Читать книгу Der exzellente Butler Parker Box 5 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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»Das war mal wieder ein typischer Verwandtenbesuch, Mister Parker«, klagte Lady Agatha aus dem Fond von Parkers Privatwagen. »Ich habe mich tödlich gelangweilt.«

»Sehr bedauerlich, Mylady«, stimmte der Butler höflich zu, »zumal man Mylady unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aufs flache Land gebeten hat.«

»Richtig, Mister Parker, Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Aber das passiert mir kein zweites Mal, das garantiere ich!«

Parker verzichtete darauf, seiner Herrin zu antworten. Außerdem erforderte die schmale Straße seine volle Aufmerksamkeit. Man bewegte sich durch eine landschaftlich reizvolle Gegend für erholungsuchende Großstädter. Entsprechend war der am Sonntagnachmittag zurückflutende Verkehr. »Was soll das, Mister Parker, wollen Sie mich etwa umbringen?!« Lady Agatha schrak jäh aus ihren Gedanken auf, als der Butler plötzlich scharf bremste und sein hochbeiniges Monstrum zum Stehen brachte. Durch dieses Manöver wurde sie nach vorn geschleudert. Die eigenwillige Hutschöpfung machte sich selbständig und rutschte der Trägerin tief ins Gesicht, so daß die ältere Dame einen Augenblick nichts mehr sehen konnte ...

»Pardon, Mylady«, entschuldigte sich Parker, »aber aus bislang noch nicht ersichtlichen Gründen kommt es zu einem gewissen Stau, der diesen abrupten Halt notwendig machte.«

»Heute läuft aber auch alles schief!« Lady Agatha schüttelte resigniert den Kopf und begriff ihr Pech nicht. »Erst lockt mich die langweilige Sarah hierher und stiehlt meine kostbare Zeit, und jetzt gerate ich in eine Verkehrsmisere und muß womöglich stundenlang herumstehen.«

»Man wird sich umgehend über die Ursache informieren und Mylady Bericht erstatten«, versprach Parker und drückte die Tür auf. »Bis dahin könnten Mylady vielleicht den möglicherweise angegriffenen Kreislauf stärken.«

Der Butler öffnete den hinteren Wagenschlag und reichte seiner Herrin den silbernen Verschluß seiner Taschenflasche, den sie seufzend entgegennahm. »Ich fühle mich tatsächlich etwas schwach, Mister Parker«, gestand sie, während sie die Verschlußkappe leerte. »Ich fürchte, ich werde mich gleich einer Ohnmacht hingeben müssen.«

Parker verstand und wirkte dem drohenden Ohnmachtsanfall durch einen zweiten Becher Medizin entgegen. »Mylady überstehen jetzt möglicherweise die wenigen Minuten bis zur Rückkehr meiner bescheidenen Wenigkeit?« erkundigte er sich, während er höflich die Melone lüftete.

»Ich bin nicht sicher, Mister Parker, lassen Sie mir vorsichtshalber die Arznei da«, bat sie und strich sich theatralisch über die Stirn. »Ich werde versuchen, solange durchzuhalten.«

»Man wird sich beeilen«, versprach Parker, während er der älteren Dame die lederumhüllte Flasche mit der Medizin reichte. »Möglicherweise ist der Stau nur kurzfristiger Natur, so daß Mylady in wenigen Minuten die Fahrt fortsetzen können.«

Agatha Simpson lehnte mit leidender Miene in der Wagenecke und hob eine Hand zum schwachen Gruß. »Hoffentlich treffen Sie mich bei Ihrer Rückkehr noch lebend an, Mister Parker«, hauchte sie, während sie den Becher an die Lippen führte. »Ich glaube, meine Tage sind gezählt.«

*

Nachdenklich kehrte der Butler zu seinem Wagen zurück. Er hatte an der Einmündung zum Motorway eine Ampel entdeckt, die einen mehr als nur provisorischen Eindruck machte. Diese Signalanlage war auf der Ladefläche eines Kleintransporters installiert und wurde von dessen Fahrer offensichtlich mehr oder weniger willkürlich geschaltet.

Vor der Ampel hatte sich eine Autoschlange gebildet, an der zwei seltsam gekleidete Gestalten entlanggingen und sich hin und wieder zu einem der Wagen herunterbeugten, um durch entsprechende Handzeichen den Fahrer zum Öffnen der Seitenscheiben zu bewegen. Bemerkenswert war, daß es sich ausschließlich um Fahrzeuge sogenannter Nobelmarken handelte.

»Geht es endlich weiter, Mister Parker?« erkundigte sich die Lady seufzend. »Ich habe nicht die Absicht, hier den Rest meines Lebens zu verbringen.«

»Der erzwungene Halt hat möglicherweise eine irreguläre Ursache«, berichtete Parker, während er sich ans Steuer setzte. »Es hat den Anschein, Mylady, als hätte man eine Ampel installiert, um die Insassen sogenannter Luxuskarossen ansprechen zu können.«

»Und welchem Zweck könnte das dienen, Mister Parker?« Die passionierte Detektivin genas von einer Sekunde zur anderen und richtete sich ruckartig auf. »Ich spüre es deutlich, ein neuer Fall lockt!«

»Ein Eindruck, dem sich meine bescheidene Wenigkeit auf keinen Fall verschließen möchte«, stimmte der Butler höflich zu. »Myladys Gespür für das Verbrechen ist allgemein bekannt, wenn man sich diesen Hinweis erlauben darf.«

»Sie dürfen, Mister Parker, Sie dürfen!« Agatha Simpson nickte ihrem Butler via Rückspiegel huldvoll zu, um dann ungeduldig nach vorn zu schauen. »Wann bekomme ich denn endlich etwas zu sehen, Mister Parker?« klagte sie, während sie nach ihrem Pompadour tastete. »Ich hoffe doch sehr, daß mein Eingreifen erforderlich wird.«

In diesem Augenblick traten die beiden seltsam gekleideten Gestalten neben den Wagen vor Parkers hochbeinigem Monstrum. Es handelte sich um einen Rolls-Royce, dem Kennzeichen nach in London zugelassen. Die Gestalt neben der Fahrerseite gestikulierte wild mit den Händen und bedeutete dem Mann am Lenkrad, die Seitenscheibe zu senken.

»Meine Güte, wie sehen die denn aus?« Lady Agatha beugte sich etwas weiter vor, um bessere Sicht zu haben, und starrte verblüfft auf die beiden Männer neben der Luxuskarosse. Sie schienen aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen.

Auf der Fahrerseite erkannte man einen mehr oder weniger jungen Mann, der ganz in Grün gekleidet war. Er trug ein kurzes Wams mit pelzverbrämten Ärmellöchern, kurze, sogenannte Pumphosen und dazu lange Strümpfe. Seine Stiefel lagen eng an und reichten ihm bis über die Knie. Auf dem Kopf saß eine Art Jägerkappe mit neckisch wippender Feder. In den Händen hielt der Mann eine bedrohlich wirkende Armbrust, die wie zufällig auf den Fahrer des Rolls-Royce zielte.

Der Begleiter war ein herkulisch gebauter Mann mit spiegelnder Glatze. Er hatte eine lange, bis auf den Boden reichende braune Kutte an, die sehr grob wirkte und in der Mitte von einem dicken Strick zusammengehalten wurde. Dieser Mönch, um den es sich offensichtlich handelte, hatte seine Hände in die weiten Ärmel der Kutte geschoben und blickte lächelnd in den Wagen neben sich.

»Was soll das bedeuten, Mister Parker? Sagen Sie, was mir zu diesen beiden seltsamen Leuten einfällt...«, verlangte die ältere Dame und starrte weiter fasziniert nach vorn durch die Windschutzscheibe.

Der Rolls-Fahrer war inzwischen der Aufforderung des »Grünen« nachgekommen und hatte seine Seitenscheibe herabgleiten lassen. Parker registrierte aufmerksam, daß sich sofort die Armbrust durch das offene Fenster schob und der eingelegte Pfeil fast den Fahrer berührte.

»Man scheint es mit einem gewissen Mister Robin Hood zu tun zu haben«, vermutete Parker, an seine Herrin gewandt. »Bei dem zweiten Herrn dürfte es sich um einen gleichfalls nicht ganz unbekannten ›Bruder‹ handeln, der sich Mister Hood angeschlossen hat, um gegen die ungerechte Obrigkeit zu kämpfen.«

»Mir ist, als hätte ich diesen Namen schon mal gehört«, überlegte Agatha Simpson. »Aber ist das alles nicht schon lange her?«

»In der Tat, Mylady. Aber wie man sieht, wiederholt sich offenbar vieles im Lauf der Zeit.«

Der Fahrer des Rolls-Royce reichte in diesem Augenblick etwas zum Seitenfenster hinaus, das der Mann in Grün entgegennahm. Einen Moment später wandten sich der »Grüne« und sein Begleiter von dem Wagen vor Parkers hochbeinigem Monstrum ab und gingen achtlos weiter. Im Rückspiegel sah Parker, wie sie ein ganzes Stück weiter hinten stehenblieben und sich zu einem silbergrauen Jaguar niederbeugten.

»Die beiden Lümmel haben mich keines Blickes gewürdigt, Mister Parker. Was sage ich dazu?«

»Der Privatwagen meiner bescheidenen Wenigkeit dürfte nicht den Anforderungen der beiden Herren entsprochen haben«, vermutete der Butler. »Wie die Sage zu berichten weiß, raubte Mister Hood ausschließlich die Begüterten aus, um deren Geld unter die Armen zu verteilen.«

»Und Sie meinen, so was passiert jetzt auch wieder?« erkundigte sich Agatha Simpson animiert. »Ich finde, das ist eine recht hübsche Idee, Mister Parker.«

»Wenngleich nicht ganz mit geltendem Recht in Einklang zu bringen, Mylady«, bemerkte Parker gemessen, »zudem könnten auch weniger edle Motive hinter einer solchen Handlungsweise stehen, wie Mylady bereits vermuten.«

»Nun ja, Mister Parker, das ist allerdings richtig.« Die Lady nickte nachdenklich und war felsenfest der Überzeugung, daß Parker genau das in Worte gekleidet hatte, was sie insgeheim vermutete. »Es geschieht immer wieder, Mister Parker, daß man scheinbar edle Motive vorgibt, um verbrecherische Ziele zu tarnen. Trauen Sie nie dem äußeren Schein, er trügt nur allzu oft, beherzigen Sie das für Ihre Zukunft, wenn Sie nicht früher oder später einen Reinfall erleben wollen.«

»Man wird Myladys Ratschlag zu schätzen wissen«, versprach Parker und stieß seine Wagentür auf. »Es hat den Anschein, als käme es hinter Mylady zu einer kleinen Meinungsverschiedenheit.«

»Ach, tatsächlich?« Agatha Simpson öffnete ihrerseits die Tür und stieg überraschend schnell aus. Der mit einem soliden Hufeisen gefüllte Handbeutel baumelte an ihrem Arm und wartete nur darauf, eingesetzt zu werden.

*

»Das ist Wegelagerei!« brüllte der Jaguarfahrer so laut, daß es die Lady und Parker, die gut und gern fünf oder sechs Wagenlängen entfernt waren, mühelos verstanden. »Ich denke nicht daran, auch nur einen Penny zu zahlen!«

Im nächsten Augenblick drückte der Mann die Tür seines Wagens heftig auf, offenbar in der Absicht, den Grüngekleideten zu treffen. Der aber erwies sich als wachsam, sprang reaktionsschnell zur Seite und entging dem Anschlag. Der Jaguarfahrer fiel dabei halb aus seinem Wagen und wurde von einem mächtigen Schlag ins Genick getroffen, den ihm Pseudo-Robin Hood mit dem Kolben seiner Armbrust versetzte.

Auch der Beifahrer versuchte sein Glück und handelte. Er hatte die Seitenscheibe gesenkt und beugte sich aus dem offenen Fenster, um nach dem daneben stehenden »Mönch« zu greifen. Trotz seines Bauches erwies sich dieser jedoch als nicht weniger reaktionsschnell.

Der »fromme Bruder« trat etwas zurück und gelangte aus der Reichweite der zupackenden Hände. Im nächsten Augenblick stand er wieder direkt neben dem offenen Fenster und griff seinerseits zu. Er zerrte den überraschten Beifahrer mit einer Hand aus dem Wagen, ballte die andere Hand zur Faust und ließ sie auf den Hinterkopf des überrumpelten Mannes sausen.

Der Fahrer des Jaguars wollte noch immer nicht aufgeben, sprang auf die Füße und drang ungestüm auf »Robin Hood« ein, der zurückwich und seine Armbrust in Anschlag brachte.

Bevor er jedoch abdrücken konnte, griff Lady Agatha ein. Sie blieb stehen, zielte kurz und schickte dann ihren perlenbestickten Pompadour auf die Reise. Der Handbeutel sauste schwungvoll durch die Luft, beschrieb eine leichte Parabel und senkte sich dann auf den Hut des Grüngekleideten.

Die an sich schon zerbeult wirkende Kopfbedeckung wurde noch mehr außer Form gebracht, die bis dahin lustig vor sich hinwippende Feder geknickt, und der Träger des Jägerhütchens fühlte jähen Kopfschmerz, der ihn zwang, seine kriegerischen Pläne aufzugeben. Er ließ die Armbrust sinken, griff sich an den Kopf und gab sich, zu Boden gesunken, seinem Leid hin.

Auch der »Mönch« machte eine schmerzliche Erfahrung. Zunächst hatte er die Absicht, weiter auf den Beifahrer einzudreschen, um dessen Widerspruchsgeist zu brechen. Bevor er aber zur Tat schreiten konnte, wurde er von einem harten Gegenstand getroffen, der gegen seinen Schädel prallte.

Dieser Gegenstand hatte sich ebenso lautlos wie plötzlich genähert und ihn völlig überraschend aus dem Konzept gebracht. Der Mann in der Kutte schüttelte benommen den Kopf und mußte sich erst mal an der Karosserie des Jaguars stützen, um nicht umzufallen.

»Nicht schlecht, Mister Parker, aber wohl doch etwas zu schwach«, kommentierte Lady Agatha, die Parkers Schuß mit der Gabelschleuder kritisch verfolgt hatte. »Sie sind wieder mal viel zu rücksichtsvoll, aber das bin ich ja gewohnt.«

»Man wird sich um Besserung bemühen«, versprach Parker und legte eine neue, hart gebrannte Tonmurmel in seine Schleuder, die im Grund nichts weiter als die Weiterentwicklung jener sogenannten Zwille war, wie sie Lausbuben seit altersher benutzten, um damit diverse Schäden anzurichten.

Während er die Schleuder erneut aktivierte, um sein Ziel aufzunehmen, stieß der Jaguar-Beifahrer seine Tür auf und stürzte sich auf den »Mönch«, um ihn in ein Handgemenge zu verwickeln. Parker sah sich gezwungen, seine Schleuder zu senken und vorläufig auf einen Schuß zu verzichten, um den Mann aus dem Jaguar nicht zu gefährden.

»Robin Hood«, hatte sich mittlerweile von Myladys Niederschlag via Handbeutel erholt und setzte sich ab. Er verschwand hinter einer Buschreihe, die die Straße säumte, und entschwand damit den Blicken. Einen Moment später schüttelte der »Mönch« seinen Widersacher ab und folgte ihm.

*

»Nicht zu fassen«, staunte Kathy Porter, die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady, und schüttelte den Kopf, als Agatha Simpson ihre farbige Erzählung beendete.

»Und die beiden Banditen sind Ihnen entkommen?« erkundigte sich Mike Rander mit mildem Spott in der Stimme. Rander war Anwalt und Vermögensverwalter der resoluten Dame und sah einem bekannten James-Bond-Darsteller verblüffend ähnlich. Er lehnte lässig am Kamin in der großen Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market und blickte die Lady belustigt an.

»Nun ja, mein Junge, Sie kennen doch Mister Parker!« Lady Agatha maß ihren Butler mit strengem Blick und schüttelte entsagungsvoll den Kopf. »Ich allein hätte die beiden Strolche nie und nimmer entkommen lassen, aber dank Mister Parkers bekannter Großzügigkeit konnten sie sich absetzen. Also wirklich, Mister Parker, Sie lernen es nie, obwohl ich sicher eine perfekte Lehrmeisterin bin!«

»Meine bescheidene Wenigkeit bedauert außerordentlich, daß Myladys Bemühungen auf so unfruchtbaren Boden fallen«, entschuldigte sich Parker. »Man wird sich inständig um Besserung bemühen.«

Die Hausherrin zeigte sich nachsichtig und seufzte erneut.

»Das ist ja ’ne völlig neue Masche, sowas war noch nie da«, bemerkte Mike Rander. »Vielleicht meinen es die Leute wirklich ernst und geben wie ihr Vorbild ihre Beute an Bedürftige weiter.«

»Aber mein lieber Junge, wie kann man nur so naiv sein, was hier gespielt wird, sieht doch ein Blinder.« Agatha Simpson sah den Anwalt milde lächelnd an und wußte wieder mal ganz genau, woran sie war.

»Sie gehen also davon aus, daß das nur eine raffinierte Masche ist, um kriminelle Machenschaften zu tarnen, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter lächelnd und zwinkerte Mike Rander unauffällig zu.

»Aber sicher, Kindchen, das ist doch gar keine Frage.« Lady Agatha nickte energisch und wischte eventuelle Zweifel beiseite. »Für solche Dinge habe ich ein untrügliches Gespür, mein Kind, und deshalb bin ich auch so erfolgreich. Habe ich nicht recht, Mister Parker?«

»Myladys Spürsinn für verbrecherische Umtriebe ist anerkannt«, behauptete Parker ungeniert. »Aus diesem Grund werden Mylady auch von den führenden Polizeiorganisationen beneidet und verehrt und von Kriminellen jeglicher Couleur gefürchtet.«

»Wirklich, Mister Parker, das haben Sie schön gesagt. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.« Die ältere Dame nickte ihrem Butler wohlwollend zu und warf sich förmlich in die nicht gerade unterentwickelte Brust. »Manchmal können Sie sich erstaunlich treffsicher ausdrücken.«

»Vielen Dank, Mylady!« Parker war die Würde in Person. »Meine bescheidene Wenigkeit freut sich, Myladys Anerkennung zu finden, wenn Mylady diese Bemerkung gestatten.«

Parker verbeugte sich erneut, während sich Kathy Porter und Mike Rander vorsichtshalber abwandten, um nicht die Beherrschung zu verlieren und laut zu lachen.

*

»Eigentlich komme ich mehr oder weniger zufällig vorbei«, behauptete Chief-Superintendent McWarden, als er am nächsten Morgen von Parker in die Halle geführt wurde.

McWarden, ein untersetzter, etwa fünfundfünfzigjähriger Mann mit leichtem Bauchansatz und Basedowaugen, die ihm einen stets etwas gereizten Gesichtsausdruck verliehen, leitete im Yard ein Sonderdezernat gegen das organisierte Verbrechen und war direkt dem Innenministerium unterstellt. Er galt als guter Freund des Hauses und schätzte ganz besonders den Rat des Butlers. Dafür nahm er gern in Kauf, von der Hausherrin bei seinen häufigen Besuchen lustvoll gestichelt zu werden.

»Leider habe ich mein Frühstück vor wenigen Minuten beendet«, freute sich Lady Agatha, »weshalb ich Ihnen zu meinem Bedauern nichts mehr anbieten kann.«

»Deshalb komme ich auch nicht vorbei«, winkte McWarden ab und nahm mit sorgenvoller Miene Platz.

»Man könnte durchaus ein Sandwich servieren«, schlug Parker vor, der dem Gast bereits eine Tasse mit Tee vorsetzte. »Auch mit etwas Gebäck wäre noch zu dienen.«

»Sie haben doch gehört, daß Mister McWarden ausnahmsweise mal nicht deswegen gekommen ist, Mister Parker«, grollte die Hausherrin und musterte den Butler vorwurfsvoll. »Zwingen Sie ihm nichts gegen seinen Willen auf!«

»Nun ja, gegen ein Schinkensandwich wäre eigentlich nichts einzuwenden«, überlegte McWarden, der die ausgeprägte Sparsamkeit der Lady kannte. »Und ein kleiner Sherry könnte mich tatsächlich wieder aufmöbeln, denke ich.«

»Was habe ich nur getan, daß ich immer den halben Yard durchfüttern muß?« beklagte sich die Hausherrin und stöhnte. »Reicht Ihr Gehalt nicht mal mehr fürs Frühstück, oder werden Sie neuerdings leistungsabhängig bezahlt? In dem Fall müssen Sie allerdings schnorren, weil Sie dann gar kein Einkommen haben, mein Lieber.«

»Ihre Gastfreundschaft ist eben weithin berühmt«, erwiderte McWarden schamlos, »und so komme ich immer wieder gern darauf zurück.«

»Erinnern Sie mich daran, Mister Parker, daß ich den Innenminister das nächste Mal, wenn ich ihn treffe, um einen Essensgeldzuschuß für Mister McWarden bitte, der dann der Einfachheit halber gleich auf mein Konto überwiesen wird.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker war durch nichts zu erschüttern und servierte dem Gast ein Kristallglas mit herrlichem alten Sherry, den McWarden genüßlich schlürfte.

»Allein Ihr Sherry ist es wert, Ihnen täglich einen Besuch abzustatten, Mylady«, verkündete er und hielt Parker sein leeres Glas entgegen. »Alles, was recht ist, auf Essen und Trinken verstehen Sie sich.«

»Dieser Mensch schlägt sich auf meine Kosten durchs Leben, während ich mich kasteie und Diät halte«, seufzte die Dame des Hauses. »Womit habe ich das nur verdient?«

»Sie haben einen Grund für Ihren Besuch, Sir?« erkundigte sich Parker, der inzwischen wieder steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter dem Sessel seiner Herrin stand – das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers.

»Ich wollte Ihnen in der Tat eine kleine Geschichte erzählen und hören, ob Sie eventuell etwas Hilfestellung leisten könnten, Mister Parker«, gestand McWarden, um sich sofort zu verbessern. »Ich meine natürlich Sie, Mylady, was die Hilfe betrifft, das dürfte ja wohl klar sein.«

»Allerdings, mein Lieber. Wer sonst wenn nicht ich – könnte dem Yard schon unter die Arme greifen? Schildern Sie mir Ihre Sorgen, und es wird Ihnen geholfen werden«, verkündete sie großzügig und nickte gnädig.

»Ich wußte, ich kann auf Sie zählen, Mylady«, bedankte sich der Chief-Superintendent ein wenig säuerlich und räusperte sich. »Was wissen Sie über Robin Hood, wenn ich fragen darf?«

»Mister Parker, bieten Sie unserem lieben Gast doch noch einen Sherry an, sein Glas ist schon wieder leer«, flötete die Hausherrin und richtete sich animiert auf. »Sagten Sie gerade Robin Hood, mein lieber McWarden?«

»Sagte ich, Mylady.« McWarden nahm dankend ein neues Glas von Parker entgegen und blickte die Lady gespannt an.

»Nun ja, was sagt mir dieser Name?« Lady Agatha überlegte und sah ihren Butler nachdenklich an. »Irgendwo habe ich ihn schon mal gehört, aber in welchem Zusammenhang? Ist das nicht eine berühmt-berüchtigte Gestalt aus der englischen Sagenwelt?«

»In der Tat, Mylady«, stimmte Parker seiner Herrin zu und verneigte sich andeutungsweise. »Mister Hood focht vor gut fünfhundert Jahren einen zähen Kampf gegen die ungerechte Obrigkeit und residierte seinerzeit in den Wäldern des Nottingham Forest.«

»Das ist allerdings schon eine Weile her, dann kann ich den Mann wohl nicht kennen, Mister Parker«, schüttelte die passionierte Detektivin den Kopf. »Einen Moment hatte ich geglaubt, den Namen erst kürzlich gehört zu haben.«

»Mister Hood ist der Held zahlreicher Fernseh- und Kinofilme, Mylady«, gab Parker zu bedenken. »Möglicherweise ist Mylady der Name in diesem Zusammenhang untergekommen.«

»Was bei Myladys Videokonsum kein Wunder wäre«, ergänzte McWarden gereizt. »Nun aber mal im Ernst: Ist Ihnen dieser Robin Hood in letzter Zeit begegnet oder nicht?!«

»Ihre Frage hat einen bestimmten Grund, Sir?« erkundigte sich der Butler gemessen.

»Sollen Sie den Mann etwa jetzt nach so langer Zeit dingfest machen?« spottete die Lady und gestattete sich ein amüsiertes Lachen.

»Außerordentlich witzig, Mylady«, kommentierte der Chief-Superintendent säuerlich. »Aber mir ist beileibe nicht zum Spaßen zumute.«

»Sie haben also konkreten Ärger mit einem Herrn dieses Namens?« hakte Parker nach.

»Allerdings, und zwar gewaltigen.« Der Yard-Beamte stöhnte und beugte sich weiter vor, um Mylady und den Butler schärfer ins Auge zu fassen. »Dieser Robin Hood hat vor kurzem zwei Mitglieder des Adels überfallen und ausgeraubt.«

»Das ist ja wirklich allerhand!« entrüstete sich die Detektivin und rieb sich die Hände. »Hat es sich wenigstens gelohnt?«

»Darauf kommt’s doch wohl wirklich nicht an, oder?« knurrte McWarden gereizt. »Außerdem hat der Kerl einen Minister und zwei Staatssekretäre erleichtert und einen hohen Offizier auf seinem Landgut überfallen.«

»Der Mann wird mir immer sympathischer«, stellte die Lady fest und gab sich keine Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen. »Und Sie sollen diesen hoffnungsvollen Zeitgenossen finden und verhaften, wie?«

»Allerdings, und man hat mir dazu eine Frist gesetzt«, gab McWarden zu und war sichtlich empört. »Bis zum Monatsende soll ich diesem Spuk ein Ende machen, hat man mir mitteilen lassen, ansonsten könnte ich damit rechnen, vorzeitig in den Genuß meiner Pension zu kommen.«

»Nun, bis dahin sind es immerhin noch gute zwei Wochen, mein Lieber«, tröstete ihn die ältere Dame und tätschelte ihm mitfühlend die Schulter. »Um diesen Waldschrat zu fangen, reichen mir ein paar Tage. Sie haben mich um Hilfe gebeten, mein Guter, und Ihr Vertrauen soll nicht enttäuscht werden. Mister Parker wird sich sofort um die Details kümmern, Sie wissen, ich bin für die große Linie zuständig, nicht wahr, Mister Parker?« schloß sie und sah ihren Butler herausfordernd an.

»In der Tat, Mylady, Mister McWardens Sorgen dürften bereits so gut wie vorüber sein«, wußte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Hat sich Mylady erst mal eines Falles angenommen, wird damit bereits dessen Lösung eingeleitet.«

»Sehr treffend formuliert, Mister Parker!« Agatha Simpson sah den Butler ausgesprochen wohlwollend an und nickte bekräftigend. »Sie sehen also, mein lieber McWarden, Sie können beruhigt nach Hause gehen und in aller Ruhe auf den Abschluß des Falles warten. Rufen Sie mich übermorgen mal an, ich denke, bis dahin werde ich die Lösung haben.«

»Hatten Sie bereits Kontakt mit diesem Kerl?« erkundigte sich der Chief-Superintendent und sah die Gastgeberin hoffnungsvoll an.

»Hatte ich, Mister Parker?« gab sie die Frage an Parker weiter und lehnte sich erwartungsvoll zurück.

»Nur sehr oberflächlich, Mylady«, lautete Parkers höfliche Antwort. »Mister Hood und ein gewisser Brother Tuck zogen es vor, den Kontakt nicht näher zu vertiefen und ihr Heil in der Flucht zu suchen.«

»Sein Bruder war auch dabei?« staunte die Lady. »Den muß ich glatt übersehen haben, Mister Parker.«

»Es handelte sich dabei um jenen Mönch, der Mister Hood immer begleitete«, erläuterte Parker geduldig, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte.

»Da kann man wieder mal sehen, wie unterschiedlich die Charaktere innerhalb einer Familie ausfallen können«, mißverstand die Detektivin gründlich. »Der eine Bruder ein Buschräuber, der andere ein Mönch, wer hätte das gedacht!«

*

»Nun, was kann ich für dich tun, mein lieber James?« erkundigte sich Lady Agatha am Abend etwas zerstreut bei ihrem Tischnachbarn, während sie hingebungsvoll die schwere, in dunkles Leder gebundene Speisekarte studierte und sich dabei immer wieder in Vorfreude mit der Zunge über die Lippen fuhr.

Sir James Ballard, ein guter Bekannter und Geschäftsfreund ihres verstorbenen Gatten, hatte sie am Nachmittag angerufen und förmlich um ein Treffen angefleht. Da er als Treffpunkt eines der besten Londoner Restaurants vorgeschlagen und ausdrücklich betont hatte, daß er alle Kosten übernehme, war Agatha Simpson die Zusage nicht schwergefallen.

»Ich habe da ein kleines Problem, meine liebe Agatha, und da ich hörte, daß du dich recht erfolgreich mit der Aufklärung von Kriminalfällen befaßt ...«

»Ich kann mich einfach nicht entscheiden«, unterbrach die Detektivin Sir James. »Wie soll ein Mensch nur unter all diesen Köstlichkeiten wählen können?«

»Bitte, Agatha, würdest du mir vielleicht einen Augenblick zuhören?« beschwerte sich ihr Gastgeber und sah sie gereizt an. »Schließlich habe ich dich eingeladen, weil...«

»Das war sehr nett von dir, mein Lieber«, bedankte sich die ältere Dame und nickte ihm freundlich zu. »Ich werde mich erkenntlich zeigen und es mir ordentlich schmecken lassen, damit du siehst, daß ich deine Einladung zu würdigen weiß.«

»Das kannst du meinetwegen tun, Agatha, aber nun hör mit bitte endlich zu, ja?« Ballard war am Ende seiner Geduld und zeigte deutlich Nerven.

»Nun reiß dich mal zusammen, James, so schlimm kann es doch wirklich nicht sein!« räsonierte die Detektivin, während ihre Blicke wohlgefällig die Speisekarte auf und ab schweiften.

»Man bedrohte mich, Agatha, man will meinen Besitz niederbrennen, wenn ich nicht fünfzigtausend Pfund zahle!« klagte Ballard und starrte finster vor sich hin.

»Papperlapapp, du hast es ja, mein lieber James ... Was sind schon fünfzigtausend für dich?!« tröstete die Lady ihn und entschied sich für ein kleines Potpourri, da sie sich nicht für ein Menü allein entscheiden konnte.

»Ich muß doch sehr bitten, Agatha!« Sir James war ungehalten und blickte seine Tischnachbarin entrüstet an.

»Also gut, wer will dich zur Kasse bitten?« seufzte Lady Agatha und riß sich von der Speisekarte los. »Du läßt mir ja doch keine Ruhe, bis du mir alles erzählt hast, fürchte ich.«

»Dieser Robin Hood und seine Banditen!« stöhnte Sir James. »Vor einigen Tagen erschienen sie auf meinem Landsitz und stellten mich vor die Wahl, entweder bis zum Wochenende zu zahlen oder mein Anwesen in Flammen aufgehen zu sehen.«

»Robin Hood? Wie interessant!« fand die Lady, während sie Parker, der sehr zu seinem Kummer neben ihr saß, ihre Wünsche mitteilte. »Der Bursche scheint ja recht umtriebig zu sein.«

»Du kennst den Kerl?« erkundigte sich Sir James hoffnungsvoll. »Hat er dich etwa auch bedroht?«

»Das möchte ich ihm nun wirklich nicht raten«, grollte die Detektivin und lachte aus vollem Hals. »Bei mir käme er an die Falsche, das garantiere ich dir! Aber das weiß er sicher auch, und deshalb traut er sich gar nicht erst an mich heran.«

»Na, ich weiß nicht.« James Ballard zeigte sich skeptisch. »Allein aus meinem näheren Bekanntenkreis werden vier oder fünf Leute von diesem Strolch bedroht, soweit ich gehört habe.«

»Nannte Mister Hood eine Begründung für seine Forderung?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Er erzählte etwas von der Ausbeuterklasse, der wir angehören und die jetzt selbst an der Reihe wäre, ausgenommen zu werden. Na, Sie kennen ja diese pseudoklassenkämpferische Ausdrucks weise.«

»Haben Sie die Absicht, zu zahlen, Sir?« fuhr Parker mit seiner Befragung fort, während er sich erhob und dem Kellner entgegensah, der gerade einen Servierwagen mit Myladys Bestellung heranrollte. Selbstverständlich ließ es der Butler nicht zu, daß jemand anderes als er selbst seiner Herrin vorlegte, das hätte sein Berufsethos nie und nimmer zugelassen. Er nickte seinem »Kollegen« freundlich, aber distanziert zu und servierte Lady Agatha stil- und formgerecht.

»Natürlich nicht, deshalb habe ich mich ja an Lady Simpson gewandt«, beantwortete Sir James die Frage und widmete sich nun gleichfalls seinem gerade von Parker vorgelegten Essen. »Ich hoffe wirklich, meine Liebe, daß dein diesbezüglicher Ruf halbwegs der Wahrheit entspricht.«

»Worauf du dich verlassen kannst, James.« Agatha Simpson winkte energisch mit ihrer Gabel und befaßte sich dann mit einem delikaten Kalbsmedaillon, das sie förmlich anflehte, endlich verspeist zu werden.

»Wir wünschen den Herrschaften guten Appetit!« dröhnte in diesem Augenblick eine Stimme vom Eingang her, der ein rauhes Lachen folgte. Die Köpfe der Restaurantbesucher fuhren von ihren Tellern hoch und wandten sich der schweren Tür zu, die gerade eben krachend ins Schloß fiel und deutlich hörbar verriegelt wurde.

»Was soll dieser Lärm, Mister Parker?« grollte die Detektivin, ohne sich beim Essen stören zu lassen. »Wer wagt es, mich ausgerechnet jetzt zu unterbrechen?«

»Ein gewisser Mister Robin Hood mit Gefolge, Mylady. Man scheint die Absicht zu haben, die Anwesenden um ihr Hab und Gut zu bringen.«

»Aber doch nicht während des Essens! Was sind denn das für Manieren?« wunderte sich die ältere Dame und aß ungerührt weiter. »Ich denke, dafür werde ich die Lümmel nachher etwas ohrfeigen. Erinnern Sie mich daran, Mister Parker!«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen«, äußerte Parker, ohne eine Miene zu verziehen, während er die bunte Gesellschaft, die sich langsam von Tisch zu Tisch vorarbeitete und immer näher kam, aufmerksam beobachtete.

*

»Na, Alterchen, hauen wir uns wieder mal den Kaviar rein?« erkundigte sich ein Hüne in zerrissener Kleidung bei einem älteren Gast am Nebentisch und hieb mit einem Knüppel auf die Tischplatte. Schüssel und Teller sprangen hoch und verteilten ihren Inhalt auf das bis dahin strahlendweiße Damasttuch, das anschließend dringend einer Wäsche bedurfte. Der ältere Gast zuckte zusammen und griff stöhnend an die Herzgegend.

»Du hast doch nicht etwa Schwierigkeiten, Opa?« Der Hüne ergriff eine Champagnerflasche und goß ihren Inhalt über den Kopf des Gastes. »Das wird dich erfrischen, Mann, das bringt dich wieder auf die Beine!« grölte er und lachte dröhnend.

Dann erspähte er den Tisch der Lady und kam zielstrebig darauf zu. Stirnrunzelnd musterte er Agatha Simpson, die sich nicht stören ließ und unbeirrt weiteraß.

»Du merkst gar nicht, was um dich vorgeht, was?« erkundigte er sich mit drohendem Unterton in der Stimme und langte zu. Er hatte die Absicht, sich ein Stück Fleisch von Myladys Teller zu nehmen und die Dame zu verärgern.

Die Detektivin wiederum entschied sich zufälligerweise zur gleichen Zeit für das besagte Stück Fleisch und wollte es mit ihrer Gabel aufspießen. Dabei kam es zu einer kleinen Interessenkollision, die Mylady souverän zu ihren Gunsten entschied. Die spitzen Zinken der Gabel bohrten sich nachdrücklich in den Handrücken des Hünen und verursachten dort einigen Schmerz.

Der verhinderte Fleischdieb schrie laut und zog die malträtierte Hand hastig zurück. Dabei kam er dem Messer der Lady in die Quere, das sich gerade auf das erwähnte Fleisch senken wollte. Auch dieses Instrument trug nicht zum Wohlbefinden des Hünen bei. Die Schneide zog eine feine rote Linie und ließ den Mann ein zweites Mal aufschreien.

Lady Agatha sah unwillig hoch, musterte kopfschüttelnd den Schreihals und setzte ungerührt ihre Mahlzeit fort.

Inzwischen stand der Riese neben ihrem Tisch und schlenkerte aufgeregt mit der Hand durch die Luft. Er rollte mit den Augen und bedachte die Detektivin mit ausgesuchten Flüchen, die sie wohlgefällig zur Kenntnis nahm.

»Notieren Sie die Äußerungen des jungen Mannes, Mister Parker«, bat sie, während sie sich über einen delikaten Lobsterschwanz hermachte. »Er verfügt tatsächlich über einen interessanten Wortschatz, aus dem ich das eine oder andere möglicherweise für meinen Roman verwenden kann.«

Agatha Simpson besaß in ihrem Haus in Shepherd’s Market ein Studio, das mit neuzeitlicher Bürotechnik ausgestattet war und nur darauf wartete, von seiner Besitzerin in Betrieb genommen zu werden. Bis jetzt war die Lady jedoch noch nicht über das Stadium des Stoffsammelns hinausgekommen, das sie allerdings sehr eifrig betrieb; hatte sie doch die erklärte Absicht, einer gewissen Agatha Christie den Rang abzulaufen.

»Wie Mylady zu wünschen geruhen«, bemerkte Parker höflich und zückte sein Notizbuch, um dem Wunsch seiner Herrin unverzüglich nachzukommen.

Der handverletzte Riese starrte ungläubig auf den Butler, der ihn abwartend musterte.

»Dürfte man um weitere Meinungsäußerungen bitten, Sir?« sprach der Butler ihn an. »Sie würden Mylady damit einen großen Gefallen tun.«

»Bei dir is’ wohl ’ne Schraube locker?« Der Hüne schnappte sichtlich nach Luft ob soviel Unverfrorenheit und blickte Parker gereizt an.

»Diese Äußerung war meiner bescheidenen Wenigkeit bereits hinlänglich bekannt und dürfte als nicht allzu originell angesehen werden«, tadelte Parker. »Wäre es Ihnen möglich, mit weniger gebräuchlichen Wendungen zu dienen?«

»Du hast wohl ’n Ding an der Bommel, wie?« reagierte der verdutzte Riese umgehend auf Parkers Wunsch und schüttelte erneut ungläubig den Kopf.

Josuah Parker notierte diese Äußerung sorgfältig und nickte dem Mann neben sich aufmunternd zu. »Wenn Sie fortfahren würden, Sir?« bat er höflich.

»Jetzt reicht’s mir aber!« Der düpierte Hüne hatte endlich genug und beschloß, handgreiflich zu werden. Er hob seinen schweren Knüppel und traf Anstalten, damit den Tisch zu zerlegen.

»Einen Augenblick, bitte«, bat Parker und hob die schwarzbehandschuhte Hand, um dem Mann Einhalt zu gebieten.

»Was is’ denn nun schon wieder?« beschwerte sich der solcherart gebremste Schläger und glotzte den Butler wütend an.

»Würden Sie Ihr Augenmerk freundlicherweise auf diese Sprühflasche richten?« bat Parker und drückte herzhaft zu. Ein feiner weißer Strahl schoß aus der Düse des Fläschchens, das plötzlich wie durch Zauberei in Parkers Hand lag, und fand zielsicher in das Riechorgan des Hünen.

Er schnaufte beeindruckt, wischte mit den Händen durchs Gesicht und verteilte dadurch unfreiwillig den Spray, was er besser unterlassen hätte. Seine Augen litten, als diese damit in Berührung kamen, und der Mann vergaß vorläufig alle Aggressionen.

*

»Robin Hood« und sein übriges Gefolge hatten inzwischen mitbekommen, daß ein Kollege in Bedrängnis geraten war. Sie ließen umgehend von ihren Opfern ab und eilten herbei, um ihrer Sache zum Sieg zu verhelfen.

Dabei kam es zu einem kleinen Mißgeschick, an dem ein gewisser Butler Parker nicht ganz unschuldig war. Der hatte nämlich ungeschickterweise eine große Sauciere umgestoßen, deren Inhalt sich auf den blanken Parkettboden ergoß und dort eine große Lache bildete, in die die »Streiter für eine gerechtere Welt« schwungvoll hineinstürmten.

Es kam, wie es kommen mußte. Der ohnehin schon glatte Parkettboden wurde noch glatter und ließ die übereifrigen Abkassierer nachhaltig aus dem Gleichgewicht geraten. Urplötzlich verloren ihre Füße den so nötigen Bodenkontakt und wurden in die Luft geworfen, wo sie verständlicherweise wenig Halt fanden.

Sie versuchten noch, durch mächtige Ruderbewegungen ihrer Arme die Balance wiederzufinden, aber auch das nützte ihnen nichts mehr. Sie plumpsten mehr oder weniger schmerzhaft auf ihre Hinterteile und rutschten auf denselben ein gutes Stück weiter, um dann gemeinsam und in schöner Eintracht an einem Stützpfeiler zu stranden, der ihnen im Weg stand und für Kopfschmerzen sorgte, da sie zuerst mit ihren Köpfen Kontakt mit dem besagten Pfeiler aufnahmen.

Lady Agatha hatte sich vorgebeugt und blickte den an ihrem Tisch vorbeisausenden Banditen interessiert nach. Sie ergriff eine Putenkeule, die zu ihrem frugalen Mahl gehörte, und legte diese nachdrücklich auf den Hinterkopf eines glatzköpfigen Mönches, während dieser an ihr vorbeischoß.

Der Mann stöhnte auf und hatte umgehend das unangenehme Gefühl, ihm wäre ein mittlerer Felsbrocken auf den Kopf gefallen. Er verdrehte die Augen, seufzte noch mal tief und überließ sich einer kleinen Ohnmacht, so daß er nicht mal merkte, wie seine Stirn gegen den Stützpfeiler prallte und umgehend ein Hörnchen daraus wuchs.

Sir Ballard beobachtete das Geschehen aus weit aufgerissenen Augen und konnte nicht glauben, was er da zu sehen bekam. Nachdem Lady Agatha jedoch ihre Putenkeule ebenso routiniert wie zweckentfremdet eingesetzt hatte, legte sich ein nahezu beglückter Ausdruck auf seine hageren Züge, ein strahlendes Lächeln verzog seine Lippen, und seine Augen begannen animiert zu glänzen.

Er ergriff eine Pfanne, in der seiner Tischgenossin eine Spezialität des Hauses als Kostprobe serviert worden war, entleerte sie, indem er sie der Einfachheit halber umdrehte und deren Inhalt achtlos auf die ohnehin nicht mehr saubere Damasttischdecke fallen ließ, und erhob sich entschlossen.

Urplötzlich fühlte er sich, wieder jung und vital und äußerst unternehmungslustig. Er näherte sich mit der Pfanne in der Hand den noch immer vor dem Stützpfeiler hockenden Banditen und musterte sie lächelnd.

»Robin Hood«, der sich gerade hochstemmen wollte, bekam Sir Ballards zurückgewonnene Jugend umgehend und sehr nachdrücklich zu spüren. James Ballard lüpfte nämlich sein neckisches Jägerhütchen, visierte kurz an ... ließ den schweren gußeisernen Boden der Pfanne nahezu lustvoll auf seinen Schädel fallen. Zunächst ertönte ein dumpfer, etwas hohl klingender Laut, als Pfannenboden und Schädeldecke zusammentrafen, danach ein tiefer Seufzer, als sich »Robin Hood« zurücksinken ließ, weil ihm die Sinne schwanden.

Sir Ballard war äußerst angetan vom Ergebnis seiner Bemühungen und ließ seine Blicke schweifen, um nach einem weiteren Opfer Ausschau zu halten.

In diesem Augenblick wurde er unsanft zur Seite gedrängt. Ein gleichfalls nicht mehr ganz taufrischer Herr mit unübersehbarem Bauchansatz schob ihn ein wenig abseits. Dieser Herr wollte sich offensichtlich an ihm ein Beispiel nehmen und schwang einen langen Metallspieß, der offensichtlich als Träger gegrillter Fleischstücke gedient hatte.

Der korpulente, etwas ältliche Herr beugte sich schnaufend zu den am Boden hockenden Banditen nieder, traf seine Wahl und ... jagte seinen Spieß in das Gesäß des Hünen, der kurz zuvor bereits mit Lady Agatha unangenehme Erfahrungen sammelte.

Das war das Signal für die übrigen Gäste, sich gleichfalls für den Verlust diverser Wertgegenstände zu revanchieren. Es entstand ein Tumult, als Stühle reihenweise gestoßen und umgeworfen wurden und sonst sehr distinguiert wirkende Herrschaften Gegenstände schwingend heranstürmten, um »Robin Hood« und seinem Gefolge klarzumachen, daß man es nicht schätzte, ausgeraubt zu werden.

»Sehr hübsch, Mister Parker, endlich haben es diese Leute begriffen, wie man mit Strolchen umgehen muß«, kommentierte Lady Agatha, während sie seelenruhig etwas Braten zum Mund führte.

»Eine gewisse Pogromstimmung ist nicht zu leugnen, Mylady«, stellte Josuah Parker fest, ohne eine Miene zu verziehen. »Hier scheint sich ein regelrechter Gefühlsstau zu entladen.«

»Und dann noch an der richtigen Adresse«, freute sich die ältere Dame. »Ich muß sagen, ich bin mit diesem Lokalbesuch außerordentlich zufrieden, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich und schaute im nächsten Augenblick empört in die Gegend, als ein Mitglied des Hoodschen Gefolges in wilder Flucht an ihrem Tisch vorbeistürmte, diesen halb umrannte und dadurch Myladys Speisen in Gefahr brachte. Im letzten Moment konnte sie das drohende Unheil verhindern und ihr Essen vor der Bekanntschaft mit dem Boden retten.

Sie hatte nicht die Absicht, dem jungen Mann, bei dem es sich übrigens um den »Mönch« handelte, das schlechte Benehmen durchgehen zu lassen. So griff sie seufzend nach ihrem Handbeutel und machte sich daran, ihm eine entsprechende Lektion zu erteilen.

Sie stemmte sich etwas hoch, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, visierte kurz und schickte den Pompadour mit dem darin befindlichen Glücksbringer – einem veritablen Pferdehufeisen – auf die Reise.

»Der »Mönch« wollte gerade aufatmen und die schwere Eingangstür öffnen, um in die bereits sicher geglaubte Freiheit zu stürmen, als ihn ein Dampfhammer in den Rücken traf. Er spürte noch, wie ihm etwas mit Urgewalt zwischen die Schulterblätter prallte, dann rutschte er auch schon an der Tür zu Boden und ergab sich klaglos in sein Schicksal.

*

»Sie schon wieder, McWarden?« Lady Agatha sah ihren frühen Besucher am nächsten Morgen kopfschüttelnd an und wunderte sich. »Wunder kann ich nun auch wieder nicht vollbringen, mein Lieber, schließlich haben Sie mir erst gestern Ihr Problem an vertraut.«

»Ich bin leider dienstlich hier, Mylady«, verkündete der Chief-Superintendent. »Gegen Sie wurden schwerwiegende Beschuldigungen vorgebracht.«

»Was Sie nicht sagen!« Die ältere Dame staunte immer mehr und wies einladend auf einen Sessel neben sich. »Nehmen Sie doch Platz, mein Lieber, Sie wissen, wie sehr ich Ihre Besuche zu schätzen weiß! Mister Parker, servieren Sie unserem lieben Gast einen Sherry und fragen Sie ihn, ob er mit mir frühstücken möchte ...«

»Wollen Sie mich etwa bestechen, Mylady?« McWarden musterte die Hausherrin und nahm dankend den Sherry entgegen, den ihm Parker reichte.

»Aber keinesfalls, wie käme ich dazu?« flötete die Lady, ohne einen Augenblick ihr Frühstück zu unterbrechen. »Außerdem bin ich absolut sicher, daß sich alles als Mißverständnis aufklären wird. Eine friedliche Bürgerin wie ich kann gar nicht in Schwierigkeiten geraten, das ist absolut unmöglich.«

McWarden hüstelte und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. »Das sehe ich allerdings entschieden anders, Mylady«, stellte er fest und beugte sich etwas vor, um die Hausherrin genauer ins Auge zu fassen.

»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, sagen Sie mir endlich, weshalb Sie gekommen sind«, forderte die Detektivin und legte verärgert ihr Besteck beiseite.

»Sie besuchten gestern das ›Coq d’Or‹, Mylady?« erkundigte sich der Chief-Superintendent und lehnte sich erwartungsvoll zurück.

»Was für ein Moor?« fragte Agatha Simpson und mißverstand wieder mal gründlich.

»Das ›Coq d’Or‹, Mylady, ein Feinschmeckerrestaurant für die sogenannte Hautevolee«, präzisierte McWarden geduldig.

»Dort verkehre ich nicht, das sollte Ihnen doch klar sein, mein Lieber«, stellte sie unverzüglich richtig. »Das kann ich mir einfach nicht leisten, ich muß mit jedem Penny rechnen.«

»Das ist bekannt, Mylady, trotzdem wurden Sie gestern gesehen.«

»Was sage ich dazu, Mister Parker?« wandte sich die Hausherrin an ihren Butler. »Kenne ich dieses Lokal?«

»Möglicherweise hielten sich Mylady gestern tatsächlich im Zuge der Ermittlungen dort auf«, formulierte Parker vorsichtig. »Im Verlauf des Aufenthalts kam es zu einem kleinen Tumult, der Mylady veranlaßte, dem besagten Etablissement vorzeitig den Rücken zu kehren.«

»Richtig, mein Lieber, jetzt erinnere ich mich. Warum sagen Sie nicht gleich, daß Sie dieses unmögliche Restaurant meinen? Stellen Sie sich vor, man kann dort nicht mal in Ruhe seine Mahlzeit einnehmen, ohne von Lümmeln gestört zu werden.«

»Sie sind wirklich zu bedauern, Mylady.« McWarden gab sich keine Mühe, den Spott in seiner Stimme zu verbergen.

»Jedenfalls ist dieses Lokal alles andere als empfehlenswert«, fuhr die ältere Dame munter fort und überhörte souverän McWardens Spott. »Ich glaube nicht, daß ich es noch mal aufsuchen werde.«

»Zumal Sie dort ja auch Lokalverbot haben, aber davon wissen Sie sicher nichts, wie?« stichelte McWarden.

»Lokalverbot, mein lieber McWarden? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, zeigte sich die Hausherrin überrascht und blickte ihren Gast pikiert an.

»Ist Ihnen davon etwas bekannt, Mister Parker?« fuhr sie fort und wandte sich an ihren Butler. »Anscheinend liegt hier doch eine Verwechslung vor, bestätigen Sie das dem Chief-Superintendenten.«

»Von diesem Sachverhalt sollte man in der Tat ausgehen, Mylady.« Parker verneigte sich höflich und richtete das Wort an den Mann vom Yard. »Man erteilte tatsächlich in bedauernswerter Verkennung der wahren Umstände Mylady das, was man gemeinhin mit dem Begriff ›Hausverbot‹ umschreibt, Sir. Man ging fälschlicherweise davon aus, daß sich Mylady als sogenannte Rädelsführerin betätigte und eine Saalschlacht verursacht habe, die letztendlich dazu führte, daß das Lokal vorübergehend geschäftsunfähig wurde. Man darf jedoch davon ausgehen, daß besagtes Hausverbot umgehend wieder aufgehoben wird, wenn die Wahrheit an das vielgerühmte Tageslicht kommt. Mylady sorgte lediglich dafür, daß einige Gäste, die ihr Eigentum vorübergehend an einen gewissen Mister Robin Hood und seine Bande abgeben mußten, wieder in den Besitz ihrer Güter gelangten.«

»Das war aber mal eine schöne Rede, Mister Parker«, freute sich der Chief-Superintendent. »Sie geben sich ja alle Mühe, Ihre Chefin als wahren Engel und Bewahrerin von Recht und Ordnung hinzustellen.«

»Eine Rolle, die mir förmlich auf den Leib geschrieben ist, mein lieber McWarden«, stimmte die ältere Dame umgehend zu. »Sie werden doch wohl einsehen, daß nur sehr wenige sie ausfüllen können, wie zum Beispiel ich!«

»Allerdings mit fragwürdigen Methoden, oder?« konterte McWarden. »Sie sind nicht gerade als sanftmütig und zurückhaltend bekannt, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten.«

»Papperlapapp! Wo gehobelt wird, fallen auch Späne, mein Lieber, das sollten Sie doch wissen! Möchten Sie übrigens noch einen Sherry? Für einen guten Freund des Hauses ist mir nichts zu schade, wie ich Ihnen ausdrücklich versichern möchte«, säuselte sie und nickte Parker auffordernd zu.

»Das ist mir aber völlig neu, daß Sie zur Verschwendung neigen, Mylady«, gab sich McWarden überrascht. »Wollte man Sie nicht erst kürzlich zur Schottin ehrenhalber ernennen?«

»Werden Sie bitte nicht komisch, und kommen Sie endlich zur Sache«, erwiderte sie indigniert. »Weshalb sind Sie also hier, außer, um wie immer um meine Hilfe zu betteln?«

»Ganz, wie Sie wollen, Mylady!«

McWarden gab sich auf einmal streng dienstlich und richtete sich unwillkürlich auf. Er zog ein kleines Notizbuch aus der Innentasche und blätterte darin.

»Sie sollen, wie gesagt, eine Saalschlacht ausgelöst haben, in dessen Verlauf dieses Lokal mehr oder weniger zu Bruch ging. Der Inhaber hat eine entsprechende Anzeige erstattet und will Sie außerdem auf Schadenersatz verklagen. Einige Gäste bestätigen diese Aussage und geben an, von Ihnen förmlich dazu aufgefordert worden zu sein, an der Demontage des Raumes mitzuwirken.«

»Das ist ja der Gipfel der Unverschämtheit!« empörte sich die resolute Dame und sah ihren Gast aus flammenden Augen an. »Und einen derartigen Blödsinn glauben Sie auch noch?«

»Und ob, ich kenne Sie schließlich«, freute sich McWarden und fuhr fort: »Außerdem liegen drei Anzeigen wegen Körperverletzung gegen Sie vor, und zwar von jüngeren Leuten, die behaupten, Sie hätten sich einen Jux machen wollen, als sie das Lokal aufsuchten und einen Überfall vortäuschten. Sie hätten die Gelegenheit genutzt, die betroffenen Männer dafür krankenhausreif zuzurichten.«

»Das wird ja immer schöner!« Lady Agatha beugte sich erregt vor und tastete unwillkürlich nach ihrem perlenbestickten Pompadour, der neben ihr auf dem Sofa lag.

McWarden bemerkte dies und warnte vorsichtshalber: »Machen Sie keine Dummheiten, Mylady, ich bin nicht Ihr Feind!« Er sah sie nervös und ängstlich an.

»Wer soll Ihnen schon was tun, das lohnt sich doch nicht.« Lady Agatha war nach wie vor aufgebracht, ließ aber doch von ihrem Handbeutel ab und sich statt dessen von Parker einen Cognac geben.

»Der dickste Brocken kommt allerdings erst noch«, kündigte McWarden vorsorglich an und klappte sein Notizbuch zu. »Die von Ihnen lädierten Leute behaupten außerdem, Sie hätten zwei ihrer Freunde entführt.«

»Jetzt reicht es mir aber! Was will man mir alten, schwachen Frau denn noch alles unterstellen?! Mister Parker, sagen Sie Mister McWarden, was ich davon halte«, verlangte sie und lehnte sich mit verschränkten Armen beleidigt zurück.

»Es dürfte sich hierbei um ebenso lächerliche wie haltlose Vorwürfe handeln, Mylady«, bestätigte der Butler, in dessen glattem Gesicht sich kein Muskel rührte. »Die Zukunft wird dies sicher bestätigen.«

»Natürlich glaube ich persönlich von all dem kein Wort«, versicherte der Chief-Superintendent und grinste dabei, »aber Sie verstehen, daß ich den Vorwürfen nachgehen muß, nicht wahr?«

»Ohne Frage, Sir«, gab Parker zurück. »Wohin soll Mylady übrigens wen entführt haben, wenn meine bescheidene Wenigkeit danach fragen darf?«

»Jemanden, der sich als Robin Hood verkleidet hatte, und eine zweite Person, die als ein gewisser Brother Tuck auftrat«, erklärte McWarden bereitwillig. »Die Genannten sollen von Ihnen beiden mehr oder weniger zwangsweise aus dem Lokal und zu Ihrem Wagen geführt worden sein, Mister Parker.«

»Zu diesem Sachverhalt liegen verläßliche und glaubwürdige Zeugenaussagen vor, Sir?«

»Ich denke, so glaubwürdig sind sie möglicherweise doch wieder nicht«, wiegelte McWarden ab, »deshalb gehe ich diesem Hinweis auch mehr der Vollständigkeit halber nach.«

»Wohin soll ich denn diese Subjekte entführt haben?« erkundigte sich die Detektivin gereizt. »Etwa hierher in mein Haus? Sie können es jederzeit durchsuchen, ich erhebe dagegen keine Einwände.«

»Ihr Haus ist auf einer alten Abtei erbaut, nicht wahr?« fragte McWarden süffisant lächelnd. »Das heißt, es verfügt über eine Reihe von Geheimgängen und -räumen, die vor einigen Jahren sogar noch unter Anleitung Mister Parkers ausgebaut worden sind.«

»Das müßte ich aber wissen, mein Lieber, schließlich bin ich hier die Hausherrin.« Agatha Simpson räusperte sich lautstark und schüttelte verweisend den Kopf. »Gerüchte dieser Art können nur Leute aus der kriminellen Szene, denen ich mal irgendwann das Handwerk gelegt habe, in die Welt gesetzt haben. Natürlich ist absolut nichts daran, aber überzeugen Sie sich selbst.«

»Ich bitte Sie, Mylady, Sie sind doch wohl für mich und den Yard vertrauenswürdig, und schließlich, was wären wir ohne Sie?« schmeichelte ihr der Chief-Superintendent. »Sollten Sie jedoch zufällig mit den erwähnten Personen Kontakt bekommen, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich über das Ergebnis unterrichten würden.«

»Was man nicht versäumen wird, Sir«, versicherte der Butler höflich. »Mylady hat stets größten Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden gelegt, wenn man dies am Rande erwähnen darf.«

»Ich weiß, Mister Parker«, bestätigte McWarden und erhob sich. »Sie hat uns immer erst hinterher unterrichtet, aber immerhin ...«

»Sie könnten ja sowieso nichts mit meinen Informationen anfangen«, stichelte die Detektivin genüßlich. »Sie und Ihre Kollegen lassen sich doch jeden Fall gern auf einem Silbertablett servieren.«

»Wir wären ohne Sie wirklich aufgeschmissen, Mylady«, entgegnete der Mann vom Yard süffisant und bemühte sich krampfhaft, Myladys Sticheleien nicht ernst zu nehmen. »Aber irgendwann werden wir so viel von Ihnen gelernt haben, daß wir einen leichteren Fall selbständig lösen können!«

»Ich wünsche es«, zeigte sich die Lady leutselig und lächelte McWarden an. »Geben Sie die Hoffnung nicht auf, mein Lieber, und denken Sie daran, ich stehe Ihnen stets mit Rat und Tat zur Seite, wenn Sie mich brauchen!«

*

Die beiden Gäste des Hauses waren in einer Art Appartement im Souterrain des alten Fachwerkhauses untergebracht, das nur Eingeweihten zugänglich war.

»Robin Hood« und »Brother Tuck« blickten verärgert auf, als der Butler eintrat und das Frühstückstablett auf den flachen Couchtisch stellte.

»Man hofft, daß die Herren sich einigermaßen eingelebt haben«, ließ sich Parker vernehmen und servierte formvollendet den Tee. »Man ist bemüht, Ihnen den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten, wenngleich Sie dabei auch nicht unbedingt den Luxus eines First-Class-Hotels erwarten sollten.«

»Robin Hood« sprang auf und starrte Parker wütend an. »Das is’n astreiner Fall von Freiheitsberaubung!« beschwerte er sich aufgebracht. »Das wird Ihnen jede Menge Ärger einbringen, Mann, und Ihrer Lady erst recht.«

»Möglicherweise liegt hier ein Irrtum vor«, beruhigte Parker ihn. »Sie sind selbstverständlich Myladys Gäste und können gehen, wann immer es beliebt.«

»Wir können gehen?« staunte »Brother Tuck« und sah den Butler überrascht an.

»Selbstverständlich, Sir. Zuvor sollten die Herren sich allerdings das Frühstück schmecken lassen und dann den Fragen Myladys stellen.«

»Mylady, wenn ich das schon höre!«

»Robin Hood« sah den Butler verächtlich an. »Es gibt keine Herren und keine Diener, sondern nur gleichgestellte Menschen, begreifen Sie das nicht, Mann? Sie sind genausoviel wert wie Ihre sogenannte Lady. Machen Sie sich endlich frei von Ihrer Unterwürfigkeit und Ihrem Klassendenken!«

»Meine bescheidene Person fühlt sich in der augenblicklichen Rolle keineswegs unwohl«, gab Parker gemessen zurück. »Dennoch beinhalten Ihre Ausführungen einige durchaus erwägenswerte Aspekte, Sir.«

»Kämpfen auch Sie auf der Seite der Unterdrückten gegen das Establishment, Mann, machen Sie sich frei!« forderte ihn »Brother Tuck« auf und hieb mit der Faust auf den Couchtisch. »Wir müssen gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen und dem Volk zur Macht verhelfen.«

»Sehr interessant, Sir«, fand Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Und Sie tun dies, indem Sie sich an Ihren historischen Vorbildern orientieren und wohlhabende Mitbürger um ihre Habe erleichtern?«

»So ist es, Mann! Und genauso wie unsere großen Vorbilder werden wir unsere Beute an die Armen und Bedürftigen verteilen, denken Sie doch nur mal an die vielen Menschen, die dringend Hilfe brauchen.«

»Robin Hood« war sichtlich in Rage geraten und gestikulierte wild mit den Händen. Parker konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es der junge Mann durchaus ernst meinte.

»Wenn meine Wenigkeit richtig die gefallenen Worte deutet, Mister Hood, so haben Sie und Ihre Mitstreiter bislang noch nichts verteilt?« erkundigte er sich höflich.

»Noch nicht, Mann, aber bald!« Auch »Brother Tuck« konnte seine Begeisterung nicht verbergen und sah verzückt zur Zimmerdecke. »Wir wollen erst eine anständige Summe beisammen haben, damit wir auch wirklich helfen können. Was nützen schon ’n paar Pfund, die wir von Zeit zu Zeit verteilen? Nein, wir zahlen unsere Beute in einen großen Fonds, der bei Erreichung eines bestimmten Limits ausgeschüttet wird und zur Verteilung gelangt. Nur so kann man wirklich helfen.«

»Und wo liegt dieses Limit, junger Mann?« grollte die Stimme der Hausherrin von der Tür her. Lady Agatha schob ihre majestätische Fülle in den Raum und musterte die beiden Wohltäter der Menschheit nahezu wohlwollend.

»Bei einer Million Pfund, Mylady, zunächst mal«, erklärte »Robin Hood« und sah sie schwärmerisch an. »Diese Summe werden wir in Kürze zusammen haben, damit Sie’s nur wissen.«

»Wer trägt dafür Sorge, daß dieses Geld die Bedürftigen auch wirklich erreicht?« wollte die Detektivin wissen und sah »Robin Hood« streng an. »So viel Geld ist eine große Versuchung, junger Mann. Wer sagt mir, daß Ihre angebliche Hilfsaktion nichts als ein neuer Trick ist, um an viel Geld zu kommen?«

»So können wirklich nur Leute wie Sie reden!«

»Brother Tuck« trat vor und baute sich drohend vor Agatha Simpson auf. »Das mag ja in Ihren Kreisen üblich sein, da sind Betrügereien und Korruption an der Tagesordnung, aber unterstellen. Sie so was gefälligst nicht uns!« Er maß die ältere Dame mit flammenden Blicken und ballte unwillkürlich die schweren Fäuste.

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet, junger Mann: Wer sorgt für die Verteilung des Geldes?« ließ sie nicht locker und musterte unbeeindruckt den vor ihr stehenden zornigen »Brother Tuck«, der über eine beeindruckende Figur verfügte.

»Ein Komitee, das eigens zu diesem Zweck gebildet wurde«, antwortete »Robin Hood« anstelle seines Mitstreiters. »Sie können sicher sein, daß das Geld auch wirklich dahin kommt, wo es gebraucht wird.«

»Papperlapapp, ich werde mich mit Mister Parker beraten und dann noch mal zurückkommen, falls ich weitere Fragen an Sie habe«, verkündete die Detektivin und zog sich zur Tür zurück. »In der Zwischenzeit können Sie darüber nachdenken, was Sie mir erzählen wollen.«

»Gar nichts werden wir Ihnen erzählen. Wir denken nicht daran, mit dem Klassenfeind zu kooperieren«, fauchte der Pseudo-Robin Hood. »Außerdem werden wir hier gegen unseren Willen festgehalten.«

»Sie können nach dem Frühstück jederzeit gehen«, versprach Parker nochmal. »Obwohl die Herren sich gut überlegen sollten, ob das für Sie überhaupt das ist, was man gemeinhin einen Vorteil nennt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Brother Tuck« sah den Butler nachdenklich an und runzelte die Stirn.

»Möglicherweise weiß Ihre Bande inzwischen, wo die Herren sich aufhalten«, erklärte Parker gemessen. »Man wird sich sicher fragen, welche Aussagen Sie hier gemacht haben.«

»Aber wir haben doch nichts verraten, das wissen Sie doch selbst!« empörte sich »Robin Hood« umgehend. »Und unsere Kameraden wissen ganz genau, daß keiner von uns ein Sterbenswörtchen über die Organisation sagen würde; das haben wir uns gegenseitig geschworen.«

»Du lieber Himmel, sind Sie naiv, junger Mann!« Agatha Simpson lachte dröhnend und sah ihr Gegenüber kopfschüttelnd an. »Ihre Leute werden natürlich glauben, Sie hätten aus der Schule geplaudert, das ist doch wohl sonnenklar.«

»Aber das haben wir doch nicht!« Auch »Brother Tuck« zeigte sich entrüstet und verstand nicht, worauf die Hausherrin hinauswollte.

»Möglicherweise zieht man es vor, die Herren trotzdem aus sogenannten Sicherheitsgründen aus dem Verkehr zu ziehen – ein Verfahren, das in der Unterwelt in solchen Fällen durchaus üblich ist«, gab Parker zu bedenken.

»Wir sind doch keine Banditen! Was denken Sie denn von uns? Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Wir vertrauen einander«, verkündete »Robin Hood«, aus dessen Stimme deutlich eine Spur von Unsicherheit klang.

»Jedenfalls wünscht man viel Glück, wenn die Herren nachher das Haus verlassen«, schloß Parker das Thema ab. »Soweit meine bescheidene Wenigkeit beobachten konnte, ist Myladys Anwesen seit einiger Zeit von Angehörigen Ihrer Organisation umstellt, die sich freuen werden, Sie wieder unter sich haben zu dürfen.«

»Tatsächlich, Mister Parker?« staunte die Detektivin umgehend. »Weshalb erfahre ich erst jetzt davon?«

»Die diversen Belagerer machen im Augenblick einen mehr oder weniger passiven Eindruck, so daß meine bescheidene Wenigkeit keine Veranlassung sah, Mylady deshalb zu stören. Mit echten Aktivitäten dürfte erst zu rechnen sein, wenn Myladys Gäste das Haus verlassen wollen.«

»Sie meinen, man wird versuchen, sie umzubringen?« erkundigte sich die Detektivin stirnrunzelnd. »Nun ja, es sollte mich nicht wundern, Mister Parker!«

*

»Diese Lümmel können mir keinen Sand in die Augen streuen, Mister Parker, mir macht man kein X für ein U vor!« verkündete Agatha Simpson in der großen Wohnhalle und ließ sich auf ihrem Lieblingssofa nieder.

»Mylady sind in der erfreulichen Lage, sich bereits ein Bild von dem vorliegenden Fall machen zu können?« erkundigte sich Parker gemessen, während er seiner Herrin einen sogenannten Kreislaufbeschleuniger servierte, um ihre angegriffene Gesundheit durch entsprechende Präventivmaßnahmen zu stärken.

»Das ist doch alles nur Theaterdonner, Mister Parker. Darauf fällt eine Lady Simpson nicht herein!« grollte sie und leerte ihr Glas erstaunlich routiniert. »Nein, nein, Mister Parker, das ist nur ein neuer Dreh, um andere Leute ausnehmen zu können. Diese Strolche haben sich nur einen fadenscheinigen Vorwand für ihre Raubzüge geschaffen, weiter nichts.« Sie nickte energisch und wußte wieder mal genau, daß sie recht hatte und der Fall so gut wie gelöst war.

»Mylady pflegen wie stets sicher alle Möglichkeiten ins Kalkül zu ziehen«, ließ sich Parker gemessen vernehmen. »Deshalb fragen sich Mylady möglicherweise, ob man die jungen Leute nicht nur ausnutzt und ohne deren Wissen zu kriminellen Zwecken mißbraucht.«

»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie endlich darauf kommen würden«, verkündete die ältere Dame und übernahm ungeniert Parkers These als ihre eigene. »Man soll sich nie vom ersten Anschein täuschen lassen, Mister Parker! Meine Intuition sagt mir, daß die enthusiastischen jungen Menschen von skrupellosen Kriminellen nur mißbraucht werden, aber zum Glück gibt es noch eine Lady Simpson, die für klare Verhältnisse sorgen wird.«

»Mylady haben sich noch nie täuschen lassen und werden jeden noch so raffinierten Plan offenlegen«, wußte Parker. »Auch die Aktion ›Robin Hood‹ ist deshalb zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.«

»Obwohl sie mir vom Grundgedanken her nicht schlecht gefällt, Mister Parker«, überlegte die Detektivin und lächelte dabei schadenfroh. »Ehrlich gesagt, einigen der Opfer gönne ich ihre Verluste durchaus.«

»Wobei, abgesehen von dem eindeutig kriminellen Vorgehen bei dieser Art Spendensammlung, zu bemängeln ist, daß damit keinesfalls den Bedürftigen geholfen wird, Mylady.«

»Richtig, Mister Parker, aber zum Glück habe ich mich eingeschaltet. Ich werde diesen Banditen ihre Beute abjagen und dafür Sorge tragen, daß sie an die richtige Adresse gerät.«

»Was ohne die Zustimmung ihrer rechtmäßigen Eigentümer nicht unbedingt den Anforderungen bestehender Gesetze und Vorschriften entsprechen dürfte«, wandte Parker höflich ein und deutete eine leichte Verbeugung an.

»Ich werde dafür sorgen, daß diese Zustimmung vorliegt, Mister Parker«, grollte sie. »Ich werde eine Provision für die Wiederbeschaffung der Beute fordern und diese dann nach Abzug meiner eigenen Unkosten selbstverständlich entsprechenden Organisationen zukommen lassen.«

»Myladys soziales Engagement ist nicht genug zu rühmen«, zollte Parker dem Vorwand seiner Herrin Applaus. »Wahrscheinlich erwägen Mylady sogar, die sogenannte Wiederbeschaffungsprämie in voller Höhe weiterzureichen.«

»Nun ja, Mister Parker, warum eigentlich nicht? Meine Unkosten kann ich mir ja auch von den Banditen ersetzen lassen, ich muß schließlich auch rechnen, denn meine Vermögenslage erlaubt mir keine großen Sprünge, wie Sie wissen.«

»Um so bewundernswerter, wie uneigennützig und ohne Rücksicht auf die dabei anfallenden Kosten sich Mylady einsetzen«, lobte Parker ungeniert und verbeugte sich erneut.

*

»Genieren Sie sich nicht, treten Sie hinaus in die Freiheit«, forderte Parker die unfreiwilligen Gäste des Hauses auf, die sich allerdings – nun, da sie endlich gehen durften – merkwürdigerweise ein wenig zierten.

»Wenn Sie Glück haben, werden Sie ja nicht gleich tödlich getroffen«, gab die Hausherrin ihren Kommentar dazu, während sie die Männer lächelnd betrachtete.

»Wie … wie meinen Sie das?« wollte ein jetzt sehr zurückhaltender und gar nicht mehr so forscher »Robin Hood« wissen und trat von der geöffneten Eingangstür zurück.

»Nun, Ihre Kameraden erwarten Sie doch bereits, das sagte Ihnen Mister Parker doch schon«, führte die Hausherrin aus. »Sie stehen hinter den Büschen auf der anderen Straßenseite und warten darauf, daß Sie sich endlich zeigen. Ich glaube aber nicht, daß Sie gleich erwischt werden, die Entfernung ist für eine Armbrust recht beachtlich. Ich nehme an, daß Ihre Freunde diese Waffe verwenden werden, schließlich war das damals zu Lebzeiten Ihres großen Vorbilds die passende Ausrüstung, glaube ich, nicht wahr, Mister Parker?«

»In der Tat, Mylady. Aber wie Mylady bereits sehr richtig ausführten, dürfte die Entfernung für einen gezielten Schuß zu groß sein. Nur eine wirklich meisterhafte Schützin wie Mylady wäre dazu in der Lage, einen solchen anzubringen.«

»Das ist allerdings richtig, Mister Parker.« Die Detektivin nickte ihrem Butler wohlwollend zu und tastete unwillkürlich nach ihrem Sportbogen, der neben ihr an der Wand lehnte. Sie hatte die erklärte Absicht, bei Ausbruch der zu erwartenden Feindseligkeiten einigermaßen adäquat zurückzuschlagen.

»Pah, uns können Sie nicht ins Bockshorn jagen!« behauptete »Brother Tuck« und lächelte etwas verzerrt dazu. »Unsere Kumpels würden so was nie und nimmer tun, das sind doch keine Strolche.«

»Einem Versuch steht absolut nichts im Wege.« Parker trat neben die offene Tür und öffnete sie noch ein wenig weiter. Die beiden selbsternannten Streiter für die Armen und Unterdrückten beeilten sich, zur Seite zu rücken und in die sichere Deckung des schweren Türblattes zu kommen.

»Möglicherweise sollte man eine kleine Demonstration vorführen«, schlug der Butler vor und ergriff eine grüngekleidete Puppe, die er selbst gebastelt hatte und auf eine gewisse Entfernung sicher einem gewissen Robin Hood durchaus ähnlich sah.

Er schob die besagte Puppe durch die offene Tür und schwenkte sie hin und her. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Einen Moment später sirrte es durch die Luft, und ein schwerer Gegenstand klatschte gegen den Türrahmen. Vorsichtig langte Parker nach draußen und zog den armlangen Pfeil aus dem Holz des Türstocks, in dem er vibrierend steckengeblieben war.

Er hatte seine Hand und den Pfeil kaum wieder im Haus, als der nächste angesirrt kam. Er prallte gegen das Türblatt und fiel klirrend zu Boden.

»Nette Freunde haben Sie da«, frotzelte die Lady. »Und miserable Schützen sind sie auch noch.«

»Robin Hood« und »Brother Tuck« sahen sich stirnrunzelnd an und verstanden die Welt nicht mehr.

»Das... das muß ein Irrtum sein, wirklich«, stammelte der fromme Bruder und wischte sich über die schweißnasse Stirn.

»Ein Versehen, weiter nichts«, behauptete der Pseudo-Robin Hood und lehnte sich zitternd gegen die Wand.

»Möglicherweise möchten Sie mit Ihren Kameraden Kontakt aufnehmen und sie auf ihren Irrtum hinweisen?« vermutete Parker und hielt dem Mann ein Megaphon entgegen. »Sie können ja Ihr Kommen ankündigen und um eine Gefechtspause bitten.«

»Äh ... danke, nein, ich glaube, das wird nicht nötig sein«, wehrte der Grünkittel ab und drückte sich etwas tiefer in die große Wohnhalle hinein.

»Sie wollen es also auf einen Versuch ankommen lassen und einfach so hinausgehen, junger Mann?« ließ sich die Hausherrin vernehmen. »Bravo, das nenne ich Courage, meine Anerkennung!«

Sie packte den zitternden Freiheitskämpfer und schob ihn energisch zu der offenen Eingangstür, neben der in unregelmäßigen Abständen die Pfeile seiner Armbrust-Kollegen von der anderen Straßenseite einschlugen.

»Bitte, Mylady, ich möchte nicht raus.«

»Robin Hood« verkrampfte die zitternden Hände in das großzügig geschnittene Gewand, das die Hausherrin umwallte. Er machte einen mehr als ängstlichen Eindruck, während seine Füße über das Parkett schleiften, da ihn die Detektivin unbeeindruckt weiterschob.

*

»Das geht nun aber wirklich zu weit, Mister Parker!« empörte sich die Lady einen Augenblick später und ließ den total entnervten »Robin Hood« los, der daraufhin einen leichten Schwächeanfall erlitt und erschöpft zu Boden fiel.

Die Hausherrin starrte aufgebracht auf einen Pfeil, der zitternd in Myladys Lieblingssofa steckte.

»Ein unverzeihlicher Frevel«, bestätigte Parker. »Myladys Gegnern mangelt es eindeutig an einer gewissen Kultur, wie man bedauerlicherweise feststellen muß.«

»Ich werde diesen Lümmeln Manieren beibringen.« Die ältere Dame stapfte entschlossen zum Fenster, neben dem ihr Sportbogen lehnte, ergriff einen Pfeil und lud ihre Waffe.

Sie kniff die Augen zusammen, zielte kurz und schickte dann das Geschoß auf die Reise. Einen Moment später klirrte es, und die an sich solide Scheibe löste sich in ihre Bestandteile auf. Dennoch war sie stark genug gewesen, den Pfeil aufzuhalten. Er fiel zu Boden und blieb vor Myladys Füßen liegen.

Agatha Simpson blickte anklagend in die Gegend.

»Das haben Sie doch mit Absicht gemacht, Mister Parker, um mich wieder mal aus dem Konzept zu bringen«, beschwerte sie sich. »Ich bin absolut sicher, daß ich das Fenster bereits geöffnet hatte, um den Banditen auf die Sprünge zu helfen.«

»Ein bedauerliches Mißgeschick, Mylady«, entschuldigte sich Parker, in dessen Gesicht sich kein Muskel rührte und der natürlich nichts an dem Fenster verändert hatte. »Meine bescheidene Wenigkeit ging davon aus, daß Mylady ihren Gegenangriff durch die Tür führen würden.«

»Ich fürchte, Sie werden es nie lernen, Mister Parker, und ewig mein Hemmschuh bleiben.«

»Man wird sich um Besserung bemühen, Mylady«, versprach der Butler und deutete eine leichte Verbeugung an. »Darf man darauf hinweisen, daß die Angreifer offensichtlich einen Stellungswechsel vorzunehmen gedenken?«

»Tatsächlich?« Die Lady war sofort abgelenkt und wandte sich zum Fenster, um hinauszuschauen. Auf der Straße waren schemenhaft einige Gestalten auszumachen, die hinter diversen Büschen und Bäumen aufsprangen und zu einer Reihe parkender Autos hasteten, um besseres Schußfeld zu haben.

»Diesen Lümmeln werde ich den Marsch blasen.« Lady Agatha lud ihren Bogen erneut mit einem bedrohlich wirkenden Pfeil und ließ ihn von der Sehne schnellen. Gespannt verfolgte sie seinen Flug und freute sich schon im voraus auf das zu erwartende Resultat.

Der Pfeil beschrieb zunächst einen leichten Bogen und nahm dann Kurs auf eine massive Buche. Dies erschreckte einen streunenden Hund, der sich soeben für den Stamm zwecks Verrichtung eines kleinen Geschäfts entschieden hatte. Der Vierbeiner jaulte erschrocken davon, um sich ein weniger gefährliches Revier zu suchen.

»Diese Strolche haben sogar Bluthunde mitgebracht, um sie mir auf den Hals zu hetzen, Mister Parker«, empörte sich die ältere Dame umgehend, »aber ich habe die Bestien erst mal in die Flucht geschlagen, die kommen so schnell nicht wieder.«

»Gegen Myladys Verteidigungskünste ist auch für derart unkonventionelle Waffen kein Kraut gewachsen«, lobte der Butler ungeniert.

»Sie sagen es, Mister Parker.« Die Detektivin nickte zufrieden und schickte sich an, erneut abzufeuern. Sie meinte, eine Bewegung wahrgenommen zu haben, und visierte die Stelle umgehend an.

Der Pfeil machte sich auf die Reise, brachte die relativ kurze Distanz blitzschnell hinter sich und ... bohrte sich in den Reifen eines Wagens, der gerade in die Zufahrt zu Myladys altehrwürdigem Fachwerkhaus einbiegen wollte.

Der Fahrer reagierte blitzschnell, brachte seinen fahrbaren Untersatz zum Stehen, warf den Rückwärtsgang ein und stob in einer Wolke aus Staub, umherspritzenden Kieselsteinen und Grasbrocken außer Sichtweite.

»Haben Sie das gesehen, Mister Parker?« Lady Agatha setzte zufrieden ihren Bogen ab und wandte sich in Siegerpose an ihren Butler. »Die haben gedacht, sie könnten mich überlisten und mit einem Wagen einfach hier vorfahren, aber mit mir kann man so was nicht machen!«

Sie strahlte übers ganze Gesicht ob dieser souveränen Handlung und nahm dankend den Kreislaufbeschleuniger entgegen, den Parker ihr kredenzte.

»Wer stört mich denn ausgerechnet jetzt, wenn es spannend wird?« grollte sie einen Moment später, als das Telefon anschlug.

»Mister Rander und Miß Porter, Mylady«, meldete Parker höflich. »Mister Rander fragt an, ob man Mylady helfen kann. Er befand sich gerade auf dem Weg hierher, als er durch einen Pfeil gestoppt wurde, der den rechten Vorderreifen seines Wagens durchbohrte.«

»Ein Pfeil, der seinen Reifen ruiniert hat?« Die Detektivin sah Parker konsterniert an und räusperte sich. »Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, daß dieser Wagen nur dem lieben Jungen gehören kann und niemand sonst, Mister Parker? Aber Sie hörten mal wieder nicht auf mich und mußten unbedingt mit meinem Bogen schießen ...«

*

»Das ist schiefgegangen, am besten, wir putzen die Platte«, stellte eine Stimme im Gebüsch gegenüber dem altehrwürdigen Fachwerkhaus resigniert fest.

»Das hat uns aber keiner gesagt, daß die von da drüben zurückschießen«, beschwerte sich eine zweite Stimme hinter einem parkenden Möbelwagen.

»Wie dem auch sei, wir hauen ab«, äußerte sich eine dritte Stimme, die aus der Krone einer alten Kastanie kam. »Pat werd’ ich was erzählen, wenn wir zurück sind, von wegen ’n idiotensicherer Job und so.« Es raschelte im Baum, einen Augenblick später glitt eine grüngekleidete Gestalt herab und sprang geschmeidig auf den Boden.

Josuah Parker, der das Domizil seiner Herrin durch ein Nachbargebäude, das durch einen unterirdischen Gang mit Myladys Haus verbunden war, verlassen hatte, hob seine Zwille und visierte den »Grünen« kurz an. Danach verließ die hartgebrannte Tonmurmel die Gummischlaufe und sirrte nahezu lautlos durch die Luft.

Der Grüngekleidete, der ähnlich wie sein Pendant im Haus der Lady als Robin Hood verkleidet war, kiekste erschrocken auf, als ihn das seltsame Geschoß traf und umgehend für die Entstehung einer respektablen Beule sorgte. Er stöhnte laut, tastete verwirrt an die schmerzende Stelle und rutschte langsam am Stamm der Kastanie zu Boden, wo er sich einem kurzen, aber durchaus erholsamen Schlaf hingab.

»He, George, wo bleibst du denn?« erkundigte sich die Stimme hinter dem Möbelwagen ungeduldig. »Ich denke, wir wollen abhauen?«

»George ist verhindert«, teilte ihm ein gewisser Mike Rander mit, der zusammen mit dem Butler Myladys Haus auf Schleichwegen verlassen hatte. Kurz zuvor war der Anwalt mit Kathy Porter in deren Mini-Cooper eingetroffen und hatte sich sofort bereit erklärt, Parker zu begleiten.

»He, wer sind Sie denn?« Der Mann hinter dem Möbelwagen, der wie Brother Tuck aussah, der gleichfalls schon im Haus der Detektivin vorhanden war, starrte den jungen Anwalt überrascht an.

»Darf man mitspielen?« fragte Mike Rander, der verblüffend einem bekannten James-Bond-Darsteller ähnelte, lässig. In diesem Augenblick reagierte der fromme Bruder und riß seinen Knüppel hoch in der Absicht, Rander niederzuschlagen. Aber dazu kam er nicht.

Der Anwalt trat mit fast spielerisch anmutender Bewegung zur Seite, lächelte den kriminellen »Bruder« spöttisch an und ... setzte ihm seine Handkante auf den Solarplexus. Der schwergewichtige »Mönch« schnaufte beeindruckt, verdrehte die leicht vorstehenden Augen und ließ sich langsam zu Boden, sinken.

Einen Moment später lag er friedlich und produzierte höchst unmelodische Schnarchtöne, was wiederum seinen Partner hinter dem Gebüsch irritierte.

Er schob sich etwas aus dem Versteck hervor, um besser sehen zu können, und stand plötzlich dem Butler gegenüber, der höflich die Melone lüftete.

»Kann man behilflich sein?« erkundigte sich Parker formvollendet, ohne eine Miene zu verziehen, bei dem verdutzten Mann, der ihn erschrocken musterte.

»Parker mein Name, ich habe die Ehre und den unbestreitbaren Vorzug, Lady Simpson als Butler dienen zu dürfen«, stellte sich Josuah Parker vor. »Mylady bittet Sie zu einer kleinen Unterhaltung in ihr Haus, wie auszurichten sie mir auftrug.«

»Äh, nun ja, das kommt etwas überraschend ...«, stotterte der Mann, der mittelalterlich wirkende, zerlumpte Kleidung trug. »Ein andermal gern, aber jetzt habe ich leider keine Zeit.«

Er wollte sich umdrehen und verschwinden, wurde dann aber doch an dieser Absetzbewegung gehindert, was in erster Linie mit einem harten Gegenstand zusammenhing, der sich um seinen Hals gelegt hatte und auf diese Weise die Bewegungsfreiheit erheblich einschränkte. Es handelte sich dabei um Parkers Universal-Regenschirm, dessen Bambusgriff sich in diesem Fall als hinderlich oder hilfreich, je nach Perspektive des Betrachters, erwies.

Der Zerlumpte griff mit den Händen zum Hals und versuchte sich zu befreien, aber vergeblich. Schließlich sah er ein, daß er verloren hatte, und steckte auf.

»Sie haben mich überredet, Mann«, keuchte er. »Lassen Sie mich los, ich komme ja schon mit.«

»Na, Parker, auch Beute gemacht?« erkundigte sich Mike Rander einen Augenblick später, während er »Brother Tuck« vor sich her trieb. »Ich dachte, die Herren befänden sich bereits in Myladys Haus.«

»Man scheint in mehrfacher Ausführung existent zu sein, Sir«, vermutete Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Übrigens sollte man unter jener Kastanie dort drüben auch noch Mister Robin Hood II. auflesen und Mylady zu einem klärenden Gespräch überstellen.«

*

»Kenne ich diese Leute nicht?« Agatha Simpson, die gerade Kathy Porter schilderte, wie es dazu kam, daß der Reifen an Mike Randers Wagen durch einen Pfeil seiner Luft beraubt wurde, hielt inne und musterte die Neuankömmlinge stirnrunzelnd.

»Zwei der Herren sind in der Tat bereits als Duplikate Myladys Gäste«, stellte Parker gemessen fest. »Möglicherweise werden Mylady herausfinden wollen, warum die Herren in mehrfacher Ausführung auftreten.«

»Allerdings, Mister Parker, und diesmal werde ich nicht so zimperlich mit den Leuten umgehen«, grollte die Detektivin und starrte die neuen Gäste entschlossen an. »Ich möchte endlich klare Antworten auf meine Fragen haben, ich dulde keine Ausflüchte«, stellte sie fest und erhob sich.

»Irgendwas ist anders an diesen Leuten, Mister Parker«, stellte sie fest und sah die verbissen vor sich hinstarrenden Neuankömmlinge nachdenklich an. »Sagen Sie mir, was es ist, ich bin gespannt, ob es Ihnen auch aufgefallen ist.«

»Sicher spielen Mylady auf Alter und Physiognomie der Herren an«, vermutete Parker höflich. »Während die noch anwesenden Herren einen sehr jugendlichen, offenen Eindruck machen, sind Myladys neue Gäste wesentlich älter und wirken – mit Verlaub – nicht gerade vertrauenerweckend.«

»Genau das ist es, Mister Parker.« Die Detektivin nickte ihrem Butler wohlwollend zu und wandte sich an ihre neuen Gäste. »Sie haben ja gehört, was Mister Parker gesagt hat, Sie sehen alles andere als vertrauenerweckend aus. Was sagen Sie dazu?« raunzte sie Robin Hood II. an.

»Ihr Problem, Lady, nicht meines«, grinste der Mann und heulte im nächsten Augenblick. Myladys Schuhspitze hatte Kontakt mit seinem rechten Schienbein aufgenommen und sich dort schmerzhaft bemerkbar gemacht.

»Ich verbitte mir derart dreiste Antworten«, grollte sie und lächelte erwartungsvoll. »Ich hoffe, Sie geben nicht gleich auf und machen so weiter.«

»Wie bitte?« Robin Hood II. verstand nun gar nichts mehr und sah die Detektivin verwirrt an.

»So kommen wir nicht weiter, Mister Parker, ich werde andere Saiten aufziehen«, ärgerte sie sich. »Schaffen Sie die Lümmel in den Keller und bereiten Sie alles vor für ein scharfes Verhör.«

»Mylady denken an etwas Spezielles dabei?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Papperlapapp, wo diese Leute dauernd mit ihren Armbrüsten herumfuchteln ... da gab es doch diesen komischen Menschen, der damals in Schottland herumzog und Äpfel von den Köpfen schoß ... wie hieß dieser Bursche doch gleich?«

Sie sah den Butler fragend an und wartete auf die Antwort.

»Mylady meinen möglicherweise einen gewissen Mister Teil, der in der heutigen Schweiz gelebt haben soll und einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schoß«, vermutete Parker.

»Genau den meine ich, Mister Parker, das sagte ich doch auch, dieser Apfelschütze aus Schottland«, stellte sie entschieden fest.

»Die Schweiz ist in der Tat nicht allzuweit entfernt, Mylady«, zeigte sich Parker großzügig, »und daß sich Mister Teil seinerzeit nicht direkt in Schottland aufhielt, ist sicher nur auf die damals beklagenswert schlechten Verkehrsverbindungen zurückzuführen.«

»Keine Einzelheiten, Mister Parker, Sie wissen, die langweilen mich nur.« Die ältere Dame winkte ebenso energisch wie gelangweilt ab und begab sich zur Wendeltreppe, die nach oben zu ihren privaten Räumen führte.

»Ich ziehe mich nur kurz um, Mister Parker, schließlich muß alles seinen Stil haben«, verkündete sie. »Bereiten Sie inzwischen den Apfelschuß vor«, ordnete sie an und schwebte hoheitsvoll wie eine regierende Monarchin nach oben.

»Moment mal, was meint die Al... äh, will sagen, die Lady damit?« erkundigte sich Brother Tuck II. nervös, während er der entschwindenden Dame des Hauses nachsah. »Was hat sie vor, verdammt noch mal?«

»Mylady äußerte ihre Absicht bereits sehr deutlich«, gab Parker gemessen zurück. »Mylady wünscht, einen Apfel vom Kopf zu schießen, und zwar wie weiland Mister Teil mit seiner Armbrust.«

»Ha, hören Sie mal... und von wessen Kopf?« japste Brother Tuck II.

»Dies dürfte Mylady noch kurzfristig entscheiden«, vermutete Parker. »Einem von Ihnen wird – mit Verlaub – diese Ehre zukommen.«

»Sind Sie verrückt? Die Alte bringt uns doch um!« empörte sich der Zerlumpte und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Nicht unbedingt«, widersprach der Butler höflich. »Mylady übt sich zum Beispiel mehr oder weniger regelmäßig in der Kunst des Bogenschießens.«

»Und mit welchem Erfolg?«

»Die Ergebnisse zeitigen eine Besserung«, wußte Parker zu berichten. »Der Tag, an dem Mylady zum ersten Mal ins Ziel treffen wird, ist durchaus abzusehen.«

*

»Die Alte ist doch nicht ganz klar im Kopf«, beschwerte sich Brother Tuck Nr. II, »die hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn ihr mich fragt.«

»Dabei sollte das ’ne ganz einfache Sache sein«, ließ sich der Zerlumpte vernehmen. »Steve hat uns da einfach ohne Vorwarnung losgeschickt, obwohl er mit Sicherheit gewußt hat, daß das kein Spaziergang wird, wie er uns vorgemacht hat.«

»Dafür werde ich ihn zur Brust nehmen, das verspreche ich euch«, tönte Robin Hood Nr. II, »aber erst mal müssen wir hier raus.«

Das Gespräch der neuen Gäste fand in einem weiteren der unterirdisch gelegenen Appartements statt und wurde von einer Audio/Video-Anlage übertragen. Vor einem Monitor in der Halle des altehrwürdigen Fachwerkhauses standen Parker, Mike Rander und Kathy Porter und verfolgten interessiert die Unterhaltung der drei.

»Nur gut, daß Mylady das Gespräch nicht mitverfolgt hat«, schmunzelte Mike Rander. »Die drei würden sonst einige unangenehme Erfahrungen machen müssen nach diesen Komplimenten, die sie Mylady gewidmet haben.«

»Sie stehen ihnen auch so bevor«, vermutete Kathy Porter. »Ich glaube nicht, daß sie die Nerven haben, um Myladys Schauspiel mit dem Apfelschuß unbeschadet zu überstehen.

Wieso gibt es jetzt plötzlich diese Leute in doppelter Ausführung, Mister Parker?« fuhr sie fort. »Können Sie sich einen Reim darauf machen?«

»Man sollte davon ausgehen, Mylady, daß die im Restaurant vereinnahmten Gäste von kriminellen Elementen ausgenutzt wurden. Der zweite Darsteller-Trupp der Robin Hood-Bande dürfte aus Gangstern bestehen, deren Aufgabe es ist, die ahnungslosen und gutgläubigen Hauptdarsteller zu überwachen und gegebenenfalls aus dem Verkehr zu ziehen, wenn dies die Situation erfordert.«

»Sie meinen wirklich, es gibt Leute, die naiv genug sind, diesen Mummenschanz aufzuziehen, um angeblich Bedürftigen helfen zu können?« schaltete sich Mike Rander ein und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Die Erfahrung lehrt, daß nichts unmöglich ist, Sir«, bemerkte Parker gemessen. »Meine bescheidene Wenigkeit denkt in diesem Zusammenhang an sogenannte Sekten, die trotz eindringlicher Warnungen immer wieder junge Leute auszubeuten verstehen.«

»So gesehen haben Sie natürlich recht«, gab Rander zögernd zu, »und wenn ich es mir recht überlege, machen die jungen Leute, die Sie in diesem Lokal aufgegriffen haben, tatsächlich einen reichlich unbedarften, idealistischen Eindruck.«

»Möglicherweise wäre es hilfreich, eine Begegnung der beiden Darsteller-Gruppen herbeizuführen«, überlegte der Butler. »Dies könnte zu wertvollen Aufschlüssen führen.«

Er drückte einen Knopf auf der Schalttafel der Überwachungsanlage. Im Appartement des Robin Hood-Teams Nr. II summte der Türöffner unüberhörbar und offordernd.

Sofort kam Bewegung in die unfreiwilligen Gäste. Robin Hood II. legte eine Hand auf die Klinke und drückte sie vorsichtig nieder. Triumphierend sah er sich nach seinen Kumpanen um, als sich die Tür ohne weiteres öffnen ließ.

Er stieß sie auf und ... sah sich dem ersten Darsteller-Team gegenüber, das sich im angrenzenden Appartement aufhielt und ebenso überrascht war wie die Duplikate.

»Da haben wir ja die Dummköpfe, die uns das hier eingebrockt haben«, stellte Robin Hood II. fest und bewegte sich drohend auf sein Ebenbild zu, das ängstlich an die Wand zurückwich.

»Wer ... wer sind Sie, haben Sie vorhin auf uns geschossen, als wir das Haus verlassen wollten?«

Der wesentlich jugendlicher und unbedarfter wirkende Robin Hood I. sah sein Abbild verwirrt und furchtsam an und drückte sich mit dem Rücken eng an die Wand, um dort Halt zu suchen.

»Was dachtest du denn, du Grünschnabel?« Robin Hood II. sah den jungen Mann vor sich verächtlich an und lachte spöttisch. »Ich war ja gleich dagegen, daß man Amateure wie euch einspannt, aber der Boß wußte ja wieder mal alles besser. Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir euch gleich umgelegt und eure Masche einfach übernommen, anstatt euch weitermachen zu lassen.«

»Was soll das heißen?« Brother Tuck der I. schob sich vor und baute sich vor dem älteren »Robin Hood« auf.

»Na, was schon, du Schwachkopf?« höhnte der. »Daß ihr ahnungslosen Engel für unsere Zwecke ausgenutzt worden seid, was denn sonst? Glaubt ihr allen Ernstes, daß das Geld, das ihr für uns kassiert habt, jemals einem armen Schwein zugute kommt?«

»Sie meinen ... Sie wollen sagen, wir haben für Gangster gearbeitet, die uns nur ausgenutzt haben, um zu Geld zu kommen?«

»So ist es, junger Mann, aber damit ist jetzt Schluß!« grollte eine energische Stimme von der anderen Seite des Zimmers her, wo sich eine übertapezierte Tür unbemerkt geöffnet hatte, in der die Hausherrin stand und grimmig ihre unfreiwilligen Gäste musterte.

Die Detektivin hatte sich tatsächlich umgezogen und sah jetzt wie eine mittelalterliche Burgdame aus. Sie trug eine bodenlange, grüne Satinrobe und einen hohen, spitz zulaufenden Hut, der wie die Zuckertüte eines Schulanfängers aussah. Von dieser seltsamen Kopfbedeckung wallte ein Schleier herunter und umspielte die üppige Figur.

»Ich habe mich entschieden«, verkündete die Lady und wies mit theatralischer Geste auf Robin Hood II. »Sie haben die Ehre, mir bei meinem Apfelschuß zu assistieren.«

*

»Ich bin eine gelernte Schützin«, behauptete die Hausherrin ungeniert. »Gegen mich ist William Bell ein Stümper, Mister Parker wird Ihnen das gern bestätigen.«

»In der Tat dürfte Mister William Teil bei einem Vergleich zweifelsohne den kürzeren ziehen«, bestätigte Parker, während er diskret den Namen korrigierte.

»Was hat denn der damit zu tun?« stöhnte Robin Hood der Ältere, der an einem Bücherregal stand, an das ihn Parker mittels einiger Handschellen fixiert hatte.

»Besagtem Mister Teil wird jener legendäre Apfelschuß zugeschrieben, den nachzustellen sich Mylady nunmehr anschickt«, erläuterte Parker gemessen. »Sie haben die Ehre, dabei jene Rolle zu spielen, die seinerzeit Mister Teils Sohn übernommen hat.«

»Ich will aber nicht.« Der sichtlich in Panik geratene Robin Hood-Verschnitt bäumte sich auf und schüttelte den Kopf. »Das ist glatter Mord, die alte Fregatte bringt mich noch um!«

»Das war doch eine Beleidigung, Mister Parker?« freute sich die Hausherrin. »Legen Sie endlich den Apfel auf, damit ich anfangen kann.«

Sie hob erwartungsvoll eine riesige Armbrust und visierte den schlotternden Robin Hood II. an, wobei ihre Arme nicht unerheblich zitterten.

»Ich glaube, ich brauche zuvor eine kleine Kreislaufstärkung, Mister Parker«, überlegte die Detektivin und setzte die Armbrust ab. »Meine Nerven sind leider nicht mehr die besten, wie Sie wissen.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker hielt bereits seine lederumhüllte Taschenflasche in der Hand und kredenzte einen Moment später seiner Herrin den sogenannten Kreislaufbeschleuniger, einen alten französischen Cognac bester Provenienz.

»Versuchen wir es noch mal!« verkündete Agatha Simpson daraufhin munter und hob erneut die Armbrust.

»Papperlapapp«, murmelte sie und verfolgte überrascht den Flug des Pfeiles, der sich vorzeitig von der Sehne gelöst hatte und einen Moment später ins Regal über dem Kopf des anvisierten Apfelträgers bohrte.

Robin Hood der II. brüllte und zerrte an seinen Fesseln. Die Kumpane starrten betroffen auf den leicht wippenden Pfeil und schluckten hörbar. Agatha Simpson schüttelte verärgert den Kopf und wandte sich an ihren Butler.

»Was haben Sie mir da für eine Armbrust gegeben, – Mister Parker? Wie kann sich der Pfeil lösen, ohne daß ich abgedrückt habe?«

»Eine bedauerliche Panne, die sich kaum wiederholen wird«, stellte Parker höflich fest. »Myladys nächster Schuß wird gewiß sein Ziel finden.«

»Geben Sie mir aber vorher noch eine Stärkung«, verlangte sie und nahm dankbar nickend den Becher entgegen. »Ich will nicht hoffen, daß ich außer Form bin, Mister Parker.«

»Etwas, das Mylady nie und nimmer passieren wird«, wußte Parker. »Der nächste Schuß dürfte dies deutlich zeigen.«

Die resolute Lady nahm die Armbrust wieder auf und zielte mit zusammengekniffenen Augen. »Hampeln Sie doch nicht so herum!« herrschte sie den Apfelträger an. »Oder möchten Sie statt des Apfels getroffen werden?«

Das wollte Robin der Ältere auf keinen Fall. Er stand plötzlich still und schloß ergeben die Augen. Der Apfel auf seinem Kopf bot der Detektivin ruhig die Stirn ...

Eine Sekunde später nickte Lady Agatha zufrieden und setzte die Armbrust ab. Der Apfel lag, von einem Pfeil förmlich in der Mitte gespalten, am Boden.

Parker trat vor und barg die Reste und den Pfeil, der seltsamerweise keine Ähnlichkeit hatte mit dem, den seine Herrin abgeschossen hatte. Es handelte sich vielmehr um ein entschieden kleineres Exemplar, wie es der Butler zum Verschießen aus seinem Universal-Regenschirm verwendete.

Parker hatte in weiser Voraussicht seinen Schirm in das Keller-Apartment mitgebracht und durch einen diskreten Schuß daraus Myladys Bemühungen unterstützt.

»Das macht mir so leicht keiner nach«, lobte sich die ältere Dame und sah sich zufrieden um. »Das war ein Meisterschuß, das kann niemand bestreiten!«

»Ich bin beeindruckt, Mylady«, gab Mike Rander zu, der sie in den Keller begleitet hatte, und wandte sich schnell ab, um einen aufsteigenden Lachkrampf zu unterdrücken.

»Das war einfach phantastisch!« zollte Kathy Porter Beifall und preßte anschließend vorsichtshalber eine Hand auf den Mund.

»Mylady sind einfach unübertrefflich«, wußte Parker und deutete eine höfliche Verbeugung an.

»Ich werde auf kleinere Ziele umsteigen, das war doch zu einfach«, verkündete die Hausherrin strahlend. »Besorgen Sie mir bitte ein paar Nüsse, Mister Parker, ich werde Ihnen gleich mal zeigen, was eine Meisterschützin ist.«

»Mister Hood der II. steht im Augenblick leider nicht als Assistent zur Verfügung«, bemerkte Parker und deutete auf den ohnmächtig gewordenen ehemaligen Apfelträger.

»Nun, es sind ja noch andere Kandidaten da«, stellte Agatha Simpson fröhlich fest und musterte die übrigen unfreiwilligen Gäste, die daraufhin prompt einer Ohnmacht den Vorzug zu geben schienen.

*

»Ich muß unbedingt die Lady sprechen, sie ist doch wohl da, oder?« Aus der Stimme des Anrufers, bei dem es sich unzweifelhaft um Sir James Ballard handelte, klangen nervliche Anspannung und Furcht.

»Mylady ist gerade mit den vorbereitenden Arbeiten für ihren Bestseller beschäftigt«, gab Parker würdevoll zurück. »Wenn Sie sich einen Augenblick gedulden, Sir, wird man sie umgehend verständigen.«

Der Butler legte den Hörer des Telefons beiseite und begab sich über die Freitreppe in den ersten Stock des altehrwürdigen Fachwerkhauses, wo die Privaträume der Hausherrin lagen. Agatha Simpson hatte ausdrücklich darauf verzichtet, sich auch in ihrem Studio ein Telefon legen zu lassen, um ungestört an ihrem Kriminalroman arbeiten zu können, mit dem sie die Welt zu beglücken gedachte.

Schon von weitem hörte Parker, wie intensiv seine Herrin beschäftigt war. Hinter der Tür ihres Studios war die Geräuschkulisse eines Videofilmes zu hören, den Parker kurz zuvor besorgt hatte. Die Lady liebte solche Filme zu Studienzwecken, um Arbeitsweise und einschlägige Techniken ihrer »Kollegen« besser kennenzulernen. Die Vorführung des Filmes wurde allerdings malerisch unterlegt von dezentem Schnarchen.

»Was ist denn, Mister Parker, kann man in diesem Haus nicht mal ungestört arbeiten?« Lady Agatha schrak hoch, als der Butler nach mehrmaligem Anklopfen die Tür öffnete.

»Man bedauert ungemein, Mylady stören zu müssen«, entschuldigte sich Parker formvollendet, »aber Sir James ist am Telefon und wünscht Mylady in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen.«

»Ausgerechnet jetzt, wo ich gerade dabei war, eine atemberaubende Szene zu entwerfen«, seufzte die ältere Dame und richtete den Blick anklagend gegen die Decke.

»Man könnte Sir James durchaus mitteilen, daß Mylady im Augenblick nicht zu sprechen sind«, schlug Parker gemessen vor. »Meiner unmaßgeblichen Meinung nach dürfte er Verständnis dafür aufbringen und zu einem genehmeren Zeitpunkt wieder anrufen.«

»Nein, nein, Mister Parker, jetzt ist meine Konzentration im Schwinden, da kann ich genausogut mit ihm sprechen«, seufzte sie und richtete sich kopfschüttelnd auf. »Ich glaube zwar nicht, daß sein Anruf wichtig ist, aber was tut man nicht alles für Bekannte.«

»Myladys Hilfsbereitschaft und Verständnis werden nicht umsonst gerühmt«, wußte Parker. »Auch in dieser Beziehung setzen Mylady immer wieder Maßstäbe.«

»Auch, wenn es manchmal schwerfällt, Mister Parker«, gab die Detektivin zurück und strich sich müde über die Stirn. »Aber ich bin nun mal gutmütig und hilfsbereit, da kann man nichts machen.«

Sie hatte die Halle erreicht und ergriff den Hörer. »Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist, mein lieber James?« begann sie mit ihrem Bariton und warf dabei einen Blick auf die große Standuhr in einer Ecke der Halle. »Um diese Zeit pflege ich an meinem Manuskript zu arbeiten, weil ich mich dann in einer Phase schöpferischer Hochspannung befinde. Es ist gar nicht gut, eine Autorin bei ihrer Arbeit zu stören.

Was Sie nicht sagen!« bemerkte sie einen Augenblick später, als Sir James weitergesprochen hatte. »Sicher ist das eine nette kleine Falle, in die Sie mich da locken sollen, oder?«

»Ich muß doch sehr bitten, Lady Agatha, das würde ich nie und nimmer tun!« Ballards Stimme klang seltsam gepreßt und verriet nur zu deutlich seine Angst.

»Wie dem auch sei, mein lieber James, Ihr Hilferuf soll nicht ungehört verhallen«, verkündete sie und zwinkerte dem Butler, der reglos und wie die personifizierte Würde neben ihr stand, schelmisch zu.

»Wie lange brauchen wir zu Sir James’ Landsitz, Mister Parker?« wollte sie wissen, während sie mit einer Hand die Sprechmuschel abdeckte. »Sir James ist in Schwierigkeiten und möchte, daß ich sofort zu ihm komme. Das ist natürlich eine Falle, aber ich werde selbstverständlich seinem Wunsch Folge leisten und ihn befreien.«

»Man dürfte in gut einer Stunde bei ihm sein, Mylady«, vermutete Parker, »da nächtlicher Verkehr ein schnelleres Vorankommen erlauben wird.«

»Also gut, James, ich bin in Kürze bei Ihnen«, versprach sie dem späten Anrufer. »Halten Sie so lange durch, ich befreie Sie!«

*

»Sir James steckt in gewissen Schwierigkeiten?« erkundigte sich Parker gemessen, während er Mylady den Tee servierte, den er stets bereithielt.

»Das ist natürlich eine Falle, Mister Parker, ganz klar«, wußte sie und nickte überzeugt. »Diese Robin Hood-Gangster haben ihn zu dem Anruf gezwungen, um mich in ihre Gewalt zu bekommen. Ich werde ihnen zu gefährlich. Sie wissen, daß ich kurz davor bin, sie auffliegen zu lassen.«

»Mylady haben schon eine Vorstellung davon, wer hinter all dem stecken könnte?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Ich überlege gerade, ob nicht möglicherweise sogar Sir James selbst dahintersteckt, Mister Parker«, gab die Detektivin zu bedenken. »Er hat schon immer auf großem Fuß gelebt und könnte dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geraten sein. Und dann fällt mir gerade ein, daß er in seiner Jugend einer Schauspieltruppe angehört hat und wahrscheinlich mal mit dieser Robin Hood-Geschichte in Berührung gekommen ist. Vielleicht hat er damals sogar den Waldschrat gespielt, wer weiß? Ich spüre ganz deutlich, Mister Parker, daß das die Lösung ist!«

»Eine durchaus beeindruckende Indizienkette, die nur noch einiger Beweise bedarf«, stimmte Parker ihr würdevoll zu. »Was jedoch für Mylady eine Spielerei ist, wie sich der Volksmund so überaus anschaulich auszudrücken beliebt.«

»Richtig, Mister Parker, dieser Fall ist bereits so gut wie gelöst, aber das war ja auch nicht anders zu erwarten«, gab die Detektivin munter zurück. »Eines bereitet mir jedoch große Sorge, muß ich sagen.« Die ältere Dame blickte den Butler nachdenklich an und runzelte die Stirn.

»Mylady?« erkundigte sich Parker höflich.

»Was mache ich am bevorstehenden Wochenende, wenn der Fall bis dahin erwartungsgemäß aufgeklärt ist? Ich erwarte von Ihnen, Mister Parker, daß Sie sich um einen Nachfolgefall bemühen.«

»Man wird sich darum kümmern, Mylady«, versprach der Butler, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte.

*

»Was soll das, Mister Parker, warum halte ich hier?« Lady Agatha beugte sich etwas vor und starrte angestrengt in die undurchdringliche Finsternis, die nur vor Parkers hochbeinigem Monstrum von den Lichtbahnen der Scheinwerfer unterbrochen wurde.

»Mylady denken sicher daran, kurz einige Worte mit Mister Pickett zu wechseln«, vermutete Parker. »Mister Pickett hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, sozusagen als Myladys Spähtrupp hier das Terrain zu sondieren.«

»Ach, wirklich?« Agatha Simpson runzelte nachdenklich die Stirn und nickte dann überzeugt. »Richtig, Mister Parker, ich bat Sie ja, mit Mister Pickett Kontakt aufzunehmen«, erinnerte sie sich. »Sie wissen ja, wie sehr ich ihn schätze.«

Horace Pickett, ein etwa sechzigjähriger, sich vital gebender Mann, der an einen pensionierten Kolonialoffizier bester Prägung erinnerte, hatte sich bis vor wenigen Jahren seinen Lebensunterhalt durch »Eigentumsübertragung« verdient, wie er den Transfer der Brieftaschen begüterter Mitbürger in seine Obhut nannte.

Eines Tages jedoch war er auf dem Flughafen an einen Mafiaboß geraten, der nicht nur eine beträchtliche Summe Bargeld, sondern wichtige Dokumente vermißte, die er in seiner Brieftasche mitgeführt hatte.

Daraufhin hatten sich Mafiakiller auf die Spur des Eigentumsverteilers gesetzt mit der erklärten Absicht, ihm erstens die Beute wieder abzujagen und ihn zweitens mundtot zu machen. Nur dem Eingreifen des Butlers war es zu verdanken gewesen, daß Horace Pickett überlebte.

Seitdem wandelte er auf den Spuren von Recht und Ordnung und rechnete es sich zur Ehre an, dem Butler und Lady Agatha bei der Erledigung ihrer diversen Fälle zu helfen. Dabei hatte er sieh die Sympathien der Detektivin erworben, die besonders seine Manieren schätzte und seitdem immer wieder vorhatte, ihn mal zum Tee einzuladen.

»Was meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus bekannt ist«, gab Parker gemessen zurück. »Gerade deshalb war es mir eine Freude, Myladys Wunsch nachzukommen und Mister Pickett um seine Mitarbeit zu bitten.«

»Ich arbeite immer wieder gern mit ihm zusammen«, erklärte die Lady und lächelte versonnen. Sie war felsenfest davon überzeugt, daß sie tatsächlich den Wunsch geäußert hatte, Pickett hinzuzuziehen.

»Guten Abend, Mylady!« Die hintere Tür wurde geöffnet, und Horace Pickett im dunklen Umhang schob sich in den Wagen.

»Sie können Mylady bereits mit einem ersten Lagebericht dienen, Mister Pickett?« erkundigte sich Parker.

»In der Tat, Mister Parker.« Pickett holte eine Karte aus seinem Umhang, die er über die Lehne des Vordersitzes ausbreitete, um auf verschiedene Stellen zu deuten, die er mit einem Leuchtstift markiert hatte.

»Man erwartet Sie bereits, Mylady«, wandte er sich an die Detektivin, die sich neugierig über die Karte beugte. »Die Kreuze markieren die Stellen, an denen sich die Banditen postiert haben, um Sie abzufangen.«

»Nur fünf Leute?« erkundigte sich Agatha Simpson enttäuscht. »Ich muß sagen, das wird meinem Ruf nicht ganz gerecht, Mister Pickett.«

»Möglicherweise standen den Gangstern nicht mehr Leute zur Verfügung«, tröstete sie der ehemalige Eigentumsverteiler, »sonst hätte man sicher ein Dutzend Leute hierhergeschickt, um Sie abzufangen.«

»Obwohl auch das etwas knapp gewesen wäre«, stellte Lady Agatha selbstbewußt fest. »Aber gut, man soll ja nicht unbescheiden sein. Mister Parker, sagen Sie mir, was ich jetzt vorhabe, ich bin gespannt, ob Sie meine Pläne erraten.«

Agatha Simpson lehnte sich zufrieden zurück und verschränkte die Arme über der Brust. Sie hatte Parker wieder mal geschickt den Schwarzen Peter zugespielt und wartete gespannt auf seine Antwort, die nicht lange auf sich warten ließ.

»Mylady gedenken sicher, die Banditen durch ein entsprechendes Manöver zu täuschen«, vermutete Parker.

»Ganz recht, Mister Parker, damit liegen Sie gar nicht so verkehrt.« Die Detektivin nickte energisch und wartete ungeduldig, bis der Butler fortfuhr, »ihre« Pläne zu erläutern.

»Möglicherweise möchten Mylady selbst ihr Vorgehen erklären?« fragte Parker höflich nach und wartete respektvoll auf eine Antwort.

»Nein, nein, Mister Parker, fahren Sie ruhig fort, bisher sind Sie auf dem richtigen Weg!« Agatha Simpson winkte hastig ab und nickte ihm huldvoll im Rückspiegel zu.

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker, der seine Herrin genau kannte, war durch nichts aus der Ruhe zu bringen und fuhr fort, Myladys geplantes Vorgehen zu erläutern.

»Sehr schön, Mister Parker!« lobte die ältere Dame, als er geendet hatte. »So in etwa haben Sie mein Vorhaben richtig skizziert.«

»Mylady sind zu gütig«, leistete sich der Butler auch mal eine kurze Antwort.

*

»Allmählich müßte sie auftauchen.« Ein grobschlächtiger Kerl um die vierzig stand in Sir Ballards Wohnzimmer und spähte ungeduldig durch einen Spalt in der Gardine.

»Was haben Sie mit ihr vor?« Der Hausherr, der gefesselt in einem Ledersessel lag, blinzelte nervös und fuhr sich aufgeregt mit der Zunge über die trockenen Lippen.

»Na, was wohl?« Der Grobschlächtige drehte sich zum Hausherrn um und grinste. »Wir werden die Alte aus dem Verkehr ziehen, und zwar endgültig, kapiert?«

»Sie ... Sie wollen sie umbringen?« Sir James bäumte sich verzweifelt in seinen Fesseln auf und stöhnte, als die dünnen Nylonschnüre noch tiefer in sein Fleisch schnitten.

»Nicht direkt, wir sind ja schließlich keine Mörder«, stellte der Gangster fest und lachte gemein. »Wir werden ihr und diesem komischen Butler allerdings zu einem kleinen Bad im Meer verhelfen, das ist alles.«

»Sie wollen Sie also ersäufen!« Sir James schrie den Burschen förmlich an, was diesen allerdings überhaupt nicht beeindruckte.

»So, jetzt halt die Klappe, sonst muß ich dich knebeln«, drohte er statt dessen und starrte gebannt auf die sich rasch nähernden Scheinwerfer, die hinter einer Kurve der Zufahrt aufgetaucht waren und die Vorderfront des Hauses anstrahlten.

»Mein Gott, Agatha!« Sir James warf sich verzweifelt hin und her. »Es tut mir ja so leid!«

»Zu spät!« stellte der Gangster fest und baute sich hinter der Tür auf, um die späten Besucher in Empfang zu nehmen.

*

»Leise, Mister Parker, passen Sie auf, wo Sie hintreten«, ermahnte die Lady ihren Butler. »Schließlich wollen wir die Strolche doch überraschen, nicht wahr?«

»Man wird sich bemühen, Mylady«, flüsterte Parker und folgte seiner Herrin, die bereits entschlossen in den dunklen Wald eindrang.

Parker, der auch in völliger Dunkelheit über ein ausgezeichnetes Sehvermögen verfügte, bemerkte wenige Meter vor ihnen einen dunklen Schatten, der sich kaum wahrnehmbar vor dem etwas helleren Hintergrund des Waldrandes abzeichnete.

Dann sah er, wie dieser Schatten lebendig wurde und ein metallisches Blinken für einen Sekundenbruchteil aufblitzte. Parker hob seinen Universal-Regenschirm, und einen Moment später zischte ein buntgefiederter Pfeil nahezu lautlos durch die dichtstehenden Bäume und fand sein Ziel. Der Schatten stöhnte, das metallische Blinken bewegte sich auf den Waldboden zu und verharrte dort. Der Schatten selbst sackte in sich zusammen und ließ sich gleichfalls auf dem Boden nieder.

Lady Agatha hatte von allem nichts mitbekommen und bahnte sich weiter ihren Weg durch den Wald.

»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« monierte sie, als sie ihren Butler auf einmal vermißte. »Haben Sie etwa Angst? Keine Sorge, ich bin bei Ihnen, ich werde ...« Die Lady brach mitten im Satz ab, als ihr Fuß gegen etwas Weiches stieß, das vor ihr auf dem Boden lag. Sie bückte sich und tastete das Hindernis ab, dann richtete sie sich wieder auf und sah sich nach Parker um.

»Den ersten Gegner habe ich schon erlegt, Mister Parker, er ist mir sozusagen direkt vor die Füße gefallen«, verkündete sie stolz, während sie den Butler zu entdecken versuchte.

»Mylady konnte schon Beute machen?« ließ sich Parker leise vernehmen und tauchte plötzlich neben seiner Herrin auf, die unwillkürlich zusammenzuckte, als sich Parker so unerwartet neben ihr materialisierte.

»Allerdings, Mister Parker. Während Sie ohne Orientierung durch den Wald stolpern, habe ich bereits einen Banditen überwältigt«, verkündete sie noch mal. Parker bückte sich und barg diskret seinen Pfeil. »Ich hoffe, Sie wollen auch etwas zum Gelingen der Aktion beitragen und nicht alles mir überlassen.«

»Man wird sich bemühen«, versprach Parker und sah sich aufmerksam um. Horace Picketts Angaben zufolge mußte sich ein weiterer Gangster in unmittelbarer Nähe befinden und hatte mit Sicherheit längst mitbekommen, daß er nicht mehr allein war. Myladys Anschleichen mußte bemerkt worden sein und entsprechende Alarmbereitschaft ausgelöst haben.

Ein Fuchs fühlte sich gestört und beschloß, seine nächtlichen Aktivitäten ausnahmsweise zu verlegen. Er erspähte eine Lücke im Unterholz und schob sich vorsichtig an dem gewichtigen Zweibeiner vorbei, der diese fast gänzlich ausfüllte.

»Das ist ja wohl doch die Höhe!« Agatha Simpson fühlte etwas Weiches an ihren Beinen vorbeistreichen und wähnte sich von unten angegriffen. Sie hob umgehend ihren Pompadour, ließ ihn durch die Luft wirbeln und dann nach unten sausen. Mylady spürte, wie sie auf Widerstand traf.

Der Fuchs, der sich in ein nahes Gebüsch schieben wollte, spürte plötzlich, wie ihm etwas mit Urgewalt auf den Schädel fiel. Bevor er von einer mildtätigen Ohnmacht erfaßt wurde, beschloß er, ab sofort dieses gefährliche Revier zu meiden und sich ein neues, viele Kilometer entfernt, zu suchen.

»Ich hab’ wieder einen erwischt, Mister Parker«, stellte die Lady zufrieden fest und bückte sich, um nach ihrer Beute zu tasten. »Ich bin heute nacht in Hochform!«

»Stehen Sie auf, Sie Lümmel, und stellen Sie sich!« herrschte sie ihr bewußtloses Opfer an.

Der Fuchs dachte nicht daran zu antworten und träumte von einem wohlgefüllten Hühnerstall, in den er durch Zufall geraten war. Unwillkürlich schmatzte er laut und leckte sich die Schnauze bei diesem schönen Gedanken.

Das wiederum empörte die Lady, die glaubte, ihr Opfer mache sich über sie lustig. Energisch bückte sie sich, griff beherzt zu und ... richtete sich einen Moment später wieder ruckartig auf.

»Mylady haben eine Entdeckung gemacht?« erkundigte sich Parker höflich, der die seltsame Reaktion der älteren Dame in der Dunkelheit mitbekommen hatte.

»Nichts von Bedeutung, Mister Parker«, behauptete sie und räusperte sich »Ich denke, wir werden uns jetzt nach den anderen Ganoven umsehen.«

»Von denen Mylady bereits einen zweiten unschädlich machen konnte«, erinnerte Parker.

»Papperlapapp, nicht ganz, Mister Parker.« Die resolute Lady bückte sich erneut und tastete den Fuchs ab, der still und friedlich träumte.

Parker wandte sich der dunklen Gestalt auf dem Boden zu und konnte es nicht verhindern, daß für den Sekundenbruchteil so etwas wie die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht huschte, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Ein hochherrschaftlicher englischer Butler hatte sich schließlich stets und ständig zu beherrschen, auch dann, wenn seine Herrschaft versehentlich einen Fuchs niederschlug.

»Mylady haben diesen Waldbewohner vorsichtshalber aus dem Verkehr gezogen, um ihn davor zu bewahren, möglicherweise in die Auseinandersetzung mit den Gangstern zu geraten und dabei Schaden zu nehmen«, vermutete Parker höflich. »Ein bemerkenswerter Beweis für Myladys Umsicht und Tierliebe«, lobte er ungeniert.

»Nun ja, Mister Parker, es wäre doch zu schade, wenn einem Tier etwas passierte, nur weil ein paar Ganoven sich hier im Wald herumtreiben«, stellte Lady Agatha fest und nahm dankbar die Erklärung des Butlers an. »Sie wissen, ich hasse es, wenn ein Lebewesen durch die Unachtsamkeit gedankenloser Menschen zu Schaden kommt. Wir müssen endlich lernen, mit unserer Umwelt sorgsamer umzugehen, das sage ich immer wieder.«

»Ein Leitsatz, den zu beherzigen jedermann anempfohlen sein sollte,« wünschte sich Parker, während er damit beschäftigt war, den von seinem Pfeil getroffenen Ganoven mit einem Paar seiner Privathandschellen an ein nahes Gebüsch zu fesseln.

*

»Wird aber verdammt Zeit, daß Sie endlich hier auftauchen!«

Lady Agatha, die gerade den Wald verlassen hatte und auf das hellerleuchtete Haus Sir James’, das in einiger Entfernung durch die Dunkelheit schimmerte, zuging, sah sich urplötzlich einem Schatten gegenüber. Er war hinter einem Baum aufgetaucht und stellte sich ihr in den Weg.

Die massige Gestalt hielt einen länglichen Gegenstand in den Händen und richtete diesen auf Agatha Simpson.

»Sie gehören sicher zu diesen Lümmeln, die sich wie Waldschrate verkleiden und die Leute erschrecken«, stellte sie gelassen fest. »Haben Sie gar keine Angst so ganz allein nachts im Wald, junger Mann?«

»Wie bitte?« Der Gangster, der mit einer solchen Ansprache nicht gerechnet hatte, schluckte und mußte erst mal das Gehörte verdauen.

»Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie?« fauchte er, als er die Bemerkung der Lady verarbeitet hatte, und versuchte ihr den Gewehrlauf in den Leib zu stoßen.

Das hatte Mylady aber nicht gern, hob ihren rechten Schuh etwas und... trat genüßlich zu. Der Gangster spürte, wie ihm ein Bein förmlich unter dem Körper weggerissen wurde, und schrie erschrocken auf. Er ließ die Waffe fallen, warf die Arme in die Luft und ruderte in der vergeblichen Hoffnung, sein verlorenes Gleichgewicht wiederzufinden, was sich allerdings als trügerisch erwies. Hierzu trug die ältere Dame nicht unwesentlich bei.

Sie holte weit aus und ließ die Hand auf seiner Wange landen. Der Schlag ließ ihn wie einen Brummkreisel auf einem Bein wirbeln und anschließend in ein nahes Gebüsch taumeln.

Lady Agatha nickte zufrieden und hob das Gewehr ihres Widersachers auf. Fachmännisch entlud sie es und zerschlug es dann an einem Baum. Die Reste warf sie ins Gebüsch, in dem auch der Gangster verschwunden war. Mylady sorgte dafür, daß der Besitzer sein Eigentum wiederbekam ...

*

»So, jetzt geht’s los!« freute sich der Bursche, der im Haus Sir James bewachte. Der Wagen, dessen Näherkommen er in den letzten Minuten gespannt beobachtet hatte, hielt vor dem Haus. Der Motor erstarb.

»Ich hab’ ja gleich gewußt, daß die Lady schlauer ist als ihr«, freute sich der gefesselte Hausherr, der für einen Augenblick seine Angst vergaß und so etwas wie Schadenfreude verspürte.

»Halt die Klappe, mit die rechnen wir später noch ab!« zischte der Gangster, dessen Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren.

Endlich öffnete sich die Tür. Die Klinke wurde gedrückt, und der Ganove an der Wand starrte fasziniert auf das schwere Türblatt, das sich im Zeitlupentempo nach innen bewegte.

Eine kleine Kugel fiel in den Raum und rollte gemächlich über den schweren Teppich. Der Gangster sah ungläubig hinterher und wußte nicht, was dies zu bedeuten hatte.

Plötzlich explodierte die Kugel und gab Rauch frei, der fast senkrecht in die Höhe stieg. Einen Augenblick später war der Raum in grauen Nebel gehüllt, in dem man absolut nichts mehr erkennen konnte.

Der Ganove spürte, daß einiges nicht ganz nach Plan verlief. Er packte sein Gewehr fester und wollte sich durch eine Tür, die ins Haus führte, absetzen, als vor ihm schemenhaft eine dunkle Gestalt auftauchte.

»Pardon, Sir!« entschuldigte sich der Schemen, der höflich seine Kopfbedeckung lüftete und ihm freundlich zunickte, wie in dem schnell dünner werdenden Nebel zu erkennen war.

Die seltsame Gestalt erinnerte an ein bestimmtes Bild, das man dem Burschen gezeigt hatte, bevor er nach hier aufgebrochen war. Dann erinnerte er sich und wußte plötzlich, wer vor ihm stand. Er hatte aber keine Gelegenheit mehr, mit diesem Wissen etwas anzufangen.

Die Wölbung der Kopfbedeckung eines gewissen Butler Parker senkte sich und nahm innigen Kontakt mit seiner Schädeldecke auf, die ihm im nächsten Moment einen Schmerz signalisierte. Der Gangster beschloß, sich diesem Schmerz zu entziehen, und sank leise stöhnend in die Knie zu einem kleinen Schlummer. Parker fing ihn geschickt auf und deponierte ihn in einem der üppigen Sessel, nachdem er ihn zuvor mit einem Paar seiner privaten Handschellen versehen hatte.

»Man hofft, daß Sie sich den Umständen entsprechend wohl fühlen, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker beim Hausherrn, während er ihn befreite und ihm einen Becher lebensspendender Medizin reichte, den dieser zitternd entgegennahm.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, Sie hier zu haben.« Sir James leerte den Becher in einem Zug und hielt ihn Parker zum Nachfüllen hin.

»Sie brauchen sich nicht weiter zu sorgen, Sir, man hat die Situation voll im Griff«, beruhigte Parker den nach wie vor zitternden Mann.

»Nicht ganz, Parker!« Auf der nach oben führenden Freitreppe tauchte ein glatzköpfiger Kerl auf und grinste. In den Händen hielt er eine Maschinenpistole, deren Mündung auf den Butler und Sir James zeigte.

Der neue Gegner kam langsam die Stufen herab und winkte mit dem Lauf der Waffe. »Setzen Sie sich da drüben auf das Sofa, alle beide!« befahl er.

»Tja, Parker, das hätten Sie nicht gedacht, was?« fuhr er fort und lächelte höhnisch. »Als die Tür so langsam aufging, ahnte ich schon, daß da irgendwas nicht stimmte, und als ich dann die komische Kugel hereinrollen sah, wußte ich Bescheid. Ich bin dann erst mal in Deckung gegangen und habe mich oben in ein Badezimmer verzogen und in aller Ruhe abgewartet. Nicht jeder fällt auf Ihre Taschenspielertricks herein. Diesmal sind Sie an den Falschen geraten, und das wird Ihr Verhängnis sein!«

»Sie haben die Absicht, meine bescheidene Wenigkeit umzubringen?« erkundigte sich der Butler ungerührt und ohne eine Miene zu verziehen.

»Worauf Sie sich verlassen können, Parker!« Der Mann lachte leise auf und nickte zufrieden. »Sie wissen doch selbst, daß eine gewisse Organisation eine hohe Prämie auf Ihren Kopf ausgesetzt hat und auf den Ihrer Lady auch, obwohl mir nicht ganz klar ist, weshalb.« Er schüttelte ungläubig den Kopf und fuhr fort: »Wenn ich Sie so ansehe, ist es mir wirklich ein Rätsel, was an Ihnen so gefährlich sein soll... aber egal, die Prämie habe ich schon so gut wie in der Tasche.«

»Der Herr dürfte übersehen, daß sich Mylady nach wie vor auf freiem Fuß befindet«, erinnerte Parker ihn gemessen.

»Pah, die zählt doch nicht, oder glauben Sie etwa, ich hätte vor so ’ner alten Fregatte Angst? Nein, Parker, diesmal haben Sie verloren, und zwar endgültig!«

»Einmal schlägt jedermanns Schicksal«, stellte Parker gelassen fest. »Dagegen kann man sich nicht wehren. Gestatten Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann, eine letzte Zigarre zu rauchen?«

»Klar, warum nicht?« Der Gangster grinste und schüttelte wieder den Kopf. »Wirklich, Sie sind schon ’ne komische Type, Parker... na gut, rauchen Sie noch ’ne Zigarre, und dann ist Schluß, dann haben Sie keine Sorgen mehr.«

»Man bedankt sich, Sir.« Parker nickte dem Ganoven freundlich zu und zog sein Zigarrenetui aus der Tasche, um seelenruhig seine Wahl zu treffen und ein fast schwarzes Exemplar herauszunehmen.

»Darf man Ihnen auch eine Zigarre anbieten, Sir?« erkundigte er sich höflich bei Sir James und hielt ihm das Etui entgegen.

Der schüttelte schweigend den Kopf und wandte sich mit zusammengepreßten Lippen ab, um in eine Zimmerecke zu starren. Es war ganz eindeutig, Sir James hatte mit dem Leben abgeschlossen...

*

»Hier wimmelt es von Gangstern, ich bin wirklich sehr zufrieden, Mister Parker«, freute sich die Detektivin, die in diesem Augenblick den Salon betrat und sich neugierig umsah.

»Mein Gott, die alte Fregatte ist ja wirklich zum Schießen!« Der Mann mit der Maschinenpistole sah der älteren Dame kopfschüttelnd entgegen und richtete dann den Lauf der Waffe auf sie, um sie zum Näherkommen aufzufordern.

»Ich habe erwartet, daß Sie sich um die Gangster hier im Haus kümmern, Mister Parker«, monierte sie und sah den Butler mißbilligend an.

»Man wird sich um Besserung bemühen, Mylady!« versprach Parker und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarre.

»Bei euch beiden scheint ja wirklich ’ne Schraube locker zu sein«, stellte der Gangster amüsiert fest. »Ich steh’ hier mit ’ner Bleispritze, und ihr streitet euch darüber, wer wen hätte erledigen müssen. Wirklich nicht zu fassen, so was!«

Agatha Simpson musterte ihn grimmig von oben bis unten und wandte sich dann erneut an den Butler. »Der Mann hat völlig recht, Mister Parker, einigen wir uns, wer sich um diesen Lümmel kümmert. Bei der Gelegenheit stelle ich fest, daß mein Kreislauf sehr angegriffen ist.«

Sie ließ sich mit theatralischer Geste auf ein üppiges Sofa fallen. Parker verstand und holte im nächsten Augenblick die lederumhüllte Flasche aus einer der vielen Innentaschen seines Covercoats.

»Bitte, Mylady.« Formvollendet servierte er ihr den als Verschluß dienenden Silberbecher, nachdem er seine Zigarre in einem Kristallascher auf einem zierlichen Rokoko-Tischchen abgelegt hatte.

»Also wirklich, das hält man ja nicht aus!« Der Ganove mit der MPi schüttelte immer wieder den Kopf und wollte einfach nicht glauben, wie man sich angesichts einer derart tödlichen Waffe so sorglos verhalten konnte.

Parker griff nach seiner Zigarre und betrachtete sinnend den roten Kegel an ihrer Spitze. Dann nickte er zufrieden und führte sie an die Lippen, als wollte er daran ziehen. Wie zufällig zeigte dabei die Zigarrenspitze auf den Mann mit der Maschinenpistole, der wenige Meter entfernt auf der letzten Stufe der Treppe stand und ihn grinsend musterte.

Parker preßte die Zigarre am Mundstück zusammen und löste damit einen raffinierten Mechanismus aus. Aus der Zigarrenspitze löste sich ein nadelförmiger, winziger Gegenstand und raste auf den überraschten Gangster zu. Einen Moment später bohrte sich der Miniatur-Pfeil in seine Wange und ließ ihn entsetzt aufschreien.

Der Bursche ließ die Waffe fallen und griff sich an die schmerzende Stelle, die intensiv brannte und ihm das Gefühl vermittelte, an dieser Stelle ein Loch in der Wange zu haben.

»Sie sollten sich tunlichst so wenig wie möglich bewegen«, empfahl Parker ihm, während er die Maschinenpistole an sich nahm. »Ansonsten dürfte sich das Gift nur allzuschnell in Ihrem Kreislauf verteilen und dort unter Umständen irreparable Schäden verursachen.«

»Gift?!« jaulte der vor wenigen Augenblicken noch so selbstsichere Gangster. »So helfen Sie mir doch, Mann, ich will noch nicht sterben, bitte!«

»Das wurde aber auch höchste Zeit, Mister Parker, ich dachte schon, Sie würden gar nichts unternehmen«, mischte sich Lady Agatha ein und musterte den leise wimmernden Gangster schadenfroh. »Lassen Sie dieses Subjekt noch ein Weilchen schmoren, das wird die Aussagebereitschaft nur fördern.«

»Wie Mylady meinen«, antwortete der Butler in lakonischer Kürze.

*

»Den Namen habe ich schon mal gehört, Mister Parker, und ich weiß auch ganz genau, wo«, überlegte die Detektivin und musterte den Butler prüfend. »Wissen Sie es auch?«

Agatha Simpson hatte vor wenigen Augenblicken ihr Verhör beendet, das dank des »vergifteten Pfeils« aus Parkers Zigarre zu einer gewissen Redseligkeit des betroffenen Gangsters geführt hatte. Dabei war ein Name gefallen, der kurz zuvor in Myladys Haus schon mal genannt worden war, und zwar von jenen Ganoven, die der resoluten Dame als »Apfelträger« bei ihren Schießübungen dienten.

»Mylady sprechen von Mister Pat O’Hara?« erkundigte sich Parker höflich, der das erbarmungswürdige Namensgedächtnis seiner Herrin nur zu gut kannte und ihr in dieser Hinsicht immer wieder diskret weiterhalf.

»Genau den meine ich, Mister Parker. Das ist doch dieser Lümmel, der mit dem Theater zu tun hat und jetzt versucht, die Robin Hood-Geschichte in die heutige Zeit umzusetzen, oder?«

»In etwa, Mylady«, bestätigte Parker gemessen. »Allerdings meinen Mylady möglicherweise Mister Steve Maddock, der sich in der Tat im Zivilberuf als Theateragent versucht.«

»So ist es, Mister Parker, Sie sagen es!« Agatha Simpson nickte ihrem Butler ausgesprochen wohlwollend zu. »Dieser Theatermensch ist also der große Drahtzieher im Hintergrund, Mister Parker«, überlegte sie weiter und runzelte mißbilligend die Stirn. »Sehr schade, daß die hübsche Geschichte zu kriminellen Zwecken mißbraucht wurde. Die Idee, ein paar Reiche auszurauben, finde ich an und für sich nicht schlecht. Bei mir ist ja leider überhaupt nichts zu holen, ich muß mit jedem Penny rechnen. Das ist allgemein bekannt.«

»Mylady denken sicher auch daran, daß diese Idee von kriminellen Elementen übernommen wurde, um sich relativ gefahrlos und schnell zu bereichern. In diesem Zusammenhang fällt Mylady der Name des Mister O’Hara ein, der bereits zweimal als Anführer diverser Schlägertrupps, mit denen man Mylady aus dem Verkehr ziehen wollte, genannt wurde.«

»Mich kann man nicht täuschen, Mister Parker, das wissen Sie«, schwenkte die Lady sofort ungeniert um. »Ich wußte von Anfang an, daß es nur dieser O’Sonstwie sein kann, der hinter all dem steckt, der Theateragent ist doch nur eine unwichtige Marionette, die zur Tarnung vorgeschickt wurde. Einer Lady Simpson kann man doch keinen Sand in die Augen streuen!«

»Ein Manöver, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, Mylady«, gab Parker ihr recht. »Mylady lassen sich grundsätzlich zu keiner Zeit täuschen.«

»Sie sagen es, Mister Parker!« Die ältere Dame, die im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum bequem zurückgelehnt saß, nickte zufrieden und schloß die Augen, um noch zu meditieren. Wenig später kündigten sonore Schnarchtöne allerdings davon, wie intensiv dieses Nachdenken vonstatten ging.

*

Die Vorzimmerdame in dem schäbig wirkenden Büro sah irritiert auf, als völlig unerwartet zwei Besucher auftauchten, die einen seltsamen Eindruck machten, obwohl sie schon viele merkwürdige Gestalten kennengelernt hatte.

»Seid ihr etwa hinter ’nem Engagement her?« erkundigte sie sich gelangweilt, ohne die Lackierarbeiten an ihren Fingernägeln zu unterbrechen. »Kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß der Chef was für euch hat.«

»Man ist an ganz bestimmten Rollen interessiert«, erläuterte Parker, ohne den kleinen Irrtum richtigzustellen, »Genauer gesagt geht es hier um die Verkörperung diverser Figuren aus der Bande eines gewissen Mister Robin Hood.«

»Guter Gott, wollt ihr in so ’nem Stück etwa ’ne Rolle spielen? Als was denn?« Die Vorzimmerdame brach ihre Verschönerungsbemühungen ab und musterte die beiden Besucher mitleidig. »Warum geht ihr nicht nach Hause und verzehrt in Ruhe eure Rente? Die Schauspielerei ist nichts mehr für euch, ich meine es nur gut.«

Lady Agatha räusperte sich lautstark und fixierte die ältliche Empfangsdame grimmig. Die wich unwillkürlich etwas zurück und rollte ihren Drehstuhl nach hinten, um mehr Distanz zwischen sich und der Detektivin zu schaffen. Sie spürte instinktiv, daß mit dieser Besucherin nicht gut Kirschen essen war und daß sie mit ihrer plump-vertraulichen Anrede einen Fehler gemacht hatte.

»Melden Sie mich bei Ihrem Chef, und beeilen Sie sich, meine Zeit ist kostbar«, grollte die ältere Dame, während ihr perlenbestickter Pompadour mit dem darin befindlichen Hufeisen bereits in bedrohliche Schwingung geriet.

»Also, ich weiß nicht, ich glaube...« Die Vorzimmerdame kam nicht mehr dazu zu sagen, was sie wußte oder glaubte. Agatha Simpson hatte ihren Handbeutel in Marsch gesetzt und ließ ihn mit Schwung auf die schmale Barriere fallen, die als Trennwand diente. Sie bestand nur aus sehr dünnem Sperrholz, das sich dieser Belastungsprobe nicht gewachsen zeigte.

Das Holz splitterte und verwandelte sich in kleine Stücke und Späne. Einen Moment später stürzte die Barriere krachend zusammen und gab ihren Geist auf.

»Ihr Mobiliar taugt nichts, meine Liebe, Sie sollten sich dringend neues anschaffen«, stellte Lady Agatha besorgt fest und hob mahnend den Zeigefinger, um ihre Meinung zu unterstreichen.

»Ich ... ich werde es dem Chef sagen«, versprach die Eingeschüchterte und drückte sich scheu durch eine gepolsterte Tür.

»Ich habe jetzt lange genug gewartet, Mister Parker«, erklärte die Detektivin und marschierte entschlossen zu der gepolsterten Tür. Parker stand bereits daneben und öffnete sie formvollendet.

»Keine Zeit jetzt«, war eine verärgert klingende Männerstimme zu vernehmen. »Wirf die beiden komischen Figuren raus, ich will meine Ruhe haben.«

»Sie haben die Ehre und das unbestreitbare Vergnügen, sich Lady Agatha Simpson gegenüberzusehen«, verkündete Parker, während er in Richtung Schreibtisch eine Verbeugung andeutete. »Mylady wird Ihnen jetzt einige Fragen stellen, die zu beantworten Sie sich bemühen sollten.«

Der Mann hinter dem Schreibtisch erinnerte an einen ältlichen Raubvogel. Er hatte einen schmalen, kaum behaarten Schädel, aus dem die gewaltige Hakennase hervorstach. Auch die kleinen, fast schwarzen und tückisch blickenden Augen erinnerten an einen Vogel, der seine Besucher kopfschüttelnd musterte. Die Stimme war für einen Mann ungewöhnlich hoch und schrill.

»Wie kommen Sie dazu, hier einfach reinzuschneien?« ereiferte er sich, während er aufsprang und um den Schreibtisch eilte.

»Verlassen Sie sofort mein Büro, ich habe keine Zeit für Sie!«

»Das war doch sicher eine Beleidigung, Mister Parker?« erkundigte sich die Lady hoffnungsvoll und nahm Maß.

»Noch nicht ganz, Mylady, obwohl die Tendenz dorthin geht«, wiegelte Parker ab. »Sicher hat sich Mister Maddock im Übereifer im Ton vergriffen und bedauert dies bereits, zumal sich Mylady sehr für eine Robin Hood-Aufführung interessieren und diese gegebenenfalls finanziell zu unterstützen gedenken.«

»Tatsächlich?« wunderte sich Lady Agatha über ihre Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft.

»Wirklich?« staunte auch der Theateragent, während ein strahlendes Lächeln seine hageren Züge überzog. Er breitete weit die Arme aus und segelte, einem Geier ähnlicher denn je, auf die Lady zu in der unverkennbaren Absicht, sie an sich zu drücken.

»Ich muß doch sehr bitten!« Agatha Simpson brachte sich hastig hinter einem Glastisch in Sicherheit und entging so dem Gefühlsausbruch des Theatermannes. »Reißen Sie sich gefälligst zusammen«, fuhr sie fort und prüfte eine recht massiv wirkende Vase auf ihre Verwendungsfähigkeit als Schlaginstrument. »Sie werden mir jetzt meine Fragen beantworten. Ich dulde keine Ausflüchte, ist das klar?«

»Sonnenklar, Mylady. Ich werde jede einzelne Frage ausführlich beantworten«, strahlte der Agent und sah sie erwartungsvoll an.

»Sehr schön, dann können wir anfangen«, freute sich die Lady. »Warum haben Sie mir Ihre Schläger ins Haus geschickt, junger Mann?«

*

»Ich warte immer noch auf eine vernünftige Antwort«, grollte die ältere Dame nach einiger Zeit, während sie ungeduldig ihren Pompadour über den Arm hängte.

»Wirklich, Lady, ich hab’ Ihnen niemand geschickt, und schon gar nicht, um Ihnen etwas anzutun«, heulte der Agent und sah seine Sekretärin, die wie erstarrt an der Tür stand, hilfesuchend an.

Jetzt erwachte sie aus ihrer Trance und ging wütend auf die Detektivin zu. »Was soll das eigentlich, was bilden Sie sich ein? Lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe, er hat Ihnen nichts getan.«

Sie hob die Hände und hatte offenbar die Absicht, der Lady ihre frischlackierten Fingernägel durchs Gesicht zu ziehen.

Agatha Simpson wandte sich ihr zu und musterte sie erstaunt. »Regen Sie sich nicht auf, Kindchen, ich stelle Ihrem Chef schließlich nur harmlose Fragen«, erklärte sie. »Wenn Sie wollen, dürfen Sie an seiner Stelle sogar antworten.«

»Hier gibt es nichts zu antworten. Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei!« kreischte die couragierte Vorzimmerdame und sah sich nach einem Gegenstand um, den sie als Wurfgeschoß verwenden konnte.

»Was würden Sie der Polizei mitteilen wollen?« erkundigte sich der Butler gemessen, um die Situation etwas zu entschärfen. »Sie dürften sich bei dieser Gelegenheit nur selbst in durchaus vermeidbare Schwierigkeiten bringen.«

»Hausfriedensbruch«, fauchte die nach wie vor aufgebrachte Dame. »Außerdem hat man den Chef körperlich bedroht, das kann ich bezeugen.«

»Mäßigen Sie sich, Kindchen, eine Lady Simpson läßt so nicht mit sich reden.«

»Laß das, Stella, es hat keinen Sinn, früher oder später mußte es so kommen, und ich bin froh, wenn es endlich vorbei ist.«

»Sie wollen das ablegen, was man gemeinhin ein Geständnis nennt, Sir?« fragte Parker höflich zurück.

»Sie geben also doch zu, mir Ihre Schläger geschickt zu haben, damit die mich umbringen?« hakte die Lady nach. Aus ihrer Stimme klang deutlich die Enttäuschung über die Gesprächsbereitschaft des Agenten, die so gar keine Möglichkeit bot, Myladys spezieller Verhörtechnik Geltung zu verschaffen.

»Gar nichts wird er sagen!« dröhnte in diesem Augenblick eine triumphierende Stimme von der Tür her...

*

»Sie haben nicht aufgepaßt, Mister Parker, Sie hätten merken müssen, daß da noch andere Ganoven im Hinterhalt lauern«, monierte die Lady, während sie die Männer in der Tür unerschrocken musterte. »Irgendwoher kenne ich diese Subjekte«, fuhr sie munter fort und nahm ihre Lorgnette aus dem Handbeutel, um bessere Sicht zu haben. »Ich bin gespannt, Mister Parker, ob Ihnen einfällt, woher.«

»Die Herren hatten die Ehre, Mylady bei ihrem berühmten Apfelschuß assistieren zu dürfen«, erinnerte sich Parker umgehend, »das heißt, zwei der Herren durften sogar jeweils eine Nuß als Zielobjekt tragen, wenngleich sie sich der eigentlichen Schießübung entzogen, indem sie in Ohnmacht fielen.«

»Richtig, Mister Parker, und wenn Sie nicht so nachgiebig gewesen wären und die Strolche einfach in die Freiheit entlassen hätten, könnten sie mich jetzt nicht schon wieder belästigen«, stellte die Lady verärgert fest. »Sie sind einfach zu weichherzig.«

»Meine bescheidene Wenigkeit wollte Mylady die sicher nicht unbeträchtlichen Kosten ersparen, die durch einen längeren Aufenthalt der Herren in Myladys Haus entstanden wären.«

»Nun ja, Mister Parker, das ist natürlich ein Aspekt, der zählt«, räumte sie nachdenklich ein. »Ich denke, in diesem Fall kann ich noch mal verzeihen.«

»Mylady sind einfach zu gütig«, bedankte sich Parker, während er eine leichte Verbeugung andeutete.

»Sagt mal, habt ihr beide eigentlich ’n Knall oder was?« bellte einer der Männer von der Tür her. Es handelte sich um Mr. Robin Hood II., der einen Tag zuvor mit zwei weiteren Ganoven versucht hatte, die erste Robin Hood-Mannschaft beim Verlassen von Myladys Haus umzubringen. Jetzt hielt er eine Maschinenpistole in der Hand, deren Mündung drohend auf Lady Agatha und den Butler gerichtet war.

»Diesmal machen wir euch fertig«, kündigte Brother Tuck II. an, der noch sein schmähliches Abenteuer im Keller in Erinnerung hatte, als er eine Nuß auf dem Kopf balancieren sollte, die ihm Mylady herunterschießen wollte. Er wußte natürlich nicht, daß die Lady nie und nimmer geschossen hätte und das Ganze nichts als eine geschickte Inszenierung der Detektivin und des Butlers gewesen war, um sie »weichzukochen«.

Auch Brother Tuck II. trug eine gefährlich aus sehende Waffe in den Fäusten, die fast noch bedrohlicher wirkte als die Maschinenpistole seines »Kollegen«. Es handelte sich dabei um eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf.

Auch der Zerlumpte war wieder dabei. Er begnügte sich mit einer einfachen Pistole, die er in der herunterbaumelnden Hand hielt, während er grinsend die Szene beobachtete.

»Tja, jetzt sind wir aber endgültig am Drücker«, freute sich Robin Hood II. »Jetzt ist Schluß mit euren faulen Tricks, das war der letzte Fall, jede Wette drauf.«

»Sie haben die Absicht, uns in das vielzitierte Jenseits zu befördern?« erkundigte sich Parker gemessen, ohne eine Miene zu verziehen.

»Wie war das?« Brother Tuck II. blinzelte verwirrt und dachte angestrengt über den Sinn von Parkers Äußerung nach.

»Man erkundigte sich in aller Form, ob Sie die Absicht hegen, uns umzubringen«, wiederholte Parker seine Frage allgemeinverständlich, während er höflich die Melone lüftete.

»Na, und ob«, freute sich der Zerlumpte. »Diese beiden Schießbudenfiguren werden wir gleich mit erledigen, das geht in einem Aufwasch.«

»So mußte es ja kommen«, murmelte der Theateragent und schluchzte leise. »Hätte ich mich nur nie mit diesen Strolchen eingelassen.«

»Zu spät, mein Lieber, aber tröste dich, du hast’s ja bald überstanden«, bemerkte Robin Hood II. zynisch, während er die Maschinenpistole hob. »Gleich ist’s vorbei, und du merkst nichts mehr.«

»Sie wollen uns hier erschießen?« rügte Parker und runzelte andeutungsweise die Brauen. »Man dürfte die Schüsse im ganzen Haus hören, Sir, es ist noch Geschäftszeit, und im Gebäude sind eine Reihe von Büros mit den dazugehörigen Mitarbeitern untergebracht.«

»Verdammt, du hast recht«, überlegte der Gangster und senkte die Waffe. »Wer weiß, ob nicht irgend’n verhinderter Held versuchen würde, uns aufzuhalten, wenn wir abhauen wollen, oder ob nicht so’n verängstigter Trottel gleich die Bullen anruft.«

»Nach meinem bescheidenen Kenntnisstand pflegt man in solchen Fällen die Opfer in eine verlassene Gegend zu expedieren, wo man sie dann vom Leben zum Tod befördert«, erklärte Parker. »Die ehemaligen Überseedocks bieten sich da zum Beispiel an, wie man immer wieder der sogenannten Regenbogenpresse entnehmen kann.«

»Der Kerl will uns wieder reinlegen, George«, warnte der Zerlumpte, »sonst würde er keine Tips geben, wo wir ihn und die komische Alte am besten umlegen können.«

George – Robin Hood II. – dachte angestrengt über Parkers Vorschlag nach. »Also gut, fahren wir runter zum Hafen«, befahl er und nickte seinen Kumpanen energisch zu. »Er hat völlig recht, da werden wir sie am unauffälligsten los.«

»Sie sind ja verrückt, allesamt«, keuchte die Sekretärin des Agenten und stürmte zur Tür, um sich nach draußen zu drängen. »Ich will nicht sterben, laßt mich hier raus!«

»Wir können leider nicht auf dich verzichten, du weißt zuviel«, bedauerte der Zerlumpte und schleuderte sie brutal in den Raum zurück. »Keine Angst, es geht ganz schnell, du hast es bald überstanden.«

»Was soll das lange Gerede, wollen Sie uns nun umbringen oder nicht?!« grollte die Lady und funkelte die Banditen wütend an. »Halten Sie hier gefälligst kein Kaffeekränzchen ab, sondern tun Sie endlich etwas!«

*

»Meine Güte, die Kiste hätte schon vor zwanzig Jahren in die Schrottpresse gehört«, spottete der Gangster, der neben dem Butler saß. Es handelte sich um den Zerlumpten, der seine Pistole auf Josuah Parker gerichtet hielt und darauf achten sollte, daß er tatsächlich den kürzesten Weg zu den ehemaligen Überseekais einschlug.

Im Fond herrschte drangvolle Enge. Dort saßen Lady Agatha, der Agent nebst Sekretärin und die beiden übrigen Ganoven. Man hatte sich für Parkers Wagen entschieden, weil das ehemalige Taxi alle auf einmal befördern konnte, wenn es auch eng zuging.

»Was sind denn das für Schalter?« erkundigte sich der Ganove neben Parker und deutete mit der Pistole auf die zahlreichen Hebel und Knöpfe auf dem Armaturenbrett, die an das Cockpit eines modernen Düsenflugzeuges erinnerten.

»Die Marotte eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes, Sir«, gab Parker zurück, während sein Fuß nach einem kleinen Gummiball neben den Pedalen tastete. »Die meisten Schalter sind sogenannte Blindschalter ohne jegliche Funktion.«

»Naja, so hat jeder seine Macke«, zeigte sich der Gangster verständnisvoll, um im nächsten Augenblick laut zu schreien.

»Verdammt, was war denn das? Mich hat da was gestochen!« fluchte er, während er mit der Hand nach seiner schmerzenden Kehrseite tastete und diese heftig rieb.

»Die Sitze sind leider nicht mehr die besten, Sir«, entschuldigte sich Parker. »Einige Sprungfedern drücken sich immer wieder durch.«

»Ich sag’ ja, die Kiste gehört in die Schrottpresse«, stöhnte der Ganove, der sich nach wie vor sein Hinterteil rieb. »Am besten, wir versenken die Karre nachher gleich im Hafenbecken, dann ist sie endlich weg.«

Einen Augenblick später hielt er eine Hand vor den Mund und gähnte ausgiebig. »Komisch, irgendwie fühl’ ich mich auf einmal müde«, wunderte er sich und riß erneut den Mund weit auf. »Dabei bin ich doch vor ’nem Augenblick noch putzmunter gewesen.«

»Möglicherweise ein Anzeichen für einen gewissen Sauerstoffmangel«, vermutete Parker. »Sie sollten sich einfach ein wenig der Ruhe hingeben, ich werde Sie wecken, wenn wir angekommen sind.«

»Kann ich mich darauf verlassen?« gähnte der zerlumpte Ganove, um sich dann bequem zurechtzukuscheln und endgültig die Augen zu schließen. Seine Finger öffneten sich, und die Pistole plumpste auf den Wagenboden. Ein sonores Schnarchen zeigte einen Moment später an, daß der Gangster schlief.

»He, was is’ mit unserem Kumpel los?« meldete sich Brother Tuck II. aus dem Fond und beugte sich mißtrauisch vor, um seinen Kollegen heftig an der Schulter zu rütteln.

»Eine sicher nur vorübergehende Schwäche«, vermutete Parker. »Ihr Kollege dürfte das Opfer eines gewissen Sauerstoffmangels sein, der ihn ermüdet hat.«

»Ich trau’ dir nicht, du bist ’n ganz Ausgekochter«, zeigte sich der Ganove weiter mißtrauisch, während er sich zurückfallen ließ. »Ich werde dich im Auge behalten, Mann, mir machst du nichts vor.«

»Was auch keineswegs in meiner Absicht lag, Sir.« Parker war durch nichts zu erschüttern. Er betätigte eine Taste an dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett und sorgte auf diese Weise dafür, daß die Panzertrennscheibe zwischen dem vorderen Teil und dem Fond des Wagens hochschoß und einrastete.

Im nächsten Augenblick strömte ein speziell von Parker entwickeltes geruchloses Gas in den Fond und versetzte die Insassen in einen Schlaf.

Inzwischen hatte das hochbeinige Monstrum den verwahrlost wirkenden Teil des Hafens erreicht. Parker steuerte es hinter einen zusammengefallenen Schuppen und stieg aus, um seine Fahrgäste zu versorgen. Als diese wieder zu sich kamen, lehnten sie an der Bretterwand und trugen solide Handschellen aus Parkers Privatbeständen.

»Mußten Sie mich auch betäuben, Mister Parker?« beschwerte sich die Lady, während sie sich aus den Polstern des Fonds schob und heftig den Kopf schüttelte, um ihre Benommenheit zu vertreiben.

»Mylady mögen verzeihen, aus technischen Gründen ließ es sich leider nicht umgehen, daß Mylady in Mitleidenschaft gezogen wurden«, entschuldigte sich Parker, während er seiner Herrin einen Kreislaufbeschleuniger reichte, den sie dankbar nickend entgegennahm und in einem Zug leerte.

»Ich kann’s nicht glauben«, schüttelte der Theateragent den Kopf und sah scheu zu den gefesselten Ganoven hinüber, die wütend zurückstarrten.

*

Pat O’Hara patrouillierte durch seine Villa und kontrollierte die Vorbereitungen für die große Party, die er in der Nacht geben würde. Dies war der entscheidende Punkt in seiner Karriere, er hatte es endlich geschafft und sich durch geschickte Aktionen das Vertrauen der Mafia-Bosse erworben. Während der großen Feier sollte er offiziell in sein »neues Amt« eingeführt werden und einen Teil Londons als eigenen Geschäftsbereich zugewiesen bekommen.

Er schritt langsam an dem kalten Büffet entlang und musterte zufrieden die Köstlichkeiten, die dort aufgehäuft waren. Er hatte keine Kosten gescheut und sogar aus den Pariser Markthallen diverse Delikatessen in einem gecharterten Privatjet einfliegen lassen. Pat O’Hara wußte schließlich, was sich gehörte und was man der »Firma« schuldig war.

Dann ließ er die Mädchen rufen, die während der Party bedienen sollten. Er unterzog sie einer kritischen Prüfung. Es handelte sich um Damen des horizontalen Gewerbes, die sonst in dem Bordell eines guten Bekannten tätig waren und dort die Angehörigen der High-Society verwöhnten.

Auch in diesem Punkt wollte sich O’Hara nichts nachsagen lassen. Die Mädchen waren samt und sonders eine Augenweide und sahen in ihren schwarzen Kleidchen und den weißen Spitzenschürzen einfach hinreißend aus.

O’Hara nickte ihnen zufrieden zu und schickte sie in die Küche zurück, wo sie sich bis zum Beginn der Feier aufhalten sollten. Leise vor sich hinpfeifend, stieg er die breite Freitreppe zu seinen Privaträumen hinauf, um sich frisch zu machen und umzuziehen.

*

Der Mann, der Parker die Tür öffnete, starrte den Butler bewundernd an und musterte ihn ausgiebig. Josuah Parker stand vor der Tür zu Pat O’Haras Villa und hatte per Klingelzeichen Einlaß begehrt. Grund dafür war ein Rollentausch, von dem nur er und der Kollege wußten, dessen Platz er an diesem Abend einnehmen wollte.

Der Butler hatte von Horace Pickett von der bevorstehenden Feier im Haus des zukünftigen Mafia-Regionalfürsten erfahren und einen Plan aufgebaut, der dazu führen sollte, O’Hara unmöglich zu machen und so seine bereits feststehende »Beförderung« doch noch zu verhindern. Diskrete Recherchen hatten Parker Name und Adresse eines Berufskollegen geliefert, den er durch Zahlung einer großzügigen Entschädigung dazu überredete, ihm seinen Platz zu überlassen.

»O Mann, Sie sehen aber echt stark aus.« Der Gangster, um den es sich offensichtlich handelte und der Parker geöffnet hatte, staunte den Butler noch immer mit aufgerissenen Augen an.

»Würden Sie die Güte haben, mich eintreten zu lassen?« erkundigte sich Parker gemessen und lüftete andeutungsweise die Melone. »Wie Sie unschwer erkennen können, bin ich der Butler, den Ihr Herr für diesen Abend engagiert hat.«

»Klar doch, Mann, kommense rein.« Der Türöffner trat zur Seite und ließ Parker in die riesige Halle treten, die sich durch ihre protzige und mehr als geschmacklose Einrichtung auszeichnete. Parker verzog selbstverständlich keine Miene, während er die Vergewaltigung des guten Geschmacks in Augenschein nahm.

»Wenn Sie mir jetzt bitte die Küche zeigen würden?« bat er, während er sich an den hinter ihm wartenden Mann wandte.

»Was woll’n ’se denn da, ich denk’, Sie sin‘ der Typ, der bedienen soll un’ so«, wunderte sich der stiernackige und ganz eindeutig bewaffnete Mann.

»Meiner bescheidenen Wenigkeit obliegt es, den Gesamtablauf des heutigen Abends zu steuern und zu überwachen«, erklärte Parker würdevoll. »Dazu gehört auch, daß die entsprechenden Vorbereitungen getroffen sind, um einen fehlerfreien Ablauf zu gewährleisten.«

»Na, wenn das so is’...« Der Stiernacken steuerte über den Korridor und stieß am Ende eine Tür schwungvoll auf.

»Achtung, Mädchen, hier bring’ ich euch den neuen Boß, wenigstens für heute abend«, verkündete er und lachte schallend. »Daß ihr ihn nicht verführt, der würd’ das nich’ überleben, glaub’ ich.«

»Sie verfügen über einen recht ungewöhnlichen Humor, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten«, rügte Parker und schob den Schläger sanft beiseite. »Sie dürfen sich jetzt entfernen, ich möchte den Damen ihre Instruktionen geben.«

»Damen, daß ich nich’ lache ...«, kicherte der Gangster, entfernte sich dann aber wunschgemäß und schlug die Tür hinter sich zu.

»Sind Sie wirklich ’n echter Butler, oder haben Sie sich nur so gestylt?« erkundigte sich eine schlanke Blondine, deren schwarzes Kleid die üppige Figur beängstigend überspannte.

»Meine bescheidene Wenigkeit darf auf eine lange Reihe von Jahren als Butler zurückblicken«, bemerkte Parker steif. »Hingegen scheinen gewisse Zweifel an Ihrer Berufung durchaus angebracht zu sein, wenn Sie mir diese Bemerkung verzeihen wollen.«

»Wir haben auch unsere Qualitäten, vielleicht kommen wir im Lauf des Abends noch darauf zurück?« Eine grazile Farbige drängte sich vor und posierte herausfordernd vor Parker, indem sie die Hände in die vorgeschobenen Hüften stützte.

»Wenn man nunmehr Ihre Pflichten heute abend einer näheren Betrachtung unterziehen dürfte«, wollte der Butler auf sein Anliegen zu sprechen kommen, wurde aber prompt wieder unterbrochen.

»Keine Angst, Süßer, die kennen wir schon«, kicherte eine dunkelhaarige junge Dame, die sich gekonnt in Positur warf und eine recht anzügliche Geste mit den Händen vollführte, was bei ihren Kolleginnen einen Heiterkeitsausbruch hervorrief und den Butler zwang, mit seinen Erläuterungen zu warten, bis sich das allgemeine Gelächter gelegt hatte.

*

Die Stimmung erreichte schnell einen gewissen Höhepunkt. Vier Herren, die Parker unschwer als die kriminellen Herren der Londoner Szene identifizierte, hielten allerdings mit dem Alkoholkonsum zurück und nippten nur von Zeit zu Zeit an ihren Gläsern.

Sie standen mit dem Hausherrn in einer Ecke der Wohnhalle und schienen ein sehr freundschaftliches und heiteres Gespräch zu führen. Nur wer so genau wie der Butler hinsah, erkannte, daß die Unterhaltung durchaus ernster Natur war. Wahrscheinlich erhielt O’Hara letzte Instruktionen, was seine neue Laufbahn als Regionalboß betraf.

Kurze Zeit später war das Gespräch beendet, und der Hausherr kam auf Parker zu. »Sorgen Sie dafür, daß jetzt das Dinner aufgetragen wird«, befahl er.

Parker verbeugte sich höflich und gab einer der Serviererinnen, die in der Nähe der Tür standen, ein unauffälliges Zeichen. Einen Moment später rollten sie diverse Servierwagen in den Raum und begannen, die Teller der Gäste zu füllen.

Der Hausherr persönlich bat die vier Herren, mit denen er kurz zuvor im Gespräch vertieft war, zu Tisch und rückte ihnen die Stühle zurecht. Die Serviererinnen hatten inzwischen die Teller mit Krebsschwanzsuppe gefüllt und zogen sich auf ein Zeichen von Parker diskret zurück.

Die Gäste ließen sich nicht lange bitten und griffen zu ihren Löffeln. Gleich darauf war nur noch diverses Klappern, begleitet von einem gelegentlichen dezenten Schlürfen, zu hören.

Josuah Parker hatte sich gleichfalls etwas zurückgezogen und beobachtete die Szene aufmerksam. Er wartete auf eine gewisse Reaktion, die jeden Augenblick erfolgen mußte.

Sie kam in Form einer Frage, die einer der Geladenen etwas später stellte, recht lautstark und mit unüberhörbar angewidertem Ausdruck in der Stimme.

»Verdammt, was ist das denn?« Ein Unterboß starrte auf seinen Löffel und musterte dessen Inhalt, der ihn nicht eben zu begeistern schien, was Parker übrigens gut verstehen konnte.

Der Nachbar des verstörten Gastes warf einen kurzen Blick auf dessen Löffel, stutzte, tauchte seinen in den Inhalt seines Tellers und hielt diesen prüfend gegen das Licht, das die Kristallüster spendeten.

»Das sind ja Spinnen!« schrie er einen Augenblick später und schleuderte den Inhalt seines Löffels entsetzt von sich. Der gegenübersitzende Gast fand das gar nicht gut, da ihn die Suppe ins Gesicht traf und ihm nachhaltig die Sicht raubte. Seine Brille überzog sich mit einem fettigen Film, während gleichzeitig etwas von der köstlichen Brühe auf seine gestärkte Hemdbrust tropfte und dort sich schnell ausbreitende Flecken hinterließ.

Der hinter ihm stehende Leibwächter mochte diese Beleidigung seines Vorgesetzten nicht hinnehmen und machte sich auf den Weg, den Missetäter zu strafen. Er eilte um die Tafel herum, stand einen Moment später neben dem schreckensbleichen Suppenschleuderer und tauchte dessen Kopf schwungvoll in seinen Teller ...

Als er endlich losließ und sein Opfer den Kopf mühsam hob, sahen alle, daß er mit seiner Äußerung durchaus recht hatte. Von seinem Kopf tropfte nicht nur Suppe auf Tisch und Anzug, auch kleine schwarze Spinnen fielen auf die weiße Damastdecke und blieben dort reglos liegen.

Ein empörter Aufschrei ging durch die Reihen der Gäste und ließ sie wie auf Kommando aufspringen. Dabei geriet der Tisch ins Wanken und ließ eine Reihe von Tellern überschwappen, die ihren Inhalt großzügig über Decke und Fußboden verteilten und auch die Kleidung der Gäste nicht vergaßen.

O’Hara eilte kreidebleich um den Tisch herum und wischte seine Chefs mit großen Damastservietten sauber, wobei er pausenlos Entschuldigungen murmelte.

Dann winkte er wütend Parker herbei und drängte ihn in eine Ecke. »Was, zum Teufel, ist mit der verdammten Suppe los?« zischte er und funkelte den Butler zornig an. »Ich denke, Sie haben alles kontrolliert, dafür sind Sie doch schließlich da, oder?«

»Durchaus, Sir. Meine bescheidene Wenigkeit hat tatsächlich den Inhalt des Topfes begutachtet und darin Bestandteile ausgemacht, die man für die Krabben hielt. Man scheint Ihnen einen üblen Streich gespielt zu haben, Sir, oder der Lieferant hat minderwertige Ware verausgabt. Man sollte möglicherweise dem Gewerbeaufsichtsamt Mitteilung machen, bevor noch mehr unappetitliche Produkte in Umlauf kommen, Sir.«

»Reden Sie keinen Unsinn, Mann, ich werd’ die Leute beruhigen, und Sie sorgen dafür, daß der nächste Gang aufgetragen wird.« O’Hara drehte sich abrupt um und wandte sich an seine Gäste, um die kleine Panne herunterzuspielen und anzukündigen, daß eine um so größere Delikatesse auf sie warte.

Josuah Parker wußte natürlich, wie die Spinnen in die Suppe gekommen waren. Horace Pickett war ihm bei der Beschaffung besonders lebensecht wirkender Nachbildungen behilflich gewesen, die der Butler in der Küche persönlich in die bis dahin tadelsfreie und wirklich köstliche Suppe appliziert hatte...

Er gab den wartenden Mädchen erneut ein Zeichen und sorgte für den Fortgang des Dinners. Die Gäste hatten sich beruhigt und die Erklärung des Hausherrn, es habe sich bei den vermeintlichen Spinnen um eine besonders köstliche und exotische Krabbenart gehandelt, akzeptiert. Inzwischen waren wieder die Tischgespräche im Gang, und man wartete entspannt auf den nächsten Gang

*

Parker ließ Ersatz auftragen. Er hatte in der Küche Köstlichkeiten vorgefunden, die hierzu bestens geeignet waren. Allerdings hatte er sich auch in diesem Fall erlaubt, einige Präparierungen vorzunehmen, nachdem er die Serviererinnen hinausgeschickt hatte.

Die Gäste bekamen jetzt gebutterte Toastscheiben, Kaviar und geeiste Austern und Muscheln serviert. Die Delikatessen wurden mit beifälligem Gemurmel aufgenommen und erfreuten sich regen Zuspruchs.

Einer der Unterführer hatte bemerkenswertes Glück. Er hatte gerade die Schalen seiner Muschel geöffnet, als ihm auch schon ein gewisses Funkeln und Glänzen auffiel. Dann sah er deutlich, wodurch es verursacht wurde. Er stöhnte leise und bekam genau jenes Glänzen in die Augen, das ihm aus dem Innern der Muschel entgegenfunkelte.

Er steckte einen Finger gierig hinein und angelte nach der Perle, die er dort entdeckt hatte. Ein gewisser Josuah Parker hatte seinem Glück übrigens etwas nachgeholfen und die – falsche Perle hineinpraktiziert.

Es war auch Parker, der diese Muschel mit einer weiteren Besonderheit versehen hatte, nämlich einem Schließmechanismus, der auf genau jene Manipulationen reagierte, wie sie das Eindringen eines fremden Gegenstandes, in diesem Falle des Fingers, darstellte.

Dieser von dem Butler selbst ersonnene Mechanismus sorgte dafür, daß sich die beiden Hälften der Muschel ruckartig schlossen und den eingeführten Finger des glücklich vor sich hinlächelnden Gangsters einklemmten. Der Mann schrie entsetzt und zerrte an seinem schmerzenden Finger. Er sprang auf, schlenkerte die Hand durch die Luft und kreischte dazu in den höchsten Tönen.

Die übrigen Gäste sahen irritiert auf, erkannten die Ursache der urweltlichen Geräusche und gaben sich unisono einem kleinen Heiterkeitsausbruch hin, der die alte Volks Weisheit bestätigte, daß Schadenfreude die größte aller Freuden ist.

Während der in die Klemme geratene Gast um seinen Finger kämpfte, hatte ein anderer Probleme mit dem Kaviar. In seinem Fall handelte es sich übrigens um einen der vier hohen Herren, der sich an diesen Fischeiern delektieren wollte.

Er schaufelte sich einen Löffel voll, schob ihn in den Mund und begann genüßlich zu kauen. Plötzlich hielt er inne und zwängte vorsichtig einen Finger in den Mund. Er betastete einen Backenzahn und überprüfte, ob sich dieser eventuell gelöst oder sonstwie Schaden genommen hatte.

Da die Frage zu seiner Erleichterung verneint werden konnte, unternahm er einen erneuten Versuch, den Kaviar zu verarbeiten. Diesmal spürte er es ganz deutlich. Seine Zähne stießen auf erheblichen Widerstand und zogen sich einen gewissen Schmerz beim Aufeinandertreffen mit dem Kaviar zu. Der irritierte Gast spie ihn diskret aus, nahm eines der winzigen Kügelchen zwischen zwei Finger und untersuchte es sorgfältig.

Wenig später zeigte seine Miene deutliche Anzeichen einer gewissen Verärgerung. Er warf das Kügelchen auf einen Teller, wo es mit deutlichem Klirren aufprallte und bewies, daß es außergewöhnlich hart sein mußte. An der Stelle, wo es aufgeprallt war, platzte etwas von dem alten Porzellan ab und bildete einen kleinen Krater.

Der herbeigeeilte Gastgeber nahm verblüfft das vermeintliche Kaviarstück zur Hand und begutachtete es seinerseits. Was er feststellte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Das angebliche Fischei erwies sich als Kunstprodukt von bemerkenswertem Härtegrad und war für den Verzehr ungeeignet, ganz abgesehen davon, daß es ihm auch an Geschmack mangelte.

Pat O’Hara suchte den Butler, aber bevor er ihn fand, wurde er bereits wieder abgelenkt.

Ein anderer Gast hatte Ärger mit seiner Auster bekommen. Dieses an sich recht köstliche Meeresgetier hatte sich ihm gegenüber sehr unbotmäßig benommen. Während der Mann gerade genüßlich seinen Löffel in das Fleisch besagter Auster tauchte, war diese im wahrsten Sinn des Wortes explodiert. Die Fragmente der Auster flogen dem verdatterten Gast buchstäblich um die Ohren und verunreinigten seinen Smoking.

Auch hier zeigte sich der Einfallsreichtum des Butlers. Er hatte die Austern mit einer winzig kleinen Sprengladung versehen, die zwar keinen Schaden anrichten, jedoch das jeweilige Tier bei Druckeinwirkung auseinanderspritzen ließ.

Der betroffene Gast fand das gar nicht lustig. Er sprang wütend auf und wischte mit einer Serviette über seinen bekleckerten Anzug. Er wehrte den Gastgeber wütend ab und stieß ihn sogar heftig zur Seite, als dieser ihm bei der Reinigung seiner Kleidung behilflich sein wollte.

O’Hara geriet ins Schwitzen und wischte sich mit einem blütenweißen Taschentuch über die Stirn. Wenn sich der weitere Abend so gestaltete, wie er begonnen hatte, war seine Karriere früher beendet, als er gehofft hatte, nämlich noch an diesem Abend. Dabei hatte er genau das Gegenteil feiern wollen, nämlich den Beginn eines kometenhaften Aufstiegs, von dem er bis jetzt felsenfest überzeugt gewesen war.

*

»Dürfte ich einen Augenblick um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten?« fragte Josuah Parker und wandte sich an einen Mann mittleren Alters, der den Hinterausgang der Villa bewachte. Er saß an einem Tisch und blätterte in einem Magazin mit zweideutigem Inhalt.

Er sah verärgert ob der Störung auf und musterte den Butler stirnrunzelnd.

Parker deutete auf das silberne Tablett, das er ihm entgegenhielt, und bat ihn, sich dieses näher anzusehen. Der verblüffte Türwächter kam der Aufforderung ohne zu überlegen nach und machte einen Moment später nähere Bekanntschaft damit.

Parker zog das Tablett blitzschnell zurück, hob es an und ließ es diskret auf den Hinterkopf des Mannes fallen. Er fing den Mann auf und transportierte ihn in eine in der Nähe gelegene Abstellkammer, wo er ihn mit Handschellen an ein Heizungsrohr anschloß und so am Verlassen des Raumes hinderte.

Dann begab er sich gemessenen Schrittes zur Hintertür und öffnete sie. Gleich darauf schlüpften mehrere seltsam gekleidete und vermummte Gestalten an ihm vorbei und sammelten sich auf dem Gang, der ins Innere des Hauses führte.

Ein gewisser Robin Hood war merkwürdigerweise zweimal vertreten. Zum einen gab es da eine gertenschlanke, sehr drahtig wirkende Ausgabe, wie sie durchaus dem üblichen Klischee der Figur entsprach. Dann gab es da aber auch noch einen sehr stattlich gebauten Robin Hood, der von der Figur her eher an eine Walküre denn an den bekannten Waldläufer erinnerte.

Gerade dieser stattliche Hood war es, der ungeduldig mit den Füßen scharrte und sich mit baritonal gefärbter Stimme an den Butler wandte.

»Wo sind diese Subjekte, Mister Parker, ich möchte Ihnen endlich eine Lektion erteilen«, grollte diese Gestalt und ließ einen seltsam geformten Gegenstand durch die Luft sausen, der sich bei näherem Hinsehen als ein Pompadour entpuppte, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende gern zur Aufbewahrung diverser Kleinigkeiten verwendet hatten. Die Wucht, mit der dieser Handbeutel durch die Luft sirrte, ließ darauf schließen, daß sein Inhalt keineswegs harmloser Natur war.

Parker deutete eine Verbeugung an und bat die neu eingetroffenen Gäste, ihm zu folgen. Weitere Wächter waren übrigens nicht zu befürchten, da diese zwar durchaus anwesend waren, von Parker jedoch rechtzeitig mit einem Kaffee besonderer Art versorgt worden waren. Sie schliefen samt und sonders tief und traumlos und waren erst vor wenigen Minuten in diversen Nebenräumen untergebracht worden.

»Ich hoffe, es wird sich lohnen«, sorgte sich der füllige Robin Hood. »Schließlich möchte man seine Zeit nicht vergeuden.«

Parker blieb vor einer hohen, zweiflügeligen Tür stehen und verbeugte sich erneut vor den vermummten Gestalten. Dann öffnete er sie weit und betätigte einen großen Gong, der direkt neben der Tür an der Wand hing und normalerweise der Ankündigung der Mahlzeiten diente.

Parker ließ den Klöppel kraftvoll auf die auf Hochglanz polierte goldene Scheibe fallen und wartete, bis sich die Köpfe sämtlicher Anwesender ihm zugewendet hatten.

»Mister Robin Hood und seine Bande«, verkündete er gemessen. »Man wünscht, Sie um Ihre Wertsachen zu erleichtern, und bittet um freundliche Herausgabe derselben, wie mitzuteilen man mir auftrug.«

»Und sollte sich jemand nicht davon trennen können, sind wir ihm gern behilflich«, ergänzte der rundliche Robin Hood mit dröhnender Stimme und drängte sich an Butler Parker vorbei in den Raum.

Er blieb am Kopfende des festlich gedeckten Tisches stehen und ließ den Pompadour darauf niedersausen. Eine Terrine, die mit einer pikanten Sauce gefüllt war, sprang hoch in die Luft, entließ ihren Inhalt in die Freiheit und landete wieder klirrend auf dem Tisch, während sich die Sauce auf diverse Kleidungsstücke verteilte.

*

»Das wird Folgen haben, mein Lieber!« Der ältere, weißhaarige und ein wenig an einen liebenswerten Großvater erinnernde Mann funkelte den bleichen Gastgeber wütend an und schob sich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei aus der Tür. Auch die übrigen Gäste machten aus ihrer Verstimmung kein Hehl. Je nach Temperament bekundeten sie dem entnervten O’Hara mehr oder weniger deutlich, daß seine Tage in der Organisation gezählt wären und er gut daran täte, möglichst umgehend in ein weit entferntes Land zu verziehen.

Vom Parkplatz erscholl plötzlich wüstes Geschrei, einen Moment später waren die ersten Gäste wieder zurück.

»Kommen Sie sofort, Sie Versager!« brüllte einer der Oberbosse aufgebracht.

In böser Vorahnung begab sich der Hausherr nach draußen. Ein flüchtiger Blick genügte ihm, um ihn endgültig weich in den Knien werden zu lassen.

Am Rande des Parkplatzes lagen in langer Reihe nebeneinander die Chauffeure der diversen Luxuskarossen. Die Leute waren mit Handschellen aneinander gefesselt und scharchten mehrstimmig.

Aber das war es nicht allein, was erneut den Zorn der ohnehin schon sehr erregten Gäste verursacht hatte. Ihre teuren Fahrzeuge präsentierten sich in einem alles andere als fahrbereiten Zustand.

Die Wagen waren samt und sonders auf Backsteine gesetzt und ihrer Räder beraubt worden. Diese befanden sich etwas weiter entfernt auf einer nahen Wiese, die von einer Pannenleuchte notdürftig erhellt wurde.

Auf der Spitze eines Stapels an Rädern stand eine Schaufensterpuppe, die von der Aufmachung her an einen gewissen Robin Hood erinnerte. In der Faust hielt sie eine Emily, die sagenumwobene Kühlerfigur, die jeden Rolls-Royce ziert. Diese Kühlerfigur vermißte der Vorsitzende der Mafia-Gruppe, der das Entfernen der Emily von seinem Wagen als ausgesprochenes Sakrileg empfand und dies dem Gastgeber in deutlichen Worten mitteilte.

Pat O’Hara drehte sich langsam um und ging resigniert in seine Villa zurück. Er hatte die Absicht, einige Koffer mit dem Notwendigsten zu packen und dann England zu verlassen, um in einem anderen Teil der Welt, in dem man ihn nicht kannte und der von der Mafia bislang verschont geblieben war, ein neues Leben anzufangen, bevor man ihn hier endgültig aus dem Verkehr zog.

Zuvor jedoch, das schwor er sich, würde er diejenigen, die ihm diese Niederlage eingebrockt hatten, jagen und zur Strecke bringen ...

*

»Ich komme wirklich ganz zufällig vorbei«, schickte der Chief-Superintendent voraus, »und gefrühstückt habe ich auch schon, Mylady.« McWarden schob sich an Parker vorbei in die große Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market und nickte der Hausherrin, die gerade beim Frühstück saß, freundlich lächelnd zu.

»Das ist ja ganz was Neues«, wunderte sie sich und sah ihn mißtrauisch an. »Hat das vielleicht etwas zu bedeuten?«

»Keinesfalls, Mylady. Ich war wirklich ganz zufällig in der Nähe und Wollte Ihnen bei dieser Gelegenheit einen guten Tag wünschen und Ihnen vielleicht eine nette kleine Geschichte erzählen.«

»Wenn es Sie befriedigt, erzählen Sie schon, ich höre Ihnen ausnahmsweise zu.«

»Darf man Ihnen etwas Tee und einen Sherry anbieten, Sir?« erkundigte sich Parker höflich, während er bereits das Angebotene vor dem Yard-Beamten abstellte. »Sie haben einen bestimmten Grund, Mylady eine bestimmte Begebenheit erzählen zu wollen?«

»Ich bin nicht sicher, Mister Parker, aber Mylady wird bestimmt ihren Gefallen an meiner kleinen Anekdote finden«, begann McWarden launig, während er den Sherry genoß, was die ältere Dame stirnrunzelnd zur Kenntnis nahm.

»Ich habe heute morgen zufällig den Bericht von Kollegen gelesen, die in Belgravia ihr Revier haben«, begann der Chief-Superintendent und lächelte versonnen. »Es scheint da letzte Nacht zu einem Zwischenfall gekommen zu sein.«

»Werden Sie endlich deutlicher, mein Lieber, oder ist das ein neues Ratespiel?« grollte Lady Agatha und musterte McWarden pikiert.

»In der fraglichen Straße, in der sich dieser Zwischenfall abgespielt haben muß, hat ein gewisser Pat O’Hara seine Villa«, fuhr der Chief-Superintendent fort. »Kennen Sie ihn zufällig, Mylady?«

»Nun ja, irgendwie kommt mir dieser Name tatsächlich bekannt vor«, überlegte sie und sah Parker hilfesuchend an. »Ist das nicht dieser berühmte Jockey, der erst letzte Woche wieder das Rennen in Ascot gewonnen hat?«

»In etwa, Mylady«, bestätigte Parker und verbeugte sich andeutungsweise. »Mister O’Haras Name war des öfteren in den Zeitungen zu lesen im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten. Mister O’Hara gilt als einer der ›Kronprinzen‹ der kriminellen Szene Londons und soll sich dem Vernehmen nach des Wohlwollens der Mafia-Oberen erfreuen.«

»Wußte ich’s doch!« behauptete Agatha Simpson ungeniert und nickte energisch. »Genau, was ich gesagt habe, Mister Parker. Und was ist nun mit diesem Subjekt, mein lieber McWarden?«

»Er scheint in der letzten Nacht etwas Pech gehabt zu haben«, berichtete McWarden und lächelte ausgesprochen schadenfroh. »In dem Bericht meiner Kollegen heißt es, daß er eine Party gab und während des Gelages die Wagen seiner Gäste ihrer Räder beraubt wurden.«

»Wie unangenehm«, fand Lady Agatha und beugte sich interessiert vor. »Weiß man schon, wer die Übeltäter waren?«

»Leider nein, Mylady, übrigens wurde nicht mal Anzeige erstattet. Meine Kollegen kamen nur deshalb darauf, weil sie Auftrag hatten, O’Haras Anwesen auf ihrer Streife unauffällig im Auge zu behalten. Wir wissen schließlich, welche Rolle der Kerl in der Unterwelt spielt. Den Kollegen fiel auf, daß auf einmal eine Reihe von Taxis zur Villa fuhr. Dabei entdeckten unsere Leute die Wagen, die allesamt keine Räder mehr hatten; lauter sehr teure Autos, nebenbei bemerkt, die Herren Gangsterbosse wissen eben zu leben.«

»Weil sie von unserer unfähigen Polizei nichts zu fürchten haben«, konterte die Lady und verschränkte triumphierend die Arme vor der Brust.

»Was Sie nicht sagen!« bemerkte McWarden mit säuerlicher Miene. »Übrigens gelang es den Kollegen, von einem der Hausangestellten noch etwas zu erfahren, was Sie sehr interessieren wird.«

»Da wäre ich an Ihrer Stelle aber nicht so sicher«, erwiderte die Lady süffisant. »Warum sollte ich mich für die Party eines Gangsters interessieren?«

»Die Partyteilnehmer wurden überfallen«, freute sich McWarden mitteilen zu können. »Und raten Sie mal, von wem?«

»Woher soll ich das wissen? Veranstalten Sie hier doch kein Ratefix und sagen Sie endlich, was Sie erfahren haben!« forderte die Hausherrin energisch.

»Von Robin Hood und seiner Bande! Na, was sagen Sie dazu?«

»Donnerwetter, die schrecken aber auch wirklich vor nichts und niemandem zurück!« Agatha Simpson blinzelte ihren Gast zutiefst überrascht an und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Dieser Hood hat sich übrigens ziemlich verändert«, wußte der Chief-Superintendent. »Wie die Kollegen von ihrem Informanten hörten, war er recht üppig gebaut und hatte eine baritonal gefärbte Stimme, die durchaus auch weiblich gewesen sein könnte, wie sie ausdrücklich betonten.«

McWarden musterte die Lady eindringlich und räusperte sich.

»Haben Sie was im Hals, oder was wollen Sie mit den seltsamen Geräuschen sagen?«

Lady Agatha schüttelte verweisend den Kopf.

»Welche Schlußfolgerung ziehen Sie daraus, Sir?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Nun, hier macht jemand diesen Robin Hood nach, um O’Hara eins auszuwischen«, überlegte McWarden. »Fragt sich halt nur, wer das gewesen sein könnte.«

»Papperlapapp, diesmal hat es ja wenigstens den Richtigen erwischt«, freute sich die Detektivin. »Möchten Sie übrigens noch einen Sherry, mein lieber McWarden?«

»Womit habe ich denn den verdient, Mylady?« wunderte sich der Chief-Superintendent. »Sollte Ihnen meine kleine Geschichte etwa gefallen haben?«

»Sie war nicht schlecht, vielleicht verwende ich sie in meinem neuen Roman«, deutete Lady Agatha an. »Als Grundstock für eine Story wäre das gar nicht so schlecht, denke ich.«

»Ich muß jetzt gehen, Mylady.« McWarden stand auf und nickte der Hausherrin zu. »Und falls Sie zufällig diesem fülligen Robin Hood begegnen sollten, Mylady, richten Sie ihm bitte Grüße von mir aus, ja?«

*

Parker vergewisserte sich, daß seine Herrin sich zu einem kleinen Mittagsschlaf niedergelegt hatte, was eindrucksvoll durch sonore Schnarchtöne belegt wurde, die auf den Flur drangen.

Der Butler begab sich in seine Privaträume im Souterrain des Hauses. Er stellte die Telefonanlage auf sein Appartement um und wählte eine ganz bestimmte Nummer, die er vorher dem Telefonbuch entnommen hatte.

»Firma O’Hara, Im- und Export«, meldete sich eine kühle Frauenstimme mit der offiziellen Bezeichnung des von O’Hara zur Tarnung betriebenen Geschäfts, das, wie Parker wußte, außerordentlich gut florierte.

»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor. »Bitte haben Sie die Freundlichkeit, eine Verbindung mit Mister O’Hara herzustellen.«

»Das wird leider nicht möglich sein, Sir, er befindet sich in einer wichtigen Besprechung«, wurde am anderen Ende der Leitung bedauert. »Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Das Gespräch wäre für Mister O’Hara außerordentlich wichtig«, blieb Parker hartnäckig. »Sie können sich rückversichern und ihm ausrichten, es ginge um den Besuch eines gewissen Mister Hood und einige abhanden gekommene Räder.«

»Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz, Sir.«

»Mister O’Hara wird es um so besser verstehen. Wenn Sie also die Güte hätten?«

»Na schön, wenn Sie meinen.« Es klickte in der Leitung, und für einen Moment war nur das Rauschen atmosphärischer Störungen zu vernehmen, dann klickte es erneut, und eine barsche Männerstimme meldete sich.

»Wer sind Sie, Mann, und was wollen Sie?«

»Man erlaubt sich, Ihnen die Grüße eines gewissen Mister Robin Hood auszurichten, Sir«, antwortete Parker gemessen. »Mister Hood bedauert es außerordentlich, falls er Ihnen durch seine nächtliche Aktionen Ärger bereitet haben sollte. Übrigens bittet er Sie in aller Form um Entschuldigung für den kleinen Scherz mit den Rädern. Wie ihm zu Ohren kam, fand diese Idee keinesfalls den Beifall Ihrer Gäste.«

Einen Augenblick herrschte am anderen Ende beklommenes Schweigen, nur das heftige Atmen des Gangsters war zu hören.

»Wer sind Sie, sagten Sie?« keuchte er schließlich.

»Josuah Parker, mein bescheidener Name, Sir. Man hat die Ehre und den Vorzug, Lady Agatha Simpson als Butler dienen zu dürfen.«

»Und was haben Sie oder Ihre Lady mit diesem ... äh ... Robin Hood zu tun?«

»Meine Wenigkeit lernte ihn kennen und erfuhr zufälligerweise von den Geschehnissen der letzten Nacht. Wie gesagt, Mister Hood würde es sehr bedauern, wenn Sie ihm deshalb allzu gram sind.«

»Lady Agatha? Butler Parker?« schrie der Gangsterboß plötzlich. »Jetzt fällt bei mir der Groschen, Mann! Das werden Sie mir büßen, das schwöre ich Ihnen, mit einem Pat O’Hara kann man das nicht machen!«

»Sind Sie sicher, Sir, mit dieser Drohung an der richtigen Adresse zu sein?« erkundigte sich der Butler höflich, um O’Hara noch weiter zu reizen.

»Und ob, Parker, und ob! Jetzt weiß ich auch, wer dieser verdammte Robin Hood war, der kam mir doch gleich so komisch vor! Richten Sie Ihrer Lady aus, daß ich sie dafür büßen lasse, und Sie auch. Das werden Sie nicht überleben mein Wort darauf!«

»Übernehmen Sie sich nicht etwas, Sir?« erwiderte Parker ruhig. »Man hörte übrigens, daß Sie in der Gunst Ihrer Chefs beträchtlich gesunken sind, seit man feststellen mußte, daß Sie nicht mal in der Lage sind, Ihre Gäste vor derart unangenehmen Überraschungen zu bewahren.«

»Sie, Sie!« O’Hara brachte vor Wut kein Wort mehr heraus, er schäumte förmlich am Telefon.

»In Kreisen der Unterwelt dürfte sich bereits eine gewisse Heiterkeit über dieses kleine nächtliche Intermezzo gezeigt haben«, fuhr Parker fort. »Man meint, daß dies nicht gerade für Sie spricht, und diskutiert mehr oder weniger offen über Ihre Qualifikation als Unterführer der kriminellen Szene, Sir. Man meint, daß Sie keinesfalls mehr in der Lage sind, eine führende Position einzunehmen.«

Pat O’Hara zog es vor, nicht mehr zu antworten. Ein Klicken in der Leitung zeigte an, daß er aufgelegt hatte. Auch Parker legte auf und wandte sich zum Schaltpult der Alarm- und Überwachungsanlage, um sie zu kontrollieren. Er war mit dem Verlauf des Gesprächs sehr zufrieden und rechnete fest damit, in Kürze wieder mit O’Hara und seinen Kreaturen zusammenzutreffen.

*

»Ich habe bis jetzt konzentriert gearbeitet und legte nur eine schöpferische Pause ein«, behauptete Lady Agatha, als sie kurz nach Mitternacht aus ihrem Studio trat und zielstrebig das kleine Buffet ansteuerte, das Parker in weiser Voraussicht vorbereitet und in einer Ecke der großen Wohnhafte aufgebaut hatte.

»Mylady kommen mit Ihrem neuen Stoff gut voran?« erkundigte sich der Butler höflich, während er ihr einen etwas verspäteten Mitternachts-Cocktail reichte.

»Durchaus, Mister Parker.« Die Hausherrin nickte gewichtig und ließ ihren Blick prüfend über das sehenswerte Angebot wandern, bevor sie sich seufzend für etwas Toast mit norwegischem Lachs entschied.

»Ich arbeite gerade diese Robin Hood-Geschichte für das Fernsehen aus«, erklärte sie, nachdem sie gekostet hatte. »Es wird eine moderne, völlig neuartige Fassung, die künstlerisch neue Maßstäbe setzen wird. Ich denke, mit dieser Arbeit werde ich den Durchbruch schaffen. Möglicherweise werde ich den Stoff selbst produzieren; ich wittere da ein ganz großes Geschäft.«

»Mylady haben die Geschichte bereits komplett und in der endgültigen Fassung schriftlich niedergelegt?« vergewisserte sich der Butler, während er seiner Herrin einen neuen Cocktail reichte, um ihren Kreislauf zu stärken.

»Papperlapapp, Mister Parker, nicht direkt, aber die Story kann jetzt eigentlich ins reine geschrieben werden«, gab die Lady nachdenklich zurück. »Ich denke, ich werde Kathy meine Notizen überlassen und sie damit beauftragen, dann kann ich mich schon dem nächsten Thema zuwenden. Ich habe jetzt eine sehr kreative Phase, Mister Parker, und die muß ich unbedingt nutzen. Sie wissen, Künstler sind sensibel und gewissen Stimmungen unterworfen, wenn ich andererseits auch über viel Energie und Zielstrebigkeit verfüge.«

»Mylady werden stets und ständig zu bewundern sein«, lobte Parker ungeniert, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, unbewegten Gesicht verzog. »Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit für einen Augenblick entschuldigen würden?«

Parkers innere Alarmanlage hatte sich gemeldet und ihm mitgeteilt, daß etwas im Gang war. Er begab sich gemessen zum Kontrollpunkt der Überwachungsanlage und schaltete den Monitor ein, der sich augenblicklich erhellte und trotz der späten Stunde erstaunlich scharfe Bilder lieferte, was mit den ausgezeichneten Infrarotkameras zusammenhing, an die er angeschlossen war.

»Ist etwas, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin hoffnungsvoll, während sie neben ihn trat. »Ich denke, etwas Abwechslung vor dem Schlafengehen könnte nicht schaden.«

»Damit könnte Mylady durchaus gedient werden«, stellte Parker fest und blickte auf den Monitor, auf dem sich deutlich vier Gestalten abzeichneten, die an der Rückseite des altehrwürdigen Fachwerkhauses sich bemühten, auf nicht ganz regulärem Weg Einlaß zu finden. Sie hebelten mit einer Brechstange an einem Kellerfenster herum, um dort einzusteigen.

»Sehr schön, Mister Parker, ich begann schon, mich zu langweilen«, freute sich die Hausherrin und beobachtete animiert die vermummten Gestalten auf dem Bildschirm. »Ich hoffe, Sie lassen sich etwas zum Empfang dieser Subjekte einfallen.«

»Mylady werden zufrieden sein«, gab Parker höflich zurück, während er einen Hebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Schaltpult umlegte. Daraufhin gab das Kellerfenster seinen Widerstand auf und kapitulierte vor der Brechstange, die normalerweise nicht die geringste Chance gehabt hätte, das Fenster zu öffnen.

*

»Na also, klappt doch alles wie geschmiert«, flüsterte der Anführer des Einbrechertrupps zufrieden. »Diesmal ist die Alte samt ihrem Butler dran, das schwöre ich euch.«

»Halt keine Volksreden, Mann, geh weiter, wir haben schließlich noch was vor, und ich will nicht die ganze Nacht hier zubringen«, trieb ihn einer seiner Kumpane an und gab ihm einen Stoß in den Rücken.

Die Vermummten orientierten sich im Schein einer starken Taschenlampe, die sie mitgebracht hatten, und blieben vor einer Zwischentür stehen, die ihnen den Weg ins Hausinnere versperrte.

»Mann, primitiver geht’s doch bald nicht mehr«, brummte einer von ihnen, während er sich mit dem erstaunlich einfachen Schloß beschäftigte und es innerhalb weniger Sekunden mühelos öffnete.

»Wenn ich bitten darf?« witzelte er, während er beiseite trat und seine Kumpane durch die Tür winkte.

»Los, weiter!« Der Anführer des Trupps schob sich entschlossen durch die Tür. Einen Moment später schrie er auf, dann war ein Poltern und Krachen zu hören, dem ein erneuter Schrei und lautes Fluchen und Schimpfen folgte.

»He, was ist los?« Ein Gangster drängte sich entschlossen durch die Tür und spähte im Schein der Taschenlampe in den dahinterliegenden Gang. Am Ende desselben sah er seinen Chef auf dem Boden liegen und sich mühsam an der Wand aufrichten, was offensichtlich nicht ganz einfach war, weil er immer wieder abrutschte.

»Kannst nich’ mal mehr geradeaus laufen?« erkundigte sich sein Mitarbeiter amüsiert und ... schlitterte plötzlich durch den schmalen Gang auf seinen Chef zu, der abwehrend die Arme hob und sich eng an die Wand drückte, um von seinem heransausenden »Kollegen« nicht überrannt zu werden.

»Verdammt, was ist das?« keuchte der, während er abrupt anhielt, indem er sich mit der Schulter gegen die Wand prallen ließ, was allerdings mit einer gewissen Schmerzentwicklung verbunden war. Er ließ sich vorsichtig auf den Boden nieder und ... rutschte sofort an die gegenüberliegende Wand, wo er leicht mit der Stirn antippte und sich eine kleine Beule holte.

»Die haben den Gang mit ’ner verdammten Schmiere bestrichen«, knurrte der bis vor wenigen Augenblicken noch so selbstsichere Kommandoführer. »Sitten reißen ein, wenn man sich mit Amateuren einläßt. Also ehrlich, da tret’ ich doch lieber gegen ’nen Profi mit ’ner Kanone an.«

»Was ist, sollen wir nachkommen?« erkundigte sich in diesem Augenblick einer der Zurückgebliebenen durch einen leisen Zuruf.

Die beiden »ausgerutschten« Einsteiger sahen sich im Schein ihrer Taschenlampe einen Moment prüfend an, dann nickten sie wie auf Kommando und forderten ihre Kollegen unisono auf, ihnen zu folgen. Vorher allerdings richteten sie sich vorsichtig auf und drückten sich eng an die Wand, um von den Nachfolgenden nicht wieder umgerissen zu werden.

»Kommt schon endlich, oder braucht ihr ’ne Extraeinladung«, forderte der Anführer sie auf und freute sich bereits auf das, was unweigerlich kommen mußte.

Einen Moment später war es soweit. Die Zurückgebliebenen traten vorsichtig in den Gang und ... verloren umgehend den Halt unter den Füßen, was ihnen allerdings nichts nützte, ruderten wild mit den Armen und schlitterten mit Schwung durch den engen Gang.

Sie rasten haarscharf an ihren Kumpanen vorbei, prallten gegen eine schmale Tür und... verschwanden dahinter!

Die beiden Gangster an der Wand starrten auf die offene Tür und verstanden nicht, was passiert war. Außerdem hatten sie bei dieser Gelegenheit ein Geräusch ausgemacht, das ihnen zu denken gab. Sie hatten nämlich deutlich lautes Platschen hinter besagter Tür gehört, und danach waren die typischen Geräusche sich im Wasser bewegender Körper auszumachen ...

Sie fanden das alles etwas rätselhaft und dachten ernsthaft daran, diskret den Rückweg anzutreten.

*

»Ich hoffe doch sehr, Mister Parker, daß sich diese Subjekte nicht einfach aus dem Staub machen können«, grollte sie, während sie an ihrem Cocktail nippte. »Machen Sie mir einen geeigneten Vorschlag, um sie zum Bleiben zu überreden.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker deutete auf eine Reihe kleiner Schalter, über denen jeweils grüne Lämpchen brannten. »Wenn Mylady sich für einen dieser Schalter zu entschließen geruhen?«

»Tja, welchen nehme ich denn da?« Agatha Simpson musterte nachdenklich die herausfordernd leuchtenden Lampen und ließ ihre Finger spielerisch darüber hinweggleiten. Dann verharrten sie auf einem Schalter und preßten ihn versuchsweise nieder. Gespannt blickte sie auf den Monitor, um die Reaktion darauf zu beobachten.

Sie wurde nicht enttäuscht. Sie sah, wie der Boden unter den Füßen der Gangster plötzlich abgesenkt wurde und sich der nach wie vor einladend offenen Tür zuneigte, hinter der die beiden anderen Kerle bereits verschwunden waren.

Lady Agatha drehte den Lautstärkeregler der Überwachungsanlage etwas weiter auf und lauschte ebenso zufrieden wie fasziniert den Flüchen, die an ihr Ohr drangen.

»Also, einen Wortschatz haben die Strolche, das ist wirklich unerhört, Mister Parker«, beschwerte sie sich und schüttelte verweisend den Kopf. »Dabei könnte eine alte Frau wie ich noch rot werden.«

»Soll meine bescheidene Wenigkeit die akustische Übertragung abschalten?« erkundigte sich Parker höflich.

»Auf keinen Fall, Mister Parker! Was ist, wenn sie plötzlich etwas Wichtiges in ihrer Erregung von sich geben und ich es dann nicht mitbekomme? Nein, nein, ich werde mich opfern und mir diesen Unsinn anhören, auch auf die Gefahr hin, dabei seelischen Schaden zu erleiden.«

»Myladys Opfermut ist nicht hoch genug einzuschätzen«, lobte Parker ungeniert. »Gedenken Mylady selbst noch einzugreifen und die Herren Gangster einem ersten Verhör zu unterziehen?«

»Selbstverständlich, Mister Parker, aber erst werde ich noch ein wenig zusehen. Übrigens wird es allmählich langweilig. Haben Sie nicht mehr zu bieten, als diese Strolche in wohltemperiertem Wasser, das Sie auf meine Kosten wahrscheinlich viel zu gut geheizt haben, herumplanschen zu lassen?«

»Man könnte in der Tat den Herren noch etwas mehr bieten und ein wenig Atmosphäre dazugeben«, räumte Parker gemessen ein.

»Dann tun Sie das, Mister Parker, und bitte keine falsche Zurückhaltung, bitte ich mir aus.« Agatha Simpson musterte ihren Butler und nickte energisch. Sie nahm dankend einen neuen Cocktail entgegen und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

*

»Verdammt, wie kommen wir hier wieder raus?« wollte ein gewisser George Randall wissen, der sich vor wenigen Tagen schon mal im Haus der Lady befunden und dabei unliebsame Erfahrungen gemacht hatte. Er hatte bei dieser Gelegenheit einen Apfel auf dem Kopf balancieren sollen, während die Hausherrin mit einer Armbrust auf die appetitliche Frucht zielte eine Szene, die ihn immer wieder nachts aus dem Schlaf hochschrecken ließ und seine nervliche Verfassung ziemlich beeinträchtigt hatte.

»Nur die Ruhe, Mann, wir kommen schon hier raus, schließlich bin ich ja bei euch«, beruhigte Pat O’Hara ihn. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, diese »Strafexpedition« persönlich zu leiten.

»Dir haben wir überhaupt diesen Schlamassel zu verdanken«, fiel einem der anderen Gangster ein. »Ohne dich und deine blöden Einfälle säßen wir jetzt nicht schon wieder in der Patsche!«

»Na, mäßige dich, Mann!« O’Hara, der vor wenigen Stunden noch Karriere in der kriminellen Szene Londons hatte machen sollen, sah jetzt, wie leicht Ruhm verwelkte.

»Das wird ja auf einmal so verdammt warm hier drin«, sorgte sich einer der anderen. Tatsächlich hatte sich die Temperatur in den letzten Minuten beträchtlich erhöht und fast tropische Ausmaße angenommen.

Dazu kam eine Geräuschkulisse, die sie bis jetzt noch nicht wahrgenommen hatten und die sie sehr beunruhigte. Plötzlich plätscherte, wisperte, flüsterte und zischte es rings um sie her, als wären sie in einer anderen Welt gelandet. Zudem kam ein düster glimmendes grünliches Licht auf, das von den Wänden ausgestrahlt zu werden schien und unheimlich wirkte. Etwas huschte durchs Wasser und berührte sie, so daß sie erschrocken aufschrien.

»Was war das?« flüsterte George Randall, dessen Nerven zum Zerreißen gespannt waren.

»Keine Ahnung«, flüsterte O’Hara und schaute ängstlich um sich. Er fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut und wäre am liebsten in liebevolle Arme geflüchtet.

»Das ist ja ’ne richtige tropische Hölle«, stellte einer der Gangster erschaudernd fest und blickte auf lange, dünne Farne, die von dicken Ästen weit über ihnen ins Wasser hingen.

»Sollte mich nicht wundern, wenn’s hier drin seltsames Viehzeug gibt«, keuchte Randall. »Ich hab’ euch doch gleich gesagt, diese Lady hat ’nen Knall, wer weiß, was die in dieser Höhle treibt.«

»Eine ... eine Wasserschlange!« Einer der Kerle hatte einen langen, armdicken Körper ausgemacht, der sich nicht weit von ihnen entfernt durchs Wasser wand und in der Tiefe verschwand. Einen Moment später spürte er, wie etwas an seinen Beinen vorbeistrich. Ein eisiger Schauer rann ihm über den Rücken.

Wenige Meter entfernt entdeckte Pat O’Hara zwei grüne, im Dämmerlicht der Höhle unheimlich glimmende Punkte, die sich schnell näherten. Dann glaubte er, einen dunklen Schatten zu erkennen, der auf ihn zutrieb. O’Hara schrie gellend auf.

*

Ein zweiter Schrei ließ den Gangstern das Blut in den Adern gerinnen. Als sie aufsahen, erblickten sie eine seltsame Gestalt, die auf einem der dicken Äste über ihnen stand und grimmig auf sie herabsah.

Die Gestalt trug ein Kostüm, das eindeutig von einem gewissen Robin Hood ausgeliehen war, während Schrei und Pose von einem Herrn namens Tarzan übernommen worden waren. In diesem Augenblick legte die Gestalt die zu einem Trichter geformten Hände wieder an den Mund und ließ den durch Mark und Bein gehenden Urschrei ertönen.

Dann nahm sie eine Armbrust von der Schulter, legte einen Pfeil ein und zielte sorgfältig auf einen Punkt hinten in der Höhle.

Dort war einen Moment später gräßliches Stöhnen zu hören, ein dunkler, schlanker Körper bäumte sich auf und stieg fast kerzengerade aus dem Wasser, um einen Moment später wild um sich schlagend in den Fluten zu versinken.

Die Gestalt auf dem Ast lachte zufrieden auf, wandte sich um und sprach.

»Endlich hab’ ich dieses Monster erwischt, Mister Parker, aber wo ist die zweite Schlange?«

»Sie wird mit Sicherheit jeden Moment auftauchen, um nach ihrem Gefährten zu sehen«, antwortete eine höfliche Stimme aus dem Hintergrund. »Vielleicht sollten sich Mylady bis dahin auf die Krokodile konzentrieren, die sich gleichfalls bedenklich vermehrt haben.«

»Richtig, Mister Parker. Gut, daß Sie mich daran erinnern.« Die kombinierte Robin Hood/Tarzan-Gestalt lachte dröhnend und spannte erneut die Armbrust.

Ein greller Suchscheinwerfer strich aus dem Dunkeln hinter ihr über die Wasseroberfläche und blieb an einem baumstammähnlichen Gegenstand haften, der in der Kellergrotte trieb. Einen Moment später sauste ein Pfeil durch die Luft und bohrte sich in den Baumstamm.

»Getroffen, Mister Parker, ich bin heute mal wieder in Top-Form«, verkündete stolz der Schütze, während der Suchscheinwerfer erlosch.

Parker betätigte einen Schalter an seiner Fernbedienung und sorgte so für den akustischen Todeskampf des getroffenen »Reptils«, das keinesfalls natürlich war. Die Gangstern lauschten verängstigt und fasziniert zugleich auf die Geräusche, die an ihre Ohren drangen.

»Holen Sie uns hier raus, Lady, und wir erzählen Ihnen eine Geschichte, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht«, flehte O’Hara, der sich an einem ins Wasser hängenden Ast festhielt und ängstlich um sich schielte.

»Was ist das für ’ne Schlange?« wollte George Randall wissen und zog sich auf einen dicken Ast über sich.

»Nur eine Anakonda, die ein wenig außer Kontrolle geraten ist«, erklärte die Robin Hood/Tarzan-Kombination. »Ich hätte nie für möglich gehalten, daß sie so groß wird, nicht wahr, Mister Parker?«

»In der Tat! Man versicherte Mylady ausdrücklich, daß sie auf keinen Fall mehr als fünf Meter erreichen würde, dabei dürfte sie jetzt schon sich sehr viel mehr gestreckt haben.«

»Dieses Tier frißt mich arm«, klagte Agatha Simpson und legte einen neuen Pfeil in die Armbrust. »Jede Woche ein halbes Schwein, das ist einfach zuviel.«

»Und Menschen? Frißt sie auch Menschen, Mylady?« keuchte O’Hara und schwang sich gleichfalls auf den Ast, auf dem bereits George Randall hockte.

»Tja, wenn ich das wüßte. Was meinen Sie, Mister Parker?«

»Möglicherweise, Mylady, wenngleich bislang auch noch keine Verluste zu beklagen sind«, gab Parker höflich zurück. »Dennoch wäre es vielleicht besser, wenn sich die Herren in Sicherheit bringen würden.«

*

»Das war vielleicht ein Schlag, Mister Parker!« Der Chief-Superintendent war bester Laune und strahlte aus allen Knopflöchern. Dank der Geständnisse, die ein gewisser Pat O’Hara und seine Helfershelfer abgelegt hatten, sowie der Dokumente, die man in O’Haras Safe sicherstellen konnte, hatte man einige bislang als sehr respektabel geltende Angehörige der Oberschicht als Mafia-Bosse verhaften und hinter Schloß und Riegel bringen können.

Es war ein Schlag gewesen, wie ihn die Londoner Polizei schon lange nicht mehr hatte landen können, und McWarden hatte die Operation geleitet.

»Ursprünglich war diese Robin Hood-Bande doch eine fehlgeleitete, idealistische Truppe junger Schauspieler, die ihre Beute tatsächlich Bedürftigen zukommen lassen wollte, nicht wahr?« erkundigte sich McWarden, während er gespannt zur Bühne blickte, wo in wenigen Augenblicken der Vorhang zu einer Privatvorstellung hochgehen sollte.

»So ist es, Mister McWarden. O’Hara, der zufälligerweise dahinterkam – Steve Maddock, der Theateragent, prahlte in angetrunkenem Zustand in O’Haras Stammkneipe damit –, übernahm die Masche und zwang die jungen Schauspieler, ab sofort für ihn auf Beutezug zu gehen. So fing alles an.«

»Wo ist Lady Agatha eigentlich, Parker?« erkundigte sich Mike Rander, der ebenso wie Kathy Porter, McWarden, Horace Pickett und noch einige andere der Privatvorstellung beiwohnen wollten.

»Mylady bespricht gerade mit Mister Maddock die letzten Einzelheiten einer sogenannten Robin-Hood-Stiftung, die sie ins Leben zu rufen gedenkt, um Bedürftigen zu helfen, Sir«, gab Parker gemessen zurück. »Sie dürfte jeden Augenblick erscheinen.«

»Sie wird noch den Beginn der Aufführung verpassen«, sorgte sich Kathy Porter.

»Wohl kaum, Miß Porter. Die Vorstellung könnte, meiner unmaßgeblichen Meinung zufolge, gar nicht ohne Mylady beginnen.«

»Was wollen Sie damit sagen, Mister Parker?« erkundigte sich der Chief-Superintendent und musterte den Butler mißtrauisch.

»Mylady hat sich entschlossen, in dieser von ihr finanzierten Aufführung selbst die Hauptrolle zu übernehmen, Sir«, gab Parker ihm höflich Auskunft. »Mylady wird einen gewissen Mister Robin Hood darstellen und dabei ganz sicher neue Maßstäbe setzen.«

»Das darf doch nicht wahr sein!«

Mike Rander starrte den Butler entgeistert an und blickte dann zur Bühne, wo eben der Vorhang aufging und tatsächlich einen Moment später ein nicht eben gertenschlanker Robin Hood auftauchte ...

»Mylady wird die Fachwelt in Erstaunen versetzen«, wußte Parker und lüftete seine Melone in Richtung Bühne. »Sie wird dieser Rolle eine völlig neue Bedeutung verschaffen und damit in der Kunstszene Furore machen ...«

- E N D E -

Der exzellente Butler Parker Box 5 – Kriminalroman

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