Читать книгу Der exzellente Butler Parker Box 6 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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Die Ruhe und Gelassenheit der Lady Agatha Simpson wirkte auf Josuah Parker geradezu alarmierend.

Sie stand an der Kasse eines Supermarktes und hatte zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihre Fünf-Pfund-Banknote falsch war. Die Kassiererin hielt den Geldschein anklagend hoch und zeigte einen roten Kopf vor Eifer. Frauen und Männer in der Kundenschlange hinter Lady Agatha sparten nicht mit anzüglichen Kommentaren.

»Wiederholen Sie das, Kindchen, was Sie gerade gesagt haben«, verlangte die ältere Dame fast freundlich. »Sie unterstellen mir also, ich hätte mit Falschgeld bezahlen wollen?«

»Und ob das Falschgeld ist«, antwortete die Kassiererin aggressiv. »So etwas fühlt man doch, oder? Das ist bereits der vierte Schein heute. Zwei davon hab’ ich angenommen, aber jetzt weiß ich Bescheid.«

»Sie halten mich demnach für eine Betrügerin?«

Fernes Grollen war in der Stimme der Agatha Simpson zu vernehmen. Sie reckte sich in ihrer ganzen Größe auf und erinnerte an eine Heroine aus längst vergangener Zeit.

Lady Agatha hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, war groß und durchaus stattlich. Sie trug ein weites Tweed-Kostüm, bequeme, ausgetretene Schuhe und einen Hut, der zu ironischen Kommentaren herausforderte. Er erinnerte an einen mißglückten Napfkuchen, den man mit diversen Früchten des Feldes garniert hatte.

»Wenn Sie erlauben?« Butler Parker, der hinter Mylady stand, schaltete sich ein. Er strahlte alles beherrschende Autorität aus und war, was sein Aussehen betraf, das Urbild des britischen Butlers.

Parker, eine alterslos wirkende Erscheinung, langte wie selbstverständlich mit seinen schwarz behandschuhten Händen nach der Banknote und ließ sie zwischen seinen prüfenden Fingern rascheln.

Bevor er jedoch ein Urteil fällen konnte, erschien der Manager des Supermarkts an der Kasse und gab sich militant. Er forderte Lady Simpson in scharfem Ton auf, ihm zu folgen.

»Falls Sie nicht freiwillig mitkommen, werde ich Gewalt anwenden«, schloß er seine Aufforderung. »Mit schrägen Vögeln kenne ich mich aus.«

»Tun Sie sich keinen Zwang an«, meinte Agatha Simpson und brachte ihren perlenbestickten Pompadour in leichte Schwingung. Sie wartete darauf, den sogenannten Glücksbringer darin aktivieren zu können. Bei ihm handelte es sich um das Hufeisen eines Brauereipferdes, wie Eingeweihte und bisher Betroffene wußten.

»Vielleicht sollten Mylady der Bitte nachkommen«, schlug Josuah Parker vor.

»Ich will mit Gewalt abgeführt werden«, verlangte die passionierte Detektivin und blitzte den Manager an, der unwillkürlich zusammenzuckte.

»Das ... Das können Sie haben.« Der Leichtsinnige, der um die Kassenbox herumgekommen war, griff nach Myladys linkem Oberarm und ... handelte sich eine Ohrfeige ein, die vernichtend wirkte. Der schlanke, noch relativ junge Mann flog zurück und landete in einem Konservenstapel, der kunstvoll aufgeschichtet worden war. Die hübsche und nicht gerade kleine Pyramide brach in sich zusammen und begrub den Liegenden.

»So, Mister Parker, jetzt dürfen Sie mich in das Büro dieses Lümmels bringen«, schlug Agatha Simpson vor. Sie blickte die Kunden an, die sich ein wenig scheu zusammendrückten und auf jeden Kommentar verzichteten. Butler Parker lüftete die schwarze Melone und dirigierte seine Herrin nach hinten in den Supermarkt.

Der Manager des Hauses war inzwischen dabei, sich aus den Trümmern der Pyramide zu arbeiten. Er machte einen angeschlagenen Eindruck. Von seiner Militanz war nichts mehr zu sehen oder zu hören.

»Eine Unverschämtheit, mir Betrug unterstellen zu wollen«, entrüstete sich die ältere Dame. »Ich habe große Lust, dem Lümmel eine zweite Ohrfeige zu verabreichen, Mister Parker.«

»Ein durchaus verständlicher Wunsch, Mylady, zumal es an der gebotenen Höflichkeit des Mannes fehlte.«

»Ist die Banknote tatsächlich falsch?« wollte sie wissen. Sie hatte den Geldschein in Parkers Hand entdeckt.

»Es hat in der Tat den Anschein, Mylady.«

»Dann tauschen Sie ihn gegen eine echte Banknote um«, verlangte Agatha Simpson umgehend.

»Das ist bereits geschehen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker würdevoll. »Man wird dem Manager des Supermarkts eine Lektion in Sachen Umgangston beibringen müssen.«

»Und ich werde selbstverständlich auf seelische Grausamkeit klagen«, machte sie energisch deutlich. »Über die Höhe des Schmerzensgeldes werde ich mir noch Gedanken machen, Mister Parker.«

*

»Dieser Lümmel brach förmlich in sich zusammen«, freute sich Lady Agatha ungeniert und schadenfroh. Sie befand sich in ihrem altehrwürdigen Haus in Shepherd’s Market und nahm den Nachmittags-Tee. Sie hatte ihren beiden Gästen ausgiebig berichtet, was sich im Supermarkt zugetragen hatte. In Mike Rander und Kathy Porter hatte sie mehr als aufmerksame Zuhörer.

»Sie wollen wirklich klagen, Mylady?« erkundigte sich Rander. Er glich, was sein Aussehen betraf, einem bekannten James-Bond-Darsteller, war Anwalt und verwaltete neben seiner Praxis das immense Vermögen der Dame.

Ihm zur Seite stand Kathy Porter, die immer noch offiziell die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha war. Kathy, um die dreißig, war eine attraktive Schönheit, die ein Hauch von Exotik umgab. Sie hatte mandelförmig geschnittene Augen und betonte Wangenknochen. Man sah es ihr nicht an, daß sie Meisterin in den Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung war.

»Der Manager bot Mylady einen Warengutschein an, Sir«, beantwortete Parker die Frage des Anwalts.

»Er erfrechte sich, mir einen Gutschein im Wert von fünfzig Pfund anzubieten«, entrüstete sich die Hausherrin. »Dazu ist das letzte Wort mit Sicherheit noch nicht gesprochen, mein Junge. Ich denke, Sie sollten bereits eine Klage vorbereiten.«

»Aber die bewußte Fünf-Pfund-Note war falsch?« vergewisserte sich Kathy Porter amüsiert.

»Eindeutig, Miß Porter«, räumte Josuah Parker ein. »Der Geldschein wurde Mylady bei einer Gelegenheit, über die man noch nachdenken sollte, untergeschoben.«

»Und dabei muß man mich absichtlich abgelenkt haben«, verteidigte sich die ältere Dame vehement. »Normalerweise wäre mir doch so etwas nie passiert. Man wollte mich natürlich bewußt schädigen.«

»Wo könnte man Ihnen denn die Banknote untergeschoben haben, Mylady?« fragte der Anwalt.

»Was weiß ich, mein Junge.« Sie winkte verärgert ab. »Ich werde darüber intensiv nachdenken. Aber das kommt davon, wenn Mister Parker sich im Gedränge des Warenhauses zur Seite schieben läßt und... Moment, jetzt weiß ich genau, wann es passiert ist.«

»Sie spannen uns auf die Folter«, bekannte Mike Rander und tauschte einen amüsierten Blick mit Kathy Porter.

»Es war in der City«, erinnerte sich die ältere Dame jetzt intensiv und schloß für einen Moment die Augen. »Wie gesagt, Mister Parker hatte sich abdrängen lassen, als ich in der Feinkost-Abteilung einen neuen Hummer-Salat probierte. Dabei wurde ich von einem Mann angesprochen, der Kleingeld brauchte. Ihm habe ich fünf Ein-Pfund-Noten gegeben und dafür diese Blüte bekommen. Mister Parker, diesen Mann gilt es zu finden!«

»Hatte er eine Erklärung für diesen Umtausch, Mylady?« setzte Mike Rander weiter nach.

»Er brauchte Kleingeld für den Parkplatz.« Sie wirkte sehr verärgert.

»Und höflich, Mylady, wie Sie es nun mal sind, wollten Sie diesem Mann natürlich aus der Klemme helfen.«

»Richtig, mein Junge.« Sie entspannte sich und nickte ihm wohlwollend zu. »Höflichkeit ist eine meiner Tugenden, wie Sie ja wissen.«

»Mylady würden diesen Geldwechsler wiedererkennen?« schaltete Parker sich ein.

»Unbedingt.« Sie nickte nachdrücklich. »Er war mittelgroß, schlank, etwa vierzig Jahre alt... Er kann natürlich auch wesentlich kleiner und jünger gewesen sein, ich will mich da nicht festlegen, aber er trug auf jeden Fall einen Schnurrbart. Oder vielleicht doch nicht? Nun, wie auch immer, sollte er meinen Weg noch mal kreuzen, weiß ich sofort, daß er es ist.«

»Es geht eben nichts über ein gutes Personengedächtnis«, stellte Mike Rander fest. Er hütete sich, Kathy Porter anzusehen, um nicht lachen zu müssen.

»Dieser Bursche wird Ihnen mit Sicherheit aus dem Weg gehen«, prophezeite der Anwalt.

»Müßte man nicht die Polizei wegen dieser Blüte verständigen?« fragte Kathy Porter.

»Ausgeschlossen, Kindchen«, gab Lady Simpson sofort zurück. »Mister Parker schlug das bereits vor. Und da kann ich doch nur den Kopf schütteln. Ginge ich zur Polizei, würde man die Banknote sofort zurückbehalten und aus dem Verkehr ziehen.«

»Was haben Sie denn mit der Blüte vor?« erkundigte sich Rander. Er ahnte die Antwort bereits im vorhinein.

»Ich werde sie selbstverständlich wieder ausgeben«, sagte Agatha Simpson mit Nachdruck. »Den Verlust von fünf Pfund kann ich mir nicht leisten.«

»Als Anwalt muß ich Sie darauf hinweisen, Mylady, daß Sie ...«

»Papperlapapp, mein Junge.« Sie winkte heftig ab. »Was Sie hier gehört haben, fällt unter Ihre Schweigepflicht. Mister Parker, sorgen Sie dafür, daß die ominöse Note wieder unter’s Volk gebracht wird. Ihnen wird schon etwas einfallen. Ich kann mein Geld nicht zum Fenster hinauswerfen. Fünf Pfund wollen erst mal mühsam verdient werden!«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker, der wirklich durch nichts zu erschüttern war, deutete eine höfliche Verbeugung an.

*

Butler Parker und Mike Rander waren am frühen Abend gemeinsam unterwegs.

Sie hatten gerade das hochbeinige Monstrum verlassen, wie Parkers Privatwagen spöttisch-respektvoll von Eingeweihten genannt wurde.

Bei diesem Gefährt handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das schon recht betagt aussah und sich nach der beschaulichen Ruhe auf einem Schrottplatz zu sehnen schien. Tatsächlich war der Wagen aber quasi eine Trickkiste auf Rädern, die nach Parkers eigenwilligen Vorstellungen umgebaut und nun zu einer Art Vielzweckwaffe geworden war.

Das Ziel des kurzen, gemeinsamen Spaziergangs war eine Pfandleihe im Stadtteil Soho. Als Parker und Mike Rander das relativ kleine Ladenlokal betraten, geriet der Mann hinter dem Tresen in gelinde Panik. Dieser Mann war mittelgroß, hatte einen Bauch und ausgesprochene Kinderaugen, die so etwas wie die reine Unschuld signalisierten.

»Man wünscht einen möglicherweise angenehmen Abend, Mister Bercett«, grüßte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Darf man Sie mit Mister Rander bekannt machen?«

»Natürlich«, antwortete Paul Bercett, wie er mit vollem Namen hieß. »Immer zu Diensten, Mister Parker. Was kann ich für Sie tun?«

»Mister Rander sucht eine kleine Brosche, Mister Bercett«, erläuterte Josuah Parker und deutete auf eine Vitrine, die mit relativ billigem Schmuck reich besetzt war. »Vielleicht dieses ovale Schmuckstück, Mister Rander?«

»Reicht völlig«, meinte der Anwalt, der einen desinteressierten Eindruck machte und sich gelangweilt in dem kleinen Laden umschaute.

Die Kunden Paul Bercetts hatten nicht gerade Kostbarkeiten hierher getragen. Vorherrschend waren Massenartikel der Elektroindustrie. Es gab viele Toaster, dann Küchenmaschinen, Kofferradios und tragbare Fernsehgeräte. In einer Ecke hingen Pelzmäntel, deren Herkunft unzweideutig vom Kaninchen stammte. Die Uhren und der Schmuck in der Vitrine waren Dutzendware.

»Diese Brosche kostet zwei Pfund«, sagte Bercett inzwischen. Er hatte sie aus der Vitrine geholt und genierte sich fast, den Preis zu nennen.

»Wäre dies genehm, Sir?« wollte Parker von Rander wissen.

»Wie Sie meinen, Parker«, näselte Mike Rander bewußt und gab sich noch unbeteiligter.

»Zwei Pfund«, bestätigte Parker und reichte dem Pfandleiher eine Fünf-Pfund-Banknote.

»Billiger kann ich’s wirklich nicht machen«, entschuldigte sich Paul Bercett. Er nahm die Banknote entgegen und prüfte sie automatisch mit den Fingerkuppen. Dann stutzte er für den Hauch eines Augenblicks. Seine großen Kinderaugen nahmen einen leicht starren Ausdruck an. Er wandte sich der einfachen Kasse zu und hatte sich bereits wieder voll unter Kontrolle.

»Zwei Pfund«, wiederholte er und reichte Parker drei Ein-Pfund-Noten zurück. Mit der linken Hand schob er die falsche Banknote, die Parker ihm gereicht hatte, unter den Stapel anderer Geldscheine. Dem Butler entging dies natürlich keineswegs, doch er sagte nichts.

»Haben Sie sonst noch Wünsche?« erkundigte sich Bercett.

»Nein, vielen Dank«, versicherte Parker dem Pfandleiher und reichte die unscheinbare Brosche an Rander weiter. Der ließ sie in der rechten Tasche seines Blazer verschwinden und schien sie im gleichen Moment schon wieder vergessen zu haben.

»Man erlaubt sich, Ihnen auch weiterhin einen erfreulichen Umsatz zu wünschen«, sagte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Es ist immer wieder ein Gewinn, Sie zu sehen, Mister Bercett.«

»Tatsächlich?« Der Pfandleiher schien verlegen. Er geleitete seine Kunden an die Tür, öffnete sie und wartete, bis Parker und Rander im hochbeinigen Wagen des Butlers Platz genommen hatten. Dann ging er zurück in seine Pfandleihe und blieb hinter dem Glaseinsatz der Tür stehen. Er wollte sich vergewissern, ob seine beiden Besucher auch tatsächlich wegfuhren.

*

»Ihn hat ja fast der Schlag gerührt, als er die Blüte spürte«, meinte der Anwalt. Er saß vorn auf dem Beifahrersitz des Wagens und lächelte amüsiert.

»Mister Bercett dürfte sich momentan in einem Zwiespalt der Gefühle befinden, Sir«, gab Josuah Parker zurück. Er hatte sein Gefährt in eine nahe Seitenstraße gebracht und hielt. Parker schaltete das Bordradio ein und ging auf eine Frequenz, die erst durch das Eindrücken des Knopfes für den Suchlauf aktiviert wurde.

»Er fragt sich wahrscheinlich, wieso und warum Sie ihm diese Blüte angeboten haben«, sagte Rander. »Er muß doch davon ausgehen, daß Sie sie erkannt hatten.«

»Diese Frage wird Mister Bercett in der Tat beschäftigen«, pflichtete der Butler ihm umgehend bei. »Es ist damit zu rechnen, daß er wohl bald ein Telefongespräch führen wird.«

»Falls er Ihre Wanze nicht entdeckt hat, Parker.«

»Wenn dies der Fall sein sollte, Sir, wird er einen Anruf tätigen müssen, um auf das geplante Spiel einzugehen, daß er meiner Wenigkeit dann unterstellen muß.«

»Klingt ziemlich kompliziert, Parker.« Rander lachte leise. »Aber Sie schätzen ja die Umwege.«

»Die in der Regel recht schnell zum Ziel führen, Sir.« Parker deutete ein Kopfnicken an. »Mister Bercett weiß längst, daß ihm die falsche Banknote absichtlich zugespielt wurde. Er weiß ferner, daß meine Wenigkeit mit Sicherheit davon ausgeht, daß er die sogenannte Blüte erkannt hat. Also wird er eine Reaktion zeigen müssen.«

»Warum hat er Ihnen nicht schlicht und einfach gesagt, daß mit einer Blüte gezahlt werden sollte? Er hätte doch protestieren können.«

»In diesem Fall, Sir, hätte meine Wenigkeit darauf bestanden, die Polizei zu Rate zu ziehen, ein Vorgang, auf den Mister Bercett sich freiwillig niemals einlassen würde.«

»Was treibt dieser Knabe denn eigentlich so?« Noch war aus dem Lautsprecher des Bordradios nichts zu vernehmen.

»Mister Bercett ist ein in der Szene bekannter und durchaus geschätzter Hehler«, beantwortete Parker die Frage sachkundig wie immer. »Falls die Polizei in seinem Laden erscheint, würde dies wie ein Lauffeuer die Runde machen und sich durchaus als geschäftsschädigend auswirken.«

Mike Rander wollte gerade antworten, als plötzlich Paul Bercetts Stimme aus dem Lautsprecher des Wagenradios drang.

»Mister Parker... Hallo, Mister Parker, hören Sie mich? Würden Sie noch mal zurückkommen? Ich glaube, ich habe Ihnen zuviel berechnet. Ich möchte das sofort in Ordnung bringen.«

»Donnerwetter, Parker.« Rander staunte sichtlich.

»Mister Bercett mußte die bewußte Wanze finden, Sir«, erklärte Josuah Parker. »Meine Wenigkeit sorgte dafür, daß sie nicht übersehen werden konnte. Mister Bercett scheint einen Entschluß gefaßt zu haben.«

»Er dürfte sich in einer miesen Lage befinden, wie?«

»Mister Bercett weiß jetzt, daß er zumindest einige Hinweise liefern muß, Sir.«

Parker umrundete mit seinem hochbeinigen Monstrum einen fast quadratisch angelegten Wohnblock und erreichte danach wieder die Pfandleihe. Bercett stand hinter der verglasten Tür und öffnete sie umgehend, als seine beiden Kunden erschienen.

»Sie bringen mich in des Teufels Küche«, schnaufte der Pfandleiher. »Warum haben Sie mir Daumenschrauben angesetzt, Mister Parker?«

»Um Ihre Aussagebereitschaft zu fördern, Mister Bercett. Selbstverständlich wird man Ihnen die bewußte Blüte, wie es ja wohl im Fach-Jargon heißt, gegen eine echte Banknote umtauschen.«

»Darum geht es doch gar nicht«, beschwerte sich Bercett. »Sie wollen von mir einen Tip haben, nicht wahr?«

»Warum haben Sie uns per Wanze nicht auf eine falsche Spur gesetzt?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd. »Sie hätten doch das Spiel mit der Wanze mitspielen können, Bercett.«

»Mister Rander, dabei hätte ich doch nur draufgezahlt«, schnaufte der Pfandleiher weiter. »Ich hätte irgendeinen Namen nennen müssen ... Ich meine, da am Telefon ... Und was wäre passiert? Mister Parker hätte mir die betreffende Person dann auf den Hals gehetzt. Nein, nein, ich liefere da lieber einen direkten Tip, wenn’s auch verdammt gefährlich ist.«

»Sie können sich wie stets auf die völlige Diskretion meiner Wenigkeit verlassen, Mister Bercett«, warf der Butler ein. »Dies gilt selbstverständlich auch für Mister Rander.«

»Steven Faldex ist wieder in der Stadt«, sagte der Pfandleiher und senkte die Stimme. »Er ist vor knapp einer Woche vom Kontinent ’rübergekommen und scheint wieder bei Kasse zu sein.«

»Sie wissen natürlich auch, wo Mister Faldex abgestiegen ist, Mister Bercett.«

»Im ›Lunatica‹, Mister Parker. Sie‘ kennen das Hotel?«

»Aus der Sicht des Autofahrers«, erwiderte der Butler. »Dieses Haus hat längst nicht mehr den Ruf, den es einst genoß.«

»Was Eddie Atkins nicht weiter schert, Mister Parker. Er verdient sich mit dem ›Lunatica‹ eine goldene Nase. Mehr weiß ich wirklich nicht.«

»Vielleicht sollten Sie sich noch zu den sogenannten Blüten äußern, Mister Bercett. Seit wann werden Sie in London herumgereicht?«

»Seit einer Woche, Mister Parker. Bitte, keine weiteren Fragen. Ich möchte noch ’ne Weile leben. Und ich hab’ Ihnen doch nun wirklich zwei Tips gegeben, oder etwa nicht?«

»Man wird Sie mit Sicherheit nicht weiter inkommodieren, Mister Bercett, falls Sie unbeteiligt sind. Und nun wird man Ihnen die falsche Banknote selbstverständlich ersetzen. Sie sollen auf keinen Fall einen Verlust erleiden.«

*

»Wird er den Mund halten, Parker?« fragte Rander. Man war unterwegs in Richtung Bayswater, wo das Hotel ›Lunatica‹ stand.

»Auf keinen Fall, Sir«, wußte der Butler. »Mister Bercett dürfte inzwischen Mister Steven Faldex angerufen haben. Er geht davon aus, daß meine Wenigkeit dies natürlich unterstellt und sich entsprechend verhält.«

»Ein verdammt kompliziertes Ritual, Parker«, spottete der Anwalt.

»Das jedoch das Weiterleben des Mister Bercett garantiert, Sir. Zudem ergibt sich so die Möglichkeit, den Pfandleiher immer wieder mal um einen Hinweis anzugehen.«

»Wer ist dieser Steven Faldex, Parker? Scheint sich um eine Größe zu handeln, oder?«

»Mister Faldex tummelt sich auf allen Gebieten der Kriminalität, Sir, um es mal so auszudrücken. Dabei geht es ihm stets um große Abschlüsse, wie die Vergangenheit lehrte. Mister Faldex dürfte zur Zeit das Feld der käuflichen Liebe abgedeckt haben, verbunden mit Nachtclub-Aktivitäten und Sex-Kinos. Seine Verbindungen zu internationalen Organisationen sind bekannt.«

»Hat die Polizei nichts gegen, ihn ausrichten können?«

»Absolut nichts, Sir. Mister Faldex gilt als ein sehr vorsichtiger Krimineller, der die sprichwörtliche Dreckarbeit bisher immer delegieren konnte.«

»Ein sympathischer Zeitgenosse, wie?«

»Mister Faldex ist durchaus zuzutrauen, daß er ein Blütengeschäft abwickelt, Sir. Dank seiner vielfältigen Verbindungen könnte er den Absatz der Falsifikate übernommen haben, zumal es ja darum geht, nicht nur den Großraum London mit den Blüten abzudecken.«

»Ohne Grund dürfte Bercett seinen Namen ja wohl kaum ins Spiel gebracht haben.« Mike Rander nickte nachdenklich.

»In Kreisen der Unterwelt muß Mister Faldex’ Name bereits gehandelt werden, Sir, sonst hätte Mister Bercett sich mit Sicherheit gehütet, diesen Hinweis zu geben.«

»Und wer ist Eddie Atkins, Parker?« Rander wunderte sich überhaupt nicht darüber, daß Parker wieder mal Bescheid wußte.

»Mister Atkins dürfte sein Vermögen mit Drogen gemacht haben, Sir. Er privatisiert jetzt, wie er es zu nennen pflegt und betreibt einige Hotels, deren Eigentümer er auch ist. Diese Hotels läßt er von den Sozialämtern der diversen Stadtteil-Verwaltungen mit wohnungslosen Bürgern belegen.«

»Ein sicherer Verdienst, wie?«

»Die Überweisungen durch die Ämter sind garantiert, Sir. Sie sollten davon ausgehen, daß ein belegtes Zimmer pro Tag etwa fünfzig Pfund erbringt.«

»Guter Gott, das ist ja so, als ob man eine eigene Gelddruck-Maschine im Keller hätte.«

»Ein Vergleich, Sir, den man nur als trefflich bezeichnen kann. Man muß wohl davon ausgehen, daß im ›Lunatica‹ etwa zweihundert Zimmer von dem erwähnten Personenkreis bewohnt werden.«

»Und dieses Hotel ist über das ganze Jahr hinaus so belegt?« staunte der Anwalt.

»Über Jahre hinaus, Sir», versicherte der Butler. »Und das ›Lunatica‹ ist nur eines von vielen ähnlichen Hotels.«

»Demnach muß sich in diesen Häusern ja wohl einiges abspielen«, mutmaßte Mike Rander.

»Mit letzter Sicherheit, Sir«, entgegnete der Butler. »Man wird sich bald mit eigenen Augen davon überzeugen können.«

*

»Das sieht aber doch alles recht friedlich aus«, stellte Mike Rander fest. Er und Josuah Parker befanden sich im Foyer des Hotels, das recht sparsam beleuchtet war. In den gebraucht aussehenden Sitzmöbeln saßen einige Hotelgäste, lasen oder tranken Bier aus Dosen. Es handelte sich im Schnitt um Menschen, die die Mitte ihres Lebens überschritten hatten.

»Darf man darauf hinweisen, Sir, daß diese Idylle ein wenig unglaubwürdig wirkt?« fragte Parker. Er hatte in die rechte Tasche seines schwarzen Covercoats gegriffen und reichte dem Anwalt eine Schutzbrille, wie man sie bei der Benutzung von Höhensonnen verwendet.

»Was soll ich denn damit?« fragte Rander erstaunt. »Man kann ja ohnehin kaum was sehen.«

»Sie sollten mit einem etwaigen Lichtblitz meinerseits rechnen, Sir«, warnte der Butler. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte mit einigen Überraschungen zu rechnen sein.«

Mike Rander, der Warnungen des Butlers nie auf die leichte Schulter nahm, setzte sich die Spezialbrille auf die Stirn, um sofort über sie verfügen zu können. Dabei nahm er zur Kenntnis, daß einige alte Männer sich aus ihren Plastiksesseln schoben und eine Seitentür ansteuerten.

Dann war ein Klicken zu vernehmen. Rander wandte sich um und stellte fest, daß die Tür zur Lounge des Hotels gerade von zwei jungen Männern geschlossen wurde. Sie bauten sich von innen vor dieser Tür auf und zogen dabei Teile eines Vorhangs zu.

»Es dürfte soweit sein, Sir«, deutete Parker in seiner höflichen Art an. »Man scheint die entsprechenden Vorbereitungen zu einem speziellen Empfang zu treffen.«

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als das sparsame Licht unter der Decke der Halle erlosch. Völlige Finsternis breitete sich aus. Mike Rander kam sich einen Moment völlig hilflos vor. Er verlor jede Orientierung.

»Die Schutzbrille, Sir«, erinnerte Josuah Parker. Er hielt längst seine Miniatur-Blitzlichtbombe in der schwarz behandschuhten Rechten.

Die Bombe war kaum größer als die Sicherung einer Auto-Elektrik, doch sie hatte es in sich, wie sich schnell zeigte. Parker, der seine Augen ebenfalls geschützt hatte, knickte den kleinen Glaskörper seitlich weg und warf ihn in die Dunkelheit.

Das Resultat war frappierend.

Eine grelle Sonne füllte die Empfangshalle des ›Lunatica‹ bis in den letzten Winkel aus. Gleichzeitig hörte man einige Schreie, Flüche und Rufe.

Mike Rander sah durch das Schutzglas seiner Brille einige Personen, die vor dem Treppenaufgang standen und ihre Augen mit hochgerissenen Händen zu schützen versuchten. Er sah aber auch, daß diese jungen Männer durchweg mit Holzprügeln und Fahrradketten ausgerüstet waren, Gegenstände, die durchaus tödlich sein konnten.

»Man bittet, meiner Wenigkeit zu folgen, Sir«, ließ Josuah Parker sich würdevoll vernehmen. »Die bewußten Personen dürfen kein Hindernis mehr darstellen.«

Was durchaus stimmte.

Die gerade noch wehrhaften jungen Männer hatten sich ohne Ausnahme hingehockt und stöhnten in verschiedenen Tonlagen. Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß die beiden Besucher sie passierten und über die Treppe ins erste Geschoß stiegen.

»Wie lange werden die Burschen geblendet bleiben?« fragte Rander.

»Etwa drei bis fünf Minuten«, lautete Parkers Antwort. »Man darf Ihnen versichern, Sir, daß die Personen nicht an Folgeschäden leiden werden.«

»Selbst ich sehe bunte Kreise«, meinte der Anwalt beeindruckt. »Hoffentlich haben Sie für den Rückweg noch solch eine hübsche Überraschung parat.«

»Meine Wenigkeit richtete sich vor der Fahrt auf gewisse Zwischenfälle ein, Sir.« Während dieser Aussage nickte der Butler knapp. Er hatte die Führung übernommen und erblickte dabei in einem Korridor einen Mann, der seinerseits stutzte, als er den Butler sah.

Da dieser Gang gut beleuchtet war, konnte man deutlich sehen, daß dieser Mann mit Parkers Erscheinen wirklich nicht gerechnet hatte. Er wollte sich hastig ab wenden, schaffte es auch und ... zuckte dann wie unter einem elektrischen Schlag zusammen.

Fast ungläubig fingerte er mit der linken Hand nach seinem Gesäß und produzierte ein Stöhnen, als wäre er tödlich getroffen worden. Die tastenden Finger hatten einen Pfeil ausgemacht, der kaum größer war als eine Stricknadel. Am Schaftende dieses Pfeils gab es eine bunte, kleine Feder, die zur Flug-Stabilisierung diente.

Der Pfeil stammte aus Parkers Universal-Regenschirm und war von komprimierter Kohlensäure angetrieben worden. Der hohle Schirmschaft war im Grund nichts anderes als ein modernes Blasrohr; die Patrone mit der Treibladung befand sich im unteren Teil des Griffs.

Diese so gut wie lautlose Waffe bot aber noch eine zusätzliche Überraschung. Die Spitze des Blasrohr-Pfeils war mit einer chemischen Substanz präpariert, die fast wütenden Juckreiz auslöste und die Muskeln erschlaffen ließ.

Wie zu sehen war!

Der Getroffene hatte den hinderlichen Pfeil aus dem Gesäß gezogen und auf den Boden geworfen. Er war bereits dabei, sich ausgiebig und fast wollüstig zu kratzen. Dabei stöhnte er, hüstelte dazwischen und vergaß die Anwesenheit der beiden Besucher.

»Und dies ist erst der Beginn, wie meine Wenigkeit Ihnen versichern darf und muß«, sagte Parker, der den Mann inzwischen erreicht hatte. »Wo findet man Mister Faldex, wenn man fragen darf?«

Josuah Parker hatte den Blasrohr-Pfeil aufgehoben und präsentierte ihn wie zufällig dem genußvoll kratzenden Mann, der diese Geste auf seine Art interpretierte und einen zweiten Einschuß fürchtete.

»Da hinten«, hechelte er und zeigte mit der freien Hand auf eine Tür am Ende des Korridors.

»Herzlichen Dank«, gab Parker zurück und legte den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes kurz auf die Stirn des Mannes, der daraufhin aller Qual enthoben wurde. Er verdrehte die Augen und nahm auf dem zerfransten Teppichboden Platz.

»Sie können ja ganz schön direkt sein, Parker«, meinte der Anwalt.

»Besondere Umstände verlangen spezielle Methoden, Sir«, entgegnete Josuah Parker. »Man sollte Mister Steven Faldex nicht unnötig warten lassen.«

Er hatte seinen Satz noch nicht beendet, als er Mike Rander eine schallgedämpfte Feuerwaffe überreichte. Sie stammte aus der Schulterhalfter des inzwischen Schlafenden, der überhaupt nicht mitbekommen hatte, wie schnell, einfühlsam und überaus geschickt die Hände des Butlers waren.

*

Steven Faldex zählte etwa fünfundvierzig Jahre. Er war groß, schlank und hätte als Dressman mit Sicherheit Karriere gemacht. Sein gut geschnittenes Gesicht zeigte deutlich, daß er die vergangenen Monate im Süden Europas zugebracht hatte. Mit einem Whiskyglas in der Hand fühlte er sich als Herr der Situation. Er hatte Schritte im Vorzimmer gehört und sie prompt mißdeutet.

»Alles klar?« fragte er und wandte sich dabei lässig zur Tür.

»Die Dinge entwickelten sich durchaus günstig«, sagte Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone. Steven Faldex reagierte ungemein schnell und profihaft. Er ließ sein Glas fallen und griff nach seiner Schulterhalfter. Die Absicht war unzweideutig.

Butler Parker kam dem Gangster zuvor.

Aus dem Handgelenk schleuderte er die gewölbte Kopfbedeckung in Richtung Faldex. Die Melone wurde zu einer Frisbee-Scheibe, die in einer leichten Kurve auf den Mann sirrte und dessen Handgelenk traf.

Da die Kopfbedeckung des Butlers mit Stahlblech gefüttert und auch der Rand entsprechend verstärkt war, wurde die Hand des Gangsters empfindlich getroffen und leicht gelähmt. Die Finger waren nicht mehr in der Lage, nach der Schußwaffe zu greifen.

»Verzeihen Sie gütigst die spontane Reaktion meiner Wenigkeit«, entschuldigte sich der Butler. »Die mit Sicherheit eintretende Schwellung Ihrer Hand wird erfahrungsgemäß wieder abklingen. Mein Name ist übrigens Parker, Butler Parker. Und dies ist Mister Mike Rander, den Sie noch näher kennenlernen werden.«

»Sie sind tatsächlich durchgekommen«, sagte Faldex, der sich bereits wieder unter Kontrolle hatte. Er rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Ich hätte es mir denken müssen.«

»Sie waren auf den Besuch Mister Randers und meiner Wenigkeit vorbereitet, Mister Faldex?«

»Ich ... hatte andere ... Gäste erwartet«, log der Gangster und legte die getroffene Hand auf den Tresen einer Hausbar. »Verdammt, Parker, hoffentlich haben Sie mir eben nicht die Hand gebrochen.«

»Falls dem so sein sollte, Mister Faldex, sollten Sie möglichst bald einen Spezialisten aufsuchen«, riet der Butler in seiner höflichen Art. »Sie müßten dann allerdings nicht gerade mit Falschgeld bezahlen.«

»Falschgeld? Worauf wollen Sie hinaus, Parker?« Faldex gab sich ahnungslos.

»Lady Agatha Simpson, der zu dienen meine Wenigkeit die Ehre hat, erhielt im Verlauf des heutigen Tages eine falsche Fünf-Pfund-Note. Daher dieser Besuch. In der kriminellen Szene raunt man sich zu, daß Sie sich auf dem Gebiet der sogenannten Blüten betätigen, Mister Faldex.«

»Reiner Unsinn, Parker«, widersprach Faldex. »Haben Sie eine Ahnung, was man mir so alles anhängt? Mit Blüten habe ich nichts zu tun. Das ist mir einfach zu heiß.«

»Der Gewinn dürfte allerdings ungemein verlockend sein.«

»Die Regierung reagiert allergisch, wenn Falschgeld auftaucht«, antwortete Faldex. »Man hat Ihnen den falschen Tip gegeben. Ich will mit der Regierung keinen Ärger haben.«

»Die erwähnte Banknote zeichnet sich durch sehr gute Arbeit aus, Mister Faldex.«

»Schön für die Falschdrucker, aber mich interessiert das nicht. Ich kann Ihnen auch keinen Tip geben. Wüßte ich was, würde ich Ihnen was sagen.«

»Mister Rander und meine Wenigkeit gehen aber davon aus, daß Sie interessierten Kreisen von diesem Besuch berichten werden«, meinte Josuah Parker. »Teilen Sie diesen Personen mit, daß Lady Simpson sich bereits mit Falschgeld befassen und beabsichtigen, gewisse Blütenträume welken zu lassen.«

»Ich werde mich da ‚raushalten, Parker«, behauptete Steven Faldex mit Nachdruck. »Wie gesagt, man hat Ihnen einen falschen Tip gegeben. Noch etwas, ich würd’ Sie gern auf die Straße zurückbringen. Ich möchte nicht, daß da was passiert.«

»Ihre Fürsorge ist geradezu rühmenswert, Mister Faldex«, meinte Parker.

»Ich gehe eben jedem Ärger möglichst aus dem Weg«, erklärte der Gangster und befaßte sich wieder vorsichtig mit seiner Hand. »Das sollten vielleicht auch Sie tun, Parker. Ein Leben kann verdammt schnell zu Ende sein. Ich meine das natürlich nur grundsätzlich, ist ja klar.«

*

Sie saßen im hochbeinigen Monstrum und fuhren nach Shepherd’s Market zurück.

»Faldex dürfte bereits die Drähte glühen lassen«, meinte der Anwalt spöttisch. »Natürlich wird er sich nicht ’raushalten.«

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich Ihnen beipflichten«, erwiderte der Butler. »Mister Faldex residiert nicht grundlos im ›Lunatica‹. Von dort aus könnte er die Falsifikate in Umlauf bringen. Er verfügt über ein kleines Heer von Geldwechslern.«

»Sie denken an die Leute, die in diesen Hotelzimmern untergebracht werden?«

»In der Tat, Sir. Falschgeld ist nur dann nutzbringend, wenn man es gegen echte Banknoten tauschen kann. Und daran muß den Druckern gelegen sein.«

»Faldex wird doch niemals selbst eine eigene Verteiler-Organisation aufziehen, Parker.«

»Keineswegs, Sir. Er wird sich Mittelsmänner bedienen, die dies für ihn übernehmen, ohne aber von ihm zu wissen.«

»So schätze ich diesen Burschen ein.« Rander nickte. »Was halten Sie von diesem Hotel als Tarnung für eine Falschgeld-Druckerei?«

»Eine bestechende Hypothese, wenn meine Wenigkeit sich so ausdrücken darf, Sir.«

»Sie glauben also nicht daran, wie?« Rander kannte Butler Parker nur zu gut.

»Die Gefahr einer Indiskretion und damit Entdeckung wäre möglicherweise zu groß, Sir.«

»Erstaunlich, daß Faldex im Zusammenhang mit den Blüten genannt wird, Parker. Auch die Polizei wird davon doch inzwischen Wind bekommen haben.«

»Und sich möglicherweise ablenken lassen und auf Mister Faldex fixieren«, erwiderte Josuah Parker. »Vielleicht ist Mister Faldex nur zurück auf die Insel gekommen, um eine falsche Spur zu legen. Eine solche Möglichkeit sollte man in Betracht ziehen.«

»Schön, suchen wir also die Nadel im Heuhaufen«, seufzte Mike Rander. »Aber wo sollen wir zuerst herumstochern, Parker?«

»Das Papier, Sir, dürfte das Problem sein.«

»Es gibt doch nur einige Firmen, die Banknoten-Papier herstellen, oder?«

»In der Tat, Sir. Und diese Firmen dürften sehr streng kontrolliert werden. Eine Unregelmäßigkeit sollte man ausschließen.«

»Also Papier aus dem Ausland?«

»Dies wäre der Weg, Sir. Die Frage des Drucks sollte man vorerst außer acht lassen.«

»Unsere Insel soll eine Menge Häfen haben«, erinnerte der Anwalt ironisch. »Und über all diese Häfen könnte das Spezialpapier eingeschleust werden.«

»Meine Wenigkeit erlaubt ihnen, nicht an Großsendungen zu denken, Sir«, antwortete Parker in gewohnt höflicher Weise. »Man könnte dieses Spezialpapier bereits in handlichen Zuschnitten anliefern und zwar bereits hier im Großraum London.«

»So würden Sie es als Blütenhersteller machen, wie?« Mike Rander lächelte amüsiert.

»In der Tat, Sir. Der ständige Warenstrom von und nach London ist kaum genau zu kontrollieren. Der Zoll kann nur Stichproben vornehmen und die Begleitpapiere mit den deklarierten Waren vergleichen.«

»Sie denken in diesem Zusammenhang an eine hübsche Bestechungskiste, wie?«

»Sie wäre nicht auszuschließen, Sir.«

»Da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu, Parker, falls wir überhaupt mitmischen werden.«

»Mylady wird sich diesen Fall sicher kaum entgehen lassen, Sir. Man darf daran erinnern, daß Mylady um fünf Pfund hintergangen wurde. So etwas wird Mylady nie verzeihen.«

»Um diesen Verlust wettzumachen, wird sie ohne weiteres ein kleines Vermögen ausgeben.« Der Anwalt nickte. Er kannte den Eigensinn der Agatha Simpson.

»So ist es, Sir«, bestätigte Parker Mike Randers Feststellung.

*

»Sehen Sie sich das an, Mister Parker«, sagte die ältere Dame und lächelte geringschätzig. »Man hat mir eben zwei Fünf-Pfund-Noten per Expreßboten ins Haus geschickt.«

»Man hat sicher die Absicht, Mylady zu versöhnen«, gab Josuah Parker zurück.

»Ich habe absolut nichts gegen diese zehn Pfund«, fuhr die ältere Dame fort. »Aber damit hat sich die Sache noch längst nicht erledigt, wie Sie sich vorstellen können.«

»Sie haben Ihren Verlust mehr als wettgemacht, Mylady«, stellte Mike Rander fest.

»Darauf kommt es überhaupt nicht an, Mike«, widersprach die ältere Dame umgehend. »Ich kann es nicht zulassen, daß die Währung meiner Freundin Elisabeth untergraben wird.«

»Elisabeth?« Rander verstand nicht sofort.

»Mylady sprechen von der Queen«, erläuterte Parker höflich.

»Richtig, Sie sind ja irgendwie mit ihr verwandt«, erinnerte sich der Anwalt.

»Innerhalb einer Familie hält man zusammen, mein Junge«, dozierte Agatha Simpson. »Ich lasse mich zwar so gut wie gar nicht bei Hofe sehen, weil mir da manches nicht paßt, aber immerhin. Ich werde diesen Falschmünzern das Handwerk legen.«

»Mylady deuteten dies bereits an«, sagte der Butler und nickte. »In dieser Beziehung waren Mister Rander und meine Wenigkeit bereits tätig.«

Bevor sie Fragen stellen oder ihren Unmut über diesen Alleingang äußern konnte, erstattete der Butler einen kurzen Bericht.

»Und Sie glauben wirklich nicht, daß die falschen Banknoten im Hotel gedruckt werden?« mokierte sie sich und schüttelte wissend den Kopf. »Mister Parker, Ihnen fehlt wieder mal der Sinn für die Realität. Natürlich werden die Blüten dort hergestellt! Das liegt doch auf der Hand. Sie haben diesen Gangster, wie immer er auch heißen mag, viel zu sanft angefaßt. Vor mir hätte er ein volles Geständnis abgelegt.«

»Meine Wenigkeit wird nicht widersprechen, Mylady.«

»Wie sollten Sie auch? Sie wissen doch längst, daß ich wieder mal recht habe. Wäre ich mitgefahren, hätte man die Falschmünzerei bereits schließen können.«

»Meine Wenigkeit dürfte einen unverzeihbaren Fehler begangen haben.«

»Nun, wie auch immer, eine Lady Simpson ist nicht nachtragend«, sagte sie und schaffte es, für einen Moment milde zu lächeln. »Sie werden die Feinheiten des Detektivberufes schon noch lernen, Sie müssen eben Geduld haben.«

Kathy Porter, die ebenfalls anwesend war, blickte krampfhaft zu den diversen Ritterrüstungen hinüber, die weit hinten in der Wohnhalle an der Wand standen. Mike Rander hingegen blickte angestrengt zu Boden und befaßte sich mit den Mustern im Teppich. Er hatte Mühe, aufsteigendes Glucksen zu unterdrücken.

Parker hingegen blieb würdevoll und ernst wie stets.

»Mylady werden in meiner bescheidenen Person stets einen geradezu lernbegierigen Schüler haben«, erklärte er.

»Man soll verschütteter Milch nicht nachweinen«, zitierte Lady Agatha einen bekannten englischen Spruch. »Ich werde Ihren Fehler ausbügeln und dieses Hotel besuchen.«

»Ein Hotel, in dem es ganz schön munter zugeht«, warnte Mike Rander.

»Man rechnet bestimmt mit Ihrem Besuch, Mylady«, warf Kathy Porter zusätzlich mahnend ein.

»Papperlapapp, Kindchen«, tat die ältere Dame die Einwände ab. »Ich werde Mister Parker mitnehmen, damit er sich rehabilitieren kann. Lassen Sie sich zu meinem Besuch etwas einfallen, Mister Parker.«

»Man dürfte inzwischen alle Spuren beseitigt haben, Mylady«, sagte der Butler. »Man weiß natürlich, daß Mylady einen Besuch planen.«

»Das könnte natürlich sein.« Sie runzelte die Stirn. »Nun denn ... dann werde ich eben entsprechend reagieren, Mister Parker. Sie wissen, daß ich flexibel bin.«

»Haben Mylady spezielle Vorstellungen?« wollte Parker wissen.

»Ich werde Kontakt mit der Unterwelt aufnehmen«, gab sie munter zurück. »Bringen Sie mich zu irgendwelchen Leuten, die mir einen Tip geben können.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.«

»Gehen Sie davon aus, Mylady, daß man Sie wohl längst mehr oder weniger diskret beschattet«, warnte der Anwalt erneut. »Die Blütenhersteller wissen ja inzwischen, mit wem sie es zu tun haben.«

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, sagte die ältere Dame erfreut. »Wissen Sie, mein Junge, ich rechne fest mit einem Überfall. Noch am Abend. Man wird versuchen, mich so schnell wie möglich auszuschalten.«

»Meine Wenigkeit wird Mylady auf keinen Fall widersprechen«, machte Josuah Parker sich bemerkbar. Wenn Sie erlauben, wird man einige Sicherheitsvorkehrungen treffen.«

»Nun gut, Mister Parker, aber übertreiben Sie nicht wieder.« Sie lächelte amüsiert und überlegen. »Sie neigen dazu, die Dinge zu überschätzen.«

Parker verzichtete auf eine Entgegnung.

*

Der Kontakt zur Unterwelt war bald hergestellt.

Lady Agatha saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und wartete darauf, verfolgt zu werden. Immer wieder wandte sie sich um und blickte durch das Rückfenster auf die Straße. Die ältere Dame war bereits ein wenig unwirsch geworden, erkundigte sich immer wieder bei Parker, ob er nicht endlich einen Verfolger ausgemacht habe.

»Man gibt sich zur Zeit noch durchaus zurückhaltend, Mylady«, versicherte der Butler gemessen. »Bestimmt will man erst herausfinden, wohin Mylady zu fahren gedenken.«

»Und wohin fahre ich?« wollte sie wissen.

»Mylady entschieden sich für einen gewissen Mister Ray Gorski, der vor vielen Jahren einmal Druckplatten zur Herstellung von Falschgeld gravierte.«

»Wieso habe ich mich für diesen Mann entschieden, Mister Parker«, wollte sie wissen. »Ich habe von diesem Graveur noch nie gehört.«

»Dann muß meine Wenigkeit Mylady völlig mißverstanden haben«, gab Josuah Parker zurück. »Befehlen Mylady eine andere Adresse?«

»Natürlich nicht«, grollte sie. »Aber ich sage Ihnen bereits jetzt, daß dieser Besuch reine Zeitverschwendung sein wird. Werde ich noch immer nicht verfolgt?«

»Inzwischen scheint man es mit einem Motorradfahrer zu tun zu haben, Mylady, der eine japanische Maschine steuert.«

»Behalten Sie dieses Subjekt im Auge, Mister Parker«, ordnete sie erfreut an. »Die Dinge kommen endlich in Fluß, ich wußte es doch. Wahrscheinlich wird man versuchen, mich unter Beschuß zu nehmen.«

»Möglicherweise hat man sich auch eine Steigerung ausgedacht, Mylady.«

»Es gibt dazu keine Steigerung.«

»Mylady sollten vielleicht auch mit einer Haftladung rechnen, die man mit einem Magneten am Wagen anbringen könnte.«

»Sie übertreiben wieder mal«, mokierte sie sich.

»In der Vergangenheit unternahm man bereits den Versuch, Mylady auf diese Art zu belästigen.«

Während seines Hinweises beobachtete der Butler den Motorradfahrer, der sich geschickt und schnell an das hochbeinige Monstrum heranarbeitete. Parker ließ den Fahrer näher kommen, gab dann jedoch Gas und schwenkte seinen Wagen in die nächste Seitenstraße.

Das ehemalige Taxi, das erbarmungswürdig alt aussah, zeigte dabei eine überraschend gute Straßenlage. Nicht umsonst war der so betagt wirkende Wagen von Parker technisch auf den neusten Stand des Automobilbaus gebracht worden. Eingeweihte sprachen respektvoll und bewundernd von einer Trickkiste auf Rädern.

Das Abbiegen kam überraschend für den Motorradfahrer. Er mußte in geradezu verwegene Schräglage gehen, um dem Wagen folgen zu können. Dabei geriet er peinlicherweise auf einen Ölstreifen, der plötzlich auf dem Asphalt zu sehen war.

Der Fahrer versuchte sich als Artist, wollte den drohenden Sturz vermeiden ... und unterlag dennoch. Er schlitterte mit seiner Maschine über den Asphalt und trennte sich dabei von ihr.

Das schwere Zweirad trudelte und schrammte in Richtung Bordsteinkante und verfing sich dort am Gehweg. Dabei kam es zu häßlichen Geräuschen, die vom zerknautschten Blech herrührten. Der Fahrer segelte auf seiner Kehrseite über den Asphalt und krachte mit der Breitseite gegen das Ziergitter eines Vorgartens.

»Sehr hübsch«, urteilte die Detektivin, die diesen Vorgang durch das Rückfenster des Wagens beobachtet hatte. »Stammte der Ölstreifen von Ihnen, Mister Parker?«

»Nur sehr indirekt, Mylady«, erwiderte der Butler. »Es sollte allerdings nicht verschwiegen werden, daß er aus einem speziellen Behälter des Wagens stammt.«

»Setzen Sie zurück, Mister Parker«, verlangte sie. »Ich werde mir diesen aufdringlichen Lümmel jetzt kaufen und ein ernstes Wort mit ihm reden.«

»Die erwähnte Person zieht es bereits vor, das sogenannte Weite zu suchen«, meldete Parker nach einem Blick in den Rückspiegel nach hinten. »Er bedient sich dabei seines Beinpaares.«

»Sehr ärgerlich«, grollte Agatha Simpson gereizt.

»Mylady werden diese Person mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon bald wieder sehen«, gab der Butler zurück. »Man wird es nicht bei diesem Versuch einer Behinderung belassen.«

*

Ray Gorski war etwa fünfundfünfzig, fast klein und schlank bis mager. Er hatte ein hageres, ovales Gesicht mit scheuen Augen. Er trug einen dunkelblauen Kittel und saß vor einem Arbeitstisch. Mit einer Rundfeile war er damit beschäftigt, einen Schlüssel zu formen.

Als er Josuah Parker erblickte, sprang er hoch, als hätte ihn eine Tarantel gestochen. Er lächelte und zeigte dabei überraschend große Zähne.

»Das is’ aber wirklich ’ne echte Überraschung«, sagte er. »Sie waren ja schon ’ne Ewigkeit nicht mehr hier.«

»Mister Ray Gorski«, stellte Parker ihn der älteren Dame vor.

»Und Sie sin’ Lady Simpson«, meinte Gorski. »So hab ich Sie mir vorgestellt.«

»Keine Schmeicheleien, junger Mann«, erwiderte die Detektivin. »Sie haben seinerzeit mal Druckplatten für Banknoten hergestellt?«

»Sie sin’ verdammt direkt, Lady«, meinte Gorski.

»Sind Sie auf diesem Gebiet noch immer tätig?«

»Lassen Sie mich erst mal Luft schnappen, Mylady«, erwiderte Ray Gorski und blickte den Butler hilfesuchend an. »Hat das etwa jemand behauptet?«

»Ja oder nein, junger Mann?« Mylady fiel wieder mal mit der Tür ins Haus und verzichtete auf jede höfliche Umschreibung.

»Würd’ ich das zugeben, wenn’s so wäre, Lady?«

»Ich bin verschwiegen«, erklärte Agatha Simpson.

»Es geht um falsche Banknoten, Mister Gorski«, schaltete der Butler sich nun ein. »Würden Sie sich dieses Falsifikat mal ansehen?«

Er reichte Gorski die bewußte Fünf-Pfund-Note und beobachtete den ehemaligen Spitzengraveur, der die Banknote prüfend zwischen den Fingern herumschob und sie dann anknitterte. Dabei verzog Gorski ein wenig den Mund. Danach schaltete er eine Arbeitslampe auf dem Verkaufstresen ein und hielt den Schein gegen das Licht.

»Gute Arbeit«, meinte er Sekunden später und reichte Parker die Blüte zurück. »Gutes Papier, guter Druck... Keine Spitzenarbeit, damit wir uns richtig verstehen, aber immerhin. So etwas geht ohne weiteres durch, wenn man nicht genau aufpaßt.«

»Würden Sie bessere Druckplatten herstellen können?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Natürlich, Mylady«, lautete die ein wenig beleidigte Antwort. »Ich will erst gar nicht in Einzelheiten gehen, verstehen Sie? Aber ich könnte natürlich ohne Frage bessere Druckplatten machen.«

»Sie werden sicher schon davon gehört haben, Mister Gorski, daß London mit Blüten dieser Art bedacht wird«, sagte Parker.

»Natürlich hab’ ich davon gehört. Fünfer-, Zehner- und Zwanzigerscheine sind im Umlauf. Aber das hier is’ die erste Blüte, die ich sehe. Ich meine, seit ein paar Jahren.«

»Warum haben die Falschmünzer sich nicht mit Ihnen in Verbindung gesetzt, junger Mann?« wunderte sich Lady Agatha. »Sie wollen angeblich doch eine Spitzenkraft sein.«

»Ich hab’ meine Jahre abgesessen«, gab Gorski zurück. »Mein Bedarf ist mehr als reichlich gedeckt. Und wenn Blüten auftauchen, wird man sich zuerst mal mit mir befassen. Ich bin für Falschmünzer inzwischen ’ne verdammt schlechte Adresse.«

»Die Polizei war demnach bereits bei Ihnen, Mister Gorski?« erkundigte sich der Butler.

»Direkt nicht, aber ich werde überwacht. Wahrscheinlich hat man auch mein Telefon angezapft.«

»Sie konnten demnach Observierungskräfte der Polizei ausmachen, Mister Gorski?«

»Ein paar davon sogar, Mister Parker. Seit Tagen treiben sich hier Typen in der Straße ’rum, die so unauffällig sind, daß sie schon wieder auffallen. Klarer Fall, daß die Polizei mich beschattet.«

»Ob ich Ihnen glaube, junger Mann, werde ich später entscheiden«, schickte Lady Agatha in ihrer munteren Art voraus. »Schließlich könnten Sie ja auch Druckplatten graviert haben, die eben etwas schlechter sind als die, die Sie damals hergestellt haben. Ich denke da an eine bewußte Täuschung der Behörden.«

»Kein schlechter Trick, Mylady.« Gorski lächelte und nickte.

»Sie hielten das Notenpapier für recht passabel, Mister Gorski«, erinnerte Josuah Parker.

»Nicht zu lappig, nicht zu steif... gerade so richtig und griffig, wie man’s gewöhnt ist, Mister Parker.«

»Es könnte aus dem Ausland stammen?«

»Es muß aus dem Ausland kommen«, entgegnete Gorski mit Nachdruck. »Die paar Papiermühlen, die Spezialpapiere herstellen, sind der Polizei bekannt und werden auch von ihr genau überwacht. Da läßt sich so gut wie nichts abzweigen. Nein, nein, das Notenpapier muß Importware sein. Ich tippe sogar auf den Fernen Osten. Da is’ ja vieles möglich.«

»Der Druck hingegen könnte ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden?«

»Überhaupt kein Problem, Mister Parker. Sie wissen das ja auch. Moderne Druckmaschinen stehen inzwischen in fast allen Klitschen. Wichtig sind und bleiben die Platten und das Papier.«

»Demnach könnte der Druck in jedem noch so kleinen Fachbetrieb erfolgen?«

»Mit der linken Hand, Mister Parker. Suchen Sie nicht nach der Druckerei, suchen Sie nach der Herkunft des Papiers.«

»Mylady drängten bereits darauf«, gab der Butler zurück.

»Das ist richtig«, bestätigte sie umgehend und lächelte den Butler freundlich-wohlwollend an. »Sie sollten wissen, junger Mann, daß eine Lady Simpson sich immer nur auf die wesentlichen Dinge konzentriert.«

»Sie kennen Mister Steven Faldex?« erkundigte sich der Butler.

»Er soll sich wieder im Land herumtreiben«, meinte Gorski und nickte. »Wetten, daß die Polizei auch ihn beschattet?«

»Dies kann man als sicher unterstellen, Mister Gorski.«

»Faldex weiß das natürlich auch«, redete der ehemalige Graveur weiter. »Ich wundere mich, daß er sich hier in London selbst sowas wie Handschellen anlegt.«

»Möglich wäre es natürlich, Mister Gorski, daß er es genießt, so umfassend observiert zu werden.«

»Dann aber bestimmt nicht ohne Grund, Mister Parker. Faldex ist ein gerissener Hund.«

»Mylady und meine Wenigkeit möchten Ihnen vollinhaltlich beipflichten«, erwiderte Josuah Parker. »Es war wieder mal ein Vergnügen, Ihre Ansichten zu hören.«

»Sollte ich was aufschnappen, rufe ich Sie an, Mister Parker.«

»Man wird dies dann mit Dankbarkeit und Interesse zur Kenntnis nehmen, Mister Gorski«, versprach der Butler gemessen.

*

Die erwarteten Besucher erschienen etwa gegen drei Uhr morgens.

Josuah Parker, der sich in seinen privaten Räumen im Souterrain des hochherrschaftlichen Hauses der älteren Dame befand, wurde von einem hohen und spitzen Ton geweckt. Er war sofort hellwach und wußte, daß die hausinterne Alarmanlage reagiert hatte.

Durch die geöffnete Tür seines Schlafraums blickte er hinüber auf die Signaltafel, die im Wohnraum neben der Tür angebracht war. Sie sagte ihm, daß man versuchte, die Trennmauer hinter dem Fachwerkhaus zu übersteigen.

Die Verlockung, diese Mauer als besonderen Schwachpunkt des Hauses zu betrachten, war wieder mal unverkennbar. Vom benachbarten kleinen Park, der zu einem Institut gehörte, brauchte man ja offensichtlich nur die Mauer zu übersteigen, um an Myladys Haus heranzukommen. So einfach sah dies alles aus, doch die Wirklichkeit war erheblich anders.

Mit dem Fernbedienungsgerät, das auf Infrarot-Basis arbeitete, schaltete Josuah Parker vom Bett aus die Fernsehkamera auf der Rückseite des Hauses ein. Sekunden später lieferte ihm ein Kontroll-Monitor ein gestochen scharfes Bild.

Es waren zwei Gestalten, die schon fast auf der Mauerkrone saßen. Sie schwangen gerade ihre Beine herüber und erinnerten an Reiter, die auf einem überdimensionalen großen, schlanken Pferd saßen.

Diese Pseudo-Reiter waren völlig ahnungslos. Sie hatten die feinen Stahlborsten wahrscheinlich noch nicht mal registriert, die in die Mauerkrone eingelassen waren. Die beiden nächtlichen Besucher verständigten sich mit Handzeichen und schickten sich an, sich auf der Innenseite der Mauer abzuschwingen.

Parker reagierte in gewohnt gemessener Weise.

Mit dem Fernbedienungsgerät aktivierte er die feinen Stahlborsten und lud sie wirkungsvoll auf.

Das Resultat war frappierend.

Die Mauer-Reiter wurden förmlich abgeworfen, bewegten sich nach Parkers Schätzung erst mal acht bis zehn Zentimeter senkrecht hoch und zappelten dabei wie Gliederpuppen. Dann kippten sie seitlich weg und blieben auf der anderen Seite der Trennmauer liegen.

Was sich dort abspielte, brauchte der Butler gar nicht erst zu sehen. Er wußte von Begegnungen ähnlicher Art genau, daß die beiden Mauer-Reiter sich in einem Schockzustand befanden. Ihre Muskeln hatten sich mit Sicherheit verspannt und ließen keine koordinierten Bewegungen zu.

Parkers Verteidigungsanlage arbeitete nach dem Prinzip eines sogenannten ›Personal-Protector‹, wie er im speziellen Fachhandel angeboten wird. Er hatte sich einige dieser handlichen Taschengeräte sofort angeschafft, sie genau analysiert und entsprechende Abwandlungen angefertigt.

Gesundheitliche Schäden waren nicht zu befürchten, was die nächtlichen Besucher betraf. Schon nach wenigen Minuten würden die verspannten Muskeln sich wieder entspannen und Bewegungen zulassen. Mit einem erneuten Besuch rechnete Parker allerdings nicht. Die beiden Mauer-Reiter hatten sicher nur noch den einen Gedanken, sich so schnell wie möglich zu empfehlen. An eine Wiederholung ihrer Klettertour dachten sie bestimmt nicht.

Parkers Vermutung bestätigte sich.

Als nach etwa zehn Minuten sich nichts mehr auf der Mauer tat, schaltete er die Stromzuführung ab und widmete sich wieder seiner Nachtruhe. Mit einem Minimum an Kraftaufwand hatte er wieder mal ein Maximum an Wirkung erreicht. Und genau dies entsprach seiner Lebensphilosophie.

*

»Ich hatte zufällig hier in der Gegend zu tun«, behauptete Chief-Superintendent McWarden wieder mal am anderen Morgen. Er hatte sich pünktlich zum Frühstück eingestellt und gerade Mylady begrüßt, die im kleinen Salon saß.

»Ich gehe davon aus, daß Sie natürlich bereits gefrühstückt haben, McWarden«, meinte die Hausherrin, deren bekannte Sparsamkeit den Yard-Beamten bekannt war.

»Ich habe noch keinen einzigen Happen gegessen«, antwortete der Chief-Superintendent, »und bin seit Stunden auf den Beinen.«

»Wie gut für Ihre Figur, mein Lieber«, stellte die ältere Dame sichtlich zufrieden fest. »Sie neigen ohnehin zur Korpulenz, wie Sie wissen. Sie sollten hin und wieder strenge Diät einhalten. Nur weiter so!«

»Man soll nichts übertreiben, Mylady«, erklärte McWarden. »Ich nehme Ihre Einladung natürlich an.«

Josuah Parker, der bereits ein Gedeck auflegte, erntete von Agatha Simpson einen vorwurfsvollen Blick. McWarden lächelte Mylady an und bediente sich. Die ältere Dame nahm leicht gereizt zur Kenntnis, wie der Mann von den gebackenen Nieren nahm, sich am Schinken ergötzte und auch ein Rührei mit kroß gebratenem Speck nicht ausschlug. Dazu trank er ausgiebig den nach Kontinentalart gebrühten Kaffee.

Der Chief-Superintendent leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. McWarden war ein sehr fähiger Kriminalist, der aber immer wieder offen oder versteckt den Rat Butler Parkers einholte. Darüber hinaus schätzte er auch die Mitarbeit der älteren Dame, die an keine Dienstvorschrift gebunden war und sich Dinge erlauben durfte, von denen er als königlicher Beamter nur träumen konnte.

»Kommen Sie endlich zur Sache, McWarden«, grollte sie nach einer Weile. »Sie stecken also wieder mal in der Klemme und brauchen meine Unterstützung, nicht wahr?«

»Richtig, Mylady, der Wahrheit die Ehre.«. McWarden, etwa fünfundfünfzig, untersetzt und massig, erinnerte an einen stets leicht gereizten und aggressiven Bullterrier, wozu seine leichten Basedow-Augen noch beitrugen.

»Sie geben zu, allein nicht zurechtzukommen?« staunte die passionierte Detektivin. Mit diesem Eingeständnis McWardens hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.

»Es geht um Falschmünzerei, Mylady«, sagte der Chief-Superintendent und nickte erfreut, als Parker Kaffee nachgoß. »Es geht um ein Hotel, in dem verrückte Dinge passiert sind.«

»Verrückte Dinge, McWarden?« echote sie.

»Zwei Männer müssen im ›Lunatica‹ in Bayswater einen ganz schönen Wirbel veranstaltet haben«, zählte der Chief-Superintendent auf, »und Stunden später rutschte ein Motorradfahrer auf einer Ölspur aus, wie ich hörte. Erstaunlicherweise kümmerte er sich nicht weiter um seine Maschine, sondern setzte sich schleunigst ab. Er schien hinter einem alten Taxi her gewesen zu sein, wie Augenzeugen aussagten.«

»Mister Ray Gorski, Sir, ist der wohl richtigen Ansicht, daß er von der Polizei observiert wird«, warf Josuah Parker ein. Er kam damit genau auf den Punkt. »Ihre Mitarbeiter im weitesten Sinn dürften Mylady und meine Wenigkeit bei diesem begabten Graveur gesehen haben.«

»Ich hörte davon«, meinte McWarden und lächelte flüchtig. »Mylady und Sie beschäftigen sich bereits ebenfalls mit Blüten?«

»Was sage ich dazu, Mister Parker?« Die ältere Dame wandte sich sicherheitshalber an ihren Butler.

»Mylady wurde gegen ihren Willen mit einem Falsifikat bedacht«, antwortete der Butler in Richtung Chief-Superintendent. »Es handelte sich um eine Fünf-Pfund-Note.«

»Was für ein Pech für die Blütendrucker«, meinte McWarden und lächelte geradezu fröhlich. »Diese Kerle dürfen sich auf einiges gefaßt machen, denke ich.«

»Worauf Sie sich verlassen können, McWarden«, sagte Lady Agatha und nickte grimmig. »Ich werde den Falschmünzern das Handwerk legen.«

»Sie haben bereits eine Spur ausgemacht, Mylady?« erkundigte sich McWarden betont beiläufig.

»Wenden Sie sich an Mister Parker«, gab sie zurück. »Er wird Ihnen bestätigen, daß ich gezielt wie stets vorgehe.«

»Tatsächlich bereits eine erste Spur?« schien McWarden neugierig. Er blickte Parker hoffnungsfroh an.

»Wie Ihnen bereits bekannt ist, Mister McWarden, hält ein gewisser Steven Faldex sich seit etwa einer Woche in London auf.«

»Stimmt«, entgegnete der Chief-Superintendent. »Seit seiner Ankunft hier steht er unter Kontrolle. Glauben Sie, daß er die Blüten drucken läßt?«

»Könnten Sie sich dies vorstellen, Sir?«

»Durchaus, Mister Parker, durchaus.«

»Zumal die sogenannten Blüten ebenfalls seit einer Woche im Umlauf sind«, pflichtete Parker dem Yard-Mann bei.

»Stimmt allerdings, Mister Parker. Es muß da einen Zusammenhang geben.«

»Der allerdings vorerst nicht nachzuweisen sein dürfte, Sir.«

»Faldex ist ein gerissener Bursche, der natürlich weiß, daß wir ihn beschatten. Also wirklich, ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn Mylady und Sie diesen Faldex ein wenig aufscheuchen würden. Sie haben da erheblich andere Möglichkeiten als ich.«

»Ich denke, mein lieber McWarden, ich werde Ihnen diesen Gefallen tun«, ließ die Hausherrin sich prompt vernehmen. »Ich verbitte mir aber grundsätzlich jede Einmischung, denn ich habe da so meine speziellen Methoden, nicht wahr, Mister Parker?«

»Mylady sind eine wahre Meisterin darin, Gegner zu verunsichern«, pflichtete der Butler ihr in seiner höflichen Art bei.

»Das ist richtig«, meinte sie in gespielter Bescheidenheit. »Ich weiß, daß mir das keiner nachmacht.«

*

»Und das erfahre ich erst jetzt?« entrüstete sich die ältere Dame eine Stunde später. Parker hatte ihr gerade von den nächtlichen Besuchern berichtet.

»Meine Wenigkeit wollte Mylady keineswegs mit einer Bagatelle inkommodieren«, erwiderte der Butler. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und bewegte es in Richtung Wimbledon. Dort wohnte der Betreiber des Hotels Lunatica, wie Parker in Erfahrung gebracht hatte. Dieser Hinweis stammte von einem gewissen Horace Pickett, mit dem er sich in einer halben Stunde treffen wollte.

»Diese beiden Subjekte hätten von mir verhört werden können, Mister Parker«, sagte die ältere Dame in gereiztem Ton. »Sie haben sehr leichtsinnig eine heiße Spur verwischt.«

»Die beiden nächtlichen Besucher waren mit Sicherheit nur tumbe Schläger, die gegen Bezahlung bereit waren, in das Haus einzudringen«, gab der Butler zurück. »Erkenntnisse hätten sie wohl kaum erbracht.«

»Nun ja, man kann nie wissen.« Sie preßte die Lippen fest zusammen und nickte dann ein wenig zögernd. »Das kann natürlich auch sein, Mister Parker. Mit Randfiguren pflege ich mich niemals abzugeben.«

»Mylady werden übrigens seit etwa fünfzehn Minuten verfolgt.« Parker war froh, die Dame ein wenig ablenken zu können.

»Ich weiß, ich weiß«, kam umgehend ihre Antwort, »glauben Sie etwa, mir wäre das entgangen? Um welchen Wagen handelt es sich?«

»Um einen Pick-up der Marke Toyota, Mylady. Er ist als Werkstattwagen getarnt.«

»Ein lächerlicher Versuch«, mokierte sie sich. »Ich habe das sofort durchschaut. Ich möchte mit dem Fahrer reden.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker hatte sich längst entschlossen, den Wagen auf seine sehr persönliche Weise zu stoppen. Vorn im Fahrerhaus saß neben dem Fahrer noch ein zweiter Mann, der ebenfalls einen hellgrauen Overall trug.

Parker war auf diesen Wagen aufmerksam geworden, als er den Vorplatz von Myladys Haus verlassen hatte. Seit dieser Zeit klebte der Toyota am ehemaligen Taxi und machte jeden kleinen Umweg mit, den Parker absichtlich wählte.

Die Männer im Fahrerhaus schienen entweder blutige Anfänger zu sein, die von heimlicher Verfolgung nichts verstanden, oder aber sie dienten nur zur Ablenkung. Es war durchaus möglich, daß sie den tatsächlichen Verfolger über Sprechfunk informierten.

Parker ging von dieser zweiten Möglichkeit aus.

Man wollte ihn sicher einlullen, damit die wirklichen Attentäter um so härter und überraschender zuschlagen konnten. Der Butler rechnete durchaus mit einem Attentat. Steven Faldex schien hier Regie zu führen.

Parker bog noch mal von der breiten Durchgangsstraße ab und lockte den Toyota in eine stille Seitenstraße, die von Ulmen gesäumt wurde. Die gepflegten Landhäuser beiderseits der Fahrbahn standen weit hinten auf den Grundstücken. Es gab Vorgärten und Ziergitter aller Art.

Das war genau das Terrain, das Parker brauchte.

Ähnlich dachten wohl auch die beiden Männer im Toyota. Sie witterten eine Möglichkeit, ohne fremde Hilfe zur Sache kommen zu können. Der Fahrer ließ seinen Pick-up-Wagen wesentlich schneller werden, holte auf und setzte zu einem Überholmanöver an.

Genau in diesem Moment drückte Parker einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett nach unten und aktivierte auf diese Art seine Tarnkappe aus fettigem Ruß.

Unter hohem Druck schossen zwei armdicke Rußwolken aus Düsen hervor, die unter dem Wagenheck angebracht waren. Sie breiteten sich blitzschnell aus und verdichteten sich zu einer einzigen Wolke, die selbst einen Radarstrahl leicht irritiert hätte.

Schwer verwirrt aber wurde der Fahrer des Toyota, der plötzlich nichts mehr sah.

Er trat instinktiv auf die Bremse und verriß ungewollt das Steuer. Dadurch geriet der Wagen ins Schleudern, scherte aus und stieß mit dem linken Vorderrad gegen den an sich etwas zu hohen Randstein. Dem Mann wurde das Lenkrad fast aus der Hand geschlagen. Bevor er korrigierend eingreifen konnte, war es bereits passiert. Der Toyota neigte sich zur Seite, geriet mit der Stoßstange gegen den Stamm einer ansehnlichen Ulme und beschäftigte die Rinde und sich selbst noch mehr.

Parker hörte ein Schrammen und Splittern, dann einen durchdringenden Hupton, der nicht enden wollte. Aus der Rußwolke schlitterte der Toyota auf seiner rechten Längsseite über den Asphalt und strandete vor der nächsten Ulme.

Die kleine Katastrophe war perfekt.

Parker, der gehalten hatte, blickte durch den Rückspiegel auf das Wrack, aus dessen Kühlerregion weiße Rauchwolken entschwebten. Dann sah er die beiden Männer, die aus dem Fahrerhaus stiegen und einen durchaus betroffenen Eindruck machten.

Der Hupton war nach wie vor vorhanden und zerrte an den Nerven.

»Sehr hübsch, sehr wirkungsvoll, Mister Parker«, lobte die ältere Dame ihren Butler. »Sammeln Sie jetzt die beiden Lümmel ein. Ich denke, daß sie mir wichtige Details liefern können.«

»Vielleicht sollte man das Feld räumen, Mylady«, erwiderte der Butler. »Mit einem zweiten Fahrzeug ist durchaus zu rechnen.«

»Unsinn, was reden Sie sich denn da wieder ein«, mokierte sie sich lächelnd. »Und woher sollte dieser zweite Wagen kommen?«

»Dort von der Straße her, Mylady«, gab Parker zurück und deutete ohne Hast auf einen Ford, der ihm entgegen kam und Kurs auf das hochbeinige Monstrum nahm.

»Will der mich etwa rammen?« entrüstete sich Lady Agatha.

»Dies scheint die feste Absicht des Fahrers zu sein, Mylady«, erwiderte der Butler. »Würden Mylady vielleicht die Güte haben, sich zusätzlich festzuhalten? Es könnte zu einer etwas stürmischen Geländefahrt kommen, falls meine Wenigkeit sich nicht täuscht.«

*

Butler Parker gab Vollgas und riß das Steuer herum. Er nahm seinerseits Kurs auf ein Gartentor und sorgte dafür, daß es sich in seine hölzernen Bestandteile auflöste.

Die leichten Bretter wirbelten durch die Luft, nachdem die starke Stoßstange sie aus ihrer Lage gebracht hatte. Bevor sie sich wieder zu Boden senkten, hatte Parker mit seinem hochbeinigen Monstrum bereits den gepflegten Rasen erreicht und kurvte auf das Haus zu, das weit im Hintergrund hinter einer hohen Weißdornhecke stand.

Ein Blick in den Rückspiegel sagte ihm, daß der Ford die Einfahrt verpaßt hatte. Noch war er nicht zu sehen, doch dies konnte sich schnell ändern. In diesem zweiten Wagen saßen sicher erfahrene Profis, die bestimmt nicht daran dachten, die Waffen zu strecken.

Parker hatte die Weißdornhecke erreicht, umrundete sie und befand sich im hinteren Teil des parkähnlichen Gartens. Vor und auf einer Landhaus-Terrasse standen gedeckte Tische und befand sich ein festlich gekleidetes Publikum, das natürlich nun abgelenkt wurde. Das Erscheinen des so betagt aussehenden Wagens schuf sogar einige Unruhe, wie deutlich festzustellen war.

Parker blieb der würdevoll-höfliche Butler, den seine Haltung niemals verließ.

Er stoppte kurz, öffnete das Seitenfenster und lüftete höflich die schwarze Melone.

»Verzeihen Sie gütigst die Störung, Sir«, schickte er voraus. Er hatte sich an einen Gast gewandt, der vor der Terrasse stand und ein Glas in der Hand hielt. Dieser Mann blickte in einer Mischung aus grenzenloser Überraschung und Irritation auf Parker.

»Könnte es möglich sein, daß man sich ein wenig verfahren hat?« wollte der Butler von dem Mann wissen. »Meine Wenigkeit sucht nach der Maple-Leaf-Terrace.«

»Die ist hier nicht«, gab der Mann zurück.

»Und wo könnte man sie unter Umständen finden, Sir?«

»Da drüben, hinter der Baumgruppe.« .Der Mann antwortete automatisch und durchaus zivil.

»Verbindlichsten Dank, Sir.« Parker lüftete erneut die schwarze Melone und ließ seinen hochbeinigen Wagen wieder anrollen. Er umrundete einige Tische, auf denen Leckerbissen aller Art aufgeschichtet waren und entdeckte dabei, daß der Ford ebenfalls auf dem Grundstück erschien.

Mit Vollgas preschte der Wagen heran und wollte eine Abkürzung nehmen. Er rauschte über ein ovales Blumenbeet und ... fuhr sich fest. Die Hinterräder gruben sich ins weiche Erdreich und tourten durch. Der Fahrer gab noch mehr Gas und sorgte auf diese Weise dafür, daß das Heck des Ford sogar aufsetzte.

Drei Männer purzelten aus dem Wagen und wollten zu Fuß die Verfolgung aufnehmen.

Josuah Parker war an einer handfesten Auseinandersetzung in dem parkähnlichen Garten nicht weiter interessiert. Er ließ sein hochbeiniges Gefährt schneller werden, passierte die Stirnseite der Terrasse und verschwand in Richtung Straße. Er steuerte das Tor an und brauchte nur wenige Augenblicke, bis er wieder regulär weiterfahren konnte.

»Hoffentlich legt man mir das nicht als Flucht aus, Mister Parker«, sorgte sich Lady Agatha.

»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, versicherte der Butler seiner Herrin. »Man dürfte Mylady bereits jetzt schon um diesen kleinen, improvisierten Umweg beneiden.«

»Erinnern Sie mich daran, daß ich mich bei Gelegenheit bei diesen Leuten entschuldigen sollte«, mahnte sie. »Ich habe so den Eindruck, als hätte ich etwas gestört.«

»Dafür sorgten Mylady aber für interessanten Gesprächsstoff«, gab Josuah Parker zurück. »Und darüber hinaus dürften die drei Verfolger inzwischen sehr nachdrücklich mit ihrem Schicksal hadern.«

»Man muß eben Einfälle haben«, lobte sie sich und lächelte versonnen. »Eine Lady Simpson jagt man nicht so leicht ins Bockshorn, Mister Parker.«

»Es dürfte sogar unmöglich sein, Mylady«, behauptete der Butler in seiner großen Verehrung für die Dame des Hauses.

»Richtig«, pflichtete sie ihm bei. »Es klingt vielleicht unbescheiden, aber es ist eben eine Tatsache, die man nicht verschweigen kann.«

Agatha Simpson blieb sich immer selber treu.

*

Eddie Atkins erinnerte Parker an eine überdimensional große Kröte. Der Betreiber des Hotels Lunatica hatte eine pockennarbige Haut und blickte Parker aus großen, deutlich vorquellenden Augen an.

Der Mann besaß einen plumpen, gedrungenen Körper, kleine, krumme und stämmige Beine und trug einen kurzen Bademantel. Er lag in einem Liegestuhl am Rand eines völlig verglasten Swimmingpools und frühstückte.

»Mister Eddie Atkins?« erkundigte sich der Butler sicherheitshalber und lüftete die schwarze Melone.

»Wie, zum Teufel, kommen Sie hier ’rein?« fragte Atkins wütend.

»Eine Frage, Mister Atkins, die man nur als berechtigt bezeichnen kann.«

»Wer sind Sie?«

»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Lady Simpson, die zu begleiten meine Wenigkeit die große Ehre hat, hält sich augenblicklich noch in den vorderen Räumen des Hauses auf.«

»Lady Simpson...? Butler Parker ...?!« Eddie Atkins wußte mit den beiden Namen durchaus etwas anzufangen. Er richtete sich hoch und stellte die Kaffeetasse betont vorsichtig auf den Beistelltisch.

»Mylady versorgt zur Zeit noch Ihre beiden männlichen Hausangestellten«, meinte der Butler. »Sie erwiesen sich als ungemein unfreundlich und mußten von Mylady erst nachdrücklich zur Ordnung gerufen werden.«

»Was, zum Henker, wollen Sie von mir?« Atkins fühlte sich verunsichert und kam sich offensichtlich wie ausgeliefert vor. Unwillkürlich zog er die Beine an. »Wie war das mit meinen beiden Leuten? Sie sind zur Ordnung gerufen worden?«

»Nachdrücklich sogar, Mister Atkins, wenn meine Wenigkeit daran erinnern darf.«

»Kann ich mir kaum vorstellen.« Atkins schüttelte den Kopf.

»Was durchaus begreiflich ist, Mister Atkins, denn die beiden Hausangestellten zeichnen sich durch eine gewisse Robustheit aus. Zudem waren sie noch zusätzlich mit Feuerwaffen ausgerüstet, wie sich zeigte.«

»Und die beiden sind ausgeschaltet worden?« staunte der Hotelbetreiber weiter.

»So kann man es natürlich auch ausdrücken, Mister Atkins. Mylady unterdrückte jeden Widerstand.«

»Verdammt, was wollen Sie hier?« fragte Atkins, der immer nervöser geworden war. »Ich wüßte nicht, daß ich mich mit Lady Simpson angelegt hätte.«

»In Ihrem Hotel Lunatica wohnt ein gewisser Mister Steven Faldex, wie Sie sicher wissen, Mister Atkins.«

»Faldex? Doch, schon, der wohnt im Hotel. Er ist vor einer Woche etwa eingezogen und hat ’ne ziemlich teure Suite gemietet.«

»Mister Faldex ist Ihnen selbstverständlich kein Unbekannter.«

»Natürlich kenne ich Faldex, Mister Parker. Wäre doch albern, das abstreiten zu wollen.«

»Es geht das Gerücht, Mister Faldex habe sich dem Falschgeld verschrieben, Mister Atkins.«

»Ausgerechnet Faldex!« Atkins lachte irgendwie erleichtert. »Der wird sich hüten. Er weiß, daß die Polizei ihn beschattet und nicht aus den Augen läßt. Faldex wird nichts tun, was ihn belasten könnte. Die Polizei wartet doch nur darauf, ihn endlich hochnehmen zu können.«

»Es geht ferner das Gerücht, Mister Atkins, in Ihrem Hotel Lunatica würde das erwähnte Falschgeld gedruckt.«

»Das ist doch der Gipfel der Gemeinheit!« Atkins schüttelte amüsiert den Kopf. »Hält man mich denn für dämlich? Ich komme auch ohne Blüten zurecht, Mister Parker, glauben Sie mir.«

»Mylady und meine Wenigkeit hörten davon, wie leicht Sie Ihr Geld verdienen, Mister Atkins. Mylady geht jedoch davon aus, daß Ihnen dies noch längst nicht genügt.«

»Ich werde verdammt aufpassen, daß ich mit dem Gesetz nicht in Konflikt gerate, Mister Parker, ’ne Falschmünzerei in meinem Hotel! Dämlicher könnte ich mich doch gar nicht anstellen, oder?«

»Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie die sogenannten Blüten durchaus nicht in Ihrem Hotel herstellen lassen, Mister Atkins.«

»Ich habe mit Blüten nichts zu tun.«

»Wer könnte denn sonst dafür in Betracht kommen?«

»Das werde ich Ihnen gerade auf die Nase binden, Parker!« Atkins schnaubte verächtlich. »Selbst wenn ich das wüßte, würde ich den Mund halten.«

»Lassen wir es darauf ankommen, junger Mann«, war in diesem Augenblick die tiefe, sonore Stimme der ältere Dame zu vernehmen. Sie hatte das überdimensional große Glashaus betreten, in dem sich der Swimmingpool befand.

Die füllig und majestätisch wirkende Lady hatte ihren reich mit Perlen versehenen Pompadour in leichte Pendelbewegung versetzt. Sie marschierte energisch auf Atkins zu, der irgendwie zu ahnen schien, daß da einige spannende Minuten auf ihn warteten. Er duckte sich noch mal zusätzlich.

»Lady, ich bin so gut wie nackt«, sagte er mit leicht heiserer Stimme.

»Ich bin nicht prüde, junger Mann«, entgegnete sie munter. »Zudem werden Sie sich in Ihrer Sauna ungestört bewegen können.«

»Sauna?« fragte der Hotelbetreiber.

»Ich habe erst vor wenigen Tagen einen recht hübschen Kriminalfilm gesehen«, schickte Lady Agatha voraus. »Darin wurde eine Hauptperson in einer Sauna gar geschmort. Ich muß dies unbedingt mal in der Realität ausprobieren. Mister Parker, treffen Sie alle Vorbereitungen!«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parkers glattes Gesicht zeigte keine Regung, als er sich andeutungsweise verbeugte.

*

Agatha Simpson trug einen kecken Hut, der eine reichlich mißglückte Kreuzung aus einem Südwester und einem bunten Blumenbeet darstellte. Auch die Grundformen eines Napfkuchens waren durchaus zu erkennen.

Dieses Gebilde wurde von einigen Hutnadeln im weiß-grauen Haar der älteren Dame festgehalten. Sie erinnerten durchaus an brauchbare Schaschlick-Spießchen.

Mit einer dieser Hutnadeln brachte Mylady den Hotelbetreiber dazu, nicht nur den Liegestuhl zu verlassen, sondern auch im Schweinsgalopp hinüber in die Sauna zu laufen.

»Sie sollten Platz nehmen und sich entspannen«, schlug Parker dem beleibten und bereits schwitzenden Mann vor. »Der Besuch der Sauna soll ausschließlich Ihrem Wohlbefinden dienen. Mylady möchte da auf keinen Fall ein Mißverständnis aufkommen lassen.«

»Eddie Atkins ließ sich auf eine der Holzpritschen fallen und merkte viel zu spät, daß Parker ihn mit seinen privaten Handschellen am Eisengestänge der Pritsche festschloß.

»Was ... was soll denn das?« protestierte der Hotelbetreiber mit einiger Verspätung.

»Nur eine Vorsichtsmaßnahme, Mister Atkins, um Sie am vorzeitigen Verlassen der Sauna zu hindern. Sie könnten sich sonst möglicherweise eine bösartige Erkältung zuziehen.«

»Keine weiteren Erklärungen, Mister Parker«, verbat sich Lady Agatha freundlich. »Wir wollen dieses Subjekt nicht unnötig versöhnen. Wo stellt man die Hitze ein?«

Parker wies seine Herrin ein, die sich umgehend mit dem Heizregler befaßte und ihn auf volle Kraft einregulierte.

»Ich werde im Lauf des Tages noch mal vorbeisehen«, tröstete sie Atkins. »Momentan habe ich noch einige Besorgungen zu machen.«

»Ich... ich werde hier umkommen«, protestierte der Mann.

»Unsinn, das bilden Sie sich nur ein. Wie war das noch in diesem Kriminalfilm, Mister Parker?«

»Die betreffende Person fiel einer gewissen Überhitzung zum Opfer, Mylady«, ließ Parker sich in seiner höflichen Art vernehmen. »Aber dazu braucht es ja hier keineswegs zu kommen, wenn man rechtzeitig zurückkehrt.«

»Das ist ja ... Folter«, keuchte Atkins.

»Papperlapapp, junger Mann, das dient Ihrer Gesundheit«, korrigierte die ältere Dame. »In zehn Minuten werden Sie sich wunderbar fühlen. Es ist ja alles möglich.«

»Lassen Sie mich ’raus«, beschwor Atkins seine beiden Besucher. »Vielleicht habe ich einen Tip für Sie.«

»Sie fühlen sich doch hoffentlich nicht erpreßt, junger Mann?« Agatha Simpson schien besorgt zu sein.

»Nein, nein«, behauptete der Hotelbetreiber. »Ich ... ich bin ja völlig freiwillig in dieser verdammten Sauna.«

»Diesen Eindruck habe ich allerdings auch«, meinte Lady Agatha und lächelte wohlwollend. »Und wie war das mit diesem Tip?«

»Knöpfen Sie sich mal Pete Elsom vor«, meinte der langsam in Schweiß Geratende. »Pete Elsom! Der kann Ihnen bestimmt weiterhelfen.«

»Wer ist schon Pete Falsom?« wollte die ältere Dame wissen. Sie konnte sich so gut wie keinen Namen merken.

»Pete Elsom«, wiederholte Atkins eifrig. »Er soll da in dem Geschäft mitmischen, habe ich gehört.«

»Könnte man erfahren, wer Mister Pete Elsom ist?« erkundigte sich der Butler gemessen.

»Er wohnt drüben in den Docklands, Mister Parker«, gab Atkins bereitwilligst und hastig Antwort. »Elsom ist sowas wie Importeur für Spezialpapiere. Ich hab’ vor ein paar Tagen aufgeschnappt, sein müder Laden würde endlich wieder laufen. Mehr weiß ich nicht. Und wenn Sie mich hier kochen!«

»Sind Mylady mit diesem an sich vagen Hinweis zufrieden?« erkundigte sich Parker bei der älteren Dame.

»Dazu werde ich mich äußern, wenn ich dieses Subjekt erst mal befragt habe«, lautete die Antwort. »Sollte ich aber belogen worden sein, werde ich hier bestimmt wieder erscheinen.«

»Nein, nein, bitte nicht«, stöhnte Atkins. »Ich hab’ gesagt, was ich weiß. Fragen Sie doch Faldex! Von dem hab’ ich das gehört.«

»Diesem Hinweis wird man ebenfalls nachgehen, Mister Atkins«, erklärte der Butler. »In Anbetracht Ihrer Hilfsbereitschaft wird man den Thermostat natürlich neu einregulieren, was, wie meine Wenigkeit betonen möchte, ohnehin geschehen sollte.«

»Tatsächlich?« wunderte sich Mylady erstaunt.

*

Pete Elsom entpuppte sich als ein vierzigjähriger, schlanker und mittelgroßer Mann, dessen Nase flachgedrückt war und ein Pflaster zierte. Die Räume seiner Firma befanden sich in einem düsteren Hinterhof, der zu einem teilweise bereits abgerissenen Gebäudekomplex gehörte.

Weder Elsom noch das äußere Bild seiner Firma wirkten sonderlich vertrauenerweckend.

Elsom schien bereits am Vormittag getrunken zu haben. Er hatte Äugen, die ein wenig blutunterlaufen waren. Er hielt eine Dose Bier in der Hand und blickte konsterniert auf seine Besucher, die gerade sein Büro betraten.

»Man wünscht einen umsatzträchtigen Vormittag«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone.

»Wie haben denn Sie hierher gefunden?« zeigte sich Pete Elsom erstaunt.

»Lady Simpson folgte einer Empfehlung«, antwortete der Butler. »Mylady sucht nach einem Posten besonderer Papiere.«

»Is’ nich’ wahr?« Elsom schien nachhaltig verwundert.

»Ich suche ein besonderes Spezialpapier«, schaltete die ältere Dame sich ein. »Ich habe die Absicht, Falschgeld zu drucken.«

Elsom stellte die Bierdose weg und stand auf. Dabei schwankte er leicht, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle.

»War das gerade ein Witz?« meinte er.

»Falschgeld zu Versuchszwecken«, erklärte der Butler. »Man informierte Mylady dahingehend, daß Sie in der Lage sein würden, das dazu benötigte Papier zu beschaffen.«

»Das kann nur ’n Witz sein«, gab Elsom zurück. »Sowas hab’ ich noch nie gehört.«

»Sie wissen doch, junger Mann, wie man an solches Papier gelangt, oder?«

»Ich bin von den Socken!« Elsom schüttelte den Kopf, geriet dabei ein wenig aus dem Gleichgewicht und mußte sich an der Kante seines Schreibtisches festhalten. »Wer sind Sie eigentlich? Soll das hier ’ne Ulksendung für’s Fernsehen werden?«

»Falls Sie das gewünschte Papier nicht am Lager haben sollten, Mister Elsom, könnten Sie es kurzfristig beschaffen?« erkundigte sich der Butler.

»Das ist doch ’ne Ulksendung!« Elsom grinste breit. »Ich hab’s gleich gewußt! Hören Sie, haben Sie denn schon die Druckplatten für die Blüten? Die braucht man nämlich, wenn man Falschgeld herstellen will. Hoffentlich haben Sie das gewußt.«

»Wo könnte Mylady diese Druckplatten erstehen, Mister Elsom?« Parker blieb unerschütterlich gemessen und höflich.

»Wo schon? Bei Jerry Brading natürlich.« Elsoms ironisches Lächeln schaltete sich nach diesem Hinweis sofort ab. Der Mann hüstelte und wirkte ein wenig verlegen.

»Mister Jerry Brading also«, wiederholte der Butler.

»Vergessen Sie, was ich gesagt habe«, meinte Elsom hastig. »Das war nur ein fauler Witz, verstehen Sie?«

»Sie werden diesen Namen sicher nicht ohne Grund genannt haben, Mister Elsom.«

»Verdammt, das war ein fauler Witz«, wiederholte Elsom. »Wer sind Sie eigentlich? Was sollen die verdammten Fragen? Ich hab mit Blüten nichts am Hut! Da scheint Ihnen einer ’nen Floh ins Ohr gesetzt zu haben.«

»Sie importieren aber Spezialpapiere aller Art, Mister Elsom?«

»Für den Bürobedarf, klar? Für Computer und Fotokopierer.«

»Nach Myladys Auskünften sollen Ihre Geschäfte sich in jüngster Zeit mehr als nur erholt haben. Man sagt Ihnen nach, daß Sie sich in einer bemerkenswerten Gewinnphase befinden, Mister Elsom.«

»Stimmt sogar. Ich hab’ da ein paar prima Abschlüsse gemacht. So, und jetzt ist Sendeschluß, Leute. Haut ab, oder ich ruf meine Lagerarbeiter! Verdammt, warum hab’ ich’s nicht längst schon getan?«

Er schob zwei Finger in den Mund und stieß einen kurzen, sehr schrillen Pfiff aus.

*

Sie gehörten eindeutig in die Kategorie der stämmigen Mittelgewichtler und traten dementsprechend auf.

Die beiden Männer trugen Jeans, Tennisschuhe und Lederwesten. Darüber hinaus zeigten sie ihr Arbeitsgerät in Form von Axtstielen. Sie betraten durch eine seitliche Tür das Büro und bremsten überrascht ihren Schwung, als Parker höflich die schwarze Melone lüftete.

»Dreht sie mal kurz durch den Wolf«, forderte Jerry Brading seine Mitarbeiter auf. »Die wollen was von mir.«

»Einen Moment, meine Herren«, bat Parker. »Muß man davon ausgehen, daß Sie Brachialgewalt ausüben wollen?«

»Was ... was wollen wir?« fragte einer der beiden Lagerarbeiter und runzelte die Stirn.

»Rohe, körperliche Gewalt«, übersetzte der Butler umgehend.

»Und ob«, bestätigte der zweite Mitarbeiter des Papier-Importeurs und nickte nachdrücklich. »Und ob, Leute.. Wir werden euch mal gründlich zeigen, was ’ne Harke ist.«

»Sie stehen einer Dame gegenüber«, erinnerte Parker.

»Ein paar angequetschte Rippen wird sie hoffentlich vertragen«, meinte der erste Lagerarbeiter optimistisch. »Falls nicht, hat sie eben Pech gehabt.«

»Wird’s bald?« blaffte Pete Elsom seine Mitarbeiter gereizt an. »Ihr sollt hier nicht ’rumquatschen, ihr sollt die beiden Typen durch den Wolf drehen. Ich will endlich was sehen.«

Lady Agatha musterte die Lagerarbeiter interessiert und ging dann auf den ersten Mann zu. Sie deutete mit dem linken Zeigefinger zur Decke.

»Hoffentlich haben Sie das dort oben gesehen?« fragte sie grollend. »Es ist die reine Unverschämtheit.«

Der Mann ließ sich düpieren, runzelte die Stirn und blickte nach oben. Dadurch bekam er nicht mit, daß die ältere Dame mit ihrem rechten Fuß ausholte und dann energisch zutrat.

Sie traf das rechte Schienbein des Mannes, der brüllte und sich krümmte. Dadurch bot er seinen Hinterkopf als Landeplatz des Pompadours an.

Agatha Simpson hatte ihn mit einer Art Rundschlag in Schwung gebracht und bedachte den stöhnenden Mann mit ihrem sogenannten Glücksbringer. Das mächtige Hufeisen im Handbeutel sorgte augenblicklich für klare Verhältnisse. Der Mann ächzte dumpf, streckte sich nach vorn und landete klatschend auf dem Boden. Danach blieb er entspannt liegen.

Josuah Parker beteiligte sich selbstverständlich an dieser Aktion.

Mit der Spitze seines altväterlich gebundenen Universal-Regenschirmes piekste er in die Gegend des Sonnengeflechts des zweiten Mannes und hinderte ihn auf diese Art, mit dem erhobenen Axtstiel zuzuschlagen.

Der Getroffene produzierte einen Kiekser, verfärbte sich und schnappte verzweifelt nach Luft. Parker warf seinen Schirm senkrecht hoch in die Luft, griff nach dem unteren Ende des Schirmstocks und verfügte so über ein Schlaginstrument, das entfernt an einen Golfschläger erinnerte.

Mit dem Bambusgriff, der mit Blei ausgegossen war, klopfte er auf die Stirn des Lagerarbeiters, der sofort nachgab und sich rücklings auf Pete Elsoms Schreibtisch legte.

Der Importeur von Spezialpapieren wurde dadurch empfindlich daran gehindert, in einer Schublade nach einer Schußwaffe zu langen. Bevor er sich erneut an die Suche machen konnte, klopfte Parker auch kurz bei ihm an und versenkte ihn in einen erholsamen Tiefschlaf. Pete Elsom sackte hinter dem Schreibtisch zu Boden und riß dabei seinen Mitarbeiter mit sich.

»Was für Schwächlinge«, mokierte sich Lady Agatha. »Man kann sich wirklich nur noch wundern.«

»Mylady sind mit dem Gang der Dinge möglicherweise zufrieden?« erkundigte sich Parker.

»Es war ein hübscher Anfang«, räumte sie ein und nickte wohlwollend. »Und jetzt werde ich nach dem Banknoten-Papier suchen, Mister Parker. Sie dürfen mir dabei assistieren.«

»Man sollte Mister Elsom gezielt fragen, Mylady, sobald er wieder zu sich kommt«, schlug der Butler vor. »Das von Mylady hier vermutete Papier kann sich nur in einer Art Geheimversteck befinden.«

»Dann bringen Sie diesen Schwächling wieder zu sich, Mister Parker«, verlangte sie. »Er soll sich hier schließlich nicht ausruhen.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker nickte knapp und suchte nach einer Wasserleitung.

*

»Sie fanden das Banknoten-Papier, Mylady?« fragte Mike Rander. Er und Kathy Porter hatten sich im Haus der älteren Dame eingefunden. Der Butler reichte um die Mittagszeit Sandwiches, Tee und Kaffee.

»Dieses Subjekt schwor Stein und Bein, kein Banknoten-Papier zu haben«, antwortete Agatha Simpson und bedachte ihren Butler dabei mit vorwurfsvollem Blick. »Natürlich log er, doch Mister Parker gab sich mit dem Gesagten zu schnell zufrieden.«

»Mylady fanden ausschließlich Pornomagazine«, schaltete der Butler sich ein. »Sie stammen aus Schweden, wie sich zeigte und dürften der Grund für die finanzielle Flüssigkeit des Mister Elsom sein.«

»Er hat dieses Zeug ins Land geschmuggelt, wie?« meinte der Anwalt.

»In der Tat, Sir«, bestätigte Parker. »Mit fertigen Blüten oder Spezialpapier zur Herstellung von Falsifikaten vermochte er allerdings nicht zu dienen.«

»Lächerlich«, reagierte die ältere Dame gereizt. »Einige Ohrfeigen hätten diesen Lümmel dazu gebracht, mir das Versteck zu zeigen.«

»Mister Elsom befand sich bereits in einem Zustand, Mylady, den man nur als erbarmungswürdig bezeichnen konnte«, erinnerte der Butler.

»Und wer ist dieser Jerry Brading, von dem Elsom gesprochen hat?« warf Kathy Porter ein.

»Mister Jerry Brading wurde laut Mister Elsom nur im Scherz erwähnt«, beantwortete der Butler die Frage. »Mister Jerry Brading ist der Betreiber einer Druckerei, die sich auf Behörden-Formulare spezialisiert hat. Die Druckerei befindet sich jenseits der Themse, in Lambeth.«

»Warum nannte er ausgerechnet diese Druckerei, Mister Parker?« wunderte sich Kathy Porter.

»Eine Frage, Miß Porter, die meine Wenigkeit sich bereits ebenfalls zu stellen erlaubte.«

»Und wie lautete die Antwort?«

»Mister Elsom hatte angeblich in jüngster Vergangenheit versucht, mit der Druckerei Brading in geschäftliche Verbindung zu treten. Es kam allerdings nicht zu einem Abschluß. Mister Elsom behauptete, dieser Name wäre ihm eingefallen und er hätte ihn einfach so genannt.«

»Kann man ihm das abnehmen, Mister Parker?«

»Man sollte dies auf keinen Fall tun, Miß Porter.«

»Er druckt Formulare für Behörden«, wiederholte Mike Rander nachdenklich. »Demnach muß das ein verdammt seriöser Betrieb sein.«

»Dennoch, ich werde ihn mir gründlich ansehen«, kündigte Lady Agatha an, »und zwar überraschend. Noch heute!«

»Könnte nicht schaden«, sagte Mike Rander. »Man erlebt ja immer wieder die tollsten Überraschungen.«

»Mister Elsom wird doch sicher überwacht, Mister Parker, oder?« wollte Kathy Porter wissen.

»Von Mister Horace Pickett und einigen seiner Freunde«, bestätigte der Butler. »Meine Wenigkeit rief ihn noch vom Büro des Mister Elsom aus an.«

»Ich habe alles im Griff, Kindchen«, behauptete Agatha Simpson. »Falls dieser Kriminelle das Notenpapier wegschaffen will, wird das nicht unbemerkt geschehen.«

»Das läuft alles wie auf gut geölten Schienen«, ließ Mike Rander sich halblaut-skeptisch vernehmen. »Faldex zieht alle Aufmerksamkeit auf sich und gilt in Kreisen der Unterwelt als der Mann, der die Blüten ausstreut. Ohne diese Gerüchte hätte ja der Pfandleiher Bercett seinen Namen nicht nennen können. Durch Faldex kommen wir an Atkins, der seinerseits diesen Pete Elsom ins Spiel bringt.«

»Und der auf Brading hinweist«, fügte Kathy Porter hinzu.

»Eben, Kathy«, meinte der Anwalt. »Hier ist doch eine durchgehende Linie zu erkennen.«

»Man könnte durchaus den Eindruck gewinnen, Sir, daß es sich um eine geschickt gelegte, aber eben falsche Spur handelt«, pflichtete Parker dem Anwalt bei, »Diesen Verdacht hatte ich ja gleich«, erklärte Lady Agatha. »Aber ich werde mich selbstverständlich nicht irritieren lassen. Und ich weiß auch schon, wo ich einhaken werde.«

»Mylady wecken verständlicherweise die Neugier meiner bescheidenen Wenigkeit«, sagte Parker.

»Ich werde mich an diesen Graveur halten, Mister Parker. Er ist und bleibt die Schlüsselfigur. »Wie heißt er noch?«

»Es handelt sich um Mister Ray Gorski, Mylady.«

»Richtig«, bestätigte sie. »Dieser Gatsky ist der Mann, um den ich mich besonders kümmern werde.«

»Mister Ray Gorski«, korrigierte Parker diskret.

»Das sagte ich ja gerade«, meinte sie leicht gereizt. »Genau diesen Mann werde ich noch mal besuchen, Mister Parker. Sobald ich gründlich nachgedacht habe, fahren wir los. Man darf diesen Leuten keine Verschnaufpause gönnen, sonst verwischen sie alle Spuren.«

*

Butler Parker befand sich in seinen privaten Räumen im Souterrain des Fachwerkhauses und wartete darauf, daß Mylady sich meldete. Sie war hinauf in ihr Studio gegangen, um nach eigenem Bekunden gründlich über den Fall nachzudenken. Natürlich hatte sie sich niedergelegt und hielt einen ausgedehnten Mittagsschlaf.

Mike Rander und Kathy Porter befanden sich längst wieder in der Anwaltskanzlei in der nahen Curzon Street. Parker hatte also Muße, sich die Dinge noch mal durch den Kopf gehen zu lassen.

Er beschäftigte sich mit Steven Faldex, der sich förmlich als Täter anbot. Ohne Grund hatte der Pfandleiher Bercett diesen Namen ja nicht genannt. Laut Bercett war in der Szene bekannt, daß Faldex die Blüten ausstreute.

Hatte Faldex dieses Gerücht nicht selbst ausgestreut, um so für eine falsche Spur zu sorgen? Laut Chief-Superintendent McWarden wurde er rund um die Uhr beschattet. Die Polizei war also beschäftigt und konnte auf diese Art und Weise geschickt abgelenkt werden.

Betätigte Faldex sich als Lockvogel? Ray Gorski, der ehemalige Meistergraveur hatte sich in diesem Sinn geäußert.

Bevor der Butler sich mit der Rolle von Atkins und Elsom näher befassen konnte, meldete sich das Telefon. Parker hob ab und nannte seinen Namen.

Horace Pickett war an der Strippe.

»Meine Freunde haben mir gerade mitgeteilt, daß Elsom mit einem kleinen Lieferwagen nach Brixton gefahren ist und jetzt vor einem Supermarkt parkt.«

»Eine Nachricht, die man interessant finden könnte, Mister Pickett«, erwiderte der Butler.

»Es ist eine ziemlich wüste Gegend, in der er sich befindet«, berichtete Pickett weiter. »Meine Freunde berichteten weiter, er hätte da einige Pakete ausladen lassen.«

»Mister Elsom dürfte demnach eine gewisse Auslagerung seiner Materialien vornehmen.«

»Das denke ich auch, Mister Parker. Aber wie gesagt, es handelt sich um eine ziemlich wüste Gegend. Sie sollten, falls Sie kommen wollen, nicht unbedingt als Butler erscheinen.«

»Sie denken, daß eine gewisse Maske angebracht ist?«

»Die Leute dort in der Region reagieren allergisch auf bestimmte Dinge.«

»Man wird überlegen, ob ein Besuch angebracht ist«, erklärte der Butler. »Nahm Mister Elsom während seiner Fahrt nach Brixton einige Umwege in Kauf?«

»Nein, nein, das nicht, Mister Parker. Ich habe bereits danach gefragt. Meine Freunde haben da nichts feststellen können.«

»Mister Elsom dürfte wohl kaum entgangen sein, daß er verfolgt wurde, Mister Pickett.«

»Ich weiß nicht recht, Mister Parker, sie sind eigentlich sehr gut.«

»Mister Elsom wird sicher davon ausgegangen sein, daß man ihn observiert, Mister Pickett. Man hat es schließlich mit einem Profi zu tun, wie Sie wissen. Ihre Leute sollen sich weiterhin auf das Beobachten beschränken und nichts unternehmen.«

»Sie werden also nicht kommen, Mister Parker?«

»Man soll nicht auf alles eingehen, wozu Gegner einladen, Mister Pickett«, schloß der Butler die Unterhaltung. »Vorerst herzlichen Dank für Ihre wertvolle Mitarbeit. Mylady wird sich mit einiger Wahrscheinlichkeit revanchieren.«

»Ich tu’s für sie, Mister Parker«, antwortete Pickett. »Haben Sie sonst noch was für mich?«

»Kümmern Sie sich weiterhin um Mister Elsom, Mister Pickett. Und lauschen Sie den vielfältigen Gerüchten innerhalb der Szene, die sich mit Blüten befassen.«

Parker bedankte sich noch mal und legte auf.

Elsom hatte also bereits reagiert. Nachdem sein Name von Eddie Atkins genannt worden war, schien er ungemein eifrig damit befaßt zu sein, ebenfalls eine Spur zu legen.

Dies deutete auf etwas hin, was Parker unter dem Begriff einer sogenannten konzertierten Aktion vertraut war.

*

Der Motorradfahrer reparierte ausgiebig seine Maschine und hatte keinen Blick für den Touristen, der ihn passierte. Dieser Mann mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Er trug einen leichten Regenmantel, einen kleinen Hut, der wohl in die Alpen-Region gehörte und hielt einen Stadtplan in der Hand.

Der Unbekannte hatte seine Brille aufgesetzt und musterte das weit geöffnete Gittertor, hinter dem – am Ende eines kleinen Vorplatzes – ein zweistöckiges Fachwerkhaus lag. Es handelte sich um das altehrwürdige Haus der Lady Simpson, das den Vorplatz nach hinten begrenzte. Rechts und links davor säumten weitere Fachwerkhäuser den Platz und bildeten ein bemerkenswertes Ensemble.

Der Tourist bummelte weiter die Straße hinunter und erreichte einige parkende Wagen. In einem dieser Fahrzeuge hielten sich zwei Männer auf, die wohl schon intensiv geraucht hatten. Aus den leicht geöffneten Vorfenstern stiegen massive Rauchwolken empor.

Der Tourist blieb stehen und suchte in seiner linken Manteltasche nach einem Gegenstand, der sich als einfacher Fotoapparat entpuppte. Er richtete ihn auf das Gittertor und trat dann einen Schritt zurück, um wohl ein besseres Motiv in den Sucher zu bekommen. Dabei erfaßte das Objektiv den parkenden Austin.

Die Reaktion der beiden Wageninsassen war erstaunlich. Sie hatten den Touristen natürlich längst ausgemacht, sahen den Fotoapparat in seinen Händen und schienen mit diesem Schnappschuß keineswegs einverstanden zu sein. Sie wechselten einige Worte, dann breitete einer der beiden Männer hastig eine Zeitung aus und sorgte so – gewollt oder nicht – dafür, daß ihre Gesichter nicht auf den Film gebannt werden konnten.

Der Tourist schien das nicht mitbekommen zu haben. Er ging ein wenig in die Hocke, schoß einige Bilder, verstaute den kleinen Apparat wieder in der Manteltasche und verlor dabei einige Münzen, die aus der Manteltasche auf den Gehweg klapperten.

Die beiden Männer im Austin gaben sich inzwischen wieder gelassen und grinsten, als der Tourist ein wenig umständlich aber dennoch sehr hartnäckig nach den Geldstücken suchte. Er näherte sich dem Wagen, beugte sich vor und winkte den Fahrern freundlich zu. Dabei deutete er auf den Asphalt.

Er kam für einen Moment aus dem Gesichtsfeld der Wageninsassen, als er vor dem Kühler in die Hocke ging.

Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl Erstaunliches wahrgenommen.

Der Tourist hielt plötzlich wie durch Zauberei einen Krähenfuß in der linken Hand und schob ihn vor das rechte Vorderrad des Austin. Dieser sogenannte Krähenfuß bestand aus einigen nadelspitzen Stahlstiften, die kreuzweise miteinander verschweißt waren.

Ein zweiter Krähenfuß landete knapp vor dem linken Wagenreifen. Dies alles geschah mit dem unauffälligen Tempo eines versierten Taschenspielers. Der Tourist hatte inzwischen seine Geldmünze gefunden, richtete sich auf, winkte den beiden Wageninsassen zu und schritt weiter. Er verschwand nach wenigen Minuten im Eingang zu einem nahen Park.

Die beiden Wageninsassen hatten ihn bereits wieder vergessen und langweilten sich. Der Motorradfahrer reparierte weiter an seinem Kraftrad und langweilte sich augenscheinlich ebenfalls. Erst nach etwa einer halben Stunde wurden die drei Männer hellwach.

Dies geschah in dem Augenblick, als sich vom Fachwerkhaus ein hochbeiniger, schwarzer Wagen löste, der einen sehr betagten Eindruck machte und eigentlich bereits ins Museum gehörte. Am Steuer dieses Wagens saß eindeutig ein Butler, im Fond eine Dame, deren Hut bemerkenswert abenteuerlich aussah.

Der Motorradfahrer schwang sich auf seine Maschine und machte sich startklar.

Die beiden Austinfahrer ebenfalls!

*

Der Motorradfahrer zog rasant an, beschleunigte und schaltete blitzschnell hoch. Er passierte den Austin, warf einen kurzen Blick in das Wageninnere, winkte mit der linken Hand und hängte sich dann an den hochbeinigen Wagen, der in gemessenem Tempo in Richtung City rollte.

Der Fahrer des Austin verlor ebenfalls keine Zeit.

Er hatte den Anlasser betätigt, legte den ersten Gang ein und fuhr nicht weniger forsch an. Er wußte ja nichts von den Krähenfüßen vor den Vorderreifen. Sie warteten bereits ungeduldig darauf, sich in die Pneus zu bohren.

Der Austin kam nicht weit...

Schon nach wenigen Metern fuhr er vorn auf den Felgen und ließ sich kaum noch steuern. Die phantasiereichen und blumigen Flüche der beiden Wageninsassen drangen durch die ein wenig geöffneten Fenster ins Freie.

Der Fahrer hatte bereits jäh gebremst und hielt. Der Beifahrer stieg aus und besichtigte den Schaden. Er sah zuerst nur die beiden platten Vorderreifen, dann erspähte er jedoch einen der Krähenfüße. Er riß und zerrte ihn sehr mühevoll aus dem Reifen und präsentierte ihn dem Fahrer.

Daraufhin produzierten die beiden Männer zusätzliche Flüche, die an Derbheit keinen Wunsch offen ließen. Die Burschen hatten mit Sicherheit den Eindruck gewonnen, daß der Tourist sie nach allen Regeln der Kunst hereingelegt hatte.

Dieser Tourist nun saß in seiner normalen Berufskleidung am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und machte Lady Simpson gerade darauf aufmerksam, daß man von einem Motorradfahrer verfolgt wurde.

»Und wo sind die beiden Subjekte, die im Wagen auf mich warteten?« wollte sie wissen. Sie war von Butler Parker entsprechend informiert worden.

»Sie dürften den Krähenfüßen zum Opfer gefallen sein, Mylady«, gab der Butler zurück. »Doch der Zweiradfahrer dürfte wohl in der Lage sein, Angaben zur Person seines Auftraggebers zu machen.«

»Ich hätte mich für die beiden Lümmel im Wagen entschieden«, mokierte sie sich.

»Der Zweiradfahrer, Mylady, macht den Eindruck eines noch recht unerfahrenen Kriminellen«, antwortete Parker. »Er dürfte sicher recht bald die von ihm erwarteten Informationen liefern.«

»Wir werden ja sehen.« Mylady schmollte ein wenig und lehnte sich zurück. »Hoffentlich hat der Motorradfahrer überhaupt etwas mit mir zu tun. Ich würde mich nicht wundern, Mister Parker, wenn Sie wieder mal auf das falsche Pferd gesetzt hätten.«

Josuah Parker verzichtete klugerweise auf eine Antwort, um die ältere Dame nicht zusätzlich zu reizen. Er steuerte seinen Wagen durch den dichten Verkehr und wußte bereits, wo er den Motorradfahrer stellen konnte. Es gab hier einige passende Tief- und Hochgaragen.

Der Motorradfahrer merkte überhaupt nicht, daß er genau das tat, was der Butler von ihm erwartete. Er blieb dichtauf, fühlte sich auf seiner Maschine und hinter dem Jethelm mit dem heruntergeklappten Sonnen-Visier völlig sicher und landete schon bald in einer Tiefgarage.

Butler Parker hatte in der Nähe der Aufzüge gehalten, öffnete das Handschuhfach und griff nach einer Pistole. Lady Agatha, die dies mitbekommen hatte, stieß einen undefinierbaren Laut hervor.

»Mylady?« fragte Parker.

»Wollen Sie diesen jungen Burschen etwa erschießen?« wunderte sie sich nachdrücklich.

»Nur außer Gefecht setzen, Mylady«, antwortete der Butler. »Wenn Sie erlauben, wird man in wenigen Augenblicken wieder zurück sein.«

Er griff nach seinem altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm, stieg aus dem Wagen und schritt gemessen zu dem Zweiradfahrer, der sich neben einem mächtigen Betonpfeiler aufgebaut hatte und wieder Ärger mit seiner Maschine zu haben schien. Er bückte sich nach dem Motor, saß aber noch auf dem Sitz.

Parker sah, daß dieser Verfolger keineswegs die Absicht hatte, Gewalt anzuwenden.

Dennoch hob Parker die Pistole, als er ihn erreicht hatte, visierte ihn an, stieß einen Warnlaut aus und drückte ab, als der Mann den Kopf hob und Parker durch das Sonnen-Visier voll anblickte.

*

Der Motorradfahrer wollte zwar noch eine Abwehrbewegung einleiten, doch dazu reichte die Zeit nicht mehr.

Aus der Mündung von Parkers Waffe schoß ein dunkler Flüssigkeitsstrahl, der das Sonnen-Visier erreichte und sich darauf blitzschnell ausbreitete. Im gleichen Augenblick sah der Getroffene nichts mehr.

Er taumelte zurück, kollidierte mit dem Betonpfeiler, streckte hilfesuchend die Arme aus und knallte dann mit dem Jethelm gegen den Pfeiler.

»Darf man sich erlauben, Ihnen angemessene Hilfe anzubieten?« fragte Parker.

»Ich... ich sehe nichts mehr«, stöhnte der Mann.

»Verständlicherweise«, klärte Parker ihn in seiner höflichen Art auf und führte ihn zu seinem hochbeinigen Monstrum. »Ihr Sonnen-Visier wurde von meiner Wenigkeit mit einer Mischung aus Öl und Ruß behandelt. Wenn Sie sich ein wenig vorbeugen würden?«

Der Zweiradfahrer kam diesem Hinweis unwillkürlich nach. Er konnte nicht sehen, daß er vor dem geöffneten Kofferraum von Parkers Wagen stand. Der Butler versetzte dem Verfolger einen leichten Stoß und veranlaßte ihn auf diese Art, im Kofferraum Platz zu nehmen.

Bevor der Zweiradfahrer protestieren konnte, hebelte Parker mit seinem Universal-Regenschirm die Beine des Mannes ebenfalls in den Kofferraum und schloß dann den Deckel. Ohne jede Hast kehrte der Butler zu Lady Simpson zurück.

»Er ist Ihnen natürlich entwischt, nicht wahr?« räsonierte sie.

»Nicht unbedingt, Mylady«, gab Parker zurück. »Der Zweiradfahrer befindet sich zur Zeit im Kofferraum des Wagens.«

»Nun ja, warum sollten Sie nicht auch mal etwas Glück haben«, meinte sie und räusperte sich explosionsartig. »Haben Sie ihn etwa niedergeschossen? Ich habe nichts gehört.«

»Meine Wenigkeit benutzte eine entsprechend präparierte Wasserpistole, Mylady, wie man sie leider noch immer in Spielwarengeschäften erstehen kann.«

»Danach sah die Waffe aber gar nicht aus.« Agatha Simpson runzelte die Stirn.

»Diese Spielzeugpistolen, Mylady, sind von echten Waffen nicht zu unterscheiden«, pflichtete der Butler ihr bei. »Man sollte sie eigentlich nicht mehr in den Handel bringen.«

»Ich kann diesen Lümmel also nach Belieben verhören«, sagte die ältere Dame, als Parker anfuhr. »Fahre ich jetzt nach Hause zurück? Was plane ich da?«

»Mylady haben die Absicht, der Druckerei Brading einen Besuch abzustatten.«

»Richtig, dort werden ja die Blüten hergestellt.« Für sie war das eine bereits feste Tatsache.

»Mylady gehen von der Möglichkeit aus, daß der Hinweis auf die erwähnte Druckerei eine falsche Spur sein könnte.«

»Das natürlich auch.« Sie legte sich nicht fest. »Eine Lady Simpson rechnet immer mit allen Möglichkeiten, Mister Parker. Dies sollten auch Sie sich endlich mal zu eigen machen.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie stets. Er steuerte das hochbeinige Monstrum aus der Tiefgarage und fuhr dann in den Stadtteil Lambeth. Vor Antritt der Fahrt hatte er sich bereits nach der genauen Adresse der Druckerei erkundigt.

Sie machte einen sehr guten Eindruck auf ihn.

Die Produktionsräume befanden sich in einem dreistöckigen Quergebäude, das zu einem ganzen Fabrikkomplex gehörte, der über einen langen und schmalen Torweg zu erreichen war. Zwei Lastwagen standen vor einer Rampe. Man war dabei, tonnenschwere Papierrollen abzuladen.

Parker stieg aus, öffnete den hinteren Wagenschlag und ließ Mylady aussteigen. Dabei merkte er sich die Firmenaufschrift auf der Fahrertür eines der beiden Lastwagen.

»Was ist denn jetzt schon wieder?« fragte Lady Agatha, als Parker ein Notizbuch aus der Innentasche seines Zweireihers zog. Der Butler wartete, bis der Fahrer, der gerade um den Lastwagen herumkam, ihn sah, dann nahm er mit übertriebener Sorgfalt eine zusätzliche Eintragung vor.

»Meine Wenigkeit notiert sich die Transportfirma, die für die Papierrollen zuständig ist«, beantwortete Parker die Frage der älteren Dame, die bereits ungeduldig wurde.

»Was is’ los?« fragte der Fahrer, als Parker das Notizbuch umständlich wegsteckte.

»Eine kleine Erinnerungsstütze«, erwiderte Parker auf die Frage. »Man kann nie wissen, ob man nicht irgendwann mal die Hilfe Ihrer Firma benötigt.«

»Haben Sie mit Papier zu tun?« Der Fahrer sah ihn mißtrauisch an.

»Falls es sich um Banknoten handelt.« Parker nickte bestätigend.

»Dann werden Sie mit uns kaum ins Geschäft kommen.« Der Fahrer lächelte ein wenig herablassend und stieg hinauf ins Fahrerhaus.

Butler Parker geleitete seine Herrin zum Firmeneingang und ging davon aus, daß der Fahrer des Trucks sich seinerseits das Kennzeichen des hochbeinigen Monstrums merkte oder gar aufschrieb.

*

»Da haben Sie aber Glück, daß Sie mich noch erreicht haben«, sagte Jerry Brading zehn Minuten später. Er lächelte verbindlich und gab sich weltmännisch. Er mochte etwa vierzig sein, war groß, schlank und sah sehr sportlich aus.

Seine Besucher hatte er in seinem Büro empfangen und fragte erst mal nach ihren speziellen Wünschen, was die Erfrischungen betraf. Er wußte bereits, mit wem er es zu tun hatte.

»Ich werde einen doppelten Cognac nehmen, junger Mann«, erklärte die ältere Dame.

»Einen Fruchtsaft, wenn überhaupt«, fügte Parker für sich hinzu.

»Normalerweise bin ich geschäftlich unterwegs«, machte Brading deutlich, während er sich um die Getränke kümmerte. »Wir haben noch zwei Filialen und einen neuen Betrieb, den wir gerade übernommen haben.«

»Demnach befindet sich Ihre Firma im Stadium einer erfreulichen Expansion, Mister Brading?« vermutete der Butler.

»Wir können nicht klagen, vorsichtig ausgedrückt«, antwortete Jerry Brading. »Aber die Konkurrenz schläft schließlich auch nicht. So, hier wäre der Cognac, Mylady. Und hier der Fruchtsaft, Mister Parker. Was kann ich für Sie tun?«

»Sie sind der alleinige Betreiber der Druckerei, Mister Brading?« wollte Parker wissen.

»Mein Bruder Michael und ich haben die Firma von unserem Vater übernommen«, lautete die Antwort. »Mein Bruder ist für den Verkauf zuständig, ich mehr für die innerbetriebliche Organisation. Wir haben uns die Aufgabengebiete geteilt.«

»Wie ich höre, sollen Sie Falschgeld drucken«, ließ die Detektivin sich ohne jede Vorwarnung vernehmen. Von höflichen Einleitungen oder Umschreibungen hielt sie grundsätzlich nichts.

»Wie war das, Mylady? Wir sollen Falschgeld drucken?« Jerry Brading schnappte hörbar nach Luft. »Das kann doch nur ein Witz sein! Wer behauptet denn so etwas? Dagegen werde ich sofort gerichtlich vorgehen und...«

»Nur nichts überhasten, junger Mann.« Lady Agatha schnitt ihm das Wort ab. »Kennen Sie einen gewissen ...? Mister Parker, wie heißt er denn noch?«

»Mister Pete Elsom», half der Butler aus. »Es handelt sich bei ihm um einen Importeur von Spezialpapieren aller Art.«

»Hat Elsom etwa behauptet, wir würden Falschgeld ...«

»Sie kennen ihn, Mister Brading?« wiederholte Parker seine Frage.

»Ein völlig unbedeutender kleiner Wichtigtuer«, qualifizierte Brading ihn ab. »Er wollte mit uns ins Geschäft kommen und forderte Preise, die indiskutabel sind. Mein Vater arbeitete seinerzeit mit ihm zusammen, aber das ist bereits Jahre her.«

»Ihr Herr Vater weilt noch unter den Lebenden, Mister Brading?« fragte der Butler.

»Er lebt zurückgezogen im Norden der Stadt«, lautete die Antwort. »Er hat uns die Firma übergeben und privatisiert. Aber um auf Elsom zurückzukommen, Mister Parker: Hat er etwa behauptet, wir würden hier in Unserem Betrieb Falschgeld drucken?«

»Wären Sie technisch in der Lage, sogenannte Blüten herzustellen?« fragte Parker, ohne auf Bradings Frage einzugehen.

»Technisch bedeutet das überhaupt keine Schwierigkeiten, falls man die Druckplatten und das Spezialpapier hat«, antwortete Jerry Brading. »Aber ich frage mich, wann wir diese Falsifikate herstellen sollten? Hören Sie, in unseren Druckereien wird Schichtdienst gefahren. Wir haben eine Menge Mitarbeiter. Glauben Sie wirklich, so etwas würde nicht auffallen und dann durchsickern? Und wegen solcher Blüten riskiere ich doch nicht die Behördenaufträge. Die sind eine sichere Bank für unseren Betrieb.«

»Sie drucken fast ausschließlich für kommunale und staatliche Dienststellen, Mister Brading?«

»Wir sind auf Formulare spezialisiert«, bestätigte Brading. »Ich denke da an die Steuerformulare und ...«

»Sagten Sie gerade Steuerformulare?« schnappte die ältere Dame sofort zu.

»Steuerformulare ja«, wiederholte Jerry Brading und nickte.

»Ich brauche noch einen zusätzlichen Cognac«, sagte Lady Agatha und schüttelte sich leicht. »Schon allein die Erwähnung dieser Behörde bringt meinen Kreislauf in Schwierigkeiten ...«

*

Der Motorradfahrer kletterte steifbeinig aus dem Kofferraum des hochbeinigen Monstrums und wirkte eingeschüchtert. Er hatte es geschafft, den Jethelm abzunehmen, sich dabei aber mit der Mischung aus Öl und Ruß das Gesicht verschmiert.

Neugierig blickte er zur Rückseite des zweistöckigen Fachwerkhauses und auf die hohe Mauer aus Sandsteinblöcken, die den schmalen Wirtschaftsweg zum angrenzenden Park begrenzte.

»Meine Wenigkeit hofft, daß Sie eine mehr oder weniger angenehme Fahrt hatten«, meinte Parker und deutete mit der Spitze seines Schirmes auf die Außentreppe, die ins Souterrain des Hauses führte.

»Wieso ... haben Sie mich gekidnappt?« fragte der junge Mann, der kaum älter als fünfundzwanzig war.

»Man sollte sich im Haus in Ruhe über alle Fragen unterhalten«, schlug der Butler vor. »Sie sind hiermit herzlichst eingeladen, sich als Gast Lady Simpson zu betrachten.«

»Ich will weg«, sagte der junge Mann und bemühte sich um Selbstbehauptung.

»Falls Sie die Absicht hegen sollten, meine Wenigkeit zu attackieren, sollten Sie davon tunlichst Abstand nehmen«, warnte Parker ihn in seiner höflichen Art.

»Warum haben Sie mich in den Kofferraum gesteckt? Sie haben mich einfach angegriffen, obwohl ich Ihnen nichts getan habe.«

»Sie fragen nicht nach Ihren beiden Partnern im Austin?« wunderte sich der Butler.

»Welche beiden Partner und in welchem Austin?« Während er zurückfragte, befand er sich bereits auf der Treppe und stieg nach unten. Er hatte nicht mitbekommen, daß Parker ihn unauffällig, aber dennoch nachdrücklich in Richtung Außentür dirigierte.

»Lady Simpson wird Ihnen gleichlautende Fragen stellen«, schickte Parker voraus, als er den jungen Mann ins Haus schob. »Im Interesse Ihrer körperlichen Unversehrtheit möchte meine Wenigkeit Ihnen raten, auf Ausflüchte zu verzichten.«

»Was,., was haben Sie da gerade gesagt?« Der junge Motorradfahrer hatte nicht verstanden.

»Mylady pflegt sehr gereizt und spontan zu reagieren, wenn man ihre Fragen nicht wahrheitsgemäß beantwortet.«

»Sie meinen...?!« Er schluckte nervös.

»In der Tat«, erklärte der Butler, als wäre ihm die betreffende Frage bereits gestellt worden.

»Ich ... ich habe mit der ganzen Sache so gut wie nichts zu tun«, fuhr der junge Mann hastig fort. Er hatte einen langen, schmalen Korridor hinter sich gebracht und befand sich in einer Art Waschküche.

»Sie wurden gezwungen, Mylady und meine Wenigkeit zu verfolgen?«

»Na ja, so ungefähr... Ich wollte mir ein paar Scheine verdienen, verstehen Sie? Mehr nicht.«

»Und wer schlug Ihnen diese Beobachtung vor?«

»Das sag’ ich nicht. Hören Sie, ich hab’ doch keine Lust, später geknüppelt zu werden.«

»So streng sind die Bräuche im Kreis Ihrer Freunde?«

»Sie kennen Rob und ... Hören Sie, ich hab’ nichts gesagt!«

»Einer der beiden Austin-Benutzer heißt also mit Vornamen Rob«, reagierte der Butler. »Und wie wird der zweite Austin-Fahrer angesprochen?«

»Ich sag’ kein Wort mehr!«

»Hoffentlich zeigen Sie eine gewisse Haltung, wenn sich gleich der erste Schmerz einstellt«, meinte Parker höflich. »Auf der anderen Seite können Sie aber davon ausgehen, daß Sie keineswegs das sogenannte Zeitliche segnen werden. Mylady pflegt meistens im richtigen Moment innezuhalten.«

»Wo... wovon reden Sie eigentlich?« wollte der junge Motorradfahrer wissen. Er schluckte bereits intensiv.

»Von Myladys Methoden, in deren Mittelpunkt einige Hutnadeln stehen, die recht unangenehm werden können, falls man sie ein wenig zu tief in die Epidermis einführt.«

»Rob und Pat waren im Austin«, gestand der junge Mann jetzt hastig und blickte Parker flehend an. »Wirklich, so heißen die.«

»Und die Adresse der beiden Herren?«

Der Motorradfahrer nannte sie umgehend.

»Reif bin ich jetzt sowieso«, sagte er anschließend. »Die machen mich fertig.«

»Man wird Ihnen großzügig helfen und die Möglichkeit verschaffen, die Stadt für ein paar Tage zu verlassen«, tröstete Parker ihn. »An einem gewissen Handgeld soll es keineswegs fehlen, falls Sie natürlich die Wahrheit gesagt haben. Was fällt Ihnen übrigens zu den Herren Faldex und Elsom ein?«

»Elsom kenne ich«, lautete die zögernde Antwort.

»Ein wenig ausführlicher dazu sollten Sie schon Stellung nehmen«, schlug der Butler vor.

»Für Elsom fahr’ ich hin und wieder Pakete aus«, gestand der junge Mann. »Und dabei hab’ ich Rob und Pat kennengelernt.«

»In den Firmenräumen des Mister Elsom?« wollte Parker wissen.

»Nein, in ’nem Privatclub«, korrigierte der junge Mann umgehend und nun schon fast eifrig. »Die sind da beschäftigt, glaub’ ich wenigstens. Heute hatten die angerufen und mich nach Shepherd’s Market bestellt.«

»Vielleicht noch die Adresse des gerade erwähnten Privatclubs«, bat der Butler. Er erhielt sie umgehend und nickte dann dem Motorradfahrer zu. »Dank Ihrer Mitteilungsfreude läßt sich eine Begegnung mit Lady Simpson möglicherweise vermeiden. Sie können sich entspannen und es sich bequem machen.«

»Sie sorgen wirklich dafür, daß ich für einige Tage abhauen kann?«

»Sie sind im Grund bereits unterwegs«, meinte Josuah Parker. »In kurzer Zeit werden Sie sich wieder Ihrer Freiheit erfreuen können.«

Parker lüftete die schwarze Melone und verließ den waschküchenartigen Raum, um Mylady Bericht zu erstatten. An eine Flucht brauchte der junge Mann nicht zu denken. Es gab zwar einen schmalen Lichtschacht, doch der war durch ein starkes Gitter und Panzerglas abgesichert.

»Nun, Mister Parker, dieses Subjekt ist natürlich verstockt und muß erst mal gründlich behandelt werden, nicht wahr?« Die Dame des Hauses lächelte grimmig und betrachtete unwillkürlich ihre nicht gerade kleinen Hände.

»Es kam bereits zu einem fast umfassenden Geständnis, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady brauchen sich mit dieser Randfigur des Falles erfreulicherweise nicht zu befassen.«

»Sie sind natürlich nach Strich und Faden belogen worden, Mister Parker. Der junge Mann hat Ihnen einen Bären aufgebunden.«

»Mylady werden meine Wenigkeit ungemein beschämt sehen, falls dem so sein wird«, erwiderte der Butler. »Aber vielleicht könnte man das vornehmen, was man im Volksmund gemeinhin eine Nagelprobe zu nennen pflegt.«

*

Der Privatclub war noch geschlossen.

Lokale dieser Art öffneten bekanntermaßen erst nach Einbruch der Dunkelheit. Im Licht des frühen Nachmittags sah dieser Club nicht gerade einladend aus.

Soho, wo er sich befand, machte um diese Tageszeit nun wirklich keinen frivolen Eindruck, wie man es von diesem Vergnügungsviertel eigentlich erwartete. Es gab bereits viele Touristen, die erwartungsvoll durch die mehr oder weniger engen Straßen schlenderten und auf ein Abenteuer warteten, aber sie kamen keineswegs auf ihre Kosten.

Die Restaurants waren allerdings bereits geöffnet und boten Küchenspezialitäten aus aller Herren Länder an.

Agatha Simpson und Josuah Parker hatten den Privatclub erreicht, in dem der Motorradfahrer die beiden Austin-Fahrer Rob und Pat kennengelernt haben wollte. Der Eingang war durch ein Rollgitter geschlossen. Links und rechts von der Tür gab es schmale Schaukästen, in denen überdimensional große Speisekarten ausgehängt waren. Die Tür hinter dem Rollgitter machte einen soliden Eindruck.

»Ich wußte gleich, daß Sie hier nichts ausrichten würden«, räsonierte die ältere Dame. »Diese Fahrt hätte ich mir sparen können, Mister Parker.«

»Mylady rechnen natürlich mit einem zusätzlichen Eingang«, gab der Butler zu überlegen.

»Das natürlich auch.« Sie ging auf das Angebot ihres Begleiters sofort ein, um sich keine Blöße zu geben.

»Vielleicht sollte man diesen zweiten Zugang im benachbarten Haus suchen, Mylady.« Parker wartete ihre Antwort erst gar nicht ab und hielt auf ein kleines Wäschegeschäft zu, in dem Spezialitäten aus Leder und Gummiwaren angeboten wurden.

Als er mit Agatha Simpson das kleine Ladenlokal betrat, weiteten sich die Augen der Verkäuferin, die platinblondes Haar und grellrot gelackte, überlange Fingernägel präsentierte. Kunden dieser Art stand sie mit Sicherheit noch nie gegenüber.

»Man wünscht einen abwechslungsreichen Resttag«, grüßte der Butler und lüftete die Melone. »Könnten Sie freundlicherweise sagen, wie man die Herren Rob und Pat erreicht?«

»Rob und Pat?« fragte sie zurück und wurde wachsam.

»Es handelt sich um Leute, die im benachbarten Privatclub angestellt sein müssen.«

»Ich kenn’ die Männer kaum«, erwiderte sie mit Nachdruck. »Zudem bin ich neu hier.«

»Dann bittet man mehrfach um Entschuldigung«, sagte Parker und geleitete Lady Agatha zurück zur Tür. »Mister Hale Mitchlay ist Ihnen natürlich ebenfalls unbekannt?«

»Wer sollte das sein?« Sie vibrierte förmlich vor Wachsamkeit.

»Der Betreiber des Privatclubs nebenan.«

»Den hab’ ich noch nie gesehen.«

»Was nach Lage der Dinge anzunehmen war.« Josuah Parker grüßte noch mal und dirigierte seine Herrin auf die Straße zurück. Was ihn übrigens einige Mühe kostete, denn sie hätte sich wohl liebend gern mit der Verkäuferin noch ein wenig unterhalten.

»Wie kann man sich nur derart abspeisen lassen, Mister Parker?« mokierte sie sieh draußen auf der Straße. »Natürlich wußte sie Bescheid.«

»In der Tat, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Die junge Dame wird sich jetzt umgehend mit Mister Mitchlay in Verbindung setzen.«

»Und was wird mir das bringen, Mister Parker?« fragte sie streng. Der Butler verzichtete auf eine Antwort. Aus der Ziertuchtasche seines Zweireihers hatte er einen Ohrclip gezogen und befestigte ihn an seinem linken Hörorgan. Eine feine Schnur führte zurück in die Ziertuchtasche.

»Was soll denn das?« fragte die Detektivin in leicht gereiztem Ton. »Jetzt ist nicht der geeignete Augenblick, Musik zu hören.«

»Es geht um einen möglichen Anruf, den die Verkäuferin tätigen könnte«, antwortete der Butler. »Meine Wenigkeit war so frei, ein Miniatur-Sendegerät im Laden zurückzulassen.«

»Was natürlich nicht funktionieren wird«, unkte sie automatisch.

»Die Verkäuferin spricht bereits, Mylady«, meldete Parker, der Agatha Simpsons Vermutung nicht gehört zu haben schien.

»Und? Was sagt sie? Wahrscheinlich handelt es sich um einen völlig unwichtigen Anruf.«

»Die junge Dame spricht mit einem gewissen Hale, Mylady«, meldete der Butler weiter. »Es müßte sich um Mister Hale Mitchlay handeln.«

»Ihren Optimismus möchte ich haben«, antwortete sie ironisch. »Und wer sollte dieser Hale Midway sein?«

»Mister Hale Mitchlay ist der Betreiber des Privatclubs«, erinnerte der Butler in seiner diskreten Art. »Er dürfte nun seine Angestellen Rob und Pat aktivieren.«

»Sie glauben tatsächlich noch an Wunder«, sagte die ältere Dame spitz.

»Man könnte die beiden Männer noch rechtzeitig abfangen, Mylady.« Parker setzte sich in Bewegung und ging zurück zu dem Ladenlokal. Die ältere Dame stieß ein unwirsches Knurren aus, folgte ihm jedoch. Parker öffnete bereits die Tür und übersah die Verkäuferin, die einen völlig überraschten Eindruck machte und dann protestieren wollte.

»Halten Sie gefälligst den Mund, Kindchen«, herrschte die resolute Dame sie sofort an. »Oder wollen Sie etwa Ärger mit mir haben?«

Sie wollte natürlich nicht!

Parker stand bereits weit hinten in dem langgestreckten, schmalen Verkaufsraum und baute sich neben einer Tür auf, die von einem Wandschirm verdeckt wurde. Er brauchte nicht lange zu warten. Schnelle Schritte waren zu vernehmen. Dann wurde die Tür äußerst schwungvoll geöffnet.

Ein Mann erschien auf der Bildfläche, den Parker bereits schon mal gesehen hatte. Es handelte sich um den Fahrer des Austin, dessen Vorderreifen innigen Kontakt mit den Krähenfüßen eingegangen waren. Der Mann stutzte, als der sich Parker gegenübersah und reagierte dann mit erheblicher Verspätung.

Was sich ungemein nachteilig für ihn auswirken sollte!

*

Er legte sich auf den Boden des Ladenlokals und merkte nicht, wie Parker ihn entwaffnete. Der Butler barg einen kurzläufigen Revolver und ließ ihn in einer Tasche seines Covercoats verschwinden. Dann schleifte Parker den Mann tiefer in den Raum und sperrte die Tür mit den schweren Innenriegeln zum Korridor hin ab.

»Darf man fragen, um wen es sich handelt?« wandte er sich dann an die Wasserstoffblonde. »Hat man es mit Rob oder Pat zu tun?«

»Mit Rob«, lautete die Antwort der Verkäuferin.

»Und wo befindet sich Pat?« wollte Parker weiter wissen.

»Der... der muß noch im Club sein«, vermutete die Verkäuferin hastig. Sie sah sich einer stattlichen, energisch wirkenden Frau gegenüber, die sie streng und auffordernd anblickte. Nach Parkers Frage hatte Agatha Simpson noch zusätzlich mit der flachen Hand auf die Verkaufstheke geschlagen. Unter diesem Eindruck wagte die Wasserstoffblonde es nicht, sich herauszureden.

»Und wo findet man Mister Hale Mitchlay?« Parker nutzte die Gunst der Minute.

»Oben in seinem Büro«, antwortete die eingeschüchterte Verkäuferin. »Aber mit dem Club hab’ ich nichts zu tun. Ich bin hier nur angestellt.«

»Man erreicht die Clubräume vom Korridor aus?«

»Die letzte Tür rechts«, wurde prompt geantwortet, »dann über die Wendeltreppe, ’rauf ins Obergeschoß.«

»Mylady dürfte mit Ihrer Aussagebereitschaft durchaus zufrieden sein«, meinte der Butler, um dann auf Rob zu deuten. »Wo kann man den Herrn sicher unterbringen? Verfügen Sie über ein Gelaß, das man verschließen kann?«

»Die Abstellkammer«, sagte die Verkäuferin hastig.

»Die Sie mir jetzt zeigen werden, Kindchen.« Lady Agatha hatte sich eingeschaltet und duldete allein schon von der Stimme her keinen Widerspruch.

Die Verkäuferin kam um die Theke herum, übernahm die Führung und öffnete weit hinten im Laden eine schmale Tür. Mylady blickte interessiert in den fensterlosen Raum, der kaum die Grundfläche von einem Quadratmeter besaß.

Der Butler legte den immer noch schlafenden Gangster mit spielerischer Leichtigkeit über einen kleinen fahrbaren Verkaufstisch und rollte den Mann dann zur Abstellkammer. Wenige Augenblicke später hockte er dort auf dem Boden, »Worauf warten Sie noch, Kindchen?« fragte Lady Agatha grollend.

»Ich ... ich soll auch da ’rein?«

»Damit Sie keine Dummheiten machen«, gab die Detektivin als Grund an.

»Sie brauchen sich dann später nicht zu rechtfertigen«, tröstete Parker die Wasserstoffblonde. »Mylady denkt nur an Ihr spezielles Wohlergehen.«

»Tatsächlich«, wunderte sich Lady Agatha. Sie wartete, bis die Verkäuferin in der Abstellkammer war und trat dann zurück, damit Parker die Tür schließen konnte. Bevor er sie vollends zudrückte, holte er seine bekannte Spraydose aus der Tasche seines schwarzen Covercoats und verabreichte den beiden Insassen der Abstellkammer eine leichte Dosis seines Patentmittels. Er konnte jetzt sicher sein, daß unnötige Aktivitäten gedämpft wurden. Erfahrungsgemäß wurden die Frau und der Mann umgehend von einer leichten Schläfrigkeit befallen.

Parker schob die Lehne eines Stuhls unter den Türknauf, nachdem er abgeschlossen hatte und stand dann Mylady wieder voll zur Verfügung.

Er öffnete die hintere Ladentür und führte die ältere Dame durch einen langen Korridor zur angegebenen Wendeltreppe. Agatha Simpson schob ihre majestätische Fülle überraschend beweglich nach oben und bebte förmlich vor Ungeduld, als man einen weiteren Gang erreichte, von dem einige Türen abzweigten.

Es gab keine Qual der Wahl.

Durch eine nur angelehnte Tür drang Musik nach draußen. Eine harte Männerstimme sprach gerade mit einem gewissen Pete. Es schien sich um ein Telefongespräch zu handeln.

»... mal ganz schön langsam, Pete«, sagte der Sprecher gerade wütend. »Natürlich werden wir die beiden Typen bald erwischen, keine Frage. Aber wir wußten ja schließlich nicht, wie clever dieser Butler ist. Der hat uns einfach ausgetrickst.«

Parker und Lady Simpson warteten nur einige Augenblicke, bis der Mann hinter der angelehnten Tür nach einem weiteren Wutausbruch den Hörer auf die Gabel des Apparats knallte.

»Dieses verdammte Miststück«, sagte die harte Stimme dann. »Kommt sich vor wie ein Chef, der nur zu befehlen braucht.«

»Dabei hängt er auch nur an ’ne Leine«, mokierte sich eine weitere Männerstimme. Parker ging davon aus, daß sie dem zweiten Austin-Benutzer Pat gehörte.

»Ich möchte wissen, wo Rob bleibt«, meinte die harte Männerstimme. »Hoffentlich hat der Bursche sich nicht schon wieder hochnehmen lassen. Ich trau’ diesem Butler inzwischen alles zu.«

»Und Lady Simpson«, grollte die ältere Dame dazwischen. Es hatte sie nicht länger gehalten. Sie riß die Tür auf und blickte die beiden Männer im Wohnraum kriegerisch an.

Einer von ihnen war tatsächlich der zweite Austin-Benutzer, also Pat. Der andere Mann war groß, breitschultrig und erinnerte an einen Schwergewichtsboxer, der inzwischen zu viel Fett angesetzt hatte.

Beide Männer staunten die ältere Dame und ihren Butler an. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm leicht gehoben und war bereit, einen etwaigen Angriff zu stoppen.

»Ich glaub’s nicht«, stöhnte Pat. Er saß auf der Lehne eines Sessels und wirkte wie versteinert, was seine Glieder betraf.

»Hallo«, säuselte der andere Mann und rang sich ein Lächeln ab, das allerdings tückisch und hinterhältig wirkte. »Wen haben wir denn da? Sind Sie freiwillig gekommen?«

»Mister Hale Mitchlay?« erkundigte sich der Butler in seiner höflichen Art.

»Hale Mitchlay«, bestätigte der verfettete Schwergewichtler und streckte entgegenkommend und wie zur Begrüßung seine rechte Pranke aus. Dabei kam er um einen Wandtisch herum und ging auf den Butler zu.

Parker kam dem geplanten Angriff zuvor.

»Der Universal-Regenschirm wurde in seiner schwarz behandschuhten Hand zum Degen, dessen Spitze blitzschnell vorschoß. Bevor Hale Mitchlay eine Abwehrbewegung inszenieren konnte, setzte Parker bereits die Spitze des improvisierten Degens auf den Solarplexus des Mannes.

Daraufhin litt Hale Mitchlay nachhaltig unter Atemschwierigkeiten. Er knickte in der Hüfte ein und verbeugte sich tief vor dem Butler, der die günstige Gelegenheit nutzte und den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes auf den Hinterkopf des Mannes setzte.

Hale Mitchlay legte sich nach dieser Behandlung über eine Sessellehne und nahm von weiterer Begrüßung Abstand.

Lady Agatha war selbstverständlich nicht untätig geblieben.

Der Austin-Benutzer, inzwischen aufgesprungen, hatte eindeutig den falschen Zeitpunkt gewählt. Er geriet in die Reichweite von Myladys Pompadour und wurde von dem darin befindlichen sogenannten Glücksbringer voll erwischt.

Der Mann torkelte auf bereits schwachen Beinen durch den Raum, stolperte über einen Hocker und legte sich dann über Hale Mitchlay.

»Ob ich nicht noch mal zulange?« fragte die ältere Dame. Sie blickte ihr Opfer prüfend an.

»Vielleicht später, Mylady«, schlug Josuah Parker höflich vor. »Es ist sonst zu befürchten, daß Myladys Zielobjekt zu lange braucht, um wieder zu sich zu kommen.«

*

Sie saßen auf einfachen Küchenstühlen und hatten keine Möglichkeit, etwas gegen ihre Besucher zu unternehmen. Parker hatte sie mit zähem Packband festgeheftet und ihr Aufwachen zur Kenntnis genommen.

»Das werden Sie noch bereuen«, fauchte Hale Mitchlay. »Sowas vergesse ich nicht.«

»War das gerade eine Drohung?« hoffte die ältere Dame und blickte den Butler erwartungsfreudig an.

»Vielleicht im Ansatz, Mylady«, beschwichtigte Parker.

»Natürlich war das ’ne Drohung«, regte Hale Mitchlay sich leichtsinnigerweise auf und überfiel die resolute Dame mit vernichtenden Blicken. »Auf Sie kommt noch einiges zu, darauf können Sie Gift nehmen!«

Er verlor die Fassung, nachdem er von Agatha Simpson geohrfeigt worden war. Da sein Stuhl ausgesprochen günstig an der verkachelten Küchenwand stand, blieb er aufrecht sitzen.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose Frau zu beleidigen«, meinte Agatha Simpson, die nach dem Austeilen der Ohrfeige einen zufriedenen Eindruck machte.

»Mylady gehen davon aus, daß Sie für Mister Pete Elsom arbeiten«, begann Parker mit seiner Befragung in Richtung Mitchlay, der plötzlich irgendwie eingeschüchtert wirkte.

»Ich will die Wahrheit hören, junger Mann«, raunzte die ältere Dame den verfetteten Schwergewichtler an. »Ich habe aber auch nichts dagegen, dem nachzuhelfen.«

»Ich kenne Elsom«, räumte Mitchlay ein. Er kommt manchmal hierher in den Club. Was ist schon dabei?«

»Sie werden von Mister Elsom in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen mit einer gewissen Ware beliefert, Mister Mitchlay«, erinnerte der Butler.

»Ach so, das meinen Sie?« Mitchlay versuchte zu grinsen, was allerdings mißlang. »Ich bekomme von ihm Magazine und so. Sie wissen schon.«

»Gar nichts weiß ich, junger Mann«, raunzte Agatha Simpson ihn umgehend an. »Keine vagen Andeutungen, wenn ich bitten darf.«

»Na ja, sowas wie Porno-Hefte«, erklärte Mitchlay. »Ich glaube, die bekommt er aus Dänemark oder so. Aber was ist schon dabei?«

»Im Gegenzug lassen Sie dafür Mylady und meine Wenigkeit bespitzeln und verfolgen?«

»Das war nur ein Gefallen, den ich Elsom erwiesen habe. Der denkt nämlich, Sie wären hinter ihm her. Eben wegen der Magazine.«

»Sie sprechen jetzt von den Herren Rob und Pat?«

»Genau«, bestätigte der verfettete Schwergewichtler und unterschlug den Motorradfahrer. Parker hatte nichts dagegen.

»Und seit wann schickt man Ihnen auch Blüten, junger Mann?« schaltete Lady Agatha sich nun ungeduldig ein.

»Von was für Blüten reden Sie?« lautete Mitchlays Antwort.

»Mylady spricht von Falsifikaten, Mister Mitchlay«, machte der Butler deutlich. »Sie können auch Falschgeld dazu sagen, ganz wie es Ihnen beliebt.«

»Falschgeld?« Der Mann auf dem Küchenstuhl staunte. »Davon weiß ich nichts. Ich hab’ von Elsom noch nie im Leben Falschgeld bekommen.«

»Ist das ein Gasherd, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson und deutete auf ein entsprechendes Gerät, das in einer Nische der Küche stand. Während dieser Frage hantierte sie bereits an den Schaltknöpfen und beugte sich schnüffelnd über eine der Brennstellen. Nach wenigen Sekunden nickte sie zufrieden.

»Leuchtgas oder so«, konstatierte sie. »Wie ist das damit, Mister Parker? Ist es nicht sehr explosibel?«

»Ungemein, Mylady«, erwiderte der Butler. »Mylady wünschen sich in dieser Hinsicht zu vergewissern?«

»Hören Sie, Lady, machen Sie keinen Quatsch«, rief Mitchlay warnend. »Das Zeug geht hoch wie ’ne Rakete.«

»Das glaube ich nicht«, gab die ältere Dame zurück und lächelte ein wenig hintergründig.

»Stellen Sie das Gas ab, Lady«, rief Mitchlay, dessen Stimme inzwischen schrill und hell geworden war.

»Ich habe vor ein paar Tagen einen hübschen Kriminalfall gesehen«, sagte Lady Simpson zu Parker. »In diesem Streifen stellten Gangster eine brennende Kerze in einen Raum und öffneten die Hähne eines Gasherdes.«

»Es muß zu einer beeindruckenden Explosion gekommen sein, Mylady«, vermutete Josuah Parker.

»Es war einfach wunderbar«, schwärmte Agatha Simpson. »Sie sollten sich nach einer Kerze umsehen, Mister Parker.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie stets.

*

Als der Butler höflich verkündete, eine Kerze gefunden zu haben, brach der verhinderte Schwergewichtler innerlich in sich zusammen. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Das Gesicht war krebsrot geworden.

Er wollte etwas sagen, doch er sah sich außerstande, ein Wort herauszubringen. Er setzte immer wieder an, hüstelte und brabbelte Unverständliches.

»Stören Sie mich gefälligst nicht«, herrschte Agatha Simpson den Betreiber des Privatclubs an. »Sie sehen doch, daß ich beschäftigt bin! Wo, Mister Parker, werde ich die brennende Kerze hinstellen? Sie dürfen mir Vorschläge machen.«

»Denken Mylady möglicherweise an die Fensterbank?«

»Nicht unbedingt, Mister Parker«, kam prompt ihr Einwand. »Ich werde die Kerze dort auf die Anrichte stellen. Dann ist sie erst mal weit genug vom Herd entfernt.«

»Eine Wahl, zu der man Mylady nur gratulieren kann«, entgegnete Josuah Parker ernst und gesammelt.

»Hö ... hören ... hören Sie«, hechelte Mitchlay nun los und war einigermaßen zu verstehen. »Elsom hat mir tatsächlich Blüten geliefert.«

»Ich sollte auch noch den Backofen einschalten«, sinnierte die ältere Dame halblaut und blickte den Butler auffordernd an.

»Das würde den allgemeinen Effekt verstärken, Mylady.«

»Hören Sie, ich gebe ja zu, daß Elsom mich seit etwa anderthalb Wochen mit Blüten beliefert«, rief der verhinderte Schwergewichtler dazwischen. »So hören Sie doch endlich! Die Blüten stammen von Elsom! Der hat mir die Suppe eingebrockt...«

»Und wie lange werde ich auf die Explosion warten müssen, Mister Parker?« fragte die ältere Dame ihren Butler. Weder sie noch Parker schienen Mitchlays Hinweise mitbekommen zu haben.

»Elsom hat mir auch gesagt, daß ich die Lady und Sie beschatten lassen sollte«, gestand Mitchlay. »Elsom ist der Verteiler der verdammten Blüten.«

»Verzeihung, Sir, sagten Sie gerade etwas?« Parker schien endlich etwas wahrgenommen zu haben und blickte in Richtung Mitchlay.

»Elsom verteilt die Blüten hier in der Stadt«, wiederholte Mitchlay hastig. »Mich beliefert der Mann seit etwa anderthalb Wochen.«

»Und um welchen Kundenkreis handelt es sich, wenn man beiläufig fragen darf?«

»Mister Parker, ich muß doch sehr bitten!« Myladys Stimme klang streng. »Lassen Sie sich nicht ablenken! Werde ich einen genügend großen Vorsprung haben, wenn ich die Kerze angezündet habe?«

»Elsom beliefert Clubs, Bars und private Wettbüros«, rief Mitchlay dazwischen. »Da werden die Blüten untergemischt und gewaschen. Halten Sie sich doch an Elsom!«

»Und woher, bitte, bezieht Mister Elsom die erwähnten Blüten?« lautete Parkers nächste Frage.

»Das ist doch unwichtig«, grollte die Detektivin gekonnt. »Es geht hier um ein Experiment, Mister Parker.«

»Woher die Blüten stammen, weiß ich nicht«, redete Mitchlay hastig weiter. »Und das ist die Wahrheit, wirklich.«

»Welche Rolle spielt ein gewisser Mister Steven Faldex?« fragte Josuah Parker.

»Ich werde jetzt mit dem Experiment beginnen«, kündigte die ältere Dame munter an. »Mister Parker, Streichhölzer oder ein Feuerzeug bitte...«

»Faldex fährt nur durch die Gegend und nimmt die Bullen auf den Arm«, gab Mitchlay zurück. »Das hat mir Elsom gesagt.«

»Bleibt noch die Frage nach dem Herstellungsort der erwähnten Blüten«, schloß der Butler sein Interview.

»Das weiß nur Elsom«, lautete prompt die Antwort. »Lady, bitte, machen Sie keinen Unsinn, kein offenes Feuer. Wir gehen alle in die Luft.«

»Ein Hinweis, Mylady, den man vielleicht ernst nehmen sollte.« Parker hatte sich seiner Herrin zugewandt.

»Nun gut, dann vielleicht später mal«, erwiderte Agatha Simpson. »Aber was mache ich jetzt mit diesen Lümmeln?«

»Man könnte die Herren verständigen, die Mister Mitchlay als Bullen bezeichnete, Mylady.«

»Schade um das kleine Experiment«, bedauerte sie. »Ich hatte mir viel davon versprochen. In dem erwähnten Kriminalfilm sah das alles sehr beeindruckend aus.«

*

»Sollte ich nicht nach Brixton fahren, Mister Parker?« fragte die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und schien zufrieden.

»Mylady denken an die Beobachtung, die Mister Pickett machte?«

»Richtig«, gab sie zurück. »Da war doch etwas, nicht wahr?«

»Mister Pete Elsom fuhr nach Myladys Besuch in der Papierwaren-Großhandlung nach Brixton und stellte dort Pakete sicher.«

»Das sagte ich doch.« Sie nickte nachdenklich. »Er wird seine Blüten ausgeliefert haben.«

»Eine Möglichkeit, die man nicht außer Betracht ziehen sollte, Mylady. Auf der anderen Seite aber könnte er unterstellt haben, daß er überwacht wird. In diesem Fall dürfte er nur eine falsche Spur gelegt haben, um Mylady in die Irre zu führen.«

»Schon allein der Versuch wäre lächerlich.« Sie lachte dröhnend. »Wie war ich eben, Mister Parker?«

»Mylady wirkten ungemein überzeugend.«

»Dieses Subjekt schwitzte Blut und Wasser, Mister Parker. Nun, man muß eben improvisieren können. Als ich den Gasherd sah, hatte ich sofort die richtige Eingebung.«

»Mylady ließen selbst meine Wenigkeit ein wenig zweifeln.«

»Nun ja, Sie haben sich immerhin recht passabel geschlagen, Mister Parker«, fuhr sie wohlwollend fort. »Sie lernen es allmählich, auf meine Stichworte einzugehen.«

»Mylady werden in meiner Wenigkeit stets einen gelehrigen Schüler sehen.«

»Es zahlt sich für Sie aus, Mister Parker. Im Lauf der Zeit werden Sie noch ein durchaus verwendbarer Detektiv. Übrigens, wohin fahre ich nun tatsächlich?«

»Mylady wünschen sicher Kontakt mit Mister Pete Elsom aufzunehmen.«

»Pete Elsom?« Sie runzelte die Stirn.

»Der Verteiler der Blüten, wie Mister Mitchlay behauptete«, erinnerte Josuah Parker. »Mister Elsom handelt mit importierten Spezialpapieren.«

»Ich weiß, ich weiß.« Ihre Stimme klang ein wenig ungnädig. »In seinen Firmenräumen fand ich die Porno-Magazine, nicht wahr?«

»Mylady haben jedes Detail abrufbereit im Kopf.«

»Ich werde diese Firmenräume noch mal gründlich durchsuchen«, kündigte sie grimmig an. »Und diesmal werde ich mich selbst einschalten, Mister Parker.«

»Falls Mister Elsom inzwischen seine Firmenräume verlassen haben sollte, dürfte er von Mister Picketts Freunden überwacht worden sein.«

»Der gute Pickett«, kam prompt ihre bekannte Antwort. »Ich sollte ihn unbedingt mal zum Tee einladen, Mister Parker. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran.«

»Falls Mylady erlauben, sollte man Myladys Haus anrufen«, schlug der Butler vor und deutete diskret auf eine Telefonzelle an einer nahen Straßenkreuzung. Bevor sie ihr Einverständnis dazu geben konnte, hatte Parker bereits gehalten.

Er stieg aus, betrat die Telefonzelle und wählte die Nummer von Myladys Haus. Ein Anrufbeantworter meldete sich und schlug mit Parkers Stimme höflich vor, nach einem Pfeifsignal eine Nachricht von zwanzig Sekunden zu hinterlassen.

Josuah Parker antwortete mit einer kurzen Melodiefolge, die er in den Hörer pfiff.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Anrufbeantworter Parkers Signal folgte und abspulte, was er bisher aufgenommen hatte. Auf diese Weise erfuhr der Butler, daß Horace Pickett sich vor etwa einer Stunde telefonisch gemeldet hatte.

Pickett rief aus Enfield an, einer kleinen Stadt im Norden von London und teilte mit, Pete Elsom wäre bis dorthin verfolgt worden. Der Importeur von Spezialpapieren war laut Horace Pickett in einem kleinen Hotel am Rand von Enfield abgestiegen.

»Nun, Mister Parker, die Ausgabe für den Anruf hat sich wohl kaum gelohnt«, mäkelte Mylady später. »Pickett hat bestimmt die Spur verloren. Er bemüht sich zwar immer wieder, doch ihm fehlt es einfach an Erfahrung.«

»Im vorliegenden Fall dürfte das Glück ihm hold gewesen sein, Mylady«, erwiderte Parker gemessen, um dann einen Kurzbericht zu erstatten.

»Das ändert natürlich überhaupt nichts an meiner Feststellung«, behauptete sie danach und schüttelte den Kopf. »Auch ein Pickett hat ja hin und wieder mal Glück, Mister Parker.«

Der Butler verzichtete höflicherweise auf eine Antwort.

*

Horace Pickett war etwa sechzig, groß, schlank und erinnerte an einen pensionierten Offizier. Er trug einen grauen, sorgfältig gestutzten Schnurrbart, zeigte hellwache Augen und verfügte über angenehme Manieren.

An diesem Abend trug er einen Trenchcoat und einen Travellerhut. Er fing Mylady und Butler Parker am Eingang zu dem Städtchen ab. Er hatte sich an der Straße aufgebaut und war von den Scheinwerfern des hochbeinigen Monstrums gerade voll erfaßt worden.

»Hoffentlich haben Sie nicht zu lange warten müssen, Mister Pickett«, sagte Parker, nachdem Pickett die ältere Dame und ihn begrüßt hatte. Der ehemalige Eigentumsumverteiler hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen.

»Der Kontakt über meine Deckadresse hat prächtig geklappt«, antwortete Pickett, der in früheren Jahren mal Meister in Sachen Taschendiebstahl war. Nachdem er seinerzeit ungewollt die Brieftasche eines hochkarätigen Gangsters an sich gebracht hatte und fast zu Tode gehetzt worden war, hatte Parker ihm das Leben gerettet.

Danach überdachte Pickett sein bisheriges Leben gründlich, schlug sich auf die Seite des Gesetzes und arbeitete jetzt immer wieder für Lady Simpson und Parker. Er verehrte die ältere Dame und ließ es sich angelegen sein, für sie tätig zu werden.

»Mister Pete Elsom befindet sich nach wie vor in seinem Hotel?« fragte Parker, während er seinen Wagen wieder anrollen ließ.

»Was er ausgerechnet hier in Enfield will, weiß ich nicht«, antwortete Pickett. »Aber er wird keinen Schritt tun können, der von meinen Freunden nicht überwacht wird.«

»Was sicher einige Unkosten entstehen lassen wird.«

»Ich hoffe doch sehr, daß Ihre Freunde nicht gerade geldgierig sind«, äußerte Lady Agatha umgehend und auch durchaus warnend.

»Ich werde mich schon mit Mister Parker arrangieren«, antwortete Horace Pickett, der die schottische Sparsamkeit der Lady nur zu gut kannte.

»Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Freunde einen kleinen Teil der Belohnung erhalten werden, die die Polizei sicher noch aussetzen wird«, meinte Agatha Simpson. »Aber bleiben wir beim Thema.«

»Wie gesagt, ich wundere mich, daß Elsom hier in Enfield abgestiegen ist«, wiederholte der ehemalige Eigentumsumverteiler. »Hier ist wirklich kaum etwas los. Aber vielleicht will er sich mit dem Blütendrucker treffen.«

»Eine Vermutung, Mister Pickett, die man auf keinen Fall von der Hand weisen sollte«, erwiderte der Butler. »Sie haben eine Vorstellung darüber, wo man Mylady und meine Wenigkeit unterbringen könnte?«

»Es gibt da ein hübsches Landhotel, Mister Parker. Ich habe bereits gebucht. Es ist übrigens nicht weit von dem Haus entfernt, in dem Elsom wohnt.«

»Sie sollten wissen, daß es eine direkte Verbindung zwischen Mister Elsom und einem gewissen Mister Hale Mitchlay gibt. Danach hat Mister Elsom für die Zustellung von Blüten zu sorgen. Er scheint so etwas wie eine zentrale Versandstelle für die Falsifikate aufgebaut zu haben.«

»Weiß er, daß er von Ihren Freunden beschattet worden ist?« wollte Agatha Simpson von Pickett wissen.

»Das glaube ich kaum«, meinte der Angesprochene, der sich zur älteren Dame im Fond umwandte. »Meine Freunde sind echte Profis, Mylady.«

»Immerhin könnte Mister Elsom nach wie vor davon ausgehen, daß er eben von solchen Profis überwacht wird«, warf Josuah Parker ein. »Mylady denken in diesem Zusammenhang natürlich an eine Falle.«

»Unentwegt«, erklärte sie mit Nachdruck. »Nun gut, ich werde mich überraschen lassen. Wie ist übrigens das Essen in dem Hotel, von dem Sie eben gesprochen haben?«

»Das Roastbeef soll erstklassig sein, Mylady.«

»Das ist immerhin etwas«, gab sie wohlwollend zurück. »Nach der anstrengenden Fahrt brauche ich jetzt erst mal eine Erfrischung. Zudem muß ich meinen Kreislauf stabilisieren.«

»Auch der Cognac im Hotel steht im besten Ruf, Mylady.«

»Sie sind ein Mann von Welt, mein lieber Pickett«, lobte die ältere Dame ihn daraufhin. »Aber bilden Sie sich darauf nur nichts ein!«

*

Mylady hatte ausgiebig gegessen und sich auf ihr Zimmer begeben, um über den anstehenden Fall nachzudenken. Butler Parker war in die Lounge des Landhotels gegangen und saß in einem tiefen Sessel. Er hatte sich das Telefonbuch für Enfield ausgeliehen und blätterte interessiert darin.

Er suchte nach bekannten Namen, die mit ihrem Fall zusammenhingen. Dieses Vorgehen hatte sich in der Vergangenheit immer wieder bewährt. Telefonbücher konnten zu einer wahren Fundgrube für Anregungen und deutliche Hinweise werden.

Daher war er nicht sonderlich überrascht, als er auf den Namen Brading stieß. Es handelte sich um einen gewissen Paul Brading, der möglicherweise der Vater der Brading-Brüder sein konnte. Jerry Brading hatte ja davon gesprochen, daß sein Vater als Privatier im Norden von London lebte.

Sollte das eine bereits sehr heiße Spur sein? War Pete Elsom wegen Brading senior nach Enfield gefahren? Gab es da vielleicht Kontakte, von denen die Brading-Brüder nichts wußten? Oder steckte man gemeinsam unter einer Decke?

Parker holte seinen schwarzen Covercoat aus dem Zimmer und hinterließ für Mylady eine Nachricht an der Rezeption. Danach wollte er sich für eine halbe Stunde die Füße vertreten. Er war froh, allein auf die Pirsch gehen zu können.

Es war nicht sonderlich schwer, die Straße zu finden, an der Paul Bradings Cottage lag. Es entpuppte sich als ein kleines, hübsches Landhaus, das von einer hohen Hecke umgeben war. Parker passierte das Gartentor und entdeckte, daß im Erdgeschoß Licht brannte.

Natürlich schritt er erst mal weiter, um die Lage zu sondieren. Er horchte in sich hinein und befragte seine innere Alarmanlage. Sie rührte sich jedoch nicht. Das seltsame, aber dennoch typische Kribbeln auf der Haut und in der Magengegend hatte sich noch nicht eingestellt. Demnach schien vorerst alles in Ordnung zu sein.

Als die Scheinwerfer eines Autos auf der Straßenbiegung erschienen, stellte Parker sich hinter einen Baum und wartete ab. Der Wagen kam schnell näher und... hielt vor dem Gartentor zu Paul Bradings Cottage an.

Ein Mann stieg aus, der fast Wert darauf zu legen schien, daß man ihn erkannte. Er machte einen kleinen Umweg, um vom Licht einer Straßenlaterne erfaßt zu werden. Dann drückte er das Gartentor auf und ging zum Haus.

Wenig später erschien ein Radfahrer, der mühsam strampelte und den parkenden Wagen passierte. Der Mann trug einen weiten Regenmantel und näherte sich dem Baum, hinter dem Parker sich versteckt hatte. Er passierte den Butler, ohne ihn zu bemerken und verschwand wenig später in einem Seitenweg.

Parker brauchte diesmal nicht in sich hineinzuhorchen.

Da war dieses seltsame Gefühl auf seiner Haut, die elektrisch geladen schien. Der Butler beobachtete den parkenden Wagen, ohne sich vom Fleck zu rühren. Er ließ sich Zeit. Ungeduld zahlte sich niemals aus, wie ihn die Erfahrung gelehrt hatte.

Der Radfahrer kam wieder aus dem Seitenweg, fuhr die Straße hinauf und bog dann links ab. Es herrschte wieder eine Ruhe, die auf Parker irgendwie künstlich wirkte.

Etwas stimmte dort am Wagen nicht. Befand sich vielleicht noch eine zweite Person in dem parkenden Gefährt?

War es vorstellbar, daß Elsom davon ausging, daß er, Parker, sich hier in Enfield aufhielt? Dies konnte durchaus sein, falls der Importeur von Spezialpapieren davon ausging, daß er nach wie vor beschattet worden war.

Warum aber genierte sich Elsom dann nicht, Kontakt mit Paul Brading aufzunehmen? Hoffte er, daß er seinen Gegner so in das Haus des Privatiers locken konnte?

Parker holte ein Fernglas aus seinem schwarzen Covercoat und prüfte durch die lichtstarke Optik den Wagen. Er sah sofort, daß die hintere Scheibe um ein Drittel geöffnet war.

Das war für ihn die Lösung des kleinen Problems.

Josuah Parker aktivierte seine Gabelschleuder und ›lud‹ sie mit einer mehrfach perforierten Plastik-Kapsel, in der sich eine Glasampulle befand. Sie enthielt bekannterweise eine farblose Flüssigkeit, die nur darauf wartete, sich mit dem Sauerstoff der Luft verbinden zu können.

Dann strammte Parker die beiden Gummistränge und riskierte den gewagten Schuß.

*

Die Kapsel war noch nicht ganz im hinteren Wagenteil verschwunden, als eine Nebelwolke aus dem Fenster schoß.

Parker hatte die Gabelschleuder erneut geladen, doch diesmal mit einer hart gebrannten Ton-Erbse. Er wartete darauf, daß die vermutete Person nun fluchtartig den Wagen verließ, in dem ein Atmen nicht mehr möglich war.

Und diese Person zeigte sich!

Sie purzelte förmlich aus dem Wagen, nachdem sie die Tür zur Straßenseite aufgestoßen hatte, schnappte nach Luft, hustete und ... sackte wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen in sich zusammen, nachdem der Butler die Ton-Erbse abgeschossen hatte.

Parker blieb in Deckung.

Hielt Elsom sich hinter der hohen Hecke auf? Oder war er ins Haus von Paul Brading gegangen?

Es rührte sich nichts an der Hecke. Parker schob sich langsam aus der Deckung. Das elektrisierende Gefühl hatte nachgelassen und wurde immer schwächer auf der Haut. Demnach war mit akuter Gefahr nicht mehr zu rechnen.

Parker erreichte den Mann, der neben dem Wagen auf der Straße lag. Er zog ihn erst mal zurück auf den Gehweg und hörte dann das Klingeln einer Fahrradglocke.

Der Radfahrer erschien erneut auf der Straße, näherte sich und ... bremste dann plötzlich, als er auf den Wagen traf.

»Brauchen Sie Hilfe, Mister Parker?« erkundigte sich der Radfahrer dann.

*

Josuah Parker hatte das Grundstück betreten und pirschte sich an die beleuchteten Fenster heran. Er hatte den Radfahrer am Wagen zurückgelassen. Der Mann hatte sich als ein Freund von Horace Pickett entpuppt, auf dem man sich verlassen konnte.

Ein Blick durch das breite Wohnzimmerfenster zeigte einen etwa fünfundsechzigjährigen Mann, der in einem hohen Lehnsessel saß und keineswegs einen entspannten Eindruck machte. Er wirkte unnatürlich starr und angespannt.

Wahrscheinlich wurde er bedroht, wie Parker unterstellte. Er diente sicher als Köder. Pete Elsom hielt sich vermutlich in einem Winkel des Wohnraumes auf, den man vom Fenster aus nicht einsehen konnte.

Damit war für den Butler klar, welche Taktik er einzuschlagen hatte.

Er ging weiter um das Haus herum und entdeckte eine zweigeteilte Küchentür, über der eine Kugellampe brannte.

Diese Tür war ihm aber doch zu einladend. Parker, der sich unablässig im Dunklen hielt, achtete nicht auf sie, ging vorsichtig weiter und entschied sich dann für etwas, womit Elsom kaum rechnen würde. Der Butler ging zurück zur Vorderfront des Cottage und ... läutete an der Tür.

Dies besorgte er allerdings mit zeitlicher Verzögerung.

Vorher hatte er die Haustür mit seinem Spezialbesteck vorsichtig geöffnet, war in den Vorflur getreten und hatte nach dem Läuten die Tür wieder blitzschnell geschlossen. Er befand sich also bereits im Haus, als dort eine erste Reaktion erfolgte.

»Los, machen Sie auf«, sagte eindeutig Pete Elsom. Parker hatte die Stimme des Papier-Importeurs sofort wiedererkannt.

Parker hörte Schritte.

Er stand im Schatten der Garderobe.

»Beeilung, Brading«, forderte Elsom den Gastgeber wider Willen auf. »Und machen Sie keine Mätzchen, sonst sind Sie tot!«

Paul Brading erschien.

Er bewegte sich schwerfällig und wurde verfolgt von Pete Elsom, der eine Schußwaffe in der rechten Hand trug. Parker konnte sie genau sehen und sich darauf einrichten.

Paul Brading hatte die Haustür erreicht und öffnete.

»Wer ist denn da?« fragte er in diesem Augenblick.

Parker nahm sich Zeit mit der Antwort. Zuerst schlug er Pete Elsom die Schußwaffe aus der Hand. Der Gangster federte wütend herum und wollte mit einem Fußtritt antworten. Doch der Butler hatte mit solch einer Reaktion gerechnet. Er langte mit der Schirmspitze zu und piekte sie in den Oberschenkel des Standbeins.

Elsom brüllte, verlor das Gleichgewicht und schlug zu Boden. Bevor er sich erneut aufraffen konnte, beendete Parker die Zwiesprache mit ihm mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Regenschirmes.

»Guter Gott, woher kommen Sie?« fragte Paul Brading, der von einer plötzlichen, durchaus verständlichen Schwäche erfaßt worden war.

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, antwortete der Butler. »Meine Wenigkeit war so frei, ungefragt näher zu treten.«

»Was geht denn hier eigentlich vor?« wollte Brading senior wissen.

»Wenn Sie erlauben, wird man erst mal Mister Elsom daran hindern, später unangenehm zu werden.«

Josuah Parker bemühte seine Rolle Packband und brauchte nur wenige Augenblicke, bis er Elsom fest verschnürt und verklebt hatte. Danach hob er den Mann ohne sichtbare Kraftanstrengung und drückte ihn in einen Sessel, der im Hauptflur stand. Paul Brading hatte bisher schweigend zugesehen. Er saß auf einem Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Sie wurden quasi überfallen, Mister Brading?« fragte der Butler.

»Überfallen, ja ...« Paul Brading nickte. »Ich mußte mich vor den Fernseher setzen und durfte mich nicht rühren.«

»Man kann davon ausgehen, daß Sie diesen Mann noch nie gesehen haben?«

»Noch nie«, bestätigte der Papier-Importeur. »Um was geht es eigentlich? Hat er auf Sie gewartet?«

»Davon sollte man in der Tat ausgehen«, erwiderte Parker. »Mister Elsom verteilt falsche Banknoten, auch Blüten genannt.«

»Wieso wußten Sie, daß er hier ist?« erkundigte sich der Bewohner des Cottage.

»Mister Elsom wurde diskret observiert?« entgegnete der Butler. »Könnte es übrigens sein, daß Sie vor Jahren mal mit der Firma Elsom zusammengearbeitet haben, Mister Brading?«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Ihr Sohn Jerry sprach davon, wenn auch nur beiläufig.«

»Da... da muß er sich geirrt haben«, erwiderte Paul Brading umgehend und erhob sich. Er schlurfte zurück in den Wohnraum und ließ sich wieder in den Lehnsessel fallen. Seine Hand schob sich unter ein Sitzkissen neben der Lehne.

*

»Was wollen Sie mir denn nachweisen?« blaffte Elsom. Der Gangster war wieder zu sich gekommen und hatte sich mit seiner momentanen Situation abgefunden. »Ich werde alles abstreiten. Was Mitchlay Ihnen da angeblich erzählt hat, stimmt doch vorn und hinten nicht, Parker. Ich wette, er wird seine Aussagen zurücknehmen. Der hat doch nur aus Angst vor Ihnen geschwindelt.«

»Demnach wissen Sie nach wie vor nichts von Blüten, Mister Elsom?« erkundigte sich der Butler. Er befand sich mit Elsom noch immer im Cottage des Paul Brading und wartete auf die Ankunft der älteren Dame, die er telefonisch verständigt hatte.

»Ich hab’ mit Blüten nichts zu tun«, erklärte Elsom mit Nachdruck. »Haben Sie etwa welche bei mir gefunden?«

»Haben Sie sie nach Brixton geschafft?«

»Aha, ich wußte doch, daß Sie mich beobachten ließen.« Elsom grinste überlegen, um erst mit einiger Verspätung zu merken, daß er sich im Grund verplappert hatte.

»Demnach haben Sie alles getan, um meine Wenigkeit und Mylady wieder nach Enfield zu holen, Mister Elsom?«

»Warum sollte ich?«

»Um hier für das zu sorgen, was man gemeinhin ›Reinen-Tisch-machen‹ zu nennen pflegt, Mister Elsom. Das hier sollte die Falle sein.«

»Mann, was Sie sich da alles zusammenreimen«, wunderte sich Elsom und lächelte schon wieder überlegen.

»Sie haben in der Vergangenheit niemals mit Mister Paul Brading geschäftliche Beziehungen unterhalten?«

»Mit dem da?« Elsom blickte zu Brading senior hinüber, der nachdenklich und müde im Sessel saß. Seine Hand befand sich noch immer unter dem Kissen.

»Mister Jerry Brading behauptete dies meiner Wenigkeit gegenüber«, gab der Butler zurück.

»Ich kenn‘ ihn überhaupt nicht«, kam Elsoms Antwort. »Was Jerry Brading sagt, geht mich nichts an. So, und jetzt tun Sie endlich was. Ich hab’ keine Lust, mich weiter von Ihnen verhören zu lassen, Parker. Rufen Sie doch die Polizei, wenn Sie glauben, einen Trumpf gegen mich in der Hand zu haben.«

»Zuerst sollten Sie sich noch mit Lady Simpson unterhalten«, schlug der Butler mit gewohnter Höflichkeit vor. »War es nicht etwas sehr leichtsinnig von Ihnen, auf die Firma Brading zu verweisen?«

»Ich habe überhaupt keine Namen genannt«, behauptete der Importeur von Spezialpapieren. »Reden Sie mir doch nichts ein, Parker!«

»Es war Ihr Fehler, gewisse Dinge auf die leichte Schulter genommen zu haben«, faßte der Butler zusammen. »Sie dachten, dies noch zurechtrücken zu können, Mister Elsom. Man darf an Mister Mitchlay erinnern, der alle Anstrengungen unternahm, Mylady und meine Wenigkeit auszuschalten.«

»Phantasieren Sie von mir aus ruhig weiter, Parker. Sie können mir überhaupt nichts nachweisen. Wie oft muß ich Ihnen das noch sagen?«

»Nehmen Sie ihn mit und lassen Sie mich bitte allein«, bat Paul Brading. »Ich bin müde.«

Bevor der Butler darauf antworten konnte, waren energische und schnelle Schritte zu vernehmen. Mylady kündigte damit ihr Erscheinen an.

Agatha Simpson beherrschte mit ihrer majestätischen Fülle sofort die Szene, blickte zuerst auf Paul Brading und dann auf Pete Elsom. Sie zog die Lorgnette aus einer Tasche ihrer Kostümjacke, klappte sie auseinander und musterte den Gangster dann durch die Stielbrille wie ein seltenes Insekt.

Der Mann spürte sofort, welche Energie von der älteren Dame ausging und zog unwillkürlich den Kopf ein.

»Sie haben wieder mal Glück gehabt, Mister Parker«, stellte Lady Agatha dann fest und wandte sich ihrem Butler zu. »Um ein Haar wären Sie in eine Falle getappt.«

»Das Glück stand möglicherweise auf der Seite meiner Wenigkeit«, sagte Josuah Parker.

»Sie brauchen ab sofort kein Glück mehr, Mister Parker«, meinte die Detektivin mit Nachdruck. »Jetzt bin ja ich hier!«

*

»Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, Mister Parker, daß Sie wieder mal einen Kardinalfehler begangen haben«, räsonierte die ältere Dame eine halbe Stunde später, »Mylady billigen nicht die Handlungsweise meiner Wenigkeit?« Parker und seine Herrin befanden sich wieder im Landhotel. Sie hielten sich in der Lounge auf und waren allein. Horace Pickett hatte Pete Elsom und dessen Mitarbeiter in seine Obhut genommen und im Wagen abtransportiert.

»Hätten Sie mich dieses Subjekt verhören lassen, Mister Parker, wüßte ich längst, wo die Blüten gedruckt werden.«

»Mister Elsom hätte unter Umständen weiter gelogen, Mylady.«

»Nicht, wenn ich ihn verhört hätte«, widersprach sie grimmig. »Worauf warte ich hier eigentlich? Im Fernsehen läuft ein sehr interessanter Kriminalfilm.«

»Mister Pickett und seine Freunde sind nach wie vor in Myladys Sinne tätig.«

»Hier gibt es für mich nichts mehr zu holen«, ärgerte sie sich. »Oder vielleicht doch?«

»Myladys Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Mister Paul Brading.«

»Auf Paul Brading?« staunte sie, um dann zu nicken. »Nun ja, eine Lady Simpson pflegt nie etwas zu übersehen.«

»Mister Jerry Brading behauptete, sein Vater habe seinerzeit eine geschäftliche Beziehung mit Mister Elsom unterhalten, was Mister Paul Brading jedoch strikt verneinte.«

»Und welche Schlußfolgerung ziehe ich daraus?« wollte sie wissen.

»Mister Jerry Brading könnte gelogen haben.«

»Oder auch sein Vater, Mister Parker.« Sie blickte ihn triumphierend an.

»Auch diese Möglichkeit sollte man in Betracht ziehen, Mylady.«

»Und wie finde ich heraus, wer da gelogen hat?«

»Möglicherweise wird Mister Paul Brading reagieren, Mylady.«

»Natürlich wird er das tun und ...« Sie unterbrach sich, als der Nachtportier erschien und Parker ans Telefon bat. Der Butler entschuldigte sich bei der älteren Dame, ging nach vorn zur Rezeption und meldete sich.

»Pickett hier«, hörte er. »Brading ist losgefahren, wie meine Freunde gerade durchgegeben haben, Mister Parker. Aber ich habe noch eine wichtige Nachricht für Sie.«

»Könnte es hier in Enfield einen kleinen Druckereibetrieb geben, der der Familie Brading gehört?«

»Woher wissen Sie das?« kam die verblüffte Gegenfrage.

»Meine Wenigkeit unterhielt sich mit dem Nachtportier des Landhotels hier. Personen dieser Art pflegen stets gut informiert zu sein.«

»So einfach ist das«, meinte Pickett und lachte leise. »Aber es stimmt wirklich. Die Bradings aus London haben einen Kunstdruck-Verlag hier in Enfield aufgekauft.«

»Diese Auskunft deckt sich mit der, die meine Wenigkeit erhielt, Mister Pickett.«

»Ich war noch mal in Paul Bradings Cottage, nachdem er das Haus verlassen hatte. Ich rufe auch von dort aus an. In seinem Telefon-Register fand ich die Adresse.«

»Die meine Wenigkeit ungemein interessiert.«

Pickett gab sie durch und legte dann auf. Parker bemühte sich zurück zu Lady Simpson, die ihn ungeduldig-gereizt anblickte.

»Was ist denn jetzt?« wollte sie wissen. »Entweder es tut sich endlich etwas, Mister Parker, oder ich werde mir den Kriminalfilm ansehen.«

»Mylady haben die Gelegenheit, einen Kriminalfilm in natura mitzuerleben.«

»Nun, ich werde mich überraschen lassen«, reagierte sie mehr als skeptisch. »Ich will Ihnen aber die Freude nicht verderben, Mister Parker. Sie brauchen ein Erfolgserlebnis.«

*

Die Szene war gespenstisch.

In einem bereits geschaufelten Grab standen zwei durchaus muskulöse Männer und beförderten zusätzliches Erdreich nach oben. Am Rand des Grabes sah man zwei weitere Männer.

Einer von ihnen war eindeutig Paul Brading, der in das tiefe Loch starrte. Sein Begleiter war wesentlich jünger, rauchte und blickte immer wieder auf seine Armbanduhr.

Die Grabsteine, das fahle Mondlicht, Weidenbäume, die in ihm wie Scherenschnitte aussahen, und eine kleine Kirche im Hintergrund lieferten der älteren Dame eine Atmosphäre, wie sie kein Film hätte bieten können.

»... vergessen und begraben«, sagte der Raucher gerade zu Paul Brading. »Morgen kommt hier ein Sarg ’rein. Wer vermutet dann schon, was sich unter ihm befindet?«

»Das geht nicht gut, Michael«, antwortete Paul Brading. »Unterschätze die beiden Leute nicht! Ich habe miterlebt, wie sie Elsom überlistet haben...«

»Ohne Beweise keine Anklage, Dad«, erwiderte der Zigarettenraucher. »Und Elsom wird sich hüten, auch nur ein einziges Wort zu sagen.«

»Warum das alles?« Paul Brading wies in das Grab.

»Warum nicht, Dad?« fragte Michael Brading zurück. »Schneller kann man kein Geld verdienen.«

»Und gefährlicher kann man nicht leben, Michael.«

»Mach’ dir keine Sorgen, Dad. In einer halben Stunde sind alle Spuren verwischt.«

Die beiden Männer stiegen aus dem Grab und blickten Michael Brading abwartend an.

»Das war’s«, meinte er und lachte leise. »Habt ihr die Platten tief genug eingegraben?«

»Die findet kein Mensch mehr«, sagte einer der beiden Männer.

»Was man nicht suchen muß, braucht man auch nicht zu finden«, hörte man in diesem Augenblick die Stimme von Josuah Parker. Er trat hinter einem windschief stehenden Grabstein hervor und richtete eine Schußwaffe auf die Gruppe. Neben ihm erschien die ältere Dame, die eine sehr altertümlich aussehende Blendlaterne in Händen hielt.

Michael Brading blieb wie erstarrt stehen, die beiden Grabschaufler blickten ihren Arbeitgeber an und spannten sich. Sie wollten noch nicht aufgeben, wie deutlich zu sehen war.

»Zurück ins Grab und die Druckplatten ’rausholen«, befahl die passionierte Detektivin energisch. »Beeilen Sie sich gefälligst, in einer halben Stunde bringt das Fernsehen eine Show!«

»Sie sollten Myladys Wünschen möglichst umgehend entsprechen«, empfahl der Butler den beiden Männern. »Sie riskieren sonst empfindliche Blessuren.«

»Sie werden doch niemals schießen«, rief Michael Brading.

Parker schoß aber doch ...

Dicht vor den Schuhspitzen des Mannes erhob sich eine kleine Erdfontäne aus dem weichen Boden. Michael Brading zuckte zusammen, während die beiden Männer munter ins Grab hüpften, um mit ihrer Arbeit zu beginnen.

»Sehr schön«, lobte die resolute Dame. »Das sieht schon recht begabt aus!«

*

»Ich möchte mich bedanken«, sagte Chief-Superintendent McWarden. Er war im Haus der älteren Dame in Shepherd’s Market erschienen und überreichte Lady Simpson nicht nur einen Blumenstrauß, sondern auch eine ansehnlich große Schachtel Pralinen.

»Sie haben sich ja in Unkosten gestürzt«, wunderte sich Lady Agatha.

»Das bin ich Ihnen schuldig«, versicherte McWarden. »Michael Brading hat ein Geständnis abgelegt. Daraufhin hat auch Pete Elsom die Waffen gestreckt und Farbe bekannt. Von den übrigen Handlangern und Mitläufern ganz zu schweigen.«

»Könnte man demnach sagen, daß gewisse Blütenträume welkten, Sir?« fragte Parker.

»Mylady und Sie haben die Blüten endgültig abgeräumt«, erwiderte McWarden und strahlte. »Die Idee stammte von Elsom, der wohl kaum Schwierigkeiten hatte, Michael Brading zum Falschdruck zu überreden.«

»Wußte sein Bruder Jerry davon?« wollte Parker wissen.

»Genau danach wollte ich gerade fragen«, warf Agatha Simpson ein. Sie hatte bereits die Schachtel geöffnet und sichtete den üppigen Inhalt mit großem Interesse.

»Er auch und sitzt daher bereits«, lautete die Antwort »Er hat sich ja wohl Ihnen gegenüber verraten, Mister Parker, oder?«

»Er sprach von einer früheren Geschäftsbeziehung seines Vaters mit Elsom«, sagte der Butler. »Vor Ort in Enfield erwies sich dies als unrichtig.«

»Paul Brading war ahnungslos«, bestätigte der Chief-Superintendent. »Für ihn brach eine ganze Welt zusammen, als ihm aufging, daß seine Söhne Falschgeld druckten.«

»Waren da nicht noch einige Subjekte, die ich jagte?« tippte die ältere Dame an.

»Faldex«, bestätigte McWarden. »Er besorgte die Druckplatten und legte falsche Spuren. Elsom war für das Papier zuständig, das er aus Schweden bezog.«

»Muß man bei den betreffenden Personen reine Geldgier unterstellen, Sir?« fragte der Butler.

»Und ob«, bestätigte McWarden und nickte. »Man wollte in kürzester Zeit das große Geld machen. Nun, dieser Spuk ist endgültig vorbei.«

»Dank mir«, ließ Lady Agatha sich vernehmen. »Aber ich will das nicht weiter vertiefen.«

»Bleibt noch die Frage nach Mister Atkins, dem Betreiber des ›Lunatica‹«, erinnerte Parker. »Er verwies schließlich auf Mister Elsom.«

»Atkins ist sauber, Mister Parker. Sein Hotel ist seine legale Gelddruckmaschine. Schneller kann man Geld nicht verdienen.«

»Da wäre doch noch eine Frage, mein lieber McWarden«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen.

»Hoffentlich kann ich sie beantworten, Mylady.«

»Gibt es nur diese Schachtelgröße?« wollte die Diät-Liebhaberin wissen und deutete auf die Packung, die vor ihr auf dem Couchtisch lag. »Sie sollten dies bei Gelegenheit mal genau feststellen.«

McWarden bekam einen leicht roten Kopf und hüstelte. Josuah Parkers Gesicht hingegen blieb glatt und ausdruckslos wie stets, zumal er mit solch einer gezielten Frage bereits innerlich gerechnet hatte.

Der exzellente Butler Parker Box 6 – Kriminalroman

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