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Mittwoch, 5. Juni

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Max Adler wurde durch Schreie und Gepolter wach. Über ihm ging es mal wieder zur Sache. Der Lärm kam aus der Wohnung der Familie Vogel. Solche Streitereien gab es öfters im Haus. Da Max nicht noch privat Ärger haben wollte, hielt er sich aus den Streitereien seiner Nachbarn heraus.

Die Bewohner des Hochhauses setzten sich aus einem Haufen bunt zusammengewürfelter Menschen, aus aller Herren Länder zusammen. Die Familie Vogel wirkte darin wie ein Fremdkörper. Wenn Herr Vogel in seiner Uniform das Haus betrat, schreckten die Nachbarn vor ihm zurück. Frau Vogel erinnerte Max an einen Mönch aus dem Mittelalter. Sie trug meist eine graue Kutte und eilte grußlos an den anderen Bewohnern vorüber. Nach ihrer verbitterten Miene zu urteilen, schien ihre Ehe nicht besonders glücklich zu sein. Adler konnte sich eine Prügelei zwischen den Eheleuten allerdings nicht vorstellen. Vielleicht hatten die Kinder einen handfesten Streit ausgetragen.

Heute war sein freier Tag und er hätte eigentlich liegen bleiben können. Doch er wusste nur zu gut, dass er nicht wieder einschlafen konnte. Adler fluchte leise vor sich hin, stand auf und schlurfte ins Bad. Kurze Zeit später verließ er schlecht gelaunt seine Wohnung.

Das Lebensmittelgeschäft im Nordwestzentrum ist morgens bereits ab 7 Uhr geöffnet. Ihm fehlte Brot, und ein paar andere Lebensmittel. Er machte er sich auf den Weg, um die wenigen Dinge einzukaufen. Als er in den Aufzug trat, hielt er überrascht inne. Frau Vogel stand in der Kabine. Sie hatte ein rotes Auge und eine dicke Lippe. In einem solchen Zustand hatte Adler sie noch nie gesehen. Er grüßte sie verlegenen mit »Guten Morgen. « Es fiel ihm schwer, sich sein Grinsen zu verkneifen. Frau Vogel bekam das natürlich mit und strafte ihn mit einem ärgerlichen Blick. Nachdem der Lift im Erdgeschoss anhielt, ging sie eilig an ihm vorüber.

Adler trottete nachdenklich hinter ihr her. Er hob reflexartig den Arm vor die Augen, als er vors Haus trat. Die Sonne schien trotz der frühen Stunde schon heiß auf den Asphalt. Max schlenderte mit gesenktem Kopf in Richtung Einkaufszentrum. Es war das Goldene Kalb, um das sich alles drehte und bildete den Mittelpunkt des Stadtteils. Im Supermarkt herrschte um diese Zeit noch wenig Betrieb. Die Klimaanlage im Laden sorgte für angenehm kühle Luft und Max atmete erleichtert auf. Er warf schnell die wenigen Dinge, die ihm fehlten, in den Einkaufswagen. Als er zur Kasse kam, musste er nicht lange warten. Die Kassiererin lächelte ihn freundlich an.

»Das macht 30 Euro. « Dabei bewegten sich ihre blau bemalten Augenlider so schnell wie die Flügel kleiner Kolibris Auf und Ab. Max brummte etwas Unverständliches, zog einen Geldschein aus der Hosentasche und überreichte ihn der Frau. Während sie das Wechselgeld zusammensuchte, verstaute er die wenigen Sachen in einer Plastiktüte.

»Vielen Dank für Ihren Einkauf. Ich wünsche Ihnen noch einen recht schönen Tag«, säuselte die Verkäuferin und drückte ihm Wechselgeld und Kassenzettel in die Hand.

Um diese Zeit bekam Max Adler nur schwer die Lippen auseinander. Mehr als ein »Auf Wiedersehen«, brachte er nicht hervor. Wie oft musste die Kassiererin diesen Spruch am Tag herunterleiern? Er schüttelte kaum merklich den Kopf und verließ das Geschäft.

Aus dem Schornstein der nahen Müllverbrennungsanlage stieg grauer Rauch in den Himmel. Der morgendliche Berufsverkehr rollte über die breite Asphaltstraße, die das Zentrum umrundete. Die Hochhäuser der Trabantenstadt ragten wie Berggipfel in den blauen Sommerhimmel. Max lief gemächlich über eine der Fußgängerbrücken zu seiner Behausung zurück. Heute bestand kein Grund zur Eile. Zu Hause stellte er zuerst die Kaffeemaschine an und setzte sich dann in seinen Lieblingssessel auf dem Balkon. Die Aussicht von hier oben war einmalig. Sein Blick schweifte über den Taunus und blieb an einem Raben hängen, der auf einer Straßenlaterne hockte.

Der schwarze Vogel beobachtete wachsam die Fahrbahn. Ein Müllauto bog in den Praunheimer Weg ein. Der Fahrer zog von der Sonne geblendet, die Jalousie nach unten. Als der Wagen vorbeigefahren war, krächzte der Rabe, breitete seine Flügel aus und flog auf die Straße. Er hatte auf dem Asphalt ein überfahrenes Kaninchen entdeckt. Er fing an, mit seinem großen Schnabel, in den blutigen Überresten des Tieres herumzustochern.

Adler seufzte. Fressen und gefressen werden. Er stand auf, und holte sich einen Pott Kaffee aus der Küche. Seit Helga nicht mehr lebte, flüchtete er bei schönem Wetter ins Freie. Es fiel ihm noch immer schwer, sich allein an den Küchentisch zu setzen. Nach dem Tod seiner Frau begann für ihn eine Fahrt in den Abgrund.

Die Kripo hatte ihn zur Bundespolizei versetzt, nachdem er betrunken im Dienst erschienen war. Mittlerweile arbeitete Adler in einer Ermittlungsgruppe, die sich mit der Einreise Illegaler am Frankfurter Flughafen beschäftigte. Es waren die immer gleichen Verfahren. Als wäre das nicht schon Strafe genug, war er außerdem zum Innendienst verdonnert worden. Wenn er die Akten aufschlug und in die Augen der halb verhungerten Asylbewerber blickte, wurde er wütend. Es ärgerte ihn, dass Politiker die ganze Misere auf dem Rücken der Polizisten austrugen. Das Telefon schreckte ihn aus seinen Grübeleien auf.

»Morgen Max, hier ist Fritz. Wir müssen schon heute zum Flughafen. Der Informant hat eine Änderung angekündigt. Kannst du ab 8 Uhr das Telefon besetzen? Heinz hat sich krankgemeldet. «

»Kein Problem, ich bin schon eine Weile auf den Beinen. In 15 Minuten bin ich auf der Dienststelle, bis dann. « Adler legte auf. Seine neue Wirkungsstätte lag nicht weit von seiner Wohnung entfernt in der Homburger Landstraße. Er fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage und schlängelte sich anschließend durch den Verkehr, der sich um diese Zeit Richtung City bewegte.

Vor Jahren hatte man die Bundespolizei in einer ehemaligen Kaserne untergebracht. Das Areal war weitläufig und günstig zur Auffahrt der Schnellstraße 661 gelegen. Als Max im Büro ankam, rannten die Kollegen schon aufgekratzt hin und her. Der Frankfurter Flughafen ist eine Drehscheibe für Schlepper und Asylbewerber. Adler setzte sich an den Schreibtisch, um im allgemeinen Trubel aus der Schusslinie zu sein. Er studierte den Einsatzplan.

Fritz kam zur Tür herein. »Morgen Max. Ich hoffe, dass es nicht so viele sind. «

»Du hast wohl Angst um deinen Feierabend? «

»Ach, du kennst das doch! Bevor man nicht alle Berichte getippt hat, kann man nicht nach Hause gehen. « Fritz klopfte seine Taschen ab und vergewisserte sich, alles eingepackt zu haben.

»Die wechseln ständig die Tage und Routen. Sie hoffen, dadurch besser durchzukommen. Wir hinken mit der Einsatzplanung fürs Personal hinterher«, murmelte Adler.

Seine Kollegen verschwanden einer nach dem anderen aus dem Büro. Das Gebäude war 1914 von der preußischen Besatzung als Artilleriekaserne errichtet worden. Mit der Machtergreifung übernahmen die Nationalsozialisten die Kaserne. Nach Kriegsende okkupierten die Amerikaner das Haus. 1992 zog dann die Deutsche Bundespolizei ein. Max starrte aus dem Fenster. In diesen Mauern hing der Männerschweiß von hundert Jahren. Wie viele Kerle hatten hier wohl heimlich Tränen vergossen, bevor sie in den Tod geschickt wurden? Das Gebäude war ein Ort zerplatzter Männerträume und ausgerechnet hier war er gelandet.

Adler wusste aber auch, dass seine Versetzung ein Gnadenakt des Dienstherrn war. Sie gaben ihm eine letzte Chance. Eine schlimmere Strafe hätte man sich für ihn allerdings nicht ausdenken können. Es fiel ihm schwer, die Folgen seiner Dummheit zu ertragen. So wie es im Moment aussah, lag sein Arbeitsplatz bei der Kriminalpolizei in unerreichbarer Ferne. Adler kehrte dem Fenster den Rücken zu und schaltete den Computer ein. Als sich der Bildschirm erhellte, begann er, die eingegangenen E-Mails zu bearbeiten. Inmitten der lästigen Schreibtischarbeit klingelte sein Telefon.

»Hallo Max, hier ist Hanna, wie geht’s dir? «

»Soweit ganz gut, aber es ist sterbenslangweilig auf dieser Dienststelle. «

»Max, ich möchte gern etwas mit dir besprechen. «

»Ich freue mich über jede Abwechslung, schieß los! «

»Das können wir weder am Telefon, noch im Büro besprechen. Ich würde mich gern mit dir privat treffen. «

»Hast du Mist gebaut?« Adler war irgendwie irritiert.

»Nein, es handelt sich um etwas anderes. Wir wär’s morgen Abend beim Schuch in Praunheim? Das Lokal liegt etwas abseits und ist doch gut zu erreichen? «

»Ich freue mich über deinen Anruf. Das ist eine schöne Abwechslung für mich. Ich kann um 7 Uhr dort sein. «

»Wenn nichts dazwischen kommt, bin ich pünktlich. Hast du noch immer die gleiche Handynummer? «

»Ja, da hat sich nichts geändert Hanna. «

»Danke Max. Ich bin froh, dass du Zeit für mich hast. Dann bis morgen. Tschüs. «

Adler war mehr als überrascht. Hanna war eine schöne Frau. Was hatte es zu bedeuten, dass ausgerechnet Kommissarin Wolf vom K13 mit ihm privat sprechen wollte?

Rauch und Asche

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