen Bauernaufstand. Die Landleute litten Hunger und Not, weil ihnen viel zu hohe Abgaben und viel zu häufige Frondienste vom Adel aufgebürdet wurden. Der Adel, das war im Ort der Gernotsteiner, der vom König zum Grafen erhoben worden war. Nun fuhr er mit seiner Gräfin in einer prächtigen Kutsche mit vorgespannten Pferden – auch dann, wenn er nur 500 Meter weiter die Verwandtschaft besuchen oder in die Kirche wollte, und seine Gier nach immer mehr Reichtum ließ ihn hart werden gegen die Not Anderer. Der König hatte ihm mit dem Adelstitel auch das Recht verliehen, in seinem Wald zu jagen, was er jedoch nicht selber ausübte, weil es ihn wenig interessierte und zu anstrengend war. Also überließ er es seinen Bediensteten - wie alle anderen Arbeiten auch. Die wiederum steckten wie ihre Väter und Großväter voller abergläubischer Ängste vor bösen Waldgeistern und hielten sich wie diese an die Gewohnheit, nur die Randgebiete zu betreten. Außerdem machten sie dem Gernotsteiner weis, dass der Wald nicht sehr ertragreich sei und verschwiegen ihm, dass sämtliche Männer des Ortes dort wilderten. Auf diese Weise blieb der Wald in seinem Inneren auch weiterhin unberührt und unerforscht, was den Tieren und den Gnomen gerade Recht war.

Wieder hundert Jahre später, also 1620, berichteten die Weisen Männer von Maschinen, die Buchstaben, Worte, Sätze, ja ganze Geschichten auf Papier drucken könnten, in Windeseile, und jeder, der Geld habe, könne sich ein – wie sie es nannten – Buch kaufen, was natürlich nur Sinn machte, wenn man lesen gelernt hatte, was bis zu dieser Zeit hauptsächlich der Geistlichkeit vorbehalten war.

Eines gab es, um das die Gnome die Menschen schon lange und heftig beneideten: Ihre Musikinstrumente. Natürlich hatten sie auf ihren Fahrten das eine oder andere stibitzt – eine Flöte, eine kleine Kindertrommel, eine Mundharmonika und eine Spieluhr zum Aufdrehen, deren Klänge sie zu Tränen rührten, da sie, außer dem Gesang der Nachtigall, bisher nichts Schöneres an Melodien gehört hatten. Aber die größeren und neueren Instrumente wie Geige, Posaune, Harfe oder Cembalo waren für sie unbegreifliche Wunder. So sehr sie sich auch bemühten, hinter die Geheimnisse der komplizierten Mechanik zu kommen, es gelang ihnen nicht – und ein Exemplar auf dem üblichen Weg zu transportieren war schlichtweg unmöglich. So blieb ihnen nichts weiter übrig, als von den himmlischen Klängen zu erzählen, wohlwissend, dass man Musik nicht beschreiben, sondern nur hören kann.

1620 gerieten sie mitten in einen Krieg hinein, der seit zwei Jahren tobte und über den sie bei ihrem nächsten Besuch 1720 erfuhren, dass er ganze 30 Jahre lang gedauert hatte und in dem lustig bunt gekleidete Landsknechte mit Arkebusen auf Menschen schossen. Vorne stopften sie Schwarzpulver und Eisenkugeln hinein, entzündeten hinten eine Lunte – dann mussten sie nur noch treffen und ihr Gegner war schwer verwundet oder tot. Eine Erfindung, für die sie in die Hölle kommen sollten, fanden die Gnome.

Der Palisadenzaun der zu einem Städtchen angewachsenen Siedlung war zu dieser Zeit einer starken Mauer aus Steinquadern gewichen mit zwei Toren, die bei Eintritt der Dunkelheit geschlossen und mit mächtigen Eichenbalken verbarrikadiert wurden.

Das war im Übrigen auch das Jahr, in dem die Weisen Männer die so oft und exakt von ihren Urgroßvätern beschriebene Burg Gernotstein nicht finden konnten. Verblüfft stellten sie fest, dass an ihrer Stelle ein ganz anderes Gebäude errichtet worden war mit Säulen und aus Stein gehauenen Ornamenten und Figuren, umgeben von einem Park mit Bäumen, Sträuchern, Blumen und Rasen. Bis sie endlich begriffen, dass dies die neue Behausung der Gernot‘schen Familie war. So prächtig das Äußere war, das Innere des Hauses übertraf alles, was sie jemals gesehen hatten: Es glänzte Vergoldetes, Verspiegeltes, Seidenes und Samtenes. Die Gernotsteiner Schlossherren bemühten sich, die großen Fürstenhöfe der Städte nachzuahmen und als sie zur Zeit des Aufenthaltes der Weisen Männer ein Fest gaben, überraschte die Gräfin ihre Gäste mit einem pastellfarbenen Gewand voller Schleifen und Rüschen über einem Reifrock, einer gepuderten Perücke auf dem Kopf und mit hohen Absätzen unter den Schuhen. Man starrte sie mit offenen Mündern an - diese Aufmachung in einem kleinen Nest wie dem ihren war definitiv übertrieben. Zudem wirkte die Gräfin in den pompösen, bauschigen Gewändern doppelt so dick wie sie ohnehin schon war. Das kümmerte sie indes wenig, schon allein deswegen, weil sie die auf sie gerichteten Blicke für pure Bewunderung hielt. Der Herr des Hauses sah kaum weniger herausgeputzt aus, übte sich in galanten Umgangsformen, hatte ein schwarzes Schönheitspflaster am Kinn und schwang zierlich seine Füße zum Menuett. Die etwas Wohlhabenderen des Ortes, der Pfarrer, der Herr Doktor, der Apotheker und andere, ließen sich das Fest aber deswegen nicht verderben. Sie gehörten zwar nicht zu denen, deren tägliche Speise aus Hafergrütze, Mehl- oder Gemüsesuppen und Brot bestand, jedoch einen solchen Luxus, wie die Gernotsteiner ihn boten, konnten sie sich nicht leisten – und so genossen sie die kostbaren Weine und Speisen in vollen Zügen und amüsierten sich.

Als Onar, Sören und Kulle von dieser 1720 stattgefundenen Reise zurückkehrten, wurden sie vom jungen Vindalf, einem der zukünftigen Weisen Männer, gefragt: „Gut, ich verstehe, dass es Gründe gibt, ihnen kein Eisen zu geben … aber wie sieht’s denn mit Gold, Amethysten und Bergkristallen aus. Daraus können doch keine Waffen hergestellt werden, nur Schmuck und ähnliches, also hübsche Sachen …“

„Wenn’s so einfach wäre,“ erwiderte Kulle traurig, „du hast ja keine Ahnung, wie sie sich beneiden um jede Kette, jeden Ring.“

„Auch wegen hübscher Sachen herrscht Eifersucht und Zwietracht unter ihnen,“ fügte Sören hinzu.

„Nein, ich denke, auch Gold und Edelsteine sollten wir ihnen nicht geben,“ entschied Onar.

1820 machte sich dann Vindalf auf die Reise, zusammen mit Loki und Mats - und das Erste, was sie im Städtchen hörten war, dass es in Frankreich eine folgenschwere Revolution des Volkes gegeben hatte. Jedermann sprach darüber, denn König und Adel waren davongejagt worden und die Armen hofften nun auf bessere Zeiten – zu tief war die Kluft zwischen Arm und Reich geworden, zu groß das Elend des Volkes, während ihre Fürsten in Saus und Braus lebten.

Die Gernot‘sche Familie kleidete sich zu dieser Zeit in Frack und Zylinder, noch immer liebten die Damen Reifröcke, aber ihre Blusen waren hochgeschlossen und die Haare zu schlichten Frisuren gekämmt – alles war einfacher und bescheidener geworden. Man protzte nicht mehr ganz so hemmungslos.

Außer einem Haufen Schafwolle, nicht nur für sich selber, sondern auch für die sie fliegenden Uhus zum Auspolstern ihrer Nester, hatten die Weisen Männer diesmal etwas ganz Besonderes in ihren Rucksäcken: Aus den Ländern jenseits des großen Ozeans, aus der Neuen Welt, wie die Menschen sie nannten, waren bisher unbekannte Pflanzen mitgebracht worden, so z.B. eine Knolle, die unter der Erde wuchs. Im Laufe der Jahre hatte sie ihren Siegeszug durch die Lande gemacht und wurde nun praktisch überall angebaut. Roh war sie ungenießbar, aber gekocht konnte man mit ihr leckere Gerichte zubereiten – und obendrein sollte sie ein sehr gesundes Gemüse sein. Den Weisen Männern schmeckte sie ganz ausgezeichnet und sie suchten einen Sack voll der kleinsten Exemplare und pflanzten sie zuhause acht Zentimeter tief in die Erde, was eine Mordsarbeit war für Leute ihrer Größe. Nach vier Monaten konnten sie die erste Kartoffelernte einbringen und ihre Frauen machten sich sogleich daran, die Rezepte aus den Küchen der Menschenfrauen auszuprobieren.

Die andere Pflanze aus Übersee verschwiegen sie wohlweislich, nicht umsonst waren sie ja ‚weise‘ Männer – schließlich konnte man nicht wissen, ob irgendwer eventuell Geschmack daran finden könnte. Die Menschen steckten die braunen, getrockneten Blätter des Tabakkrauts in Pfeifen, steckten sie in Brand und sofort fing es so an zu stinken und zu qualmen, dass die Weisen Männer würgen und husten mussten und ihnen das Wasser aus den brennenden Augen lief. Warum auf den Gesichtern der rauchenden Menschen ein zufriedenes Wohlbefinden zu erkennen war, kaum dass sie im Sessel saßen und die ersten Züge eingeatmet hatten, blieb ihnen schleierhaft.


Die Jahrhunderte vergingen und mit der Zeit ließen nur ein paar alte Namen vermuten, dass die Gnome vor vielen Generationen aus Gegenden hoch im Norden gekommen sein mussten. Und während es bei den Menschen ständig neue Erfindungen, Errungenschaften und neue Moden gab, waren sich die Weisen Männer einig darin, dass sie im Charakter der Menschen kaum Änderungen bzw. Fortschritte hin zum Besseren erkennen konnten. Nach wie vor zankten und stritten sie über jede noch so unbedeutende Kleinigkeit, nach wie vor galt ihnen Reichtum als das Erstrebenswerteste auf Erden, den man deshalb mit jeder List, mit Lug und Betrug, ja mit roher Gewalt erringen oder verteidigen wollte.

„Wer weiß, ob sie sich je ändern,“ waren die Bemerkungen der letzten Reisenden gewesen – man nahm es zur Kenntnis, man hatte nichts anderes erwartet, denn, im Laufe der Zeit war der Gedanke und der Wunsch nach Beziehungen sowieso etwas in den Hintergrund geraten. Die Reisen waren mehr oder weniger zur lieben Gewohnheit geworden, Abenteuer, bei denen man viel Interessantes erlebte. Dass sie einen so selbstlosen, anständigen, zuverlässigen und verschwiegenen Menschen finden würden wie den Schmied ihrer Ahnen, als sie noch im Land der Nordmänner lebten, glaubten sie schon lange nicht mehr ernsthaft.


Von Gnomen und Menschen

Подняться наверх