Читать книгу Der exzellente Butler Parker Box 7 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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Butler Parker konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß man ihn berauben wollte.

Er hörte hinter sich das Stakkato harter Absätze auf dem Asphalt des Parkplatzes und richtete sich innerlich auf einen Überfall ein. Er war gerade aus einem Bürohaus gekommen, in dessen Erdgeschoß sich eine Druckerei befand. Hier hatte er neue Visitenkarten für Lady Simpson und sich in Auftrag gegeben. Er war auf dem Weg zu seinem sogenannten hochbeinigen Monstrum.

Die Gelegenheit für einen Überfall war günstig. Am späten Nachmittag herrschte auf dem Parkplatz nur wenig Betrieb. Parker hatte längst herausgehört, daß er es mit zwei Personen zu tun hatte, die immer schneller aufschlossen.

Der Butler beschleunigte seine Schritte und täuschte Angst vor. Dann aber bremste er jäh, wandte sich um und benutzte seinen altväterlich gebundenen Regenschirm als Kendo-Stock.

Er sah sich zwei etwa dreißigjährigen, mittelgroßen und schlanken Männern gegenüber, die er durch sein Bremsmanöver überrascht hatte. Einer von ihnen beging den Kardinalfehler, ein Klappmesser aufspringen zu lassen. Der andere Mann wich einen halben Schritt zurück und wollte etwas sagen, doch Parker stellte erst mal klar, daß er kein wehrloses Opfer war.

Er hatte seinen Universal-Regenschirm an beiden Enden gefaßt und setzte die Männer innerhalb weniger Sekunden außer Gefecht. Sie wurden von gezielten Schlägen getroffen, waren außerstande, die Arme anzuheben und sackten in sich zusammen, nachdem der Butler den bleigefüllten Bambusgriff seines Regendachs krönend eingesetzt hatte. Das Klappmesser lag längst auf dem Asphalt und war unerreichbar für den Besitzer.

»Meine Wenigkeit bittet Sie keineswegs um Entschuldigung«, sagte Josuah Parker, der einen völlig unberührten Eindruck machte. »Würden Sie mir dennoch freundlicherweise erklären, was Sie sich von Ihrem geplanten Überfall versprachen?«

Die beiden Männer starrten ihn an. Sie fühlten sich mit Sicherheit nicht besonders wohl.

»Ein ... ein Mißverständnis«, sagte Schließlich der ehemalige Besitzer des Klappmessers mit schwacher Stimme.

»Stimmt haargenau«, fügte sein Begleiter hinzu.

»Wir ... wir sind hinter ’nem Kerl her, der uns reingelegt hat«, behauptete der erste Mann und richtete sich auf.

»Der sah von hinten aus wie Sie«, behauptete der zweite Mann, »so mit Melone und Schirm.«

»Dann seien Sie meines Mitgefühls versichert.« Parker lüftete die schwarze Melone und gab den Burschen die Chance, ihn noch mal anzugreifen. Er trat hinter die beiden Männer und half dem Messerfreund hoch, was nicht ganz einfach war. Der hatte nämlich einige Hiebe einstecken müssen, die noch intensiv nachwirkten. Der Mann ließ sich willig aufrichten und merkte nicht, daß der Butler ihn mit geschickten Fingern blitzschnell um seine Brieftasche brachte.

Schließlich stand er wieder auf den Beinen und schüttelte verwundert den Kopf. Er maß den Butler mit intensivem Blick.

»Ich glaub’s einfach nicht«, sagte er schließlich. »Wer, zum Teufel, sind Sie eigentlich?«

»Gibt es möglicherweise einen Grund für diese Frage?«

»Wie ... wie haben Sie uns fertiggemacht?« wunderte sich der Mann.

»Nehmen Sie an, daß es sich um eine automatische Abwehr handelte«, meinte Josuah Parker. »Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit sich jetzt empfehlen. Entstandene Prellungen sollten Sie übrigens mit Alkoholumschlägen kühlen.«

Er lüftete noch mal die schwarze Melone und ging zu seinem Wagen. Es handelte sich dabei um ein sehr betagt aussehendes Gefährt, das in grauer Vorzeit als Original-Taxi in den Londoner Straßen seinen Dienst getan hatte.

Dieser hochbeinige Wagen barg eine Fülle von technischen Raffinessen, die man ihm jedoch nicht ansah. Eingeweihte hielten diesen Wagen nicht grundlos für eine Trickkiste auf Rädern.

Die Kerle starrten seinem Wagen nach, als er sie wenig später bewußt langsam passierte. Parker wollte ihnen Zeit und Gelegenheit geben, sich das Kennzeichen einzuprägen.

Hatten sie ihn wirklich mit einer anderen Person verwechselt? Oder war es hier um die Begleichung einer alten Rechnung gegangen? Parker war durchaus bereit, sich überraschen zu lassen.

*

»Sie wissen hoffentlich, Mister Parker, daß Sie wieder mal einen großen Fehler begangen haben«, mokierte sich Lady Agatha. »Selbstverständlich hätten Sie die beiden Lümmel mitbringen müssen.«

»Könnten Mylady sich möglicherweise entschließen, meiner Wenigkeit noch mal zu verzeihen?« erkundigte sich Josuah Parker. Als Verkörperung eines hochherrschaftlichen Butlers war er nicht aus der Ruhe zu bringen. Sein glattes Gesicht zeigte keine Regung. Seine Stimme war höflich-beherrscht.

»Natürlich will man sich letztendlich mit mir anlegen«, redete sie weiter und ging auf seine Frage nicht ein. »Sie wissen, wie sehr die Unterwelt mich fürchtet.«

»Mylady sind der Garant für Panik, wo Mylady auch immer auftauchen mögen«, erklärte Parker doppelsinnig.

»Ich weiß, ich weiß.« Sie lächelte wohlwollend und nickte. »Ich bin eben einfach zu erfolgreich, Mister Parker. Sie wissen also nicht, wer die beiden Subjekte waren?«

»Einer von ihnen heißt Dan Meggan, Mylady, wie aus seinen privaten Papieren hervorgeht. Mister Meggans Brieftasche enthielt Hinweise darauf, daß er sich als Zeitschriftenwerber betätigt.«

»Natürlich nur ein vorgeschobener Beruf«, erwiderte die ältere Dame. Sie war groß, stattlich und hatte ihren sechzigsten Geburtstag hinter sich.

Lady Agatha, immens vermögend, unkonventionell und dynamisch wie ein Räumpanzer, legte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der Unterwelt an und war gefürchtet wegen ihrer irrationalen Methoden. Sie pflegte jedes Vorurteil und merkte nicht, daß Butler Parker stets eine schützende Hand über sie hielt.

»Die Adresse des Mister Meggan ist bekannt, sie geht aus den Papieren hervor«, meinte Parker.

»Ich werde mich umgehend mit diesem Lümmel beschäftigen«, kündigte sie umgehend an. »Aber da war doch noch etwas, über das ich mich wundere, Mister Parker.«

»Mylady weisen sicher auf die angebliche Verwechslung hin«, gab der Butler zurück. »Falls dem so war, muß jene Person mit der man meine Wenigkeit verwechselte, in der Nähe des Parkplatzes wohnen.«

»Genau das ist es.« Sie nickte. »Aber es war natürlich keine Verwechslung, Mister Parker. Es ging und geht einzig und allein um mich.«

»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an.

»Wo finde ich dieses Subjekt also?« wollte sie wissen.

»In Stepney, Mylady. In der Brieftasche fanden sich zwei Kontoauszüge einer Bank, die die genaue Adresse aufweisen.«

»Worauf warte ich dann eigentlich noch?« Sie schob ihre majestätische Fülle aus dem tiefen Ledersessel und schritt hinüber zur geschwungenen Freitreppe, die ins Obergeschoß des altehrwürdigen Fachwerkhauses führte, das sie hier im Herzen von London, genauer gesagt in Shepherd’s Market bewohnte.

Josuah Parker begab sich ins Souterrain des Hauses, wo seine privaten Räume lagen. Er hielt sich nur kurz im sogenannten Labor auf und versorgte sich mit einigen Spezialitäten, die er entwickelt hatte. Sie dienten dazu, auf unblutige Art etwaige Angreifer in die Schranken zu verweisen.

Als er wieder in der Wohnhalle erschien, war Lady Agatha bereits auf der Treppe. Sie prüfte ihren perlenbestickten Pompadour und dann den Sitz ihres geradezu abenteuerlich anmutenden Hutes. Er schien eine leicht mißglückte Kreuzung aus einem Napfkuchen und einem Südwester zu sein. Einige neckisch arrangierte Kunstblumen garnierten diese Schöpfung der Hutmacherei.

»Haben Sie schon daran gedacht, daß man mich bereits vom an der Durchgangsstraße abfangen könnte?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Man wird sich doch hoffentlich das Kennzeichen Ihres Wagens gemerkt haben, oder?«

»Dies, Mylady, kann man als sicher unterstellen.«

»Dann rechne ich mit scharfen Schüssen«, prophezeite die passionierte Detektivin fast erfreut. »Richten Sie sich also darauf ein, Mister Parker.«

»Man wird möglichen Anfängen wehren, Mylady.«

»Sehr schön«, redete Agatha Simpson weiter. »Ich habe den Eindruck, Mister Parker, daß dieser Abend noch recht abwechslungsreich werden wird. In den Fernsehprogrammen ist ohnehin nichts, was mich interessieren könnte. Wissen Sie, das Leben schreibt immer noch die besten Krimis.«

Gegen diese profunde Erkenntnis hatte Parker keine Einwände vorzubringen.

*

»Ich werde nicht verfolgt?« grollte sie eine Viertelstunde später. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und war leicht verärgert. Sie hatte scharfe Schüsse vermißt und wartete nun auf Verfolger, die der Butler bisher allerdings noch nicht wahrgenommen hatte.

»Mister Meggan wird seine Brieftasche längst vermißt haben, Mylady«, gab Parker zurück. »Vielleicht setzt er darauf, daß Mylady ihn aufzusuchen gedenken.«

»Daran habe auch ich bereits gedacht.« Sie nickte. »Er wird mir in seiner Wohnung eine Falle stellen, nicht wahr?«

»Die sollte man nicht ausschließen, Mylady.«

»Dieses Subjekt wird sich wundern«, kündigte die ältere Dame an. »Es wird sich in seiner eigenen Falle fangen.«

»Mylady werden den Spieß umkehren.«

»Hoffentlich steuern Sie eine hübsche Idee dazu bei, Mister Parker«, verlangte sie im vorhinein. »Ich kann schließlich nicht alles allein machen.«

Nun, sie erlebte eine herbe Enttäuschung.

Von einer Falle konnte überhaupt keine Rede sein. Dan Meggans kleine Wohnung erwies sich als leer. Parker hatte das Schloß der Tür dazu überredet, sich freundlicherweise zu öffnen und hatte dazu sein kleines Spezialbesteck benutzt. Mylady rechnete allerdings noch immer mit Überraschungen.

»Irgendwo ist sicher eine Sprengladung angebracht«, hoffte sie. »Seien Sie vorsichtig, Mister Parker, wenn Sie die Wohnung durchsuchen.«

Nun, viel war da nicht zu durchsuchen. Die Einrichtung zeichnete sich nicht gerade durch Üppigkeit aus. Es gab eine abgewetzte Sitzgruppe, ein kleines, verschrammtes Sideboard, einen Fernsehapparat und einen Arbeitsplatz in Fensternähe, der mit Zeitschriften aller Art bepackt war.

In einem kleineren Nebenraum befanden sich ein Doppelbett, ein Kleiderschrank und ein Akten-Rollschrank, in dem Dan Meggans Wäsche untergebracht war. Auch das winzige Badezimmer bot keine Geheimnisse.

»Sehr verdächtig«, urteilte Lady Agatha, als Parker meldete, nichts gefunden zu haben. »Hier sind absichtlich alle Spuren beseitigt worden.«

Josuah Parker sichtete einige Papiere auf dem Arbeitstisch. Er hatte ein Auftragsbuch entdeckt, aus dem eindeutig hervorging, daß Dan Meggan tatsächlich als Zeitschriftenwerber arbeitete. Parker hatte sogar den Eindruck, daß Meggan durchaus fleißig war. Der Mann hatte in den vergangenen Wochen vielen Mitbürgern Abonnements verkauft. Während Mylady bereits leichte Ungeduld zeigte, schaute Parker sich die Adressen der neuen Zeitschriftenkunden an.

Und er wurde fündig!

In dem Auftragsblock fand er genau die Straße mit der Druckerei, die er erst vor einigen Stunden aufgesucht hatte. Der betreffende Kunde Lester Greene war vor fünf Wochen geworben worden. Er hatte sich für eine geographische Zeitschrift und einen Sprachkurs in Portugiesisch entschieden.

»Was machen Sie denn da, Mister Parker?« räsonierte Agatha Simpson gereizt. »Das alles ist doch reine Zeitverschwendung.«

»Möglicherweise, Mylady.« Parker hatte aus einer der Taschen seines schwarzen Covercoats einen Fotoapparat hervorgeholt, der kaum größer war als ein Feuerzeug. Er schaltete die Tischlampe ein und fotografierte weitere Namen und Adressen.

»Sie haben etwas entdeckt?« Die ältere Dame war neugierig geworden.

»Möglicherweise, Mylady«, antwortete der Butler, der sich weiter informiert hatte. »Mister Meggan arbeitet für einen Verlag, der sich ›Freizeit und Hobby‹ nennt.«

»Was will das schon besagen?« Sie winkte desinteressiert ab. »Das bringt mich überhaupt nicht weiter.«

Parker war zwar anderer Meinung, äußerte sich aber nicht. Er stellte auf dem Schreibtisch die alte Ordnung wieder her und war dann bereit, die kleine Wohnung zu verlassen.

»Man hat sich mit dem Überfall auf mich Zeit gelassen«, sagte Agatha Simpson, als man sich im Korridor befand. »Sie werden sehen, Mister Parker, daß gleich die Schläger auftauchen.«

Sie hatte den Satz kaum beendet, als vorn im Treppenhaus zwei handfeste Männer erschienen. Sie kamen .mit schnellen Schritten auf Lady Agatha und Butler Parker zu.

»Jetzt werden ich Ihnen mal zeigen, wie man mit solchem Gelichter umgeht«, kündigte sie an und brachte ihren Pompadour in erste Schwingung.

*

Im Handbeutel der älteren Dame befand sich der sogenannte Glücksbringer, ein veritables Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Der Pompadour wiederum hing an einigen Lederschnüren am Handgelenk seiner Besitzerin.

Es war unbestritten, daß Lady Agatha mit dem Requisit einer Dame gut umzugehen verstand. Darüber hinaus war sie eine sportlich geübte Frau, die mit Hingabe, aber ohne Erfolg Golf spielte und den Sportbogen schoß. Ihre Muskulatur war also keineswegs unterentwickelt.

Agatha Simpson, die sich zwei Gegnern gegenübersah, ergriff die Initiative. Nach dem Motto, wonach der Angriff die beste Verteidigung sei, setzte sie ihren Glücksbringer mit einem gekonnten Bogenschlag auf den Kopf des Mannes, der links vor ihr erschienen war.

Das Hufeisen tat seine Wirkung!

Der Getroffene verdrehte die Augen, stieß einen ächzenden Laut aus und ging beeindruckt in die Knie. Er fiel seitlich gegen die Wand des Korridors und schob die wegrutschenden Beine in den Weg seines Begleiters.

Der stolperte und warf sich vor, was Mylady völlig mißdeutete. Sie trat geschmeidig zur Seite, ließ ihn passieren und langte dann mit ihrem Pompadour noch mal zu.

Der Glücksbringer krachte ins Kreuz des Stürzenden, der daraufhin eine Streckbewegung nach vorn machte und dann mit der Bauchseite auf dem abgetretenen Teppichläufer landete.

Parker lüftete die schwarze Melone in Richtung Mylady und beglückwünschte sie mit wohlgesetzten Worten zu ihrem Erfolg.

»Nehmen Sie sich daran ein Beispiel, Mister Parker«, gab sie wohlwollend zurück. »Jetzt können Sie von mir aus Fragen stellen.«

Parker kümmerte sich um die beiden Männer, die wie paralysiert waren. Er durchsuchte sie, fand aber keine Papiere. Doch entdeckte er je ein Klappmesser und zwei Stahlruten, deren teleskopartige Glieder in einer Metallhülse zusammengeschoben waren.

»Nun, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen.

»Einiges deutete darauf hin, Mylady, daß man es nicht mit Normalbürgern zu tun hat«, erwiderte er. »Man sollte die beiden Herren vielleicht einem kurzen Verhör unterziehen. Dazu bietet sich Mister Meggans Wohnung an.«

»Tun Sie, was ich für erforderlich halte«, lautete ihre Antwort, »aber lassen Sie sich nicht hereinlegen. Sie neigen zum Leichtsinn.«

Parker verzichtete auf eine Antwort, stellte die beiden Männer auf die Beine und dirigierte die Benommenen zurück in die kleine Wohnung des Mr. Dan Meggan. Dort drückte er sie auf die Sitzcouch und trat diskret zurück, damit Lady Simpson mit ihrem Verhör beginnen konnte.

Die beiden Kerle kamen wieder zu sich und blickten Mylady und Parker in einer Mischung aus Verstörtsein und Respekt an.

»Ich habe da einige Fragen, die Mister Parker an Sie richten wird«, schickte sie voraus. »Ich verlange wahrheitsgemäße Antworten.«

»Sie hatten die Absicht, Mister Meggan einen Besuch abzustatten?« erkundigte Parker sich.

Die beiden Männer nickten erstaunlicherweise.

»Und was ist der Grund Ihres gemeinsamen Besuches?«

»Das geht dich doch ’n Dreck an«, sagte der Mann, dessen Kopf in Mitleidenschaft gezogen war. Dann zuckte er allerdings zusammen und blickte ungläubig auf die Seitenlehne der Couch, wo der Pompadour gelandet war. Das Holz war rissig geworden und zeigte eine erste Bruchstelle.

»Schade«, bedauerte die ältere Dame. »Ich wollte eigentlich Sie treffen, junger Mann.«

Während sie redete, ließ sie ihren Pompadour kreisen, worauf beide Männer sichtlich kleiner wurden. Sie schoben sich auf der Couch zurück und starrten entnervt auf den Handbeutel.

»Stopp, Lady, stopp«, sagte der Mann hastig. »Wir reden ja schon. War nicht so gemeint.«

»Sie kennen die Frage«, erinnerte Parker in seiner höflichen Art.

»Dennis Frankler hat uns raufgeschickt«, meinte der Mann dann mitteilungsfreudig. »Wir sollten uns mal Meggan zur Brust nehmen.«

»Und wo, wenn man fragen darf, befindet sich Mister Frankler momentan?«

»Unten auf der Straße, der sitzt in seinem Schlitten.«

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, ihn zu bitten, hier zu erscheinen?«

»Dennis Frankler?« Der Mann schien begriffsstutzig zu sein

»Mister Dennis Frankler«, bestätigte der Butler. »Sie könnten dies durch entsprechende Handzeichen vom Fenster aus in die Wege leiten.«

»Ob der aber kommt, weiß ich nicht.«

»Sie sollten es auf einen Versuch ankommen lassen.«

»Vielleicht erheben Sie sich!« Lady Agatha trat einen halben Schritt vor und beeindruckte ihn mit ihrer Fülle. Der Mann erhob sich und ... attackierte die ältere Dame. Er schien sich eine Chance ausgerechnet zu haben und versuchte es mit einem Überraschungsangriff.

Es blieb allerdings bei diesem Versuch.

Nachdem er sich einen Tritt gegen das linke Schienbein eingefangen hatte, humpelte er ans Fenster, schob es hoch und winkte nach unten. Er gab sich sehr gehorsam und machte keinen Versuch, seinen Auftraggeber zu warnen.

»Genug, junger Mann, übertreiben Sie nicht«, meinte die ältere Dame und zog ihn vom Fenster zurück. »Sie können mich übrigens ruhig noch mal angreifen. Sie haben ja noch das rechte Schienbein!«

*

Der mittelgroße, ein wenig rundliche Mann mochte etwa vierzig sein. Er produzierte einen halblauten und sehr hohen Schrei, als Parker ihn mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms gleich hinter der Wohnungstür abfing. Dieser Griff legte sich um den Hals des Eintretenden, der sicher den Eindruck hatte, eine armdicke Schlange habe sich mit ihm befaßt.

»Sie sollten sich vorerst keine Sorgemachen, Mister Frankler«, schlug der Butler vor. »Alles hängt aber davon ab, wie Sie Myladys Fragen beantworten werden.«

»Wer ... wer sind Sie?« wollte der mittelgroße Mann wissen. Er hatte inzwischen registriert, daß seine Mitarbeiter sehr angeschlagen auf der Couch saßen.

»Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Simpson Fragen beantworten zu dürfen«, antwortete Parker. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«

»Arbeiten Sie mit Meggan zusammen?«

»Nicht unbedingt, Mister Frankler, aber nun zu Myladys Fragen. Warum sollten die beiden Herren Mister Dan Meggan zur Brust nehmen, wie sie sich ein wenig volkstümlich ausdrückten?«

»Meggan ist ein Dreckskerl«, lautete die Antwort. »Er hat meinen Bruder gelinkt und restlos ausgenommen.«

»Könnten Sie sich womöglich ein wenig präziser ausdrücken, Mister Frankler? Mister Meggan geht dem Beruf eines Zeitschriftenwerbers nach.«

»Geschenkt«, reagierte er verächtlich. »Das ist doch nichts als Tarnung. Meggan macht auf Schlepper und Kassierer.«

»Werden Sie endlich deutlich, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich grollend ein. »Ich verbitte mir vage Andeutungen.«

»Meggan reißt Leute auf, die eigentlich nur ein harmloses Spiel machen wollen. Und dann werden diese Trottel ausgenommen, daß es nur so kracht. Und wer nicht bezahlen kann, der unterschreibt Schuldscheine oder muß ’nen Kredit aufnehmen, Lady. War das deutlich genug?«

»Ihr Herr Bruder war nicht in der Lage, dies alles rechtzeitig zu durchschauen?« wunderte sich Josuah Parker.

»Willie ist ein Rindvieh«, meinte Dennis Frankler. »Er hat in Sussex ’ne Schreinerei und war hier zu Besuch.«

»Sie hingegen üben welchen Beruf aus, Mister Frankler?«

»Ich hab’ hier in London ein paar Boutiquen«, entgegnete der Mittelgroße. »Mein Bruder hatte mich besucht und war dann aufs Kreuz gelegt worden.«

»Dies geschah wann, um auch diese Frage noch zu klären?«

»Vor ’ner Woche ungefähr. Und jetzt sitzt Willie mit fast sechstausend Pfund in der Kreide.«

»Sie wissen selbstverständlich, wo dieses betrügerische Spiel stattfand?«

»Eben nicht. Und genau das sollte jetzt Meggan sagen. Sie arbeiten wirklich nicht mit ihm zusammen?«

»Mylady wünscht in Erfahrung zu bringen, warum Sie erst heute den Kontakt mit Mister Dan Meggan suchen«, sagte der Butler, der die Frage ignorierte.

»Weil ich erst gestern von diesen sechstausend Pfund gehört habe«, kam umgehend die Antwort.

»Sie werden verstehen, Mister Frankler, daß man den Wahrheitsgehalt Ihrer Angaben überprüfen wird«, schickte Josuah Parker voraus. »Würden Sie meiner Wenigkeit freundlicherweise die Telefonnummer nennen, unter der Ihr Bruder in der Grafschaft Sussex zu erreichen ist?«

»Moment mal, Sie glauben, ich hätt’ Sie belogen?«

»Ein Umstand, den man nicht unbedingt ausschließen sollte, Mister Frankler.«

»Nein, nein, ich hab’ die Wahrheit gesagt«, verteidigte sich Frankler und nannte dem Butler eine Telefonnummer. Während Parker sie wählte, wandte er Dennis Frankler und den beiden anderen Männern absichtlich den Rücken zu.

Er verließ sich auf die Wachsamkeit der älteren Dame.

*

Parker hatte die Nummer gewählt und wandte sich langsam um. Lady Agatha stand knapp hinter Dennis Frankler und wartete ungeduldig darauf, ihren Pompadour einsetzen zu können. Doch der Mann hatte ihr bisher keine Veranlassung dazu gegeben. Er blickte den Butler abwartend-gespannt an.

Auf der Gegenseite meldete sich ein Willie Frankler. Parker nannte seinen Namen ‚ und lieferte seinem Gesprächspartner sofort das Stichwort Meggan.

»Meine Wenigkeit ruft im Namen Ihres werten Bruders an«, fügte der Butler hinzu. »Sie haben gute Aussicht, Ihr Geld zurückzubekommen.«

»Mann, das wär’ ja sagenhaft«, freute sich Willie Frankler umgehend. »Der hat mich vielleicht reingelegt! Hat mein Bruder Ihnen davon erzählt?«

»In allen Einzelheiten, Mister Frankler«, gab Parker zurück. »Aber es erhebt sich die Frage, warum Sie erst gestern von dem Verlust sprachen.«

»Weil ein Mann hier aufgetaucht ist, der in drei Tagen die sechstausend Pfund kassieren will. Wissen Sie, ich hab’ da einen Schuldschein unterschrieben, aber von dem weiß ich eigentlich nichts. Ich kann mir gar nicht erklären, wie meine Unterschrift auf den Wisch gekommen ist.«

»Könnten Sie den erwähnten Schuldschein im Zustand der Volltrunkenheit unterschrieben haben?«

»Kann ich mir wirklich nur vor stellen«, lautete die Antwort des Schreiners aus Sussex.

»Ihnen ist aber sicher bekannt, wo man Sie zum Spiel verleitete, Mister Frankler.«

»Kein Ahnung, wo das über die Bühne gegangen ist.«

»Bliebe noch zu fragen, wieso Sie Ihren Herrn Bruder auf Mister Meggan verweisen konnten, Mister Frankler.

»Klar doch, der hat ja mehrfach seinen Namen genannt. Alles Weitere hat dann mein Bruder Dennis wohl erledigt.«

Parker bedankte sich für die Auskünfte, legte auf und wandte sich dem Bruder des Schreiners zu.

»Wie zu hören war, ist Mister Dan Meggan Ihnen nicht unbekannt, Mister Frankler.«

»Ich ... ich hab’ rumtelefoniert, bis ich wußte, wo er wohnt.«

»Die beiden Herren auf der Couch sind Angestellte von Ihnen?«

»Bekannte«, kam die ein wenig zögernde Antwort. »Bekannte, die mir einen Gefallen tun wollten.«

»Sie wollten herausfinden lassen, wohin Mister Meggan Ihren Bruder verbrachte?«

»Wie meinen Sie das? Ach so, kapiert! Ja, ich will wissen, wo er ausgenommen worden ist.«

»Damit dürften alle Fragen ausgeräumt sein«, meinte Josuah Parker. »Mylady behält sich jedoch vor, noch mal Kontakt mit Ihnen aufzunehmen.«

»Hatten Sie auch Ärger mit Meggan?« fragte Frankler. Er blickte die ältere Dame gespannt an.

»Man hat höchstens Ärger mit mir, junger Mann«, erklärte Agatha Simpson prompt und blickte dann ihren Butler an. »Habe ich noch Fragen, Mister Parker?«

»Mylady wurden vorerst hinreichend informiert«, gab der Butler zurück.

»Das wird sich noch zeigen«, meinte sie in Richtung der drei Männer drohend. »Ich habe das Gefühl, daß man sich noch mal Wiedersehen wird.«

Sie wandte sich um und schritt majestätisch zur Wohnungstür. Parker deckte diskret ihren Abgang und lüftete höflich die schwarze Melone, als er sich seinerseits verabschiedete.

»Sehr unbefriedigend dies alles, Mister Parker«, sagte Lady Agatha später, als sie wieder in Parkers Wagen saß. »Diese Subjekte haben noch nicht mal den Versuch unternommen, mich zu verfolgen. Was soll ich nur von solchen Männern halten?«

*

Nachdem der Butler an der schmalen, schwarz lackierten Tür geläutet hatte, öffnete sich eine kleine, viereckige Klappe im Türblatt. Das Gesicht eines Mannes mit wachsamen Augen wurde sichtbar.

»Oh, Mister Parker«, sagte er überrascht. »Einen Augenblick, bitte, ich muß erst entriegeln.«

»Und vergessen Sie nicht, Mister Wiggins zu verständigen«, bat Parker. »Sie könnten sonst womöglich Ärger bekommen, was meine Wenigkeit Ihnen nicht wünschen möchte.«

Die Türklappe schloß sich wieder. Die ältere Dame, die neben dem Butler stand, schnaufte verärgert.

»Wieso wagt man es, eine Lady Simpson warten zu lassen?« wollte sie wissen. »Und überhaupt ... Das hier soll ein illegaler Spielclub sein?«

»Mit letzter Sicherheit, Mylady«, erwiderte der Butler. »Mylady haben es mit einer sehr guten Adresse zu tun.«

Das Paar aus Shepherd’s Market befand sich im Stadtteil Pimlico. Das Haus, vor dem man stand, zeichnete sich durch unaufdringliche Eleganz aus. Ja, es machte sogar einen eindeutig abweisenden Eindruck. Und die vielen teuren Luxuswagen zu beiden Seiten der kurzen, engen Straße deuteten darauf hin, daß man hier nur wohnen konnte, wenn man über reichlich Kleingeld verfügte.

Die Tür wurde weit geöffnet.

Der Türsteher verbeugte sich in Richtung Mylady und deutete dann auf eine Tür im Hintergrund der kleinen Empfangshalle.

»Mister Wiggins ist bereits unterwegs«, sagte der noch recht junge Mann dienstbeflissen. Er hatte kaum ausgeredet, als die Tür im Hintergrund mit Schwung geöffnet wurde. Ein mittelgroßer, schlanker Mann von schätzungsweise vierzig Jahren kam Mylady und Parker entgegen.

»Herbert Wiggins«, stellte er sich Lady Agatha vor. »Herzlich willkommen zur Party, Mylady!«

»Ein interessanter Hinweis«, reagierte die ältere Dame umgehend.

»Ich werde ihn wörtlich nehmen, junger Mann.«

»Wir haben einen erstklassigen Koch, Mylady.« Wiggins ging voraus und führte die passionierte Detektivin und Butler Parker in eine Art Salon, in dem man ungestört war.

»Ich wette, Mister Parker, Sie kommen nicht ohne Grund«, begann Wiggins die Unterhaltung.

»Wo wird hier gespielt?« fragte Agatha Simpson ohne jede Umschweife.

»Äh, gespielt, Mylady ...? Sie wollen wirklich?«

»Selbstverständlich«, entgegnete sie. »Ich werde mein Glück wieder mal herausfordern. Was haben Sie mir zu bieten? Roulette, Baccarat oder Black Jack?«

»Was immer Sie wünschen, Mylady. Es handelt sich aber nur um ein harmloses Spiel, mehr so zum Zeitvertreib.«

»Hauptsache, junger Mann, ich gewinne.« Sie ließ sich von Wiggins zu einer Schiebetür bringen, die er so weit öffnete, daß die ältere Dame bequem in den nächsten Raum treten konnte. Als er ihr folgen wollte, winkte sie energisch ab.

»Keine Umstände«, meinte sie. »Ich finde schon meinen Weg.«

Wiggins wartete, bis sie von einem Hausangestellten in Empfang genommen wurde und kam erst dann zu Parker zurück.

»Meine Wenigkeit macht sich Sorgen«, sagte Parker. »Mylady schätzt es nicht sonderlich, zu verlieren.«

»Wer schätzt das schon, Mister Parker?« Wiggins lächelte.

»Sie hatten noch nicht die Ehre, Mylady als Spielgast begrüßen zu dürfen, Mister Wiggins.«

»Das stimmt. Bisher kamen Sie stets ohne Begleitung, Mister Parker. Und gespielt haben Sie nie.«

»Meiner Wenigkeit ging es in allen Fällen stets um Informationen«, erinnerte Parker. »Auch dieser nächtliche Besuch verfolgt diesen Zweck, Mister Wiggins.«

»Sie werden mich doch nicht in des Teufels Küche bringen?«

»Haben Sie einen Gast, der sich Lester Greene nennt, Mister Wiggins?«

»Müßte ich ihn kennen, Mister Parker?«

»Wenn er ein leidenschaftlicher Spieler ist.« Parker deutete ein Kopfnicken an.

»Hat dieser Mann etwas ausgefressen, Mister Parker? Würden Sie mir dann einen Tip geben?«

»Sie kennen ihn also.« Parker traf eine Feststellung.

»Er war vor Monaten einige Male hier in meinem Club«, erwiderte Wiggins. »Aber schon vor sechs Wochen etwa erteilte ich ihm Hausverbot. Er machte Schulden und konnte oder wollte sie nicht bezahlen.«

»Sie ließen diese Schulden nicht eintreiben, Mister Wiggens?«

»Wofür halten Sie mich? Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren, Mister Parker. Ich habe seine Schulden als Verlust verbucht. Ich kann so etwas verschmerzen.«

»Mister Greenes Adresse ist Ihnen bekannt?«

»Selbstverständlich. Ich kann sie Ihnen raussuchen lassen.«

»Wohin würde ein leidenschaftlicher Spieler sich wenden, wenn er hier Hausverbot hat, Mister Wiggins?«

»Nun ja, illegale Spielclubs gibt es viele hier in London, Mister Parker. Das wissen Sie doch. Das Angebot ist groß.«

Während er noch redete, griff er nach einem Telefonhörer und ließ sich mit seinem Büro verbinden. Wiggins verlangte nach der Adresse von Lester Greene.

»Kennen Sie einen Club, Mister Wiggins, der einen gewissen Mister Dan Meggan beschäftigt?« lautete Parkers nächste Frage.

»Guter Gott, haben Sie mit dem zu tun?«

»Ihrer Stimme entnimmt meine Wenigkeit ein gewisses Unbehagen, Mister Wiggins.«

»Dan Meggan ist ein brutaler Schläger und Eintreiber, der für Don Hayers arbeitet, Mister Parker. Und Hayers wiederum gehört dem ›Ring‹ an, wie sich diese Organisation nennt.«

»Eine Organisation, der Sie natürlich nicht angehören, Mister Wiggins.«

»Das fehlte noch, Mister Parker. Ich habe hier doch keine Spielhölle. Bei mir verkehren nur erstklassige Leute.«

»Bis auf Mister Lester Greene, um daran zu erinnern.«

Bevor Herbert Wiggins antworten konnte, klingelte das Telefon. Wenige Augenblicke später hatte Parker bereits Lester Greenes Adresse.

»Greene war ein Blindgänger, Mister Parker«, sagte Wiggins dann. »So etwas kommt immer wieder mal vor. Eine Frage, wollen Sie sich mit dem ›Ring‹ anlegen?«

»Wenn es sich nicht vermeiden läßt, Mister Wiggins, durchaus.«

»Dann sollten Sie aber „verdammt vorsichtig sein«, warnte der Clubbesitzer ihn. »Diese Organisation verfügt über eine kleine Armee von Schlägern.«

»Gegen die Sie sich zu schützen wissen, Mister Wiggins?«

»Durchaus, Mister Parker, durchaus. Und ich ... Moment, was ist das?«

»Es scheint sich um Lady Simpson zu handeln, Mister Wiggins«, gab Josuah Parker gemessen zurück. »Mylady scheint verloren zu haben.«

Sein Hinweis ging im förmlichen Auffliegen der Tür unter. Agatha Simpson erschien wie eine zürnende Rachegöttin und trieb zwei Männer vor sich her, die etwas leicht derangierte Smokings trugen. Zudem machten sie einen durchaus angeschlagenen Eindruck.

*

»Man hatte Sie beleidigt, Mylady?« fragte Mike Rander am anderen Morgen. Er und Kathy Porter waren zum gemeinsamen Frühstück im Haus der älteren Dame erschienen und hörten ihr amüsiert zu.

»Stellen Sie sich vor, mein Junge, man behauptete, ich hätte falsch gespielt.«

»Eine Frechheit«, warf Kathy Porter ein. Sie war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady. Seit Mike Randers Rückkehr aus den Staaten war sie auch noch in seiner Kanzlei in der nahen Curzon Street tätig und arbeitete dort zu Myladys Freude sehr eng mit ihm zusammen. Die ältere Dame tat nämlich alles, um Kathy und Mike eines Tages unter die Haube zu bringen.

»Man unterstellte Mylady, Chips auf dem Roulette-Tisch zu Myladys Gunsten manipuliert zu haben«, schaltete Parker sich ein. »Mylady sah sich darauf gezwungen, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.«

»Und zwar sehr nachdrücklich«, bestätigte die ältere Dame. »Zwei dieser Croupiers werden mich so schnell nicht wieder vergessen.«

»Mylady teilten einige Ohrfeigen aus«, berichtete der Butler weiter. »Davon wurden auch einige Gäste betroffen, die sich vermutlich schlichtend einzuschalten versuchten.«

»Sie attackierten mich«, behauptete Agatha Simpson grimmig. »Aber ein paar hübsche Fußtritte brachten diese Lümmel auf Distanz.«

»Wie sollen Sie denn das Spiel manipuliert haben?« erkundigte sich der Anwalt. Mike Rander war um die vierzig und erinnerte an einen bekannten James-Bond-Darsteller, was sein Äußeres betraf.

»Wie war das noch, Mister Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler auffordernd an.

»Man behauptete, Mylady habe, nachdem die Roulettekugel im Kessel eine Nummer besetzt hatte, mit dem Ärmel ihrer Kostümjacke ihren Chip nachträglich korrigiert.«

»Trauen Sie mir so etwas zu?« Sie blickte Kathy Porter und Mike Rander geradezu empört an.

»Ausgeschlossen«, erwiderte der Anwalt.

»Unvorstellbar«, fügte Kathy Porter hinzu.

»Wenn überhaupt, dann kann so etwas nur unabsichtlich passiert sein«, fuhr die Hausherrin fort. »Aber in dieser Spielhölle weiß man nun inzwischen, wer ich bin.«

»Das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Rander verbiß sich ein aufsteigendes Lächeln.

»Hat man Ihnen den Gewinn verweigert, Mylady?« fragte Myladys Gesellschafterin.

»Mister Wiggins sorgte dafür, daß Mylady der Gewinn ausgezahlt wurde«, gab Parker Auskunft. »Es handelte sich um die Summe von einundzwanzig Pfund.«

»Ein schönes Stück Geld für eine Frau, die mit jedem Penny rechnen muß«, stellte die ältere Dame klar. »Man darf sich eben nicht den Schneid abkaufen lassen, meine Lieben.«

»Das ist bei Ihnen nicht zu befürchten, Mylady«, versicherte Kathy Porter ihr.

»Demnach hat sich der Besuch im Spielclub also in doppeltem Sinn gelohnt«, faßte der Anwalt zusammen. »Wiggins machte Sie auf eine Organisation aufmerksam, die ›Ring‹ genannt wird. Und dazu wurde Ihnen sogar noch ein Name genannt.«

»Richtig«, bestätigte die Detektivin. »Mister Parker hat sich diesen Namen hoffentlich auch gemerkt.«

»Es handelt sich um einen gewissen Mister Don Hayers«, half der Butler umgehend aus. »In diesem Zusammenhang sollte man aber auch noch Mister Lester Greene erwähnen, mit dem man meine Wenigkeit offensichtlich verwechselte.«

»Sie haben diesen Greene aus dem Auftragsbuch von Meggan, nicht wahr?« fragte Rander.

»In der Tat, Sir«, bestätigte Parker. »Dazu kommen noch weitere Namen und Adressen, die sicher eine gute Grundlage für Mylady weiteres Vorgehen sind.«

»Keine Details«, forderte die ältere Dame. »Sie verstellen nur den Blick für die großen Zusammenhänge. Und auf sie habe ich mich nun mal spezialisiert.«

Kathy Porter und Mike Rander kämpften gegen ein Schmunzeln an. Butler Parkers Gesicht hingegen blieb glatt und ausdruckslos wie das eines hochherrschaftlichen Butlers.

*

In dem kahlen und nüchternen Vorraum, der an eine Tiefgarage erinnerte, roch es bereits penetrant nach Schweiß, Desinfektionsmitteln und kaltem Rauch. An den Wänden hingen vergilbte Lorbeerkränze und Plakate von Boxveranstaltungen.

Hinter einem verschrammten Schreibtisch mit einigen Telefonapparaten saß ein mittelgroßer, schwammig-dicker Mann von vielleicht fünfzig Jahren, dessen Unterkiefer sich jäh senkte, als Lady Agatha und Butler Parker den Raum betraten.

»Man wünscht einen abwechslungsreichen Morgen«, grüßte Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone. »Würden Sie die Güte haben, Mister Don Hayers hierher zu bitten?«

»Den Chef?« fragte der Mann und sah nach wie vor entgeistert aus.

»Wie immer Sie ihn auch nennen mögen.« Parker deutete ein zustimmendes Kopfnicken an.

»Wir sind hier ein Sport-Center«, erinnerte der Mann, der längst aufgestanden war.

»Wenn man Sie sieht, junger Mann, sollte man das nicht glauben«, schaltete die ältere Dame sich ironisch ein. »Nun sputen Sie sich endlich, oder muß ich Ihnen erst Beine machen?«

»Moment, Leute«, bat der Mann und wieselte erstaunlich schnell zu einer Tür. Als er sie öffnete, war das dumpfe Klatschen von Boxhandschuhen zu hören, die bewegt wurden. Stimmengewirr klang auf, scharfe Kommandos waren zu vernehmen.

Lady Agatha konnte natürlich nicht widerstehen.

Sie hatte ihre Fülle bereits in Bewegung gesetzt und folgte dem Schwammigen, der schon nicht mehr zu sehen war. Die resolute Dame blieb in der Tür stehen und blickte in einen großen, relativ niedrigen Raum, der ebenfalls an eine Tiefgarage erinnerte. Überhelles Neonlicht biß in die Augen.

Im Mittelpunkt dieses saalartigen Raumes stand ein Seilgeviert, in dem sich zwei Boxer tummelten, die wohl dem Mittelgewicht zuzurechnen waren. Um dieses Seilgeviert herum waren weitere Sportler zu sehen, die sich mit schweren Sandsäcken abmühten, Seilchen sprangen und gegen ihren eigenen Schatten boxten.

Don Hayers entpuppte sich als ein drahtiger Fünfziger, der mit Hingabe auf einer Zigarre kaute. Er trug weiße Sporthosen, ein grellbuntes Hemd und hatte eisgraues Haar. Seine Augen hatten die Bläue eines Gletschers.

»Was liegt an?« fragte er kühl und musterte Mylady und Parker mit dem abschätzenden Blick eines Pferdehändlers.

»Nehmen Sie gefälligst die Zigarre aus dem Mund, wenn Sie mit einer Dame reden«, raunzte die ältere Dame ihn umgehend an. »Oder muß ich Ihnen erst Manieren beibringen?«

Er war total verblüfft, nahm die Zigarre aus dem Mund und merkte erst mit einiger Verspätung, daß er sich hatte beeindrucken lassen. Und genau das ärgerte ihn.

»Was wollen Sie?« fragte er gereizt.

»Mylady wünscht Ihren Mitarbeiter Mister Dan Meggan zu sehen«, antwortete Parker, um dann die ältere Dame und sich vorzustellen.

»Meggan hab’ ich schon vor Wochen rausgeschmissen«, erwiderte der Betreiber des Sport-Center wegwerfend. »Sonst noch etwas?«

»Sie gehören diesem ominösen Kreis an, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson ungeniert.

»Kreis? Was soll denn das sein?«

»Mylady umschrieben den Namen einer Organisation, die sich ›Ring‹ nennt«, übersetzte der Butler.

»Ob Kreis oder Ring, wo ist da der Unterschied?« grollte Lady Agatha den kleinen Drahtigen an. »Ich habe gehört, daß Sie ahnungslose Spieler ausnehmen. Natürlich mit Falschspiel.«

»Das ist ’n dicker Hund«, erwiderte Don Hayers und grinste plötzlich tückisch wie ein böser Filmschurke. »Sie nehmen den Mund ziemlich voll, Lady.«

Anschließend jaulte er auf wie ein getretener Hund. Die resolute Dame hatte mit der Spitze ihres linken, nicht gerade kleinen Schuhs sein rechtes Schienbein voll erwischt. Don Hayers hüpfte auf dem noch schmerzfreien Bein herum und stieß dabei wilde Verwünschungen aus, was den Sportlern im Gymnastiksaal natürlich nicht entging.

*

Sie schlossen einen Kreis um Mylady und Parker und machten klar, daß sie nur auf einen Wink ihres Herrn und Meisters warteten. Don Hayers fand allerdings noch keine Zeit, sich in irgendeiner Form zu artikulieren. Er hüpfte noch immer graziös und fiel schließlich gegen einen der Boxer, der ihm einen, gewissen Halt verschaffte.

»Wären Sie keine Frau, dann würden Sie was erleben«, sagte Hayers und stellte sein Bein versuchsweise auf dem Betonboden ruhig.

»Keine leeren Versprechungen, junger Mann«, gab sie munter zurück. »Bleiben wir bei dem Kreis, von dem ich eben gesprochen habe. Sie nehmen also ahnungslose Spieler aus?«

»Mylady sprechen vom ›Ring‹«, erinnerte Parker diskret.

»Halt die Klappe, Mann«, fuhr Hayers den Butler an.

»Ihre Wortwahl läßt eindeutig darauf schließen, daß Sie sich in der sprichwörtlichen Kinderstube mit Sicherheit nicht allzulange aufgehalten haben«, stellte Parker gemessen fest.

»Was ... was wollen Sie damit sagen?« erfragte Hayers und kniff die Augen zusammen.

»Ihnen haftet ein Mangel an Manieren an«, erläuterte der Butler.

»Soll ich ihm eins aufs Maul geben, Chef?« wollte einer der Boxsportler wissen. Es handelte sich um ein Schwergewicht, das allerdings Speck angesetzt hatte.

»Besser nicht, sonst gibt’s noch ’ne Anklage wegen Mord«, antwortete Hayers und lächelte versuchsweise.

»Soweit würde Mister Parker niemals gehen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen.

»Wie war das?« Hayers witterte eine Möglichkeit, zur Sache zu kommen. Er wußte längst, wer seine Besucher waren, wie Parker bemerkt hatte. »Ihr Butler, Lady, hat doch nur flotte Sprüche auf Lager. Nichts als Sprüche und nichts dahinter.«

»Wie Sie zu meinen belieben.« Parker deutete eine Verbeugung an.

»Mister Parker wird meine Ehre verteidigen«, sagte Lady Agatha. »Am liebsten würde ich ja selbst in den Ring steigen.«

»Gehen Sie, bevor wir alle ’nen Lachkrampf bekommen.« Hayers legte es eindeutig darauf an, Mylady und Parker zu provozieren. »Ihr Butler hat selbst gegen ein Papiergewicht keine Chance.«

»Sie als Trainer dürften dies durchaus richtig einzuschätzen wissen«, antwortete der Butler.

»Papperlapapp, Mister Parker«, rief Agatha Simpson begeistert. »Sie werden diesen Leuten jetzt zeigen, wer ich bin.«

»Ring frei für die Show«, sagte Hayers und blickte Parker an. »Oder wollen Sie sich drücken?«

»Mister Parker denkt nicht im Traum daran«, antwortete Mylady für ihren Butler.

»Sie sehen sich einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann gegenüber«, erinnerte Parker höflich.

»Ring frei«, rief Hayers noch mal wesentlich lauter. »Und ein paar Handschuhe für unseren Supermann. Los, Leute, bewegt euch!«

»Ich nehme Wetten an«, rief nun Lady Agatha, die einen schnellen Gewinn und damit eine Aufbesserung ihrer Kasse erwartete. »Das Bargeld bitte bei mir abliefern.«

»Mylady gehen ein ungemein hohes Risiko ein«, warnte Josuah Parker die ältere Dame.

»Das mein’ ich auch«, sagte der leicht verfettete Schwergewichtler gutmütig.

»Unsinn«, erwiderte Agatha Simpson munter. »Ich werde Mister Parker in der Ringecke betreuen. Wie gesagt, ich nehme Wetten entgegen.«

Sie strahlte, als man ihr Banknoten in die weit geöffneten Hände drückte. Don Hayers sorgte dafür, daß Parker in Richtung Ring geschoben wurde.

»Sie könne sich umziehen, Mister Parker«, sagte der Betreiber des Sport-Center gefährlich freundlich zu dem Butler. »Sie werden eine faire Chance bekommen.«

»Verbindlichsten Dank, Mister Hayers«, gab Parker zurück. »In Anbetracht der sportlichen Auseinandersetzung werde ich wohl auf meinen Übermantel verzichten!«

»Und was ist mit Ihrem Kragen und mit der Krawatte?« Hayers grinste unverhohlen. Wahrscheinlich sah er den Butler bereits im Krankenhaus.

»Meine Wenigkeit legt Wert auf Würde«, lautete Parkers Antwort. Dann stieg er über eine schmale und steile Treppe hinauf in den Ring, wo man ihm bereits rote Boxhandschuhe reichte. Lady Agatha kam ein wenig keuchend nach und baute sich dann vor ihrem Butler auf.

»Keine Nervosität, Mister Parker«, sagte sie. »Ich werde Ihnen die Handschuhe überstreifen. Und ich weiß bereits jetzt, daß Sie natürlich diesen Boxkampf gewinnen werden.«

*

Parker wußte es auch, als Mylady ihm den linken Handschuh anzog. Sie hatte ihn mit ihrer Körperfülle gedeckt und es verstanden, den sogenannten Glücksbringer in den Handschuh zu schieben.

Parker merkte sofort, für welchen Untermieter sie gesorgt hatte. Zuerst wollte er protestieren, doch dann blickte er seitlich vorbei an Mylady auf den Schwergewichtler, der sich bereits aufwärmte und gestochene Gerade und kurze Haken in die Luft schlug. Mochte dieser Mann auch ein wenig verfettet sein, so zeigte er doch immerhin noch deutlich, daß er etwas von seinem Metier verstand.

»Die Gegner brauchen sich erst gar nicht die Hände zu reichen«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. Da sie über eine tiefe und tragende Stimme verfügte, übertönte sie den Lärm in der Sporthalle. Die interessierten Zuschauer wurden sofort still, und Hayers nutzte die Gelegenheit, den Gong zu schlagen.

Der Schwergewichtler tänzelte mit der Eleganz eines balletterfahrenen Flußpferdes in die Mitte des Seilgevierts und konzentrierte sich auf Butler Parker, der in dieser Umgebung völlig deplaziert wirkte. Er trug schließlich seinen schwarzen Zweireiher und sogar die schwarze Melone.

Parker deutete eine überaus höfliche Verbeugung an und wartete auf den Angriff des leicht verblüfften Schwergewichtlers, der mit Sicherheit eine andere Reaktion erwartet hatte.

»Komm’ schon, Mann«, lockte der Schwergewichtler. »Ich mach’s ganz schnell, dann haste es hinter dir.«

»Man sollte tunlichst nichts überstürzen«; entgegnete Parker und wich blitzschnell zur Seite, als der Boxer einen ersten Schlag anbringen wollte. Die Gerade ging völlig ins Leere und riß den Boxer mit sich.

»Mit Ihrer Erlaubnis«, sagte Parker und benutzte seine Rechte, um einen Haken anzubringen. Der Mann wurde beim Vorbeistolpern am rechten Kinnwinkel getroffen und war beeindruckt.

»Ach so«, schnaufte der Schwergewichtler, als er sich wieder gefangen hatte. »Du willst ’nen richtigen Kampf haben?«

»Schlag’ ihn zusammen«, rief Hayers leichtsinnigerweise dem Mann zu.

»Keine Beeinflussung«, herrschte Mylady ihn an und trat ihm mit ihrem linken Schuhabsatz auf die Zehen, worauf Hayers sich deutlich verfärbte und nach Luft schnappte.

Josuah Parker hatte sich inzwischen in die Mitte des Seilgevierts begeben und wartete den nächsten Angriff des Schwergewichtlers ab, der verständlicherweise ein wenig wütend war, fintierte und dann mächtig zulangte.

Als er in den Seilen landete und von ihnen zurückgeworfen wurde, setzte der Butler seine Linke ein, deren Finger sich um Myladys Glücksbringer geschlossen hatten.

Feines Knirschen und Knacken war zu vernehmen, als der Butler seinen Schlag gelandet hatte. Der Schwergewichtler blieb wie angewurzelt stehen, schielte den Butler an und nahm anschließend auf den Knien Platz,

»Sie können meiner Wenigkeit hoffentlich noch mal vergeben«, entschuldigte sich Parker und landete den nächsten Schlag, als der Schwergewichtler sich leichtsinnigerweise wieder erhob.

Der Getroffene warf die stämmigen Beine in die Luft, krachte dann mit dem Gesäß zu Boden und legte sich flach auf den Belag des Ringbodens.

Der Lärm, der sich erhob, war beachtlich.

Man zählte im Chor, und der Schwergewichtler strengte sich ehrlich an, wieder auf die Beine zu kommen. Doch er schaffte es einfach nicht. Er sackte aus dem Sitz wieder nach hinten weg und streckte damit endgültig die Waffen.

Josuah Parker verließ das Seilgeviert und wurde von den Sportlern umringt. Er nahm Glückwünsche entgegen und hatte auf diese Weise Zeit und Gelegenheit, Myladys Glücksbringer unauffällig aus dem Handschuh zu entfernen.

Hayers hatte sich durch die Umstehenden durchgearbeitet und baute sich vor dem Butler auf.

»Hoffentlich waren Sie mit dem Debüt meiner Wenigkeit zufrieden«, fragte Parker in seiner höflichen Art. »Ich möchte keineswegs verhehlen, daß an der Technik noch erheblich gefeilt werden muß.«

»Jetzt aber zur Sache«, mischte sich Lady Agatha energisch ein. »Ich habe da ein paar Fragen an Sie, junger Mann, die Mister Parker an Sie richten wird. Es geht um einen Kreis, wie ich bereits sagte.«

»Um einen sogenannten ›Ring‹, Mylady«, korrigierte der Butler höflich, »um eine Organisation, die Mister Hayers sicher recht gut kennt.«

Keiner der Umstehenden hatte bemerkt, daß Parker einen seiner Patent-Kugelschreiber hatte zu Boden fallen lassen, nachdem er die beiden Hälften des völlig normal aussehenden Schreibgerätes gegeneinander verdreht hatte.

Das Resultat dieser Manipulation war beachtlich.

*

Eine dichte Nebelwolke schoß vom Boden hoch und breitete sich blitzschnell aus, was bei den Umstehenden verständlicherweise einige Verwunderung auslöste. Sie verloren plötzlich sowohl die Sicht als auch die Übersicht, konnten von Mylady und Parker nichts mehr sehen und wollten dennoch im Sinn von Don Hayers aktiv werden.

Sie droschen mit ihren Fäusten in den Nebel und sorgten für allgemeine Reizbarkeit. Aggressionen wurden ausgelöst, die ersten Schmerzenslaute waren zu vernehmen.

Der dichte, so gut wie undurchdringliche Nebel breitete sich vehement aus und ermöglichte es Lady Agatha und dem Butler, sich ungestört zu entfernen. Parker hatte die Führung übernommen und inzwischen die Tür zum Vorraum erreicht.

»Hoffentlich legt man mir das nicht als Flucht aus, Mister Parker«, sorgte sich die ältere Dame, als Parker mit ihr im Vorraum stand.

»Man nimmt nur ein taktisch bedingtes Absetzmanöver vor«, beruhigte der Butler sie umgehend. Er kümmerte sich darum, daß Mylady die Straße erreichte und im Wagen Platz nahm. Nach seiner Berechnung konnte es nämlich nicht mehr lange dauern, bis die Sportler vorn am Eingang erschienen. Er hatte sich nicht verrechnet!

Als Parker sein hochbeiniges Gefährt in Bewegung setzte, tauchten die ersten Boxschüler auf, doch sie machten nicht den Eindruck, als wären sie in der Lage, die sofortige Verfolgung aufzunehmen. Sie alle schienen leicht angeschlagen, woraus Parker schloß, daß sie sich gegenseitig wirklich nicht geschont hatten.

»Ich denke, das war ein recht guter Start in den Tag«, meinte Agatha Simpson zufrieden. »Sie sollten sich übrigens bei mir bedanken, Mister Parker. Ohne mein Hufeisen hätten Sie natürlich keine Chance gehabt.«

»Meine Wenigkeit steht wieder mal tief in Myladys Schuld«, erwiderte Josuah Parker. »Sie abzutragen, dürfte schier unmöglich sein.«

»Das ist richtig«, erklärte sie. »Was steht übrigens jetzt auf meinem Programm?«

»Mylady planen, Mister Lester Greene einen Besuch abzustatten.«

»Richtig, Mister Parker. Und wer ist das?«

»Ein Spieler, den man auf dem erwähnten Parkplatz mit meiner Wenigkeit verwechselte, falls die Dinge nicht täuschen.«

»Ich weiß, ich weiß«, lautete ihre typische Antwort. »Was ich einmal gehört habe vergesse ich nie, das wissen Sie doch.«

»Myladys Gedächtnis erinnern an das eines Computers.«

»Ein hübscher Vergleich«, gab sie zurück und nickte wohlwollend. »Manchmal treffen Sie den Nagel sogar auf den Kopf, Mister Parker. Nur weiter so!«

Josuah Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum zur Victoria Station, wo sich die Druckerei befand, die er am Vortag besucht hatte. Dank der Adresse, die Herbert Wiggins ihm gegeben hatte, war das Haus schnell gefunden, in dem der Spieler Greene wohnte.

»Hoffentlich sind die Lümmel zurückgekehrt, die Sie überfallen wollten«, sagte Lady Agatha, als Parker den Wagen auf dem bereits bekannten Parkplatz abstellte.

»Man sollte in der Tat auch nicht das Unmögliche ausschalten, Mylady«, erwiderte der Butler. »Dazu gehört wohl auch, daß man Mister Greene antreffen könnte.«

*

Parker stand vor Lester Greenes Wohnungstür und bemühte sein kleines Spezialbesteck, das aus seltsam gebogenen Metallhaken und flachen Stahlzungen bestand. Er brauchte nur wenige Augenblicke, bis das Türschloß kapitulierte.

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes drückte er das Türblatt vorsichtig auf, blieb dabei aber seitlich an der Wand des Korridors in Deckung. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man nie vorsichtig genug sein konnte.

Die Tür schwang langsam auf.

Mylady wollte ihre Fülle sofort in Bewegung setzen und eintreten, doch Parker hob abwehrend die linke Hand. Agatha Simpson bremste umgehend ihren energischen Schwung und bedachte ihren Butler erst mal mit einem empörten Blick.

Parker hielt eine Eierhandgranate in der rechten Hand und ließ sie in die Wohnung rollen. Natürlich handelte es sich um eine Attrappe, wie man sie in Spielwarenhandlungen leichtsinnigerweise noch immer feilbot. Der Sprengkörper sah aber einer echten Handgranate zum Verwechseln ähnlich.

Parker wartete auf eine Reaktion in der Wohnung.

Es tat sich nichts.

Der Butler kam seiner Herrin nun zuvor und betrat die Wohnung, in der es chaotisch aussah. Sessel und Stühle waren zerschlagen worden und lagen am Boden, einige Vorhänge an den Fenstern waren heruntergerissen worden, Glas- und Porzellanscherben lagen auf einem Teppich, den man in Streifen zerschnitten hatte.

»Ein sehr unordentlicher Mensch«, stellte Agatha Simpson fest. »Wie kann man nur in solch einer Umgebung leben?«

Parker war weitergegangen und blickte in den kleinen Schlafraum. Hier entdeckte er neben dem Bett einen Mann, der nicht gut aussah. Er stöhnte leise und schien Schmerzen in der Brustgegend zu haben. Als er den Butler sah, hob er langsam und abwehrend den linken Arm, als müßte er sich bereits im vorhinein vor Schlägen schützen.

»Mister Greene?« fragte Parker, während er die schwarze Melone lüftete.

»Wer ... wer sind Sie?« Die Stimme war schwach.

Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Kann und muß man davon ausgehen, Mister Greene, daß Sie überfallen wurden?«

»Meine Rippen«, der Mann, der etwa fünfundfünfzig Jahre zählte, mittelgroß war und einen rundlichen Eindruck machte. Sein Gesicht war verquollen. Es schien einige Boxhiebe abbekommen zu haben. Die Nase war ein wenig deformiert.

»Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen«, ließ Lady Agatha sich vernehmen. Sie hatte sich seitlich neben dem Butler aufgebaut. »Sie leben ja noch. Das ist doch schließlich auch etwas.«

»Meine Rippen ... Mein Magen«, jammerte Lester Greene. »Wer sind Sie denn?«

»Sie haben das große Glück, von Lady Simpson gefunden worden zu sein«, erklärte Josuah Parker.

»Ich bin nämlich in Erster Hilfe ausgebildet«, meinte die ältere Dame. »Ich werde Ihnen sofort einen Stützverband anlegen. Oder so etwas in der Richtung, ich kann mich noch nicht festlegen.«

Parker half Greene vorsichtig hoch. Der Mann schlurfte in gebückter Haltung in den Wohnraum und ließ sich in einem Sessel nieder, den der Butler aufgerichtet hatte.

»Sie wurden von Mister Dan Meggan besucht?« fragte Parker dann.

»Dann Meggan? Woher kennen Sie ...? Wer sind Sie eigentlich?« Greene strich vorsichtig über die lädierte rechte Rippenpartie.

»Mylady und meine Wenigkeit befassen sich mit einer Organisation, die sich ›Ring‹ nennt«, lautete Parkers Antwort. »Man kann wohl unterstellen, daß dies für Sie ein Begriff ist, Mister Greene.«

»Hauen Sie ab«, forderte der Mann sie mit schwacher Stimme auf. »Ich weiß von nichts. Ich bin nur hingefallen und hab’ mich gestoßen.«

»Danach sehen Sie auch gerade aus, junger Mann«, schaltete die Detektivin sich ein. »Aber das macht nichts, ich fühle mich als ehemalige Pfadfinderin einfach verpflichtet, Ihnen Hilfe zu leisten. Sie stehen vor einem großen Erlebnis.«

*

»Sie versprachen sicher nicht zuviel«, meinte Anwalt Rander etwa zwei Stunden später. Er und Kathy Porter waren zu einem Imbiß in das altehrwürdige Haus der Lady Agatha gekommen und ließen sich von Parker verwöhnen.

Der Butler reichte zu Tee und Kaffee kleine Sandwiches, die mit kaltem Huhn, Roastbeef, Lachs und diversen Käsesorten belegt waren. Lady Agatha entwickelte wieder mal den Appetit eines hungrigen Scheunendreschers und sorgte so für neue Energiezufuhr.

»Mister Greene schien Myladys Bemühen nicht sonderlich zu schätzen«, warf Josuah Parker ein.

»Dieses verkommene Subjekt von einem Spieler behauptete doch glatt, ich würde ihn einer Folter unterziehen«, mokierte sich die ältere Dame.

»Was höchstens handlungsbedingt war«, stellte Kathy Porter fest.

»Natürlich, meine Liebe«, pflichtete die Lady ihrer Gesellschafterin umgehend bei. »Aber wie gesagt, er sprach von einer Folter und legte eine Art Geständnis ab, worauf ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestand.«

»Er gab zu, vom ›Ring‹ und von Dan Meggan mißhandelt worden zu sein, Mylady?«

»Richtig, Kindchen.« Agatha Simpson nickte, »Aber die Einzelheiten soll Mister Parker erzählen, es handelt sich ohnehin nur um unwichtige Kleinigkeiten.«

»Mister Greene schuldete einem gewissen Mister Reckland fünftausend Pfund«, berichtete Parker. »Wegen dieser Summe, die längst überfällig war, erschien der bereits erwähnte Mister Meggan zusammen mit einem Mister Ben Baker in der Wohnung und wollte die Schuld eintreiben.«

»Ben Baker dürfte der Knabe sein, den Sie zusammen mit Meggan auf dem Parkplatz ausgeschaltet haben«, warf Mike Rander ein.

»Daran besteht kaum ein Zweifel, Sir, zumal die Beschreibung auf diesen Partner zutrifft«, erwiderte der Butler. »Sie verpaßten Mister Greene einen letzten Denkzettel, wie sie es laut Mister Greene ausdrückten.«

»Hatte man ihm tatsächlich einige Rippen gebrochen?« fragte Kathy Porter mitfühlend.

»Daran besteht kaum ein Zweifel, Miß Porter«, erwiderte der Butler. »Mister Greene befindet sich übrigens bereits in einem Hospital. Mylady und meine Wenigkeit sorgten für einen Rettungswagen.«

»Sie wissen, wo man diesen Gläubiger finden kann, Parker?« wollte der Anwalt wissen.

»Mister John Reckland betreibt einen illegalen Spielclub im Stadtteil Stepney, wo auch Mister Meggan wohnt.«

»Und diesen Spielclub werde ich mir natürlich aus nächster Nähe ansehen«, kündigte Lady Agatha umgehend an.

»Dieser Besuch bietet sich an«, räumte Mike Rander ein. »Wie sieht es eigentlich mit diesem Meggan aus? Er dürfte kaum ahnen, daß Sie ihm bereits auf den Fersen sind.«

»Auch mit diesem Subjekt werde ich mich beschäftigen«, freute sich die ältere Dame bereits im vorhinein. »Sie sehen, mein Junge, ich habe wieder mal alle Hände voll zu tun. Manchmal weiß ich wirklich nicht, wo mir der Kopf steht.«

»Erstaunlich, daß Mister McWarden in dieser Sache noch nicht erschienen ist«, tippte Kathy Porter an.

»Das fehlte noch«, gab die Hausherrin mit grollendem Unterton in ihrer Stimme zurück. »Er weiß doch überhaupt nicht, was sich in der Unterwelt wirklich abspielt. Nun, er wird sich wundern, wenn ich ihm wieder mal einen gelösten Fall präsentiere.«

»Und wer ist nun dieser Willie Frankler?« erkundigte sich der Anwalt.

»Wer ist denn das schon wieder?« entrüstete sich Lady Simpson.

»Mister Franklers Bruder Willie, Mylady, schuldet dem ›Ring‹ eine Summe von etwa sechstausend Pfund. Er betreibt in Sussex eine Schreinerei.«

»Diese Franklers sind doch völlig unwichtig«, entschied Lady Agatha sofort. »Nichts als Randfiguren, Mister Parker, an die ich meine kostbare Zeit nicht verschwenden werde.«

»Dennis Frankler dürfte sich aber in der Szene auskennen«, gab Mike Rander zu bedenken. »Er erschien immerhin mit zwei handfesten Typen in Meggans Wohnung.«

»Eine Tatsache, Sir, die Nachdenklichkeit auslöst.«

»Das meine ich allerdings auch«, schnappte Agatha Simpson sofort zu. »Er betreibt doch einige Gemüseläden, nicht wahr?«

»Boutiquen, Mylady«, korrigierte Parker höflich.

»Wie auch immer.« Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Wie kommt solch ein Mann an Schläger, Mister Parker? Haben Sie sich darüber schon mal Gedanken gemacht?«

»Andeutungsweise, Mylady.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.

»Das sollten Sie aber«, redete sie munter weiter. »Dieser Gemüsehändler ist ein sehr wichtiger Informant, den ich unbedingt noch mal sprechen muß. Ich sagte Ihnen ja bereits, es war ein Fehler, ihn nicht mitgenommen zu haben. Sie haben dieses Subjekt völlig falsch eingeschätzt.«

»Ein Fehler, den man nur als unverzeihlich bezeichnen kann.«

»Nun ja, machen Sie sich keine unnötigen Vorwürfe, Mister Parker«, meinte sie großmütig und lächelte flüchtig. »Ich bin ja schließlich dazu da, solche Pannen auszubügeln.«

Kathy Porter und Mike Rander interessierten sich wieder mal für die Kassettendecke der großen Wohnhalle und hüteten sich, Blicke zu wechseln. Ihre aufsteigende Lachlust ließ sich bereits jetzt nur mühsam bändigen.

*

John Reckland war ein nervös wirkender Mann von etwa vierzig Jahren, mittelgroß und fast schlank. Er blickte während seines Telefonats zum Fenster hinaus und hatte nicht bemerkt, daß Josuah Parker hinter ihn getreten war.

»... läuft wie auf Schienen«, sagte Reckland gerade. »Keine Probleme, Greg, wir haben alles fest im Griff.«

»Wie ausgesprochen schön für Sie, Mister Reckland«, machte der Butler sich bemerkbar und registrierte die blitzschnelle Reaktion des Mannes. Reckland fuhr herum und erinnerte dabei an eine zustoßende Schlange.

»Meine Wenigkeit hatte höflicherweise angeklopft«, sagte Parker. »Sie müssen dieses Zeichen meiner guten Erziehung überhört haben.«

»Kann schon sein«, antwortete Reckland und legte den Telefonhörer auf. Er sorgte für ein Lächeln und zeigte dabei seine tadellos gepflegten Zähne. Dann ging er zurück zum Schreibtisch und bückte sich schnell nach den Seitenfächern.

Bevor er allerdings diese Bewegung völlig ausführen konnte, schleuderte Parker seine schwarze Melone. Sie sirrte wie eine Frisbee-Scheibe durch die Luft und landete mit ihrem stahlverstärkten Rand auf dem rechten Oberarm des Mannes.

Reckland stöhnte und lächelte längst nicht mehr. Sein Arm hing plötzlich kraftlos in Richtung Boden. Er sog scharf die Luft ein und blickte den Butler aus verengten Augen an.

»Eine Reflexbewegung«, entschuldigte sich der Butler. »Keiner bedauert sie mehr als meine bescheidene Wenigkeit.«

»Wer ... wer sind Sie?«

»Parker mein Name. Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Lady Simpson, der zu dienen meine Wenigkeit die Ehre hat, befindet sich im Vorraum und befaßt sich mit ihren beiden Mitarbeitern.«

»Sie sind Parker ...«

Reckland nickte, ließ sich vorsichtig im Sessel nieder und langte erst mal mit der gesunden und noch bewegungsfähigen Hand nach seinem gefühllosen Arm.

Parker kam um den Schreibtisch herum, barg seine Kopfbedeckung und entdeckte bei dieser Gelegenheit in einem der Seitenfächer eine Pistole. Er nahm sie an sich und ließ sie in einer Tasche seines Mantels verschwinden.

»Werde ich gebraucht?« wollte Lady Agatha in diesem Moment wissen und schob ihre Fülle in Recklands Büro. Sie machte einen sehr aufgeräumten Eindruck.

»Mister Reckland dürfte einem Gespräch keineswegs abgeneigt sein«, antwortete Parker.

»Lady Simpson«, sagte Reckland im Ton einer sachlichen Feststellung.

»Ihr Personal ist sehr unhöflich«, meinte die ältere Dame. »Ich mußte den beiden Lümmeln in Ihrem Vorzimmer erst mal Manieren beibringen.«

»Sie lassen sich da auf ein verdammt gefährliches Spiel ein«, erwiderte Reckland. »Ich wußte, daß Sie kommen würden.«

»Die Herren Hayers und Meggan dürften Sie bereits informiert haben«, vermutete der Butler.

»Richtig«, bestätigte Reckland umgehend. »Ich mache Ihnen da überhaupt nichts vor. Seit dieser Sache auf dem Parkplatz machen Sie ganz schönen Ärger.«

»Sie sind von einer Offenheit, die man nur als ungewöhnlich bezeichnen kann.«

»Wir sind unter uns«, entgegnete Reckland, »also können wir Klartext reden. Warum mischen Sie sich in meine Angelegenheiten ein? Was versprechen Sie sich davon?«

»Sie nehmen in gewissen Spielhöllen mehr oder weniger harmlose Spieler aus, Mister Reckland«, erinnerte Parker.

»Na und?« Der Mann winkte mit der gesunden Hand ab. »Wir zwingen ja keinen, sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Warum, glauben Sie, tun die Leute das? Sie wollen einen schnellen Schnitt machen und möglichst ohne Risiko gewinnen. Und wenn sie dann mal verlieren, protestieren sie. Und keiner von diesen Idioten will anschließend zahlen oder zu seinem Verlust stehen.«

»Sie haben den Begriff des Falschspielens noch nicht erwähnt, Mister Reckland.«

»Das sind doch Gerüchte«, tat Reckland diesen Einwand ab. »Bei uns hat jeder Spieler seine reelle Chance.«

»Und unterschreibt Schuldscheine, an die er sich nicht erinnern kann.«

»Ebenfalls nur Gerüchte, Parker.«

»Ist es auch ein Gerücht, daß ein sogenannter Ring existiert?«

»Diesen ›Ring‹ gibt’s tatsächlich«, erwiderte Reckland rundheraus. »Wir haben uns zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. So einfach ist das. Es geht um die Leute, die sich um ihre Schulden drücken wollen. Wir beschäftigen da ein paar Mitarbeiter, die diese Schulden eintreiben.«

»Selbst auf dem Umweg über diverse Rippenbrüche, Mister Reckland?« fragte der Butler.

»Na ja, gewisse Übergriffe wird’s immer mal geben, Parker. Manche Mitarbeiter sind eben übereifrig. Normalerweise aber passiert so etwas nicht. Sobald wir nur etwas Druck ausüben, können die Schuldner plötzlich zahlen.«

»Sie und Ihre Freunde betreiben verbotenes Glücksspiel, junger Mann«, schaltete Agatha Simpson sich jetzt ein.

»Bisher sind wir noch nie angezeigt worden«, lautete Recklands ironische Antwort. »Und selbst wenn, Lady, verbotenes Glücksspiel muß man uns erst mal beweisen.«

»Ich werde Ihnen das schmutzige Handwerk legen, junger Mann.«

»Da nehmen Sie sich aber eine Menge vor, Lady.« Reckland lächelte flüchtig. »Aber ich kann Sie natürlich nicht daran hindern.«

»Wie, keine Drohungen?« wunderte sich die Detektivin.

»Aber nein, Lady«, erklärte Reckland. »Ich werde mich hüten. Ich denke nicht daran, Sie zu provozieren.«

»Schade«, ärgerte sich die ältere Dame. »Ich hätte Ihnen nur zu gern eine Ohrfeige verabreicht.«

*

»Wo ... wo stecken die beiden Angestellten?« wunderte sich Reckland einige Augenblicke später. Er war der höflichen Aufforderung Parkers gefolgt und begleitete seine Gäste aus den Büroräumen.

Auch Parker vermißte die handfesten Angestellten, die er zusammen mit Lady Agatha außer Gefecht gesetzt hatte. Sie hatten eine Art Sperr-Riegel vor Recklands Privatbüro gebildet, der von dem skurrilen Paar aus Shepherd’s Market fast beiläufig geknackt worden war.

»Raten Sie mal, junger Mann«, forderte die ältere Dame Reckland auf und lächelte in einer Mischung aus Bosheit und Stolz.

»Keine Ahnung.« Reckland blickte sich in dem Raum um, der nach den Normen eines Büros eingerichtet war. Dann blickte er auf einen geschlossenen Rollschrank, der fast bis zur Decke reichte.

»Nein, nein«, gab Agatha Simpson zurück, als sie Recklands fragenden Blick bemerkte. »Kalt, kalt, sehr kalt.«

»Dann muß ich passen«, sagte Reckland, der übrigens sinnigerweise eine Firma betrieb, die sich mit der Vergabe von Krediten befaßte.

»Nun strengen Sie sich gefälligst etwas an«, raunzte die ältere Dame ihn an.

»Mylady entschieden sich für die Seitenteile der Schreibtische?« fragte Parker, der seltsam gurgelnde Geräusche aus dieser Richtung gehört hatte,

»Stimmt, Mister Parker«, gab sie zurück. »Die beiden Lümmel wollten ja zuerst gewissen Schwierigkeiten machen, aber dann beeilten sie sich, in die Seitenfächer zu klettern. Ich mußte sie allerdings erst richtig zusammenstauchen.«

Während dieser Feststellung schwang die energische Dame unterstreichend ihren perlenbestickten Pompadour,

»In ... den ... Schreibtischen?« Reckland schien es einfach nicht glauben zu wollen.

»Eine wehrlose Frau wie ich mußte sich schließlich schützen«, erwiderte Agatha Simpson und nickte. »Ich wollte nicht angefallen werden.«

Sie ging zu einem der Seitenteile des ersten Schreibtisches, betätigte den Schlüssel und ließ den Jalousieverschluß nach unten fallen.

»Nun, Mister Parker, was sagen Sie?« wollte Lady Agatha von ihrem Butler wissen. Triumph beherrschte ihre Stimme.

»Meine Wenigkeit erlaubt sich, an eine verschnürte Mumie in Hockstellung zu denken«, antwortete Parker. Er sah einen der beiden Angestellten, dessen Kinn sich zwischen den angezogenen Knien befand. Der Mann hatte sich sehr klein gemacht und paßte gerade in das Seitenteil.

»Das ... das hat er doch niemals freiwillig gemacht«, brauste John Reckland auf.

»Natürlich nicht, junger Mann«, erwiderte die ältere Dame und faßte nach ihrem abenteuerlich aus sehenden Hutgebilde. Sie zog eine der Hutnadeln hervor und präsentierte sie Reckland, der unwillkürlich zurückwich. In seinen Augen war diese Nadel so groß wie ein mittlerer Bratspieß.

»Mylady mußten sicher mit der Hutnadel ein wenig nachhelfen«, vermutete der Butler.

»Das ist ja reine Körperverletzung«, stellte Reckland fest.

»Eine Behauptung, die man nur als maßlos überzogen bezeichnen kann«, antwortete Parker. »Denken Sie in diesem Zusammenhang aber an Spieler, die Ihnen und dem ›Ring‹ Geld schulden, Mister Reckland. Sie stehen diesem ›Ring‹ übrigens vor, wenn man fragen darf?«

»Unsinn«, gab Reckland zurück. Er hatte sich bereits wieder beruhigt und winkte überlegen ab.

»Vielleicht eine Person, deren Vorname Greg ist?«

»Greg? Wer soll denn das sein?« Reckland tat völlig ahnungslos.

»Eine Person, der Sie am Telefon versicherten, daß alles wie auf Schienen laufe.«

»Da ... da müssen Sie sich verhört haben«, stotterte Reckland sich sofort heraus und schüttelte den Kopf. »Ich kenne keinen Greg.«

»Hoffentlich fühlt diese Person sich von Ihnen nicht verraten«, entgegnete der Butler. »Es könnte ja sein, daß sie erfährt, wie leichtsinnig Sie, Mister Reckland, von ihr gesprochen haben.«

Parker lüftete die schwarze Melone und blickte seine Herrin abwartend an.

»Was ist denn?« fragte sie leicht gereizt.

»Hatten Mylady nicht die Absicht, diese Räume zu verlassen?«

»Und was geschieht mit diesem Subjekt?« fragte sie und deutete mit der Spitze ihrer Hutnadel auf Reckland, der unwillkürlich zurückwich und abwehrend die Arme hob.

»Mister Reckland hat jetzt Zeit und Gelegenheit, seine Angestellten aus den Seitenfächern zu bergen«, meinte Josuah Parker. »Vielleicht kann er den beiden Männern eine Massage angedeihen lassen. Es dürfte bei ihnen mit einiger Sicherheit zu gewissen Verspannungen und Krämpfen kommen.«

*

»Seit wann nennt man so etwas eine Boutique?« wunderte sich Lady Simpson eine Stunde später. Sie befand sich mit Parker im Stadtteil Clerkenwell im Nordosten der City.

Die Detektivin blickte durch die Wagenscheibe auf ein Ladenlokal mit ‚ zwei Schaufenstern, die geradezu abenteuerlich dekoriert waren. Einige Puppen waren mit schreiend bunten Produkten der Webindustrie zugehängt worden. Auf Ziegelsteinen, die man aufeinandergetürmt hatte, lag billiger Modeschmuck.

»Möglicherweise huldigt man einem neuen Trend der Zeit, Mylady«, beantwortete Parker die Frage. »Dort handelt es sich eindeutig um das Stammhaus des Mister Dennis Frankler.«

»Ich würde Trödelladen dazu sagen«, meinte Lady Agatha abfällig. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß dieser Bursche Umsatz macht.«

Parker hatte bereits den Wagen verlassen und öffnete den hinteren Schlag. Mylady schob ihre nicht unbeträchtliche Fülle nach draußen und schritt dann energisch zur Ladentür.

»Bedienung«, rief sie mit ihrer tiefen und dröhnenden Stimme in das Ladenlokal, als sie die halb geöffnete Tür passiert hatte. Agatha Simpson blickte sich fast kriegerisch nach allen Seiten und wandte sich dann an Parker.

»Sehen Sie sich diese Unordnung an«, mokierte sie sich. »Alles völlig durcheinander.«

»Mylady wird nicht entgangen sein, daß hier ein Kampf stattgefunden haben könnte«, äußerte Parker. Einige Sitzmöbel waren umgeworfen worden. Zwei Glasvitrinen bestanden nur noch aus Scherben. Die Regale hinter dem kleinen Tresen, auf dem die Kasse stand, waren teilweise leergeräumt worden.

Während Parker noch sprach, ging er bereits weiter und hielt auf einen Vorhang zu, der in den Gleitringen halb eingerissen war. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes schob er den Vorhang vollends zur Seite und blickte in eine Art Büro. Auch hier herrschte das Chaos. Auf dem Teppich lagen Papiere aller Art herum, die teilweise zerrissen und zertreten waren. Die Tür zu einem Geldschrank war weit geöffnet.

»Wären Sie schneller gefahren, wäre ich hier noch zurechtgekommen«, beschwerte sich die ältere Dame.

»Möglicherweise werden Mylady die Urheber dieser Verwüstung noch zur Rede stellen können«, erklärte Parker. »Der Tabakrauch ist noch recht frisch.«

»Und wo finde ich die Urheber?« Sie brannte darauf, sich endlich wieder mal betätigen zu können. Parker, der auf eine Antwort verzichtete, deutete mit der Spitze seines Regendaches auf eine schmale Tür hinter dem Schreibtisch. Er zog sie auf und blickte in einen Korridor, der vor einer Treppe endete, die nach unten führte.

»Worauf warte ich noch?« Die passionierte Detektivin war jetzt nicht mehr zu halten. Sie schob sich durch den engen Korridor in Richtung Treppe und rief dann ein munteres »Hallo« nach unten, bevor Parker dies verhindern konnte.

»Hallo«, antwortete eine Männerstimme. »Hier unten ... Moment, ich komme gleich rauf.«

»Aber ein bißchen plötzlich«, forderte die ältere Dame den Besitzer der Stimme ungeduldig auf. »Eine Lady Simpson ist es nicht gewöhnt, daß man sie warten läßt.«

Auf der Treppe waren schnelle Schritte zu vernehmen.

Wenig später erschien ein stämmiger Mann von etwa dreißig Jahren vor Agatha Simpson und richtete eine schallgedämpfte Pistole auf sie.

»Wenn du schreist, altes Fossil, werde ich ungemütlich«, sagte der Mann leichtsinnigerweise dazu und grinste tückisch. Hinter ihm erschien ein zweiter Mann, der eine Stahlrute durch die Luft zischen ließ.

»Ich denke nicht daran, zu schreien«, erwiderte Lady Agatha gereizt. »Was bilden Sie sich denn eigentlich ein?!«

*

Myladys majestätische Fülle deckte Parker ab. Die beiden Männer, die hintereinander auf der Treppe standen, konnten den Butler nicht ausmachen.

Was sich für sie bitter auszahlte.

Parker stach mit der Spitze seines Schirmes seitlich an Mylady vorbei und traf den Solarplexus des Waffenträgers, der mit dieser Attacke aus dem Hintergrund nicht gerechnet hatte.

Der Mann stieß einen unterdrückten Schrei aus und jaulte anschließend.

Lady Agatha hatte erstaunlich geistesgegenwärtig reagiert und ihm einen Fußtritt verpaßt, der sein rechtes Schienbein traf. Der Mann warf die Schußwaffe hoch in die Luft, verlor natürlich das Gleichgewicht und fiel gegen den Partner, der hinter ihm auf der Treppe stand.

Unmittelbar darauf kollerten die beiden Männer über die steile Treppe in den Keller hinab, aus dem sie eben erst gekommen waren. Sie prallten dabei gegen die Wände, wurden von den Stufenkanten zusätzlich massiert und blieben schließlich stöhnend unten liegen.

Sie wimmerten noch, als Mylady und Parker den Keller erreicht hatten, der eindeutig als Lager diente. Hier gab es Kartons auf Stellagen, Stahlblech-Container und aufeinander gestapelte Kisten.

Parker rückte eine der freistehenden Kisten zurecht und bot seiner Herrin, damit einen Sitzplatz an. Dann kümmerte er sich um die beiden Stöhnenden, die von sich behaupteten, sie hätten sich alle Knochen im Leib gebrochen.

»Diese Feststellung sollten Sie einem Facharzt überlassen«, schlug der Butler in seiner höflichen Art vor. »Würden Sie Mylady freundlicherweise erklären, wer Sie sind?«

Sie nannten Namen, die Parker sich einprägte, die ihm jedoch nichts sagten.

»Sie gehören mit Sicherheit nicht zu Mister Franklers Mitarbeitern«, meinte der Butler dann. »Sollten Sie von Mister Don Hayers geschickt worden sein, um hier gewisse Schulden einzutreiben?«

Einer der beiden hatte sich hochgesetzt und blickte das Paar aus Shepherd’s Market wütend und aggressiv an.

»Verzieht euch, bevor unsere Partner kommen«, sagte er dann mit flacher Stimme. »Haut ab, bevor es zu spät ist!«

»Dem Zustand Ihrer Nase nach zu urteilen, müssen Sie bereits einige Male in einem Boxring gestanden haben«, entgegnete Parker. »Dabei dürfte Ihr Nasenbein einigen Schaden genommen haben. Sie trainieren bei Mister Don Hayers?«

Ein recht obszöner Fluch war die Antwort.

Danach starrte der Mann die ältere Dame an, die ihm eine Ohrfeige verabreicht hatte. Sie hatte sie kurz wie einen Haken plaziert, und der Mann mit der eingeschlagenen und ein wenig windschief sitzenden Nase suchte geradezu innigen Kontakt mit der Kellerwand. Er schnaufte, schüttelte den Kopf und schluckte.

»Sie sollten die Dinge nicht eskalieren lassen«, sagte Josuah Parker. »In Myladys Gegenwart sind Flüche dieser Art keineswegs angebracht.«

»Verdammt, haben Sie aber einen Punch«, erwiderte der Boxer und zeigte sich ehrlich beeindruckt. »Okay, Hayers hat uns geschickt. Wir sollten bei Frankler kassieren, doch der is’ nicht da.«

Er gab sich treuherzig und legte es darauf an, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dadurch wollte er seinem Begleiter die Möglichkeit verschaffen, endlich aktiv zu werden. Der Mann hatte zwar seine Stahlrute verloren, war sicher aber noch im Besitz weiterer Kampfmittel, wie Parker unterstellte.

Der Butler hatte den Mann völlig richtig eingeschätzt.

Der ehemalige Stahlrutenbesitzer langte bereits verstohlen nach seinem Hosenbund, und Parker ging davon aus, daß der Mann mit Sicherheit nicht den Sitz der Hose korrigieren wollte. Den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes legte Parker daher prompt auf den Mittelhandknochen des Mannes.

Der Getroffene verfärbte sich, stöhnte und war nicht mehr in der Lage, seine Hand zu bewegen.

»Haben Sie bitte Verständnis für meine vielleicht etwas vorschnelle Reaktion«, bat Josuah Parker. »Aber nach Lage der Dinge mußte meine Wenigkeit davon ausgehen, daß Sie die Absicht hatten, nach einer verborgenen Waffe zu greifen.«

Parker irrte sich natürlich nicht.

Im Hosenbund des Mannes entdeckte er ein Wurfmesser, das in einer Scheide steckte. Der Butler nahm das Messer an sich und reichte es an Lady Agatha weiter, die es in der rechten Hand wog.

»Sehr hübsch«, meinte sie und nahm die Spitze des Wurfmessers dann zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie visierte den Mann an, der sich sofort klein machte. »Wissen Sie eigentlich, daß ich früher einmal Messer geworfen habe? Ich hoffe, junger Mann, daß ich es noch nicht verlernt habe.«

*

»Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, Mister Parker, daß Sie wieder mal einen Kardinalfehler begangen haben«, grollte die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und ärgerte sich.

»Mylady denken an die beiden Männer im Lagerkeller?«

»Natürlich, an wen sonst, Mister Parker? Sie haben nicht nachdrücklich genug gefragt.«

»Mylady hatten es mit unwichtigen Handlangern Mister Hayers zu tun.«

»Wenn Sie sich nur nicht täuschen«, sagte sie. »Aber Sie glauben ja stets alles, was man Ihnen erzählt. Etwas mehr Mißtrauen und Vorsicht wären für die Zukunft durchaus angebracht.«

»Meine bescheidene Wenigkeit wird sich bemühen, Mylady. Es dürfte allerdings bewiesen sein, daß Mister Hayers und seine Sportler für den ›Ring‹ die Schulden eintreiben.«

»Und was ist mit diesem Kreditlümmel, Mister Parker?«

»Mister Reckland ist offensichtlich für die reguläre Schuldeintreibung zuständig, und zwar unter dem Deckmantel seines Kreditbüros. Dabei handelt es sich um bereits bekannte Methoden. Mylady hatten in der Vergangenheit bereits mit solchen Instituten zu tun.«

»Ich weiß, ich weiß«, gab sie zurück. »Ich fahre jetzt also noch mal zurück in dieses Sport-Center?«

»Mylady hatten eigentlich vor, weitere Schuldner zu besuchen.«

»Tatsächlich?« wunderte sie sich.

»Meine Wenigkeit sorgte in Mister Meggans Wohnung für zusätzliches Adressenmaterial.«

»Richtig, Sie haben da ja fotografiert«, erinnerte sie sich. »Nun gut, haken wir das ab, Mister Parker, obwohl es ja wohl kaum etwas bringt.«

»Mylady wollen herausfinden, wo die Schuldner düpiert wurden.«

»Und wie sie ihre Schuldscheine unterschrieben«, fügte sie hinzu und nickte wohlwollend. »Ich höre, daß Sie sich Gedanken gemacht haben, Mister Parker. Nur weiter so! Man muß einen Kriminalfall wie ein Puzzle zusammensetzen. Daran sollten Sie stets denken.«

»In diesem Zusammenhang sollte man sich mit Mister Horace Pickett in Verbindung setzen.«

»Der gute Pickett.« Sie lächelte versonnen.

»Ein bemerkenswerter Mitarbeiter, der Mylady treu ergeben ist.«

Josuah Parker sprach von einem ehemaligen Taschendieb, der aber seit Jahren schon auf der richtigen Seite des Gesetzes stand. Pickett, der sich früher mal als Eigentumsumverteiler gesehen hatte, verfügte nach wie vor über beste Kontakte zur Szene. Dank dieser Verbindungen konnte er immer wieder mit erstklassigen Hinweisen dienen. Seine Spezialität war die Observation von Personen.

»Mylady könnten Mister Pickett bereits in weniger als einer Viertelstunde sehen und sprechen«, fuhr der Butler fort. »Meine Wenigkeit rief ihn von Mister Franklers Boutique aus an.«

»Er müßte etwas über diesen Kreis wissen«, erwiderte Agatha Simpson.

»Von der Existenz des sogenannten Rings müßte er längst erfahren haben, Mylady.«

»Ich glaube, Mister Parker, ich bin recht zufrieden«, stellte sie fest. »Die Dinge entwickeln sich genau so, wie ich es geplant habe.

»Mylady halten in der Tat alle Fäden in Händen«, erklärte der Butler.

»Wie gewöhnlich«, machte sie klar. »So etwas liegt einem Menschen im Blut, Mister Parker, so etwas kann man nicht lernen.«

»Mylady sind zu beneiden.«

»Nun lassen Sie erst gar keine Minderwertigkeitsgefühle in sich aufkommen, Mister Parker«, fügte sie munter hinzu. »Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihre Fehler immer rechtzeitig ausbügeln werde. Dazu bin ich ja schließlich da.«

»Ein Wissen, Mylady, das ungemein beruhigt.«

»Nicht wahr?« Sie nickte Wohlwollen. »Zudem, Mister Parker, haben ja auch Sie manchmal recht brauchbare Ideen. Sie sollten also keineswegs verzweifeln.«

Parker verzichtete auf weitere Bemerkungen.

*

Der Handschuhmacher hieß Paul Saddler und mochte fünfzig sein. Er betrieb ein Geschäft in der City und hatte einen Namen, der in gehobenen Kreisen gut bekannt war. Der Handwerker war ein kleiner, schlanker Mann mit gemessenen Bewegungen.

Als Parker und Lady Agatha sein gediegen eingerichtetes Geschäft betraten, wußte er natürlich sofort, daß er es mit Kunden zu tun hatte, die über ein ansehnliches Bankkonto verfügten.

»Sie haben die Ehre, Lady Simpson bedienen zu dürfen«, sagte Parker.

»Stets zu Ihren Diensten, Mylady.« Saddler verbeugte sich devot. »Ich bin sicher, Ihren Wünschen entsprechen zu können.«

»Das wird sich zeigen, junger Mann«, reagierte Lady Agatha spitz. »Sie sind häufiger Gast in diversen Spielhöllen, wie man mir sagte?«

Paul Saddler sog scharf die Luft ein und trat einen Schritt zurück. Er blickte die ältere Dame entgeistert an und schnappte nach Luft. Mit solch einer Feststellung hatte er sicher nicht gerechnet.

»Woher ... woher ...?«

»Sie haben nicht immer pünktlich gezahlt?« forschte Mylady ungeniert weiter.

»Mylady, Verzeihung, aber ich ... Woher wissen Sie? Ich meine, ich habe...«

»Spielen Sie nun, junger Mann, oder spielen Sie nicht?« raunzte Lady Agatha umgehend.

»Mylady ist gekommen, um Ihnen Hilfe anzubieten«, schaltete Josuah Parker sich in seiner höflichen Art ein. »Man kann und darf Ihnen versichern, daß Sie nichts zu befürchten haben, Mister Saddler.«

Der Handschuhmacher schwitzte bereits deutlich und erlitt einen kleinen Schwächeanfall. Er tastete sich an der Theke entlang zu einem Sessel und plumpste förmlich in ihn hinein.

»Mylady beschäftigen sich mit einem sogenannten Ring, Mister Saddler, für den einige Schläger arbeiten, die auf säumige Schuldner angesetzt werden.«

»Sie sind doch schon einige Male von diesen Subjekten besucht worden, wie?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Woher ... woher wissen Sie das?« Saddlers Stimme war heiser geworden.

»Ihr Name ist auf der Liste eines dieser Schläger verzeichnet, Mister Saddler«, erläuterte der Butler.

»Sie wollen mir wirklich helfen?«

»Sie werden bald keine Sorgen mehr haben, junger Mann.«

»Könnte es den Tatsachen entsprechen, Mister Saddler, daß Sie Schuldscheine unterschrieben haben, deren Existenz Sie sich nicht erklären können?« erfragte Parker.

»Richtig, Schuldscheine«, bestätigte der Handschuhmacher. »Genau die präsentiert man mir ...«

»Wie viele dieser Schuldscheine existieren, Mister Saddler?«

»Noch sechs. Vier habe ich inzwischen bezahlt.«

»Um welche Summen handelte es sich, Mister Saddler?«

»Pro Schuldschein zweitausend Pfund. Und ich schwöre, ich weiß nicht, wie meine Unterschrift auf diese Papiere gekommen ist.«

»Man hat Sie selbstverständlich betrunken gemacht«, meinte die ältere Dame. »Wahrscheinlich können Sie überhaupt nichts vertragen.«

»Mylady wünscht zu erfahren, wo Sie seinerzeit gespielt haben, Mister Saddler.« Parker blieb beim Thema, wie es seiner Art entsprach,

»Wo ich gespielt habe?« Saddler hatte sich ein wenig erholt und richtete sich auf. »Das war in einer Privatwohnung. Ich hatte meine Spieler während einer Party kennengelernt.«

»Die in welchem Haus stattfand, Mister Saddler?«

»Also, ich weiß nicht, ob ich ... Verstehen Sie doch! Ich möchte nicht indiskret sein und ...«

»Nun reden Sie schon endlich, bevor ich ein wenig ärgerlich werde, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Nennen Sie gefälligst Namen und Adressen! Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.«

Paul Saddler holte tief Luft, blickte Mylady dabei in einer Mischung aus Respekt und Angst an und berichtete dann ausführlich von seinem Erlebnis.

Parker schien während dieser Schilderung nicht recht bei der Sache zu sein. Er stand in der Nähe der Auslage und blickte auf die Straße. Er interessierte sich für eine Limousine der Marke Honda, in der zwei Männer saßen, die gerade offensichtlich einen Stadtplan studierten.

Er gewann den Eindruck, diesen Wagen bereits vor der Boutique des Mr. Dennis Frankler gesehen zu haben.

*

»Ich denke, ich bin zufrieden«, konstatierte Agatha Simpson nach einer Viertelstunde. Sie hatte gerade wieder in Parkers Wagen Platz genommen. »Dieser Handschuhmacher war doch sehr ergiebig, nicht wahr, Mister Parker?«

»Seine Hinweise könnten in der Tat recht nützlich werden, Mylady«, meinte Parker. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum von der Bordsteinkante gelöst und fädelte sich in den Verkehr ein. Ein Blick in den Rückspiegel sagte ihm, daß der Honda nicht folgte.

»Ich weiß jetzt, wo man diesen Mann ausgenommen hat«, erklärte Agatha Simpson fast begeistert. »Dieses Nest werde ich umgehend ausheben. Ihnen ist doch wohl klar, Mister Parker, daß der Inhaber dieser Privatwohnung auch der Chef des ›Ring‹ ist, oder?«

»Man sollte dies nicht unbedingt von der Hand weisen, Mylady«, entgegnete der Butler. Er hatte sein hochbeiniges Gefährt in die nächste Seitenstraße gebracht und hielt schon wieder.

»Was soll das, Mister Parker?« Sie blickte sich irritiert um. »Warum halte ich hier?«

»Mister Saddler könnte vielleicht Besuch bekommen, der ihm nicht angenehm ist, Mylady.«

»Was Sie sich nur wieder einbilden, Mister Parker«, spöttelte sie. »Sie sehen Gespenster.«

»Mylady pflegen den Dingen stets auf den Grund zu gehen«, erinnerte der Butler.

»Nun ja«, räumte sie widerwillig ein. »Ich werde Ihnen den Gefallen tun und noch mal zurückgehen. Darauf wollen Sie doch hinaus, nicht wahr?«

Parker war bereits ausgestiegen, lüftete die schwarze Melone und reichte seiner Herrin die Hand, als die ihre Fülle aus dem Wagen schob. Er führte sie zurück zur Straßenecke und blickte dann zum Geschäft des Handschuhmachers hinüber.

Einer der beiden Honda-Benutzer stand vorn am Eingang und rauchte gelangweilt eine Zigarette. Dabei blickte er immer wieder unauffällig nach beiden Seiten der Straße.

Parker wußte die Körpersprache dieser Schläger richtig zu deuten. Er griff nach seiner Gabelschleuder, die sich in der rechten Innentasche seines schwarzen Covercoats befand, versorgte sich aus einer der vielen Westentaschen mit der richtigen Munition und spannte dann die beiden Gummistränge der Zwille.

Es war wieder mal bestechend, mit welcher Beiläufigkeit und Schnelligkeit er die hart gebrannte Ton-Erbse auf den Weg schickte. Dieses unheimliche, seltsame Geschoß sirrte fast unhörbar und mit beachtlicher Geschwindigkeit durch die Luft und erreichte ihr Ziel.

Der Raucher wurde fast um zwei Zentimeter größer, ließ die Zigarette fallen und rutschte gegen die Ladentür, die sich unter seinem Gewicht nach innen öffnete.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der zweite Honda-Benutzer in der Tür erschien. Er wollte nicht viel riskieren, schob nur den Kopf durch die geöffnete Tür, um wohl einen Blick auf die Straße zu werfen und ... rutschte dann ebenfalls haltlos in sich zusammen. Die zweite Ton-Erbse aus der Lederschlaufe der Schleuder hatte ihn voll erwischt.

»Zufall«, mokierte sich die ältere Dame, die die beiden Treffer durchaus beobachtet hatte. »Wahrscheinlich haben Sie völlig harmlose Passanten oder Kunden getroffen.«

»Man sollte sich davon vielleicht überzeugen, Mylady«, schlug Josuah Parker in seiner bekannt höflichen Art vor. Er deutete mit der Schirmspitze auf das Ladenlokal und setzte sich gemessen in Bewegung.

Lady Agatha schloß sich an und brachte ihren Pompadour in erste Schwingung. Sie freute sich eindeutig auf die zu erwartende Abwechslung, und zwar derart, daß sie Butler Parker sogar überholte und sich einen Teufel darum scherte, wie dicht der Verkehr auf der schmalen Straße war.

Sie sorgte für Vollbremsungen und leichte Blechschäden an einigen Autos, deren Fahrer nicht schnell genug reagiert hatten. Die energische Dame schien so etwas wie das rote Meer geteilt zu haben. Mit einer Handbewegung verschaffte sie sich einen Übergang und blieb dann erwartungsvoll stehen.

Ein Fahrer, an dessen Wagen die Stoßstange eingedrückt war, schob den Kopf aus dem geöffneten Fenster und erkundigte sich nach ihrem Porzellan. Dabei konzentrierte seine Frage sich auf den Zustand ihrer Kaffeetassen im Schrank.

»Wie war das gerade?« fragte Lady Simpson und schritt auf den Fahrer zu.

»Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?« wiederholte der leichtsinnige und ahnungslose Mann seine Frage. Dann zuckte er zusammen und stöhnte. Mylady hatte ihren sogenannten Glücksbringer, der sich im Handbeutel befand, auf der Motorhaube abgelegt und das recht dünne Blech eingedellt. Anschließend war die ältere Dame bereit, sich mit dem Fahrer über den Gesamtzustand ihrer Porzellanwaren ausgiebig zu unterhalten.

*

Josuah Parker war weitergegangen, als hätte er nichts bemerkt. Er hatte absolut nichts dagegen, daß Lady Simpson für eine allgemeine Ablenkung sorgte. So hatte er wenigstens Zeit, sich ungestört mit den beiden Honda-Benutzern zu unterhalten.

Sie lagen fast quer übereinander und waren noch nicht wieder zu sich gekommen.

Der Butler sorgte erst mal dafür, daß sie im Ladenlokal verschwanden. Er zog sie fast beiläufig an den Beinen in das Geschäft, schloß die Tür und wendete das Schild vor der Glasfüllung. Von der Straße aus war nun zu lesen, daß man kurzfristig geschlossen hatte.

Der Handschuhmacher hing schief in einem der Kundensessel und war eindeutig mitgenommen. Er tupfte sich mit müden Bewegungen wie im Zeitlupentempo die Nase und stöhnte verhalten.

»Nach Lage der Dinge dürfte man Sie an Ihre diversen Schuldverpflichtungen erinnert haben, Mister Saddler«, sagte Parker. »Oder wollte man Sie warnen, etwas zur Sache zu sagen?«

»Warum ... warum sind Sie nur gekommen?« beschwerte sich der Handschuhmacher und stöhnte erneut. »Ohne Sie wäre das alles nie passiert.«

»Der Grund für Ihre vergangenen, momentanen und zukünftigen Schwierigkeiten dürfte in Ihrer Spielleidenschaft zu suchen sein«, gab der Butler zurück. »Sie kennen diese beiden Männer?«

Parker deutete auf die beiden Honda-Benutzer, die sich regten.

»Ja, ich kenne sie«, gab Saddler sofort zu. »Sie kassierten bisher die Monatsraten.«

»Man wird Sie bald nicht mehr belästigen, Mister Saddler«, versprach Josuah Parker. »Wie war übrigens der Name jenes Mannes, in dessen Privatwohnung Sie Ihre Spielschulden machten?«

»Den habe ich Ihnen doch eben genannt.«

»Eine Wiederholung des Namens könnte recht nützlich sein, Mister Saddler.«

»Greg Rowlings«, reagierte der Handschuhmacher prompt mit dem Namen, den er Lady Simpson und Parker bereits genannt hatte.

»Auch hinsichtlich der Adresse dieses Mister Greg Rowlings haben Sie keine Korrektur anzubringen?«

»Nein, diese Adresse stimmt«, versicherte Saddler dem Butler. »Rowlings hat einen Supermarkt für Heimwerker. Und genau darüber haben wir damals gespielt.«

Weitere Fragen hatte Parker vorerst nicht an den Handschuhmacher zu richten, zumal Lady Agatha vor der Ladentür erschien und laut und deutlich klopfte. Parker ließ die ältere Dame ein. Sie machte einen sehr zufriedenen Eindruck und strahlte.

»Ich habe einigen Lümmeln dort drüben auf der Straße Manieren beigebracht«, begann sie zu berichten und schob ihr Hutgebilde zurecht, das ein wenig in die Stirn gerutscht war. »Diese Subjekte waren frech geworden und beleidigten mich.«

»Kam es zum Einschreiten der Polizei, Mylady?«

»Nur am Rand«, antwortete Lady Agatha. »Ich habe zwei Streifenfahrern klargemacht, daß ich zutiefst beleidigt worden bin.«

Sie blickte auf die Honda-Benutzer und dann auf Saddler.

»Hat man Sie etwa geschlagen?« wollte sie wissen.

»Mit Stahlruten«, erwiderte der Handschuhmacher.

»So etwas nehme ich stets übel, junger Mann«, meinte sie. »Ich werde auch diesen Subjekten Manieren beibringen. Haben Sie einen hübschen Raum, der lärmsicher ist?«

*

Horace Pickett, etwa sechzig Jahre alt, groß, schlank und an einen pensionierten Offizier erinnernd, fand sich am telefonisch vereinbarten Treffpunkt ein und stieg zu Mylady in den Wagen. Er beugte sich über die Hand der älteren Dame und deutete einen Handkuß an.

»Lassen Sie das, mein lieber Pickett«, sagte Lady Agatha ohne jeden Nachdruck. »Bringen Sie gute Nachrichten?«

»Der ›Ring‹, Mylady, nach dem Mister Parker sich erkundigte, existiert schon seit einigen Monaten«, berichtete Pickett. Er trug einen Trenchcoat und einen karierten Travellerhut. Nichts deutete auf seine Vergangenheit als selbsternannter Eigentumsumverteiler hin.

»Handelt es sich dabei um einen losen Zusammenschluß von Spielhöllenbesitzern, Mister Pickett, oder aber hat man es mit einer straff geführten Organisation zu tun?« fragte Parker nach hinten. Er hatte die Trennscheibe zwischen dem vorderen und hinteren Teil des Wagens gesenkt.

»So wie man hört, Mister Parker, soll man dabei sein, eine Organisation aufzuziehen«, beantwortete Pickett die Frage. »Irgendwer versucht, das illegale Glücksspiel hier in London nach US-Manier zu straffen.«

»Wurden in diesem Zusammenhang bereits Namen genannt?«

»Man spricht von einem gewissen Greg Rowlings«, gab Pickett auf die Frage Auskunft. »Rowlings besitzt ein paar Supermärkte für Heimwerker hier in London und Umgebung.«

»Erstaunlich, daß man seinen Namen bereits öffentlich nennt, Mister Pickett«, fand der Butler.

»Das wundert mich natürlich auch, Mister Parker«, entgegnete Horace Pickett und lachte dann leise. »Sieht aus, als würde man da absichtlich einen Popanz aufbauen.«

»Sollte man sicherheitshalber nicht davon ausgehen, daß Mister Greg Rowlings nur für falsche Spuren zu sorgen hat?«

»Papperlapapp«, schaltete Agatha Simpson sich umgehend ein. »Sie komplizieren alles wieder mal völlig unnötig, Mister Parker. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß dieses Subjekt der gesuchte Täter ist, auf den es mir ankommt.«

»Man sollte diesen Mann selbstverständlich nicht völlig aus den Augen verlieren«, gab Parker höflich zurück.

»Was ich mir aber auch ausgebeten haben möchte«, grollte sie. »ich bin doch wohl hoffentlich auf dem Weg zu ihm, oder?«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Wie war das denn noch mit diesen beiden Lümmeln und dem Handschuhmacher?« wollte Mylady wissen. »Haben Sie nicht auch von diesem ...«

»... Greg Rowlings«, half Parker aus.

»...von diesem Rafflings gesprochen?« nahm die ältere Dame ihre Frage wieder auf. »Eindeutiger können Hinweise doch wohl nicht sein.«

»Ein Besuch bei Mister Rowlings bietet sich förmlich an, Mylady«, erwiderte der Butler und korrigierte den Namen, den Lady Simpson genannt hatte. »Ein Blick in die hinteren Räume seines Supermarktes kann nicht schaden.«

»Ich habe mich auch nach Dennis Frankler erkundigt«, berichtete Horace Pickett weiter. »Er hat tatsächlich einen Bruder. Dennis Frankler besitzt gute Verbindungen zur Unterwelt. Er arbeitet als Hehler und läßt Diebstähle ausführen.«

»Recht erstaunlich, Mister Pickett, daß er sich als Kenner der Materie mit dem ›Ring‹ anlegt«, wunderte sich Parker diskret.

»Er gehört wahrscheinlich zu den Leuten, Mister Parker, die den ›Ring‹ erst gar nicht aufkommen lassen wollen. Es gibt Widerstände genug.«

»Keine Spekulationen«, verbat sich die Detektivin energisch. »Aber mir kommt da gerade ein Gedanke, der mich elektrisiert, Mister Parker.«

»Mylady versetzen meine Wenigkeit in höchste Spannung«, behauptete Butler umgehend.

»Dieser Boutiquenbesitzer ist der Unbekannte, der diesen Kreis aufziehen will«, erklärte die ältere Dame nachdrücklich.

»Mister Frankler als der Begründer des ›Ring‹, Mylady?« fragte Parker sicherheitshalber zurück.

»Natürlich«, setzte Agatha Simpson hinzu. »Die Einzelheiten werde ich Ihnen später erläutern, Mister Parker.«

»Mister Frankler trat in Mister Meggans Wohnung für seinen düpierten Bruder Willie ein, Mylady«, gab Parker zu bedenken.

»Ein Täuschungsmanöver«, tat sie seinen Hinweis generös ab. »Aber das haben Sie natürlich nicht durchschaut.«

»Meine Wenigkeit sprach mit Mister Franklers Bruder in Sussex, Mylady.«

»Eine abgesprochene Sache, Mister Parker.« Sie lachte fast belustigt. »So etwas läßt sich schließlich leicht bewerkstelligen. Nachdem Sie diesen Lümmel auf dem Parkplatz durch Zufall überwältigen und ausschalten konnten, reagierte die Gegenseite umgehend und legte eine falsche Spur. Jetzt sind Sie überrascht, Mister Parker, nicht wahr?«

»Die Verblüffung meiner bescheidenen Wenigkeit, Mylady, kennt keine Grenzen«, gab der Butler zurück. Und sein Gesicht blieb wieder mal glatt und ausdruckslos, wie das eines professionellen Pokerspielers.

*

Horace Pickett hatte den Wagen verlassen, und Mylady und Butler Parker erreichten den weiten Parkplatz vor dem Heimwerker-Center.

Der Supermarkt schien gut frequentiert zu werden. Es gab viele parkende Fahrzeuge. Kunden kamen und gingen. Aus vollbepackten Einkaufswagen wurden Do-it-yourself-Waren aller Art in die Autos umgeladen. Alles machte einen völlig regulären und unverdächtigen Eindruck.

»Halten Sie die Augen auf, Mister Parker«, forderte Agatha Simpson ihren Begleiter auf.

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker schritt zusammen mit seiner Herrin zum Eingang.

»Und achten Sie auf Sonderangebote«, redete sie weiter. »Vielleicht gibt es auch kostenfreie Proben. Sie wissen schon, was ich meine.«

Parker war einen Schritt vorausgegangen und öffnete Mylady die Glastür. Mit schnellem Blick orientierte er sich und entdeckte weit im Hintergrund des Supermarktes eine verglaste Querbühne, auf der sich augenscheinlich diverse Büroräume befanden. Hinter dem letzten Viertel dieser Glasfläche war ein Lamellenrollo heruntergelassen worden.

Parker ging auf diese Querbühne zu, die man über eine schmale Treppe erreichte. Mylady folgte energiegeladen und brachte ihren Pompadour bereits in erste Schwingung. Sie hoffte auf einen hübschen Zwischenfall.

Als man an der Treppe ankam, öffnete sich oben eine Tür. Ein junger Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, schob sich geschmeidig nach unten und schien die beiden Kunden erst jetzt richtig wahrzunehmen.

Er erkundigte sich höflich nach ihren Wünschen. .

»Zu Mister Greg Rowlings«, sagte Parker »Möglicherweise rechnet er bereits mit Lady Simpson und mit meiner Wenigkeit.«

»Oh, da haben Sie aber Pech«, lautete die von Parker fast schon erwartete Antwort. »Mister Rowlings ist außer Haus.«

»Sind Sie sicher, junger Mann?« fragte Lady Agatha. Ihre Stimme klang verdächtig friedlich.

»Er ist vor etwa einer halben Stunde zu einer unserer Filialen gefahren, Lady. Kann ich ihm etwas ausrichten?«

»Aber natürlich.« Die ältere Dame dämpfte geheimnisvoll ihre Stimme und winkte den Angestellten näher heran. »Sagen Sie ihm, daß ich ... mich so leicht nicht abspeisen lasse!«

Sie drückte ihn mit ihrer Körperfülle gegen das Geländer der Treppe und nagelte ihn daran förmlich fest. Der junge Mann wollte sich verständlicherweise wehren, doch dann verfärbte sich plötzlich sein Gesicht. Dieses kleine Phänomen hing eindeutig mit Myladys linkem Fuß zusammen. Sie hatte ihn nämlich samt Schuh auf den rechten Fuß des jungen Mannes gestellt. Myladys beachtliches Körpergewicht wirkte sich in Sekundenschnelle aus.

»Ich hasse es, wenn man mich belügt«, meinte die resolute Dame und lächelte boshaft. »Und ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich tätlich angreift!«

Der Angestellte war einer kleinen Ohnmacht nahe und stöhnte verhalten. Butler Parker, der seine schwarze Melone höflich gelüftet hatte, nutzte die günstige Gelegenheit, quetschte sich an Mylady vorüber und stieg wie selbstverständlich nach oben.

Als er die Glastür erreicht hatte, hörte er hinter sich ein schepperndes Geräusch. Agatha Simpson hatte ihr Opfer freigegeben und dem jungen Mann einen leichten Rippenstoß versetzt. Er landete vor einer Wand, an der Werkzeuge aller Art hingen! Sie hatten sich aus ihren Halterungen gelöst und regneten auf den jungen Mann herab.

Parker drückte die Tür auf und – sah sich zwei Männern in grauen Kitteln gegenüber, die Faustfeuerwaffen auf ihn richteten.

*

»Man erlaubt sich, einen wunderschönen Nachmittag zu wünschen«, grüßte Josuah Parker, der die beiden schallgedämpften Pistolen gar nicht zu sehen schien. »Meine Wenigkeit spricht selbstverständlich auch im Namen einiger Herren, die dem Yard angehören und sich bereits hier im Supermarkt befinden.«

Die beiden Kittelträger wurden unsicher.

»Sie verkaufen auch Schußwaffen?« wunderte sich Parker verhalten. Jetzt erst sah er offensichtlich die Pistolen und deutete mit der Schirmspitze auf sie.

Bevor die beiden leicht irritierten Männer überhaupt reagieren konnten, wurde Parkers Schirm zu einer blitzschnell gehandhabten Waffe. Die beiden Pistolen wurden den Männern aus der Hand geschlagen und polterten zu Boden.

Natürlich hatten die Kittelträger nicht die Absicht, sich ohne weiteres außer Gefecht setzen zu lassen. Sie drangen auf Parker ein und wollte ihre nicht gerade kleinen Fäuste einsetzen.

Aus Parkers Schirm wurde ein Kendo-Stock, den der Butler souverän einsetzte. Der Schirm lag waagerecht in seinen Händen, die ihn oben und unten umspannten. Mit dem bleigefüllten Griff und der Schirmspitze trieb der Butler die Männer zurück und versetzte ihnen dabei empfindliche Schläge, die jene Körperpartien trafen, die einen Schmerz umgehend ins Hirn meldeten.

Und diese Meldungen überschlugen sich.

Die beiden Kittelträger jaulten und stöhnten, schnappten verzweifelt nach Luft und saßen nach wenigen Augenblicken ausgepumpt und schmerzüberflutet auf dem Boden.

Parker legte den Griff seines Schirmes korrekt über den angewinkelten linken Unterarm und verlieh seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß er gegen seinen Willen hatte deutlich werden müssen.

»Werde ich gebraucht?« hörte er hinter sich Myladys Stimme. Sie war nachgekommen und blickte grimmig auf die beiden Männer, während Parker ihre Waffen in den Taschen seines schwarzen Covercoats verschwinden ließ.

»Die Dinge erledigten sich bereits am Rande, Mylady«, beantwortete Parker die Frage. »Möglicherweise kam es seitens meiner Wenigkeit zu einer Überreaktion.«

»Nicht unbegabt, Mister Parker.« Sie wirkte ein wenig enttäuscht und sah die beiden Kittelträger erwartungsvoll an. »Von mir aus können Sie durchaus noch mal beginnen.«

Daran waren die beiden Angestellten nicht interessiert. Sie zogen die Köpfe wie beleidigte Schildkröten ein und verzichteten auf eine Antwort. Josuah Parker war bereits wieder unterwegs und stieß mit der Schirmspitze eine leichte Tür auf.

Er blickte in einen Raum, dessen Glasfenster zum Supermarkt hin durch eine Jalousette gegen Einblicke gesichert war. Es gab modernes Inventar, doch von Greg Rowlings war nichts zu sehen. Eine Tür im Hintergrund, die nur leicht angelehnt war, sprach Bände. Der Besitzer des Supermarkts schien sich Hals über Kopf empfohlen zu haben.

Parker öffnete auch die nächste Tür und blickte in ein Treppenhaus. Eine Wendeltreppe führte ins Obergeschoß und auch nach unten in die Keller- und Lagerräume.

»Es wäre recht hilfreich, wenn Sie sagen würden, wo man Mister Rowlings finden kann«, wandte er sich an die Kittelträger, die von Lady Agatha bewacht wurden.

»Der Chef muß oben sein«, sagte einer der beiden Männer.

»Oder unten«, fügte der erste Mann hinzu.

»Ich hoffe, Sie wollen sich einen Spaß mit mir erlauben«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. Sie hatte endlich einen Grund, ihren perlenbestickten Pompadour kreisen zu lassen.

Um zu demonstrieren, mit welchem Inhalt die beiden Männer zu rechnen hatten, setzte sie ihren Glücksbringer im Handbeutel gekonnt und nachdrücklich auf einen leichten Teewagen, der wohl als Aktenbock diente.

Die beiden Kittelträger fuhren zusammen, als der Teewagen förmlich explodierte. Die Beine brachen ab, die Platte zersplitterte, Akten flogen durch die Luft. Lady Agatha, instinktsicher wie immer mit einem wachen Sinn für das Außergewöhnliche ausgestattet, improvisierte noch zusätzlich.

Sie hatte eine Plastikflasche mit Klebestoff entdeckt, öffnete den Verschluß und drückte mit kräftigen Fingern auf den Bauch dieses nicht gerade kleinen Gefäßes. Der flüssige Klebstoff tropfte und gluckerte. Er spritzte aus dem schlanken Hals und senkte sich auf die Männer.

Sie wischten sich die Nässe aus dem Gesicht, verklebten sich die Hände und begingen den Fehler, sich die Finger an ihren Kitteln abwischen zu wollen. Dadurch kam es zu erneuten Kontakten, die sich als sehr hinderlich für die allgemeine Bewegungsfähigkeit herausstellten.

»Im ... im Keller«, erklärten sie nun fast gleichzeitig, jeden Widerstand aufgebend. Sie machten damit mehr als deutlich, daß sie keineswegs die Absicht hatten, sich mit Lady Simpson einen Spaß zu erlauben.

*

Greg Rowlings war nicht mehr zu erreichen.

Von den Kellerräumen seines Supermarktes aus hatte er das Weite gesucht und sich erst mal in Sicherheit gebracht. Parker hatte den Fluchtweg des Mannes schnell entdeckt. Es gab von einem Lagerraum aus eine Stahltür, die Greg Rowlings nicht abgeschlossen hatte. Sie führte in eine mittelgroße, niedrige Tiefgarage, in der noch die Abgase seines Wagens zu riechen waren.

Die beiden Kittelträger waren mehr als erleichtert, als Parker wieder auf der verglasten Büro-Bühne erschien. Sie schienen völlig eingeschüchtert zu sein. Lady Agatha stand vor ihnen und hatte sie nicht aus den Augen gelassen,

»Was für Waschlappen«, mokierte sie sich. »Sie haben noch nicht mal einen Fluchtversuch riskiert, Mister Parker, Was soll ich nur von dieser Jugend halten?«

»Myladys Autorität haben Gedanken an eine mögliche Flucht oder Gegenwehr erst gar nicht aufkommen lassen«, vermutete der Butler. »Die beiden Herren warten sicher darauf, Mylady und meine Wenigkeit in die oberen Privaträume des Mister Rowlings begleiten zu dürfen.« Sie waren mit Parkers Deutung vollauf einverstanden und übernahmen die Führung. Inzwischen hatten sie übrigens maskenhaft steife Gesichter. Der Klebstoff auf ihren Gesichtern war getrocknet, auch Finger und Hände hatten an Beweglichkeit verloren. Sie gingen voraus, stiegen die Wendeltreppe hinauf und blieben vor einer Tür stehen.

»Da kommen wir nicht rein«, sagte einer der beiden Kittelträger, »dazu gehört ein Spezialschlüssel.«

»Wenn Sie richtig hinzusehen belieben, meine Herren, werden Sie feststellen, daß die Tür nur oberflächlich angelehnt ist«, gab der Butler zurück. Er stand nun so vor der Tür, daß er das Schloß mit seinem Körper verdeckte.

Parker hielt bereits ein kleines Spezialbesteck in der rechten Hand und brauchte nur wenige Augenblicke, um das Schloß zum Nachgeben zu überreden. Ein versierter Schlosser oder auch ein Spezialist aus der Unterwelt hätte wahrscheinlich vor Parkers Fähigkeiten kapituliert.

Der Butler drückte mit der Schirmspitze das Türblatt auf und trat ein. Es folgten die beiden Kittelträger, dann die ältere Dame. Sie hielt eine ihrer bratspießähnlichen Hutnadeln in der rechten Hand und wartete nur darauf, sich betätigen zu können.

Die Wohnung war nicht sonderlich üppig eingerichtet. Es gab einen gewissen Komfort an Möbeln und Sitzgruppen, die aber aus Serienfabrikationen stammten. Die gesamte Wohnung mochte etwa hundert Quadratmeter groß sein und verfügte in jedem der vier Wohnräume über einen zentralen runden Tisch.

»Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Mylady, daß hier fast regelmäßig und professionell gespielt wird«, stellte Parker fest. »Mit Ihrer Erlaubnis ...«

Er wartete Myladys Zustimmung gar nicht ab, sondern durchsuchte die Wandschränke und wurde schnell fündig. Er entdeckte Spielsets, Karten, einige Roulettekessel und Kartenschlitten.

Die beiden Kittelträger hatten auf einem einfachen Teppich Platz genommen und wurden unruhig, als Parker ihnen einige Fragen in Aussicht stellte.

»Wir wissen gar nichts«, behauptete der zweite Mann im vorhinein.

»Das wird sich zeigen, junger Mann«, meinte die ältere Dame und ließ ihre Hutnadel senkrecht nach unten in den Teppich fallen. Sie bohrte sich durch das Gewebe und blieb vibrierend stecken.

»Mylady wünschen zu erfahren, wo man Mister Rowlings finden kann« stellte Parker die erste Frage. »Man kann ja wohl davon ausgehen, daß er über eine Ausweichwohnung verfügt.«

Parkers Vermutung erwies sich als richtig!

*

Sie war etwa dreißig Jahre alt, mittelgroß und weizenblond, trug einen Bademantel, klapperte unschuldig mit den Lidern und gab sich als großes Kind.

»Miß May Morgan?« fragte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone.

»Ich kaufe nichts«, sagte sie und lächelte freundlich.

»Natürlich nicht, Kindchen«, schaltete Lady Agatha sich ein und schob ihre Fülle ins Blickfeld. Die ältere Dame hatte sich seitlich neben der Wohnungstür aufgebaut und war von May Morgan bisher nicht wahrgenommen worden.

»Ich ... ich kaufe wirklich nichts«, wiederholte die junge Dame noch mal und wollte die Tür wieder schließen.

»Herzlichen Dank für die freundliche Einladung.« Mylady schien nichts gehört oder auch verstanden zu haben. Sie lehnte ihren Körper gegen das Türblatt, das prompt nachgab und sich weit öffnete.

»Was soll denn das?« empörte sich die Blondine.

»Ich nehme gern eine Tasse Tee«, provozierte Lady Agatha. »Solch einem Angebot kann ich nie widerstehen, meine Beste.«

Sie ging bereits durch den kleinen Korridor und betrat den Wohnraum des Apartments, das die beiden Kittelträger genau beschrieben hatten.

»Verlassen Sie sofort meine Wohnung«, verlangte die Blondine. Ihre Stimme war schrill geworden.

»Selbstverständlich würde ich auch einen Sherry nehmen«, machte Agatha Simpson deutlich. Sie war ihrem Butler gefolgt und marschierte energisch zu einer Tür, die sie dann ohne weiteres öffnete.

»Ich rufe die Polizei, wenn Sie nicht augenblicklich gehen«, drohte May Morgan. »Das ist ja der reinste Überfall.«

»Mylady ist hier bei Ihnen mit Mister Greg Rowlings verabredet«, schaltete Parker sich ein. »Nach diversen Auskünften sind Sie sehr eng mit ihm liiert, nicht wahr?«

»Was geht Sie das an?«

»In Mister Greg Rowlings Wohnung über dem Ihnen sicher bekannten Supermarkt dürfte inzwischen die Polizei Gerätschaften beschlagnahmen, die dem verbotenen Glücksspiel dienen, Miß Morgan. Gehen Sie davon aus, daß man auch Ihnen bald einen Besuch abstatten wird.«

»Ich ... ich kenne Rowlings nur oberflächlich.« Sie preßte nach diesem Statement ihre Lippen fest aufeinander.

»Es werden Zeugen auftreten, die das Gegenteil behaupten werden«, erwiderte Parker. »Sie sollten davon ausgehen, daß man Ihr Apartment durchsuchen wird.«

»Von mir aus!« Sie machte plötzlich einen sehr sicheren Eindruck, und Parker wußte, daß man in ihrer Wohnung nichts Belastendes finden würde.

»Sie wissen nicht, wo sich Mister Rowlings aufhält, Miß Morgan?«

»Was weiß denn ich?« gab sie mokant zurück.

»Haben Sie vielleicht eine Schere, meine Liebe?« erkundigte sich die ältere Dame.

»Eine Schere?« May Morgan runzelte die Stirn.

»Ihr Haar ist zu lang, meine Beste«, sorgte sich die ältere Dame. »Ich denke, man müßte es ein wenig kürzen. Finden Sie nicht auch, Mister Parker?«

»Eine kleine Korrektur im Rahmen des Möglichen wäre vielleicht durchaus angebracht, Mylady.«

»Ich schreie, wenn Sie nicht sofort verschwinden.« May Morgan wich zurück und rannte plötzlich zur Eingangstür. Sie kam allerdings nicht weit. Lady Agatha fing sie ab und ließ sie gegen ihre Körperfülle prallen. May Morgan wurde zurückgeworfen und landete vor der Lehne eines Sessels.

»Sie sollten mich aber wirklich nicht angreifen, Kindchen«, tadelte die Detektivin sie umgehend. »In solchen Fällen werde ich immer sehr ärgerlich.«

»Greg ist vor einer Viertelstunde weggefahren«, gestand May Morgan jetzt ohne jeden Übergang. »Wir haben kaum miteinander gesprochen.«

»Und was, bitte, nahm er aus Ihrer Wohnung mit, Miß Morgan?« fragte Josuah Parker.

»Seine Pilotenkoffer«, erwiderte sie mit leiser Stimme und senkte dazu den Kopf. »Er hatte es sehr eilig.«

»Und wohin könnte er sich wenden, Miß Morgan? Sie werden Mylady sicher mit einer exakten Auskunft zu dienen vermögen.«

»Auch wegen der Schere, Kindchen«, erinnerte Agatha Simpson ausgesprochen boshaft.

»Greg ist zu Don Hayers gefahren«, lautete die nun sehr schnelle und präzise Antwort. »Aber ich habe nichts gesagt! Er bringt mich sonst um.«

»Weder Lady Simpson noch meine bescheidene Wenigkeit haben etwas gehört«, versicherte Parker der Blondhaarigen.

*

»Ich wollte Sie ja nicht in Gegenwart dieser Blondine in Verlegenheit bringen, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, als man im Wagen saß, »aber Sie haben natürlich wieder mal einen Fehler gemacht.«

»Mylady sehen meine Wenigkeit zerknirscht.«

»Diese Frau wird doch jetzt den Werkzeugmacher anrufen und ihn informieren«, fügte die ältere Dame vorwurfsvoll hinzu. »Man wird mich also erwarten.«

»Mylady sprechen von Mister Greg Rowlings, der sich bei Mister Don Hayers aufhalten soll?«

»Keine Namen«, wehrte sie ab. »Sie wissen schon, was ich meine.«

»Man wird in der Tat auf Mylady warten«, räumte der Butler ein, während er sein hochbeiniges Monstrum durch die Straßen lenkte. »Die beiden erwähnten Herren werden sich bereits in einem Stadium der Hochspannung befinden und sich darauf freuen, ihre Mitarbeiter einsetzen zu können.«

»Genau das, Mister Parker, wollte ich sagen.«

»Mylady werden diesen Besuch natürlich nicht machen«, entgegnete der Butler. »Mylady tun niemals das, was man von Mylady erwartet.«

»Das ist allerdings völlig richtig, Mister Parker.« Sie nickte nachdrücklich. »Ich lasse mir das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand nehmen.«

»Zudem ist damit zu rechnen, daß Mister Greg Rowlings inzwischen längst das Sport-Center des Mister Hayers verlassen hat.«

»Wenn er klug ist, wird er das längst getan haben«, pflichtete sie ihm bei. »Und wo werde ich dieses Subjekt nun finden?«

»Mylady denken in diesem Zusammenhang sicher an Mister Reckland.«

»Richtig«, bestätigte sie. »Und wer ist das?«

»Mylady waren schon in den Räumen seiner Kreditfirma.«

»Und ich ließ die beiden Lümmel in die Seitenteile der Schreibtische steigen«, erinnerte sie sich. »Das war ein hübsches Intermezzo, Mister Parker.«

»Auch dorthin werden Mylady sich mit Sicherheit nicht begeben«, vermutete der Butler. »Mylady planen, Mister Reckland in Sicherheit zu wiegen. Mylady werden den Anschein erwecken, als sei man von der Spur abgekommen.«

»Wie gut Sie mich inzwischen doch kennen, Mister Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Ich denke, es wird langsam Zeit, das Dinner einzunehmen.«

»Während die Gegenseite einen Schlag erwartet, werden Mylady sich positiv entspannen.«

Agatha Simpson lächelte zufrieden und ließ sich nach Shepherd’s Market zurückfahren. Parker war nicht weniger zufrieden. Er hatte den sogenannten Ring in kürzester Zeit durcheinander gewirbelt und für ständige Unruhe gesorgt. Nun war es an der Gegenseite, etwas zu unternehmen.

Die Gangster Hayers, Reckland und Rowlings mußten notgedrungen etwas tun, wenn sie nicht völlig aufstecken wollten. Sie hatten bisher eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen und waren in die Enge getrieben worden von zwei Amateuren, die die Mitte ihres Lebens hinter sich hatten.

Dies mußte in den Gangstern Aggressionen auslösen. Parker ging davon aus, daß man natürlich längst sehr genau wußte, wo sich Myladys Haus befand. Nach Lage der Dinge konnten also in Hausnähe bereits die ersten Schläger warten.

Und so war es auch!

Parker befand sich auf der Durchgangsstraße und fuhr an der Auffahrt zum schmiedeeisernen Gittertor vorüber. Er entdeckte auf der anderen Straßenseite einen geschlossenen Kastenwagen, der sicher kaum ohne Inhalt war. Den Fahrer sah man allerdings nicht, doch dies mochte nichts bedeuten. Wahrscheinlich hielt er sich irgendwo versteckt in der Nähe.

»Was ist denn, Mister Parker?« verlangte die Detektivin ungeduldig zu wissen, nachdem Parker die Einfahrt in Richtung Tor passiert hatte.

»Möglicherweise wartet man bereits auf Mylady«, antwortete der Butler. »Es scheint – mit Verlaub – ein Überfall geplant zu sein!«

»Wie schön«, gab sie zurück. »Ich hoffe, Sie werden dagegen etwas unternehmen, Mister Parker. Ich werde mich von Ihnen überraschen lassen.«

*

Parker hatte sich den Kastenaufbau des kleinen Lastwagens genau angesehen. Es gab unterhalb der oberen Dachkante einige Belüftungsschlitze, die ihm recht brauchbar erschienen. Seiner Schätzung nach waren sie breit genug, um gewisse Spezial-Kapseln durchzulassen.

Parker war in eine Seitenstraße eingebogen und umfuhr das Viertel, in dem Myladys Haus sich befand. Dann näherte er sich der Rückseite des Kastenwagens und blieb erst mal auf der Überholspur, bis er das Fahrzeug fast erreicht hatte.

In diesem Moment setzte er scharf in Richtung Parkstreifen und Gehweg ab und fuhr sein hochbeiniges Gefährt so dicht vor die hintere Einstieg- und Ladetür des Kastenwagens, daß sie nicht mehr geöffnet werden konnte.

Mit überraschender Geschwindigkeit verließ Parker seinen Wagen und warf zwei perforierte Plastik-Kapseln durch die Lüftungsschlitze in den Kastenwagen. Vorher hatte er allerdings noch die Glasampullen zerdrückt, damit die dort befindliche wasserklare Flüssigkeit sich mit dem Sauerstoff der Luft innig verbinden konnte.

Das Resultat war frappierend.

Im Kastenwagen schien ein mittleres Feuer ausgebrochen zu sein. Weiße Rauchwolken drangen durch die Lüftungsschlitze nach draußen und stiegen hoch in die Luft.

Parker beobachtete, neben seinem Wagen stehend, die hintere Ladetür, die tatsächlich aufgedrückt wurde, sich aber nur wenige Zentimeter öffnete. Sie war blockiert und machte ein Aussteigen unmöglich.

Bemerkenswertes Husten war zu hören, das sogar vielstimmig klang. Parker folgerte daraus, daß er sich keineswegs getäuscht hatte. Im Kastenaufbau schienen drei Personen sich aufzuhalten, die liebend gern ausgestiegen wären, es jedoch nicht schafften.

Aber da mußte noch ein Fahrer vorhanden sein.

Parker schob sich um die vordere Kante des Aufbaus und entdeckte einen Mann, der gerade aus einem Hausflur eilte und dann in Richtung Kastenwagen sprintete. Es mußte sich um den Fahrer handeln, der jetzt eingreifen wollte. Ob er eine Waffe hatte, konnte der Butler nicht entscheiden, aber er ging erstmal sicherheitshalber davon aus.

Der Mann kurvte heran und ... bremste dann überrascht seinen Schwung, als er sich Parker gegenübersah. Bevor er dann allerdings reagieren konnte, hatte Parker bereits mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes zugelangt.

Der Mann rutschte haltlos in sich zusammen und merkte nicht, daß der Butler ihn dabei geschickt gegen das Trittbrett drückte, auf dem der Fahrer dann Platz nahm. Parkers geschickte Hände durchsuchten den vermuteten Gegner blitzschnell, während auf der Fahrbahn die ersten Wagen stoppten und neugierige Fragen gestellt wurden.

Parker barg eine Brieftasche, die er in seinem Covercoat verschwinden ließ. Dann begab er sich zurück zu seinem hochbeinigen Gefährt, setzte sich ans Steuer und legte den Rückwärtsgang ein.

Er machte die Tür zum Kastenaufbau frei und nutzte eine Lücke im gestoppten Verkehr, um auf die andere Fahrbahn zu gelangen. Innerhalb weniger Augenblicke war er verschwunden.

»Etwas aufwendig, Mister Parker, aber immerhin«, ließ die ältere Dame sich nun vernehmen.

»Mister Rowlings wird bald erfahren, Mylady, daß seine Pläne durchkreuzt wurden.«

»Und hoffentlich nicht aufgeben«, sorgte sie sich. Dann lächelte sie ein wenig schadenfroh, denn der Lärm näherkommender Polizeistreifenwagen war mehr als deutlich zu vernehmen.

»Diese Lümmel im Wagen gehören also zu diesem ...?« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

»Zu Mister Greg Rowlings, Mylady, der diverse Supermärkte für Heimwerker betreibt«, sagte Parker. »Dieser kleine Zwischenfall wird seinen bereits vorhandenen Ärger noch zusätzlich steigern und anheizen.«

»Hoffentlich«, freute sie sich. »Er soll von mir aus ruhig zerspringen, Mister Parker, das heißt, das wäre zu einfach. Ich muß diesen Täter ja schließlich noch überführen.«

Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch einige Straßen, bis er sicher sein konnte, daß die Durchfahrt vor dem Haus der älteren Dame wieder frei war. Sein Zeitgefühl erwies sich als richtig. Als er nach einer Viertelstunde wieder vor der Einfahrt zum Vorplatz war, konnte er ohne Schwierigkeiten abbiegen.

»Und jetzt ein paar kleine Happen, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, als sie ausstieg. »Ich falle sonst noch vom Fleisch.«

»Eine Vorstellung, Mylady, die bestürzend ist«, gab Josuah Parker in seiner höflichen Art zurück.

*

»Ich werde ein wenig über meinen Fall meditieren«, erklärte die Hausherrin nach dem Dinner. »Die Kinder haben sich noch nicht gemeldet?«

»Miß Porter und Mister Rander dürften noch immer in Sachen Glücksspiel unterwegs sein, Mylady«, erwiderte Parker. »Sobald sie sich melden, wird meine Wenigkeit Mylady informieren.«

»Lassen Sie sich damit Zeit«, meinte sie. »Der Fernsehkrimi dauert etwa neunzig Minuten. Ich möchte nichts versäumen.«

»Mylady wollen zusätzlich zur Meditation noch das Script des Kriminalfilms studieren?«

»Richtig«, bestätigte sie. »Wahrscheinlich entdecke ich in diesem Film wieder mal logische Fehler.«

Sie winkte huldvoll ihrem Butler und stieg über die geschwungene Freitreppe ins Obergeschoß des altehrwürdigen Hauses, wo sich ihre privaten Räume befanden. Parker hatte ihr dort unter anderem ein komplettes Studio eingerichtet, in dem sie eines Tages ihren geplanten Bestseller zu schreiben gedachte. Mylady verfügte über moderne, elektronische Schreibmaschinen, über einen leistungsfähigen Personal-Computer und brauchte eigentlich nur noch mit dem Niederschreiben ihres Romans zu beginnen. Bisher war die ältere Dame aber noch nicht dazu gekommen.

Nur zu leicht ließ sie sich immer wieder ablenken. Zudem tauschte sie gern ihren einmaligen Romanstoff gegen einen anderen aus. Sie hatte jedoch nach wie vor die feste Absicht, das Schaffen einer gewissen Agatha Christie völlig in den Schatten zu stellen.

Parker blieb allein im Erdgeschoß des Hauses zurück. Er servierte ab, beförderte das Geschirr mit dem Speisenaufzug nach unten in die große Wirtschaftsküche und erledigte die anfallenden Arbeiten. Parker war ein erstklassiger Koch, der es sich nicht nehmen ließ, die Menüs selbst zuzubereiten.

Nach getaner Arbeit begab er sich in seine privaten Räume, die sich ebenfalls im Souterrain befanden. Er verfügte hier über einen großen Wohnraum, der in der Manier einer Kapitänskajüte eingerichtet war. Dann gab es noch einen Schlafraum, ein Bad samt Toilette und dann natürlich sein sogenanntes Labor.

In diesem Raum ersann, entwickelte und baute der Butler seine vielen kleinen Überraschungen. Er war ein Verfechter der Miniaturisierung und hatte es darin zur Meisterschaft gebracht. Die Abwehrwaffen, die er erfand, zeichneten sich durch kleine bis kleinste Bauweise aus und sahen äußerlich völlig harmlos aus.

Parker hatte es sich gerade in einem Ledersessel bequem gemacht und wollte nach einer technischen Zeitschrift greifen, als das Telefon läutete.

»Rowlings«, sagte eine singende, helle Stimme. »Sie wissen, wer ich bin?«

»Parker«, antwortete der Butler. »Ihnen wurde inzwischen mitgeteilt, daß einige Ihrer Angestellten keineswegs das Ziel erreichten, daß Sie ihnen gesteckt hatten?«

»Die haben Sie bestens reingelegt, Parker. Ich hätte es mir fast denken müssen. Kompliment.«

»Verlangen Sie freundlicherweise nicht, daß meine Wenigkeit jetzt umgehend errötet.«

»Sie haben bisher ganz schön aufgeräumt, Parker, aber irgendwann werden Sie’s nicht mehr schaffen.«

»Sollte es nun zur obligaten Drohung kommen, Mister Rowlings?«

»Unsinn, Parker, ich werde mich hüten. Nein, nein, ich will Ihnen und der Lady einen Vorschlag machen. Die Entscheidung liegt dann ganz bei Ihnen.«

»Sie werden Mylady und meiner Wenigkeit sicher raten, gewisse Vorgänge umgehend zu vergessen.«

»Treffer«, erwiderte Rowlings. »Offen gesagt, ich verstehe nicht, warum Sie sich so engagieren, Parker. Wem schaden wir schon? Bestimmte Leute kommen doch völlig freiwillig zu uns. Kein Mensch zwingt sie dazu, sich mit uns an einen Tisch zu setzen.«

»Es sind die Methoden Ihrer Schuldeintreibung«, antwortete Josuah Parker. »Und es sind die Schuldscheine, die auf rätselhafte Art und Weise zustande kommen, Mister Rowlings.«

»Okay, es mag da Übertreibungen gegeben haben«, räumte Rowlings ein, »aber daran kann man drehen. Ich denke, daß sich so was nicht mehr wiederholen wird. Wäre das ein Weg, sich zu verständigen?«

»Meine Wenigkeit wird Mylady Ihren Vorschlag unterbreiten«, erwiderte Parker. »Mylady hat selbstverständlich die letzte und endgültige Entscheidung.«

»Stapeln Sie nur nicht tief, Parker«, schloß Rowlings das Gespräch. »Ich weiß genau, daß Sie den Kurs bestimmen, nur Sie allein.«

»Sie überschätzen meine bescheidene Wenigkeit erneut, Mister Rowlings«, gab Parker zurück. Nachdem er aufgelegt hatte, wußte er, daß mit baldigem Besuch zu rechnen war. Er kannte die Verhaltensmuster gewisser Gangster.

*

Sie waren schon im Anmarsch.

Parker hatte gerade aufgelegt, als auf der Schautafel neben der Tür ein rotes Licht glomm. Gleichzeitig war ein hochfrequenter Piepton zu vernehmen.

Der Butler griff nach der Fernbedienung und schaltete die hausinterne Fernsehanlage ein. Er befragte die verschiedenen Kameras, die draußen am Haus und sogar auf dem Dach angebracht waren und ließ sich Bilder auf den Kontrollmonitor liefern. Nach wenigen Augenblicken wußte er Bescheid.

Zwei schemenhaft auszumachende Gestalten wählten den Weg über die Dächer der angrenzenden Häuser, die mit dem Fachwerkhaus Agatha Simpsons den Vorplatz säumten.

Diese Häuser, ebenfalls in Fachwerk errichtet, befanden sich im Besitz der älteren Dame und waren unbewohnt. Wegen der vielen ungebetenen Besuche aus Kreisen der Unterwelt hatte Lady Agatha davon Abstand genommen, sie zu vermieten. Die Gefahr für die Bewohner wäre einfach zu groß gewesen.

Die beiden nächtlichen Dachkatzen kamen geschmeidig über die Giebel, erreichten das Dach des altehrwürdigen Hauses und gingen hinter diversen Kaminen erst mal in Deckung. Wahrscheinlich suchten sie nach einem passenden Einstieg.

Für den hatte Josuah Parker beim früheren Um- und Ausbau des Hauses gesorgt. Es gab da zwei Dachluken, die sich förmlich anboten, genutzt zu werden. In der Vergangenheit hatten nächtliche Besucher sich schon verschiedentlich für eine dieser möglichen Öffnungen entschieden.

Sie nahmen die Luke rechts von der zentralen Esse, brauchten ihre angemessene Zeit, um die Sicherung zu knacken und ließen sich dann nacheinander und sehr geschmeidig auf den Dachboden des Hauses hinunter.

Die dort installierte Fernsehkamera lieferte weitere Bilder.

Die beiden Männer hatten natürlich ihre Taschenlampen eingeschaltet, orientierten sich und entdeckten natürlich die Tür, hinter der sie nur die Treppe vermuten konnten, die hinab ins Haus führte. Die Gestalten, die übrigens schwarze Kleidung trugen, pirschten sich an die Tür heran und bekamen erneut etwas zu tun. Dadurch kam in ihnen ein Argwohn erst gar nicht auf.

Einer der beiden Männer befaßte sich mit dem Schloß, brauchte relativ lange, bis er es geknackt hatte, leuchtete mit seiner Taschenlampe die vor ihm liegende steile Treppe an und winkte seinen Partner näher zu sich heran. Die Einbrecher flüsterten miteinander und zogen Faustfeuerwaffen. Sie sahen sich bereits dicht am Ziel und wollten zur Sache kommen.

Nacheinander betraten sie die ersten Stufen und hatten keine Ahnung, wie genau sie von einem ihrer Opfer beobachtet wurden. Parker leistete sich den stillen Luxus, sich ein wenig zu freuen. Schließlich wußte er, was innerhalb der nächsten Sekunden mit Sicherheit passieren würde.

Die beiden nächtlichen Eindringlinge befanden sich auf der Mitte der steilen Treppe und ... schrien gemeinsam, als sie plötzlich jeden Halt verloren und wegrutschten.

Die Treppe, auf der sie eben noch gestanden hatten, existierte einfach nicht mehr. Die Stufen hatten sich nach unten weggeklappt und waren zu einer Rutschbahn geworden, auf der die beiden Gestalten abwärts fegten. Sie landeten hart und unvermittelt in einer Art Besenkammer, deren Tür sich hinter ihnen schloß.

Für die Burschen gab es kein Entrinnen.

Der kleine, enge Raum war eine Stahlkammer, die man nur mit einem Schneidbrenner auftrennen konnte. Die beiden Männer, die sich natürlich einige Prellungen zugezogen hatten, fluchten ausgiebig und stöhnten.

Sie tasteten die Wände ab und nahmen zögernd zur Kenntnis, daß man sie gefangen hatte. Noch trauten sie sich nicht, mit den Fäusten gegen die Stahlwände zu hämmern und um Hilfe zu schreien. Sie mußten erst mal den Schock überwinden, in dem sie sich befanden.

Josuah Parker war ein überaus höflicher Gastgeber.

Mit seiner Fernbedienung sorgte er dafür, daß beruhigende Musik in die Kammer eingespielt wurde. Er wollte sich später keine Vorwürfe machen lassen.

*

Mylady hatte meditiert und machte einen munteren Eindruck.

Es ging inzwischen auf Mitternacht zu. Sie trug ihren weiten Umhang über dem Tweed-Kostüm und fixierte ihren skurrilen Hut auf dem weißen Haar.

»Sie machen einen müden Eindruck, Mister Parker«, sagte sie und musterte kritisch ihren Butler. »Ich glaube, daß Ihnen die Arbeit manchmal doch zuviel wird.«

»Meine Wenigkeit wird Mylady bis zum letzten Atemzug dienen«, erwiderte Parker. »Sollte man übrigens unterstellen, daß Mylady eine Ausfahrt planen?«

»Selbstverständlich, Mister Parker.« Sie nickte. »Ich werde das Nachtleben beobachten und mich vielleicht sogar zu einem Spielchen einladen lassen. Sie wissen, wie erfolgreich ich war.«

Der Butler informierte die ältere Dame und gab die knappe Unterhaltung wieder, die er mit Greg Rohlings geführt hatte. Anschließend erwähnte er die beiden nächtlichen Dachfirstbenutzer.

»Das klingt aber doch recht hübsch«, meinte sie. »Ich denke, ich werde die Subjekte bei Gelegenheit verhören.«

»Mylady können sich Zeit lassen«, schlug der Butler vor. »Die beiden Besucher dürften um so gesprächsfreudiger sein, je länger sie sich im Kabinett befinden.«

»Man wird ja sehen, Mister Parker.« Sie winkte ab. »Welche Spielhölle schlagen Sie mir vor?«

»Mylady erwähnten Mister Dennis Frankler, wenn man daran erinnern darf.«

»Richtig, Mister Parker. Und wer ist das?«

»Mister Dennis Frankler betreibt einige Boutiquen und könnte der Unterwelt zuzurechnen sein.«

»Natürlich, wer sonst?« Sie lächelte wissend. »Sie wissen, daß ich ihn für den Mann halte, der den Kreis bilden will.«

»Oder auch ›Ring‹ genannt, Mylady.«

»Keine Diskussion über geometrische Figuren, Mister Parker«, verlangte sie streng. »War ich nicht in einer seiner Boutiquen?«

»In der Tat, Mylady«, entgegnete der Butler. »Zwei Mitarbeiter des Mister Hayers wurden von Mylady im Lagerkeller des Geschäftes überrascht.«

»Zwei Subjekte, die Sie leichtsinnigerweise nur oberflächlich befragt haben«, mokierte sie sich umgehend. »Dies wird sich noch als Kardinalfehler erweisen, Mister Parker. Sie glauben, daß ich diesen Mister Sowieso dort finden werde?«

»Mister Horace Pickett war so freundlich, Ermittlungen in Sachen Dennis Frankler anzustellen. Danach könnte man Mister Frankler in den Hinterräumen eines sogenannten Sexkinos antreffen. Dort wird wohl mit einiger Sicherheit dem Glücksspiel gehuldigt.«

»Der gute Pickett«, kam die obligate Antwort. »Vielleicht sollte ich ihn eines Tages ...«

»... zum Tee einladen, Mylady?«

»... fest anstellen«, fuhr sie fort und äußerte damit zum erstenmal diese Vorstellung. »Er könnte natürlich kein Vermögen verdienen, dazu muß ich doch zu sehr mit jedem Penny rechnen.«

»Mister Pickett würde sich glücklich schätzen, fest in Myladys Dienste treten zu können.«

»Es war nur ein Gedanke«, wiegelte sie schleunigst wieder ab. »Die Lohnkosten könnten mich auffressen, Mister Parker. Nun gut, also zu Mister Tackler. Ich werde ein Spielchen wagen.«

»Mister Dennis Frankler wird geradezu entzückt sein«, vermutete der Butler. »Über diesen geplanten Besuch hinaus könnte man vielleicht auch noch dem Sport-Center des Mister Hayers einen Besuch abstatten.«

»Ich bestehe sogar darauf«, sagte sie energisch. »Die Nacht hat ja gerade erst begonnen, Mister Parker. Wird man mich übrigens bereits an der Haustür erwarten?«

»Eine Frage, Mylady, der man unbedingt auf den Grund gehen muß«, antwortete der Butler. »Die Mitglieder des ›Ring‹ dürften sich längst in Alarmstimmung befinden,«

*

Als Parkers hochbeiniges Gefährt das Gittertor passierte, das sich automatisch schloß, löste sich vom Straßenrand ein BMW, der sicher nur auf diesen Augenblick gewartet hatte. Der Fahrer des kontinentalen Wagens schien die beiden Dachfirstgeher abgesetzt zu haben und wollte jetzt wohl die Verfolgung aufnehmen.

Parker konnte das Haus seiner Herrin übrigens völlig beruhigt hinter sich lassen. Versuchte man während der Abwesenheit Myladys und seiner Person einzudringen, lösten überall verteilte Sensoren einen Alarm bei der nächsten Polizeistation aus. Bei der Rückkehr war also nicht mit unangenehmen Überraschungen zu rechnen.

»Ich werde verfolgt?« freute sich Lady Agatha, als Parker sie darauf aufmerksam gemacht hatte. »Selbstverständlich will ich diesen Lümmel umgehend sprechen, Mister Parker.«

»In spätestens einer Viertelstunde werden Mylady diese Möglichkeit haben«, versprach der Butler. Für ihn war das Stellen eines verfolgenden Wagens überhaupt kein Problem, zumal sein altersschwach aussehendes Vehikel und auch er stets unterschätzt wurden.

Mitglieder der Unterwelt und selbst Killer-Spezialisten sahen vor sich ja immer nur ein ehemaliges Taxi, das sich nach einem Schrottplatz sehnte. Und sie glaubten es mit zwei alten Menschen zu tun zu haben, für die man eigentlich Mitleid haben mußte.

Josuah Parker lenkte seine Trickkiste auf Rädern in Richtung City und hatte sich bereits für eine hübsche Falle entschieden, die er in der Vergangenheit mehrfach benutzt hatte.

Es handelte sich dabei um eine Sackgasse, deren Ende durch einige Betonkugeln von beachtlicher Größe abgeschlossen wurde. Hinter diesen Betonkugeln gab es einen kleinen Park, der zu einem staatlichen Institut gehörte. Durch diesen Park führte eine Stichstraße zu einer Verladerampe.

Hinweisschilder machten Autofahrer, die in die Sackgasse einbogen, eindringlich darauf aufmerksam, daß ein Weiterkommen an diesen Betonkugeln unbedingt scheitern würde.

Parker kannte die Breite seines hochbeinigen Gefährts. Wenn er geschickt und zentimetergenau steuerte, brachte er seinen Wagen unbeschadet durch zwei dieser Hindernisse. Ein breiterer Wagen aber mußte sich mit letzter Sicherheit festfahren. Parker wußte, daß dies bei dem verfolgenden BMW der Fall sein würde.

Er lotste den Verfolger durch das Gewirr der engen Straßen und näherte sich der bewußten Sackgasse. Dann tat er so, als hätte er den Verfolger erst jetzt gesehen, gab Gas und wollte sich scheinbar absetzen.

Parker slalomte durch den Verkehr, löste wütende Reaktionen von Fahrern aus, die sich gestört fühlten, und bog dann scharf nach links ein.

Wenige Sekunden später war der BMW im Rückspiegel zu sehen. Der Fahrer hatte die beiden Hinweisschilder links und rechts von der Einfahrt zur Sackgasse bestimmt übersehen. Die Scheinwerfer waren voll aufgedreht, der Mann gab Gas. Er näherte sich schnell und mußte den Eindruck gewinnen, daß Parkers Wagen auf keinen Fall noch schneller werden konnte.

Der Butler ließ den BMW herankommen, gab seinerseits Gas und ... wischte elegant durch die beiden Betonkugeln. Es ging dabei wirklich nur um Zentimeter.

Der BMW-Fahrer reagierte genau so, wie Parker es sich vorgestellt hatte. Der Mann am Steuer nahm zur Kenntnis, daß Parkers Wagen durch das Hindernis kam und hatte keine Bedenken, es ihm nachzutun.

Damit endete dann auch bereits die Verfolgungsjagd...

Der BMW blieb mit der Stoßstange und der Motorhaube in den Innenwölbungen der beiden Kugeln hängen. Glas splitterte, Kühlwasserdampf schoß wie eine Fontäne zum Himmel, Blech knirschte.

Parker hatte bereits gestoppt und stieg aus. Würdevoll und gemessen ging er zu dem BMW zurück, dessen Fahrer benommen im Sicherheitsgurt hing. Er blickte den neben der zertrümmerten Seitenscheibe auftauchenden Butler aus leeren Augen an und schnappte nach Luft.

»Darf man Ihnen eine hilfreiche Hand bieten?« erkundigte sich Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone. »Sollte Ihnen übrigens das richtige Augenmaß fehlen, was die Durchfahrt betrifft?«

Der BMW-Fahrer äußerte sich nicht dazu.

*

Er war noch völlig benommen, als er im Wagen saß. Mylady hatte den Fond geräumt und vorn neben Parker Platz genommen. Der Butler steuerte sein hochbeiniges Monstrum auf die kleine Stichstraße, durchquerte den Park und erreichte bereits nach wenigen Augenblicken wieder eine reguläre Straße.

»Was ist eigentlich los?« fragte der Fahrgast plötzlich. Er richtete sich auf und strich mit der linken Hand über die Stirn.

»Sie wurden das Opfer einer peinlichen Sinnestäuschung«, beantwortete der Butler die Frage über die Bordsprechanlage. Er hatte die Trennscheibe zwischen Fond und Vordersitzen sicherheitshalber geschlossen.

»Verdammt, was ist mit dem Wagen?« fragte der Mann und wandte sich um.

»Er strandete zwischen zwei Betonkugeln«, erläuterte der Butler ihm. »Sie waren ein wenig zu ungestüm in der Verfolgung gewisser Ziele, über die man sich unterhalten müßte.«

»Wieso ... wieso Verfolgung?« Er strich wieder über die Stirn und erinnerte sich immer besser.

»Sie legten augenscheinlich Wert darauf, Mylady und meiner Wenigkeit zu folgen«, meinte Parker. »Vorher dürften Sie zwei Männer abgesetzt haben, die den Auftrag hatten, in Myladys Haus einzudringen.«

»Was soll der ganze Unsinn?« empörte sich der Fahrgast. Er langte nicht sonderlich verstohlen nach seinem Hosenbund, doch er fand nicht die Schußwaffe, die er dort noch vermutete. Josuah Parker hatte sie ihm längst geschickt weggenommen.

»Hoffentlich ist Ihre Enttäuschung nicht zu groß«, meinte Josuah Parker.

»Wieso Enttäuschung?« Er tat ahnungslos.

»Ihre schallgedämpfte Pistole wechselte aus verständlichen Gründen den Besitzer«, erklärte Parker ihm.

»Aber ... die hier haben Sie nicht gefunden!« Der Fahrgast hatte nach seiner rechten Wade gegriffen, das Hosenbein hochgeschoben und zeigte nun eine kleine Faustfeuerwaffe. Die flache Pistole sah allerdings noch immer gefährlich genug aus.

»Wie konnte Ihnen denn das passieren, Mister Parker?« fragte Lady Simpson vorwurfsvoll.

»Die Waffe ist selbstverständlich entladen worden«, gab der Butler gemessen zurück.

»Bluff, nichts als Bluff«, antwortete der Mann und richtete den Lauf auf den Butler. »Halten Sie sofort an, Mann, oder Sie sind geliefert.«

»Sie sollten sich dafür interessieren, ob die Waffe noch ein Magazin aufzuweisen hat.« Parkers Stimme war höflich wie stets. Der Fahrgast wirkte verblüfft, wurde unsicher und warf die Waffe dann wütend zu Boden. Er hatte festgestellt, daß er ein nutzloses Stück Stahl in Händen hielt.

»Ich ahnte es, daß Sie sich nicht hereinlegen ließen, Mister Parker«, machte Agatha Simpson sich bemerkbar, und hüstelte nachdrücklich. »Sie haben inzwischen doch eine Menge von mir gelernt.«

»Mylady sind und bleiben ein unerreichbares Vorbild«, behauptete der Butler, um sich dann wieder dem Fahrgast zuzuwenden. »Könnte es sein, daß Sie im Auftrag Mister Greg Rowlings’ die Verfolgung unternahmen?«

»Wer ist Rowlings? Nie von gehört.«

»Mister Rowling betreibt einige Supermärkte für Heimwerker«, erläuterte Parker. »Aber, dies dürfte Ihnen ja längst bekannt sein.«

»Erwarten Sie von mir etwa, daß ich singen werde?« Der Überrumpelte hatte sich erholt und gab sich fast belustigt. »Da können Sie aber verdammt lange warten, Mann.«

»Ich glaube Sie haben noch nicht begriffen, wer ich bin«, schaltete Lady Agatha sich grollend ein.

»Na, wer schon?« Der Mann beugte sich vor, wie Parker im Rückspiegel erkennen konnte. Der Wagen näherte sich einer Kreuzung, deren Ampel die Rotfarbe zeigte. Da griff der Mann nach der inneren Wagenklinke und wollte die Tür aufdrücken.

Natürlich rührte sie sich nicht.

Die Zentralverriegelung war von Parker längst betätigt worden. Der Fahrgast fluchte ungeniert, als er seine fahrbare Zelle nicht verlassen konnte. Dann warf er sich verärgert in die Polster zurück.

»Sie haben Zeit bis zur Grünphase der Ampel«, sagte Parker. »Falls Sie sich bis dahin nicht erklärt haben, werden einige Dinge auf Sie zukommen, die Ihnen mit Sicherheit nicht gefallen.«

»Was wollen Sie schon machen?!« Der Mann grinste überheblich und fühlte sich sicher. Er hatte es aus seiner Sicht ja nur mit Amateuren zu tun.

Die Grünphase schaltete sich ein, und der Butler ließ seinen Wagen wieder anrollen.

»Und jetzt?« begehrte der Fahrgast zu wissen. Er traute den beiden Personen vorn im Wagen nichts zu.

»Mylady ist Liebhaberin eines Terrariums«, erwiderte Parker, »spezialisiert auf Schlangen und Spinnen. Hoffentlich teilen Sie diese Liebhaberei.«

»Liebhaberei? Was soll das heißen?«

»Warten Sie’s doch ab, junger Mann«, warf Agatha Simpson lustvoll ein. »Schätzen Sie Giftschlangen oder möchten Sie Würgeschlangen aus nächster Nähe sehen? Sie können frei entscheiden.«

»Ihr ... ihr seid ja wahnsinnig«, brüllte der Fahrgast, der es plötzlich mit der Angst zu tun bekam. Dann trommelte er ein wildes Stakkato gegen die Wagenscheibe und benutzte dazu beide Fäuste.

Ein bestimmter Rhythmus war allerdings nicht zu erkennen.

»Verdammt, ich bin doch nicht bescheuert«, sagte der Fahrgast nach einer Weile halblaut. Dann beugte er sich vor und pochte gegen die Trennscheibe. »Hören Sie, Mann, ich packe aus. Ich geh‘ doch nicht für Rowlings drauf.«

»Eine Entscheidung, die man nur als lobenswert bezeichnen kann«, erwiderte Parker. »Schließlich dürfte es um Ihre Gesundheit gehen.«

»Rowlings hat mich und die beiden Typen nach Shepherd’s Market geschickt«, gestand der Fahrgast. »Wir sollten Sie und die Lady mal kurz unter Druck setzen. Sagen Sie, was ist eigentlich aus den beiden Jungens geworden?«

»Sie erfreuen sich bester Gesundheit, leben momentan allerdings in einer gewissen beschränkten Haftung.«

»Wie war das?« Der Mann beugte sich wieder vor.

»Ihre beiden Freunde oder Partner wurden abgefangen«, übersetzte der Butler höflich. »Aber zurück zu Mister Rowlings. Sie wissen natürlich, wo er sich momentan befindet?«

»Klar doch. Was springt für mich raus, wenn ich es Ihnen sage?«

»Sie brauchen sich in diesem Fall weder für eine Gift- noch für eine Würgeschlange zu entscheiden.«

Der Mann hüstelte und lockerte sich die Krawatte.

»Sie ... Sie haben mich überzeugt. Rowlings steckt bei Hayers, wenn Sie den kennen.«

»Sie sprechen von dem Betreiber eines Sport-Center in Stepney?«

»Genau den meine ich.«

»Kann man davon ausgehen, daß dort auch dem illegalen Glücksspiel gehuldigt wird?«

»Was ... was meinen Sie damit?« Der Mann runzelte die Stirn.

»Ob dort falsch gespielt wird«, grollte Agatha Simpson über die Bordsprechanlage. »Mister Parker hat sich klar und deutlich ausgedrückt, oder?«

»Natürlich, da wird auch gespielt«, lautete die hastige Antwort.

»Und wo sonst noch?« forschte die Detektivin weiter nach.

»Bei Rowlings, aber da spielen nur die dicken Brieftaschen.«

»Und was sagt Ihnen der Name Reckland?« wollte Parker dann wissen.

»Der spielt den Bankier und leiht Geld aus«, kam die Information. »Aber bei dem kann man auch spielen. Nicht in seiner Firma. Für seine Spiele hat er ’ne Ausweichwohnung.«

»Deren Adresse Sie Mylady sicher nennen werden«, vermutete der Butler. Er sollte sich nicht getäuscht haben. Der Fahrgast nannte sie umgehend. Sie befand sich im Stadtteil Whitechapel.

»Mehr hab’ ich nicht anzubieten«, schloß der Mann. »Ich misch’ doch nur am Rande mit.«

»Als Geldeintreiber oder Kassierer, wie Mylady zu vermuten geruhen.«

»Als Kassierer«, bestätigte der Fahrgast. »Ich arbeite eigentlich für Rowlings, aber der hat mich zu Reckland rübergeschickt.«

»Demnach sind Sie quasi ausgeliehen worden?«

»Naja, ich habe eben ein Händchen für die faulen Kunden.« Er lächelte einen Moment versonnen, merkte dann aber, daß man diesen Satz auch falsch interpretieren konnte. »Nicht so, wie Sie vielleicht denken, Mann.«

»Ihnen ist ein gewisser Dan Meggan bekannt?« Parker nutzte die Chance, den Mann völlig auszufragen.

»Der ist auch hinter faulen Typen her, aber Dan und Ben sind für die ganz harten Fälle da.«

»Sie sprechen von Ben Baker?«

»Dan Meggan und Ben Baker«, wiederholte der Fahrgast. »Wissen Sie, ich will ja keinen reinlegen, aber Dan und Ben sind knochenharte Jungens.«

»Die von Mister Hayers bezahlt werden?«

»Die arbeiten im Sport- und Box-Center«, bestätigte der Mann. »Aber die kenn’ ich eigentlich nur flüchtig.«

»Aber Ihnen ist der Kreis bekannt, nicht wahr?« ließ die Detektivin sich plötzlich vernehmen.

»Nein, ’nen Kreis kenne ich nicht. Meinen Sie vielleicht den ›Ring‹, Lady?«

»Das sagte ich doch gerade«, blaffte sie ihn an. »Sie kennen dieses Gebilde also?«

»Den hat Rowlings aufgezogen«, bekannte der Fahrgast. »Zum ›Ring‹ gehören jetzt schon ’ne Menge kleinerer Clubs. Sie hören, Lady, ich sage, was ich weiß.«

»Das wird sich noch erweisen müssen, junger Mann«, gab Agatha Simpson zurück. »Die Schlangen haben Sie bereits überstanden, aber da sind immer noch die Spinnen. Sie werden begeistert sein.«

Er war es überraschenderweise überhaupt nicht.

*

»Mister Parker, sehen Sie das, was ich sehe?« erkundigte sich Lady Agatha eine Viertelstunde später.

»Myladys Frage hebt auf die Streifenwagen ab?« vergewisserte sich der Butler. Er hatte natürlich längst die drei Fahrzeuge der Polizei gesehen, den Menschenauflauf vor dem kleinen Kino und auch den Krankenwagen, der gerade mit eingeschalteter Sirene losfuhr.

»Da muß etwas passiert sein«, redete die ältere Dame drängend weiter.

»Mylady denken an einen Überfall auf ein bestimmtes Hinterzimmer des Sexkinos?«

»Wer soll dort noch spielen?«

»Mister Dennis Frankler, Mylady«, erinnerte der Butler diskret. »Mister Pickett gab die Nachricht an meine Wenigkeit durch.«

»Ich werde sofort feststellen, was passiert ist.« Sie drückte die Wagentür auf und stieg aus. Parker beeilte sich, seiner Herrin zu folgen. Um den Fahrgast brauchte er sich nicht weiter zu kümmern. Dieser so auskunftsfreudige Mann lag inzwischen im Kofferraum und dacht sicher an Spinnengetier aller Art.

Agatha Simpson strebte mit ihrer majestätischen Fülle auf einen Streifenbeamten zu, der zur Absperrung eingeteilt war. Der Butler hingegen wandte sich an einen noch recht jungen Mann, der sich ihm genähert hatte.

»Man wünscht einen hübschen Verlauf dieser Nacht«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Geht man richtig in der Annahme, daß Sie einen gewissen Mister Horace Pickett kennen?«

»Ich hab’ Sie sofort erkannt, Mister Parker«, antwortete der junge Mann. »Mister Pickett läßt grüßen. Ein Spielclub hinter dem Pornokino ist überfallen und ausgeraubt worden. Es hat böse Verletzungen gegeben.«

»Sie wurden Augenzeuge dieses Überfalls?«

»Die Männer kamen in einem VW-Bus«, berichtete Picketts Bekannter. »Es waren sechs ... Die stürmten das Kino, und dann ging der Zauber auch schon los.«

»Konnten Sie herausfinden, ob Mister Frankler verletzt wurde?«

»Der muß sich im letzten Moment noch abgesetzt haben. Ich habe rumgehorcht, Frankler war da, ist jetzt aber verschwunden.«

»Sie erwähnten sechs Männer«, schickte der Butler voraus. »Könnte es sich um Personen handeln, die dem Boxsport huldigen?«

»Das kann mal wohl sagen, Mister Parker«, bestätigte der junge Mann. »Das waren ganz schöne Brecher.«

»Mister Pickett befindet sich zur Zeit wo?«

»Der ist hinter dem VW-Bus her, Mister Parker. Ich soll hier warten.«

»Verfügen Sie über ein Gefährt?«

»Mein Wagen steht da hinten vor der Straßenkreuzung.«

»Sie sollten einen Fahrgast übernehmen und in Verwahrung halten«, bat Josuah Parker. »Es handelt sich um ein Mitglied des ›Ring‹, der Ihnen ja sicher bekannt ist.«

»Und was ist mit dem Mann, Mister Parker?«

»Sie können ihn in den nächsten Tagen auf freien Fuß setzen, er wird dann nicht mehr benötigt. Man wird Sie über Mister Pickett aber noch entsprechend informieren.«

Parker erklärte dem jungen Mann die Formalitäten des Umladens und ging dann zurück zu Lady Agatha, die bereits ungeduldig und sehr gereizt neben Parkers hochbeinigem Monstrum stand.

»Eine Unverschämtheit, zu der das letzte Wort noch nicht gesprochen ist«, grollte sie.

»Mylady erlitten Ungemach?«

»Dieser Lümmel von einem Constabler wollte mir keine Auskunft geben«, sagte sie gereizt. »Nun, Ihnen wird es ja wohl kaum besser ergangen sein.«

»In etwa, Mylady«, gab Parker zurück und hütete sich, die Wahrheit zu sagen. Er wollte den Zorn seiner Herrin nicht noch zusätzlich entfachen.

*

»Sie lassen sich wieder mal Sand in die Augen streuen, Mister Parker«, mokierte sich Lady Agatha am anderen Morgen. Sie hatte mit Kathy Porter und Mike Rander gefrühstückt und zog eine Art Zwischenbilanz.

»Mylady spielen auf einen bestimmten Tatbestand an?« fragte der Butler gemessen.

»Diese Sache nach Mitternacht«, sagte sie. »Der Überfall auf den Spielclub hinter dem Kino war doch eine geschickte Inszenierung. Erstaunlich, daß Sie dies nicht bemerkt haben.«

Kathy Porter und Mike Rander wechselten schnelle Blicke und amüsierten sich verhalten.

»Sollten meiner Wenigkeit entscheidende Dinge entgangen sein, Mylady?« tippte der Butler an.

»Wie üblich«, meinte sie und nickte. »Dieser Frankwell, oder wie immer er auch heißen mag, hat mit dem fingierten Überfall doch nur von seiner Spur ablenken wollen.«

»Ein Hinweis, Mylady, der in meiner Person mit Sicherheit einen Denkprozeß auslösen wird.«

»Darum möchte ich allerdings auch gebeten haben«, sagte sie nachdrücklich. »Es ist doch erstaunlich, daß ausgerechnet dieser Farewell flüchten konnte, als die Schläger erschienen.«

»Mister Frankler gilt für Mylady als der Drahtzieher des ›Ring‹?«

»Selbstverständlich«, behauptete die ältere Damne. »Die Tatsachen reden für mich eine deutliche Sprache. Aber Sie hören ja nicht genau hin, Mister Parker.«

»Mister Pickett verfolgte die er wähnten Schläger«, schickte Parker voraus. »Sie kehrten in das Sport- und Box-Center des Mister Hayers zurück, der diese Männer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Mister Frankler geschickt haben dürfte.«

»Das hat überhaupt nichts zu bedeuten«, erklärte sie wegwerfend. »Wahrscheinlich stecken die Subjekte alle unter einer Decke, Mister Parker.«

»Wir waren in der vergangenen Nacht unterwegs und in einigen Spielclubs«, warf Mike Rander ein. »Kathy und mir fiel auf, daß in diesen Clubs große Nervosität herrschte. Die Sicherheitsmaßnahmen der Clubleiter waren enorm.«

»Man scheint die Schläger des ›Ring‹ sehr zu fürchten«, fügte Kathy Porter hinzu. »Es muß also diese Organisation geben.«

»Was die bisherigen Aussagen einiger Schläger unterstreichen«, erinnerte Parker in Richtung Mylady.

»Ich hätte in der vergangenen Nacht noch diesen Box-Club aufsuchen sollen«, räsonierte die ältere Dame und blickte den Butler vorwurfsvoll an. »Aber Sie mußten ja wieder mal Ihren Kopf durchsetzen, Mister Parker.«

»Mylady und meine Wenigkeit wären mit Sicherheit in eine Falle geraten«, gab Parker zu überlegen.

»Papperlapapp, Mister Parker.« Sie verzog geringschätzig den Mund. »Sie sind und bleiben einfach zu vorsichtig. Ihnen fehlt es an Unternehmungsgeist.«

»Ein möglicher Nachteil, den es aufzuarbeiten gilt, Mylady.«

»Nun ja, Mister Parker, ich bin nicht nachtragend. Reden wir von der nahen Zukunft. Was plane ich für den heutigen Tag?«,

»Nach den letzten Auskünften hält Mister Rowlings sich bei Mister Hayers im Sport-Center auf.«

»Und dort ist er auch sicher wie in Abrahams Schoß«, ließ Mike Rander sich vernehmen.

»Oder auch nicht, mein Junge.« Die ältere Dame stand auf und präsentierte sich in ihrer ganzen majestätischen Fülle. »Dieses Subjekt wird sich sehr irren. Mister Parker, ich erwarte, daß wir unsere Pflicht tun.«

»Admiral Nelson in der Schlacht von Trafalgar hätte nicht überzeugender wirken können, Mylady«, erwiderte der Butler als exakter Kenner der englischen Geschichte.

*

Dennis Frankler war am Telefon.

»Darf man Ihnen zu Ihrer geglückten Flucht gratulieren?« fragte Josuah Parker.

»Das war verdammt knapp«, erwiderte der Betreiber einiger Boutiquen. »Rowlings und Hayers hätten mich um ein Haar erwischt.«

»Der ›Ring‹ des Mister Rowlings scheint reinen Tisch machen zu wollen«, vermutete Parker. Er war allein in der großen Wohnhalle des Hauses. Mylady befand sich in ihren privaten Räumen und bereitete sich auf ihre Ausfahrt vor.

»Rowlings, Mister Parker? Der eigentliche Mann ist Reckland«, sagte Frankler. »Rowlings und Hayers werden von ihm doch glatt beherrscht.«

»Lady Agatha ist der Meinung, daß Sie den sogenannten Ring führen, Mister Frankler.«

»Aber, Mister Parker, das wäre zu schön, um wahr zu sein.« Frankler lachte leise. »Nein, nein, John Reckland hält die Fäden in der Hand. Und wegen ihm rufe ich an.«

»Sie sind sicher in der erfreulichen Lage wertvolle Hinweise zu liefern, Mister Frankler.«

»Es geht ums Überleben, Mister Parker. Gern haue ich die Leute ja nicht in die Pfanne. Normalerweise macht man solche Sachen unter sich aus.«

»Sie hängen einem gewissen Ehrenkodex nach, Mister Frankler?«

»Wer singt schon gern, Mister Parker. Aber Reckland, Rowlings und Hayers überziehen ihr Konto. Sie wissen ja, was mit meinem Club passiert ist.«

»Sie wollten meiner Wenigkeit sicher eine wichtige Nachricht zukommen lassen, Mister Frankler.«

»Rowlings hält sich bei Hayers im Sport-Center auf. Wissen Sie das?«

»Meine Wenigkeit erfuhr dies auf Umwegen.«

»Und Reckland hat sein Ausweichquartier in Whitechapel bezogen.«

»Könnten Sie mit einer genauen Adresse dienen?«

Frankler nannte sie. Sie war deckungsgleich mit der, die der BMW-Fahrer genannt hatte.

»Und wo könnte man Sie erreichen, Mister Frankler?«

»Ich bleibe erst mal untergetaucht«, erklärter Frankler. »Was Sie nicht wissen, Mister Parker, können Sie auch nicht weitersagen. Ich habe erst mal die Nase voll und warte ab.«

»Sie hoffen, daß Mylady und meine Wenigkeit den ›Ring‹ zerschlagen werden?«

»Ja, offen gesagt, Mister Parker. Hören Sie, wir, das heißt, meine Freunde und ich bieten völlig saubere und reguläre Glücksspiele an. Ohne jede Manipulation. Wir stellen keine Schuldscheine aus. Auf so was lassen wir uns erst gar nicht ein.«

»Sie und Ihre Freunde dürften demzufolge weiße Raben sein.«

»Jetzt werden Sie ironisch«, meinte Frankler. »Aber irgendwie stimmt das sogar. Wir servieren unseren Kunden keine K.o.-Tropfen.«

»Unter deren Einwirkung dann dubiose Schuldscheine unterschrieben werden, Mister Frankler?«

»Natürlich, Mister Parker, das ist doch deren billiger Trick. Sobald Spieler dieses Zeug geschluckt haben, unterschreiben sie, was man ihnen vorsetzt. Noch einmal, so was kommt bei uns nicht vor.«

»Sie machen sich um die Szene direkt verdient, wenn man es so ausdrücken darf, Mister Frankler.«

»Als der ›Ring‹ noch nicht existierte, gab es keinen Ärger«, verteidigte Frankler sich. »Erst Reckland hat die neuen Methoden eingeführt.«

»Sie setzen nun darauf, daß Mylady und meine Wenigkeit gewisse Maßnahmen ergreifen?«

»Nehmen Sie Reckland hoch, Mister Parker, und der ganze Spuk ist vorbei«, empfahl Frankler. »Und wo Reckland steckt, habe ich Ihnen ja eben gesagt.«

»Herzlichen Dank für Ihre freundlichen Hinweise«, entgegnete der Butler. »Sie können davon ausgehen, daß baldmöglichst einiges geschehen wird.«

Parker legte auf und ließ sich die Einzelheiten dieses Gesprächs noch mal gründlich durch den Kopf gehen.

*

Der mittelgroße, schwammig-dicke Mann hinter dem Schreibtisch blickte völlig entgeistert auf seinen linken Oberarm und schluckte vor Aufregung.

Gerade erst war ein kleiner, bunt gefiederter Pfeil von der Größe einer Stricknadel in seinem Oberarm gelandet. Der Getroffene schluckte, stand auf, ließ den Sessel zurückpoltern und wollte schreien. Er schaffte es allerdings nur, ein heiseres Krächzen zu produzieren.

Danach lief er seltsam steifbeinig zur Schwingtür hinter sich, schielte immer wieder auf den Pfeil und wurde unsicher auf den Beinen. Nach wenigen Schritten hielt er sich bereits mit den Händen an der Wand fest, sackte in die Knie und keuchte.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Mann auf dem Boden saß. Er hatte nicht den Mut, den Pfeil aus dem Muskelfleisch zu ziehen. Und er blickte Josuah Parker aus weit geöffneten Augen an. Der Butler stand vor ihm und lüftete höflich die schwarze Melone.

»Sie sollten sich keine unnötigen Sorgen machen«, beruhigte Josuah Parker ihn. »Sie werden wahrscheinlich überleben, sollten meiner Wenigkeit allerdings sagen, wo man die Herren Hayers, Rowlings und auch Reckland finden kann.«

»Oben ... oben«, quetschte der ehemalige Boxer hervor.

»Und wie kommt man dort hinauf?« fragte der Butler weiter.

»Die ... die Wendeltreppe in der Garderobe«, lautete die Antwort. Dann fielen dem Mann bereits die Augen zu. Er kippte zur Seite und sorgte für erste Schnarchtöne.

Parker barg den Pfeil und holte Mylady herein. Sie hatte draußen vor der Tür gewartet und bebte vor Ungeduld. Sie blickte ihren Butler fragend an. Dann deutete sie auf den Schnarchenden.

»Ob ich nicht besser noch nachhelfe?« fragte sie und brachte ihren Pompadour in Schwingung.

»Mylady sollten sich dies aufheben«, schlug der Butler vor. Er ging gemessen und ohne jede Hast zur Schwingtür, öffnete sie ein wenig und warf einen Blick in den Trainingsraum, in dem das Seilgeviert stand. Von trainierenden Boxern war weit und breit nichts zu sehen. Am Vormittag schien sich hier nicht sonderlich viel abzuspielen.

Zusammen mit Lady Agatha wechselte Parker hinüber in die Garderobe. Viele schmale Eisenspinde besetzten eine Längswand. Im Hintergrund gab es eine Wendeltreppe, die ins Obergeschoß führte.

Auf dieser Treppe waren plötzlich Schritte zu vernehmen.

Mylady und Parker gingen hinter einer Querwand, die ebenfalls aus Stahlspinden bestand, in Deckung. Die Eisenstufen der Wendeltreppe vibrierten.

Wenig später erschien der Schwergewichtler, mit dem Parker es schon mal zu tun hatte. Der Mann trug einen Trainingsanzug und war ahnungslos, bis Parker sich zeigte. Der Butler lüftete höflich die schwarze Kopfbedeckung.

»Ach nee«, staunte der Schwergewichtler und grinste. »Das is’ ’ne echte Überraschung.«

»Sie tragen meiner Wenigkeit hoffentlich nichts nach«, fragte Parker.

»Nix«, lautete die Antwort. Der bullige Mann hob beide Arme und tänzelte mit der Grazie eines Flußpferdes auf den Butler zu. »Aber jetz’ kommt die Revanche!«

Er preßte die Luft mit den vorschießenden Fäusten zusammen und freute sich darauf, einen vernichtenden Schlag anbringen zu können. Er schob sich immer näher an den Butler heran, der langsam zurückwich und keine Anstalten machte, sich zu verteidigen.

»Ihr habt mich doch reingelegt«, sagte der Schwergewichtler. »Aber so was macht man mit mir nur einmal.«

Er merkte nicht, daß Lady Agatha um die Querwand herumkam. Ihr perlenbestickter Pompadour kreiste bereits. Und dann, als der Mann ahnungslos zur Sache kommen wollte, landete die ältere Dame ihren Glücksbringer.

Der Schwergewichtler wurde zur Salzsäule.

Er erstarrte, sog scharf die Luft ein und fiel nach vorn. Dabei verdrehte der Mann bereits die Augen. Er war groggy, bevor er den Boden erreichte.

»Soll ich ihn auszählen, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Nur, wenn Mylady darauf bestehen«, entgegnete der Butler. »Vernichtender hätte kein regulärer Niederschlag ausfallen können.«

*

Don Hayers, Greg Rowlings und John Reckland gaben sich keineswegs dem süßen Nichtstun hin.

Sie saßen in einem Wohnraum um einen Tisch und sortierten Papiere, die aus einem Pilotenkoffer stammten, der neben Rowlings stand. Die drei Männer des »Ring« waren ohne Zweifel damit beschäftigt, ihre Außenstände zu errechnen.

John Reckland führte das Wort, wie deutlich zu hören und auch zu sehen war. Rowlings und Hayers nahmen Recklands Hinweise und Entscheidungen widerspruchslos hin.

Es gab noch eine vierte Person im Raum.

Sie saß auf einem Küchenstuhl, war daran festgebunden worden und machte einen im doppelten Sinn des Wortes niedergeschlagenen Eindruck.

Diese vierte Person war Frankler, der sich vor einer Stunde noch mit Josuah Parker unterhalten hatte.

Und genau damit hatte der Butler gerechnet.

Er war keineswegs in die Wohnung gegangen, auf die Frankler ihn hingewiesen hatte. Parker, vorsichtig und mißtrauisch wie stets, war dieser Hinweis zu vordergründig erschienen.

Ein Mann der kriminellen Szene wie Dennis Frankler hätte sich normalerweise nie mit ihm verbunden, auch wenn es zu seinem Vorteil gewesen wäre. Es gab da wirklich so etwas wie einen Ehrenkodex oder wie immer man auch das Grundverhalten dieser Leute nennen mochte.

Parker war also davon ausgegangen, daß man Frankler gezwungen hatte den Verräter zu spielen. Und wenn dem so war, mußte er sich hier im Box-Center gegen seinen Willen aufhalten.

Was, wie der Augenschein nun lehrte, ja auch der Fall war.

»Mylady begrüßte Ihre Kooperationsbereitschaft«, sagte Parker und betrat den Wohnraum. »Sie sind wohl damit beschäftigt, Schuldscheine zu sortieren, nicht wahr?«

Sie starrten ihn und Mylady entgeistert an.

*

»Und diese Knaben machten keine Schwierigkeiten?« wunderte sich Mike Rander wenige Stunden später.

»Sie nahmen davon Abstand, als Mylady einige Schüsse auf sie abfeuerte«, beantwortete Parker die Frage.

»Sie haben auf die Burschen geschossen?« staunte Kathy Porter.

»Um sie zu Aussagen zu ermuntern«, bestätigte die ältere Dame und nickte lächelnd. »Natürlich hatte ich nicht die Absicht, sie zu treffen.«

»Mylady zielten bewußt vorbei«, erläuterte der Butler zusätzlich. »Die Herren Hayers, Rowlings und Reckland aber mußten den Eindruck gewinnen, daß die Schüsse ihnen persönlich galten.«

»Und es kam zu Geständnissen?« fragte Rander weiter.

»Was dachten denn Sie, mein lieber Junge?« Lady Agatha lächelte boshaft. »Da waren erst mal die Schuldscheine und dann diese scheußlichen K.o.-Tropfen im Koffer. Eindeutiger können Beweise ja nicht sein. Damit ist dieser Fall für mich erledigt.«

»Hat die Polizei die Männer bereits übernommen?« wollte Kathy Porter wissen.

»Ich habe sie mit einem schönen Gruß Mister McWarden geschickt«, erklärte Lady Agatha. »Der Mann weiß wahrscheinlich erst jetzt, was sich vor seinen Augen abgespielt hat. Aber das ist ja wohl nicht weiter verwunderlich.«

»Und was ist mit den Schuldscheinen?« Rander blickte den Butler an.

»Mylady nahmen sie an sich.«

»Und ich muß sie verlegt oder sogar verloren haben«, behauptete sie. »Ich kann sie nämlich nicht mehr finden. Nun, ich werde bei Gelegenheit danach suchen.«

»Man sollte diese Suche aber nicht gerade übertreiben, Mylady«, schlug Kathy Porter vor.

»Vielleicht vergesse ich sogar, daß es überhaupt Schuldscheine gibt«, meinte die ältere Dame. »Ich frage mich allerdings, was ich mit dem Rest des Tages anfange. Haben Sie einige Vorschläge zu machen, Mister Parker?«

»Meine Wenigkeit wird sich redlich bemühen, Mylady«, versprach der Butler. Ihm war völlig klar, daß seine Herrin es durchaus ernst gemeint hatte. Sie war keine Frau, die ihre Hände in den Schoß legte. Josuah Parker wußte, daß man auf den nächsten Fall nicht lange zu warten brauchte.

- E N D E -

Der exzellente Butler Parker Box 7 – Kriminalroman

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