Читать книгу Der exzellente Butler Parker Box 4 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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»Darf ich Sie bitten, mir in mein Büro zu folgen?« Der Unbekannte, der Agatha Simpson respektlos auf die Schulter tippte, zählte schätzungsweise fünfundvierzig Jahre und machte einen ausgesprochen smarten Eindruck. Die reiche Witwe, die gerade in Begleitung ihres Butlers durch die Schmuckabteilung von »Wellwoods Warenhaus« bummelte, reagierte sofort. »Finger weg, junger Mann!« fuhr sie den elegant gekleideten Schönling an. »Sonst muß ich Ihnen Manieren beibringen.«

»An Ihrer Stelle würde ich jedes Aufsehen vermeiden«, gab ihr Gegenüber ungerührt zurück und zückte ein Plastikkärtchen, das ihn als Warenhausdetektiv auswies. Hämisch grinsend deutete er auf ein Stück Bernsteinkette, das unübersehbar aus Myladys Jackentasche schaute.

»Das ist doch die Höhe!« fauchte die passionierte Detektivin. »Ausgerechnet mir einen Ladendiebstahl anhängen zu wollen! Als ob eine Lady Simpson das nötig hätte!«

»Einzelheiten können wir in meinem Büro besprechen«, drängte der Detektiv. Schon bildete sich einen Traube neugieriger Kunden ...

»Ich bestehe darauf, sofort den Geschäftsführer zu sprechen, damit ich mich wegen dieses dreisten Übergriffs beschweren kann«, grollte die ältere Dame. Angesichts der wachsenden Zahl von Schaulustigen zog sie es dann aber doch vor, dem Detektiv wütend zu folgen. Josuah Parker begleitete seine Herrin – in würdevoller Haltung und mit undurchdringlicher Miene.

»Wir können die Sache bereinigen, ohne die Polizei einzuschalten«, bot der Smarte an, nachdem man in einem bescheiden eingerichteten Büro Platz genommen hatte. »Sie geben den gestohlenen Schmuck heraus, unterschreiben eine Schuldanerkenntnis und zahlen eine Bearbeitungsgebühr von hundert Pfund ...«

»Hundert Pfund?« unterbrach Lady Agatha und stimmte ein Hohngelächter an. »Keinen Penny werde ich zahlen. Schließlich waren Sie es ja, der mir die Kette heimlich in die Tasche gestopft hat.«

»Unerhört!« entrüstete sich nun der Detektiv. »Sie wollen im Ernst behaupten, daß ich ...«

»In der Tat, junger Mann«, bekräftigte Mylady. »Deshalb will ich jetzt unverzüglich den Geschäftsführer sprechen. Wird’s bald? Meine Zeit ist kostbar.«

»Wenn Sie derart uneinsichtig sind, bleibt mir keine Wahl«, entgegnete der Mann. »Ich werde den Geschäftsführer hinzuziehen und anschließend die Polizei einschalten.«

Kopfschüttelnd griff er zum Telefonhörer. »Mister Wellwood? Hier ist Pool. Wäre es Ihnen möglich, für einen Augenblick herüberzukommen?«

Kaufhauschef Fred Wellwood war noch ein junger Mann. Parker schätzte ihn auf höchstens fünfunddreißig. Er war sportlich-salopp gekleidet. Die blaßblauen Augen im gebräunten Gesicht blickten offen und freundlich.

»Ich habe diese Dame auf frischer Tat ertappt, als sie eine Bernsteinkette in ihrer Jackentasche verschwinden ließ, Mister Wellwood«, trug Detektiv Pool seine Anklage vor.

»Unverschämtheit!« fuhr die resolute Lady dazwischen. »Der dreiste Lümmel hat mir die Kette eigenhändig in die Tasche geschmuggelt! Als ob eine Lady Simpson es nötig hätte, eine Bernsteinkette zu stehlen, der man schon von weitem ansieht, daß sie nicht mal echt ist.«

»Lady Simpson?« wiederholte Wellwood überrascht. »Sie sind Lady Simpson, die berühmte Privatdetektivin?«

»So ist es«, bestätigte Agatha Simpson geschmeichelt.

»Das läßt den bedauerlichen Zwischenfall natürlich in einem anderen. Licht erscheinen«, lenkte Wellwood ein. »Könnte es nicht sein, daß Sie sich geirrt haben, Mister Pool? Jeder Mensch macht mal einen Fehler.«

»Ausgeschlossen, Mister Wellwood«, beharrte der Detektiv. »Ich habe genau gesehen ...«

»Unsinn!« fuhr Mylady ihm über den Mund. »Gar nichts haben Sie gesehen, junger Mann. Dafür habe ich eindeutig bemerkt, wie Sie mir dieses läppische Kettchen in die Tasche geschoben haben.«

»Haben Sie denn einen Zeugen, der Ihre Darstellung bestätigen kann, Mister Pool?« erkundigte sich Wellwood.

»Natürlich nicht«, brummte der Detektiv.

»Aber ich habe einen Zeugen, Mister Smellgood«, triumphierte Agatha Simpson. »Mister Parker wird Ihnen bezeugen, daß sich alles so zugetragen hat, wie ich es Ihnen dargestellt habe.«

»Nicht mal im Traum würde es meiner bescheidenen Wenigkeit einfallen, Myladys Schilderung zu widersprechen«, versicherte Parker durchaus wahrheitsgemäß.

Pools Gesicht nahm allmählich die Farbe einer vollreifen Tomate an. Nervös tupfte er sich mit einem weißen Spitzentuch die Schweißperlen von der Stirn.

»Ihr Eifer in allen Ehren, Mister Pool«, wies Wellwood ihn ebenso höflich wie bestimmt zurück. »In diesem Fall haben sie aber mit Sicherheit den Falschen erwischt.«

»Oh, mein Kreislauf!« wimmerte Agatha Simpson plötzlich mit schwacher Stimme. »Die Aufregung war Gift für meine sensible Natur.«

»Um Himmel willen, Mylady«, rief Wellwood besorgt. »Soll ich einen Krankenwagen bestellen?«

»Nein, nein«, wehrte die Detektivin mit einer müden Handbewegung ab. »Nur einen Schluck zu trinken. Dann geht es gleich wieder besser.«

»Ich lasse Ihnen ein Glas Wasser bringen, Mylady«, bot der Kaufhauschef an.

»Nein, kein Wasser!« stöhnte die ältere Dame und rang entsetzt die Hände. »Das macht alles noch schlimmer.«

»Mylady pflegt ihren Kreislauf mit alkoholhaltigen Stärkungsmitteln französischer Provenienz zu therapieren, falls die Anmerkung erlaubt ist«, setzte Parker Wellwood ins Bild.

»Ach so«, lächelte der Chef. »In meinem Büro habe ich einen hervorragenden Kognak, Mylady. Schaffen Sie die paar Schritte, oder soll ich ihn herbringen lassen?«

»Es wird schon gehen«. Lady Agatha erhob sich schnaufend.

Im Weggang bedachte sie den Kaufhausdetektiv noch mit einem triumphierenden Blick. In den Augen des Mannes glomm der Haß ...

*

»Geht es Ihnen jetzt besser, Mylady?« erkundigte sich Wellwood.

»Es kommt so langsam wieder«, entgegnete die Detektivin und schob ihm das Glas zum Nachfüllen hin. »Etwas besser ist es schon, Mister Sellgood.«

»Verzeihung, Mylady. Wellwood«, korrigierte der Warenhausbesitzer.

»Was meinten Sie, junger Mann?« fragte die ältere Dame irritiert.

»Mein Name lautet Wellwood, Mylady«, wurde der Hausherr deutlicher.

»Richtig, Smellgood«, nickte Lady Agatha und hob ihr Glas zum drittenmal. »Sagte ich das nicht?«

»Möglicherweise habe ich mich nicht deutlich genug vorgestellt, Mylady«, nahm Wellwood die Schuld auf sich und überreichte seine Karte.

»Wie auch immer«, schaffte Agatha Simpson die Sache mit einem verbindlichen Lächeln aus der Welt. »Namen sind Schall und Rauch, mein Lieber.«

»Man ist überrascht, diesen Satz aus dem Mund einer Angehörigen des britischen Hochadels zu vernehmen, Mylady«, sagte Wellwood und schenkte unaufgefordert nach, was die ältere Dame mit deutlichem Wohlwollen quittierte. »Aber Sie sind eben eine ungewöhnliche Frau.«

»Eigenlob liegt mir natürlich fern, Mister Smellgood«, antwortete Agatha Simpson geschmeichelt. »Aber Sie haben wirklich den Kern der Sache getroffen. Ihre Auffassungsgabe ist beachtlich.«

»Danke für das Kompliment, Mylady«, sagte Wellwood. »Im übrigen möchte ich es aber nicht versäumen, mich noch mal bei Ihnen für Mister Pools pflichtwidrigen Übereifer zu entschuldigen.«

»Der Mann kann von Glück reden, daß ich nicht nachtragend bin«, behauptete die passionierte Detektivin.

»Es hätte nicht vorkommen dürfen«, erklärte Wellwood. »Obwohl ich verstehe, daß der Mann nervös ist.«

»Darf man möglicherweise um Aufklärung darüber bitten, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Mister Wellwood?« schaltete Parker sich in das Gespräch ein.

»Bei der letzten Inventur vor zwei Tagen sind geradezu unglaubliche Fehlbestände herausgekommen«, erläuterte der Kaufhausbesitzer.

»Fehlbestände?« wiederholte die Detektivin gedehnt.

»Die Ladendiebstähle müssen in beängstigendem Maß zugenommen haben, wenn die Zahlen stimmen«, fuhr Wellwood fort. »Und das ist ausgerechnet in der Zeit passiert, seit Archibald Pool hier arbeitet.«

»Daß der Bursche zum Detektiv ein Talent hat wie eine Kuh zum Fliegen, hätte ich Ihnen sofort sagen können, Mister Sellgood«, verkündete Lady Agatha überlegen. »Hätten Sie eine Detektivin von Format eingeschaltet – mich zum Beispiel...«

»Ich hätte es nicht gewagt, Sie darum zu bitten, Mylady«, gestand der Warenhausgewaltige. »Aber das Haus Wellwood würde sich außerordentlich geehrt fühlen.«

»Honorar ist selbstverständlich nur bei Erfolg fällig, Mister Sellgood«, wurde die ältere Dame geschäftlich.

»Nur bei Erfolg?« wiederholte Wellwood beeindruckt.

»Natürlich habe ich immer Erfolg«, lächelte Lady Agatha selbstzufrieden.

»Die Höhe spielt keine Rolle«, versicherte Fred Wellwood leichtsinnigerweise. »Ich muß die Sache in den Griff bekommen, wenn ich nicht in naher Zukunft den Laden schließen will. Die Verluste gehen schon in die Hunderttausende.«

»Eine wirklich beträchtliche Summe, wenn die Anmerkung gestattet ist«, ließ Parker sich vernehmen.

»Merkwürdigerweise scheinen sich die Ladendiebe im letzten halben Jahr auf Dinge spezialisiert zu haben, die kein Mensch unbemerkt wegtragen kann«, fuhr Wellwood fort. »Auf Waschmaschinen, Herde, Kühlschränke.«

»Möglicherweise dürfte es für diesen Umstand eine Erklärung geben«, wandte der Butler ein.

»Selbstverständlich gibt es eine Erklärung«, schob Agatha Simpson sich wieder in den Vordergrund. »Mister Parker, erläutern Sie Mister Smellgood, was ich damit meine.«

»Falls man sich nicht gründlich täuscht, gehen Mylady von der Annahme aus, daß es sich um einen Fall von organisiertem Bandendiebstahl handelt«, kam Parker der Aufforderung nach.

»Richtig, eine skrupellose Bande«, bekräftigte die ältere Dame. »In solchen Dingen ist mein Instinkt untrüglich.«

»Auch eine Bande kann Gegenstände dieser Größenordnung nicht ungesehen aus den Verkaufsräumen schaffen«, wandte Wellwood ein. »Und eingebrochen wurde bei uns seit Jahren nicht.«

»Müßte man unter Umständen auch in Erwägung ziehen, daß das Diebesgut gar nicht aus den Verkaufsräumen entwendet wurde, Mister Wellwood?« hakte der Butler nach.

»Sie meinen, aus dem Lager?« tippte der Hausherr, und Parker nickte.

»Dann können es doch nur Einbrecher gewesen sein, die nach Geschäftsschluß kamen«, hielt Wellwood entgegen. »Und wir haben einen absolut zuverlässigen Nachtwächter, dem bestimmt etwas aufgefallen wäre.«

»Gegebenenfalls wäre noch eine weitere Möglichkeit zu erwägen, Mister Wellwood«, sagte Parker.

»Das liegt doch auf der Hand – jedenfalls, wenn man meine Erfahrung hat«, schaltete Mylady sich wieder ein. »Mister Parker, erläutern Sie Mister Sellgood, an welche Möglichkeit ich dabei denke.«

»Mylady dürften in Betracht ziehen, daß die Diebe auf Ihren Gehaltslisten stehen, Mister Wellwood«, teilte der Butler seine Vermutung mit.

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, zweifelte der Kaufhausbesitzer. »Mein Personal hat sich eigentlich nie etwas zuschulden kommen lassen. Abgesehen von zwei Lagerarbeitern, die Pool ganz zu Anfang seiner Tätigkeit beim Stehlen erwischt hat. Aber die habe ich natürlich sofort entlassen.«

»Eine Mitteilung, die man keineswegs unbeachtet lassen sollte, Mister Wellwood«, merkte Parker an.

»Ich glaube kaum, daß meine Informationen Ihnen viel weiterhelfen können«, entgegnete der Hausherr. »Sie müssen schon selbst wissen, wie Sie vorgehen. Und wenn Sie meinen, mein Personal überprüfen zu müssen, haben Sie natürlich auch da freie Hand. Nur möchte ich Sie bitten, so diskret wie möglich vorzugehen.«

»Sie können völlig unbesorgt sein, junger Mann«, versicherte Agatha Simpson mit treuherzigem Augenaufschlag. »Diskretion ist meine Spezialität.«

»Dann will ich noch Mister Pool darüber informieren, daß Sie sich bereit gefunden haben, die Ermittlungen zu übernehmen, Mylady«, sagte Wellwood. »Anschließend entschuldigen Sie mich bitte. Wir haben noch Abteilungsleiterkonferenz, und die Herren erwarten mich.«

Zwei Minuten später war Archibald Pool, von Wellwoods Sekretärin herbeizitiert, zur Stelle.

»Ich wollte Sie nur davon in Kenntnis setzten, Pool«, sagte der Chef, »daß Lady Simpson und Mister Parker sich freundlicherweise bereit erklärt haben, die Ursache unserer unglaublichen Verluste aufzudecken.«

In Pools Gesicht zuckte es.

»Von Ihnen erwarte ich«, fuhr Wellwood fort, »daß Sie sich kooperativ verhalten und das Team nach Kräften bei seiner Arbeit unterstützen. Verstanden, Pool?«

»Okay, Mister Wellwood«, gab der Detektiv düster zurück.

»Dann können Sie jetzt gehen, Pool«, beschied der Chef seinen Angestellten.

Archibald Pool verneigte sich kurz, setzte ein etwas verkniffen wirkendes Lächeln auf und verließ den Raum.

»Wann werden Sie mit Ihren Ermittlungen beginnen, Mylady?« wollte Wellwood wissen, während man sich erhob.

»Ich denke morgen, Mister Smellgood«, gab die Detektivin zur Antwort. »Heute abend muß ich erst mal mein taktisches Konzept ausarbeiten. Danach geht dann alles sehr schnell.«

»Ich hoffe, Sie behalten recht, Mylady«, sagte der Kaufhausbesitzer. »Würden Sie es übrigens für sinnvoll halten, wenn ich die Herren Abteilungsleiter über Ihren Einsatz informiere?«

»Davon sollte man nach Möglichkeit absehen, Sir«, antwortete der Butler an Myladys Stelle. »Schon im Interesse der Diskretion, falls der Hinweis gestattet ist.«

Während Agatha Simpson hocherhobenen Hauptes durch die Verkaufsabteilungen dem Ausgang zustrebte, hielt Parker vergeblich nach Detektiv Archibald Pool Ausschau. Vermutlich befand er sich in seinem Büro und spülte den Ärger mit einem Schnaps hinunter.

»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürften Mylady seit heute nachmittag einen Feind mehr haben«, äußerte der Butler, als er sein hochbeiniges Monstrum aus dem Parkhaus auf die Straße lenkte.

»Sie meinen diesen erbärmlichen Burschen, der die Dreistigkeit besitzt, sich Detektiv zu nennen?« vergewisserte sich die ältere Dame.

»Mylady sagen es.«

»Um so besser, Mister Parker«, reagierte Agatha Simpson gut gelaunt. »Viel Feinde, viel Ehr!«

*

Gelassen steuerte Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum durch den dichten Feierabendverkehr der Londoner City in Richtung Shepherd’s Market. Das schwarze, eckige Gefährt hatte lange als Taxi gedient, ehe der Butler es erwarb und nach seinen Vorstellungen umbauen ließ. Seitdem sprachen Freund und Feind respektvoll von einer »Trickkiste auf Rädern«.

»Noch ahnt die Bande nicht, daß ich ihr auf der Spur bin«, frohlockte Agatha Simpson, die es sich in den weichen Polstern im Fond bequem gemacht hatte. »Aber ich werde die feigen Kerle schon aus ihren Schlupflöchern jagen.«

»Diese Mühe dürfte sich erübrigen, falls meine bescheidene Wenigkeit sich nicht gründlich täuscht, Mylady«, meldete Parker über die Sprechanlage nach hinten.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Mylady dürften davon ausgehen, daß man bereits auf Mylady aufmerksam geworden ist.«

»Wollen Sie damit sagen, daß ich verfolgt werde, Mister Parker?«

»Nichts anderes gedachte man mitzuteilen, Mylady.«

»Das überrascht mich keineswegs, Mister Parker. Der blaue Volvo fiel mir schon vor einer Weile auf.«

»Meine Wenigkeit bedauert zutiefst, im Moment keinen blauen Volvo ausmachen zu können, Mylady. Dagegen möchte man Myladys Aufmerksamkeit gern auf einen grünen Daimler lenken...«

»So groß ist der Unterschied nicht, Mister Parker«, wischte Lady Agatha den Einwand souverän beiseite. »Vier Räder haben alle Autos.«

»Eine Feststellung, der kaum zu widersprechen sein dürfte, Mylady«, räumte der Butler ein. »Darf man im übrigen höflich um Auskunft bitten, wie Mylady mit dem Verfolger zu verfahren gedenken?«

»Ich werde die Lümmel stellen und ihnen erst mal Manieren beibringen«, entschied die resolute Dame. »Über die Details dürfen Sie sich Gedanken machen, Mister Parker. Darum kann ich mich bei der Last meiner Verantwortung nicht auch noch kümmern. Aber machen sie sich darauf gefaßt, daß Sie es mit einem eiskalten Killerkommando zu tun haben, Mister Parker«, warnte sie.

»Zweifellos haben die Gangster erkannt, wie gefährlich ich bin. Deshalb wollen Sie mich natürlich bei nächster Gelegenheit kaltmachen.«

»Ein Ereignis, das es auf jeden Fall zu verhindern gilt, Mylady«, versicherte Parker. »Allerdings dürfte die von dem Verfolgerfahrzeug ausgehende Gefahr für Myladys Leib und Leben denkbar gering sein, falls der Hinweis gestattet ist.«

»Ihnen fehlt eben meine Menschenkenntnis, Mister Parker, Ich habe den vier Typen sofort an der Nasenspitze angesehen, daß es sich um kaltblütige Berufsmörder handelt, die mir nach dem Leben trachten.«

»Verzeihung«, wandte Parker vorsichtig ein. »Möglicherweise darf man sich erlauben, Mylady auf einen kleinen, aber durchaus gewichtigen Irrtum hinzuweisen.«

»Ich sollte mich geirrt haben, Mister Parker?«

»Bedauerlicherweise konnte man außer dem Lenker des Fahrzeugs keine weiteren Insassen ausmachen, Mylady.«

»Wie auch immer, Mister Parker«, antwortete Agatha Simpson mit einer ungeduldigen Geste. »Jedenfalls hat mein Gegner die Herausforderung angenommen.«

»Mit gewissen Verwicklungen dürfte in nächster Zeit fraglos zu rechnen sein, Mylady.«

Im Rückspiegel registrierte der Butler, wie sich eine steile, nachdenkliche Falte auf der Stirn seiner Herrin bildete.

»Wenn das kein Killer ist«, fragte sie mit unüberhörbarem Bedauern in der Stimme. »Was will der Lümmel dann?«

»Mylady dürften es als wahrscheinlich ansehen, daß der Herr lediglich den Auftrag hat, Myladys Anschrift zu ermitteln.«

»Soll er ruhig, Mister Parker.«

»Ungebetene Besucher dürften die nahezu unausweichliche Folge sein, Mylady.«

»Das ist es doch gerade, was ich will, Mister Parker.«

»Darf und muß man Myladys Äußerung dahingehend deuten, daß Mylady planen, den Verfolger ungeschoren entkommen zu lassen?«

»Den Lümmel werde ich mir später kaufen, Mister Parker.«

»Myladys Wünsche sind meiner bescheidenen Wenigkeit Befehl.«

»Ich sehe schon, daß die Gedankengänge, auf denen mein taktisches Konzept beruht, zu subtil sind«, dozierte die Detektivin. »Wenn ich die Gangster dazu bringe, mich in Shepherd’s Market anzugreifen, spare ich viel Zeit und vor allem Benzinkosten, Mister Parker. Jedermann muß wirtschaftlich denken heutzutage.«

»Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, gab Parker seiner Herrin recht.

»Gerade als alleinstehende Dame muß ich mit dem Pfennig rechnen«, behauptete die Detektivin, deren Reichtum ebenso sprichwörtlich war wie ihre betuliche Sparsamkeit.

»Man hat also korrekt vernommen, daß Mylady zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon abzusehen geruhen, dem Verfolger eine Lektion zu erteilen?« vergewisserte sich der Butler. Konnte es wirklich sein, daß Agatha Simpson eine Gelegenheit zu handfestem Meinungsaustausch passieren ließ, um ein paar Schilling Benzingeld zu sparen?

»Außerdem ist mein Kreislauf noch immer nicht in bester Verfassung, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson die Katze aus dem Sack. »Ich werde mir noch eine kleine Stärkung genehmigen müssen, ehe ich die Gangster in die Knie zwinge.«

»In einer Minute dürfte Myladys Haus erreicht sein«, teilte Parker mit und bog in die stille Wohnstraße ein, an der Agatha Simpson ein zweistöckiges Fachwerkgebäude von repräsentativem Zuschnitt bewohnte. In den Kellergewölben, die auf den Grundmauern einer geheimnisumwitterten Abtei errichtet waren, lagerten noch ausreichende Mengen von »Kreislaufbeschleunigern« der erlesensten Provenienzen.

Der Fahrer des grünen Daimler hatte sein Fahrzeug in respektvollem Abstand am Beginn der Straße gestoppt, als er Parkers schwarzes Monstrum in die Einfahrt einbiegen sah.

Als der Butler kurze Zeit später noch mal zum Tor ging, um nachzuschauen, war der Wagen verschwunden.

*

Nach ausgiebiger Meditation, die von Schnarchgeräuschen untermalt wurde, war Agatha Simpson in die weitläufige Wohnhalle zurückgekehrt und widmete sich einem Imbiß.

Gewandt häufte Parker seiner Herrin eine Portion Geflügelsalat auf den Teller, schob das Körbchen mit den knusprig gerösteten Toastscheiben näher und trat anschließend in seiner unnachahmlichen Art einen halben Schritt zurück.

»Bei den Gangstern, die ich im Moment jage, scheint es sich um überdurchschnittlich intelligente Exemplare zu handeln«, murmelte die Detektivin mit vollem Mund.

»Darf man um Aufklärung darüber bitten, wie Mylady zu dieser Einsicht gelangt sind?«

»Weiß der Teufel, wie die Lümmel so schnell spitzgekriegt haben, daß ich ihnen auf der Spur bin.«

»Der Personenkreis, der über Myladys bevorstehende Ermittlungen unterrichtet ist, dürfte mit Sicherheit als eng umgrenzt gelten, falls der Hinweis gestattet ist.«

»Ich errege eben ständig Aufsehen, Mister Parker. Meine Auftritte sprechen sich schnell herum.«

»Mylady sind eine Erscheinung, die man nur als außergewöhnlich bezeichnen kann und muß.«

»Ich weiß, Mister Parker, ich weiß. Das ist ja auch der Grund, warum man schon im Kaufhaus Sellgood von mir redet.«

»Ein Umstand, der Myladys bevorstehenden Ermittlungen nicht unbedingt förderlich sein dürfte.«

»Im Gegenteil, Mister Parker. Die Gangster, die zweifellos Verbindungsleute im Kaufhaus haben, werden gewarnt und gehen wie Bestien auf mich los. Und schon sitzen sie in der Falle.«

Lady Simpson hatte manchmal eine beneidenswerte Art, Dinge nicht komplizierter zu sehen, als es für sie nötig war. Die sogenannten Details erledigte ja in gewohnter Zuverlässigkeit Butler Parker.

»Es hat geläutet, Mylady«, meldete Parker mit einer angedeuteten Verbeugung. »Falls Mylady keine Einwände erheben, würde meine Wenigkeit sich zur Tür begeben, um nachzusehen, wer Einlaß begehrt.«

»Wenn es Killer sind, sagen Sie mir Bescheid, Mister Parker«, ließ sich Lady Agatha vernehmen. »Sollten es die Kinder sein, führen Sie sie bitte herein.«

»Man wird bedacht sein, nach Myladys Wünschen zu verfahren«, versicherte Parker, ehe er seine Schritte in Richtung Diele lenkte.

Mit routinierten Handgriffen öffnete er den Wandschrank neben der Haustür und schaltete die hauseigene Fernsehüberwachungsanlage ein.

Das gestochen scharfe Bild, das kurz darauf auf dem Monitor aufleuchtete, veranlaßte den Butler, ohne Zögern die Haustür zu öffnen.

»Hallo Parker!« grüßte Anwalt Mike Rander in seiner lässigen Art.

»Guten Abend, Mister Parker«, setzte Kathy Porter etwas förmlicher hinzu.

Der Butler erwiderte den Gruß und nahm die Regenschirme des Paares in Empfang, ehe er die Besucher in die Wohnhalle führte.

Parker und Rander kannten sich noch aus der Zeit, als der Anwalt einige Jahre in den Staaten verbrachte. Damals hatte Parker in Randers Diensten gestanden und ihm geholfen, manchen brisanten Fall aufzuklären.

Später war Parker jedoch nach London zurückgekehrt und hatte die Stellung im Hause Simpson angetreten. Als Rander einige Zeit später folgte und an der nahegelegenen Curzon Street eine Kanzlei eröffnete, hatte der Butler ihn im Haus seiner Herrin eingeführt.

Mylady hatte den blendend aussehenden Anwalt – eine betont sportliche Erscheinung mit braungebranntem Teint – unverzüglich in ihr Herz geschlossen und ihn sogar mit der Verwaltung ihres schwer zu beziffernden Vermögens betraut.

In der Villa in Shepherd’s Market war Mike Rander auch zum erstenmal Myladys Gesellschafterin, der attraktiven Kathy Porter, begegnet. Daß er die junge Dame mit dem Kastanienschimmer im dunklen Haar und den leicht mandelförmig geschnittenen Augen mindestens schätzte, war nicht zu übersehen. Myladys Traum, die »Kinder« bald vor den Traualtar führen zu können, hatte sich bisher jedoch nicht erfüllt.

»Ist das wieder ein Sauwetter!« schimpfte Mike Rander, noch ehe er die Hausherrin begrüßte.

»Mir kann das Wetter nichts anhaben, mein Junge«, verkündete Agatha Simpson strahlend.

»Wirklich nicht, Mylady?« wunderte sich Kathy Porter, die auf dem Sofa neben der älteren Dame Platz genommen hatte.

»Mir tun die armen Leute leid, die keine sinnvolle Beschäftigung haben und nur noch vor dem Fernseher hocken, wenn es draußen so ekelhaft ist«, fuhr Agatha Simpson fort.

»Das hört sich fast so an, als hätten Sie schon wieder mit einem Kriminalfall zu tun, Mylady«, mutmaßte Mike Rander und zog seinen Sessel näher heran.

»Und ob!« warf Lady Agatha sich in die ohnehin voluminöse Brust. »Killerkommandos trachten mir nach dem Leben, meine Lieben.«

»Nicht möglich!« riefen Kathy Porter und Mike Rander in gespieltem Entsetzen und wie aus einem Mund. Beide wußten aus Erfahrung, daß die ältere Dame in ihrem angeborenen Hang zur Dramatik manchmal zu Übertreibungen neigte.

»Alles fing damit an, daß ein unverschämter Lümmel mir einen Ladendiebstahl in die Schuhe schieben wollte«, berichtete Mylady eifrig.

Empört deutete sie auf die schöne Bernsteinkette, die ihren Hals umspannte. »Der Gauner wollte doch allen Ernstes behaupten, ich hätte die Kette heimlich in meine Jackentasche gesteckt.«

»Dabei würden Sie so etwas nie im Leben tun«, warf Rander mit todernster Miene ein.

»Der unverschämte Kerl hat mir das Ding eigenhändig in die Tasche geschmuggelt, um eine Fangprämie von mir kassieren zu können«, setzte die Detektivin ihren Bericht fort. »Aber da war er bei mir natürlich an der falschen Adresse.«

»Sie hatten die Kette schon bezahlt, Mylady?« vergewisserte sich der Anwalt.

»Bezahlt? Wo denken Sie hin, mein Junge!« entrüstete sich die Hausherrin. »Die habe ich so mitgenommen. Strafe muß eben sein.«

»Und wie hängt das mit den Killerkommandos zusammen?« fragte Kathy Porter.

»Die Details kann Ihnen mein Butler erläutern, Kindchen«, spielte Mylady den Ball weiter.

In präzisen Sätzen berichtete Parker über das rätselhafte Verschwinden von voluminösen Haushaltsgeräten aus dem Kaufhaus Wellwood und baute auch eine Schilderung des eleganten Hausdetektivs ein. Er schloß seinen Bericht mit der Erwähnung des unbekannten Verfolgers im grünen Daimler, der offenbar nur Myladys Adresse herausbekommen wollte.

»Das kann doch nur dieser Pool gewesen sein, der Ihnen den Wagen hinterhergeschickt hat«, meinte Rander sofort. »Außer dem Chef weiß doch sonst niemand, daß Sie Ihre Ermittlungen aufgenommen haben, Mylady.«

»Falls Sie gestatten, Sir, möchte auch meine Wenigkeit sich dieser Sicht der Dinge vorbehaltlos anschließen«, pflichtete Parker dem Anwalt bei. »Im übrigen dürfte Mister Pools Stellung es gestatten, gewisse illegale Vorgänge zu decken, falls man diese Formulierung benutzen darf.«

»Papperlapapp, Mister Parker!« entrüstete sich Agatha Simpson. »Der Lümmel kann doch nicht bis drei zählen. Für ein derart raffiniertes Verbrechen kommt er überhaupt nicht in Frage.«

»Aber wer denn sonst, Mylady?« wandte der Anwalt überrascht ein. »Ich denke, bei Ihrer Unterredung mit Mister Wellwood war sonst niemand zugegen?«

»Fool kommt jedenfalls nicht in Betracht«, stellte die Hausherrin in einem Ton fest, der nicht den leisesten Widerspruch duldete. »Eher schon Mister Smellgoods Sekretärin, dieses neugierige Luder.«

»Wellwoods Sekretärin?« wiederholte Rander überrascht.

»Ich habe mitbekommen, wie das Biest an der Tür gelauscht hat«, erinnerte sich die Detektivin plötzlich. »Sie war es, die die Gangster auf mich gehetzt hat. Deshalb werde ich mir das saubere Früchtchen gleich morgen früh vornehmen.«

»Denkbar wäre ja auch, daß Pool dafür gesorgt hat, ohne es zu wollen«, warf Kathy Porter ein.

»Das ist nicht logisch, Kindchen«, belehrte Lady Simpson ihre Gesellschafterin, aber Kathy Porter wollte sich nicht so ohne weiteres belehren lassen.

»Pool hat sich bestimmt schwarz geärgert, als sein Chef ihm eine Privatdetektivin vor die Nase setzte«, erklärte die junge Dame. »Außerdem hat er wahrscheinlich Angst um seinen Job. Da ist es doch nur zu verständlich, wenn er in Gegenwart von Kollegen seinem Ärger Luft macht.«

»Auf diese Möglichkeit wollte ich auch gerade hin weisen, Kindchen«, schwenkte die Hausherrin geistesgegenwärtig um. »Irgend jemand, der zu der Bande gehört, hat es aufgeschnappt und Alarm geschlagen.«

»Alles denkbar«, stimmte der Anwalt zu. »Wenn die Burschen sich aber schon an Ihre Stoßstange hängen, ehe Sie mit den Ermittlungen richtig begonnen haben, ist auf jeden Fall mit entschlossener Gegenwehr zu rechnen.«

»Das will ich hoffen, mein Junge«, verkündete die Detektivin unternehmungslustig. »Sonst macht es ja keinen Spaß.«

»Eine Feststellung, der man nur in vollem Umfang beipflichten kann, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen.«

»Ob die Burschen noch heute abend zur Sache kommen wollen, Parker?« wandte Rander sich an den Butler, der gerade das Kaminfeuer nachgeschürt hatte.

»Diese Möglichkeit sollte man keinesfalls ausschließen, Sir«, sagte Parker. »Die Herren dürften sich vergebliche Hoffnungen machen, Mylady beeindrucken zu können.«

»Vielleicht sind sie das schon«, scherzte der Anwalt, als plötzlich das Telefon schrillte. Er konnte nicht ahnen, wie nahe er damit der Wahrheit kam...

*

»n’ Abend, Mister Parker«, sagte eine fremde Stimme, nachdem der Butler sich gemeldet hatte. »Ich hab’ gehört, daß Sie wegen der Diebstähle im Kaufhaus Wellwood ermitteln.«

»Darf man die Bitte äußern, sich zunächst vorzustellen, Sir?« unterbrach Parker.

»Mein Name tut nichts zur Sache«, entgegnete der Anrufer.

»Wichtig sind die Informationen, die ich Ihnen liefern kann.«

»Meiner Wenigkeit ist nicht bekannt, welche Informationen Sie zu meinen belieben, Sir.«

»Ich weiß alles über die Diebstähle bei Wellwood«, behauptete der Unbekannte. »Wer die Sache organisiert, wo die Klamotten hinkommen, wie sie abgesetzt werden ...«

»Gegebenenfalls könnte man von der Annahme ausgehen, daß Sie bereit sind, Ihr Wissen gegen klingende Münze preiszugeben, Sir?« vergewisserte sich der Butler.

»Kluges Kerlchen«, stellte der Fremde ironisch fest. »Das und nichts anderes ist der Grund meines Anrufes.«

»Vermutlich haben Sie bereits konkrete Vorstellungen vom pekuniären Gegenwert Ihrer Informationen, Sir?«

»Was für Vorstellungen?« erkundigte sich der Anrufer irritiert.

»Meine Wenigkeit war bemüht zu erfahren, welchen Preis Sie fordern, Sir.«

»Fünftausend«, antwortete der Anrufer wie aus der Pistole geschossen. »Gemessen an dem Schaden, der Wellwood entstanden ist, ist das wirklich nicht viel Geld.«

»Eine Behauptung, die als durchaus zutreffend gelten dürfte«, stimmte Parker zu. »Gestatten Sie noch eine Frage, Sir, ehe man sich konkret zu Ihrem Angebot äußert?«

»Welche?«

»Wer war so freundlich, Sie darüber zu informieren, daß Mylady im Warenhaus Wellwood Ermittlungen aufzunehmen gedenkt?«

Eine Sekunde trat Schweigen ein, aber der Unbekannte war um eine Antwort nicht verlegen.

»Davon redet doch schon die ganze Belegschaft«, behauptete der Mann am anderen Ende der Leitung. »So etwas spricht sich herum.«

»Eine Feststellung, die man keinesfalls bezweifeln möchte«, antwortete der Butler. »Dennoch kommt man nicht umhin, eine Verbindung zwischen Ihnen und Mister Pool zu vermuten, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Pool?« wiederholte der Anrufer. Seine Stimme klang überrascht, aber das konnte eine Täuschung sein.

»Natürlich stammt die Information von Pool«, redete der Mann unbefangen weiter. »Wenn er sich in der Kantine seinen Frust von der Seele redet, weiß es bald das ganze Haus.«

»Darf man die Vermutung äußern, daß Sie zu den Beschäftigten des Warenhauses Wellwood gehören, Sir?«

»Sie wollen mich wohl aushorchen?« wurde der Unbekannte mißtrauisch. »Das läuft bei mir nicht. Ich bin für klare Geschäfte.«

»Eine Eigenschaft, die man nur als löblich bezeichnen kann und muß«, sagte der Butler.

»Also sind Sie interessiert an den Informationen?« fragte sein Gesprächspartner. »Ich verspreche Ihnen: Sie kriegen was geboten für Ihr Geld.«

»Was meine Wenigkeit nicht im mindesten bezweifelt.«

»Okay«, sagte der Anrufer. »Dann kommen Sie morgen um Mitternacht in den ›Blue Star‹. Das ist eine kleine Bar an der Shadwell Street, falls Sie wissen, wo das liegt.«

»Die erwähnte Gegend ist meiner Wenigkeit nicht unbekannt, sofern der Hinweis erlaubt ist.«

»Bestens. Dann gehen sie an die Theke und fragen nach dem ›Fuchs‹. Jemand wird Ihnen einen Zettel mit der Anschrift geben, unter der ich mich um diese Zeit aufhalten werde.«

»Darf man die Hoffnung äußern, bei dieser Gelegenheit auch Mister Pool antreffen zu können?« versuchte Parker noch mal, seinen Gesprächspartner aus der Reserve zu locken, doch der »Fuchs« ging nicht darauf ein.

»Was wollen Sie nur immer mit diesem verdammten Mister Pool?« entgegnete er ärgerlich. »Mit dem Mann habe ich nichts zu tun.«

Es knackte in der Leitung. Der Anrufer hatte das Gespräch beendet.

*

»Wenn das keine Falle ist, fresse ich ’nen Besen«, kommentierte Mike Rander, sobald der Butler die Dreierrunde am Tisch über den Inhalt des Telefonats ins Bild gesetzt hatte.

»Dieser Einschätzung möchte auch meine Wenigkeit sich anschließen, Sir«, bemerkte Parker.

»Natürlich«, nickte auch die Detektivin. »Ich habe schon längst damit gerechnet, daß die Schurken versuchen werden, mich in eine Falle zu locken und unschädlich zu machen. Aber da haben sich die Lümmel gründlich verrechnet.«

»Sie wollen also nicht in die Blue-Star-Bar gehen, Mylady?« fragte Kathy Porter.

»Doch, Kindchen«, erwiderte die Hausherrin. »Warum denn nicht? Ich werde die Herausforderung der Gangster annehmen und sie anschließend mit ihren eigenen Waffen schlagen.«

»Das heißt, daß Sie selbst eine Falle planen, Mylady?« vergewisserte sich die junge Dame.

»Selbstredend, Kindchen«, bestätigte Agatha Simpson. »Doch davon später.«

»Glauben Sie denn, daß die Bande den Anrufer vorgeschickt hat, Parker?« kam der Anwalt wieder auf das Telefongespräch zurück.

»Diese Möglichkeit sollte man keineswegs von vornherein ausschließen, Sir«, antwortete der Butler. »Andererseits wäre auch denkbar, daß es sich um jemanden handelt, der sich an der Bande rächen und dabei gleichzeitig ein Geschäft machen will, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Egal, ob es sich bei dem ›Fuchs‹ um einen Komplizen der Einbrecher handelt, oder ob er mit Ihrer Hilfe eine Rechnung begleichen will – gut informiert ist er auf jeden Fall«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Wie sollte er sonst in diesem frühen Stadium von Ihren Ermittlungen erfahren haben?«

»In der Tat dürfte ein Bluff mit ziemlicher Sicherheit ausscheiden, Miß Porter«, gab Parker der jungen Dame recht. »Man sollte deshalb von der Annahme ausgehen, daß der unbekannte Anrufer über Informationen von beträchtlichem Wert verfügt.«

»Sollen wir Sie denn morgen abend in die Bar begleiten?« erkundigte sich Rander. »Ich könnte dringend mal wieder ’ne Abwechslung gebrauchen.«

»Ihr freundliches Angebot erfüllt meine Wenigkeit mit Freude, Sir«, antwortete Parker mit einer angedeuteten Verbeugung.

»Okay, Parker«, bekräftigte der Anwalt. »Fahren wir zusammen hin oder treffen wir uns dort?«

»Möglicherweise dürfte es sich empfehlen, Sir, sich schon vor Mitternacht in der Nähe des fraglichen Lokals aufzuhalten«, schlug der Butler vor. »Wenn Sie und Miß Porter dann die Freundlichkeit besitzen würden, wenige Minuten nach Mylady und meiner Wenigkeit das Lokal zu betreten ...«

»Abgemacht, Parker«, willigte Rander ein und sah auf seine Armbanduhr. »Oje, schon zehn vorbei«, stellte er überrascht fest. »Es wird höchste Zeit. Ich muß noch mal in die Kanzlei, um mich auf einen wichtigen Gerichtstermin vorzubereiten, der morgen früh ansteht.«

»Ich werde mich jetzt auch zurückziehen, ihr Lieben«, verkündete Lady Simpson und erhob sich ächzend. »Die Pflicht ruft. Ich muß noch ein wenig an den Feinheiten meines Konzepts feilen.«

Parker brachte seiner Herrin noch die gewünschten Stärkungsmittel ins Studio im Obergeschoß, bevor er die Besucher zur Tür geleitete.

»Ich würde Mylady zu gern mal über die Schulter sehen, wenn sie an ihrem Konzept arbeitet«, meinte Kathy Porter mit verschmitztem Lächeln. »Wie macht sie das eigentlich, Mister Parker?«

»Man bedauert ausdrücklich, auf diese Frage keine detaillierte Antwort geben zu können, Miß Porter«, entgegnete der Butler. »Unter Umständen dürfte jedoch der Hinweis hilfreich sein, daß im dritten Fernsehprogramm soeben ein Kriminalfilm begonnen hat.«

Als gleich darauf der Fernseher im Obergeschoß losplärrte, sahen Kathy Porter und Mike Rander sich an und brachen wie auf Kommando in Lachen aus.

In Parkers glattem Pokergesicht regte sich jedoch kein Muskel, als er mit routinierten Handgriffen den Wandschrank öffnete und die Videoanlage einschaltete.

»Da werden wir unsere Abfahrt wohl noch etwas verschieben müssen, Kathy«, meinte der Anwalt, als wenig später ein kristallklares Bild auf dem kleinen Monitor aufflimmerte.

»Eine Feststellung, der man keinesfalls widersprechen möchte, Sir«, bestätigte Parker und schaltete auf die zweite Kamera um ...

*

Bei der chromblinkenden Limousine, die in einiger Entfernung von Myladys Einfahrt auf der anderen Straßenseite parkte, schien es sich um den dunkelgrünen Daimler zu handeln, der dem Butler schon am Nachmittag aufgefallen war. Zwei Männer waren gerade damit beschäftigt, im offenen Kofferraum zu kramen.

Wortlos fuhr Parker die Zoomoptik der hochempfindlichen Kamera auf maximale Brennweite aus und trat näher an den Bildschirm heran. Die Gesichter der Unbekannten waren jedoch wegen der ausgesprochen ungünstigen Lichtverhältnisse nicht zu erkennen.

Gleich darauf machte sich einer der Männer, der einen gewichtigen Gegenstand aus dem Kofferraum gehoben hatte, auf den Weg. Der immer noch heftig prasselnde Regen schien ihn nicht zu stören.

Deutlich konnten die drei im Hausflur auf dem Bildschirm verfolgen, wie sich die dunkel gekleidete Gestalt dicht an der Mauer entlangpirschte, die Myladys Anwesen zur Straße hin begrenzte. In Höhe des Torpfostens spähte der Mann argwöhnisch um die Ecke.

Er schien sich unbeobachtet zu fühlen, denn im nächsten Moment gab er seinem Komplizen, der am Auto gewartet hatte, ein Zeichen.

Unvermittelt brach heftiges Trommelfeuer los. Grelle Mündungsblitze zuckten, Geschosse klatschten gegen die Hauswand, prallten von gepanzerten Fensterscheiben ab und pfiffen als Querschläger über den Vorplatz.

Genauso plötzlich, wie das Inferno begonnen hatte, brach es auch wieder ab. Nur das Rauschen des Regens war noch zu hören. In diesem Augenblick holte der Mann hinter dem Torpfosten aus und schleuderte einen kantigen Gegenstand über das stählerne Rolltor hinweg auf den Vorplatz des Hauses.

Mit dumpfem Knall schlug das Wurfgeschoß auf das Pflaster und blieb wenige Schritte neben der Haustür liegen.

»Eine Bombe?« fragte Kathy Porter mit unsicherem Blick zu Josuah Parker hin.

»Eher dürfte es sich um eine Art Botschaft handeln, falls man die Vermutung äußern darf, Miß Porter«, antwortete der Butler. Ihm war nicht entgangen, daß das Wurfgeschoß ein weißes, flatterndes Fähnchen hinter sich hergezogen hatte.

Im Laufschritt kehrte der Werfer jetzt zum Wagen zurück. Sein Komplize hatte bereits die Maschinenpistole auf dem Rücksitz verstaut und schwang sich hinter das Lenkrad. Türen klappten. Der Motor wurde gestartet.

Mit röhrender Maschine und aufgeblendeten Scheinwerfern jagte die schwere Limousine an der Auffahrt vorbei und verschwand in der Dunkelheit.

»Das ganze Affentheater hatte vermutlich nur den Zweck, Sie auf die Botschaft aufmerksam zu machen«, wandte Rander sich an den Butler. »Jetzt bin ich wirklich gespannt, was die Ganoven Wichtiges mitzuteilen haben.«

Parker hatte inzwischen wieder auf die Kamera über der Tür zurückgeschaltet. Das Bild auf dem Monitor zeigte eindeutig einen Ziegelstein, an dem mit grobem Bindfaden ein zusammengefalteter Zettel befestigt war.

»Wenn Sie mir meinen Schirm geben, Parker, gehe ich raus und hole das Briefchen rein«, bot der Anwalt an.

Vorsichtshalber bremste Parker ihn. »Sir, man sieht sich veranlaßt, von einem derartigen Vorhaben dringend abzuraten.«

Rander zog die Hand von der Türklinke zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten.

»Sie rechnen mit Scharfschützen?« vergewisserte er sich.

»Gegebenenfalls sollte man erwägen, daß es sich auch bei der angeblichen Botschaft nur um ein Ablenkungsmanöver handelt, Sir.«

»Sie haben recht, Parker«, gestand der Anwalt mit betretener Miene. »Ich habe reagiert wie ein Greenhorn.«

»Unter Umständen darf man daran erinnern, Sir, daß es keinen Menschen gibt, der frei von Fehlern ist«, erwiderte der Butler.

»Außer Mylady«, setzte Rander grinsend hinzu und löste dadurch bei seiner Begleiterin heftiges Kichern aus. Parker verzog keine Miene.

»Und wie bekommen wir jetzt heraus, ob tatsächlich Scharfschützen draußen sind?« wollte Kathy Porter wissen. »Ich habe jedenfalls keine Lust, mich als Testperson zur Verfügung zu stellen.«

»Ihre Abneigung dürfte bei jedermann auf vollstes Verständnis stoßen, Miß Porter«, gab Parker der jungen Dame recht. »Deshalb würde meine bescheidene Wenigkeit einen weniger gefährlichen Test vorschlagen, sofern keine Einwände geboten erscheinen.«

»Wollen Sie denn nach draußen, Parker?« erkundigte sich der Anwalt.

»Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab der Butler zur Antwort. »Man gedenkt lediglich, einen kurzen Abstecher auf den Dachboden zu unternehmen, um sich durch den Einsatz handelsüblicher pyrotechnischer Erzeugnisse Gewißheit zu verschaffen.«

»Was meinen Sie denn mit handelsüblichen pyrotechnischen Erzeugnissen, Mister Parker?« fragte Kathy Porter entgeistert.

»Möglicherweise dürften Ihnen die erwähnten Produkte eher unter Bezeichnungen wie Knallfrösche, Heuler, Kanonenschläge und Feuerwerksraketen bekannt sein, Miß Porter«, erläuterte Parker, bevor er seine Schritte zur Treppe lenkte, die ins Souterrain des Hauses führte.

*

Gleich neben seinen privaten Räumen hatte sich der Butler ein kleines Labor eingerichtet. In den wenigen freien Stunden war er fast regelmäßig dort anzutreffen und widmete sich elektronischen oder sonstigen Tüfteleien.

Die angrenzende Abstellkammer hatte Parker zu einem Magazin umfunktioniert, in dem neben säuberlich sortierten Elektronik-Bauteilen und Tonbandkassetten mit den verschiedensten Geräuschen auch allerlei Kuriosa lagerten, deren Sinn und Zweck Uneingeweihten verschlossen blieb.

Hier versorgte sich der Butler mit einem Vorrat an Knallkörpern und Raketen, der für ein mittleres Silvesterfeuerwerk gereicht hätte. Anschließend stieg er in würdevoller Haltung die steile Treppe zum Speicher empor.

Ohne das Licht einzuschalten, durchquerte Parker den weitläufigen Dachboden und legte seine Mitbringsel unterhalb der Fensterreihe ab, die der Straße zugewandt war. Lautlos öffnete er die kleinen Dachfenster.

Draußen geschah nichts. Falls in einem Baum an der Straße wirklich ein Scharfschütze lauerte, galt seine Aufmerksamkeit vor allem dem beleuchteten Vorplatz. Das im Dunkeln liegende Dachgeschoß beachtete der Mann wahrscheinlich gar nicht.

Gelassen zog der Butler seine stählerne Gabelschleuder aus der Tasche und nahm den ersten Knallfrosch zur Hand. Sorgfältig plazierte er den Feuerwerkskörper in der ledernen Schlaufe und spannte zur Probe die kräftigen Gummistränge.

Die ausladende Krone des Baumes gleich gegenüber der Einfahrt stellte ein ideales Versteck dar und bot den besten Blick auf Myladys Anwesen. Einen besseren Platz konnte ein Heckenschütze sich eigentlich gar nicht wünschen.

Kurz entschlossen setzte Parker die Lunte in Brand und visierte das dunkle Blätterdach an.

Seelenruhig wartete er ab, bis der knisternde Funke nur noch wenige Millimeter zurückzulegen hatte. Erst dann schickte er seinen Gruß auf die Reise.

Das Geschoß zog eine dünne Funkenspur hinter sich her, als es über Vorplatz und Straße hinweg auf sein Ziel zuglitt. Zischend tauchte der Knallfrosch zwischen den Blättern unter, um gleich darauf seinem Namen alle Ehre zu machen ...

Krachend hüpfte der Feuerwerkskörper durchs Geäst und verwandelte die Baumkrone augenblicklich in ein Inferno von Lärm, Funken und Pulverqualm.

Die Antwort kam postwendend.

Mit heiserem Bellen meldete sich ein Automatikgewehr zu Wort. Der Schütze saß tatsächlich in der Baumkrone, wo Parker ihn vermutet hatte.

Ein Hagel von Geschossen ließ die Dachpfannen scheppern. Einzelne Projektile zischten durch die offenen Fenster herein und bohrten sich ins Dachgebälk Parker, der längst hinter der Brüstung in die Hocke gegangen und zu einem anderen Fenster hinübergewechselt war, hatte seine Schleuder schon mit einem sogenannten Heuler nachgeladen. Die Salve war kaum verstummt, als schon der nächste Flugkörper funkenknisternd in die Baumkrone segelte.

Diesmal duckte sich Parker keine Sekunde zu früh.

Noch während der Feuerwerkskörperjaulend und pfeifend durchs Blattwerk jagte, eröffnete der unsichtbare Schütze das Feuer. Und er zielte besser als beim erstenmal.

Ein ganzer Schwarm von Geschossen prasselte durch die Fensteröffnung und bohrte sich in die Dachsparren.

Mittlerweile hatte der Butler erneut in gebückter Haltung das Fenster gewechselt und bereitete eine Silvesterrakete von eindrucksvollem Format für den Start vor. Zischend schoß der Feuerwerkskörper davon, während der Heckenschütze noch immer auf das falsche Fenster zielte.

Auf einem Feuerschweif umrundete die Rakete zweimal in atemberaubendem Tempo den Baum, bevor sie sich durch das Blätterdach bohrte und verschwand.

Der gellende Schrei, der gleich darauf hörbar wurde, schien zu signalisieren, daß der Flugkörper den getarnten Schützen an einer ausgesprochen empfindlichen Stelle erwischt hatte. Knallend zerplatzte die bunte Leuchtmunition. Rote, grüne, goldene Fontänen schossen aus der Baumkrone und tauchten die Umgebung in grelles, unwirkliches Licht.

Das war offenbar zuviel für die sensiblen Nerven des Scharfschützen. In heilloser Panik ließ sich der Mann von Ast zu Ast gleiten und tauchte in Parkers Blickfeld auf, als er hastig am Stamm zu Boden rutschte.

Seelenruhig spannte der Butler noch mal seine stählerne Schleuder. Diesmal legte er allerdings eine hartgebrannte Tonmurmel in die Lederschlaufe.

Der Heckenschütze hatte sich gerade vom Boden aufgerafft und seine Waffe gepackt, als der Butler die Gummistränge fast bis zum Zerreißen spannte. Lautlos glitt die kleine Kugel hinter dem Unbekannten her, der mit langen Sätzen in die Gärten jenseits der Straße zu entkommen suchte.

Spontan entschloß sich der Flüchtende zu einem Luftsprung und griff instinktiv nach seinem verlängerten Rücken, als ein brennender Schmerz in der Hosenbodengegend ihm die Ankunft von Parkers Gruß signalisierte.

Jetzt war dem Mann auch seine Waffe gleichgültig. Das Gewehr fiel polternd zu Boden und blieb auf dem Gehweg liegen, während sein Besitzer sich mit einem Hechtsprung zwischen Hecken und Sträuchern in Sicherheit brachte.

»Ein Glück, daß in der Nachbarschaft niemand mehr wohnt«, schmunzelte Mike Rander, als Parker in die Diele zurückkehrte, wo Myladys Besucher das ungleiche Duell am Monitor verfolgt hatten. »Die Dame des Hauses hätte sonst mit tödlicher Sicherheit eine Anzeige wegen Störung der Nachtruhe zu erwarten.«

»Seit Mylady alle umliegenden Grundstücke käuflich erworben und die Bewohner zum Auszug bewogen hat, sind meiner Wenigkeit keine Beschwerden mehr zu Ohren gekommen, Sir«, sagte Parker.

»Das war das Klügste, was Mylady tun konnte«, meinte der Anwalt. »Nebenbei bemerkt handelt es sich um Liegenschaften, deren Wert wegen ihrer zentralen Lage in den letzten Jahren geradezu atemberaubend gestiegen ist.«

Kathy Porter und Mike Rander verabschiedeten sich. Josuah Parker ließ die Besucher hinaus und ging noch die wenigen Schritte bis zu der Stelle mit, wo der Ziegelstein lag.

Sein glattes Gesicht zeigte nicht die mindeste Spur von Überraschung, als er den Zettel auffaltete. Das Blatt war leer...

*

»Darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Mylady eine erholsame und ungestörte Nachtruhe hatten?« fragte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung, als er seiner Herrin im Salon das Frühstück servierte.

»Danke, Mister Parker, ich habe wieder mal durchgearbeitet«, antwortete die ältere Dame gut gelaunt und widmete sich mit Feuereifer den mit Spargel gefüllten Schinkenröllchen, die der Butler ihr vorgelegt hatte. »Allerdings muß ich irgendwann doch ein Weilchen eingenickt sein, denn ich hatte einen merkwürdigen Traum.«

Parker schenkte Kaffee nach und trat einen halben Schritt zurück. Nach dem Inhalt des Traumes zu fragen, erschien ihm zu indiskret.

»In diesem Traum stand ich plötzlich unserem guten, alten König Edward gegenüber, Mister Parker«, fuhr Agatha Simpson nach einer kleinen Pause munter fort. »Seine Majestät lächelte, faßte mich an der Hand und geleitete mich die Stufen zu einer Ehrentribüne hinauf.«

»Ein Traum, den man nur als außerordentlich bemerkenswert bezeichnen kann und muß, Mylady«, warf der Butler ein, während er als nächsten Gang geräucherte Fasanenbrust servierte.

»Er ist ja noch gar nicht zu Ende, Mister Parker«, reagierte Mylady leicht ungehalten. »Oben auf der Tribüne setzte seine Majestät mir einen goldenen Lorbeerkranz aufs Haupt. Während das Volk jubelte, wurde zu meinen Ehren ein gigantisches Feuerwerk abgebrannt. An dem Knallen bin ich dann wieder aufgewacht und habe meine Arbeit fortgesetzt.«

Josuah Parker zog es vor, Mylady nicht darüber aufzuklären, wie das Feuerwerk in ihren Traum geraten war. Vermutlich hätte sie den Hinweis nur zum Anlaß genommen, sein eigenmächtiges Handeln aufs Schärfste zu kritisieren.

»Darf man sich übrigens erkundigen, ob Mylady trotz des geringen Schlafpensums an der Absicht festhalten, die Ermittlungen im Warenhaus Wellwood aufzunehmen?« fragte er statt dessen.

»Aber selbstredend, Mister Parker«, erwiderte die Detektivin entrüstet. »Sofort nach dem Frühstück breche ich auf und werde erst mal das Lager auf den Kopf stellen.«

Daß die Ankündigung wörtlich zu nehmen war, ahnte Parker aus Erfahrung.

»Je weniger ich schlafe, desto frischer fühle ich mich, Mister Parker«, plauderte Agatha Simpson in aufgeräumter Stimmung weiter.

»Mylady verfügen über eine Konstitution, die man nur als beneidenswert bezeichnen kann und muß«, warf der Butler ein, während seine Herrin mit ungebrochenem Elan zu Rehmedaillons im Kräutermantel überging.

»Man muß sich ständig Höchstleistungen abverlangen, Mister Parker«, verriet die ältere Dame bereitwillig das Geheimnis ihrer manchmal geradezu jugendlichen Frische. »Der Mensch wächst mit den Aufgaben, denen er sich stellt.«

»Eine Weisheit, die auch meine bescheidene Wenigkeit nach Kräften beherzigt, Mylady.«

»Leider hat die Natur Sie etwas stiefmütterlich behandelt«, stellte die Hausherrin mitleidig fest. »Wären Sie mit meinen Talenten gesegnet, hätten Sie es vielleicht sogar zu etwas bringen können, Mister Parker.«

Einen Moment lang blickte Mylady nachdenklich zur Decke und vergaß sogar das Kauen.

»In Ihrem Sinn war es schon eine glückliche Fügung, daß Sie in meine Dienste treten durften, Mister Parker«, verkündete sie dann mit einem gedankenverlorenen Lächeln. »Was würde denn geschehen, wenn ich nicht ständig meine schützende Hand über Sie hielte?«

Das Telefonklingeln entband den Butler von der unangenehmen Pflicht, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Nach einer kurzen Verbeugung lenkte er seine Schritte in Richtung Diele.

Am Apparat war Horace Pickett, den Parker schon am frühen Morgen angerufen und gebeten hatte, ein wachsames Auge auf die Umgebung des Wellwoodschen Warenhauses zu werfen.

Der ehrenwerte Mister Pickett, wie der Butler ihn meistens nannte, hätte als pensionierter Offizier gelten können. Er war schätzungsweise 60 Jahre alt, hochgewachsen und drahtig. Der akkurat gestutzte Schnauzbart im gebräunten Gesicht, der korrekt sitzende Trenchcoat und das Travellerhütchen auf dem Kopf gaben ihm einen überaus seriösen Anstrich.

Dabei war Pickett früher ein prominenter Londoner Taschendieb gewesen. Seine geschickten Finger hatte er jedoch nur dort eingesetzt, wo der Verlust einer prall gefüllten Brieftasche nicht besonders schmerzte. Das war der Grund, weshalb er seine frühere Tätigkeit mit einer gewissen Berechtigung als »Eigentumsumverteiler« angab.

Parker hatte ihm vor Jahren in einer unverschuldeten Notlage das Leben gerettet. Seitdem bestritt Pickett seinen Lebensunterhalt auf legale Weise und rechnete es sich zur Ehre an, gelegentlich für den Butler und Mylady tätig werden zu dürfen. Seine intimen Kenntnisse der Londoner Szene hatten sich schon oft als ausgesprochen nützlich erwiesen.

»Bis jetzt hat sich nichts Bemerkenswertes ereignet, Mister Parker«, teilte Pickett aus einer Telefonzelle mit. »Auch bekannte Gesichter sind mir nicht aufgefallen.«

»Darf man hoffen, daß es Ihnen gelang, einen Standpunkt zu finden, der es erlaubt, unauffällig die Laderampe zu observieren, Mister Pickett?« erkundigte sich Parker.

»Die Sicht ist prachtvoll, Mister Parker«, schwärmte der Anrufer. »Ich habe mir erlaubt, zusammen mit einem guten Freund gleich gegenüber der Ausfahrt eine kleine Kanalbaustelle zu eröffnen.«

»Ihr Ideenreichtum dürfte als nahezu unerschöpflich gelten, Mister Pickett«, stellte Parker anerkennend fest.

»Ach, das ist doch nichts Besonderes«, wehrte Pickett bescheiden ab. »Sie werden es sehen, wenn Sie nachher kommen. Es bleibt doch dabei?«

»Mylady ist fest entschlossen, unmittelbar nach dem Frühstück aufzubrechen«, teilte der Butler mit, ehe er das Gespräch beendete.

*

Eine Stunde später ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum an dem rotweißen Schutzgitter vorbeirollen, das einen offenen Kanalschacht umschloß. Den jungen Arbeiter im blauen Overall, der gerade aus der Tiefe emporstieg, hatte der Butler noch nie gesehen. Dafür war ihm der schon etwas ergraute Vorarbeiter, der gerade eine Pause eingelegt hatte und auf der Ladefläche eines kleinen Lastwagens die Morgenzeitung las, um so vertrauter.

Pickett nickte kaum wahrnehmbar, als Parkers eckiges Gefährt die Baustelle passierte und gleich danach in die Tiefgarage des Kaufhauses abbog.

Während der Butler wenig später seine Herrin zwischen den Verkaufstischen hindurchschleuste, fiel sein Blick wie zufällig in die Spielwarenabteilung. Was sich dort abspielte, ließ es ihm angeraten erscheinen, die passionierte Detektivin aufmerksam zu machen.

»Das ist wirklich die Höhe! Da muß ich unverzüglich einschreiten!« fauchte die resolute Lady und setzte sich postwendend in Bewegung.

Der smarte Archibald Pool, geschniegelt und gebügelt wie immer, hatte zwei etwa achtjährige Jungen ertappt, die angesichts eines ganzen Regals voll bunter Matchboxautos der übermächtigen Versuchung erlegen waren. Der Detektiv hatte die heftig widerstrebenden Kinder am Kragen gepackt und wollte sie gerade in sein Büro schleifen, als Agatha Simpson ihm mit unheilverkündender Miene in den Weg trat.

Mit einem langgezogenen Jaulton gab Pool davon Kenntnis, daß die gewichtige ältere Dame ihm nicht nur in den Weg, sondern auch auf die Hühneraugen getreten war.

»Verdammt, was soll das?« fluchte er mit Tränen in den Augen, hielt die beiden Jungen aber weiterhin eisern fest.

»Diese Frage wollte ich Ihnen auch gerade stellen, Mister Fool!« erwiderte Mylady. »Wenn Sie nicht sofort die schändliche Mißhandlung der armen Kleinen einstellen, werde ich Ihnen eine gründliche Lektion erteilen und Sie anschließend noch verklagen.«

»Was wollen Sie denn?« empörte sich der elegante Warenhausdetektiv. »Die Bengel haben gestohlen!«

»Unsinn, ich habe genau gesehen, daß die Kinder sich nur umgesehen haben«, behauptete Agatha Simpson in einem Ton, der jeden Widerspruch riskant erscheinen ließ.

»Kümmere dich um deinen eigenen Kram, du alte Fregatte!« wurde der smarte Pool plötzlich ausgesprochen ordinär.

Hätte der Mann im entferntesten geahnt, wie außerordentlich sensibel Lady Simpson auf Beleidigungen reagierte, hätte er sich mit Gewißheit gewählter ausgedrückt.

Pool wich instinktiv zurück, als die resolute Dame noch einen Schritt näher trat. Da er seine kleinen Gefangenen aber auf keinen Fall freigeben wollte, mußte er hilflos geschehen lassen, daß Agatha Simpson ihn mit der Zärtlichkeit einer Schraubzwinge bei den Ohren packte.

Genüßlich begann sie, an den fleischigen Hörorganen zu drehen, unschlüssig, welches neue Design sie ihnen geben sollte.

Der Detektiv jaulte wie ein Hund, der mit dem Schwanz in eine Drehtür geraten war, wurde leichenblaß und lockerte endlich seinen Griff.

»Nehmt euch so viele Autos wie ihr tragen könnt«, ermunterte Lady Agatha die kleinen Kerle, die aber nur ihrem Freiheitsdrang folgten und wie die Wiesel in Richtung Hauptausgang davonflitzten.

Pool atmete erleichtert auf, als die ältere Dame seine inzwischen feuerroten Horchtrichter losließ. Doch er hatte sieh zu früh gefreut. Agatha Simpson war noch nicht fertig. Neben der Beleidigung galt es auch, die Kindesmißhandlung zu sühnen. Und das tat die resolute Lady in der ihr eigenen Gründlichkeit.

Ehe der Detektiv sich aus der Gefahrenzone retten konnte, holte die Detektivin zu einer ihrer berüchtigten Ohrfeigen aus.

Pools Augen schienen aus den Höhlen zu springen, als Myladys muskulöse Rechte sich an seine Wange legte. Hustend und würgend taumelte er hin und her. Dabei massierte er vorsichtig die Gesichtshälfte, auf der sich die gespreizten Finger der temperamentvollen Dame als rote Streifen abzuzeichnen begannen.

Die Tanzschritte, die Pool im Anschluß daran probierte, hätte er besser unterlassen. Sie wirkten ausgesprochen linkisch und endeten damit, daß der ungeübte Mann unter aufsehenerregendem Getöse eine Stellage voll festlich herausgeputzter Puppen umriß.

Mißbilligend nahm Mylady das Chaos zur Kenntnis, das der ungeschickte Kaufhausdetektiv angerichtet hatte und wandte sich zum Gehen.

»Ich denke, das hat fürs erste gereicht«, grollte die ältere Dame selbstzufrieden. »Wo geht es zum Lager, Mister Parker?«

Während das Duo aus Shepherd’s Market vor dem Lift wartete, blickte der Butler noch mal zurück. Pool hatte sich wieder aufgerafft, bahnte sich einen Weg zwischen zeternden Verkäuferinnen hindurch und eilte zu einem der Haustelefone, die an den Wänden angebracht waren.

Das Gespräch war von kurzer Dauer. Als Mylady und ihr Butler den Aufzug betraten, hatte der Detektiv schon wieder eingehängt.

*

»Das ist ein Lift, wie ich ihn mir immer wünschen werde«, meinte Agatha Simpson anerkennend. »Hier kann man wenigstens durchatmen.«

In der Tat hatte der Fahrkorb die Ausmaße eines geräumigen Zimmers, wenn er es auch nicht mit Myladys weitläufiger Wohnhalle aufnehmen konnte.

»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich um den Lastenaufzug handeln, der dazu dient, die Waren aus dem Lager in die Verkaufsabteilungen zu befördern«, erläuterte der Butler.

Kein Mensch begegnete dem skurillen Paar, als es im Tiefgeschoß den Aufzug verließ und den Weg zum Lager einschlug. Nach dem hektisch summenden Getriebe der Verkaufsräume wirkte die Stille hier unten regelrecht bedrückend.

Nur die Schritte hallten von den nackten Betonwänden wider, die im bläulichen Licht von Neonröhren flimmerten. Hin und wieder fiel ein Wassertropfen aus dem Gewirr der Installationsleitungen an der Decke zu Boden.

»Wollte ich mir nicht zuerst dieses neugierige Frauenzimmer vorknöpfen, Mister Parker?« erinnerte sich Agatha Simpson plötzlich.

»Eine entsprechende Absicht äußerten Mylady in der Tat«, bestätigte Parker. »Andererseits hatten Mylady auch den Wunsch, das Lager zu besichtigen, sofern man sich nicht täuscht.«

»Immer eins nach dem anderen«, entschied die Detektivin. »Also zuerst das Lager. Sie dürfen vorangehen, Mister Parker.«

Man hatte inzwischen eine doppelflügelige Feuerschutztür aus Stahl erreicht, die mit der Aufschrift ›Lager – Zutritt nur für Beschäftigte‹ versehen war. Lauschend preßte der Butler sein Ohr an das kalte Metall, ehe er vorsichtig die Klinke drückte.

Der weitläufige Lagerraum, der weiter hinten an eine ebenerdige Verladerampe grenzte, erwies sich als ausgesprochen unübersichtlich. Das lag an den deckenhohen Regalen, die mit Kisten, Kartons und Containern vollgestopft waren und alles enthielten, was ein Kaufhaus seinen Kunden zu bieten hat – von der Stecknadel bis zur Gefriertruhe.

Soweit es sich von der Tür aus beurteilen ließ, war der Raum menschenleer. Geräusche, die auf die Anwesenheit von Beschäftigten hingedeutet hätten, waren jedenfalls nicht zu hören.

Verlassen wirkte auch die Rampe. Die Lieferanten hatten ihre Fracht schon am frühen Morgen abgeladen. Wellwoods eigener Lastwagen war offensichtlich zum Ausliefern unterwegs.

»Ob hier schon Mittagspause ist?« wunderte sich Lady Agatha.

»Meine Wenigkeit würde eher einer anderen Vermutung zuneigen, Mylady«, antwortete Parker mit gedämpfter Stimme. Das Kribbeln in der Magengrube, das er plötzlich beim Betreten des Raumes verspürt hatte, wurde von Schritt zu Schritt deutlicher. Die geheimnisvolle innere Stimme, die ihn vor tödlichen Gefahren zu warnen pflegte, meldete sich wieder mal zu Wort.

Sekunden später wurde die Vermutung zur Gewißheit.

Der glatzköpfige Muskulöse, der plötzlich aus einem düsteren Seitengang sprang, hatte sich mit dem gewichtigen Keramikfuß einer Tischlampe bewaffnet. Blitzschnell holte der Angreifer aus und glaubte, den Butler schon ausgeschaltet zu haben.

Der Mann hatte jedoch nicht mit der soliden Panzerung aus Stahlblech gerechnet, die Parkers schwarze Melone zu einem wirksamen Schutzhelm machte. Ein dröhnender Glockenton war zu vernehmen, als der Glatzköpfige den Lampenfuß auf Parkers steifer Kopfbedeckung plazierte.

Im nächsten Moment fuhr er allerdings jammernd zurück, da die tönerne Schlagwaffe in tausend Scherben zersprang, die ein eigenwilliges Muster kleiner Schnitte an Händen und Gesicht zurückließen.

Während Parkers Gegner sich von seiner Verblüffung erholte und wimmernd sein verstauchtes Handgelenk massierte, ging der Butler zum Gegenangriff über. Mit der bleigefüllten Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirmes tastete er eingehend den Solarplexus des Mannes ab, der auf diese Behandlung mit heftigem Luftschnappen reagierte.

Innerhalb von Sekunden nahm sein Gesicht die Farbe einer frisch gekalkten Wand an. Ein Zittern durchlief den massigen Körper. Röchelnd torkelte der atemlose Angreifer zur Seite. Ein helles Klingen wurde hörbar, als er unversehens mit der Stirn einen stählernen Regalpfosten rammte.

Die Darbietung, die der Mann nun anschloß, erinnerte lebhaft an die Hula-Hula-Tänze der Eingeborenen von Hawaii. Allerdings knickte der Tänzer unter lebhaftem Hüftschwenken immer tiefer in den Knien ein, bis er endlich die horizontale Lage erreicht hatte und sich von der Bühne des Geschehens verabschiedete.

»Den überlassen Sie mir, Mister Parker!« verlangte Lady Simpson, als sie den zweiten Angreifer aus seinem Versteck springen sah. Mit energischem Schwung schickte sie ihren perlenbestickten Pompadour auf die Reise.

Geistesgegenwärtig zog der Mann den Kopf ein, als der lederne Beutel leise rauschend ihn zu attackieren versuchte.

Was erst wenigen gelungen war – dem reaktionsschnellen Angreifer, der ein offenes Klappmesser umklammert hielt, glückte es: Er räumte rechtzeitig die Flugbahn des sogenannten Glücksbringers. Die Folge war, daß die ledernen Halteriemen des Beutels sich im Handumdrehen um den nächsten Regalpfosten wickelten.

Während Lady Agatha ebenso ungeduldig wie vergeblich an den Riemen zerrte, um ihren Glücksbringer freizubekommen und in den nächsten Einsatz zu schicken, warf sich der Messerheld mit verwegenem Satz in ihre Richtung.

Parker, der mit einer gewissen Zuspitzung der Situation gerechnet hatte, war jedoch auf der Hut und durchkreuzte die unfreundlichen Absichten des Mannes nachhaltig.

Fest umspannte die schwarz behandschuhte Rechte des Butlers die Spitze des schwarzen Regendachs, während der gebogene Bambusgriff dicht über dem Boden einen flachen Halbkreis beschrieb.

Der Angreifer ließ einen spitzen Schrei hören, als sich die bleigefüllte Bambuskrücke mit der Unerbittlichkeit einer Würgeschlange um seine Knöchel ringelte.

Mit seiner Körperbeherrschung war es augenblicklich vorbei. Auch der gestreckte Gleitflug, den er als humoristische Einlage darbot, ließ eindeutig die Eleganz vermissen.

Jammernd schurrte er bäuchlings über den Betonboden, vergaß seine Waffe, die ihm in hohem Bogen vorangeflogen war, und rutschte unter eins der Regale, bis nur noch die Füße heraussahen.

»Immer müssen Sie mir dazwischenfunken, Mister Parker!« beschwerte sich die Detektivin. »Ich wäre mit dem Lümmel schon allein fertig geworden.«

»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als dieser Feststellung zu widersprechen«, antwortete der Butler durchaus wahrheitsgemäß. Seine Höflichkeit kannte keine Grenzen.

»Bevor ich die dreisten Schurken verhöre, will ich mich noch ein wenig hier umsehen«, kündigte die reiche Lady an und entzifferte neugierig die Aufschriften einiger Kartons. Als sie aber auch nach dem dritten Versuch noch keinen Kognak entdeckt hatte, gab sie frustriert ihr Bemühen auf.

»Möglicherweise sollte man die Herren zunächst an einem sicheren Ort unterbringen, um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen, Mylady«, schlug der Butler vor.

»Die Idee ist so hervorragend, daß sie fast von mir stammen könnte, Mister Parker«, lobte Agatha Simpson. »Dann kann ich mir die eitle Schnepfe in Mister Sellgoods Vorzimmer vorknöpfen, bis die Lümmel wieder vernehmungsfähig sind.«

Gelassen zog Parker eine Sackkarre heran und packte das kraftlose Muskelpaket darauf. Anschließend zog er den friedlich schlummernden Messerhelden unter dem Regal hervor und stapelte ihn noch dazu.

In aufrechter Haltung schob Parker die beladene Karre vor sich her wie einen Einkaufswagen im Supermarkt. Auf dem Herweg war ihm eine ungenutzte Abstellkammer aufgefallen, in der er die Galgenvögel fürs erste einschließen wollte.

Soweit es die gewichtige Fracht erlaubte, beschleunigte der Butler seine Schritte, als er einen Lastwagen an der Rampe vorfahren und gleich darauf die Fahrertür klappen hörte.

»Warum rennen Sie denn plötzlich wie ein Wahnsinniger, Mister Parker?« schnaufte Agatha Simpson. Sie hatte Mühe mitzuhalten, und Parker drosselte gehorsam sein Tempo. Es war ohnehin zu spät...

*

»Die Flossen hoch!« kommandierte eine heisere Stimme. »Da bin ich ja gerade recht gekommen.«

Es war der Lkw-Fahrer, der die Situation mit einem Blick erfaßt hatte.

»Und keine falsche Bewegung!« knurrte der drahtige Mittvierziger. »Sonst knallt’s!« Der Trommelrevolver, den er in der Rechten hielt, unterstrich seine Worte auf ausgesprochen wirkungsvolle Weise.

»Leider sieht man sich durch Ihr Verhalten genötigt, auf die oft irreparablen Folgen hinzuweisen, die mit dem unbedachten Gebrauch von Feuerwaffen verbunden sind«, entgegnete der Butler ohne eine Spur von Nervosität in der Stimme. Bei seinem Gegenüber stieß die wohlmeinende Ermahnung jedoch auf taube Ohren.

»Quatsch keine Opern, Opa!« fauchte der Mann. »Das dämliche Gehabe wird dir bald vergehen.«

»Dick! Jim!« schrie der Fahrer die immer noch recht apathisch wirkenden Lagerarbeiter an. »Wird’s bald? Rafft euch auf, ihr Schlappsäcke!«

Wie elektrisiert fuhren die beiden auf und rieben sich verdutzt die Augen. Fassungslos starrten sie abwechselnd das Paar aus Shepherd’s Market und dann ihren bewaffneten Kollegen an.

»Los, helft mir«, kommandierte der Mann. »Wir müssen die beiden so schnell wie möglich wegschaffen.«

»Den Container da nehmen wir«, entschied der Drahtige mit der heiseren Stimme nach kurzem Überlegen.

Dick und Jim erhoben sich ächzend und fluchend. Sie standen ein paar Sekunden schwankend auf unsicheren Beinen, ehe sie sich in der angegebenen Richtung in Bewegung setzten.

Der Transportbehälter, den die Männer mit Hilfe eines hydraulischen Hubwagens heranschafften, war aus solidem Stahlblech gefertigt und besaß das Format eines geräumigen Kleiderschranks. Grinsend klappten die Lagerarbeiter eine Seitenwand herunter und luden das skurrile Paar mit ironischen Verbeugungen zum Einsteigen ein.

»Sie werden doch nicht im Ernst erwarten, daß eine Dame meines Standes sich eine derart entwürdigende Behandlung gefallen läßt«, ereiferte sich Lady Simpson. »Ich denke, ich werde Ihnen zuallererst Manieren beibringen.«

Wütend versetzte sie ihren Pompadour in hektische Schwingungen und machte Anstalten, auf den Fahrer loszugehen. Die ältere Dame verlor ihre Unbefangenheit auch im Angesicht entsicherter Schußwaffen nur selten.

»Sie sollten Marty nicht unnötig reizen, Madam«, riet Dick mit drohendem Unterton. »Der Junge ist furchtbar nervös. Da löst sich leicht ein Schuß.«

»Dieser Einschätzung würde auch meine Wenigkeit zuneigen, Mylady«, mahnte Parker zur Vorsicht. »Bedauerlicherweise kommt man nicht umhin einzuräumen, daß die Herren momentan über das Argument mit der stärksten Durchschlagskraft verfügen«

Grollend schickte sich die Detektivin ins Unvermeidliche und zog sich unter gemurmelten Flüchen in den Metallkasten zurück.

Hinter Parkers glatter Stirn arbeitete es fieberhaft. Alle Sinne waren bis zum äußersten gespannt. Gab es keine Möglichkeit zu entkommen?

Als Dick und Jim die offene Seitenwand hochklappten und ihm dabei gefährlich nahe kamen, hielt Parker seine Chance schon für gekommen. Aber unter den wachsamen Augen des bewaffneten Marty erschien ihm das Risiko eines Angriffs doch zu groß.

Sekunden später war der Container geschlossen und mit zwei schweren Vorhängeschlössern gesichert...

*

»Was hat das zu bedeuten, Mister Parker?« erkundigte sich Mylady argwöhnisch, als die stählerne Kiste zu rumpeln und zu schaukeln begann.

»Die Herren dürften im Moment damit beschäftigt sein, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit auf einen Lastwagen der Firma Wellwood zu verladen«, meldete Parker, der schon eine Ritze zum Hinausspähen entdeckt hatte.

»Und was schließe ich daraus, Mister Parker?«

»Falls man sich nicht täuscht, werden Mylady verschiedene Möglichkeiten in Erwägung ziehen.«

»Selbstverständlich, Mister Parker. Als Detektivin bin ich es gewohnt, alle denkbaren Möglichkeiten in meine Betrachtung einzubeziehen.«

»Eine Feststellung, der man keineswegs widersprechen möchte, Mylady.«

»Wahrscheinlich haben die Lümmel den Auftrag, mich zu ihrem Chef zu schaffen«, mutmaßte Agatha Simpson. »Aber der Bursche wird sich noch wundern.«

»Was eindeutig zu hoffen ist, Mylady«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei. »Andererseits dürfte die Befürchtung kaum von der Hand zu weisen sein, daß man plant, Mylady und meine Wenigkeit unverzüglich zu beseitigen.«

»Beseitigen?« Agatha Simpson runzelte die Stirn. »Was verstehe ich darunter, Mister Parker?«

»Mylady dürften sich der Tatsache bewußt sein, daß es für die Gangster ein Leichtes wäre, den Container in der Themse oder einem anderen Gewässer zu versenken.«

Irritiert lauschte die Detektivin auf die Geräusche, die von draußen in die stählerne Gefängniszelle drangen. Offenbar hatten Jim und Dick ihre Last auf der Ladefläche des Lastwagens abgestellt.

Knallend wurden die Hecktüren geschlossen. Jetzt fiel nicht mal mehr schwaches Dämmerlicht durch seitliche Ritzen in den Container. Die Finsternis in dem Kasten war undurchdringlich.

Stotternd sprang die Dieselmaschine an. Der Lastwagen setzte sich in Bewegung, kurvte aus dem Ladehof auf die Straße und nahm rasch Fahrt auf.

»Wie war das mit der Themse, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson nach einer Weile unvermittelt.

»Mylady dürften sich der Tatsache bewußt sein, daß es für die Gangster ein Leichtes wäre, den Container in der Themse oder einem anderen Gewässer zu versenken«, wiederholte der Butler.

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, entschied die resolute Dame, die sich auch jetzt noch als Herrin der Lage fühlte. »Diesen heimtückischen Mord werde ich natürlich durch einen genialen Gegenzug verhindern. Über die Einzelheiten dürfen Sie sich jetzt schon Gedanken machen, Mister Parker.«

»Meine Wenigkeit fühlt sich außerordentlich geehrt durch das Vertrauen, das aus diesem Auftrag spricht, Mylady«, versicherte Parker. »Man wird sich nachhaltig bemühen, Myladys Erwartungen keinesfalls zu enttäuschen.«

»Dann stehen Sie nicht so untätig herum, Mister Parker!« drängte die ältere Dame.

»Verzeihung, Mylady«, antwortete der Butler vom anderen Ende der stockfinsteren Kiste. »Man hat bereits mit ersten Vorbereitungen begonnen, falls der Hinweis erlaubt ist.«

In der Dunkelheit hatte Parker sein handliches Universalbesteck aus der Tasche des schwarzen Covercoats gezogen. Unter leisem Quietschen, das im Fahrgeräusch des Lastwagens unterging, ließ er den diamantenen Glasschneider über das Stahlblech kreisen.

Bei der Dicke des Materials würde es etwa fünf Minuten dauern, bis sich eine Blechscheibe von der Größe eines Bierdeckels herausdrücken ließ, schätzte Parker. Anschließend konnte er sich mit dem ersten Vorhängeschloß befassen.

Der Butler kam jedoch nicht dazu, sein Werk zu vollenden. Holpernd und schaukelnd bog der Lastwagen von der Straße ab, rollte noch ein Stück im Schrittempo weiter und stoppte dann.

Aus den Geräuschen, die an sein Ohr drangen, schloß Parker, daß der Fahrer bei laufendem Motor ausgestiegen war und das Schiebetor einer Lagerhalle öffnete.

Gleich darauf rollte das Fahrzeug an, blieb aber nach einigen Metern schon wieder stehen. Der Motor verstummte.

Die Dunkelheit im Container wich grauer Dämmerung, als der Fahrer die Hecktüren des Fahrzeuges öffnete. Eine Weile hörte Parker ihn mit dem hydraulischen Hubwagen hantieren, dann setzte sich die stählerne Kiste schaukelnd in Bewegung.

Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß der Lastwagenfahrer allein am Werk war, aber dank der hydraulischen Hebebühne, über die der Wagen verfügte, bereitete ihm das Entladen keinerlei Schwierigkeiten.

»Wenn Sie nicht sofort diese elende Kiste öffnen, werden Sie Lady Simpson kennenlernen«, drohte die resolute Dame, sobald der Container auf dem Boden aufgesetzt hatte. Ihr sonores Organ vermochte den Lastwagenfahrer jedoch nicht zu beeindrucken.

»Wenn Sie wirklich so pfiffig sind, wie man sich erzählt, können Sie es ja selbst versuchen«, spottete der Mann.

»Eine Dreistigkeit sondergleichen ist das!« grollte Lady Agatha. »Sie können doch eine Dame der Gesellschaft nicht einfach abstellen wie Stückgut.«

»Und ob ich das kann«, lachte der Fahrer höhnisch. »Überhaupt sollten Sie froh sein, daß ich Sie nicht gleich kaltgemacht habe.«

»Frechheit«, kreischte die ältere Dame erregt. »Frechheit!«

»Wir sind ja keine Unmenschen«, sagte der Lastwagenführer, als Mylady Luft holen mußte. »Deshalb geben wir Ihnen noch Zeit für ein letztes Gebet.«

Agatha Simpson mochte noch so wütend mit den Füßen stampfen und mit den Fäusten gegen die stählerne Wand ihrer Gefängniszelle trommeln – der Gangster schwang sich hinters Lenkrad und ließ den Motor an. Tuckernd rollte der Lastwagen aus der Halle. Parker hörte noch, wie der Fahrer ausstieg und das Tor zuschob. Dann entfernten sich die Motorgeräusche.

*

Ohne zu zögern, setzte Parker seine Arbeit fort. Kreischend drehte der Diamant seine Runden im Metall und fraß sich zusehends tiefer hinein. Noch ein, zwei Minuten ...

Plötzlich hielt der Butler inne. Waren da nicht Schritte vor dem Tor?

Auch Mylady schien etwas gehört zu haben und lauschte angestrengt.

Ein paar Sekunden herrschte gespannte Stille. Dann setzte sich das Tor unter leisem Quietschen in Bewegung. Gleich darauf waren Schritte zu hören, die sich dem Container näherten.

Mylady zuckte zusammen, als plötzlich gegen die blecherne Wand gepocht wurde.

»Ist da jemand?« fragte eine wohlvertraute Stimme.

»Der gute Mister Pickett!« Lady Agatha jubelte.

»Mylady!« rief Pickett. »Ist Mister Parker auch bei Ihnen?«

»Falls Sie gestatten, möchte man Ihre Frage mit einem klaren und uneingeschränkten Ja beantworten, Mister Pickett«, meldete sich der Butler aus der Blechkiste. »Darf man im übrigen die Hoffnung äußern, daß Sie sich in der Lage sehen, die Vorhängeschlösser dieses Behältnisses zu öffnen?«

»Ich wüßte nicht, was ich lieber täte, Mister Parker«, entgegnete der frühere Eigentumsumverteiler. »Ich hole nur schnell das richtige Werkzeug aus dem Wagen.«

Alles weitere war eine Sache von Sekunden.

Bevor Mylady ihr Gefängnis endgültig verließ, blieb sie in der Öffnung stehen und nahm eine Pose ein, die man nur als ausgesprochen dramatisch bezeichnen konnte.

»Das werden die unverschämten Lümmel mir büßen«, schwor die ältere Dame mit emporgereckter Faust. »So wahr ich Agatha Simpson heiße!«

»Eine Ankündigung, die man nur mit Beifall aufnehmen kann, Mylady«, merkte der Butler an.

»Ich möchte nicht in der Haut der Burschen stecken«, ergänzte Pickett. »Wollen Sie denn jetzt gleich zurück zum Kaufhaus, Mylady?«

»Leider hat der Aufenthalt in dieser stickigen Kiste meinem sensiblen Kreislauf gar nicht gut getan, Mister Pickett«, klärte Mylady ihren Befreier auf. »Deshalb werde ich meine Rache noch um ein Stündchen verschieben und mich zunächst therapieren.«

»Kann ich gut verstehen, Mylady«, nickte Pickett. »Mir wäre bei der Fahrt in dem Ding auch übel geworden. Wie sind Sie denn da überhaupt hineingeraten?«

»Mister Parker trägt an allem Schuld«, gab Lady Agatha bekannt. »Hätte ich mir zuerst die eitle Gans in Mister Smellgoods Vorzimmer vorgeknöpft, wäre das nicht passiert. Einzelheiten kann Ihnen mein Butler selbst berichten.«

»Also steckt der Detektiv mit den Leuten im Lager und mit dem Lkw-Fahrer unter einer Decke«, kombinierte Horace Pickett, als Parker ihn kurz und knapp ins Bild gesetzt hatte.

»Das ist es ja, was ich von Anfang an sagte, Mister Pickett«, behauptete die Detektivin. »Aber Mister Parker ist uneinsichtig.«

»Niemand würde es mehr bedauern als meine Wenigkeit, wenn ein solcher Eindruck bei Mylady entstanden wäre«, versicherte der Butler höflich und verneigte sich. »Sich Myladys Überzeugungskraft zu entziehen, ist schlechthin unmöglich, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Na gut«, zeigte Agatha Simpson sich wieder versöhnt. »Dann kann ich ja hoffen, daß Sie künftig nicht mehr meine Ermittlungen durch Ihre Starrköpfigkeit behindern.«

»Selbstverständlich wird man nach Kräften bemüht sein, Mylady keinerlei Anlaß zu Klagen mehr zu geben«, versprach Parker in seiner unerschütterlichen Höflichkeit.

Es wurde etwas eng, als die füllige Lady und ihr Butler zu Pickett in das Führerhaus des kleinen Lastwagens stiegen.

»Soll ich Sie denn gleich nach Hause fahren, Mylady?« erkundigte sich der ehemalige Eigentumsumverteiler.

»Wohin denn sonst, mein lieber Pickett?« fragte die Detektivin überrascht. »Ich sagte Ihnen doch, daß mein Kreislauf...«

»Mir fiel nur ein, daß Ihr Wagen noch in der Tiefgarage des Kaufhauses steht«, unterbrach sie Pickett.

»Der kann einstweilen dort stehenbleiben«, entschied die ältere Dame. »Bestimmt sind Sie so freundlich, mich später am Nachmittag abzuholen, wenn ich dem Gesindel an den Kragen gehe.«

»Es wird mir eine Ehre sein, Sie zu chauffieren, Mylady«, entgegnete Pickett galant. »So wie es mir jetzt eine Ehre ist.«

»Darf man übrigens noch die Frage stellen, welcher glückliche Umstand Sie auf die Spur Myladys und meiner Wenigkeit brachte, Mister Pickett?« schaltete Parker sich ein. »Ohne Ihr Eingreifen hätte Myladys Befreiung noch einige Zeit in Anspruch genommen, falls die Anmerkung erlaubt ist.«

»Als der Lastwagen an die Rampe fuhr, habe ich mir noch nichts dabei gedacht«, berichtete Horace Pickett. »Erst als die drei Männer den Container verluden, wurde ich stutzig. Sie schienen es ziemlich eilig zu haben. Als der Lkw dann sofort startete und mit Vollgas davonbrauste, entschloß ich mich spontan hinterherzufahren.«

»Ein Entschluß, den man nur als außerordentlich begrüßenswert bezeichnen kann, Mister Pickett«, lobte der Butler.

»Eigentlich war es mehr eine Art Eingebung, ein Gefühl«, gestand Pickett. »Wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Man ist durchaus der Ansicht zu wissen, was Sie mit dieser Bemerkung zu meinen geruhen, Mister Pickett«, versicherte Parker.

Shepherd’s Market, diese Oase der Ruhe im hektischen Getriebe der Millionenstadt, war erreicht. Der kleine Lastwagen rollte durch die stille Wohnstraße und kurvte über den Vorplatz des repräsentativen Fachwerkbaus.

»Ist es recht, wenn ich in zwei Stunden wieder vorbeikomme?« wollte Pickett wissen, während Parker seine Herrin diskret beim Aussteigen unterstützte.

»Zwei Stunden dürften ausreichen, um meinen angegriffenen Kreislauf wenigstens einigermaßen zu regenerieren«, nickte Agatha Simpson und strebte der Haustür zu.

»Dann werde ich jetzt zu meinem hart arbeitenden Kollegen an der Kanalbaustelle zurückkehren und noch ein Weilchen Mister Wellwoods Ladehof im Auge behalten«, versprach Pickett und legte den ersten Gang ein.

Er wollte sein Fahrzeug gerade anrollen lassen, als Parker zu ihm ans offene Fenster trat.

»Man möchte es nicht versäumen, Mister Pickett, Ihnen – auch in Myladys Namen – noch mal verbindlichsten Dank für Ihr außerordentlich hilfreiches Eingreifen zu sagen.« Der Butler verneigte sich höflich und lüftete seine Melone.

Erst dann schritt er in würdevoller Haltung zur Haustür und schloß der ungeduldig wartenden Lady auf.

*

»Das ist wirklich die einzige Medizin, die hilft«, meinte Agatha Simpson tief befriedigt, als sie das erste Glas geleert hatte.

»Nicht mal im Traum würde es meiner Wenigkeit einfallen, diese Feststellung in Zweifel zu ziehen, Mylady«, versicherte Parker und schenkte nach.

»Haben Sie auch daran gedacht, meine Hausapotheke aufzufüllen, Mister Parker?« erkundigte sie sich und fand Genuß an dem zweiten Doppelstöckigen.

»Was französischen Kognak angeht, dürften Myladys Vorräte sich zur Zeit auf zweiundzwanzig Kisten à sechs Flaschen belaufen, falls man sich nicht gründlich irrt«, gab der Butler Auskunft. »Hinzu kommen vierzig Flaschen feiner, alter Sherry sowie diverse andere Therapeutika in unterschiedlichen Mengen.«

»Das klingt ja halbwegs beruhigend«, äußerte sich die ältere Dame und schob ihr Glas zum Nachfüllen hin. »Dennoch sollten Sie sich bei Gelegenheit um die erforderlichen Nachbestellungen kümmern, Mister Parker.«

»Man wird es keinesfalls versäumen, das Notwendige in die Wege zu leiten, um Myladys Wohlbefinden dauerhaft zu sichern«, gelobte Parker.

»Wer hart arbeitet, muß sich ab und zu auch etwas gönnen, Mister Parker«, sagte die verwöhnte Lady. »Und wenn es nur Medizin von angemessener Qualität ist.«

Telefonklingeln unterbrach die Unterhaltung, und Parker begab sich gemessenen Schrittes in die Diele.

»Hier ist Phil Hollows«, meldete sich eine Stimme, die dem Butler unbekannt vorkam. »Ich helfe Mister Pickett bei der Kanalreparatur gegenüber dem Kaufhaus Wellwood.«

»Darf man erwarten, daß der ehrenwerte Mister Pickett durch Ihren Mund eine Botschaft übermitteln möchte, Mister Hollows?« erkundigte sich Parker.

»Ja, genau«, bestätigte der Anrufer. »Ich soll Ihnen bestellen, daß derselbe Lastwagen wie heute vormittag mit demselben Mann am Steuer gerade wieder abgefahren ist.«

»Möglicherweise nahm Mister Pickett die Gelegenheit wahr, dem Fahrzeug ein zweites Mal zu folgen?« vermutete der Butler.

»Das ist der Grund, weshalb Mister Pickett mich bat, bei Ihnen anzurufen«, teilte der junge Mann mit. »Er selbst will sich telefonisch melden, sobald er Gelegenheit dazu findet.«

»Ein Verfahren, das man nur ausdrücklich gutheißen kann, Mister Hollows«, stellte Parker fest.

Der Anrufer verabschiedete sich kurz, und der Butler kehrte zu seiner Herrin in die Wohnhalle zurück.

»Der gute Mister Pickett«, rief Mylady gerührt, als Parker sie von dem Anruf in Kenntnis setzte. »Sie müssen mich wirklich daran erinnern, daß ich ihn mal zum Tee einlade.«

Schon wieder schrillte das Telefon.

»Das ist er. Das höre ich schon am Läuten, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson, die inzwischen das nächste Glas in Angriff nahm.

Er war es jedoch nicht.

»Hallo, Parker! Alles okay?« Anwalt Mike Rander machte einen aufgeräumten und unternehmungslustigen Eindruck.

»Myladys Ermittlungen steuern ohne Zweifel einem gewissen Höhepunkt zu, falls der Hinweis erlaubt ist, Sir«, informierte der Butler.

»Das klingt vielversprechend«, ließ Rander sich vernehmen. »Demnach haben Sie heute schon einiges erlebt?«

Kurz setzte Parker ihn über die aktuelle Entwicklung ins Bild und versäumte es nicht, Picketts Rolle lobend hervorzuheben.

»Gnade Gott den Burschen, wenn Mylady sie in die Finger bekommt«, sagte der Anwalt. »Mit denen möchte ich nicht tauschen.«

»Mylady dürfte es kaum versäumen, sich ausgiebig Genugtuung für den entwürdigenden Transport im Container zu verschaffen«, pflichtete der Butler ihm bei.

»Eigentlich wollte ich mich nur vergewissern, ob es bei unserer Verabredung für heute abend bleibt, Parker«, sagte Rander. »Das war der Grund meines Anrufs.«

»Bisher sind meiner Wenigkeit keinerlei Umstände bekanntgeworden, die es angeraten sein ließen, ein anderes Vorgehen zu wählen, Sir«, gab der Butler Auskunft.

»Dann um Mitternacht in der Bar zum ›Blauen Stern‹«, verabschiedete Rander sich und hängte ein.

Parker war noch nicht in die Wohnhalle zurückgekehrt, als das Telefon zum drittenmal läutete.

Diesmal war es der ehemalige Eigentumsumverteiler.

»Ich stehe hier in einer Telefonzelle an der Glamis Road in Shadwell«, teilte er mit. »Der Lkw ist eben auf den Hof eines Verbrauchermarktes in der Nähe gefahren und wird jetzt entladen.«

»Möglicherweise hatten Sie Gelegenheit zu beobachten, welche Art von Fracht entladen wurde, Mister Pickett?«

»Soviel ich sehen konnte, handelte es sich um mehrere Waschmaschinen, Herde und Kühlschränke.«

»Eine Mitteilung, deren Wert man keinesfalls unterschätzen sollte, Mister Pickett. Darf man die Frage anschließen, ob Sie sich in der Lage sehen, Näheres über den erwähnten Verbrauchermarkt in Erfahrung zu bringen?«

»Es handelt sich um eines der Geschäfte, wie sie hin und wieder in leerstehenden Fabrikhallen eröffnet werden, Mister Parker. Gehandelt wird mit allen möglichen Geräten, die als gebrauchte oder leicht beschädigte Ware weit unter dem Neupreis abgegeben werden.«

»Der Inhaber des genannten Unternehmens ist Ihnen nicht zufällig bekannt, Mister Pickett?«

»Bedaure, Mister Parker. Das kann ich aber noch herausfinden.«

»Diese Mühe dürfte sich mit einiger Sicherheit erübrigen, Mister Pickett. Falls meine Wenigkeit sich nicht gründlich täuscht, dürfte Mylady den Wunsch äußern, sich persönlich nach dem Inhaber zu erkundigen.«

»Soll ich denn jetzt zurückkommen und Sie abholen?« fragte Pickett. »Ihr Auto steht noch im Parkhaus.«

»Falls man einen Vorschlag unterbreiten darf, könnte es sich möglicherweise empfehlen, zunächst am Ort des Geschehens auszuharren, Mister Pickett. Sollte der Lastwagen abfahren, ehe Mylady und meine Wenigkeit bei Ihnen eintreffen, wäre man Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich entschließen könnten, dem Fahrzeug weiter zu folgen.«

»Alles verstanden, Mister Parker«, antwortete der einstige Eigentumsumverteiler.

Parker drückte auf die Gabel, wartete das Freizeichen ab und wählte.

»Mylady wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie unverzüglich ein Taxi nach Shepherd’s Market entsenden könnten«, sagte Parker und nannte die genaue Anschrift.

Sobald er die Bestätigung erhielt, daß ein freier Wagen unterwegs war, legte er den Hörer auf und kehrte in die Wohnhalle zurück. Jetzt galt es nur noch, der älteren Dame die kleine Programmänderung schmackhaft zu machen ...

*

Mylady entschied sich ohne Umschweife dafür, dem Verbrauchermarkt im grauen Eastend einen Besuch abzustatten.

»Ihre Saumseligkeit stört meine Planung, Mister Parker«, quengelte die Detektivin, während der Butler den Taxifahrer entlohnte und ihm noch ein Trinkgeld gab, weil er bis ins Parkhaus gefahren war, wo das hochbeinige Monstrum stand.

»Seh’n Sie mal«, meinte der Taxifahrer plötzlich. »Ist bei Ihnen nicht ’ne Schraube locker?«

»Darf man sich höflich erkundigen, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten?« fragte Parker.

»Ganz wörtlich«, entgegnete der Mann und deutete auf das linke Vorderrad des eckigen Gefährts.

Der Taxifahrer hatte richtig gesehen, und der Butler drückte ihm unter Myladys mißbilligendem Blick einen weiteren Schein als Dank für seine Aufmerksamkeit in die Hand. Wie sich bei der anschließenden Inspektion herausstellte, war nicht nur der eine Bolzen am linken Vorderrad gelockert, sondern alle rundum.

»Dadurch haben sich die dreisten Lümmel schon wieder eine Extratracht Prügel verdient«, stellte Agatha Simpson bissig fest, während Parker die Bolzen sorgfältig wieder anzog.

Vorsichtshalber nahm der Butler auch gleich die Bremsleitungen in Augenschein und suchte nach verborgen angebrachten Sprengladungen. Die Suche förderte jedoch keine weiteren Gefahrenquellen zutage, und wenig später rollte der schwarze Kasten auf die Straße.

Höflich nickte der Butler dem jungen Phil Hollows zu, der gerade wieder seinen Kopf aus dem Kanalschacht steckte, und schlug die Richtung nach Shadwell ein.

Der Verbrauchermarkt, den Pickett beschrieben hatte, war schnell gefunden. Aber Picketts kleiner Laster war weg. Auch der Lastwagen des Kaufhauses Wellwood stand nicht mehr auf dem Hof.

Gemächlich ließ Parker seinen Wagen am Straßenrand ausrollen und war seiner Herrin, die wieder Mühe mit ihrer eindrucksvollen Körperfülle hatte, beim Aussteigen behilflich.

»Was soll ich denn hier, Mister Parker?« beschwerte sich Agatha Simpson. »Der Schurke von Lastwagenfahrer ist doch sowieso schon weg.«

»Falls man sich nicht täuscht, äußerten Mylady die Absicht, dem Verkaufspersonal des Verbrauchermarktes gewisse Fragen zu stellen«, schwindelte der Butler im Vertrauen auf das mangelhafte Gedächtnis seiner Herrin.

»Diese Absicht hatte ich in der Tat, Mister Parker«, schwenkte sie postwendend um. »Welche Fragen waren das noch?«

»Unter anderem planten Mylady, die Herren nach der Herkunft der angebotenen Waren zu fragen.«

»Richtig«, nickte Agatha Simpson. »Das haben Sie gut behalten, Mister Parker. Hoffentlich weigern sich die Lümmel zu antworten und werden frech. Ich könnte dringend etwas Bewegung brauchen.«

»Gegebenenfalls dürften Mylady gezwungen sein, sich noch eine Viertelstunde in Geduld zu fassen«, wandte Parker ein. Er hatte das Schild mit den Öffnungszeiten studiert. Die Mittagspause endete um 15 Uhr. Jetzt war es gerade 14.45 Uhr.

»Eine Lady Simpson läßt man nicht warten«, stellte die resolute Dame kategorisch fest, »Wenn das Personal noch außer Haus ist, werde ich mich eben schon mal allein in dem Laden umsehen, Mister Parker.«

»Myladys Wünsche sind meiner bescheidenen Wenigkeit selbstverständlich Befehl«, versicherte der Butler und zog das handliche Universalbesteck aus der rechten Außentasche seines schwarzen Covercoats.

Bedachtsam wählte er die passende Metallzunge und ließ sie sanft ins Schlüsselloch gleiten. Ein paar Sekunden wollte der Schließmechanismus Widerstand leisten, doch dann fügte er sich mit kaum hörbarem Klicken den Überredungskünsten des Butlers.

Parker hatte seine Herrin gerade eintreten lassen, als sich herausstellte, daß die zum Verkaufsraum umfunktionierte Fabrikhalle doch nicht so verwaist war, wie sie gewirkt hatte.

»Verdammt! Wie sind Sie denn hier hereingekommen?« knurrte der pockennarbige Mittfünfziger im grauen Kittel, der plötzlich aus dem Halbdunkeln auftauchte.

»Auf dem üblichen Weg durch die Tür, falls der Hinweis erlaubt ist«, entgegnete der Butler gelassen.

»Wir haben aber noch Mittagspause«, brummte der Verkäufer mürrisch. »Also verschwinden Sie!«

»Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit!« brauste Lady Agatha auf.

»Es gibt jetzt nichts zu kaufen«, blaffte der Mann. »Kommen Sie nach drei wieder.«

»Möglicherweise darf man Sie auf einen kleinen, aber durchaus bedeutsamen Irrtum hinweisen«, wandte Parker ein. »Mylady ist keineswegs gekommen, um Einkäufe zu tätigen, sondern um Ihnen einige Fragen zu stellen.«

»Jetzt reicht’s mir aber!« brüllte der Mann mit zornrotem Gesicht. »So eine abgetakelte Fregatte will mir in der Mittagspause dämliche Fragen stellen!«

Der resoluten Lady reichte es jetzt allerdings auch. »Das geht zu weit!« kreischte sie und setzte mit einer energischen Bewegung ihren Glücksbringer in Marsch.

Der unhöfliche Verkäufer gewann den Eindruck, ein stämmiges Brauereipferd hätte ihn getreten, als der perlenbestickte Beutel sich temperamentvoll an seine Schläfe schmiegte. Wenn man an die Herkunft des sogenannten Glücksbringers dachte, der einst einem schweren Brauereigaul gehört hatte, war dieser Eindruck sogar verständlich.

Der Mann stieß einen langgezogenen Ton aus, der lebhaft an das Jaulen einer Sirene erinnerte. Heftig nach Luft japsend, stand er auf wackligen Beinen und glotzte die ältere Dame fassungslos an.

Im nächsten Moment wollte er sich mit blanken Fäusten auf seine Peinigerin stürzen, doch mitten im Angriff verließen ihn schlagartig die Kräfte. Im Wind schwankte der Pockennarbige hin und her, bevor er sich unsanft gegen einen Elektroherd modernster Bauart fallen ließ.

Das verhältnismäßig leichte Gerät setzte dem Gewicht des untersetzten Mannes nur geringen Widerstand entgegen. Umgehend neigte sich der Herd nach hinten und kippte auf den Rücken, wobei die Installationen einigen Schaden nahmen.

Besonders solide gebaut war das futuristisch gestaltete Gerät ohnehin nicht. Als der erschöpfte und verwirrte Verkäufer sich zu einer Verschnaufpause niederlassen wollte, brach prompt die gläserne Klappe des Backofens.

Die Sitzposition, die der Mann daraufhin einnahm, wirkte alles andere als bequem. Ihn schien das aber nicht mehr zu stören. Auch die Glassplitter, die sich von unten her in seine Kehrseite bohrten, nahm er nur noch undeutlich wahr.

Der Lärm hatte jedoch seinen Kollegen, einen athletisch gebauten jungen Mann mit Boxernase, aufgeschreckt. Ein schweres Eisenrohr schwingend, kam er im Galopp aus der Tiefe der Halle angestürmt. Parker ließ ihm jedoch keine Chance, seine Schlagwaffe unter Ernstfallbedingungen zu testen.

Mit der bleigefütterten Spitze seines Universalregenschirms tippte der Butler auf die Handgelenke des Angreifers, was bei dem Mann beträchtliche Irritation auslöste.

Wie vom Blitz getroffen blieb er mitten im Lauf stehen und ließ einen herzzerreißenden Klagelaut hören. Das schwere Rohr entglitt seinen Händen und brachte drei fabrikneuen Waschautomaten beträchtliche Lack- und Blechschäden bei.

Einen Augenblick schien der Plattnasige zu überlegen, ob ein Angriff ohne Waffe Aussicht auf Erfolg haben könnte. Die rasch anschwellenden Handgelenke bewogen ihn jedoch, vom Gebrauch seiner ansehnlichen Fäuste abzusehen.

Blitzschnell machte der Mann auf dem Absatz kehrt und suchte sein Heil in der Flucht.

»Ihm nach, Mister Parker!« verlangte die Detektivin. »Der Lümmel darf mir nicht entkommen!«

Zwar wollte der Butler dies umgehend befolgen, doch der Flüchtende war schon zwischen Kühlschränken, Herden und Waschmaschinen aller Größen und Fabrikate in der Tiefe der düsteren Halle untergetaucht.

Einen zweiten Ausgang hatte das Gebäude nicht, wie der Butler sofort feststellte. Also mußte der Bursche zu finden sein ...

*

Seelenruhig verriegelte Parker das Schloß der Eingangstür und machte sich zusammen mit Mylady auf die Suche. Bei einem mannshohen Kühlschrank wurde das Paar bald darauf fündig.

Wie ein begossener Pudel hockte der plattnasige Verkäufer in seinem Versteck, als Parker die Tür öffnete.

»Sagen Sie dem Lümmel, er soll sich unverzüglich hinausbemühen, damit ich ihn maßregeln kann, Mister Parker«, verlangte Agatha Simpson.

»Möglicherweise darf man Mylady daran erinnern, daß der Herr auf Myladys Fragen nur antworten kann, solange er sich eines vernehmungsfähigen Zustandes erfreut«, gab der Butler vorsichtshalber zu bedenken. Schließlich kannte er die ausgesprochen spontane Art der älteren Dame zur Genüge.

»Nicht schlagen!« wimmerte der Mann, ohne seinen Zufluchtsort zu verlassen, und hob schützend die Hände über den Kopf.

»Strafe muß sein«, erklärte Agatha Simpson ungerührt. »Aber am besten beantworten Sie wirklich zuerst die Fragen, die Mister Parker Ihnen stellen wird.«

»Mylady begehrt zu wissen, woher die Waren stammen, die hier zum Verkauf angeboten werden«, kam Parker ohne Umschweife zur Sache.

»Die Sachen sind gebraucht oder haben Transportschäden«, behauptete der Mann im Eisschrank. »Deshalb können wir sie so billig verkaufen.«

»Transportschäden vermochte man nirgendwo auszumachen«, hielt der Butler entgegen.

»Meistens handelt es sich eben um versteckte Schäden«, wich sein Gegenüber aus.

»Auch nach Spuren von Gebrauch hielt man vergeblich Ausschau«, blieb Parker hartnäckig. »Die feilgebotenen Geräte machen einen unbedingt fabrikneuen Eindruck, falls die Anmerkung erlaubt ist.«

»Kann ja sein«, gab der Mann achselzuckend zurück. »So genau weiß ich auch nicht, woher der Chef die Sachen geliefert bekommt.«

»Darf man Ihren Äußerungen entnehmen, daß Sie es wenigstens ungefähr wissen?« fragte der Butler.

»Ich hab’ keine Ahnung. Ehrlich!« blockte sein Gesprächspartner ab.

»Dürfte man die Vermutung äußern, daß Sie regelmäßige Lieferungen von fabrikneuer Ware aus dem Kaufhaus Wellwood erhalten?« wurde Parker konkret.

»Ist schon möglich«, antwortete der Verkäufer und bemühte sich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen.

»Demnach könnte es auch zutreffen, daß heute während der Mittagspause ein Lieferfahrzeug des genannten Unternehmens von Ihnen entladen wurde?« bohrte der Butler unbeirrt weiter.

»Warum fragen Sie mich das alles?« protestierte der Mann. »Ich bin doch nur ein kleines Licht hier. Gehen Sie zum Chef und fragen Sie den!«

»Eine Anregung, der man unbedingt folgen möchte«, stimmte Parker zu. »Vermutlich darf man davon ausgehen, daß Sie bereit sind, mit Namen und Anschrift Ihres Chefs zu dienen?«

»Gelogen!« schrie Mylady unvermittelt und stampfte wütend mit dem Fuß. Ein dumpfer Knall ließ den Verkäufer im Kühlschrank entsetzt zusammenfahren. Myladys Pompadour hatte in der Seitenwand seines Refugiums eine beträchtliche Delle hinterlassen.

»Darf man Mylady höflichst darauf aufmerksam machen, daß der Herr sich noch gar nicht geäußert hat?« wandte der Butler ein.

»Ich weiß, Mister Parker«, antwortete die resolute Dame umgehend.

»Ich wollte den Lümmel nur warnen.«

»Der Chef heißt John Redwyn«, verriet der Plattnasige, in dessen Gesicht die blanke Angst geschrieben stand.

»Mylady wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie Auskunft darüber geben könnten, wo Mister Redwyn sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufhält«, fragte Parker auf seine etwas umständliche Art weiter.

»Um diese Zeit treibt er sich immer im Bordell herum und läßt sich’s gut gehen«, gab der Mann zähneknirschend Auskunft. »Der Chef sahnt eben nur ab, während wir für ihn malochen und auch noch die Prügel einstecken.«

»Ein Zustand, den man nur als ungerecht bezeichnen kann und muß«, zeigte der Butler Verständnis. »Allerdings dürfte auch Mister Redwyn kurzfristig mit gewissen Unannehmlichkeiten zu rechnen haben, falls man sich nicht irrt.«

»Selbstverständlich werde ich mir den Schurken unverzüglich vorknöpfen, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson eifrig. »Dieser Mister Badwin ist unzweifelhaft einer der Köpfe der Bande.«

»Eine Feststellung, der auch meine Wenigkeit sich vorbehaltlos anschließen möchte, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. »Darf man fragen, ob Mylady Mister Redwyn eigenhändig festzunehmen gedenken?«

»Selbstverständlich, Mister Parker. Warum denn nicht?« Das Mienenspiel der älteren Dame drückte Ahnungslosigkeit aus.

»Vielleicht darf man Mylady daran erinnern, daß Mister Redwyn sich nach Auskunft seines Verkäufers in einem Bordell aufhält.«

»Um so besser, Mister Parker«, strahlte die konservative Lady. »Dann werde ich die Gelegenheit nutzen, um einen Brennpunkt des Lasters auszuräuchern.«

»Myladys Entschlossenheit nötigt meiner bescheidenen Wenigkeit Bewunderung ab«, versicherte der Butler und verneigte sich.

»Im übrigen können Sie ganz beruhigt sein, Mister Parker«, fuhr Lady Agatha fort. »Ich werde selbstverständlich meine schützende Hand über Sie halten und Sie vor jeder Anfechtung bewahren.«

»Myladys Güte kann man als grenzenlos bezeichnen«, gab Parker mit unbewegter Miene zur Antwort.

»Also zum nächsten Einsatz, Mister Parker!« posaunte Agatha Simpson mit ihrem baritonal gefärbten Organ.

»Darf man um Anweisung bitten, wie Mylady mit dem Herrn im Kühlschrank und dem im Backofen zu verfahren beabsichtigen?« hielt der Butler die ungeduldige Dame noch zurück.

»Das sind Lappalien, um die Sie sich allein kümmern dürfen, Mister Parker«, grollte die ältere Dame und stapfte in Richtung Ausgang.

Parker entschied sich, den Männern als Ausgleich für die gestörte Mittagspause einen entspannenden Nachmittagsschlaf zu verordnen.

»Man dankt in aller Form für die freundliche Auskunft«, sagte er zu dem plattnasigen Verkäufer, nachdem er sich noch die genaue Lage der Dirnenunterkunft hatte beschreiben lassen. Anschließend zog er ein Sprühfläschchen aus der Tasche und hielt es dem verdutzt dreinblickenden Mann unter die Nase. Zwei Sekunden Druck auf den Sprühknopf genügten.

Augenblicklich überzog ein strahlendes Lächeln das griesgrämige Gesicht des Plattnasigen. Dankbar lächelte er den Butler an, schloß die Augen und machte es sich in seinem Gelaß so bequem wie eben möglich. Sein Atem ging tief und ruhig.

Der in den Backofen eingebrochene Kollege kam in den Genuß der gleichen Behandlung. Sein röchelnder Atem wurde sanft und gleichmäßig. Die etwas verkniffenen Gesichtszüge entspannten sich zusehends, als der feine Nebel aus der Sprayflasche in seine Atemwege eindrang.

»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« Agatha Simpson stand an der verschlossenen Tür und ließ vor lauter Ungeduld ihren Pompadour kreisen. »Meine Zeit ist kostbar.«

»Ein Umstand, der meiner Wenigkeit durchaus geläufig ist, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. Er hatte ein Stück weiße Pappe aufgehoben und beschriftete es mit einem dicken schwarzen Filzstift.

Bevor er mit seiner Herrin das Geschäft verließ, hängte er dieses Schild so von innen an die gläserne Tür, daß man es von draußen lesen konnte.

BIS AUF WEITERES GESCHLOSSEN stand darauf.

*

Das Etablissement, das Redwyns Verkäufer beschrieben hatte, lag nur ein paar Straßenecken entfernt in einem Viertel, das Polizisten grundsätzlich nur in Zweier-Streife betraten – falls sie sich überhaupt dort sehen ließen.

Zur Straße hin stellte sich das Bordell als Kneipe mit langem Bartresen dar, die einen relativ unverfänglichen Eindruck machte. Hatte der Mann im Kühlschrank die Wahrheit gesagt, mußte sich aber an der Rückwand des Schankraumes eine Tür mit der Aufschrift »Privat« finden, die zu den Séparées führte.

Josuah Parker stellte sein hochbeiniges Monstrum schräg gegenüber ab und überquerte mit Agatha Simpson die Straße. Die Kneipe war schwach besucht um die Nachmittagszeit. Durch die offene Eingangstür machte der Butler beim Näherkommen lediglich zwei muskulöse Gestalten in schwarzer Lederkluft aus, die an der Bar lehnten und mit dem Keeper um Kleingeld würfelten.

»Man wünscht einen angenehmen Nachmittag«, sagte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone, während er seiner Herrin durch den Schankraum voranschritt.

»Langsam«, knurrte einer der Muskulösen und stellte sich dem Butler in den Weg. »Wo wollt ihr denn hin, ihr Witzblattfiguren?«

»Was hat der Lümmel gesagt, Mister Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Ich möchte wetten, es war eine Beleidigung.« Der lederne Beutel am muskulösen Handgelenk wippte schon erwartungsvoll.

»Falls man richtig vernommen hat, beliebte der Herr von Witzblattfiguren zu sprechen«, gab Parker bereitwillig Auskunft. »Den Umständen nach können damit nur Mylady und meine Wenigkeit gemeint sein, falls der Hinweis erlaubt ist.«

Der Hinweis war nicht nur erlaubt, sondern ausgesprochen willkommen.

Hocherfreut ließ die ältere Dame ihren Pompadour kreisen.

Die Folge war, daß der bullige Thekensteher brüllte wie ein verwundeter Kampfstier. Im Fallen räumte er rasch noch die Theke ab und legte ein halbes Dutzend Barhocker flach. Dann erst streckte er sich auf dem Boden aus und verabschiedete sich vorläufig aus dem Geschehen.

Dafür glaubte sein Zech- und Würfelkumpan, die Unfreundlichkeiten fortsetzen zu müssen. Fluchend holte der muskelstrotzende Zweizentnermann zu einem Schwinger aus, der selbst die widerstandsfähige Detektivin auf die Bretter gestreckt hätte.

Parker, der mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, war jedoch um die entscheidenden Sekundenbruchteile schneller und durchkreuzte die ungalanten Absichten des Angreifers ebenso wirksam wie nachhaltig.

Der Muskelmann jaulte erbärmlich, als seine Fingerknöchel mit der stahlgepanzerten Halbkugel von Parkers Melone Bekanntschaft machte. Blitzschnell hatte der Butler die Kopfbedeckung gezogen und schützend vor das Gesicht seiner Herrin gehalten.

Das Jaulen verstärkte sich deutlich, als Parker sich anschließend mit der bleigefüllten Spitze seines schwarzen Regendachs auf die Hühneraugen des Mannes stützte. Die entnervenden Töne verstummten jedoch schlagartig, als sich Myladys Glücksbringer mit dumpfem Klatschen den kahlen Hinterkopf des Gegners aussuchte.

Postwendend verdrehte der Mann die Augen, knickte in den Knien ein und begann eine Darbietung, die entfernt an balinesischen Tempeltanz erinnerte. Seine Körperbeherrschung ließ jedoch erheblich zu wünschen übrig. Unversehens kam der ungeübte Tänzer ins Schleudern und riß unter mächtigem Getöse und Scheppern einen Flipperautomaten um.

Beschämt schloß er danach die Augen vor der Unordnung, die er in so kurzer Zeit angerichtet hatte, und suchte sich ein ruhiges Plätzchen zwischen Tisch- und Stuhlbein.

Den Barkeeper, der sich unversehens seiner Spielgenossen beraubt sah, packte die kalte Wut. Entschlossen griff er nach einer vollen Whiskyflasche und schleuderte sie in Parkers Richtung. Er hatte jedoch nicht mit der blitzartigen Reaktion des Butlers gerechnet.

Ohne seine würdevolle Haltung zu verlieren, trat Parker einen Schritt zur Seite und gab damit die Flugbahn des Wurfgeschosses frei. Mit dumpfem Knall zerplatzte die Flasche an der Wand. Scherben und Whisky spritzten nach allen Seiten.

Während der Barkeeper schon nach der zweiten Flasche griff, um noch mal sein Glück zu versuchen, faßte Parker gelassen seinen schwarzen Bowler an der Krempe und ließ die Kopfbedeckung wie eine Frisbee-Scheibe durch den Raum schwirren. Ehe sein Gegner hinter dem Tresen Deckung fand, hatte der rotierende Flugkörper dessen Nasenwurzel erreicht.

Augenblicklich bekam der Mann einen glasigen Blick. Sein Gesicht wurde so weiß wie sein Kittel. Die Flasche entglitt seiner Hand und zerschellte am Boden.

Der Kontakt mit der stahlblechgefütterten Krempe von Parkers Melone schien den Gleichgewichtssinn des Mannes erheblich gestört zu haben. Torkelnd suchte er nach einem Halt, bekam aber nur Gläser und Flaschen zu fassen, die er gleich reihenweise aus den Regalen fegte.

Mylady hatte inzwischen einen Ketchupspender aus Plastik entdeckt und zielte damit auf den ohnehin schon reichlich irritierten Barkeeper. Mit Vergnügen quetschte sie die elastische Flasche, daß die rote Soße nur so spritzte.

Spuckend und würgend versuchte der Mann der Flüssigkeit zu entgehen, die ihm in sattem Strahl ins Gesicht klatschte. Doch Mylady zielte gut und folgte jeder seiner Bewegungen. Sie ließ ihre Waffe erst sinken, als der völlig entnervte und entkräftete Mann hinter der Bar zusammengebrochen war.

»Das war eine Einstimmung nach meinem Geschmack, Mister Parker«, gestand die ältere Dame hochzufrieden. Energiestöße durchpulsten ihre wogende Leibesfülle.

»Und jetzt werde ich den Sumpf der Sünde trockenlegen«, kündigte sie triumphierend an. »Sie dürfen vorangehen, Mister Parker.«

*

Vorsichtig klinkte der Butler die Tür auf, die Redwyns auskunftsfreudiger Verkäufer ihm beschrieben hatte. Der lange Flur, der sich dahinter auftat, war leer und still. Offenbar hatte niemand das Getümmel im Schankraum bemerkt.

In würdevoller Haltung geleitete der Butler seine Herrin bis zu einer Tür, hinter der fröhliches Kichern, glucksendes Gelächter und das Klingen von Gläsern zu hören waren.

»Ich werde jetzt zum Angriff übergehen«, kündigte Agatha Simpson an und wickelte die ledernen Halteriemen ihres Pompadours straffer ums muskulöse Handgelenk. »Öffnen Sie die Tür, Mister Parker!«

Das fröhliche Gelächter erstarb umgehend, als die wütende Detektivin und ihr Butler unvermittelt in der Türöffnung standen.

Der Mann, der es sich auf einem luxuriösen weißen Ledersofa bequem gemacht hatte und mit drei vollbusigen Schönheiten Champagner trank, schien um die Fünfzig zu sein. Parker registrierte intelligente, aber kalte Augen unter buschigen Brauen, einen gepflegten Oberlippenbart und ein markantes Kinn, das Entschlußkraft und Durchsetzungsvermögen signalisierte.

»Mister Parker?« fragte der Mann lauernd.

»In der Tat«, bestätigte der Butler. »Josuah Parker. Butler in Lady Simpsons Diensten.« Er verneigte sich zu seiner Herrin hin.

»Darf man aufgrund Ihres hervorragenden Informationsstandes den Schluß ziehen, daß man Mister John Redwyn persönlich gegenübersteht?« vergewisserte sich der Butler, während sein Gegenüber sich langsam im Sofa aufrichtete und die knapp bekleideten Mädchen beiseite schob.

»Sie sind aber auch recht gut informiert, Mister Parker«, antwortete Redwyn. »Genauer gesagt: zu gut«, setzte er hinzu und griff mit der routinierten Bewegung des Profis in seinen Jackenausschnitt.

Parker, der auf diese unfreundliche Zuspitzung des Gesprächsklimas schon gefaßt war, kam seinen feindseligen Absichten jedoch zuvor.

Der Gangster stieß einen unterdrückten Schrei aus, als der Butler mit der bleigefüllten Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirmes über seinen Handrücken strich. Klirrend landete der Revolver im voluminösen Sektkühler.

Kreischend sprangen die Mädchen auf und flüchteten durch eine Verbindungstür. John Redwyn aber gab sich noch nicht geschlagen. Zähneknirschend unterdrückte er den flammenden Schmerz im rasch schwellenden Handgelenk und griff nach dem Sektkühler.

Erst glaubte Parker, der Gangster wollte die Waffe zwischen den Eiswürfeln herausfischen, doch Redwyn stemmte statt dessen den schweren Metallkübel und versuchte ihn mit Wucht auf Parkers Schädel zu plazieren. Sein Angriff blieb jedoch auf ausgesprochen klägliche Weise im Versuchsstadium stecken.

Redwyn japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, als der Butler ihm seelenruhig mit der Schirmspitze den Solarplexus massierte. Heftiges Zittern durchlief den Körper des Gangsters. Schweißperlen traten auf seine plötzlich erblaßte Stirn. Der hoch erhobene Sektkühler rutschte ihm aus den Händen und folgte den unabänderlichen Gesetzen der Schwerkraft.

Ein voller, dunkler Glockenton wurde hörbar, als der metallene Kübel auf den Tisch schlug, hinter dem Redwyn schwankend und röchelnd stand. Die marmorne Tischplatte war diesem Haltbarkeitstest nicht gewachsen und brach in der Mitte durch.

Der Gangster ließ einen Laut hören, der den Urwaldschreien eines gewissen Tarzan zum Verwechseln ähnlich klang. Der fröhliche Luftsprung, den er gleichzeitig vorführen wollte, mußte jedoch mißglücken, da die zentnerschwere Marmorplatte unverrückbar auf seinen Zehen lag.

Stöhnend ließ Redwyn sich ins weiße Sofa zurückkippen und meldete sich aus dieser schmerzhaften Realität ab.

»Bringen Sie den Schurken sofort wieder zu Bewußtsein, Mister Parker«, verlangte die Detektivin. »Ich will das Verhör nicht länger hinausschieben.«

»Möglicherweise haben Mylady erlogen, daß dies hier ein denkbar ungünstiger Ort für Verhöre sein dürfte«, gab der Butler zu bedenken. »Mit empfindlichen Störungen dürfte jederzeit zu rechnen sein, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Aber wo soll ich den Lümmel denn sonst vernehmen, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson ratlos.

»Gegebenenfalls darf man Mylady an die Gästezimmer im Souterrain des Hauses in Shepherd’s Market erinnern.«

»Daran habe ich natürlich auch schon gedacht, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame eilig. »Eben wollte ich Ihnen die entsprechenden Anweisungen erteilen.«

Während Parker sich den ausgesprochen apathisch wirkenden Redwyn auf die Schulter lud, schlug Lady Agatha den Rückweg zum Schankraum ein.

»Darf man sich erlauben, Mylady einen kleinen Umweg über den Hof zu empfehlen?« meldete sich der Butler zu Wort. »Das Passieren des Schankraumes dürfte mit unwägbaren Risiken verbunden sein, falls man sich nicht gründlich täuscht.«

»Eine Lady Simpson schreckt natürlich vor keinem Risiko zurück, Mister Parker«, warf die Detektivin sich in die ohnehin eindrucksvolle Brust. »Aber Ihnen zuliebe will ich diesen Umweg in Kauf nehmen.«

»Meine Wenigkeit fühlt sich beschämt durch Myladys unendliche Güte«, versicherte Parker und ging mit seiner Last voran. Ein Ausgang auf den Hof war schnell gefunden. Eine Toreinfahrt führte auf die Straße hinaus.

»Die Luft ist rein, Mister Parker«, meldete Agatha Simpson, die einen Schritt voraus war und um die Ecke spähte.

Gemessenen Schrittes überquerte der Butler mit dem geschulterten Gangster die Fahrbahn und bugsierte John Redwyn auf den Beifahrersitz seines hochbeinigen Monstrums. Anschließend half er seiner Herrin beim Einsteigen.

Als Josuah Parker sich hinter das Lenkrad begab, war ihm jedoch klar, daß dieser Abgang nicht unbemerkt geblieben war.

*

Die beiden Thekensteher in den schwarzen Lederkombis waren aus ihrem Schlummer erwacht und tauchten in der offenen Tür der Kneipe auf. Sie hatten sich mit langläufigen Revolvern ausgerüstet und zeigten sich fest entschlossen, das skurrile Paar mit seinem Gefangenen nicht entkommen zu lassen.

Gelassen legte der Butler einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett um, deren Funktion nur ihm bekannt war. Im Nu quoll eine rußige Qualmwolke aus dem Auspuff und hüllte das schwarze Gefährt in undurchdringlichen Nebel.

Die Gangster zeigten sich im ersten Moment leicht irritiert, eröffneten dann aber doch das Feuer. Schüsse peitschten, Kugeln drangen pfeifend durch die schwarze Wolkenwand. Einzelne Projektile trafen auch Parkers Fahrzeug. Sie prallten jedoch von den gepanzerten Fenstern und Außenwänden ab, ohne nennenswerten Schaden anzurichten.

Ohne Hast startete der Butler den Motor, legten den ersten Gang ein und ließ sein schwerfällig wirkendes Gefährt anrollen.

Die Pistolenhelden, die noch immer auf die undurchdringliche Rußwolke feuerten, entdeckten den davonfahrenden Wagen erst, als Parker schon einen Vorsprung von fast hundert Metern hatte. Umgehend sprangen beide in einen weißen BMW, der vor dem Eingang der Kneipe parkte, und nahmen die Verfolgung auf.

»Sie fahren wieder mal, als wäre der Leibhaftige hinter Ihnen her, Mister Parker«, wunderte sich die Detektivin, als der Butler auf jaulenden Pneus um die nächste Ecke bog.

»Man bittet um Nachsicht, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. »Auch wenn es sich nicht um den sogenannten Leibhaftigen handelt, wie Mylady zu scherzen beliebten.«

»Aber ich werde auf jeden Fall verfolgt, Mister Parker?« vergewisserte sich die ältere Dame erfreut. »Das können doch nur die Lümmel aus der Kneipe sein.«

»Mylady sagen es«, bestätigte der Butler, bog wieder in eine Seitenstraße und gab Vollgas.

»Natürlich wollen die finsteren Schurken mich kaltblütig auf offener Straße erschießen, Mister Parker.«

»Diese verwerfliche Absicht sollte man den Herren vorsichtshalber unterstellen, falls der Hinweis erlaubt ist, Mylady.«

»Herrlich!« Lady Agatha jubelte. »Zeigen Sie den Lümmeln, wie eine Lady mit zudringlichen Ganoven umspringt, Mister Parker!«

»Man wird nichts unversucht lassen, Myladys Wünschen in vollem Umfang gerecht zu werden«, versprach der Butler und ließ das heißblütige Triebwerk unter der eckigen Haube seines schwarzen Monstrums aufröhren.

Am liebsten hätte Parker die Verfolger einfach abgehängt, um Myladys Gefangenen, der unruhig auf dem Beifahrersitz schlummerte, in Sicherheit wiegen zu können. Doch die schwarzen Gestalten im weißen BMW dachten nicht daran, sich abschütteln zu lassen. Sie verfügten ebenfalls über eine ansehnliche Zahl von Pferdestärken und setzten alles auf eine Karte.

»Was war das?« erkundigte sich Mylady irritiert, als Parkers hochbeiniges Monstrum gerade in riskantem Tempo eine schnurgerade Ausfallstraße entlangschoß. Auch der Butler hatte den Blitz im Rückspiegel wahrgenommen.

»Falls man die Vermutung äußern darf, dürfte es sich um eine Geschwindigkeitskontrolle der Polizei handeln«, gab Parker Auskunft. »Mit einem Anhalteposten dürfte innerhalb der nächsten Sekunden zu rechnen sein.«

»Darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen, Mister Parker«, entschied die Detektivin. »Dennoch sollten Sie nach Möglichkeit darauf achten, daß Sie keinen Beamten umfahren. Das gibt beträchtliche Scherereien.«

»Ein Umstand, der meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus bekannt ist, Mylady«, antwortete Parker. »Deshalb wird man bemüht sein, genau nach Myladys Anweisung zu handeln.«

Der Uniformierte, der mit gezückter Haltekelle in die Fahrbahn gesprungen war, riß entsetzt die Augen auf und stieß einen Schrei aus, als Parkers schwarzer Wagen mit unvermindertem Tempo auf ihn zuraste.

Im letzten Moment riß der Butler das Steuer herum und wich auf die Gegenfahrbahn aus. Gleichzeitig brachte sich der Beamte mit einem gewagten Hechtsprung zum Straßenrand in Sicherheit.

Postwendend wollten seine Kollegen, die ihren Streifenwagen auf dem Bürgersteig geparkt hatten, die Verfolgung aufnehmen. Doch als das Fahrzeug auf durchdrehenden Reifen in die Fahrbahn schoß, war auch schon der BMW heran.

Als der Polizist im Streifenwagen instinktiv auf die Bremse trat, war es schon zu spät. Die schnelle Limousine, die mit röhrender Hupe und aufgeblendeten Scheinwerfern angerast kam, erwischte den Polizeiwagen noch am Kotflügel.

Es knallte, Glassplitter flogen, und die abgerissene Stoßstange des Polizeiwagens schwirrte wie ein chromglänzender Riesenbumerang davon.

Der BMW war durch den Anprall ins Schlingern geraten, doch der offenbar routinierte Fahrer hatte den Wagen gleich wieder unter Kontrolle und jagte dem davonbrausenden schwarzen Monstrum nach.

Allerdings zeigte sich, daß auch der Streifenwagen noch fahrbereit war. Mit jaulender Sirene und zuckendem Blinklicht setzten sich die Beamten auf die Spur des weißen BMW.

Parker, der das Geschehen im Rückspiegel verfolgte, gab den schwarzgekleideten Verfolgern Gelegenheit, etwas dichter aufzuschließen. Dann bog er unvermittelt in eine schmale Seitenstraße ab.

Der BMW-Fahrer registrierte dieses Manöver zu spät, zumal die Polizeisirene im Rücken ihn etwas nervös machte. Mit unvermindertem Tempo schoß die weiße Limousine geradeaus weiter, der leicht ramponierte Streifenwagen hinterher.

Gelassen kurvte der Butler durch einige schmale Gassen und schlug dann die Richtung nach Shepherd’s Market ein.

»Wo sind denn die Verfolger, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Simpson argwöhnisch. »Haben die Lümmel mich etwa aus den Augen verloren?«

»Bedauerlicherweise kann man diese Frage nur mit einem uneingeschränkten Ja beantworten, Mylady«, meldete Parker über die Sprechanlage nach hinten. »Inzwischen sind Myladys Verfolger selbst zu Verfolgten geworden, falls man diese Formulierung verwenden darf.«

»Das geschieht den unverschämten Burschen recht«, feixte die Detektivin. »Aber schade ist es doch. Lieber hätte ich den Lümmeln persönlich eine Lektion erteilt. Auf Polizisten ist in dieser Hinsicht kein Verlaß.«

»Eine Feststellung, die man nur mit Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, gab der Butler seiner Herrin recht.

Zum heimischen Shepherd’s Market war es nicht mehr weit, und Parker warf einen schnellen Seitenblick auf die Gestalt auf dem Beifahrersitz. War Redwyn immer noch bewußtlos oder verstellte er sich nur?

Aus den Augenwinkeln registrierte der Butler, wie der unfreiwillige Fahrgast kurz die Lider hob, sie dann aber gleich wieder schloß. Josuah Parker war deshalb keineswegs überrascht, als John Redwyn wie eine Stahlfeder aus dem Sitz schnellte.

Der knallharte Fausthieb, der auf Parkers Kinn gemünzt war, erreichte sein Ziel jedoch nicht.

Redwyn hatte die Trennscheibe übersehen, die den Fahrersitz wie eine schußsichere Kabine abschirmte.

Jammernd ließ er sich in den Sitz zurücksinken und massierte vorsichtig die lädierten Knöchel. Dabei warf er dem Butler einen Blick zu, der vor Haß sprühte.

Um weiteren Spontanangriffen des Gangsters vorzubeugen, tippte Parker unbemerkt mit der Fußspitze auf einen Schaltknopf am Wagenboden. Redwyn glaubte an Wanzen, Flöhe oder sonstiges Ungeziefer, als er den Stich am Hosenboden verspürte.

In Wirklichkeit handelte es sich um eine Hohlnadel, die sich aus dem Sitzpolster schob und eine genau bemessene Dosis eines pflanzlichen Betäubungsmittels in den Blutkreislauf des Mannes pumpte.

Mit letzter Kraft versuchte Redwyn, sein Gesäß aus dem Polster zu hieven, doch schon schwanden ihm die Sinne. Mit einem erlösten Seufzer ließ er sich wieder zurücksinken, schloß die Augen und fiel glücklich lächelnd in tiefen Schlummer.

Redwyn erwachte nicht mal, als Parker ihn nach der Ankunft aus dem Wagen hob und in eines der Gästezimmer trug, die Mylady im Souterrain ihres Hauses hatte einrichten lassen.

Über mangelnden Komfort würde sich der Gangster nicht zu beklagen haben. Die ältere Dame hielt sich einiges auf ihre Gastfreundschaft zugute. Allerdings verfügten die Zimmer weder über Fenster noch über Telefonanschlüsse. Und die stählernen Feuerschutztüren waren mit aufwendigen Patentschlössern gesichert.

Die Hausherrin legte eben großen Wert darauf, den Abreisetermin ihrer Gäste selbst zu bestimmen ...

*

Agatha Simpson nahm sich Zeit für eine ausgiebige Teestunde, genoß verführerisch duftende Nußtorte und sprach auch dem feinen, alten Sherry zu, den der Butler servierte. Erst dann erkundigte sie sich nach Redwyn.

»Ist der Lümmel endlich wieder vernehmungsfähig, Mister Parker?« wollte sie wissen.

»Als man vor wenigen Minuten nachschaute, machte Mister Redwyn einen leidlich wachen Eindruck, Mylady«, teilte Parker mit. »Dennoch könnte es nicht schaden, dem Herrn zur Aufmunterung heißen Tee zu servieren, falls dieser Vorschlag genehm ist.«

»Sehr gut, Mister Parker. Meinen Gästen soll es an nichts fehlen«, nickte die Lady, »Aber machen Sie den Tee nicht zu stark. Sie wissen ja, wie teuer heutzutage alles ist.«

Als Lady Simpson und der Butler wenig später ins Souterrain hinabstiegen, trug Parker ein schweres Silbertablett, auf dem eine Kanne mit heißem Tee, eine Tasse sowie Milch und Zucker standen. Bevor er die Tür aufschloß, warf er einen Blick durch den Spion.

John Redwyn hockte auf dem Sofa und starrte trübsinnig vor sich hin. Offenbar konnte der Gangster sich noch keinen Reim darauf machen, wie er in dieses Zimmer gekommen war.

»Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie sich jetzt frisch und ausgeruht fühlen, Mister Redwyn?« fragte der Butler beim Eintreten.

Undankbar wie er war, blieb der Mann die Antwort auf diese höfliche Frage schuldig. Blitzartig schoß er aus den Polstern hoch und versuchte, die offene Tür zu erreichen.

Den Butler, der ihm dabei im Weg stand, schien er nicht als ernstzunehmendes Hindernis zu betrachten. Allerdings übersah Redwyn in seiner Hast das Tablett, das Parker mit sich führte.

Mit scharfem Laut gab der Gangster alle Atemluft von sich, als die metallene Kante unversehens seine Magengrube massierte. Im nächsten Moment stimmte er ein jämmerliches Geschrei an.

Durch sein Ungestüm war die volle Teekanne ins Rutschen geraten. In dampfendem Schwall ergoß sich das heiße Getränk über Bauch und Brust des Ganoven und tränkte seine Hosenbeine.

Doch Redwyn gab nicht auf. Im Gegenteil! Der Hitzeschock schien Kräfte der Verzweiflung in ihm zu mobilisieren. Wut und Schmerz verschafften sich Luft, als er mit einem Hechtsprung an Parker vorbeizukommen versuchte.

Doch der Butler war auf der Hut Seelenruhig holte er aus und setzte das leere, aber immer noch schwere Silbertablett auf den Hinterkopf des Flüchtenden.

Sterne flimmerten vor Redwyns Augen, wo er eben noch den Weg in die Freiheit gesehen hatte. Ein Ton wie von einem Gong wurde hörbar, während der Gangster in den Knien einknickte.

Ein zweiter Gongschlag folgte auf dem Fuß. Agatha Simpson war auch nicht untätig geblieben und hatte wütend ihren Pompadour in Marsch gesetzt. Die Beule, die ihr Glücksbringer in dem schweren Silbertablett hinterließ, hätte von einem Vorschlaghammer stammen können.

»Der Lümmel will mein Verhör sabotieren, Mister Parker«, behauptete die Detektivin. »Er stellt sich schon wieder bewußtlos.« Ärgerlich musterte sie den Ganoven, der sich vor ihren Füßen ausgestreckt hatte und nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab.

Wortlos schleifte Parker den gescheiterten Ausbrecher wieder zum Sofa und hielt ihm ein Fläschchen mit Riechsalz unter die Nase. Der stechende Geruch blieb nicht ohne Wirkung. Es dauerte kaum eine Minute, bis Redwyn stöhnend die Augen aufschlug und sich verwirrt umsah.

»Mein Kopf!« Er jammerte und tastete vorsichtig die Beule ab, die sich an seinem Hinterkopf gebildet hatte.

»Stellen Sie sich nicht so wehleidig an!« grollte die resolute Dame. »Das war nur ein kleiner Vorgeschmack.«

»Mir hat’s gereicht«, knurrte Redwyn. »Was soll überhaupt der ganze Unsinn? Das ist Freiheitsberaubung! Anzeigen werde ich Sie!«

»Der Lümmel wird schon wieder frech, Mister Parker«, registrierte Mylady händereibend. »Ich muß ihm noch eine weitere Lektion erteilen.«

»Nein!« Redwyn schien in Panik zu geraten.

»Wenn Sie sich weiterhin verstockt zeigen und sich weigern, auf meine Fragen zu antworten, Mister Badwin...« begann die ältere Dame und ließ genüßlich ihren Pompadour wippen.

»Was für Fragen denn?« unterbrach der Gangster. »Ich habe doch gar nicht gesagt, daß ich nicht antworten will.«

»Das hört sich schon besser an, Mister Badwin«, bemerkte die Detektivin und ließ den perlenbestickten Beutel sinken. »Mein Butler wird Ihnen die Fragen vorlegen, die ich ausgearbeitet habe.«

*

»Mylady wäre Ihnen außerordentlich verbunden, Mister Redwyn, wenn Sie Auskunft darüber geben könnten, woher die Waren stammen, die in Ihrem Geschäft angeboten werden«, kam Parker der Aufforderung nach.

»Was für Waren denn?« spielte Redwyn auf Zeitgewinn.

»Falls man sich vor Ort richtig unterrichtet hat, dürfte es sich im wesentlichen um Elektroherde, Waschautomaten, Kühlschränke und Gefriertruhen handeln«, wurde der Butler deutlicher.

»Ach, die meinen Sie!« Trotzig schob Parkers Gegenüber die Unterlippe vor. »Ich weiß gar nicht, was Sie an den Klamotten so brennend interessiert. Es handelt sich um gebrauchte Geräte und Ware mit kleinen Transportschäden, die ich außergewöhnlich günstig anbieten kann.«

»Ähnlich äußerte sich auch einer Ihrer Angestellten, Mister Redwyn«, teilte Parker mit. »Auf näheres Befragen räumte der Herr jedoch ein, daß es sich auch um fabrikneue Ware handeln könnte, die aus dem Kaufhaus Wellwood stammt.«

Schlagartig war Redwyn mühsam erworbene Gelassenheit wieder dahin.

»Das ist gelogen«, knurrte er wütend. »Ein durch und durch seriöser Geschäftsmann wie ich ...«

»Sie – ein seriöser Geschäftsmann?« fiel Lady Agatha ihm empört ins Wort. »Ein Gentleman hält sich nicht an Orten auf, die man nur als Sumpf des Lasters bezeichnen kann.«

»Was ich in meiner Freizeit tue, ist meine Privatsache«, entgegnete Redwyn und setzte ein Grinsen auf, das aber leicht verunglückt wirkte.

»Wie auch immer«, überging Agatha Simpson den Einwand. »Sie sind noch die wahrheitsgemäße Antwort auf meine Frage schuldig, Mister Badwin.«

»Was war das denn noch mal für ’ne Frage?« stellte der Gangster sich dumm, doch damit geriet er bei Agatha Simpson an die falsche Adresse.

»Meine Geduld hat ihre Grenzen, Mister Bedwin«, warnte die Hausherrin. »Treiben Sie mich nicht zum Äußersten!«

»Möglicherweise könnte sich eine Kanne frisch aufgebrühten Tees auf Mister Redwyns Gesprächsbereitschaft ausgesprochen förderlich auswirken«, schlug der Butler vor.

»Nein! Bloß keinen Tee mehr!« schrie der Mann entsetzt und betrachtete seine klatschnassen Hosenbeine, die inzwischen kalt und klamm geworden waren.

»Dann dürfen Sie jetzt Ihr Geständnis zu Protokoll geben, Mister Badwin«, ermunterte Mylady den Gangster und zeigte ein Lächeln, das man nur als boshaft bezeichnen konnte.

»Also gut«, begann Redwyn auszupacken. »Die Klamotten stammen wirklich zum größten Teil aus dem Kaufhaus Wellwood.«

»Darf man in diesem Zusammenhang die Frage anschließen, auf welchem Weg die heiße Ware aus dem Warenhaus in Ihr Geschäft gelangt, Mister Redwyn«, bohrte der Butler gleich weiter.

»Ein LKW-Fahrer lieferte die Sachen ab«, antwortete der Gangster.

»Dieser Umstand ist auch meiner bescheidenen Wenigkeit bekannt, Mister Redwyn«, gab Parker zurück. »Die Frage, die man Ihnen vorlegte, zielte jedoch eher darauf, wer die Diebstähle organisiert.«

»Keine Ahnung«, versuchte der Hehler auszuweichen.

»Eine Behauptung, deren Glaubwürdigkeit als außerordentlich gering gelten dürfte, falls die Anmerkung erlaubt ist«, ließ der Butler sich vernehmen. »Man darf vermutlich davon ausgehen, daß Sie für die gelieferte Ware einen gewissen Preis zu zahlen haben, auch wenn er weit unter dem tatsächlichen Wert liegt.«

»Umsonst bekomme ich den Kram natürlich nicht«, bestätigte Redwyn.

»Also? Wird’s bald?« drängte die Detektivin. »An wen zahlen Sie? Wer ist Ihr Geschäftspartner?«

Redwyn zögerte. Man sah ihm förmlich an, wie er innerlich mit sich rang.

»Mister Parker«, ordnete die Hausherrin an, »brühen Sie bitte frischen Tee auf!«

»Um Himmels willen!« Redwyn hob abwehrend die Hände. »Der Typ der das Ganze eingefädelt hat, heißt Archie.«

»Zweifellos darf man vermuten, daß Sie willens und in der Lage sind, nähere Einzelheiten über den Mann namens Archie mitzuteilen, Mister Redwyn«, nahm Parker wieder das Heft in die Hand.

»Archibald Pool arbeitet als Detektiv bei Wellwood«, gab der Hehler Auskunft.

»Kann und muß man davon ausgehen, daß die beiden Lagerarbeiter und der Lkw-Fahrer, der Sie beliefert, nach Mister Pools Anweisungen tätig werden?« wollte der Butler weiter wissen.

»Es sind seine Leute, die er miteingeschleust hat«, plauderte Redwyn bereitwillig, nachdem das Eis gebrochen war. »Den Männern, die vorher dort arbeiteten, hat er irgendwelche Schmuckstücke in die Spinde geschmuggelt und dann dafür gesorgt, daß sie wegen Diebstahl rausgeworfen wurden. Am nächsten Tag standen seine Leute auf der Matte und bewarben sich um die freien Stellen.«

»Man vermutet doch richtig, daß die fraglichen Geräte gleich vom Lager aus zu Ihnen gebracht werden, ohne überhaupt die Verkaufsabteilungen des Kaufhauses Wellwood zu erreichen?« vergewisserte sich der Butler.

»So ähnlich«, nickte Redwyn. »Genauere Einzelheiten kann Ihnen aber nur Archie erzählen.«

»Demnach dürfte Ihnen auch bekannt sein, wie Mister Pool seine Aktionen tarnte?« mutmaßte Parker.

»Keine Ahnung«, sagte der Hehler. »Ich weiß nur, daß ihm in letzter Zeit der Boden unter den Füßen allmählich heiß wurde. Deshalb hält Archie schon nach einem neuen Arbeitsplatz Ausschau.«

»Man dankt in aller Form für die bereitwilligen Auskünfte und wünscht noch einem möglichst angenehmen Abend, Mister Redwyn«, sagte Parker und geleitete seine Herrin zur Tür.

»Ist mein Wagen startklar, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame, nachdem der Butler die Tür geschlossen und sorgfältig verriegelt hatte. »Natürlich werde ich sofort zum Kaufhaus Smellgood fahren und diesen Schurken namens Fool festnehmen.«

»Möglicherweise darf man Mylady höflich darauf aufmerksam machen, daß das Warenhaus bereits geschlossen hat«, gab Parker noch einem Blick auf seinen Chronometer zu bedenken. »Die Gelegenheit, mit Mister Pool ein ernstes Wort zu wechseln, dürfte sich aber mit einiger Sicherheit noch heute abend ergeben, falls man sich nicht gründlich täuscht.«

*

Die Uhr zeigte eine halbe Stunde vor Mitternacht, als Parker sein hochbeiniges Monstrum aus dem stillen Wohnviertel auf die breite Durchgangsstraße lenkte.

»Gleich werde ich diesem sogenannten Detektiv das Handwerk legen. Mister Parker«, frohlockte Mylady, die es sich im Fond des Wagens bequem gemacht hatte. »Ich muß einfach verhindern, daß der unverschämte Lümmel einen ganzen Berufsstand in Mißkredit bringt.«

»Ein Vorhaben, das man nur als lobenswert bezeichnen kann und muß«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei.

»Natürlich verbirgt sich hinter dem Tarnnamen ›Fuchs‹ niemand anderes als Heribert Fool«, wußte die Detektivin. »Diesen plumpen Trick habe ich gleich durchschaut.«

»Immer wieder nötigt Myladys Kombinationsgabe meiner bescheidenen Wenigkeit grenzenlose Bewunderung ab«, sagte Parker und vergewisserte sich im Rückspiegel, daß der schwarze Morris, der ihm seit zwei Minuten folgte, immer noch dichtauf lag. »Dennoch dürften Mylady in Betracht ziehen, daß es sich bei dem erwähnten ›Fuchs‹ auch um eine Person handeln könnte, die Mister Archibald Pool übel gesonnen ist.«

»Diese Möglichkeit habe ich schon erwogen, aber als unwahrscheinlich verworfen, Mister Parker«, entgegnete Agatha Simpson. »Sie werden erleben, daß ich recht habe. Allerdings könnte es auch sein, daß Fool kalte Füße bekommen und sich abgesetzt hat.«

»Darf man um Auskunft bitten, was Mylady zu dieser Vermutung veranlaßt?«

»Wenn der Schurke mich wirklich in eine Falle locken will, hätte er doch bestimmt Verfolger auf meine Fährte gesetzt, Mister Parker.«

»Der schwarze Morris, der Mylady bereits seit Shepherd’s Market folgt, dürfte zweifellos entweder von Mister Pool oder von dem sogenannten ›Fuchs‹ entsandt sein, falls man sich nicht gründlich täuscht«, teilte der Butler gelassen mit.

»Ein schwarzer Morris?« vergewisserte sich die ältere Dame. »Ich habe doch gespürt, daß sie wieder hinter mir her sind, Mister Parker! Diese eiskalten Killer schrecken nicht mal vor einem Angriff auf offener Straße zurück.«

»Unmittelbare Gefahr dürfte von dem genannten Fahrzeug kaum ausgehen, Mylady«, wandte der Butler ein.

»Woraus schließe ich das, Mister Parker?« fragte die unternehmungslustige Lady enttäuscht.

»Die Insassen des erwähnten Fahrzeuges geben sich nicht die geringste Mühe, unentdeckt zu bleiben«, antwortete Parker. »Im Gegenteil scheinen es die Herren geradezu darauf angelegt zu haben, Myladys Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«

»Das tun die Lümmel natürlich nicht ohne Grund, Mister Parker«, mutmaßte Agatha Simpson.

»Keineswegs und mitnichten, Mylady.«

»Wie lautet meine Vermutung, Mister Parker?«

»Mylady dürften unterstellen, daß die Herren von einem anderen Fahrzeug ablenken möchten, das tatsächlich mit professionellen Killern besetzt sein könnte.«

Der Butler hatte den Satz noch nicht beendet, als er das andere Fahrzeug auf der Überholspur herankommen sah. Es handelte sich um einen weißen Porsche, der rasch aufholte und sich im nächsten Moment neben Parkers Monstrum schob.

Gleichzeitig wurde das Beifahrerfenster heruntergekurbelt, und in dem dunklen Viereck tauchte der Lauf einer Maschinenpistole auf.

Obwohl die solide Panzerung des hochbeinigen Monstrums wirksamen Schutz bot, ließ der Butler den Schützen keine Zeit, seine Waffe einzusetzen. Seelenruhig zog er sein schwerfällig wirkendes Gefährt nach rechts und drängte den Sportwagen gegen die Leitplanke.

Der Porschefahrer, der dieses Manöver sofort registrierte, wollte noch weiter nach rechts aus weichen. Dabei geriet er allerdings mit zwei Rädern auf den Grünstreifen, was sich auf die Straßenlage seines Fahrzeugs nachteilig auswirkte.

Wie von einer gigantischen Faust gepackt, wurde der Sportwagen aus der Spur gerissen und schrammte unter gräßlichem Kreischen ein Stück an der Leitplanke entlang. Anschließend schleuderte er wieder auf die Fahrbahn zurück und drehte sich um seine Achse.

Unbeirrt trat Parker das Gaspedal bis zum Anschlag durch, ließ das wuchtige Triebwerk röhren und brachte sein hochbeiniges Monstrum aus der Gefahrenzone.

Der in geringem Abstand folgende Morrisfahrer reagierte jedoch zu spät. Knallend verkeilten sich die Fahrzeuge ineinander.

»So ergeht es Gangstern, die es wagen, sich mit Lady Simpson anzulegen«, kommentierte die ältere Dame kühl. »Gegen eine Detektivin haben die Lümmel einfach keine Chance, Mister Parker.«

»Mylady waren wieder mal unvergleichlich, falls die Anmerkung erlaubt ist«, versicherte der Butler und sah auf seinen Chronometer. In wenigen Minuten würde man die Bar erreicht haben...

*

Die wenigen Gäste der »Blue Star Bar« brachen sofort ihre Gespräche ab, als Lady Simpson und Butler Parker den schummrig beleuchteten Raum betraten.

Ohne sich von den finsteren Mienen der muskelbepackten Gestalten irritieren zu lassen, schritt Parker an den Tresen und wandte sich an den Barkeeper.

»Mylady wünscht einen Herrn zu sprechen, der sich der ›Fuchs‹ nennt«, trug er sein Anliegen vor.

»Ich weiß schon Bescheid«, grinste der Barkeeper. »Tim ist gerade hier und erwartet Sie im Billardzimmer.«

Der Mann ging durch einen düsteren Flur voran und öffnete eine Tut.

Parker, der wieder das warnende Kribbeln verspürte, zögerte auf der Schwelle, doch seine ungestüme Herrin, die auf dem Fuß folgte, ließ ihm keine Wahl. Mit ihrer Körperfülle schob sie den Butler vor sich her in den Raum.

Im nächsten Moment fiel knallend die Tür ins Schloß.

»Sie sind zwar ganz schön gerissen, aber mit dem ›Fuchs‹ können Sie es doch nicht aufnehmen«, meinte unter hämischem Grinsen einer der beiden Männer, die das Paar mit Trommelrevolvern im Anschlag erwarteten.

»Man darf wohl vermuten, daß es sich bei Ihnen lediglich um die Befehlsempfänger des genannten Herrn handelt und der ›Fuchs‹ selbst sich anderweitig aufhält?« schien Parker unbeeindruckt davon zu sein.

»Der Chef ist eben nicht blöd«, feixte der zweite Mann. »Er wartet, bis Charly, der Barkeeper, ihn anruft und meldet, daß wir Sie kassiert haben.«

»Was war das?« unterbrach plötzlich der erste Gangster und lauschte angestrengt zur Tür.

»Das muß in der Bar sein«, vermutete der zweite, der das von Schreien unterbrochene Poltern und Toben ebenfalls vernommen hatte.

»Ich seh’ mal nach«, bot der erste an. »Paß du solange auf diese komischen Gestalten auf!«

Er schritt an Parker vorbei, öffnete die Tür und wollte auf den Flur treten. Weiter kam er allerdings nicht.

Mit einer blitzartigen Bewegung schob der Butler ihm den Schaft seines altväterlich gebundenen Regenschirmes zwischen die Beine.

Der Gangster stieß einen überraschten Schrei aus und absolvierte umgehend eine etwas unsanfte Bauchlandung.

Sein Komplize war durch diese Darbietung so fasziniert, daß er gar nicht merkte, wie Parkers steife Kopfbedeckung auf ihn zuschwirrte.

Jammernd ließ er die Pistole fallen, als die stahlgefütterte Krempe des Bowlers über sein Handgelenk glitt.

Den Rest besorgte Mylady. Mit wahrer Inbrunst ließ sie ihren Pompadour kreisen und verordnete den beiden Ganoven eine längere Verschnaufpause.

Als die ältere Dame und ihr Butler in die Bar zurückkehrten, war der Lärm schon fast verstummt. Mike Rander und seine attraktive Begleiterin hatten ganze Arbeit geleistet. Gerade war Kathy Porter damit beschäftigt, den letzten Gast mit einem Schulterwurf auf die Bar zu befördern. Wie ein nasses Handtuch blieb der Zweizentnermann röchelnd über dem Tresen hängen.

Zwei weitere Gegner hatten sich unter umgestürzten Tischen und Stühlen zu einem Nickerchen ausgestreckt. Barkeeper Charly hockte wimmernd auf dem Fußboden und versuchte vergeblich, sich von dem Eiswürfelbehälter zu befreien, den Rander ihm über den Kopf gestülpt hatte.

*

»Darf man um Auskunft darüber bitten, ob Sie bereits so freundlich waren, den ›Fuchs‹ über Myladys Ankunft zu informieren?« sprach Parker den Barkeeper an, als der Mann seinen tiefgekühlten Helm endlich abgesetzt hatte.

»Der Bursche wollte gerade zum Hörer greifen, als wir hereinkamen«, antwortete Mike Rander an Charlys Stelle. »Da hatte er plötzlich keine Zeit mehr zum Telefonieren.«

»Ein Umstand, den man nur begrüßen kann, Sir«, bemerkte der Butler. »Dadurch dürfte sich die Gelegenheit ergeben, den sogenannten ›Fuchs‹ in seinem Bau aufzustöbern, falls man diese Formulierung mal verwenden darf.«

»Raus mit der Sprache!« herrschte der Anwalt den ziemlich eingeschüchtert wirkenden Barkeeper an. »Wo hält der Bursche sich versteckt?«

»Keine Ahnung«, brummte Charly und fischte verbissen nach einigen Eiswürfeln, die ihm in den Hemdkragen gerutscht waren.

»Möglicherweise dürfte es sich empfehlen, Ihrem Gedächtnis auf die in der Szene übliche Weise etwas nachzuhelfen«, schaltete Parker sich wieder ein. Er hielt einen der superschallgedämpften Revolver in der Hand, die er im Billardzimmer erbeutet hatte.

»Nein, nicht schießen«, wimmerte Charly und starrte mit angsterfüllten Augen in das kleine, schwarze Mündungsloch.

»Wo steckt der ›Fuchs‹?« drängte Rander ungerührt, während Mylady interessiert Charlys alkoholisches Sortiment inspizierte.

»Bei seiner Schwester Sally«, verriet der Barkeeper.

»Und wo ist das?« bohrte der Anwalt weiter.

»Gleich in der Nähe«, gab Charly mit vor Angst klappenden Zähnen Auskunft. »Sally Carter bewohnt die Penthousewohnung auf dem Dach des Versicherungsgebäudes zwei Straßen weiter.«

»Der Lümmel lügt!« fuhr Lady Agatha unvermittelt dazwischen und baute sich in der Pose einer zürnenden Rachegöttin vor dem Barkeeper auf.

»Das ist die Wahrheit!« beteuerte Charly und hob schützend die Hände über den Kopf.

»Darf man die Hoffnung äußern, daß Ihnen der bürgerliche Name des sogenannten ›Fuchses‹ bekannt ist?« nahm Parker wieder das Wort.

»Eigentlich heißt er Timothy Carter«, gab der Barkeeper preis. »In der Szene gilt Tim als ebenso vielseitiger wie eiskalter Geschäftemacher, der auch vor Morden nicht zurückschreckt.«

»Demnach sollte man davon ausgehen, daß der ›Fuchs‹ nicht mit einem gewissen Warenhausdetektiv namens Archibald Pool identisch ist?« vergewisserte sich der Butler.

»Pool und Carter sind sich spinnefeind«, zeigte sich Charly gut informiert. »Das hängt mit Sally zusammen.«

»Immer dasselbe«, warf Kathy Porter spöttisch ein. »Die Frauen sind an allem schuld.«

»Pool war mit Sally liiert«, fuhr Charly, der die Bemerkung überhört hatte, fort. »Als das Mädchen herausbekam, daß der smarte Archie sie auf den Strich schicken wollte, statt sie beim Film unterzubringen, wie er es versprochen hatte, schaltete sie ihren Bruder Tim ein.«

»Das verstehe ich nicht«, unterbrach Mike Rander. »Wenn der ›Fuchs‹ den smarten Archie aus Rache in die Pfanne hauen will, warum läßt er dann nichts unversucht, um Lady Simpson und Mister Parker aus dem Weg zu räumen?«

»Tim Carter ist eben ein Fuchs«, grinste der Barkeeper. »Er nutzte Sallys Wissen, um Archie zu erpressen. Das war seine Art von Rache. Deshalb ist er auch daran interessiert, daß Archie ungestört Weiterarbeiten und weiter zahlen kann.«

»Interessant«, schmunzelte der Anwalt. »Zwei Erzfeinde müssen sich verbünden, um ihren gemeinsamen Gegner aus dem Weg zu räumen.«

»Was ihnen natürlich nicht gelingen wird, mein Junge«, prophezeite die passionierte Detektivin in gewohntem Selbstbewußtsein.

»Eine Feststellung, der man sich nur vorbehaltlos anschließen kann, Mylady«, sagte Parker mit angedeuter Verbeugung und schickte sich an, mit Randers Hilfe die verstreut umherliegenden Barbesucher einzusammeln und in einem fensterlosen Lagerraum zu verstauen. Auch Barkeeper Charly mußte schließlich den Weg in die improvisierte Gemeinschaftszelle antreten.

Parker dankte ihm allerdings förmlich für seine entgegenkommende Auskunftsbereitschaft, ehe er die Tür abschloß.

*

Das Versicherungsgebäude, das Barkeeper Charly beschrieben hatte, verfügte immerhin über dreizehn Stockwerke, die in tiefer Dunkelheit lagen. Nur in der Penthousewohnung auf dem Dach brannte noch Licht.

»Das Gebäude verfügt doch hoffentlich über einen Lift, Mister Parker?« vergewisserte sich Lady Simpson mißtrauisch, ehe sie das hochbeinige Monstrum verließ.

»Zweifellos, Mylady«, bestätigte der Butler. »Allerdings sieht man sich veranlaßt, aus Gründen der Sicherheit dringend von der Benutzung des Aufzuges abzuraten.«

»Sie erwarten doch nicht, daß eine Dame der Gesellschaft sich über endlose Treppen schleppt, Mister Parker«, entrüstete sich die Detektivin. »Ich werde deshalb den Einsatz von hier unten aus leiten. Und Kathy leistet mir Gesellschaft.«

»Ein Vorgehen, das man nur als ausgesprochen zweckdienlich bezeichnen kann und muß«, stimmte Parker zu und verließ das Fahrzeug.

Zusammen mit Mike Rander schlug der Butler einen weiten Bogen über das benachbarte Grundstück. Lautlos näherten sich die Männer im Schutz der Dunkelheit von der Seite her dem Eingang.

Plötzlich blieb der Anwalt stehen und deutete wortlos nach vorn. Auch Parker hatte die winzigen roten Fünkchen bemerkt, die abwechselnd aufglommen und verloschen. Das war schon die dritte Falle, mit der der ›Fuchs‹ seinen Bau sicherte, und der Butler argwöhnte, daß es nicht die letzte sein würde.

Seelenruhig zog er die stählerne Gabelschleuder aus der Tasche und legte eine hartgebrannte Tonmurmel in die Lederschlaufe. Konzentriert spannte er die Gummistränge und wartete, bis wieder ein Fünkchen aufleuchtete. Im selben Moment glitt das tönerne Geschoß in der Nachtluft davon und suchte sich unfehlbar sein Ziel.

Wortlos sackte einer der Wächter in sich zusammen, als die kleine Kugel sich hartnäckig an seine Schläfe schmiegte. Die Zigarette, die Parker als Wegweiser gedient hatte, fiel ihm aus dem Mund.

»He, Paul! Was ist denn los?« raunte der zweite und schüttelte seinen leblos wirkenden Komplizen. Eine Antwort erhielt er nicht.

Dafür ereilte auch ihn das Geschick in Gestalt einer zweiten Tonmurmel, die der Butler gleich anschließend auf die Reise geschickt hatte. Der Mann stieß blubbernde Laute aus, kippte von den Stufen und barg sein Gesicht zwischen Geranien und Petunien in einem Blumentrog.

Alles blieb still. Niemand hatte die Ausschaltung der Wache bemerkt.

Geräuschlos kamen Parker und Rander näher, entwaffneten die Männer und schleppten sie in den dunklen Flur. Daß der Aufzug im Erdgeschoß stand, kam Parkers Plänen entgegen. Gemeinsam mit dem Anwalt schaffte er die friedlich schlummernden Wächter in den Fahrkorb.

Außer dem dreizehnten drückte Parker auch noch den fünften und achten Stock, um die Fahrt nach oben etwas zu verlängern. Auf diese Weise würde man über die Treppe das Dachgeschoß erreichen, ehe der Aufzug dort eintraf.

Die Eindringlinge hatten gerade die Treppe zwischen dem zwölften und dreizehnten Stock erreicht, als summend der Lift nahte. Lautlos stieg Parker die letzten Stufen empor und spähte um die Ecke in den Flur. Er hatte sich nicht getäuscht.

Der Mann, der neben der Aufzugtür stand und neugierig die Ankunft des Fahrkorbes erwartete, hielt eine schallgedämpfte Pistole im Anschlag, die er entsicherte.

Sein Fehler war, daß er sich ausschließlich auf den Fahrstuhlschacht konzentrierte. Deshalb entging ihm völlig, daß der Butler seinen schwarzen Universal-Regenschirm an der Spitze faßte und den bleigefüllten Bambusgriff einen Halbkreis beschreiben ließ.

Der Mann röchelte leise und ließ seine Waffe auf den Teppichboden plumpsen, als die Krücke seinen Hinterschädel liebkoste. Stöhnend knickte er in den Knien ein und kippte nach vorn. Dabei preßte er das Gesicht gegen die verglaste Aufzugtür wie ein neugieriges Kind vor einem Schaufenster mit Spielwaren.

Zentimeter für Zentimeter sackte der Wachtposten in sich zusammen, wobei seine Nase quietschend über das Glas glitt und eine geradezu abenteuerliche Form annahm.

Gleich darauf durfte er seinen Komplizen im Aufzug Gesellschaft leisten. Parker hatte schon die Schalttafel gefunden, ließ den Lift wieder abwärts gleiten und drehte gleich darauf die Sicherung heraus. Mit einem Ruck blieb der Fahrkorb zwischen zwei Stockwerken stehen. Der Weg in den Fuchsbau war frei...

*

»Sollen wir durch die Tür eindringen, Parker?« erkundigte sich Rander.

»Meine Wenigkeit würde einen kleinen Umweg vorziehen, Sir, falls der Vorschlag genehm ist«, entgegnete der Butler.

Am Maschinenhaus des Aufzuges vorbei gelangten die Männer auf das Dach der Penthousewohnung und robbten soweit vor, bis sie auf Sally Carters Terrasse hinabsehen konnten. Für das glitzernde Panorama der Millionenstadt, das sich tief unten ausbreitete, hatten weder der Butler noch der Anwalt Augen.

Die gläserne Schiebetür zwischen Wohnung und Terrasse stand weit offen. Die Stimmen der beiden Männer, die sich unten unterhielten, waren auf dem Dach aber nur undeutlich wahrzunehmen. Deshalb ließ Parker sich lautlos auf die Terrasse hinabgleiten, während Rander vorerst auf seinem luftigen Posten blieb.

Die bodenlangen Vorhänge, die halb zugezogen waren, stellten ein ideales Versteck dar. Eine der Stimmen kam dem Butler sofort bekannt vor. Ohne Zweifel handelte es sich um Kaufhausdetektiv Archibald Pool, den ›smarten Archie‹. Sein Gesprächspartner mußte Tim Carter sein, der sich ›der Fuchs‹ nannte.

»Wir müssen diesem abgefeimten Pärchen ein für allemal das Schnüffeln austreiben, Tim«, hörte Parker den Detektiv mit vor Nervosität zitternder Stimme sagen. »Nicht nur, daß die beiden sich auf rätselhafte Weise aus dem Container befreit haben – inzwischen haben sie sogar John Redwyn kassiert.«

»Keine Sorge«, beruhigte der ›Fuchs‹ den Detektiv. »Ich habe meine Vorkehrungen getroffen und ein gutes Dutzend zuverlässiger Leute eingesetzt. Die zwei entgehen mir nicht.«

»Trotzdem höre ich bei Wellwood auf«, sagte Pool. »Die Sache wird mir zu heiß.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage, Archie«, entgegnete Carter frostig. »Es sei denn, du hättest schon eine neue Geldquelle. Du weißt, daß ich auf den tausend Pfund im Monat bestehe. Da ist mit dem ›Fuchs‹ nicht zu spaßen.«

»Ich weiß, Tim«, lenkte Pool ein. »Ein paar Tage wird’s schon noch gutgehen, wenn wir erst mal diese abgetakelte Fregatte und ihren Butler unschädlich gemacht haben.«

»Das ist unser gemeinsames Interesse, Archie«, stellte Carter in kühlem Ton fest. »Glaubst du vielleicht, ich helfe dir aus Nächstenliebe?«

»Archie!« vernahm der Butler aus seinem Versteck plötzlich eine etwas hysterisch klingende Frauenstimme. »Daß du es wagst, meine Wohnung zu betreten!«

»Aber Sally«, protestierte der Detektiv. »Was soll der Unsinn? Dein Bruder hat mich herbestellt.«

»Das ist mir egal, du mieser Hund!« keifte die Frau. »Du hast mich belogen und betrogen, Archie! Und jetzt ist die Stunde der Abrechnung gekommen.«

Als Parker kurz hinter dem Vorhang hervorspähte, stand die junge, auffallend hübsche Frau nur einen Schritt von ihm entfernt und richtete gerade eine zierliche Pistole auf den vor Schreck erbleichten Archibald Pool.

Ohne zu zögern setzte der Butler seinen Universal-Regenschirm ein und tippte der wütenden Dame mit der bleigefüllten Spitze aufs Handgelenk. Sein Eingreifen kam keine Sekunde zu früh.

Sally Carter hatte bereits abgedrückt. Der Schuß ging los, aber die Kugel bohrte sich in den weichen Teppichboden.

»Parker!« rief Pool entgeistert, zeigte aber nicht die geringste Spur von Dankbarkeit. Im Gegenteil! Schon hielt er selbst eine Pistole in der Hand und legte auf den Butler an. Doch Parker hatte mit dieser Zuspitzung der Situation gerechnet und ließ seine Melone durch den Raum schwirren.

Mit jämmerlichem Wehschrei tat der Detektiv kund, daß die stählerne Krempe sein Handgelenk erreicht hatte. In hohem Bogen flog die Waffe weg und verschwand unerreichbar in einer voluminösen Bodenvase.

Dafür hielt der ›Fuchs‹ jetzt eine schallgedämpfte Automatik im Anschlag und fühlte sich eindeutig als Herr der Lage.

»Da haben wir den Schnüffler ja«, grinste er breit. »Alle Tricks haben Ihnen nichts geholfen, Parker.«

»Gegebenenfalls darf man an eine volkstümliche Redensart erinnern, die da lautet: Wer zuletzt lacht, lacht am besten, Mister Carter«, entgegnete der Butler unbeeindruckt.

»Mag ja sein«, gab der ›Fuchs‹ grimmig zurück. »Aber es kommt auch darauf an, wem zuerst das Lachen vergeht. Und das werden Sie sein, Parker!«

»Und jetzt verzieh dich, Sally!« herrschte der Gangster seine Schwester an. »Wo Männer über Geschäfte reden, haben Frauen nichts zu suchen.«

Schmollend trollte sich die blonde Schöne und verschwand hinter ihrer Schlafzimmertür.

»Wo haben Sie eigentlich Ihre Lady, diese alte Schreckschraube, gelassen, Parker?« wandte der ›Fuchs‹ sich wieder an den Butler. »Meine Leute haben mir doch gemeldet, daß Sie mit Ihnen zusammen abgefahren ist.«

»Mylady hat es wegen einer plötzlichen Kreislaufschwäche vorgezogen, per Taxi die Heimfahrt anzutreten«, schwindelte Parker, doch so leicht ließen sich die Gangster nicht aufs Glatteis führen.

»Bestimmt hockt die Alte im Auto und wartet«, mutmaßte Pool.

»Dann geh runter und sieh nach«, wies Carter ihn an. »Und vergiß deinen Ballermann nicht.«

Mühsam angelte Pool die Waffe aus der leeren Vase und strebte zur Tür. »Natürlich mach’ ich gleich kurzen Prozeß mit diesem Ungeheuer in Frauengestalt«, kündigte er im Weggehen an.

Hinter Parkers glatter Stirn begann es zu hämmern. Jetzt oder nie mußte er das Blatt wenden, wenn er seine ahnungslose Herrin und deren junge Gesellschafterin vor dem zu allem entschlossenen Pool schützen wollte.

Wie auf Bestellung flog in diesem Moment der Betonfuß eines Sonnenschirmes zur offenen Terrassentür herein. Mike Rander hatte seinen Posten auf dem Dach verlassen, das gewichtige Wurfgeschoß entdeckt und es mit Wucht in Carters Richtung geschleudert.

Der ›Fuchs‹ stöhnte und stieß einen unverständlichen Gurgellaut aus, als der Betonklotz ihn im Rücken traf. Torkelnd prallte der Gangster gegen ein Wandregal voller Nippes, das sich postwendend aus der Verankerung löste und in sich zusammenbrach. Scheppernd und klirrend prasselten vergoldete Porzellanfiguren, kristallene Väschen und sonstiger Kitsch auf den verdutzten Gangster nieder.

Carter, der inzwischen in die Knie gegangen war, konnte von Glück reden, daß der Fernsehapparat, der ebenfalls im Regal gestanden hatte, ihm nur auf den Fuß fiel und edlere Körperteile verschonte. Ein scharfer Knall ertönte, und tausend winzige Glassplitter flogen nach allen Seiten, als die Bildröhre beim Aufschlag implodierte.

Sally Carter hätte absolut taub sein müssen, um das akustische Inferno im Nebenzimmer nicht zu hören. Entsetzen stand in den Augen der jungen Dame, als sie die Schlafzimmertür aufriß und ihren Bruder unter den Trümmern des Nippesregals am Boden liegen sah.

So ohne weiteres wollte sie sich aber mit diesem plötzlichen Wechsel der Lage nicht abfinden. Dafür sprach die kleine Pistole, die sie wieder an sich genommen hatte und auf Mike Rander richtete.

Begreifliche Nervosität führte allerdings dazu, daß Sally Carter den Butler völlig übersah. Josuah Parker hatte sich eine Sekunde zuvor seitlich neben der Tür aufgestellt und schlug der blonden Schönen nun mit der Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirmes zum zweitenmal die Waffe aus der Hand.

»Das war knapp«, meinte der Anwalt, während der Butler der hübschen Sally und ihrem reichlich benommen wirkenden Bruder Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl anlegte. »Jetzt aber nichts wie runter! Hoffentlich kommen wir nicht zu spät...«

Eilig kettete der Butler die schießfreudigen Geschwister am eisernen Terrassengeländer fest. Anschließend verließen die Männer unverzüglich Sally Carters Wohnung und legten die dreizehn Treppen nach unten in Rekordzeit zurück. Jede Sekunde konnte über Leben und Tod entscheiden.

*

Als Josuah Parker und Mike Rander ihr Ziel erreichten, hatte Archibald Pool das in einer Seitenstraße geparkte hochbeinige Monstrum längst entdeckt. Gefährlich werden konnte der smarte Archie nicht mehr.

Zwar war Lady Agatha in den bequemen Fondpolstern eingenickt, sobald ihr Butler und der Anwalt sich auf den Weg zum Fuchsbau gemacht hatten, doch Kathy Porter war auf der Hut gewesen.

Die junge Dame hatte, wie sie später berichtete, den Gangster schon von weitem bemerkt, als er sich mit der Pistole in der Hand an Parkers Privatwagen heranpirschte.

Lautlos und unbemerkt hatte sie sich an der Pool abgewandten Seite aus dem Wagen gleiten lassen und abgewartet, bis der kriminelle Warenhausdetektiv die Tür öffnen wollte, hinter der Mylady sich seufzend ihren Träumen hingab.

In diesem Moment hatte Kathy Porter den smarten Archie mit einem knallharten Handkantenschlag in den Nacken bedacht und ihn aufs harte Pflaster geschickt.

»Hoffentlich waren Sie ähnlich erfolgreich wie ich«, empfing Agatha Simpson, die erst an Pools unterdrücktem Schrei aufgewacht war, die beiden Männer. »Mit bloßen Händen habe ich den Lümmel fertiggemacht.«

»Mylady waren absolut unvergleichlich«, versicherte Josuah Parker, Kathy Porter und Mike Rander im Sprechchor.

»Es gibt eben nur eine Agatha Simpson«, behielt die passionierte Detektivin das letzte Wort.

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Der exzellente Butler Parker Box 4 – Kriminalroman

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