Читать книгу Der exzellente Butler Parker Box 9 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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»Hoffentlich haben Sie gut aufgepaßt, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, während sie munter weiterging. »Die Gratisproben werden mein Budget spürbar entlasten«, freute sie sich.

»Mylady pflegen immer eine sorgfältige Haushaltsführung und die einschlägigen Angebote des Handels genau zu prüfen«, erwiderte Josuah Parker anerkennend. »In Zukunft decke ich meinen Bedarf nur noch bei günstigen Gelegenheiten«, kündigte die ältere Dame an. »Irgendwo wird immer ein Laden eröffnet.«

Der Butler wurde einer weiteren Antwort enthoben. Sie hatten einen flachen Anbau, der wohl diverse Lager- und Kühlräume des Supermarkts barg, passiert, als ein älterer Mann ihnen förmlich über den Weg stolperte.

»Ich muß mich doch sehr wundern.« Lady Agatha musterte den Gestürzten indigniert und schüttelte heftig den Kopf.

»Möglicherweise hat die Schwäche bestimmte Ursachen«, vermutete Parker und griff nach der Schulter des Gestrauchelten. Überrascht zog er die Hand zurück, aber Mylady bückte sich schon und berührte den Hals des Unbekannten.

»Der Mensch ist ja eiskalt!« wunderte sie sich und sah Parker verdutzt an. »Welche Erklärung habe ich dafür?«

»Über eine solche könnte man vielleicht besser etwas später nachdenken, Mylady«, schlug Parker vor. »Wenn Mylady gestatten, wird man den Gentleman in den Privatwagen meiner bescheidenen Wenigkeit schaffen, um ihm Gelegenheit zum Aufwärmen zu geben. Möglicherweise möchten Mylady auch einige klärende Worte in Shepherd’s Market mit ihm wechseln.«

»Das ist allerdings richtig«, nickte sie und strich sich nachdenklich übers Kinn. »Ich spüre, hier bahnt sich ein neuer Fall an.«

»Dem kann und muß man voll und ganz zustimmen«, bestätigte Parker, während er den Mann mühelos aufhob und zum hochbeinigen Wagen brachte. »Mylady werden das Geheimnis dieses seltsamen Schwächeanfalls umgehend lüften.«

»Es war kein Zufall, daß dieser Mann ausgerechnet mir über den Weg lief, Mister Parker«, war die ältere Dame überzeugt. »In seiner Not hat er instinktiv erkannt, daß ich die einzige bin, die ihm helfen kann.«

»Myladys Wirkung auf die Umwelt ist und bleibt bemerkenswert«, äußerte sich der Butler hierzu ein wenig mysteriös und schloß das ehemalige Londoner Taxi auf, um den unerwarteten Gast vorsichtig im Fond zu betten.

*

»Sir Arthur Trumper?« überlegte Lady Agatha, nachdem sie von Parker über die Identität ihres Gastes aufgeklärt worden war. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.«

Der Butler hatte den unterkühlten Neuankömmling zunächst mit einem Grog versorgt und ihm dann ein heißes Bad eingelassen. Als perfekter Vertreter seiner Zunft hatte sich der Butler dann der Kleidung des Gastes angenommen und sie gereinigt und gebügelt. Bei dieser Gelegenheit war ihm zufällig die Brieftasche des älteren Mannes in die Hände geraten und hatte ihn über dessen Identität informiert.

»Mister Trumper ist der Inhaber jener Supermarkt-Kette, deren neue Filiale Mylady besuchten«, frischte Parker das Gedächtnis seiner Herrin auf.

»Richtig, Mister Parker, Trumper Supermarkets, ich wußte doch, daß ich diesen Namen kenne«, nickte sie bestätigend. »Und warum befand er sich in diesem Zustand, Mister Parker, konnten Sie das auch schon herausfinden?«

»Mister Trumper war bislang noch nicht in der Lage, hierüber Auskunft zu geben«, gab der Butler gemessen zurück. »Man hofft, daß ihm das heiße Bad zu einer Besserung verhilft und er danach in der Lage ist, Myladys Fragen zu beantworten.«

»Draußen war es den ganzen Tag über sehr warm«, rekonstruierte sie und sah den Butler nachdenklich an. »Weshalb war der Mann dann so stark unterkühlt, Mister Parker?«

»Eine überaus interessante Frage, Mylady«, sagte Parker. »Möglicherweise hielt sich Mister Trumper im Kühlhaus seines neueröffneten Supermarktes auf und zog sich dort seine Unterkühlung zu.«

»Ein Unfall, Mister Parker?« Lady Agatha schüttelte abwehrend den Kopf, eine solche Erklärung konnte und wollte sie nicht dulden. Ein Unfall hätte keiner intensiveren Aufklärung bedurft und ihren Einsatz überflüssig gemacht. Aber genau darauf legte sie großen Wert.

Ihre Enttäuschung währte nicht lange. Sir Arthur Trumper erschien in der Halle und deutete vor Agatha Simpson eine Verbeugung an.

»Ich muß mich bei Ihnen bedanken, Mylady. Ihre rasche Hilfe hat mich wahrscheinlich vor ernsthaften gesundheitlichen Problemen bewahrt.«

»Das war doch wohl selbstverständlich, mein lieber Pumper«, lächelte sie liebenswürdig. »Bitte nehmen Sie Platz und erklären Sie mir, was mit Ihnen passierte. Ich hoffe, Sie können mir eine interessante Geschichte erzählen.«

»Trumper, Mylady«, korrigierte der Gast mit flüchtigem Lächeln. »Mein Name ist Trumper, nicht Pumper.«

»Aber das macht doch nichts, dafür können Sie ja nicht«, zeigte sie sich großzügig und nahm die Namenskorrektur nicht weiter übel. »Mister Parker wird Ihnen sofort einen Rum gegen eine eventuelle Erkältung servieren, und ich werde mich solidarisch erklären, schließlich sind Erkältungskrankheiten ansteckend. Jetzt sollten Sie mir endlich erzählen, was mit Ihnen passiert ist, mein Lieber!«

Sir Arthur Trumper nahm lächelnd von Parker den Rum entgegen und wartete höflich, bis die Gastgeberin ihm zugeprostet und ihr eigenes Glas an die Lippen gesetzt hatte.

»Ich kann immer noch nicht so recht glauben, was mir zugestoßen ist, Mylady«, seufzte der Supermarkt-Boß und fuhr sich mit einem blütenweißen Tuch über die Stirn. »Dürfte ich übrigens Ihr Telefon benutzen, ich müßte dringend mit der Polizei sprechen.«

»Das dürfte kaum nötig sein, mein Lieber«, wehrte Lady Agatha ab und schüttelte den Kopf. »Ich werde oft von Scotland Yard hinzugezogen, wenn schwierige Fälle anstehen. Nunja«, sie lächelte süffisant, »unter uns gesagt, der Yard wird ganz allgemein überschätzt.«

»Was Sie nicht sagen!« Sir Arthur setzte sein Glas ab und musterte die Hausherrin. »Dann sind Sie also ein weiblicher Sherlock Holmes, wie?!«

»Durchaus, mein Lieber«, behauptete sie nicht ganz unbescheiden und hob die Hände. »Mister Parker wird Ihnen das gerne bestätigen.«

»In der Tat sind Myladys Erfolge auf dem Gebiet der Verbrecherbekämpfung sensationell und suchen ihresgleichen«, pflichtete Parker seiner Herrin bei.

»Ist ja nicht zu fassen!« Sir Arthur staunte immer mehr und strahlte förmlich. »Wenn das so ist, Mylady, werde ich tatsächlich Sie um Ihre Hilfe in diesem Fall bitten, wobei ich natürlich die dabei entstandenen Kosten tragen würde, versteht sich.«

»Das wird im Prinzip nicht nötig, sein, mein Lieber«, wehrte Lady Agatha ab. »Aber gut, wenn Sie darauf bestehen, können Sie Mister Parker nachher einen Scheck geben.«

»Ich habe leider keine bei mir, Mylady, aber mein Sekretariat wird Ihnen umgehend einen zustellen«, bedauerte Sir Arthur. »Überhaupt hat diese vermaledeite Geschichte viel mit Schecks zu tun.«. Er seufzte tief und nahm einen herzhaften Schluck aus seinem Glas.

»Das sollten Sie mir näher erklären, mein Lieber«, forderte die Hausherrin und beugte sich interessiert vor. »Mister Parker wird Ihnen dann anschließend sagen, was ich davon halte.«

»Stellen Sie sich vor, meine Liebe, man hat mich in mein eigenes Kühlhaus gesperrt und gezwungen, große Barschecks auszustellen«, empörte sich Sir Arthur. »Während ich mir fast den Tod holte, haben die Gangster meine Schecks eingelöst und sind mit dem Geld über alle Berge. Und wenn Ihnen die Einlösung der Schecks verweigert worden wäre, hätte man mich einfach erfrieren lassen. Wie finden Sie das?«

Trumper sah Lady Agatha anklagend an und nahm einen neuen Schluck aus seinem Glas.

»Einfach faszinierend«, erklärte die ältere Dame und beugte sich animiert vor. »Ich meine natürlich, faszinierend abstoßend, mein Lieber! Wirklich nicht zu fassen, worauf die Gangster heutzutage kommen. Und wie entkamen Sie dem Tiefkühlhaus?«

»Man hat nach Einlösung der Schecks die Tür geöffnet und mich herausgelassen«, berichtete Sir Arthur. »Gleich darauf haben Sie mich entdeckt und mit in ihr Haus genommen, Mylady.«

»Zum Glück, mein Lieber, zum Glück!« Agatha Simpson rieb sich die Hände und bezog die Äußerung offenbar auf die erfreuliche Tatsache, daß ihr wieder mal ein neuer Fall zugespielt worden war. Sie lehnte sich im Sessel zurück und schloß nachdenklich die Augen. Mylady sah bereits die Gangster vor sich, wie sie in einem Kühlhaus auf eisigem Boden lagen und um Gnade flehten. Die ältere Dame hatte die erklärte Absicht, den neuen Fall mit aller Energie zu verfolgen und die Ganoven ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Vorher allerdings sollten die Burschen noch ein wenig abgekühlt werden, beschloß sie mit hintergründigem Lächeln.

*

»Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Kathy Porter, die mit Mike Rander aus der Anwaltskanzlei in der nahen Curzon Street herübergekommen war, sah Lady Agatha entgeistert an, nachdem die passionierte Detektivin ihre farbige Schilderung beendet hatte.

»Das ist ja wohl nicht zu fassen.« Mike Rander, der verblüffend an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnerte, schüttelte den Kopf. »Nicht zu glauben, was sich Gangster so alles einfallen lassen.«

»Eine in der Tat bemerkenswerte und recht vielversprechende, neue Methode, Sir«, bemerkte Parker gemessen. »Solcherart behandelte Opfer dürften kaum willens und in der Lage sein, die Ausstellung der gewünschten Schecks zu verweigern.«

»Mir könnte sowas natürlich nicht passieren«, ließ sich die Hausherrin vernehmen. »Abgesehen davon, daß mich die Strolche niemals in ein Kühlhaus bekämen, würde ich unter keinen Umständen Schecks ausstellen! So kalt könnte mir gar nicht sein, daß ich mein gutes Geld leichtfertig an Ganoven verschwende.« Sie nickte und war felsenfest überzeugt, auch in einer solchen Situation nicht weich zu werden.

»Ich weiß nicht, Mylady«, wiegelte Kathy Porter ab. »Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß diese Methode auch Hartgesottene weich werden läßt.«

»Mich nicht, Kindchen, mein Wort darauf!« Lady Agatha winkte energisch ab und schüttelte den Kopf. »Alles ist eine Frage der Selbstbeherrschung, weiter nichts.«

»Hoffentlich kommen Sie nicht in die Verlegenheit, Ihre Selbstbeherrschung beweisen zu müssen«, kommentierte Mike Rander. »Ich wünsche Ihnen bestimmt nicht, als Eiszapfen Verwendung zu finden.«

»Dazu wird es nicht kommen, mein lieber Junge«, verkündete die Detektivin selbstbewußt. »Ich werde diesen Gefrier-Gangstern das kalte Handwerk legen, und zwar umgehend.«

Bevor sie weitersprechen konnte, schlug das Telefon an. Parker begab sich gemessenen Schrittes zum Apparat.

Er nahm ab, meldete sich formvollendet und hörte einen Augenblick schweigend zu. Dann tastete seine Rechte unter eine Platte und drückte einen dort verborgen angebrachten Knopf, der eine Tonaufzeichnungsanlage in Gang setzte und gleichzeitig die Stimme des Anrufers über diverse Lautsprecher in den Raum übertrug.

»Könnten Sie möglicherweise noch mal Ihr Anliegen wiederholen, Sir?« bat der Butler, während er sich zu seiner Herrin umwandte und durch eine Verneigung um Verständnis für die Maßnahme bat.

Lady Agatha richtete sich auf und nickte, während sie sich etwas vorbeugte und auf die Lautsprecherstimme konzentrierte.

»Hier spricht der Eisbär«, verkündete eine Männerstimme und lachte amüsiert. »Ich bin doch recht bei einer gewissen Lady Agatha Simpson, oder?«

»In der Tat, Sir.« Parkers Stimme klang höflich und gelassen wie stets, obwohl auch er den Namen des Anrufers als ein wenig ungewöhnlich empfand.

»Und Sie sind dieser komische Butler, der den alten, schrottreifen Schlitten fährt, stimmt’s?« Der Anrufer lachte erneut und fuhr mit eindringlicher Stimme fort: »Hören Sie gut zu, Mann, und merken Sie sich, was ich Ihnen jetzt erkläre. Es ist sehr wichtig, denn wenn nicht alles so läuft, wie ich es wünsche, könnte es ihrer Lady verdammt schlecht gehen, kapiert?«

»Könnten Sie etwas deutlicher werden, Sir?« bat Parker, ohne eine Miene zu verziehen. Als hochherrschaftlichen britischen Butler erschütterte ihn grundsätzlich nichts.

Lady Agatha hatte sich aus ihrem Sessel gestemmt und war neben Parker getreten. Sie hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und machte einen angeregten Eindruck, wie ihre funkelnden Augen und die über die Lippen huschende Zunge zeigten.

»Ich hab sie beide am Vormittag beobachtet, draußen auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt«, fuhr der unbekannte Anrufer fort. »Sie haben einen älteren Mann eingeladen, der etwas unterkühlt war. Sie haben also gesehen, in welchem Zustand sich der arme Teufel befand. Genauso wird es Ihrer Lady gehen, wenn sie nicht meinen Anweisungen folgt. Sie steht nämlich ebenfalls auf der Liste!«

»Die welcher Art ist, Sir?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Ganz einfach«, erläuterte der sogenannte Eisbär bereitwillig. »Ich habe die vermögenden Leute hier in London aufgelistet und werde sie der Reihe nach um eine kleine Spende bitten. Eigentlich ist Ihre Lady noch nicht dran, aber da sie nunmal zufällig mitbekommen hat, wie ich arbeite, ziehe ich sie halt vor.«

»Mylady wird dies sicher zu würdigen wissen«, vermutete Parker. »Könnten Sie etwas deutlicher werden, was Ihr Anliegen betrifft?«

»Aber klar doch, Mann. Hören Sie gut zu: Ihr Lady wird mir einen Barscheck über hunderttausend Pfund ausstellen, sie hat’s ja wie ich erfahren habe. Diesen Scheck werde ich durch einen Boten, der nicht weiß, um was es geht, morgen früh abholen lassen. Ein weiterer Bote wird den Scheck einlösen und das Geld an einem von mir festgelegten Ort deponieren. Das ist eigentlich schon alles.«

»Sie haben eine Forderung gegen Mylady, die Ihren Wunsch nach besagtem Scheck rechtfertigt, Sir?« fragte der Butler ungerührt.

»Eher eine Begründung, Mann«, lachte der sogenannte Eisbär, »nämlich die: Kommt Ihre Chefin meiner Forderung nicht nach oder kommt sie auf den Einfall, den Scheck sperren zu lassen, landet sie wie der Supermarkt-Mensch in einem Kühlhaus und wird zu einem Eiszapfen verarbeitet! Klar?«

»Durchaus, Sir. Gestatten Sie aber meiner bescheidenen Wenigkeit eine weitere Frage: Weichen Sie nicht von Ihrem bewährten Prinzip ab, den Scheckaussteller während des Einlösevorgangs solange tiefgekühlt zu verwahren, um Ihrem Anliegen einen gewissen Nachdruck zu verleihen und sich ein bemerkenswertes Maß an Sicherheit zu verschaffen?«

»Sehr richtig, Mann, aber ich denke, in diesem Fall kann ich mir das leisten. Ich meine, die alte Dame wird doch vernünftig sein, nachdem sie den Supermarkt-Heini gesehen hat, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ’ne alte Schachtel die Nerven hat, sich da noch zu sträuben.«

Agatha Simpson schnaufte empört auf und riß Parker den Hörer aus der Hand. Der Ausdruck hatte sie herausgefordert und ihr Blut in Wallung gebracht.

»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Sie komischer Eisheiliger oder wie immer Sie sich nennen. Ich werde Sie ausfindig machen und Ihnen die Hammelbeine lang ziehen. Anschließend friere ich Sie ein, damit Sie selbst mal merken, wie das ist. Haben Sie mich verstanden, Sie Subjekt?«

Einen Moment war es am anderen Ende der Leitung still, dann meldete sich der ›Eisbär‹ wieder, dessen Stimme deutlich an Forschheit verloren hatte, dafür aber ein wenig gereizt klang.

»Na schön, wie Sie wollen, Lady, aber beschweren Sie sich nicht über die Folgen«, brüllte er und warf den Hörer auf die Gabel.

»Was sage ich dazu«, beschwerte sich die Hausherrin und sah sich indigniert um. »Dieser Lümmel wagt es, einfach aufzulegen, obwohl ich noch gar nicht fertig mit ihm bin.«

»Ein bedauerlicher Verfall der guten Sitten«, bestätigte Parker und legte seinerseits den Hörer auf, den ihm seine Herrin reichte. »Immerhin dürften Mylady jetzt wissen, wie Myladys neuer Gegner sich zu nennen beliebt.«

»Eisbär, lächerlich, Mister Parker!« grollte sie und ließ sich wieder in ihrem Sessel nieder. »Ich werde diesem Subjekt das Fell über die Ohren ziehen. Lassen Sie sich dazu etwas Hübsches einfallen, Mister Parker!«

*

Die vier jungen Männer machten einen unverfänglichen Eindruck und schienen voll in ihr Ballspiel vertieft zu sein. Sie hatten sich die schmale Zufahrtsstraße ausgesucht, die von dem kleinen Vorplatz in Shepherd’s Market in Richtung Innenstadt führte, und jagten schreiend hinter dem Ball her.

»Ach ja, Mister Parker, das ist der Übermut der Jugend«, seufzte Agatha Simpson entsagungsvoll und lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und war auf dem Weg zu ihrer Stamm-Videothek, wo sie noch einige spannende Streifen für das bevorstehende Wochenende ausleihen wollte. Mylady gedachte in absehbarer Zeit ein aufsehenerregendes Drehbuch zu schreiben und studierte die erforderliche Technik intensiv anhand von Videofilmen.

Parker verzichtete auf eine Antwort und horchte auf seine innere Alarmanlage, die sich unüberhörbar meldete. Als er seinen Privatwagen in die Zufahrtsstraße steuern wollte, passierte es: Der Ball schoß quer über die Straße auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu, flog gegen die Windschutzscheibe, prallte zurück und verschwand hinter einem dichten Gebüsch am Straßenrand.

Die vier Kicker starrten einen Augenblick hinter ihrem Ball her, dann setzte sie sich wie auf ein geheimes Kommando hin in Bewegung und kamen näher.

Der vorderste Freizeitsportler hatte das ehemalige Taxi erreicht und legte seine Hand auf den Griff der Fahrertür, um sie aufzureißen. Parker hatte dies jedoch geahnt und die Zentralverriegelung betätigt.

Der Fußballer, der bei näherem Hinsehen nicht mehr so jung wie aus größerer Entfernung wirkte, starrte auf die sich widerspenstig gebende Klinke und schüttelte verärgert den Kopf. Dann nahm er die andere Hand zu Hilfe und rüttelte zweihändig am Türgriff.

Die übrigen drei Männer hatten sich ebenfalls eingefunden und umringten Parkers Gefährt. Sie hatten sich auf die diversen Türen verteilt und rüttelten vereint.

»Ist das etwa ein Überfall, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha und blickte empört nach draußen. Sie nickte dem Mann, der sich an ihrer Tür abmühte, wohlwollend zu und schenkte ihm plötzlich ein strahlendes Lächeln, das den Störenfried irritierte.

»Davon sollte man ausgehen, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück. »Die Herren Fußballer dürften sich hier keineswegs zufällig eingefunden haben, sondern von einem gewissen Eisbär geschickt worden sein.«

»Er wird also bereits nervös«, freute sich die energische Lady. »Das wundert mich nicht, Mister Parker, er wird inzwischen wissen, mit wem er es zu tun hat und bereut wahrscheinlich schon, sich mit mir angelegt zu haben.«

»Myladys Name wird in der ganzen Unterwelt gefürchtet«, stimmte Parker seiner Herrin zu, während er einen Hebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett betätigte. »Auch der sogenannte Eisbär wird noch erfahren müssen, daß Myladys abschreckender Ruf in der kriminellen Szene nicht zu Unrecht besteht.«

»Wie recht Sie haben, Mister Parker!« freute sich Agatha Simpson. »Und jetzt sollten Sie diese Lümmel etwas aufmuntern, wenn ich bitten darf.«

»Myladys Wunsch geht unverzüglich in Erfüllung.« Parker hatte durch das Umlegen des Hebels die bordeigene Übertragungsanlage eingeschaltet, die eine Verständigung der Wageninsassen mit Außenstehenden ermöglichte, ohne daß die Scheiben heruntergelassen oder die Türen geöffnet wurden.

Ein unsichtbar am Wagenboden angebrachter Lautsprecher übertrug Parkers Stimme ins Freie.

»Kann man den Herren behilflich sein?« wandte er sich an den Mann neben seiner Tür, der wütend zu ihm hereinstarrte.

»Sie haben absichtlich unseren Ball mit Ihrem Wagen in die Büsche befördert. Machen Sie das Fenster auf, damit wir über Schadenersatz reden können, Mann!« forderte der aufgebrachte Pseudo-Sportler neben der Fahrertür des hochbeinigen Monstrums.

»Eine Verständigung ist auch ohne direkten Kontakt möglich«, lehnte Parker dieses Ansinnen höflich ab. »Darf man davon ausgehen, daß die sportliche Betätigung der Herren nur ein Vorwand war, um sich im Auftrag eines gewissen Mister Eisbär mit Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit anzulegen?«

»Eisbär? Wer soll das denn sein? Was für ein seltsamer Name?« wunderte sich der Freizeitsportler und tat so, als würde er sich abwenden. Eine Sekunde später wirbelte er herum und hielt einen kurzläufigen Revolver in der Hand, dessen Mündung gegen die Scheibe an Parkers Seite gepreßt würde.

»Schluß jetzt mit dem blöden Gerede«, kündigte er an und grinste hinterhältig. »Jetzt reden wir Fraktur, Mann! Runter mit der Scheibe, aber ’n bißchen dalli, oder es knallt, klar?«

»Durchaus, Sir. Sie drückten sich mit bewundernswerter Klarheit aus«, stimmte Parker ihm zu und lüftete höflich seine Melone. Im Rückspiegel sah er, daß auch die anderen Fußballer inzwischen Waffen in Händen hielten und damit ins Innere des Wagens zielten. Ihre Mienen verhießen nichts Gutes.

»Dürfte man mit einem Hinweis dienen, Sir?« fragte Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.

»Fenster runter oder Türen auf! Nichts sonst«, forderte der Mann neben seiner Tür. »Mach schon, Opa, wenn dir dein Leben lieb ist, ich hab ’n nervösen Zeigefinger, und meinen Kumpeln geht’s ähnlich.«

»Sie sollten sich deshalb in acht nehmen, Sir«, erklärte Parker gemessen. »Meine Wenigkeit ist bestrebt, Sie und Ihre Begleiter vor körperlichen Schäden zu bewahren.«

»He, was soll das, Mann, was redest du da fürn Unsinn?« wollte der Mann wissen und tippte mit der Mündung seiner Waffe mehrmals gegen die geschlossene Scheibe.

»Es steht Ihnen natürlich frei, auf Mylady und meine bescheidene Wenigkeit zu schießen«, ließ sich der Butler höflich vernehmen. »Allerdings dürfte dies unangenehme Folgen in Form von Querschlägern haben. Die Scheiben bestehen aus Panzerglas, welches mit Sicherheit den Geschossen Ihrer Waffen gewachsen ist.«

»Panzerglas?« Der Mann neben Parkers Tür musterte den Butler stirnrunzelnd und sah sich unschlüssig nach seinen Kumpanen um.

Die Freizeit-Kicker beschlossen, Parkers Aussage zu überprüfen und drehten ihre Waffen um.

Sie hieben mit den Kolben gegen die Seitenscheiben des ehemaligen Londoner Taxis und mußten einsehen, daß der Butler sie keineswegs falsch informiert hatte.

Die zu Schlaginstrumenten umfunktionierten Waffen prallten zurück und unterzogen sich dabei die Handgelenke ihrer Halter einer gewissen Belastungsprobe. Die vier Männer stöhnten unisono und sahen ein, daß sie den Scheiben des seltsamen schwarzen Kastens nicht gewachsen waren.

Die Kerle steckten ihre Waffen wieder ein und stürzten sich wie auf ein geheimes Kommando hin erneut auf die Türklinken des hochbeinigen Monstrums.

Auf diesen Moment hatte der Butler nur gewartet. Seine schwarzbehandschuhte Linke glitt über das mehr als reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett und legte dort einen unscheinbar aussehenden Hebel um.

Daraufhin tat sich Erstaunliches. Die jungen Männer, deren Hände sich um die Türklinken des schwarzen Wagens krampften, schrien entsetzt auf und warfen die Beine in die Luft. Ihre Körper zuckten konvulsivisch zu einer geheimnisvollen, stimulierenden Melodie, die jedoch nur sie allein hören konnten. Die Burschen bogen sich, verrenkten die Glieder und stöhnten leidenschaftlich.

Lady Agatha blickte aus dem Fenster und beobachtete wohlwollend die Bemühungen des jungen Mannes neben ihr, zur Unterhaltung beizutragen.

»Sehr schön, Mister Parker«, freute sie sich. »Der kleine Trick ist doch immer wieder sehr wirkungsvoll, finden Sie nicht auch?«

»In der Tat, Mylady.« Parker wußte natürlich, wovon seine Herrin sprach. Der ›kleine Trick‹, den sie erwähnt hatte, bestand in einer recht simplen technischen Vorrichtung, die es dem Fahrer des hochbeinigen Monstrums ermöglichte, die Türklinken unter Strom zu setzten.

Es handelte sich dabei im Prinzip um jenes System, wie es auch auf dem Land verwendet wurde, um unternehmungslustigen Rindern die Grenze ihrer Weiden anzuzeigen. Der dabei eingesetzte Gleichstrom war selbstverständlich ungefährlich, erzeugte jedoch starke und unangenehme Impulse, die jedes Lebewesen, das damit in Berührung kam, nachhaltig zur Ordnung rief.

Das empfanden auch die vier jungen Hobby-Fußballer. Sie hatten sich inzwischen für eine neue Trainingseinheit entschieden und hüpften mehr oder weniger gleichmäßig auf und ab, wobei ihre Bewegung allerdings noch einer gewissen Koordination bedurften. Dazu stießen sie spitze Schreie aus und machten alles in allem einen aufgekratzten Eindruck.

»Das sieht schon recht ordentlich aus, Mister Parker«, fand Lady Agatha. »Ich habe den Eindruck, daß die Herren ein wenig müde werden. Sie können doch sicher noch etwas mehr Saft geben, nicht wahr?« erkundigte sie sich hoffnungsvoll und mit einem gewissen Anflug von Schadenfreude in der Stimme.

»Dies ist leider nicht möglich, man hat bereits die höchstverträgliche Stromstärke eingespeist«, bedauerte Parker höflich. »Möglicherweise wollen Mylady die Herren jedoch in Shepherd’s Market einem eingehenden Verhör unterziehen, um Näheres über ihre Auftraggeber zu erfahren?«

»Nun gut, Mister Parker, warum eigentlich nicht? Aber ich sage Ihnen gleich, ich habe nicht die Absicht, die Lümmel tagelang durchzufüttern. Ich werde sie kurz, aber eindringlich befragen. Danach werden sie wieder an die frische Luft gesetzt. Sie wissen, mein Haushaltsbudget ist begrenzt, ich kann mir Gäste im Grund überhaupt nicht leisten.«

»Man wird diesem Umstand Rechnung zu tragen wissen und die Herren sofort nach Myladys Verhör in die Freiheit entlassen«, versprach Parker, während er den bewußten Schalter erneut betätigte und damit die Stromversorgung der Türklinken unterbrach.

Die Kerle sanken erschöpft neben dem Wagen auf den Boden und gaben sich einem kleinen Schwächeanfall hin.

Sie merkten nicht mehr, daß der Butler ausstieg und sie mit zähem Klebeband versorgte, wie es in der Industrie zum Verschließen von Kartonagen verwendet wurde. Dieses Band legte sich ausgesprochen liebevoll um Fuß- und Handgelenke und bewahrte die entnervten Kicker vor unbedachten Bewegungen.

*

»Das is Freiheitsberaubung, dafür geh’n Sie und die komische Lady in ’nen Bau«, beschwerte sich einer der Hobby-Fußballer, nachdem Parker den Lunch serviert hatte. Die vier Gefangenen hielten sich in einem kleinen, sehr ansprechend eingerichteten Appartement auf, das noch eine Etage unter den eigentlichen Kellerräumen des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market lag.

Dieses tiefe Kellergeschoß war nach den sehr speziellen Plänen des Butlers eingerichtet worden, der dazu eigens einen Handwerkertrupp aus Südeuropa hatte einfliegen lassen. Nur wenigen Eingeweihten war die Existenz dieser unterirdischen Anlage überhaupt bekannt.

»Die Interpretation Ihrer Anwesenheit dürfte nicht ganz zutreffend sein, Sir«, bemerkte der Butler, während er sich davon überzeugte, daß alles in Ordnung war und es an nichts fehlte. »Betrachten Sie sich als Gäste des Hauses, die Myladys Einladung freudig gefolgt sind. Dies dürfte entschieden zutreffender sein, Mister Markham.«

»Sie kennen mich?« wunderte sich der Mann und vergaß umgehend, noch mal auf das Thema ›Freiheitsberaubung‹ einzugehen. »Woher wissen Sie meinen Namen?«

»Nachdem Sie einen kleinen Schwächeanfall erlitten hatten, erlaubte sich meine Wenigkeit, Ihnen Erste Hilfe angedeihen zu lassen, Sir. Dabei muß Ihnen die Brieftasche entfallen sein, so daß man gezwungen war, Ihre Identität zur Kenntnis zu nehmen.«

»Sie haben mich gefilzt, Mann, das is ’ne Schweinerei«, beschwerte sich Tony Markham, wie der Mann laut Führerschein und Ausweis hieß, und funkelte den Butler wütend an.

»Sie sollten sich Ihrem Essen widmen, Sir, dessen Qualität möglicherweise bei Temperaturverlust leiden könnte, wenn man darauf hinweisen darf«, empfahl Parker ungerührt.

»Das wird Ihnen noch leid tun, Mann, das garantiere ich Ihnen«, knurrte Markham und attackierte ein Stück Fleisch so heftig, daß es über den Rand des Tellers rutschte und auf dem Tisch liegenblieb.

»Sie bauen dabei möglicherweise auf die Unterstützung des sogenannten Eisbären?« erkundigte sich Parker höflich. »Diese Hoffnung könnte sich indessen als trügerisch erweisen, Sir.«

»Wieso denn?« wollte einer der anderen wissen, dessen Papiere ihn als einen gewissen Jim Hancock ausgewiesen hatten. »Warum sollte uns der nicht aus der Patsche helfen, he?«

»Halt die Klappe, du Idiot, merkst du nich, wie der uns ausschnüffelt?« fuhr ihn Markham an. »Jetzt weiß er, für wen wir arbeiten, dank deiner Dämlichkeit.«

»Das wußte man ohnehin, Sir«, stellte der Butler klar. »Die Verbindung zwischen Ihnen und dem sogenannten Eisbären ist einfach zu offensichtlich.«

»Blödsinn, Mann, das saugen Sie sich doch alles aus ’n Fingern«, ereiferte sich Tony Markham. »Sie wissen nix, das is doch sonnenklar.« Er nickte eifrig und sah seine ›Kollegen‹ beifallheischend an, aber die verzichteten auf eine Bestätigung und widmeten sich lieber ihrem Essen.

»Lassen Sie uns gehen, Mann, oder ’s gibt jede Menge Ärger.«

»Mylady hat hinsichtlich Ihrer werten Personen bereits eindeutige Entscheidungen getroffen«, bedauerte Parker. »Eine umgehende Freilassung gehört nicht dazu. Seien Sie aber versichert, daß man alles tun wird, um Ihnen Leid zu ersparen.«

»Mir wird schlecht«, meldete sich der Mann, der bislang noch nichts gesagt hatte, zu Wort. Er hieß Gene Walters und galt innerhalb des Quartetts als der hartgesottenste.

Bevor Parker antworten konnte, wurde die Tür des kleinen Appartements aufgestoßen. Lady Agatha trat schwungvoll ein. Sie schien bester Laune zu sein und sprühte vor Tatendurst.

»Nun, Mister Parker, haben meine lieben Gäste ihre Henkersmahlzeit genossen?« dröhnte sie mit ihrer baritonal gefärbten Stimme. »Ich habe einiges vor, fangen wir also an!«

*

»Wußten Ihre Gäste Interessantes zu berichten?« erkundigte sich am Abend Mike Rander, der sich stets ein wenig lässig gebende Anwalt und Vermögensverwalter der Lady. Er war mit Kathy Porter zum Dinner aus der nahen Curzon Street herübergekommen und hatte gespannt Agatha Simpsons außerordentlich farbiger Darstellung der Szene mit den vier jungen Männern gelauscht, als diese an den Türklinken von Parkers Privatwagen gymnastische Übungen absolvierten. Die Hausherrin wollte gerade dazu übergehen, ihr Verhör zu schildern, als Josuah Parker die Gedecke abtrug.

»Sie kennen doch Mister Parker, mein lieber Junge, der Mann neigt immer wieder zu Rücksichtnahme und Gefühlsduselei gegenüber Gangstern«, beschwerte sie sich und schüttelte resignierend den Kopf. »Er hat wieder mal verhindert, daß ich diese Strolche so richtig ins Gebet nehmen konnte.«

»Schon wieder, Mylady?« wunderte sich Kathy Porter und zwinkerte Mike Rander vergnügt zu. Sie kannte das leidige Problem und hörte immer wieder gern, wenn sich die Hausherrin darüber ausließ. »Was hat der gute Parker denn diesmal angestellt?« schloß sich Mike Rander an und zwinkerte dem Butler zu, der gerade in die große Wohnhalle zurückkam und sich daran machte, die Gläser nachzufüllen.

»Ich hatte mir etwas besonders Hübsches ausgedacht«, grollte Lady Agatha nachträglich. »Aber nein, Mister Parker hatte wieder seine üblichen Skrupel!«

»Und was hatten Sie geplant, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander grinsend. Er kannte Myladys Einfallsreichtum in Sachen Verhörtechnik und wurde nicht enttäuscht.

»Nun ja, ich wollte die Lümmel ein bißchen einfrieren«, lächelte Lady Agatha versonnen. »Ich dachte, das wäre zu diesem Fall besonders passend.«

»Und wie wollten Sie das anstellen, Mylady?« Kathy Porter hatte ihr Glas abgestellt und beugte sich etwas vor, um nichts zu verpassen.

»Erzählen Sie bitte weiter, Mister Parker«, forderte die Hausherrin den Butler auf. »Ich rege mich sonst nur wieder über die entgangene Chance auf.« Sie ergriff ihr Glas, das ein vorbeugendes Mittel gegen Grippe enthielt und zu acht Zehntel aus Rum und einem geringen Rest Tee bestand, und nahm einen herzhaften Schluck.

»Mylady hatte zu diesem Zweck bereits eine der großen Tiefkühltruhen ausgeräumt, die man erst kürzlich anläßlich der Eröffnung eines Elektro-Fachmarkts sehr günstig erstanden hatte«, berichtete Parker. »Mylady gedachte, die Herren nacheinander in besagter Truhe zu deponieren, und ihnen das Frösteln zu lehren, wie sie ankündigte.«

Mike Rander sprang auf und zog sein Taschentuch aus der Hosentasche, um kräftig zu hüsteln. Er tarnte damit einen mittelschweren Lachanfall, der ihm bei Parkers Bericht zu schaffen machte. Auch Kathy Porter sah sich genötigt, aufkommende Heiterkeit zu verbergen und erhob sich, um sich ans Fenster zu begeben und interessiert hinauszusehen.

»Ich entsinne mich, Sie haben erst vor kurzem drei Riesentruhen erstanden«, bemerkte Mike Rander schließlich, der sich gefangen hatte und seinen alten Platz wieder einnahm.

»Sehr richtig, mein lieber Junge, das war ein außerordentlich günstiger Kauf, an dem ich einfach nicht vorbeigehen konnte«, trumpfte die Hausherrin auf und nickte energisch.

Seit geraumer Zeit studierte sie täglich die Händler-Angebote, um sich bei verlockenden Offerten mit Parker auf den Weg zu machen und zuzuschlagen. Dabei kam es ihr darauf an, zu günstigen Preisen zu kaufen, gleich, ob sie den betreffenden Gegenstand nun brauchte oder nicht. Auf diese Art hatte sie bereits ein ansehnliches Warenlager erworben, das Parker in den Kellerräumen gesammelt hatte.

»Und Mister Parker war dagegen?« wunderte sich Kathy Porter und schüttelte ihrerseits den Kopf, um Lady Agatha zu animieren.

»Unverständlich, die Skrupel, die Mister Parker hartgesottenen Totschlägern gegenüber an den Tag legt«, regte sich die Hausherrin künstlich auf. »Dabei hatte ich den ersten Lümmel schon in die Truhe gehievt.«

»Einfach so, Mylady?« wunderte sich Mike Rander. »Hat er keine Schwierigkeiten gemacht?«

»Nun ja, natürlich hat sich das Subjekt geziert«, erinnerte sich die Detektivin und lachte. »Aber ich habe den Kerl dann doch überredet, in die Truhe zu steigen. Zwar hat er geschrien, aber das hat man nicht mehr gehört, nachdem ich den Deckel geschlossen hatte.«

»Puh, das muß ja grauslich gewesen sein«, schüttelte sich Kathy Porter bei dem Gedanken, in einer dunklen Gefriertruhe zu sitzen.

»Und was passierte dann?« erkundigte sich Mike Rander gespannt.

»Mister Parker hatte den Stecker herausgezogen«, empörte sich Lady Agatha nachträglich. »Ich hatte die Truhe auf Tiefsttemperatur eingestellt, und dann zieht man einfach den Stecker heraus und sabotiert mein Verhör.« Die ältere Dame schüttelte indigniert den Kopf und warf dem Butler einen mißbilligenden Blick zu.

Parker zeigte bei der Anschuldigung keinerlei Gefühlsregung. In seinem glatten, unbewegten Gesicht rührte sich kein Muskel. Er verneigte sich formvollendet vor seiner Herrin und bat sie mit höflicher Stimme um Entschuldigung. »Ein peinliches Versehen, Mylady, das man aufrichtig bedauert«, erklärte er. »Meine Wenigkeit muß versehentlich den Stecker aus der Dose gezogen haben. Ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann bittet um Nachsicht.«

»Sabotage, Mister Parker, nichts sonst«, grollte die Lady und hob ihren Zeigefinger. »Aber gut, ich werde Ihnen noch mal verzeihen.«

»Mylady sind einfach zu gütig«, bedankte sich der Butler. »Man hofft, sich Myladys Gnade würdig zu erweisen.«

»Schon gut, Mister Parker, Sie wissen ja, ich bin nicht nachtragend«, erklärte sie erstaunlich friedfertig und winkte ab. »Zum Glück haben die Lümmel mich förmlich angebettelt, mir alles erzählen zu dürfen.«

Sie lächelte versonnen und verschränkte die Arme über der Brust. »Allerdings habe ich auch Mister Parker angewiesen, eine Schaufensterpuppe zu präparieren und bereitzuhalten. Und die Dame hat voll eingeschlagen, kann ich sagen!«

»Wie das?« wollte Kathy Porter wissen, die bereits ahnte, wie es weitergegangen war.

»Man hat den Anführer der Herren aus dem Raum geführt, um ihn einer gewissen Frostbehandlung auszusetzen«, fuhr Parker fort. »Nach einigen Minuten brachte man eine Puppe in den Raum zurück, die die Kleidung des besagten Gefrierkandidaten trug und mit Eiskristallen bedeckt war, die eine Identifizierung unmöglich machte. Die Herren hielten die Puppe verständlicherweise für ihren tiefgefrorenen Kollegen und beeilten sich daraufhin, Mylady ihr bescheidenes Wissen förmlich aufzudrängen.«

»Überschlagen haben sie sich, diese Lümmel«, erinnerte sich die Hausherrin. »Nun ja, ich muß sagen, Mister Parker, das mit der Puppe haben Sie gut hingekriegt.«

»Man bedankt sich für dieses Lob, Mylady«, ließ sich Parker höflich vernehmen, dessen Idee der Einsatz der Puppe war. »Mylady bringen damit einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann in Verlegenheit.«

»Papperlapapp, Mister Parker, man muß seine Mitarbeiter auch für kleine Dinge hin und wieder loben, das braucht jeder Mensch«, schöpfte Mylady aus dem reichen Schatz ihrer Lebenserfahrungen. »Aber«, warnte sie umgehend und hob mahnend den Finger. »Sie müssen noch viel lernen.«

*

»Moment mal, hier ist kein Zutritt für Kunden«, sagte ein kompakt wirkender Mann, während er den Butler stirnrunzelnd musterte. Der Mann trug einen ehemals weißen Kittel, der jetzt jedoch einen schmierigen Eindruck machte und große braune Flecken hatte.

Hinter Parker schwang die schwere, silbrigglänzende Metalltür in ihren Angeln und ließ etwas von der eiskalten Luft nach draußen, die in dem großen gekachelten Raum herrschte. Lady Agatha stand hinter ihrem Butler und sah sich neugierig um. Sie musterte interessiert die Schweine- und Rinderhälften, die an befestigten Haken hingen und auf ihre Weiterverarbeitung warteten.

»Mylady und meine Wenigkeit sind keinesfalls als Kunden hier«, antwortete Parker gemessen und lüftete andeutungsweise die schwarze Melone. »Mylady hat den Wunsch, sich mit Mister Daniel Rogers zu unterhalten.«

»Was woll’n ’se denn vom Boß?« erkundigte sich der Kompakte, während er ein Messer, mit dem er eine Schweinehälfte bearbeitet hatte, zur Seite legte und sich die Hände an seinem Kittel abwischte. »Ich glaub nich, daß er Zeit für euch hat, Leute.«

»Möglicherweise sollten Sie ihn der Einfachheit halber von Myladys Wunsch unterrichten«, schlug Parker vor. »Mister Rogers könnte dann selbst eine entsprechende Entscheidung treffen.«

»Na, wenn se meinen?« Der Kompakte zuckte die Achseln und schlurfte zwischen den Schweine- und Rinderhälften davon.

»Nicht uninteressant, Mister Parker«, fand Lady Agatha. »Ich frage mich, ob man mir eine Warenprobe einpacken könnte.« Sie tätschelte liebevoll ein halbes Schwein und sah es vor ihrem geistigen Auge bereits als saftigen Braten auf dem Teller.

Die Großschlachterei des Mr. Rogers war während des Verhörs der Freizeitfußballer erwähnt worden, die von Mylady mit der Aussicht auf einen Aufenthalt in ihrer Tiefkühltruhe konfrontiert worden waren. Daraufhin hatten sich die Herren beeilt, ihren Auftraggeber zu nennen und Daniel Rogers Namen förmlich hinausgeschrien.

Im Laden der Firma hatte man ihnen gesagt, daß der Inhaber wahrscheinlich im Kühlhaus anzutreffen wäre, wo er eine Lieferung an einen Supermarkt zusammenstellen wollte.

»Sie wollen mich sprechen?« Zwischen den Körperhälften tauchte ein massiger Mann um die fünfzig auf und sah ihnen aus zusammengekniffenen Augen entgegen. Der Inhaber der Großschlachterei wog gut und gern zweieinhalb Zentner und bewegte sich mit der Grazie eines Elefanten.

»So ist es, Sir«, bestätigte Parker und lüftete erneut die Melone. »Vorausgesetzt, Sie sind Mister Daniel Rogers und der Leiter dieses Betriebes hier.«

»Bin ich, Mann. Und wer sind Sie? Wie ’n Fleischeinkäufer sehen Sie nicht gerade aus.«

»Sie werden einige Fragen beantworten, junger Mann«, kündigte die Lady an. »Ich rate Ihnen nicht mit irgendwelchen Ausflüchten zu reagieren.«

Sie nickte Parker zu und verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust.

»Sie haben die Ehre und das Vergnügen, Lady Agatha Simpson vor sich zu sehen«, stellte der Butler vor. »Mylady interessiert sich für die vier jungen Herren, die sich auf Sie berufen, Sir.«

»Lady Agatha Simpson?« überlegte der Großschlachter und sah seine Besucher nachdenklich an. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, aber im Augenblick fällt mir nicht ein, in welchem Zusammenhang ich ihn gehört haben könnte.«

»Mister Parker wird Ihr Gedächtnis auffrischen«, grollte die Lady. »Hören Sie ihm gut zu!«

»Parker, Parker ...« murmelte Daniel Rogers. »Komisch, auch diesen Namen kenne ich irgendwoher.«

»Vor einigen Stunden wurde Mylady von vier jungen Männern belästigt, die in der Nähe ihres Hauses Fußball spielten und Mylady an der geplanten Ausfahrt in die City hinderten«, erläuterte Parker gemessen. »In diesem Zusammenhang fiel Ihr Name, Sir.«

»Aha, meinten diese mysteriösen Burschen, ich hätte mitspielen sollen?« mokierte sich der Großschlachter. »Aus dem Alter bin ich raus, Mann, das werden Sie doch einsehen, oder?« Er lachte spöttisch und schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie mich jetzt, ich habe zu tun«, fuhr er fort und wollte sich umdrehen, um zu gehen.

»Bleiben Sie hier, wenn ich mit Ihnen rede«, herrschte ihn Lady Agatha an. »Ich sage Ihnen schon, wann Sie gehen können!«

Daniel Rogers erstarrte mitten in der Bewegung und wandte sich langsam um. »He, wie reden Sie denn mit mir?« knurrte er und musterte sie aus tückisch glitzernden Augen. »Ich bin nicht Ihr Lakai, Lady. Mit mir könnense in dem Ton nicht sprechen, klar?«

»Sie haben mir die vier Strolche geschickt, damit sie einen Anschlag auf mich verüben«, beklagte sich die ältere Dame. »Sie wollten mich umbringen lassen, und so etwas nehme ich grundsätzlich übel!«

»Wie war das?« Rogers stemmte die Arme in die Hüften.

»Wollen Sie das abstreiten?« fuhr Agatha Simpson fort und trat einen Schritt auf ihn zu. »Diese Lümmel haben gestanden, es hat also gar keinen Zweck zu leugnen«, triumphierte sie und stemmte ihrerseits die Hände in ihre nicht eben wespenhafte Taille.

»Sie haben ’ne blühende Phantasie, Lady, so ’n Blödsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört«, höhnte der Schlachter und schüttelte heftig den Kopf. »Lassen Sie sich von Ihrem Butler nach Hause bringen und legen Sie sich ins Bett, Sie werden sehen, nach ’n paar Stunden Schlaf sieht die Welt ganz anders aus.«

»War das gerade eine Beleidigung, Mister Parker?« wandte sich die Detektivin hoffnungsvoll an Josuah Parker, der stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter seiner Herrin stand. In seinem glatten, unbewegten Gesicht rührte sich kein Muskel.

»Mitnichten, Mylady«, wiegelte der Butler ab, »Mylady sollten Mister Rogers vielleicht Gelegenheit zu einer Erklärung geben, wenn dieser Vorschlag gestattet ist.«

»Aber nur ausnahmsweise, Mister Parker«, nörgelte sie und machte einen ausgesprochen enttäuschten Eindruck. »Ich hoffe, der Lümmel nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie wissen, ich liebe ein offenes Wort.«

*

»Da Sie offensichtlich keine Kundin sind, auf die ich Rücksicht nehmen müßte, sehe ich keinen Grund zu besonderer Höflichkeit«, knurrte der Fleischlieferant. »Also ganz klar und deutlich: Trollen Sie sich, ich habe zu tun!«

»Ein gewisser Eisbär sollte Ihnen eigentlich bekannt sein, Sir«, meldete sich Parker gemessen zu Wort. »Mylady kam zu Ohren, daß ein Herr mit diesem Pseudonym der eigentliche Auftraggeber des Überfalls auf uns sein soll.«

Der Großschlachter, der sich gerade wieder auf den Weg in den hinteren Teil der Kühlhalle hatte machen wollen, drehte sich um und starrte den Butler an.

»Eisbär?« echote er mit nicht zu überhörender Unsicherheit in der Stimme. »Was ist denn das für ’n lustiger Name. Wollen se mich auf den Arm nehmen, Mann?«

»Wohl kaum, Sir. Aber sowohl die Fußballspieler als auch ein anonymer Anrufer verwiesen unmißverständlich auf jenen Gentleman, der sich diesen Decknamen aus dem Tierreich entliehen hat.«

»Also ehrlich, Leute, da muß euch einer ganz schön verschaukelt haben«, knurrte Rogers schließlich. »Ich hab jetzt genug von dem Unsinn, also bitte, verdrücken Sie sich, ja?«

»Das war aber nun wirklich eine Beleidigung, Mister Parker«, machte sich die ältere Dame bemerkbar, die erstaunlich lange geschwiegen hatte. »Ich habe nicht die Absicht, mich von einem Lümmel hinauswerfen zu lassen.«

»Mister Rogers verfügt zweifelsohne über das sogenannte Hausrecht, Mylady«, gab Parker höflich zu bedenken.

»So ist es«, grinste der Großschlachter. »Also verschwinden Sie endlich. Harry, mach den Leuten Beine!«

Harry war der kompakte Mann in dem schmierigen Kittel, den Lady Agatha und Parker bereits beim Betreten des Kühlhauses kennengelernt hatten. Harry schien auf die Aufforderung seines Chefs nur gewartet zu haben und kam lächelnd näher. In seinen Händen hielt er ein Metzgerbeil, das er drohend durch die Luft sausen ließ.

»Ihr Verhalten dürfte einen außerordentlich unerfreulichen Akt der Bedrohung darstellen«, teilte ihm Parker gemessen mit. »Sie haben möglicherweise die Absicht, mit dieser Schneidware auf Mylady und meine bescheidene Wenigkeit einzudringen?«

»Was?« Harry blieb jäh stehen und starrte den Butler mit offenem Mund an. Es war offensichtlich, daß er Parkers Satz nicht begriffen hatte.

»Man erlaubte sich die Frage, ob Sie jenes Beil gegen Mylady und meine Person als Waffe verwenden möchten«, wiederholte der Butler seine Bemerkung.

»Ach so, ja, genau richtig, Mann!« Harry nickte heftig, hob die Hände und fuhr mit dem Beil erneut durch die Luft.

»Ich hoffe, Sie rufen diesen Lümmel zur Ordnung, Mister Parker«, meldete sich Lady Agatha zu Wort. »Es ist eine Unverschämtheit, eine Dame mit einem Schlachterwerkzeug zu bedrohen.«

»Ein Hinweis, dem nichts mehr hinzuzufügen ist, Mylady«, stellte der Butler gemessen klar und handelte. Er hatte unauffällig die schwarzbehandschuhte Hand ausgestreckt und auf eine neben ihm von der Decke baumelnde Schweinehälfte gelegt.

Diese Schweinehälfte geriet plötzlich in Bewegung. Parker hatte ihr einen herzhaften Stoß versetzt und sie in heftige Pendelausschläge versetzt. Das tiefgefrorene Fleisch schwang vor und zurück, veränderte aufgrund diskreter Einflußnahme die Stoßrichtung und kollidierte mit dem wie erstarrt stehenden Harry. Die Schweinehälfte prallte gegen seine Brust, warf ihn zurück und brachte ihn aus dem Gleichgewicht.

Während er um die Balance kämpfte, war Parker neben ihn getreten und nahm ihm vorsichtshalber das Beil ab, damit er sich nicht verletzten konnte. Der Butler verstaute das Werkzeug auf einem Regal und sorgte anschließend dafür, daß Harry von weiteren Aktivitäten absah. Er nahm einen Plastikeimer zur Hand, stülpte ihn dem kompakten Mann über den Kopf und verbesserte durch einen leichten Schlag mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Regenschirmes dessen Paßform.

Harry grunzte beeindruckt und streckte sich dann zu einer kleinen Schlafpause aus. Einen Moment später gab er mehr oder weniger lautstark Schnarchtöne von sich und verriet auf diese Weise, daß mit ihm in der nächsten Zeit nicht mehr zu rechnen ist.

»Dieser Lümmel wollte mich mit seinem Beil umbringen, und Sie haben ihn dazu aufgefordert«, grollte Lady Agatha und faßte Daniel Rogers, der die Szene mit weitaufgerissenen Augen verfolgt hatte, scharf ins Auge. »Das kann eine Dame nicht hinnehmen, das dürfte Ihnen doch wohl klar sein, Sie Subjekt!«

»Da hat er mich mißverstanden, Lady, ehrlich«, wehrte der Metzger hastig ab und streckte abwehrend die Arme vor. »Zugegeben, mein Umgangston ist nicht der beste, aber sowas ist nicht drin, das können Sie mir glauben.«

»Demnach sollten die Hobby-Fußballer vor Myladys Haus nur eine Warnung darstellen, Sir?« erkundigte sieh der Butler höflich.

»Na, klar, die sollten Sie nur ’n bißchen erschrecken«, gab Rogers klein bei und starrte den Butler wütend an. Er biß sich auf die Lippen und war sich wohl bewußt, daß er sich verplappert hatte.

»Sage ich doch, Sie wollten mich umbringen lassen«, interpretierte Lady Agatha die Aussage umgehend auf ihre Art und brachte den Pompadour, in dem sich ein veritables Hufeisen als sogenannter Glücksbringer befand, in Schwingung. Mylady hatte die Absicht, dem Fleischunternehmer gründlich die Meinung zu sagen und ihm zu diesem Zweck den perlenbestickten Handbeutel samt Hufeisen auf den Solarplexus zu setzen.

Der Großschlachter fühlte sich angegriffen und wich erstaunlich schnell zur Seite. Er griff nach einem langen Messer, das aus einer Tierhälfte ragte, und streckte es Lady Agatha höhnisch grinsend entgegen.

»Ihre Manieren einer Dame gegenüber sind in der Tat beklagenswert«, stellte Josuah Parker fest und ließ seine Augenbrauen mißbilligend ansteigen. Er griff nach dem Rand seiner schwarzen Melone, als wollte er sich vom korrekten Sitz überzeugen, und schleuderte sie im nächsten Augenblick durch die Luft. Bevor Rogers begriff, wie ihm geschah, liebkoste der Rand der Melone seinen Halsansatz und fällte den Mann von einer Sekunde zur anderen. Die Melone des Butlers war mit Stahlblech verstärkt und hatte bislang noch jeden, der davon getroffen worden war, von der Notwendigkeit einer Ruhepause überzeugt.

Daniel Rogers ließ das Messer fallen und knickte stöhnend in den Knien ein. Parker stand bereits vor ihm und fing den schweren Mann scheinbar mühelos auf.

»Was soll das, Mister Parker, gerade wollte ich ihm Manieren beibringen«, ärgerte sich Lady Agatha, die zwangsläufig auf den Einsatz ihres Pompadours verzichten mußte. Sie hängte ihn kopfschüttelnd wieder über ihren Unterarm.

»Meine Wenigkeit bittet um Entschuldigung, daß man Mylady womöglich um ihren Einsatz gebracht hat«, entschuldigte sich Parker höflich. »Man handelte aus einem reinen Reflex heraus und wollte Mylady auf keinen Fall zuvorkommen.«

»Ich hoffe, das wiederholt sich nicht, Mister Parker«, erwiderte sie und sah ihn streng an. »Sie müssen lernen sich zu beherrschen. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel.«

»Myladys Vorbild ist unerreicht«, wußte Parker und deutete eine Verbeugung an. »Dennoch wird meine bescheidene Wenigkeit stets versuchen, Mylady nachzueifern.«

*

»Und wie ging es dann weiter?« erkundigte sich Mike Rander amüsiert. Er war mit Kathy Porter aus der nahen Curzon Street herübergekommen und saß im kleinen Salon von Myladys altehrwürdigem Haus beim Frühstück. Mylady hatte die beiden jungen Leute, wie sie den Anwalt und ihre Gesellschafterin gern nannte, ausdrücklich dazu eingeladen, um ihnen bei dieser Gelegenheit das neueste vom sogenannten Eisbär zu berichten. Parker hatte eine Platte mit geräuchertem Lachs aus schottischen Gewässern, mageres, zartrosa gebratenes Fleisch in hauchdünnen Scheiben, kaltes Huhn und diverse Salate gerichtet. Dazu gab es Kaffee und Tee, und man delektierte sich an einer Sahnetorte kontinentalen Ursprungs.

»Nicht schlecht, Mister Parker, aber Sie sollten das mit dem Salat nicht übertreiben, ich bin schließlich kein Kaninchen. Zumindest sollten Sie ein anständiges Dressing dazu reichen«, bemerkte sie und trank einen Verdauungskognak.

»Dressing ist aber sehr kalorienreich wegen des Öls«, stellte Kathy Porter lächelnd fest.

»Papperlapapp, Kindchen, etwas Öl wird mich nicht gleich umbringen. Wo war ich übrigens stehengeblieben?«

»Sie stellten gerade fest, daß Mister Parker Ihnen den Metzger ›ausgespannt‹ hat«, half Mike Rander ihr auf die Sprünge und lächelte.

»Richtig, eine Schweinehälfte vollendete das Werk, obwohl ich den Mann gerade zur Ordnung rufen wollte«, erinnerte sich die Detektivin und runzelte in der Erinnerung daran die Stirn.

»Eine reine Reflexhandlung, wie man sich schon an Ort und Stelle zu erklären erlaubte«, wandte Parker höflich ein. »Man wollte Mylady keinesfalls und mitnichten um ihr Zielobjekt bringen.«

»Das sagen Sie immer«, grollte die Hausherrin. »Aber gut, diesmal sehe ich Ihnen das noch nach. In Zukunft bitte mehr Zurückhaltung!«

»Man wird sich bemühen, Mylady«, versprach Parker und deutete eine Verbeugung an.

»Auf der anderen Seite haben Sie meine Idee recht hübsch verwirklicht«, freute sich Agatha Simpson und nickte ihm wohlwollend zu.

»Darf man erfahren, was Sie sich haben einfallen lassen, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen und tauschte mit Mike Rander einen amüsierten Blick.

»Mister Parker wird es Ihnen erklären«, ließ sich die ältere Dame vernehmen.

»Zu gütig, Mylady«, bedankte sich Parker, bevor er sich an Kathy Porter und Mike Rander wandte.

»Meine Wenigkeit verstaute die beiden Herren in zwei großen Säcken an soliden Deckenhaken, um auf diese Weise etwas Ruhe und Gelegenheit zum Nachdenken zu geben«, fuhr er fort. »Man brachte die beiden Säcke jeweils zwischen zwei Tierhälften an, so daß sie nicht sofort entdeckt werden konnten.«

»Da muß es den Burschen aber mit der Zeit etwas kühl geworden sein«, vermutete der Anwalt und grinste.

»Man versorgte die Herren zuvor mit wattierten Jacken, wie sie üblicherweise bei der Arbeit in Kühlhäusern getragen werden«, erklärte der Butler gemessen. »Außerdem schützte man ihre Ohren mit einem ausgenommenen Schweinskopf und ihre Hände durch Fäustlinge.«

»Das muß ja recht nett ausgesehen haben«, lächelte Kathy Porter. »Ich sehe das Bild direkt vor meinem geistigen Auge.«

»Mister Parker mußte natürlich von einer nahegelegenen Telefonzelle in der Firma anrufen und den Leuten dort sagen, wo sie die beiden Lümmel finden können«, grollte Lady Agatha. »Ich hätte die beiden noch länger schmoren lassen.«

»Das dürfte ja wohl kaum die passende Umschreibung für die Situation der beiden sein«, stellte Mike Rander fest. »Mit der Zeit muß den Kerlen trotz der wattierten Jacken ganz schön kühl geworden sein.«

»Aus diesem Grund wies man auf ihren Verbleib hin, Sir«, pflichtete der Butler ihm bei. »Auf jeden Fall sollten gesundheitliche Nachwirkungen vermieden werden.«

»Diesen Strolchen wäre schon nichts passiert«, stellte Lady Agatha verärgert fest. »Ich habe sie nicht mal zehn Minuten da drin gelassen.«

»Konnten Sie noch etwas von den beiden erfahren?« lenkte Kathy Porter geschickt ab.

»In der Tat fiel der Name eines Herrn, in dessen Auftrag Mister Rogers seine Leute auf den Weg geschickt haben will«, teilte Parker mit. »Es handelt sich um einen gewissen Samuel Bell, der gleichfalls in der Lebensmittelbranche tätig sein soll. Mister Bell betreibt dem Vernehmen nach einen Gemüse- und Obstgroßhandel und ist in der Unterwelt nicht ganz unbekannt.«

»Dann wird sich dieser Bell aber nicht gerade über die Schwatzhaftigkeit des Metzgers freuen«, glaubte Mike Rander. »Ich könnte mir vorstellen, daß er ihm dafür auf die Bude rückt.« Mike Rander, ein angesehener, kompetenter Anwalt, liebte es, sich zuweilen etwas rustikal auszudrücken, wenn es um Kriminalfälle ging.

»Eigentlich hätte ich ja gedacht, daß ein Metzger einiges verträgt und nicht ohne weiteres aus der Schule plaudert«, wunderte sich Kathy Porter.

»Ich habe ihm gezeigt, wie es ist, wenn man sich mit einer Lady Simpson anlegt«, stellte die energische Dame fest und lächelte versonnen. »Ich glaube, so schnell wird er mich nicht vergessen.«

»Dürfte man Einzelheiten hören?« erkundigte sich Mike Rander neugierig.

»Mylady dachte laut darüber nach, ob man wohl auch einen Menschen schockgefrieren könnte«, informierte Parker ihn. »Sie äußerte die Ansicht, daß dies durchaus möglich sein müßte.«

»Daraufhin ist den Strolchen heiß geworden«, freute sich die Hausherrin. »Der Schweiß ist ihnen nur so heruntergelaufen.«

»Scheußlicher Gedanke!« Kathy Porter schüttelte sich und zog unwillkürlich die Schultern zusammen.

»Immerhin behandeln die Banditen ihre Opfer auf ähnliche Weise«, stellte Lady Agatha mit strenger Stimme fest. »Deshalb lag es nahe, den Burschen gleiche Wohltaten zu versprechen.«

*

»Mylady haben sicher bemerkt, daß man Mylady verfolgt«, bemerkte Parker etwas später. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und steuere es souverän durch den einsetzenden Berufsverkehr der City.

»Die Unterwelt weiß eben, wie gefährlich ich bin«, freute sie sich und drehte sich ungeniert um, um durchs Rückfenster zu schauen.

»Möglicherweise legen gewisse Herren Wert darauf zu erfahren, wo die vier jungen Hobby-Sportler untergebracht wurden«, stellte der Butler fest. »Man dürfte mit diesen einige Worte wechseln wollen.«

»Gut, daß mir Ihr Bekannter draußen m Stepney einfiel, Mister Parker«, lobte sie sich. »Dort würde kein Mensch diese Nachwuchs-Ganoven vermuten.«

»Mister Greaves bildet sie gerade in der – mit Verlaub – strapaziösen Kunst der Landwirtschaft aus und um«, bemerkte Parker gemessen, während er einen prüfenden Blick in den Rückspiegel warf. Der dunkle Ford hatte etwas aufgeholt und lag nur noch zwei Wagenlängen hinter dem ehemaligen Londoner Taxi.

Parker lenkte das hochbeinige Monstrum auf eine Ausfallstraße, die in südlicher Richtung aus der Stadt führte. Er wollte den Ford und dessen Insassen in eine weniger belebte Gegend locken, um auszuschließen, daß Unbeteiligte bei einer möglichen Auseinandersetzung zu Schaden kamen.

»Fahren wir zur Farm, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, die sich wieder mal nach dem Verfolger-Wagen umgedreht hatte und dabei einen ausgesprochen unternehmungslustigen Eindruck machte. Sie konnte es kaum erwarten, in Aktion zu treten und die Wageninsassen aus dem Verkehr zu ziehen.

Die Farm, von der die Lady sprach, lag gut zwanzig Kilometer von der Peripherie der Hauptstadt entfernt und wurde von einem alten Bekannten Parkers betrieben. In früheren Zeiten hatte sich Ben Greaves als Tresorknacker betätigt, bis er mal bei der Arbeit ›überrascht‹ wurde und sein Komplice einen Polizisten anschoß.

Dieser Komplice hatte ihm anschließend die Tatwaffe untergeschoben und versucht, den Schuß, der den bedauernswerten Polizisten zum Invaliden machte, ihm anzulasten. Parker war es schließlich gelungen, Greaves von dem Vorwurf zu befreien und vor einer langen Gefängnisstrafe zu bewahren. Er war mit wenigen Jahren davongekommen und hatte sich anschließend als Landwirt betätigt.

Zu diesem Bekannten hatte der Butler am Vortag die Hobby-Fußballer gebracht, um sie vor der Rache enttäuschter Auftraggeber zu bewahren.

Parker hatte Greaves bereits von ihrem bevorstehenden Besuch verständigt, da er von vornherein mit einer Verfolgung gerechnet hatte. Das Tor der Farm stand weit offen und lud die beiden näherkommenden Wagen förmlich ein, es zu passieren.

»Ich hoffe, Sie lassen sich etwas einfallen, um die Lümmel gebührend zu empfangen«, sagte Lady Agatha. »Ich werde Ihnen freie Hand lassen, Mister Parker, schließlich sollen Sie lernen, Eigeninitiative zu entwickeln.«

»Man bedankt sich für die großzügige Chance«, gab Parker höflich zurück, während er sein hochbeiniges Gefährt auf gepflastertem Farmgelände zum Stehen brachte.

Neben dem Wagen tauchte ein hochgewachsener, schlanker Mann auf und tippte grüßend an den Rand seiner speckigen Mütze.

»Sie hatten eine angenehme Fahrt hierher?« erkundigte er sich, während er in Richtung Wagenfond eine respektvolle Verbeugung andeutete.

»Man wurde auf dem Weg hierher begleitet, Mister Greaves«, teilte Parker gemessen mit. »Sie sollten mit weiteren Helfern rechnen.«

»Nun, die Erntezeit beginnt demnächst«, lächelte der Neulandwirt, »da kann ich jede Hand gebrauchen, Mister Parker.«

»Man sollte die Herren gleich auf die ländlichen Verhältnisse einstimmen«, schlug der Butler vor. »Möglicherweise könnten hier einige Ihrer Tiere behilflich sein.«

»Warum nicht?« Ben Greaves überlegte einen Augenblick und nickte dann zufrieden. »Ich denke, ich habe da eine Idee«, bemerkte er und ging zu einer schmalen Tür, die in ein angebautes Stallgebäude eingelassen war.

Der dunkle Ford bog mit quietschenden Reifen in den Hof und wurde abrupt zum Stehen gebracht. Die Türen wurden förmlich aufgerissen, die beiden Wageninsassen sprangen mit gezogenen Revolvern heraus.

Einen Moment später standen sie neben Parkers hochbeinigem Monstrum und drückten die Mündungen ihrer Waffen gegen die Seitenscheiben.

»Los, raus mit euch, aber ’n bißchen dalli«, kommandierte der Mann neben Parker.

»’n bißchen plötzlich, sonst garantieren wir für nichts«, sekundierte ihm sein Partner und starrte Lady Agatha grimmig durch die Scheibe an. Die Detektivin lächelte freundlich und hob grüßend eine Hand, was den Burschen sichtlich verwirrte.

»Sollte es sich hier möglicherweise um einen Überfall handeln?« erkundigte sich Parker. Er hatte die bordeigene Übertragungsanlage eingeschaltet, die eine Kommunikation aus dem geschlossenen Wagen mit Außenstehenden problemlos ermöglichte.

»Du bist wohl ’n Blitzmerker, was?« brüllte der Mann neben seiner Seitenscheibe und drohte mit dem Revolver. »Los, mach auf, aber dalli!«

»Wie Sie zu meinen geruhen.« Parker nickte würdevoll und gemessen und dachte nicht daran, die Aufforderung zu befolgen. Stattdessen beobachtete er, wie sich die schmale Stalltür öffnete und eine Schar schneeweißer Gänse herausgewackelt kam.

Die Tiere machten einen aufgeregten Eindruck und schlugen wild mit den Flügeln um sich, während sie auf den Hof quollen.

Die beiden Gangster starrten überrascht auf das Federvieh. Sie wußten nicht, wie sie darauf reagieren sollten, und sahen sich ratlos an.

Der an der Spitze marschierende Gänserich musterte die beiden Revolverhelden. Er stellte fest, daß er sie nicht kannte und sie daher auch nichts auf dem Hof zu suchen hatten. Er riß den Schnabel auf, ließ ein bedrohliches Zischen hören und setzte sich in Trab. Er schoß förmlich auf die konsternierten Gangster zu und schlug dazu aggressiv mit den imponierenden Flügeln. Die Schar folgte ihm unverzüglich und fiel unisono in das Zischen ihres Anführers ein.

Der große Gänserich streckte den Kopf vor und hatte unmißverständlich die Absicht, den Mann neben Parkers Fahrertür zu beißen. Der wich erschrocken zur Seite und verlor dabei das Gleichgewicht. Der Gänserich setzte nach und hieb mit dem Schnabel nach seiner Hand. Der Revolver entglitt seinen Fingern und rutschte unter das ehemalige Taxi.

Inzwischen hatte sich die Gänseschar geteilt und führte einen Zangenangriff. Von zwei Seiten stürmte das Federvieh zischend heran und hackte mit den Schnäbeln auf die Gangster ein.

»Nicht schlecht, Mister Parker«, lobte Lady Agatha und sah interessiert zu, wie die Gänse die beiden Revolverhelden über den Hof trieben. Sie hatten die Hände schützend über ihre Köpfe gelegt und spurteten Richtung Ford.

Doch sie hatten das kampflustige Geflügel unterschätzt. Wieder teilte sich die Verfolgerschar. Einige besonders wohlgeratene Exemplare flatterten über die Köpfe der Gangster hinweg auf den Ford zu. Sie plumpsten neben dem Wagen schwer zu Boden und gingen sofort zum Frontalangriff über, während gleichzeitig die übrigen Gänse die entsetzten Ganoven bedrängten.

Die in Panik geratenen Revolverhelden warfen sich zur Seite und wechselten auf die Schmalseite des Farmhofs, wo sich ein dampfender Misthaufen auftürmte. Kurz davor stoppten sie und drehten sich nach ihren Verfolgern um. Die waren schon bedenklich nahe.

Die beiden jungen Männer sahen sich einen Augenblick ratlos an, dann zuckten sie die Schultern und ... warfen sich auf den Misthaufen. Sie wühlten sich förmlich hinein und mühten sich verzweifelt ab, den riechenden Berg zu erklimmen.

Die Gänse stoben wie große weiße Wolken um sie herum und stießen ihnen die Schnäbel in den Rücken.

»Außerordentlich bemerkenswerte Tiere«, fand Agatha Simpson und beobachtete die Szenerie mit Wohlgefallen. »Eigentlich sind so wundervolle Vögel viel zu schade als Braten, Mister Parker.«

»Schon die alten Römer setzte Gänse zur Bewachung ihrer Kornvorräte ein«, bemerkte der Butler gemessen. »Man wußte in der Antike bereits, welche ausgezeichnete Wächter sie abgeben, Mylady.«

»Die sind ja noch besser als scharfe Hunde«, freute sich die ältere Dame. »Ich könnte ihnen stundenlang Zusehen, Mister Parker.«

*

»Meine Wenigkeit freut sich, Sie durchaus angemessen untergebracht zu sehen«, stellte Josuah Parker fest. Er stand mit seiner Herrin in einem ehemaligen Kuhstall, der inzwischen nur noch Lagerzwecken diente. Ein Teil des Stalles war mit starken Gitterstäben versehen. Dieser »Sicherheitstrakt« hatte früher dem Aufenthalt des hofeigenen Bullen gedient, dessen Aggressivität eine besonders sichere Unterbringung erforderlich gemacht hatte.

In diesem separaten Raum hielten sich die beiden Revolverhelden auf und starrten verbissen durch die Gitter. Sie saßen auf einem umgestülpten, steinernen Trog und machten einen deprimierten Eindruck.

»Dafür kriegen Sie noch die Rechnung präsentiert«, meinte schließlich der kleinere von beiden. Er ballte die Fäuste und schlug sie wütend auf seine Oberschenkel.

»In ähnlicher Form äußerten Sie sich bereits«, antwortete Josuah Parker. »Allerdings läßt Ihre augenblickliche Verfassung Ihre Ankündigung ein wenig seltsam erscheinen.«

»Das läßt sich der Boß nicht bieten, mit Sicherheit nicht«, entgegnete der Partner des kleineren Revolverhelden.

»Sollten nicht eher die Herren sich vor der Reaktion Ihres Chefs fürchten müßten?« erkundigte sich der Butler höflich.

»Wieso denn das?« Der kleinere »Inhaftierte« sah Parker erstaunt an.

»Wie man weiß, sind Versager in Ihren Kreisen nicht allzu beliebt«, erläuterte Parker gemessen. »Zudem dürfte Ihr Ruf unter der Tatsache zu leiden haben, vor einer Schar Gänse geflohen zu sein. Ihre Auftraggeber könnten dafür wenig Verständnis aufbringen.«

»Die haben doch keine Ahnung, was das für bissige Viecher sind«, regte sich der zweite Revolverheld auf.

»Sie dürften sich der Lächerlichkeit preisgegeben sehen«, fuhr Josuah Parker fort, ohne den Einwand des Schlaksigen zu beachten.

»Das war ’n ganz mieser Trick von Ihnen. Sowas gehört sich einfach nicht«, regte sich sein Partner auf und sah den Butler anklagend an.

»Möglicherweise könnte man Ihnen gewisse Hilfe angedeihen lassen«, gab Josuah Parker zu verstehen. »Voraus Setzung wäre allerdings, daß Sie Mylady mit Hinweisen dienen. Einige Andeutungen ließen Sie ja bereits hören.«

»Das ist gar nicht wahr«, heulte der Mann auf und rüttelte wütend an den Gittern. »Kein Wort haben wir gesagt, verdammt nochmal. Wir sind Profis, wir singen nicht.«

»Mister Bell wird da möglicherweise gewisse Zweifel hegen«, vermutete der Butler. »Die Tatsache, daß sich Mylady ab sofort sehr intensiv mit seiner Person beschäftigt, könnte ihn zu dem Schluß verleiten, daß Sie ihn Myladys Aufmerksamkeit empfohlen haben.«

»Wir haben kein Wort verraten, und Bell weiß ganz genau, daß wir dichthalten«, brüllte der kleinere Insasse der Gitterbox. »Sie wollen uns nur gegeneinander ausspielen.«

»Keinesfalls – und mitnichten. Weiß Mister Bell auch, daß Sie den Namen ›Eisbär‹ erwähnten und von einem gewissen Mister Daniel Rogers sprachen?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Abgesehen von diesen beiden Namen waren auch die übrigen Hinweise außerordentlich ergiebig.«

»Verdammt, von uns haben Sie keine Silbe gehört, Sie wollen uns nur bei Bell anschwärzen«, brüllte der schlaksige Mann.

»Man sollte davon ausgehen, daß sich Mister Bell inzwischen längst ein Bild von der Situation gemacht hat und entsprechende Maßnahmen einleitet. Sie sollten seine Intelligenz auf keinen Fall unterschätzen.«

»Ich habe jedenfalls nichts gesagt, das ist amtlich«, stellte der kleinere der beiden Revolverschwinger fest und wandte sich demonstrativ ab.

»Ihr Partner hatte das Glück, vor Ihnen mit Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit sprechen zu können«, erinnerte sich Josuah Parker.

»Wie war das?« Der Mann wirbelte auf dem Absatz herum und baute sich vor seinem Partner auf. »Hast du etwa wieder das Maul zu weit aufgerissen, Fred?« giftete er und stemmte die Arme in die Hüften. »Du hast schon immer gern gequatscht, das bringt dich irgendwann um Kopf und Kragen.«

»Wie kann man nur so blöd sein«, blaffte der Schlaksige. »Merkst du denn nicht, daß uns der Kerl nur gegeneinander ausspielen will?«

»Eine nicht ungeschickte Taktik, Sir«, sprach Parker ihm seine Anerkennung aus. »Wie sonst auch sollten Sie reagieren?«

»Genau«, pflichtete der kleinere Ganove Parker bei. »Ich kenne dich doch, Fred, du hast einfach ’n zu lockeres Mundwerk.«

»War da nicht auch noch die Rede von einer Sonderprämie, die den Herren als Anführer Ihrer kleinen Streitmacht winken sollte?« überlegte der Butler, während er den Mann namens Fred vielsagend musterte.

»Ach nee, das wird ja immer interessanter«, fand sein Partner und rückte Fred bedrohlich nahe. »Das Thema sollten wir mal durchkauen, finde ich.«

»Nun dürften die erwähnten hundert Pfund nichts sein im Vergleich zu dem, was ein gewisser Mister Eisbär kassiert«, ließ sich Josuah Parker erneut vernehmen. »Der Herr, der sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, vereinnahmt Beträge, von denen Sie bestenfalls träumen können.«

Der Butler lüftete höflich die schwarze Melone und verließ den ehemaligen Kuhstall. Er war sicher, daß die Burschen ausgiebig miteinander diskutieren und dabei auch das eine oder andere handgreifliche Argument austauschen würden.

*

»Seien Sie vorsichtig, Mister Parker, dieser Bell hat es in sich«, warnte Horace Pickett. Der Butler saß im Restaurant eines bekannten City-Kaufhauses einem Mann gegenüber, der sich straff und aufrecht hielt und damit unwillkürlich an einen pensionierten Offizier erinnerte.

Horace Pickett hatte in früheren Jahren grundsätzlich nur betuchte Mitbürger, die sich einen Verlust ohne weiteres leisten konnten, um ihre Brieftaschen erleichtert. Eines Tages jedoch geriet er an einen Mafia-Boß, der nicht nur seine Barschaft, sondern vor allem auch wichtige Dokumente vermißte, die er zusammen mit dem Geld in seiner Brieftasche verwahrt hatte.

Dieser Mann hatte sich als ausgesprochen nachtragend erwiesen und alles daran gesetzt, nicht nur sein Eigentum zurückzuerhalten, sondern auch den Dieb beseitigen zu lassen. Es war seinerzeit der Butler gewesen, der Horace Pickett vor diesem Schicksal bewahrte. Seitdem wandelte der frühere Eigentumsumverteiler auf dem vielzitierten Pfad der Tugend und unterstützte Lady Agatha und Parker bei der Lösung ihrer Fälle.

Josuah Parker hatte sich nach dem Besuch der Farm mit Horace Pickett in Verbindung gesetzt und um dieses Treffen gebeten. Ihm ging es darum, sich ein aktuelles Bild über einen gewissen Samuel Bell zu verschaffen, dessen Name in den letzten Tagen immer wieder gefallen war.

»Womit beschäftigt sich Mister Bell Ihren Informationen zufolge?« erkundigte sich Parker, der Picketts Hilfe außerordentlich schätzte. Er wußte, daß die intime Kenntnis der Unterwelt, mit der der ehemalige Eigentumsumverteiler aufwarten konnte, nicht hoch genug einzuschätzen war.

»Mit nahezu allem, was Geld bringt, Mister Parker. Also mit verbotenem Glückspiel, wucherischem Geldverleih, Prostitution und Erpressung. Nach außen hin betreibt er zur Tarnung ein völlig legales Unternehmen, das sogar sehr gewinnbringend arbeitet. Er macht da in Obst und Gemüse.«

»Ihre Informationen decken sich in der Tat mit meinem Kenntnisstand, Mister Pickett«, bemerkte der Butler gemessen. »Würde die Organisation einer großangelegten Erpressung im Stil des besagten Eisbären zu Mister Bell passen?«

»Unbedingt, Mister Parker, das liegt genau auf seiner Linie. Vielleicht ist ihm die Idee dazu in seinen eigenen Kühlhäusern gekommen.«

»Wenn sich die Sache mit dieser Tiefkühl-Masche erst mal herumgesprochen hat, werden künftige Opfer lieber sofort zahlen, anstatt sich erst lange frosten zu lassen«, fuhr Pickett fort. »Diese Sache scheint mir aus krimineller Sicht durchaus eine Zukunft zu haben.«

»Eine Zukunft, deren Ende bereits abzusehen ist, Mister Pickett«, gab Parker höflich zu bedenken. »Der sogenannte Eisbär hat den unverzeihlichen Fehler begangen, auch Lady Agatha zu drohen.«

Der ehemalige Eigentumsumverteiler lachte leise. »Das war allerdings ein unverzeihlicher Fehler, Mister Parker. Dennoch möchte ich Sie warnen. Sie sollten Bell auf keinen Fall unterschätzen, er ist in der Branche für seine Brutalität bekannt.«

»Man wird ihn nicht auf die sprichwörtliche leichte Schulter nehmen, Mister Pickett.« Josuah Parker nickte nachdenklich. »Wäre es Ihnen und Ihren geschätzten Neffen möglich, ein Auge auf Mister Bell und seine Mitarbeiter zu werfen?«

»Es wird sowohl mir als auch meinen Neffen ein ausgesprochenes Vergnügen sein, Mister Parker. Darf man übrigens darauf verweisen, daß man sich anscheinend für uns interessiert?«

»Sie meinen die beiden Herren am Tisch neben dem Eingang, die sich vergeblich als Vertreter zu tarnen versuchten?«

»In der Tat, Mister Parker. Die Tarnung der beiden ist gar nicht mal so schlecht, finde ich.«

»Dennoch wurde sie durchschaut, Mister Pickett. Möglicherweise sollte man die Herren dazu überreden, ihre Identität preiszugeben und bei dieser Gelegenheit auch ihre Bewaffnung abzugeben.«

*

Die beiden angeblichen Vertreter hatten es eilig, ihre Rechnung zu begleichen und Horace Pickett und Josuah Parker zu folgen, die bereits das Lokal verlassen hatten.

Vor dem Restaurant befand sich die Damenwäsche-Abteilung, die an diesem Vormittag nur spärlich besucht war. Während der ehemalige Eigentumsumverteiler im Gang zu den Umkleidekabinen verschwand, wartete der Butler hinter einem drehbaren Ständer mit französischen Dessous auf die Verfolger.

Auch die Vertreter trennten sich. Sie hatten Horace Pickett entdeckt, der die Umkleidekabinen erreicht hatte und sich dort suchend umsah. Einer der beiden, ein untersetzter Mann mit schütterem Haar und schmuddeligem Trenchcoat, eilte zielstrebig in Picketts Richtung, während sich sein Kollege auf die Suche nach Parker machte.

»Kann man Ihnen möglicherweise behilflich sein, Sir?« erkundigte sich der Butler höflich, während er hinter dem Ständer hervortrat. Er zog höflich die schwarze Melone und deutete eine leichte Verbeugung an.

»Ich ... äh ... wieso?« stammelte der Überraschte und wich unwillkürlich zurück.

»Man hatte den Eindruck, daß Sie Kontakt zu meiner bescheidenen Wenigkeit suchen«, fuhr Parker gemessen fort.

»Na ja, also ...« Der Mann sah sich hastig um und grinste zufrieden, als er feststellte, daß sich niemand für sie interessierte. Seine rechte Hand fuhr in die Manteltasche und kam mit einem tückisch aussehenden, kurzläufigen Revolver wieder zum Vorschein.

»Wir werden ’n kleinen Ausflug machen«, kündigte er an und rückte Parker wieder etwas näher. »Wir fahren jetzt runter zum Parkhaus, wie zwei gute Freunde, kapiert?« Er bohrte Parker den Revolver in den Solarplexus und lachte leise.

»Handelt es sich hierbei möglicherweise um eine Entführung, Sir?« erkundigte sich der Butler, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht verzog.

»So ungefähr, Mann, und jetzt los!« Der Revolverträger deutete auf eine graulackierte Tür neben den Umkleidekabinen, die ein Hinweisschild auf das Parkhaus trug.

»Wie Sie zu wünschen belieben, Sir.« Parker lüftete erneut die Melone und setzte sich in Bewegung. Einen Moment später knickte er in den Knien ein und tastete haltsuchend nach dem Wäscheständer. Der Mann mit dem Revolver trat schnell hinter ihn und griff ihm unter die Arme.

»Na, in diesem Alter verträgt man so ’ne Aufregung wohl nicht mehr, Opa?« höhnte er, während er den Butler aufrichtete.

Von einem Augenblick zum anderen war Josuah Parker genesen. Seine schwarz behandschuhte Rechte schloß sich um den Revolver des überraschten Mannes. Der Universal-Regenschirm ruckte hoch und berührte dabei oberflächlich das Kinn des verwirrten Gegners.

Es knackte, als der bleigefüllte Bambusgriff des Regendachs das Kinn touchierte. Der pensionierte Revolverheld stöhnte beeindruckt, griff seinerseits nach dem Wäscheständer und stellte fest, daß er drehbar war.

Das Spiel um die Achse begann, und diverse Wäschestücke verteilten sich. Der Bursche ergab sich der Fliehkraft und trat ebenfalls eine Luftreise an. Sie endete an einem Sondertisch mit besonders preisgünstigen Angeboten.

Das Möbel büßte ein Bein ein und sah sich seiner Standfestigkeit beraubt Der Tisch kippte nach einer Seite, und Trikotagen in allen Farben rutschten über den Rand auf den Kopf des havarierten Gangsters. Zwei ältere Damen, die in der Nähe zu einem Plausch beisammenstanden, sahen herüber und schüttelten konsterniert die Köpfe.

»Ein bedauerliches Mißgeschick, meine Damen«, entschuldigte Parker den Revolverhelden, der sich langsam wieder aufraffte. »Ein kleiner Schwächeanfall, der bereits wieder vorüber sein dürfte.«

Er hakte den benommenen Burschen unter und manövrierte ihn in Richtung Umkleidekabinen, wo er bereits von Horace Pickett erwartet wurde.

»Sie waren gleichfalls in der erfreulichen Lage, Ihren Verfolger auszuschalten, Mister Pickett?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Es war viel zu leicht, Mister Parker«, seufzte Pickett. »Früher waren die Jungs einfach besser, das muß man mal klar und deutlich feststellen.«

»Auch in der Unterwelt dürfte man sich mittlerweile nach der Decke strecken müssen und nehmen, was man bekommt«, stellte der Butler gemessen fest, während er seinen »Begleiter« in eine Kabine hievte.

Dort hockte zusammengesunken der Untersetzte mit dem schütteren Haar. Er trug jetzt allerdings keinen Trenchcoat mehr, sondern nur noch farbenprächtige Unterhosen und Socken. Parker plazierte seinen Schützling auf dem Boden und entkleidete ihn schnell und geschickt.

Einen Moment später präsentierte auch dieser Mann ein wenig ausgebeulte, gestreifte Unterhosen und verschiedenfarbige Socken. Er schnarchte inzwischen mehr oder weniger laut vor sich hin.

Die beiden Damen, die mißbilligend den kleinen Unfall beobachtet hatten, beendeten ihren Plausch. Sie traten auf die Umkleidekabinen zu und hielten etwas Wäsche in Händen, die sie anzuprobieren gedachten.

Die Kundinnen stutzten einen Moment, dann einigten sie sich. Die Kräftigere steuerte eine Kabine an und entdeckte die beiden Männer.

Im nächsten Augenblick gellte ein spitzer Schrei durch die ruhige Etage. Die Freundin der Frau stürzte zum Vorhang und riß ihn energisch beiseite. Sie sah ihre Begleiterin entsetzt auf zwei fast nackte Männer starren, die im Hintergrund der Kabine schnarchten.

»Sie Sittenstrolch«, kreischte die Vorstadt-Hausfrau und baute sich zornsprühend vor dem einen Mann auf. »Wie können Sie es wagen?«

Einige Verkäuferinnen, die durch den Lärm alarmiert worden waren, eilten herbei. Sie warfen einen Blick auf die Ursache der Unruhe und griffen zusammen mit einigen neu auf der Etage eingetroffenen Kundinnen in das Getümmel ein.

Eine Serie von Handtaschen- und Schirmtreffern prasselte auf die entsetzten Männer nieder. Wäschestücke landeten an ihren Köpfen und verwirrten sie noch mehr. Die Abteilungsleiterin traf ein und orientierte sich. Dann griff sie zum Telefon und forderte den Hausdetektiv an.

»Sehr bedauerlich, Mister Parker«, bemerkte Horace Pickett und schüttelte indigniert den Kopf. »Wie kann man sich als Gentleman derart in der Abteilung für Damenwäsche verlieren.«

»Eine unentschuldbare Verrohung der Sitten, Mister Pickett«, fand auch der Butler und beobachtete, wie die beiden Männer vom Hausdetektiv abgeführt wurden. Die Damen verfolgten das Trio noch einige Schritte und warfen den verängstigten Gaunern unschöne Bemerkungen an den Kopf.

»Sie haben einige interessante Fotos von dieser Szene geschossen?« fragte Parker, während er mit Pickett der Rolltreppe zustrebte.

»Wie Sie es gewünscht haben, Mister Parker.« Horace Pickett lachte verhalten. »Ich nehme an, Sie wollen dem sogenannten Eisbär beziehungsweise Mister Bell einige Abzüge davon verehren?«

»So ist es, Mister Pickett. Meine Wenigkeit hat die Absicht, ihn zu reizen und aus der Reserve zu locken. Außerdem sollten und müßten Bilder der Presse zugehen. Dort ist man immer sehr dankbar für Schnappschüsse, wie der Volksmund solche Aufnahmen treffend bezeichnet.«

»Das ist aber nicht ganz ungefährlich, Mister Parker«, warnte Pickett. »Bell wird darauf ausgesprochen sauer reagieren.«

»Und dabei hoffentlich leichtsinnig werden, Mister Pickett.« Josuah Parker lüftete seine Melone und verabschiedete sich von dem ehemaligen Eigentumsumverteiler, um nach Shepherd’s Market zurückzukehren, wo er ungeduldig erwartet wurde. Er hatte Mylady versprochen, einige neue Videokassetten zu besorgen, die Agatha Simpson zu Studienzwecken ansehen wollte. Sie hatte nämlich die Absicht, ein aufsehenerregendes Drehbuch zu schreiben und widmete sich deshalb seit einiger Zeit intensiv ihrem Videorekorder, auf dem sie jede Woche ein gutes Dutzend Filme abspielte.

Mylady war, was ihre Arbeit betraf, von eiserner Selbstdisziplin und bewältigte ein erstaunliches Pensum, das sie sich noch dazu freiwillig auferlegte. Sie liebte keine Halbheiten und erledigte alles, was sie anfaßte, intensiv und energisch.

*

»Ich hatte zufällig hier in der Gegend zu tun«, behauptete Chief-Superintendent McWarden, als er am nächsten Morgen im altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd’s Market erschien. Er tauchte pünktlich zum Frühstück auf und begrüßte die Hausherrin, die sich im kleinen Salon aufhielt.

»Sie haben sicher bereits gefrühstückt, McWarden«, bemerkte sie und wollte einer möglichen Beteiligung des Yard-Beamten an ihrem Morgenmahl Vorbeugen.

»Ich habe leider noch nichts zu mir genommen«, bedauerte McWarden. »Dabei bin ich bereits seit Stunden auf den Beinen.«

»Ein ausgezeichnetes Rezept, um etwas abzuspecken«, stellte die ältere Dame zufrieden fest. »Sie neigen ohnehin etwas zur Fülle, mein Lieber. Sie sind auf dem richtigen Weg. Machen Sie weiter so!«

»Die Ärzte warnen allerdings in dieser Hinsicht vor Übertreibungen«, gab der Chief-Superintendent zu bedenken. »Ich nehme Ihre freundliche Einladung deshalb gerne an,«

Josuah Parker war bereits dabei, McWarden ein Gedeck vorzulegen. Das trug ihm Myladys eisigen Blick ein. Er wurde noch um einige Grade frostiger, als die Hausherrin sah, wie ihr Gast herzhaft zulangte.

McWarden nahm sich eine große Scheibe geräucherten Landschinken, häufte Rühreier darüber und garnierte das Ganze mit Speck. Dazu schlürfte er den nach kontinentaler Art zubereiteten Kaffee und nickte zwischen mehreren Schlucken anerkennend.

Der Chief-Superintendent leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens befaßte. Er galt als außerordentlich fähiger Kriminalist und unterstand direkt dem Innenministerium. Trotzdem holte er immer wieder gern den Rat des Butlers ein, dessen Ideenreichtum und unkonventionelle Art er schätzte.

Dazu mochte er Lady Agathas Mitarbeit und die Ungeniertheit, mit der sie »ihre« Fälle anging. Von Lady Agathas Vorgehen konnte ein an Vorschriften und Verordnungen gebundener königlicher Beamter nur träumen.

»Sie sind natürlich nicht umsonst hergekommen«, stellte die passionierte Detektivin fest. »Abgesehen davon natürlich, daß Sie wieder mal bei mir frühstücken wollten. Sie haben Probleme und brauchen meine Hilfe, nicht wahr?«

»So ist es, Mylady. Das kann ich nicht bestreiten.« McWarden, etwa fünfundfünfzig, untersetzt und mit leichtem Bauchansatz versehen, erinnerte mit seinen Basedow-Augen stets an einen gereizten Bullterrier. Er sah Lady Agatha offen an und nickte.

»Wie, Sie geben zu, daß Sie mich brauchen?« Die ältere Dame staunte, mit diesem Geständnis hatte sie nicht gerechnet.

»Es geht um eine neue Form von Erpressung, Mylady«, sagte McWarden und nickte Parker dankend zu, als ihm der Butler Kaffee nachgoß. Die Hausherrin registrierte dies mit sorgenvoller Miene und preßte die Lippen zusammen.

»Dürfte man nähere Einzelheiten hören, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Was soll an einer Erpressung schon neu sein?« winkte Lady Agatha ab und ließ ihren Blick über das Frühstücksangebot schweifen.

»Ein solcher Fall ist absolut neu, Mylady«, stellte der Chief-Superintendent fest. »Man entführt wohlhabende Mitbürger, steckt sie in ein Kühlhaus und zwingt sie dort, hohe Barschecks auszustellen. Während die Schecks eingelöst werden, müssen die armen Teufel im Kühlhaus bleiben. Und man macht ihnen jedesmal unmißverständlich klar, daß sie dort für immer bleiben, wenn es Probleme bei der Einlösung der Schecks gibt.«

»Meine Güte, was sich die Ganoven heutzutage nicht alles einfallen lassen!« Agatha Simpson schüttelte ungehalten den Kopf und sah ihren Butler vielsagend an.

»Wie wurden Sie auf diese neue Form der Erpressung aufmerksam, Sir?« fragte Parker höflich.

»Zwei Opfer landeten in Kliniken, die uns sofort, verständigten. Als wir die Leute verhörten, standen sie noch unter einem gewissen Schock und erzählten alles. Später allerdings widerriefen sie ihre Aussagen.«

»Man fürchtete also, die Gangster könnten sich an ihnen rächen«, vermutete der Butler.

»So ist es, Mister Parker. Übrigens kam mir eine interessante Information zu Ohren, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.« Der Chief-Superintendent sah die Hausherrin und den Butler lächelnd an und nahm einen Schluck Kaffee.

»Machen Sie’s nicht so spannend«, raunzte die ältere Dame. »Was wollen Sie uns erzählen?«

»Vor einigen Tagen wurde im Norden ein neuer Supermarkt eröffnet. Besucher beobachteten, wie ein älterer, offensichtlich kranker Mann von einem Taxi aufgenommen wurde, in das auch zwei Personen stiegen, deren Beschreibung recht gut auf Sie beide paßt. Der Mann soll übrigens aus dem Kühlhaus des Supermarkts aufgetaucht sein, wurde berichtet.«

»Was sage ich dazu, Mister Parker?« Lady Agatha wandte sich vorsichtshalber an ihren Butler, um auf McWardens Informationen zu reagieren.

»Man leistete in der Tat einem offensichtlich unterkühlten Gentleman Erste Hilfe«, erklärte Parker gemessen. »Bei dieser Gelegenheit erfuhr man gleichfalls von diesem neuartigen Erpressungssystem.«

»Warum haben Sie mich nicht sofort benachrichtigt?« geriet der Chief-Superintendent in Harnisch. »Sie wissen doch, daß Sie wichtige Informationen nicht vorenthalten dürfen.«

»Das habe ich ja versucht, mein lieber McWarden, aber Sie waren wieder mal nicht zu erreichen«, bemerkte die Lady und lächelte entwaffnend. »Hat man Ihnen denn nicht ausgerichtet, daß ich um Ihren Rückruf bitte?«

»Man kann mir nicht etwas ausrichten, was gar nicht stattgefunden hat, Mylady«, reagierte McWarden sauer. »Sie wollen mal wieder auf eigene Faust ermitteln.«

»Sollte ich tatsächlich versäumt haben, im Yard anzurufen, Mister Parker?« wunderte sich die ältere Dame.

»Myladys Tag ist angefüllt mit Pflichten vielfältigster Art, daß ein solcher Anruf möglicherweise in Vergessenheit geraten konnte«, stimmte Parker ihr höflich zu.

Chief-Superintendent McWarden stöhnte laut und verdrehte andeutungsweise die Augen. »Na schön, lassen wir das«, schlug er vor. »Können Sie mich wenigstens nachträglich unterrichten?«

»Mister Parker, berichten Sie!« wandte sich die Hausherrin an ihren Butler. Sie hatte gerade festgestellt, daß ihre Diät noch einer gewissen Abrundung bedurfte und zog sich die Silberschale mit dem Lachs heran.

»Auch der von Mylady gerettete Herr berichtete von einem Aufenthalt in einem Kühlhaus und einem höheren Scheck, den er dort ausstellen mußte«, bestätigte Parker. »In diesem Zusammenhang fiel der Name eines gewissen ›Eisbären‹.«

»Genau diesen Namen nannte man auch unseren Beamten, als sie die Opfer in den Kliniken einvernahmen«, nickte McWarden.

»Besagter Mister Eisbär erkühnte sich außerdem, Mylady telefonisch zu belästigen und um eine Spende zu bitten«, fuhr der Butler gemessen fort.

»Wie bitte?« McWarden verschluckte sich fast an seinem Kaffee, als er dies hörte.

»Stellen Sie sich vor, dieser lächerliche Ganove verlangt von mir einen Scheck, ansonsten will er mich in ein Kühlhaus stecken«, empörte sich Agatha Simpson und blickte einen Moment von ihrem Lachs auf. »Das wird ihm noch leid tun, damit hat er das Ende seiner kriminellen Karriere selbst eingeläutet.«

»Nehmen wir den Kerl nur nicht auf die leichte Schulter, Mylady«, warnte McWarden. »Der Eisbär ist skrupellos.«

»Das wird ihm nichts nützen«, winkte sie ab. »Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis ich ihn gestellt habe. Mister Parker klärt in diesem Zusammenhang bereits ein paar Kleinigkeiten, Sie wissen, ich befasse mich nur mit der großen Linie.«

»Soll ich Ihr Haus überwachen lassen, Mylady?« erkundigte sich der Chief-Superintendent mit sorgenvoller Stimme. »Ich möchte nicht, daß Ihnen etwas passiert.«

»Das kann ich mir denken. Wo würden Sie sonst frühstücken, Mister McWarden?« Lady Agatha lachte und schüttelte entschieden den Kopf. »Ich brauche keine Hilfe, ich werde mit dem Kerl allein fertig.« Sie stach ihre Gabel in ein gebackenes Nierchen, das sie bislang übersehen hatte, und demonstrierte gleichzeitig, daß sie dem »Eisbären« gegenüber keine Rücksicht kennen würde.

»Könnte es sein, daß ein gewisser Mister Bell das Pseudonym des sogenannten Eisbären benutzt oder diesen zumindest unterstützt, Sir?« fragte Parker.

»Bell? Wer soll das denn sein, Mister Parker?« überlegte die Lady und runzelte nachdenklich die Stirn. »Mir scheint, ich hätte den Namen schon mal gehört. Hat er nicht etwas mit dem Telefon zu tun?«

»In diesem Fall nicht, Mylady«, bedauerte Josuah Parker. »Mister Bell betätigt sich offiziell in der Obst- und Gemüsebranche und inoffiziell in allen einträglichen Sparten der Kriminalität.«

»Richtig, ich wußte doch, daß ich ihn kenne«, nickte sie. »Ich werde ihn demnächst aufsuchen, Mister Parker. Mir steht der Sinn nach exotischen Früchten.«

»Bell hätte das richtige Format dazu«, räumte McWarden ein. »Aber die Polizei träumt schon seit Jahren vergeblich davon, ihm etwas nachweisen zu können. Auch eine Steuerprüfung hat nichts gebracht.«

»Jetzt greife ich ein, und damit hat die Karriere dieses Zitronenhändlers ein Ende«, stellte die Hausherrin bescheiden fest. »Ich werde Ihnen den Kerl auf einem Silbertablett servieren, mein lieber McWarden.«

»Der Mann ist gerissen, ich hätte nichts dagegen, wenn Sie ihn aufscheuchen würden«, bemerkte der Chief-Superintendent. »Sie haben Mittel und Wege, die mir leider versperrt sind.«

»Ich helfe Ihnen«, versprach sie und nickte huldvoll.

»Allerdings erwarte ich, daß Sie mir freie Hand lassen und sich nicht einmischen. Ich habe da mein sehr spezielles Vorgehen. Ist es nicht so, Mister Parker?«

»In der Tat«, pflichtete der Butler ihr höflich bei. »Mylady verstehen es virtuos, die Gegner zu verunsichern.«

»Das stimmt allerdings«, bemerkte sie gespielt bescheiden. »Ich weiß, daß ich in dieser Hinsicht kaum zu übertreffen bin.«

*

»Warum erfahre ich erst jetzt davon?« grollte Lady Agatha. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, das in Richtung Hafen rollte. Parker hatte gerade von seinem Treffen mit Horace Pickett berichtete und kurz die beiden Verfolger erwähnt, die dann in der Damenwäscheabteilung überwältigt worden waren.

»Es handelte sich im Prinzip um eine belanglose Episode, mit der meine bescheidene Wenigkeit Mylady nicht belästigen wollte«, erwiderte Parker.

»Sie hätten die beiden Strolche mitbringen sollen, Mister Parker«, meinte sie. »Ich hätte sie verhört und alle Informationen aus ihnen herausgeholt, über die sie verfügen. Durch Ihren Leichtsinn haben Sie möglicherweise eine ergiebige Quelle weggegeben.«

»Die beiden Herren waren mit Sicherheit nur Untergeordnete, wie sie in einschlägigen Pubs häufig angeheuert werden«, gab der Butler zurück. »Ein Verhör dürfte Myladys Zeit nur unnötig vergeudet haben.«

»Na, ich weiß nicht, Mister Parker.« Agatha Simpson schüttelte den Kopf und lenkte zögernd ein. »Das ist natürlich möglich, ich beschäftige mich grundsätzlich nicht mit Randfiguren.«

»An diese Maxime dachte meine bescheidene Wenigkeit, als man auf eine Einladung der Herren nach Shepherd’s Market verzichtete«, stimmte ihr Parker höflich zu. »Mylady werden übrigens seit einigen Minuten verfolgt«, fuhr er fort. Parker nutzte die Gelegenheit, seine Herrin von dem entgangenen Verhör abzulenken.

»Ich weiß, Mister Parker«, antwortete sie prompt. »Das habe ich längst bemerkt. Wissen Sie auch, um welchen Wagen es sich handelt?«

»Um einen Ford-Escort Kombi, Mylady. Er ist als Lieferfahrzeug eines Blumenhändler getarnt.«

»Lächerlich, Mister Parker«, entgegnete sie. »Eine solche Tarnung durchschaue ich doch sofort. Ich möchte mit den Insassen sprechen. Arrangieren Sie das.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Josuah Parker hatte diesen Wunsch vorausgesehen und in Gedanken diverse Möglichkeiten erwogen.

Der Butler hatte den Wagen bereits bemerkt, als man Shepherd’s Market verließ. Seitdem klebte der Kombi hinter dem ehemaligen Taxi und folgte ihm beharrlich. Unterwegs hatte Parker absichtlich einige Umwege gefahren, die der Escort treu und brav mitgemacht hatte.

Seine Insassen waren entweder blutige Anfänger, die von einer Verfolgung nichts verstanden, oder aber nur zur Ablenkung da, während in Wirklichkeit eine anderes, weitaus besser getarntes Fahrzeug die eigentliche Verfolgung durchführte.

Parker neigte eher zur zweiten Möglichkeit. Man wollte ihn mit Sicherheit einschläfern, um dann umso überraschender zugreifen zu können. Der Butler rechnete zwar mit einem Überfall, dieser wurde aber garantiert nicht von dem angeblichen Blumenlieferwagen unternommen.

Parker bog von der Hauptverkehrsader ab und lenkte seinen Privatwagen in eine ruhige, von hohen Bäumen gesäumte Straße, in der kaum Verkehr herrschte.

Die sehr adrett wirkenden, meist einstöckigen Häuser links und rechts der Fahrbahn standen in kleinen Vorgärten und waren ausnahmslos ein gutes Stück von der Straße entfernt.

Es war das ideale Gelände für Parkers Vorhaben. Die Insassen des Escort sahen dies offensichtlich genauso. Sie gaben Gas und holten schnell auf. Anscheinend packte sie jetzt der Ehrgeiz, und sie wollten zur Sache kommen.

Agatha Simpson drehte sich ungeniert um und spähte aus dem Rückfenster.

»Es ist soweit«, stellte sie erfreut fest. »Man überfällt mich, Mister Parker.« Die ältere Dame sah darin nur eine abwechslungsreiche Episode, die ihr keine Angst einjagen konnte. Sie war mit dem Verlauf der Dinge zufrieden und genoß es, im Mittelpunkt eines Überfalls zu stehen.

Der Butler drückte einen der zahlreichen Kipphebel auf dem Armaturenbrett und löste einen erstaunlichen Vorgang aus.

Aus zwei unter dem Wagenheck angebrachten Düsen entwichen unter hohem Druck fettige Rußwolken. Sie breiteten sich umgehend aus und umschlossen liebevoll den nachfolgenden Kombi, dessen Fahrer auf einmal nichts mehr sah.

Er preßte instinktiv den Fuß auf die Bremse und mußte feststellen, daß das keine gute Idee war. Parker hatte nämlich in der Zwischenzeit einen weiteren Hebel betätigt und dafür gesorgt, daß ein öliger Film die Fahrbahn einseifte. Der Film wurde von einem speziellen Gleitmittel gebildet, das aus einem gleichfalls unter dem Wagen angebrachten Behälter auf die Straße sprühte.

Das plötzliche Betätigen der Bremse blockierte die Räder.

Der Escort schoß wie eine Rakete davon. Der Fahrer kurbelte wild am Steuer und versuchte, die Gewalt über den Wagen zurückzugewinnen.

Sekunden später fand die verwegene Fahrt ihr Ende. Eine Hecke tauchte auf und gebot Einhalt. Der Kühler bohrte sich krachend hinein und barst. Das Kühlwasser entwich in einer dichten Nebelwolke und hüllte den Wagen fast vollständig ein.

Die Hupe wurde in Gang gesetzt und ließ sich offenbar nicht mehr abstellen. Ihr klagender Ton gellte wie ein Nebelhorn durch die Gegend und zerrte an den Nerven. Dann verstummte sie plötzlich, und wohltuende Stille trat ein. Nur das Knistern des aufgerissenen Kühlers und das Blubbern des Motors waren zu hören.

Die Türen des Kombis wurden aufgedrückt. Zwei konsterniert wirkende Insassen schoben sich ins Freie. Sie blickten sich verwirrt um und waren offensichtlich desorientiert.

»Sehr nett, Mister Parker«, lobte Lady Agatha ihren Butler. Sie war ausgestiegen und sah zu dem Havaristen hinüber. »Bergen Sie die Strolche, ich möchte mit ihnen reden«, fuhr sie fort und rieb sich die Hände.

»Es dürfte noch ein zweites Fahrzeug unterwegs sein, Mylady«, warnte der Butler. »Dieser Wagen hier war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Ablenkung gedacht.«

»Papperlapapp, Mister Parker, was reden Sie mir da wieder ein?« mokierte sie sich. »Einen zweiten Wagen hätte ich doch bemerkt. Wo soll er denn sein?«

»Möglicherweise bereits in unmittelbarer Nähe, Mylady«, gab der Butler zu bedenken, dessen feines Gehör das sich nähernde Geräusch eines Motors vernahm.

*

Josuah Parker folgte dem Wunsch seiner Herrin und machte sich daran, die Escort-Insassen sicherzustellen. Er begab sich gemessenen Schrittes zu den immer noch orientierungslos wirkenden Männern und bat sie höflich, im Kofferraum seines bescheidenen Privatwagens Platz zu nehmen.

Um der freundlichen Bitte etwas Nachdruck zu verleihen, versetzte er ihnen einen leichten Stoß und hakte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes unter ihre Kniekehlen. Auf diese Weise hob er ihre Gehwerkzeuge vom Boden und sorgte dafür, daß die Kerle sich dem geräumigen und mit Teppichboden ausgekleideten Kofferraum anvertrauten.

Der Butler arbeitete zügig, ohne von seiner gewohnten Würde zu verlieren. Lady Agatha stand hinter ihm und sah ungeduldig zu.

»Wo bleibt denn der zweite Wagen, den Sie angekündigt haben, Mister Parker?« erkundigte sie sich. Sie hätte sich gern mit den beiden Verfolgern aus dem Escort beschäftigt und sie verhört.

»Das Gefährt dürfte jeden Augenblick hier eintreffen«, bemerkte Parker, während er den hinteren Wagenschlag des ehemaligen Londoner Taxis öffnete. »Dürfte man Mylady bitten, einzusteigen?«

»Soll ich etwa fliehen, Mister Parker?« wunderte sie sich und schüttelte entschieden den Kopf. »Das paßt nicht zu einer Lady Simpson.«

»Mylady wollen ihre Gegner nur täuschen und durch die vermeintliche Flucht in die Falle locken«, erläuterte Parker. »Mylady sind bekannt für ihren Einfallsreichtum und ihre Finten.«

»Das ist allerdings richtig«, bestätigte sie und nickte zufrieden. »Man muß seine Gegner verwirren und dann, wenn sie es nicht erwarten, zuschlagen, das ist mein Erfolgsgeheimnis, Mister Parker.«

»Mylady sind und bleiben stets das leuchtende Vorbild meiner bescheidenen Wenigkeit«, ließ sich Parker vom Fahrersitz her vernehmen, während er das hochbeinige Monstrum in Bewegung setzte. Er hatte einen schmalen, unbefestigten Weg entdeckt und bog von der Straße ab.

Im Rückspiegel tauchte ein dunkler Jaguar auf und kam rasch näher. Die Luxuslimousine schien Parkers Privatwagen förmlich anspringen zu wollen und damit dem Herstellersymbol gerecht zu werden. Dazu aber mußte der für unwegsames Gelände nicht unbedingt gebaute Nobel wagen dem miserablen Untergrund Tribut zollen und die Geschwindigkeit erheblich mindern. Der Jaguar tauchte mit dem Bug tief ein und nahm innigen Kontakt zu einer Bodenwelle auf.

Lady Agatha beobachtete ihre neuen Verfolger interessiert aus dem Rückfenster und freute sich diebisch, als der Bug des Luxuswagens erneut mit dem Boden Bekanntschaft machte.

»Das gönne ich den Strolchen«, verkündete sie. »Wie kann man auch so leichtsinnig sein, eine Lady Simpson verfolgen zu wollen.«

Parker verzichtete auf eine Antwort und konzentrierte sich auf das Steuer des Wagens. Das ehemalige Taxi wurde mit den Bodenverhältnissen fertig. Es war so hoch gebaut, daß ihm das unwegsame Gelände nichts anhaben konnte. Parkers Privatwagen offenbarte bei dieser Gelegenheit Qualitäten, die einem Geländewagen alle Ehre machten.

Der Butler erhöhte die Geschwindigkeit und vergrößerte den Abstand zu seinem Verfolger. Die Jaguar-Insassen sahen ein, daß sie keine Chance hatten, den hochbeinigen Wagen einzuholen, und erinnerten sich an die mitgeführte Artillerie. Die Seitenscheiben der Luxuslimousinen wurden abgesenkt, und einen Augenblick später wurde das Feuer eröffnet.

»Eine Unverschämtheit, mich zu beschießen«, beschwerte sich Lady Agatha. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie lassen sich etwas einfallen, um die Lümmel zur Ordnung zu rufen.«

»Man wird ein geeignetes Mittel zur Anwendung bringen«, versprach der Butler und lenkte seinen Privatwagen um eine Biegung, die rechts und links von dichten Büschen gesäumt war.

Der Weg wurde noch holpriger und endete schließlich ganz. Er mündete in eine von hohem Gras und Unkraut bewachsenen Wiese, die ihrerseits wieder in rund zweihundert Metern Entfernung an ein Sportfeld grenzte.

Dort tummelten sich etwa zwanzig Gestalten und gaben sich einer sportlichen Betätigung hin, die aus der noch zu großen Entfernung nicht näher zu definieren war.

Parker ließ seinen hochbeinigen Wagen vorsichtig weiterrollen und steuerte zielstrebig den Sportplatz an. Der Jaguar folgte mit großem Abstand und schaukelte mühsam hinterher.

Agatha Simpson hatte ihr Augenmerk inzwischen auf den Sportplatz gerichtet. Da die Jaguar-Insassen das Feuer wegen der Aussichtslosigkeit eingestellt hatten, hatte Mylady das Interesse an den Verfolgern vorübergehend verloren und sah sich nach neuen Attraktionen um.

»Was sehe ich dort vorn, Mister Parker?« erkundigte sie sich, während sie sich vorbeugte, um besser sehen zu können. »Man scheint zu trainieren, nicht wahr?«

»In etwa, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. Man war näher herangekommen, so daß das Treiben auf dem Sportfeld schon relativ genau zu beobachten war. »Es dürfte sich um Rugby handeln, das die Herren üben«, fuhr Parker fort, »eine in England verhältnismäßig selten gepflegte Sportart.«

»Sage ich doch«, stellte die ältere Dame ungeniert fest und nickte. »Im Sport kenne ich mich aus, Mister Parker, da macht mir keiner so schnell was vor.«

»Es dürfte kaum ein Gebiet geben, auf dem Mylady nicht anerkannte Expertin sind«, bemerkte der Butler gemessen. Er durchbrach mit dem eckigen, sehr massiven Kühler seines Privatwagens den Maschendrahtzaun, der das Sportfeld begrenzte, und steuerte direkt auf die trainierenden Sportler zu.

Die dick vermummten Rugbyspieler hatten ihre Bemühungen eingestellt und starrten verblüfft auf den hochbeinigen Wagen, der auf sie zurollte und vor ihnen zum Stehen kam. Sie wollten nicht glauben, was sie sahen und schienen ratlos.

Lady Agathas Hand lag bereits auf der Türklinke, um ins Freie zu treten. »Ich werde diesen Burschen jetzt mal zeigen, wie gespielt wird, Mister Parker«, verkündete sie. Sie hatte den verfolgenden Jaguar längst vergessen und witterte eine neue Möglichkeit, aktiv zu werden. »Ich werde ihnen mal einen perfekten Torschuß demonstrieren«, fuhr sie munter fort. »Ist das nicht das Spiel, bei dem man diesen komischen Ball benutzt?«

»Der Ball ist in der Tat eiförmig«, bestätigte Parker. »Allerdings sollten Mylady die geplante Demonstration möglicherweise zurückstellen und die Verfolger außer Gefecht setzen. Sicher haben Mylady daran gedacht, zu diesem Zweck die Herren Spieler zu gewinnen.«

»Habe ich das?« wunderte sie sich und änderte sofort ihre Pläne. »Das ist richtig, Mister Parker. Ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, wie man erfolgreich improvisiert. Mit Hilfe dieser netten Sportsleute werde ich die Kerle im Jaguar aus dem Verkehr ziehen. Und wissen Sie auch, wie?«

Agatha Simpson sah ihn gespannt an und wartete auf seine Antwort.

»Mylady werden die Herren Sportler um Hilfe bitten wollen.«

»Stimmt genau, Mister Parker«, gab sie ihm recht. »Obwohl ich die Lümmel natürlich jederzeit allein aus dem Verkehr ziehen könnte.«

Sie stieß die Tür auf und trat gewichtig ins Freie. Sofort sah sie sich von Spielern umringt, deren Gesichter unter den Plastikhelmen nicht unbedingt freundlich aussahen.

Parker stellte sich neben seine Herrin und lüftete grüßend die Melone.

»Meine Wenigkeit bedauert ungemein, Sie bei Training gestört zu haben«, stellte er höflich fest. »Zudem war man gezwungen, den Zaun zu beschädigen und auch das Spielfeld ein wenig in Mitleidenschaft zu ziehen. Sie sollten darin jedoch die Tat älterer Menschen sehen, die keinen anderen Ausweg wußten.«

Lady Agatha räusperte sich lautstark, als Parker von ›älteren Menschen‹ sprach und schüttelte den Kopf. Sie hörte diesen Begriff nicht gern, zumindest nicht im Zusammenhang mit ihrer Person. Sie hatte vor vielen Jahren beschlossen, ihr Alter bei sechzig Jahren »einzufrieren« ...

»Man will mich ausrauben«, klagte sie und sah die Rugbyspieler hilfeheischend an. »Einer hilflosen Frau versucht man ihre Ersparnisse zu stehlen, wie finden Sie das?«

»So ist es in der Tat«, bestätigte Parker, der kurz vor Erreichen des Spielfeldes das Taxischild auf dem Dach seines Privatwagens ausgefahren hatte. »Mit Verlaub hatte meine Wenigkeit den Auftrag, Mylady zur Bank zu fahren, wo sie ihre Ersparnisse abheben wollte«, fuhr er fort. »Mylady hat die Absicht, ihre Enkelin, die in Kürze heiratet, damit zu überraschen.«

Die Rugbyspieler standen inzwischen auf Tuchfühlung um Mylady und den Butler herum und lauschten gespannt. Parker bemerkte aus den Augenwinkeln, wie der Jaguar schaukelnd auf das Spielfeld rollte und gebremst wurde.

»Mylady muß in der Bank von kriminellen Elementen beobachtet worden sein, die dort auf eine entsprechende Chance warteten«, berichtete der Butler weiter. »Kaum hatte man die Schalterhalle verlassen, als bereits versucht wurde, Mylady den Handbeutel mit den Ersparnisse zu entreißen.«

»Ist ja nicht zu fassen«, knurrte einer der Spieler. »Wird immer schlimmer heutzutage«, bemerkte ein anderer.

»Es gelang Mylady jedoch, im letzten Moment sich in Sicherheit zu bringen«, fuhr Parker fort.

»Und dann?« wollte ein anderer Spieler wissen und beugte sich interessiert vor, damit ihm kein Wort entging.

»Seitdem verfolgt man mich«, grollte Lady Agatha. »Ein paarmal hat man schon versucht, uns von der Straße zu drängen, aber wir haben jedesmal Glück gehabt. Aber jetzt? Ich kann doch meinem Enkel nicht mit leeren Händen gegenübertreten.« Die ältere Dame holte ein spitzenbesetztes Tuch aus dem Pompadour, um sich geräuschvoll zu schneuzen.

»Ihre Enkelin wird auf Ihr Geschenk nicht verzichten müssen«, versprach der Mann, der offenbar als Trainer fungierte. »Wir kümmern uns um die Burschen, und zwar sofort.«

»Die Herren sind bewaffnet«, wandte Parker ein. »Meine Wenigkeit rät zu äußerster Vorsicht.«

»Die schleppen auch noch Ballermänner mit sich rum?« entgegnete der Trainer. »Die Burschen werden mir immer unsympathischer, muß ich sagen!«

Er winkte seine Spieler näher heran und gab ihnen Instruktionen. Im nächsten Augenblick marschierte eine geschlossene Phalanx entschlossener und handfester Rugby-Spieler auf den Jaguar zu.

»Sehen Sie jetzt, was ich mit Improvisieren meine?« wandte sich Lady Agatha an ihren Butler. »Man muß nur Ideen haben, das sollten Sie sich für die Zukunft merken.«

»Meine Wenigkeit wird immer strebend bemüht sein, Mylady nachzueifern«, versprach Parker und sah zu, wie der Jaguar eingekreist wurde.

»Wir müssen uns verfahren haben«, meinte der Jaguar-Fahrer und zeigte ein nervöses Lächeln.

»Geht’s hier nach Cranton?« wollte sein Kollege auf dem Beifahrersitz wissen und musterte die neben seiner Tür aufgetauchten Rugbyspieler beunruhigt.

»Ihr habt euch also verfahren, wie interessant«, stellte der Trainer fest und legte seine Hand auf die Klinke der Fahrertür. Einen Moment später spürte der Lenker der schweren Luxuslimousine, wie sich eine Faust um seine Jackenaufschläge schlug und ihn unwiderstehlich ins Freie zerrte.

Auch der Beifahrer beeilte sich, den Wagen zu verlassen. Er stürzte förmlich heraus und folgte der Einladung eines Rugbyspielers, der die Hände in seine Schultern gekrallt hatte und kräftig daran zog.

»Das ist nicht die feine Art, Jungs«, stimmte ihm einer seiner Schützlinge zu und verpaßte dem Beifahrer einen Stoß, der ihn gegen die Karosse warf.

»Wir mögen Strolche nicht, die harmlose alte Leute überfallen«, sagte der Trainer.

»Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« zeterte der Fahrer und beging den Fehler, nach seiner Pistole greifen zu wollen. Der Trainer bekam dies mit und reagierte umgehend. Er klopfte aufs Handgelenk.

Die Pistole rutschte aus den erschlaffenen Fingern des Mannes und wurde von einem Spieler förmlich in den weichen Boden gewühlt.

»Ihr könnt ’ne Runde mitspielen«, versprach der Trainer und gab seinen Männern einen Wink. Daraufhin wurden die beiden Jaguar-Insassen zum Spielfeld geleitet. Sie wurden zu Ersatz-Spielbällen ernannt und umgehend eingesetzt. Bevor sie wußten, wie ihnen geschah, flogen sie schon durch die Luft, von kräftigen Fäusten katapultiert.

Sie sausten über die Köpfe der Spieler, drehten dabei einige Saltos und lernten die Erde aus einem völlig neuen Blickwinkel kennen.

Sie schrien laut und die Spieler werteten die akustischen Kundgebungen als Zeichen von Entzücken und intensivierten ihre Anstrengungen.

»Das sieht ja sehr erfreulich aus, Mister Parker«, ließ sich Lady Agatha vernehmen, die das Training der Rugby-Mannschaft mit glänzenden Augen verfolgte. »Ich denke, daß ich da eine sehr gute Idee gehabt habe.«

»Mylady beweisen, daß Einfallsreichtum nicht umsonst in den höchsten Tönen gelobt wird«, stimmte der Butler höflich zu.

»Daran werden die Lümmel noch lange denken«, war sich die ältere Dame sicher. »Vielleicht sollte ich diesen sympathischen Sportlern sogar eine kleine Spende für eine Erfrischung zukommen lassen«, überlegte sie.

Parker wurde einer Antwort enthoben, da sich die Aufmerksamkeit seiner Herrin auf eine Abteilung Rugby-Cracks konzentrierte, die das Spielfeld verließen und auf den Jaguar zuschritten.

Sie bauten sich vor und hinter dem Luxusgefährt auf und bückten sich, um nach den Stoßstangen zu greifen. Einen Augenblick später geriet die Nobelkarosse in heftige Schwingungen und schaukelte wie auf hoher See.

Schließlich kippte der Jaguar zur Seite und wenig später aufs Dach.

Die Sportler ließen von ihm ab und gingen zum Spielfeld zurück.

Das Training wurde unter den Anweisungen des resoluten Trainers immer temperamentvoller. Die beiden Ex-Jaguar-Insassen wurden förmlich über den Platz gehetzt und sahen sich verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit um. Sie ließen sich erschöpft auf den Boden fallen und streckten alle viere von sich. Sie kapitulierten und waren ab sofort nicht mehr an ihrem weiteren Schicksal interessiert.

Der Trainer nickte zufrieden. »Das wird die Strolche lehren, wehrlose Damen zu überfallen, Madam«, bemerkte er. »Die werden sich ’n anderen Job suchen, mein Wort darauf.«

»Wenn ich das nächste Mal hier vorbeikomme, werde ich Ihnen eine kleine Spende zukommen lassen«, sagte Lady Agatha.

»Es war uns ein ausgesprochenes Vergnügen«, stellte der bullige Mann fest. »Aber trotzdem, ’ne kleine Spende nehmen wir gern.«

Agatha Simpson ging zum hochbeinigen Monstrum zurück.

Parker hielt bereits ein Scheckbuch in der Hand und füllte einen Vordruck aus. »Das ist aber verdammt großzügig, Mann«, entfuhr es dem Trainer, als er die ausgeschriebene Summe las.

»Lediglich eine kleine Anerkennung, Sir«, bemerkte Parker und lüftete die Melone. »Möglicherweise werden Sie demnächst von Mylady hören, vielleicht kann eine ihrer Firmen mit Ihnen eine Trikotwerbung vereinbaren.«

»Junge, Junge, das ist ja heute wie Weihnachten«, freute sich der Rugby-Coach.

»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker, ich habe es eilig«, machte sich die Lady bemerkbar.

»Sie haben doch nicht etwa mein gutes Geld zum Fenster hinausgeworfen?« erkundigte sie sich mißtrauisch, als Parker eingestiegen war.

»Man ließ den Herren eine bescheidene Spende zukommen, Mylady«, erklärte der Butler und startete den Motor.

»Sicher muß ich mich die nächsten Tage mit Butterbroten bescheiden«, ahnte sie. »Anders läßt sich soviel Leichtsinn nicht wieder ausgleichen.«

»Mylady scheuen kein persönliches Opfer, um Notleidenden zu helfen«, lobte der Butler, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht verzog.

»Da haben Sie auch wieder recht, Mister Parker«, stimmte sie ihm zu und seufzte tief.

*

Samuel Bell war ein Mann, den man unmöglich übersehen konnte. Der Obst- und Gemüsegroßhändler war um die fünfzig, gut einen Meter neunzig groß und trug sein silbrig-glänzendes, noch bemerkenswert volles Haar modisch geschnitten.

Der sorgfältig gestutzte Schnurrbart kontrastete hervorragend zu seinem dunklen Teint, der auf die regelmäßige Benutzung eines Solariums und häufigen Aufenthalt in südlichen Gefilden hinwies.

Bell trug an diesem Morgen einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug und war das Urbild des erfolgreichen Gentleman-Unternehmers. Er stand in einer Gruppe von Männern in grünen Kitteln und führte das große Wort.

»Eine ausgesprochen unpassende Zeit, Mister Parker«, monierte Lady Agatha, während sie sich interessiert in der riesigen Halle umsah, die den Obst- und Gemüsegroßmarkt beherbergte.

»Man bittet um Vergebung, Mylady«, entschuldigte sich der Butler, der einen Schritt hinter seiner Herrin ging. »In dieser Branche werden die Einkäufe üblicherweise frühmorgens getätigt, damit die Ware rechtzeitig zu den Öffnungszeiten in den Geschäften ist.« Eine große Uhr, die an einem Gestänge von der Decke hing, zeigte, daß es gerade fünf Uhr war.

»Ich hätte diesen Lümmel auch etwas später in seinem Büro besuchen können«, zeigte sich die Detektivin hartnäckig. »Aber wahrscheinlich hat es Ihnen Spaß gemacht, mich früh zu wecken, Mister Parker.«

»Keinesfalls und mitnichten, Mylady.« Der Butler nickte einigen Arbeitern, die mit vollgepackten Karren entgegenkamen und sie neugierig musterten, zu und lüftete dazu die Melone. Parker war ein Mann, der stets und an jedem Ort auf korrekte Formen hielt.

»Mylady gedachten sicher Mister Bell zu überraschen«, fuhr er fort. »Mylady wollten Mister Bell an seiner empfindlichsten Stelle, nämlich an seiner bürgerlichen Fassade, treffen.«

»Das ist allerdings richtig, Mister Parker.« Die Detektivin nickte und schwenkte sofort um. »Wissen Sie, es bringt nichts, wenn ich den Lümmel im Büro aufsuche und ihm dort die Leviten lese, wenn niemand dabei ist. Hier, wo er den ehrbaren Geschäftsmann spielt, wird es ihm wehtun.«

»Ein bemerkenswerter Schachzug, zu dem man Mylady nur gratulieren kann«, fand Parker.

»Nicht wahr?« freute sie sich. »Man muß sich schon was einfallen lassen, wenn man solchen Leuten auf die Füße treten will, Mister Parker. Kreativität heißt das Zauberwort.«

Sie sah neugierig nach links und rechts und blieb vor einer Palette stehen, die Erdbeeren in großen Körben feilbot. »Nicht schlecht, Mister Parker, aber ob die auch wirklich so frisch sind wie behauptet wird?« Sie entschloß sich, dies durch eine Kostprobe zu prüfen, und griff herzhaft zu.

»Nun ja, tatsächlich nicht schlecht«, stellte sie nach kurzem Genuß fest.

»Erdbeeren gelten als außerordentlich gesund«, reagierte der Butler gemessen. »Bekanntermaßen enthalten die köstlichen Früchte mehr Vitamin C als zum Beispiel Apfelsinen.«

»Ich weiß genau, was gut für mich ist«, behauptete die ältere Dame. »Schließlich halte ich Diät und esse nicht einfach, was man mir anbietet.«

»Erdbeeren sind eine ausgezeichnete Grundlage für ein Diätfrühstück«, pflichtete Parker ihr bei und übersah souverän die Sahne, die in Myladys Mund verschwand.

»Dürfte ich Ihnen eventuell auch ein Schlückchen Erdbeer-Sekt anbieten?« ließ sich ein eifriger Händler vernehmen und war schon dabei, eine Flasche zu öffnen. »Sie würden mir eine große Freude machen.«

»Nun ja, eigentlich halte ich nicht viel von Alkohol«, überlegte die ältere Dame. »Aber weil Sie mich so nett darum bitten. Ein Gläschen kann ja nicht schaden, nicht wahr?«

»Auf keinen Fall«, wehrte der freundliche Südländer ab und beeilte sich einzuschenken.

»Eine außerordentlich interessante und anregende Atmosphäre hier, Mister Parker«, stellte sie fest. »Ich denke, ich werde in Zukunft öfter herkommen.«

»Fall Sie eine Bestellung aufgeben möchten, Mylady...« hoffte der Südländer und sah sie erwartungsvoll an.

»Später, mein Bester, auf dem Rückweg«, versprach Agatha Simpson und winkte ab. »Ich möchte meinen Rundgang fortsetzen, ich habe noch viel zu tun.«

»Selbstverständlich, Mylady«, dienerte der Händler. Er war sicher, eine neue Kundin gewonnen zu haben.

*

»Nun zu diesem Lümmel«, verkündete Lady Agatha gutgelaunt. »Ich muß sagen, dieser Imbiß hat mir wirklich gefallen, Mister Parker.«

Sie sah zu der kleinen Gruppe vor sich und stutzte. »Der Mann da links von dem Schreiber kommt mir bekannt vor«, überlegte sie und strengte die Augen an.

»Es handelt sich um Mister Pickett, Mylady«, informierte der Butler sie. »Mister Pickett hat ein wenig Maske gemacht, um bei Mister Bell als Obsthändler eine Beschwerde vorbringen zu können.«

Horace Pickett stand direkt neben dem Mann mit dem Klemmbrett, der die Bestellungen der einzelnen Händler notierte. Pickett trug ausgebeulte Cordhosen mit einer verwaschenen grünen Schürze darüber, dazu ein kariertes, gebleichtes Hemd und eine Lederkappe. In seinem Mundwinkel hing eine kurze Pfeife, die aber nicht zu brennen schien.

»Auch von den anderen Herren sind nicht alle der ehrbaren Zunft der Obst- und Gemüsehändler zuzurechnen«, fuhr Parker gemessen fort. »Mister Pickett hat zwei seiner Neffen mitgebracht, die gleichfalls gewisse Reklamationen anzubringen gedenken.«

»Könnte das zu irgendwelchen Verwicklungen führen?« wollte die ältere Dame wissen und lächelte erwartungsvoll. »Ich denke da zum Beispiel an eine kleine Auseinandersetzung, Mister Parker.«

»Das sollte nicht unbedingt auszuschließen sein, Mylady«, befürchtete Parker. »Für den Fall, daß Mylady mit einer solchen Szene konfrontiert werden sollten, wird meine bescheidene Wenigkeit sicher eine Möglichkeit finden, Mylady umgehend aus der Halle zu geleiten.«

»Das wird nicht nötig sein, Mister Parker, ich bin nicht zimperlich«, wehrte sie ab. »Sie wissen doch, ich verabscheue rohe Gewalt, aber niemand soll einer Lady Agatha nachsagen können, daß sie vor der Realität die Augen verschließt und die Flucht ergreift.«

»Mylady scheuen keine noch so schweren persönlichen Opfer, um einen Fall aufzuklären«, lobte Parker gemessen, ohne eine Miene zu verziehen.

»Wer Erfolg haben will, muß auch sich selbst gegenüber hart sein«, gab Mylady eine ihrer Philosophien zum besten. »Nur so kommt man weiter, das müssen Sie sich merken, Mister Parker.« Sie nickte und runzelte dann besorgt die Stirn.

»Mylady wissen immer für meine bescheidene Wenigkeit einen guten Rat«, gab Parker zurück.

»Man wird doch hoffentlich nicht ohne mich anfangen?« erkundigte sie sich und beschleunigte unwillkürlich ihre Schritte. »Ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen, Mister Parker.«

»Diverse Beschwerden werden vorgetragen, wenn Mylady eingetroffen sind«, beruhigte sie Parker. »Entsprechendes wurde mit Mister Pickett abgestimmt.«

»Das ist gut«, atmete sie auf. »Dann werde ich in der Lage sein, einzugreifen und das Schlimmste zu verhindern, wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt. Bei solchen Dingen muß man einen kühlen Kopf bewahren und darf sich nicht von Emotionen mitreißen lassen.«

»Aus diesem Grund sind Mylady für die Rolle der Vermittlerin und Schlichterin förmlich prädestiniert«, behauptete Parker, ohne mit der Wimper zu zucken.

Horace Pickett hatte Lady Agatha und den Butler bemerkt und drängte den Schreiber beiseite, um sich direkt vor Samuel Bell aufzubauen.

»Auf ein Wort, Sir«, bemerkte er und hob die Hand, als wollte er sich zu Wort melden. »Da wäre etwas, worüber ich gern mit Ihnen sprechen würde.«

»Und?« Bell musterte den vermeintlichen Händler unwillig, zwang sich dann aber zu einem kleinen Lächeln. Er legte Wert darauf, bei seinen Auftritten als Geschäftsmann verbindlich, stets um das Wohlergehen und die Zufriedenheit seiner Kunden bemüht zu sein und sich im besten Licht zu zeigen.

»Ihre Lieferungen werden in letzter Zeit immer schlechter«, näselte Pickett und nahm seine Pfeife aus dem Mund, um mit dem Stiel auf Bells Brust zu tippen. »So geht das nicht, Mister. Es gibt noch mehr Großhändler, bei denen wir einkaufen können, klar?«

»Moment mal!« brüllte der Schreiber und legte sein Klemmbrett mit der Besteiliste beiseite. »So kann man mit Mister Bell nicht reden, Kollege, was glauben Sie denn, he?«

Samuel Bell hob beschwichtigend die Hände und sah Horace Pickett böse an, obwohl der Kreis der Beschwerdeführer wuchs.

Parker, der inzwischen mit Mylady herangekommen war, konnte deutlich die Ausbuchtung unter der rechten Achsel eines stiernackigen Mannes erkennen.

»Finde ich hier einen gewissen... wie heißt das Subjekt doch gleich noch, Mister Parker?« raunzte Lady Agatha, während sie den Kreis der Obst- und Gemüsehändler durchpflügte.

»Mister Samuel Bell, Mylady«, soufflierte Parker höflich.

»Richtig.« Die Detektivin musterte den großen, silberhaarigen Mann in dem perfekt sitzenden blauen City-Anzug und nickte zufrieden. »Das sind Sie doch, nicht wahr? Ich muß mich beschweren, junger Mann, ich hoffe, ich bin hier richtig.«

Bell schluckte. Eine solche Lady hatte er noch nie gesehen. Agatha Simpson trug einen Hut, der eine pikante Mischung aus Napfkuchen und Südwester zu sein schien. Die bemerkenswerte Kreation wurde von einigen Hutnadeln im weiß-grauen Haar gehalten, die von Größe und Durchmesser her durchaus als kleine Bratenspieße dienen konnten.

Am Handgelenk der älteren Dame baumelte ein perlenbestickter Beutel, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende zum Aufbewahren diverser Kleinigkeiten verwendet hatten. In Myladys Pompadour allerdings ruhte ein veritables Hufeisen, das mal einem stämmigen Brauereigaul gehört hatte.

Die Detektivin pflegte dieses Hufeisen bei Schlichtungsversuchen einzusetzen, um wieder Ruhe und Ordnung herzustellen.

Samuel Bell ließ seine Blicke über das sackartige Kostüm der vor ihm Stehenden gleiten und sie kurz auf den ein wenig derb anmutenden Schuhen verweilen. Dann hatte er sich ein Bild von seinem Gegenüber gemacht und beschloß, etwas zu sagen.

»Guter Gott, wer sind Sie denn?« Er lächelte geringschätzig. »Ich glaube, Sie haben sich verlaufen, Lady, hier haben Sie sicher nichts zu suchen.«

»War das eine Beleidigung, Mister Parker?« Die ältere Dame wandte sich an ihren Butler und wartete ungeduldig auf die Antwort.

»Mitnichten, im besten Fall andeutungsweise, Mylady«, gab Parker gemessen zurück.

»Mylady sollten Mister Bell die Chance geben, sich deutlicher zu erklären.«

»Sie haben mir vorige Woche angefaulte Ware verkaufen lassen«, schwindelte sie ungeniert und musterte den Mann scharf. »Das lasse ich mir auf keinen Fall bieten, junger Mann, ich verlange Ersatz.«

»Wollen Sie denn behaupten, Sie wären in der Obst-Branche tätig?«

Samuel Bell lachte laut und schüttelte belustigt den Kopf.

»Nicht zu fassen, wer alles sich heutzutage in diesem Geschäft versucht!«

»Hüten Sie Ihre Zunge, junger Mann, ich bin sensibel und nehme leicht übel«, warnte Lady Agatha. Sie blickte den Händler erwartungsvoll an und freute sich auf das, was unweigerlich kommen mußte.

Samuel Bell nickte dem Stiernackigen, dem er zu Beginn der Diskussion gewinkt hatte, knapp zu. Der Mann baute sich hinter der älteren Dame auf und tippte ihr auf die Schulter. »Is ja schon gut, Oma, beruhige dich und geh schön nach Hause.« Er ergriff ihren Arm und wollte sie mehr oder weniger sanft von seinem Herrn und Meister trennen.

»Ihre Vorgehensweise dürfte auf keinen Fall den Normen entsprechen, Sir«, machte Josuah Parker den stiernackigen Mann auf sein schlechtes Benehmen aufmerksam. »Sie vergessen, daß Sie es mit einer Dame zu tun haben.«

»Und wenn schon, hier wird jedenfalls nicht gestänkert«, winkte der Gemaßregelte ab und versuchte erneut, Lady Agatha zum Gehen zu veranlassen.

»Wer nicht hören will, muß fühlen, wie der Volksmund so trefflich bemerkt«, reagierte der Butler und hob seinen Universal-Regenschirm. Der bleigefüllte Bambusgriff kippte vor und legte sich auf den Unterarm des Stiernackigen, den dieser gerade um Lady Agatha legen wollte.

Der Mann brüllte überrascht auf und zog den Arm zurück. Er fühlte intensiven Schmerz und begann, mit der Hand die Unterarmpartie zu reiben.

»Wollten Sie sich etwa einer alten, hilflosen Frau in unsittlicher Absicht nähern?« gab die Detektivin ihrer Empörung Ausdruck. Sie hob den Fuß und ließ ihn gegen das Schienbein des Mannes krachen. Der heulte entsetzt auf und begann auf einem Bein zu tanzen, wobei allerdings Grazie und Anmut fehlten.

Samuel Bell starrte verblüfft auf seinen Schläger und wußte nicht, wie er reagieren sollte.

Ein jüngerer Mann in Rollkragenpullover und Cordhosen drängte sich durch die Gruppe der Einzelhändler, die Samuel Bell umstanden. Um den Hals des Mannes hing eine japanische Kamera mit Teleobjektiv, an einem Schulterriemen baumelte ein tragbares Tonbandgerät.

»Haskins vom ›Thames Report‹«, schrie er und riß die Kamera an die Augen. »Gibt’s hier etwas, worüber sich zu berichten lohnt?«

»Verdrücken Sie sich, Mann, hier ist für Zeitungsschreiber nichts zu holen«, knurrte Samuel Bell gereizt und streckte eine Hand aus, um nach der Kamera des Reporters zu greifen. Der wich geschickt zurück und brachte sich aus der Reichweite des wütenden Gemüse- und Obst-Grossisten. Noch während seines Ausweichmanövers löste Haskins den Verschluß seiner Kamera aus und blendete Bell mit Blitzlicht.

»Schreiben ’se doch mal, was für Ware uns der Kerl andreht«, meldete sich Horace Pickett in seiner Eigenschaft als Kleinhändler zu Wort.

»Genau, bringen ’se mal ’n Bericht darüber, wie wir kleinen Leute von Lieferanten wie dem da aufs Kreuz gelegt werden«, stimmte ein anderer ein und erntete beifälliges Gemurmel.

»Man sollte die Öffentlichkeit davor warnen, Ware zu kaufen, die von diesem Subjekt stammt«, mischte sich Lady Agatha ein.

»Sehr interessant.« Der Reporter wirbelte zu der älteren Dame herum und schoß eine Reihe von Fotos, für die sie sich gern zur Verfügung stellte.

»Möglicherweise empfiehlt sich die Gründung einer Interessengemeinschaft der Geschädigten«, gab Josuah Parker zu bedenken.

»Aber, aber, man kann doch über alles reden, Leut, das ist doch nur ’n Mißverständnis. Weiter nichts.« Bell versuchte zu beschwichtigen. Wütend winkte er dem Stiernackigen, denn diese Art von Publicity schätzte er nicht. Es galt, geschickt zu taktieren.

Josuah Parker nahm sich des Schlägers an und führte ihn unauffällig zur Seite. Dabei rutschte seine Hand unter das Jackett des Mannes und stellte Brieftasche und Pistole sicher. Das geschah mit einer Geschicklichkeit, die einen Taschendieb zu Beifallskundgebungen hingerissen hätte.

»Die Ereignisse haben Sie möglicherweise ein wenig mitgenommen, Sir«, vermutete Parker und hielt plötzlich einen Flakon in der Hand. »Man rät, sich etwas auszuruhen. Wenn sie sich dies hier freundlicherweise einmal ansehen würden?«

Der Stiernackige folgte Parkers Empfehlung wie in Trance. Er sah auf den kleinen Glasbehälter und spürte einen Moment später, wie ein feiner, unsichtbarer Sprühnebel sein Gesicht netzte und in die Nasenöffnungen drang.

Bald fühlte er wohlige Müdigkeit in sich aufsteigen und konnte dem Bedürfnis, sich einem Schläfchen hinzugeben, nicht länger standhalten. Er seufzte leise und ließ sich fallen.

Josuah Parker, der die Entwicklung vorausgesehen hatte, fing ihn auf und schleppte ihn hinter einen Kistenstapel. Er schützte den Schläger mit sogenannten Obststeigen und entzog ihn den Blicken vorbeikommender Besucher. Dann kehrte der Butler zu seiner Herrin zurück, die gerade dabei war, dem Reporter ein ausführliches Interview zu geben.

»Verdammt, das stimmt doch einfach nicht!« beschwerte sich Bell und sah gereizt in den Kreis seiner vermeintlichen »Kunden«, die samt und sonders zu Horace Picketts Neffen gehörten. »Das ist ja schon vorsätzliche Rufschädigung.«

»Selbstverständlich gebe ich Ihnen Gelegenheit, zu diesem Thema ausführlich Stellung zu nehmen, Sir«, bemerkte der Reporter. Auch er war ein Neffe Picketts und von diesem eigens herbestellt.

»Ich werde Ihnen mein Kühlhaus zeigen, junger Mann«, schlug Bell vor. »Dort können Sie sich selbst von der einwandfreien Beschaffenheit meiner Ware überzeugen. Ich hoffe, Sie sind objektiv genug, um darüber zu schreiben. Noch besser wäre es allerdings, wenn Sie einsehen würden, daß das hier kein Thema für einen Bericht ist.« Er sah sich im Kreis seiner vermeintlichen Kunden um und musterte einen nach dem anderen mit giftiger Miene.

»Ich bin einverstanden«, teilte die ältere Dame ihm mit und nickte hoheitsvoll, »obwohl ich persönlich glaube, daß Sie sich mit diesem Vorschlag keinen Gefallen tun, junger Mann. Wahrscheinlich finden wir in Ihrem Lagerhaus Berge von vergammelter Ware. Überraschen würde es mich jedenfalls nicht.«

»Bei mir geht es korrekt zu, das werden Sie gleich sehen«, zischte Bell. »In Zukunft sollten Sie sich allerdings an einen anderen Großhändler wenden, ich kann auf Kunden wie Sie verzichten.«

»Das hatte ich ohnehin vor«, bemerkte Lady Agatha spitz und lächelte süffisant. »Ich wiederum kann nämlich meinen Kunden Ihre Ware nicht zumuten.«

*

»Sie fanden vergammeltes Obst und Gemüse, wie Sie es vorausgesehen hatten, Mylady«, erkundigte sich Mike Rander. Er und Kathy Porter hatten sich im Haus der älteren Dame eingefunden, um sich über die neueste Entwicklung im Eisbär-Fall informieren zu lassen.

Der Butler reichte Sandwiches, Gebäck und Kekse und servierte dazu Tee und Kaffee. Außerdem gab es zahlreiche Schalen mit Obst aus aller Herren Länder. Lady Agatha hatte sich in Bells Lager bedient und diverse Proben eingepackt, die sie untersuchen lassen wollte.

Bell hatte dazu nur verächtlich gelacht und ihr mit eigener Hand zwei Kartons Ware eingepackt.

»Natürlich nicht«, antwortete die Hausherrin und bedachte ihren Butler mit vorwurfsvollem Blick. »Er präsentierte uns ein Lager in bestem Zustand, es enthielt einwandfreie Ware. Ich nehme an, daß es sich dabei um eine Art Vorzeigelager für Kontrollfälle handelt, der größere Teil seiner Vorräte dürfte in einem anderen Raum untergebracht sein. Aber Mister Parker gab sich damit natürlich zufrieden.«

»Sowohl das Lager selbst als auch die dort vorrätige Ware zeigten sich in bester Verfassung«, stellte Parker angemessen fest. »Mister Bell scheint in seinem Geschäft auf peinlichste Einhaltung der Vorschriften und erstklassige Qualität seiner Angebote zu achten.«

»Lächerlich«, reagierte die Detektivin gereizt. »Einige Ohrfeigen hätten den Lümmel dazu gebracht, seine eigentlichen Lagerräume zu öffnen.«

»Mylady gingen es nur darum, Mister Bell zu verunsichern und zu Aktionen herauszufordern«, erinnerte Parker. »Mylady wußten natürlich, daß Mister Bell sein offizielles Geschäft vorbildlich führt und sich in dieser Hinsicht nichts nachsagen lassen möchte. Deshalb war die von Mylady vorzüglich inszenierte Reklamation genau das richtige Mittel.«

»Ideen muß man haben, dann klappt es immer, Mister Parker«, nickte sie und zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie selbst alles geplant und in die Tat umgesetzt hatte. »Natürlich wußte ich, daß die Ware dieses Lümmels einwandfrei ist.«

Agatha Simpson erinnerte sich an die Früchte auf ihrem Tisch und griff zu. Sie nahm eine Kiwi zur Hand und musterte sie nahezu liebevoll. »Dieser Strolch wird jetzt alles daransetzen, mich aus dem Verkehr zu ziehen«, fuhr sie fort und zog ihrerseits die grüne Frucht sachkundig aus dem Verkehr. Sie legte den Löffel beiseite und widmete sich einer Birne, die förmlich um ihren Verzehr bettelte.

»Zumal Mylady Mister Bell noch versehentlich in seinem Lager einschlossen«, ergänzte Parker.

»Könnte man dazu mehr hören, Parker?« erkundigte sich Mike Rander neugierig.

»Mister Bell führte Mylady und die anderen Herrschaften durch das Lager und gab dazu ausführliche Erläuterungen«, begann Parker gemessen.

»Mit den anderen Herrschaften meinen Sie Mister Pickett und seine Neffen, wie?« bemerkte Kathy Porter und lächelte amüsiert.

»In der Tat, Miß Porter. Mister Pickett und seine Neffen stellten die Händler und den Reporter«, gab Parker zu und deutete eine Verbeugung an. »Im Verlauf des Rundgangs kam man auch in die sogenannte Reiferei.«

»Was ist denn das?« wollte Mike Rander wissen.

»Ein Kühlraum, in dem Bananen ihrer Ausreife entgegenharren, Sir«, erläuterte der Butler. »Üblicherweise werden die exotischen Früchte in unreifem Zustand geerntet und verschifft und reifen dann während des Transports, beziehungsweise erst bei der Lagerung aus.«

»Und dort geschah doch sicher etwas?« konnte sich Kathy Porter vorstellen.

»In der Tat, Miß Porter. Als man das Kühlhaus verließ, ließ Mylady versehentlich die Tür hinter sich zufallen. Unglücklicherweise befand sich Mister Bell noch darin.«

»Und wie der Zufall so spielt, steckte der Schlüssel natürlich auf der Außenseite und Mylady drehte ihn gleichfalls zufällig um, stimmt’s, Parker?« riet Mike Rander.

»Sie treffen den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, Sir. Aus humanitären Gründen gab man besagten Schlüssel, den Mylady versehentlich eingesteckt hatte, im Büro der Großmarktleitung ab und bat darum, Mister Bell zu befreien.«

»Sie waren mal wieder viel zu weich, Mister Parker«, monierte die Hausherrin und musterte nachdenklich einen Granatapfel. »Ich hätte den Lümmel jedenfalls noch etwas auskühlen lassen, das hätte seinen kriminellen Eifer für die nächste Zeit gedämpft.«

»Mylady wollten Mister Bell natürlich nur nachhaltig erschrecken und auf gar keinen Fall gesundheitlich schädigen«, stellte Parker fest. »Aus diesem Grund veranlaßte Mylady auch meine bescheidene Wenigkeit, für Mister Bells Befreiung Sorge zu tragen.«

»Ach ja?« wunderte sich die Detektivin, die dabei war, den Granatapfel zu probieren. »Natürlich wollte ich nicht, daß diesem Strolch etwas passiert. Wie sollte er denn sonst weitere Anschläge auf mich unternehmen?«

»Ein Aspekt, der durchaus Beachtung verdient«, erwiderte Parker und deutete eine höfliche Verbeugung an.

*

»Sie haben Glück, ich wollte gerade aus dem Haus gehen«, erklärte zwei Stunden später Daniel Rogers. Er musterte seine Besucher aus schmalen Augen und gab sich keine Mühe, seine Abneigung zu verbergen.

Rogers saß hinter einem massigen Schreibtisch, dessen Platte bis auf einen teuren Aktenkoffer völlig leer war. Auf einer Anrichte daneben stand ein Telefon, das der Großmetzger mit nervösem Blick streifte.

»Ich hoffe, Sie haben sich inzwischen von unserer letzten Begegnung erholt, mein Bester«, bemerkte Lady Agatha und lächelte etwas schadenfroh in der Erinnerung daran.

»In dieser Angelegenheit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen«, knurrte Rogers wütend. Er erinnerte sich nur zu gut an die Blamage. Lady Agatha und Parker hatten ihn und einen seiner Mitarbeiter in seinem eigenen Kühlhaus an einem Deckenhaken deponiert und mit je einem ausgenommenem Schweinskopf garniert.

Befreit worden waren sie schließlich von einigen Angestellten, die der Butler vom Dilemma ihres Chefs verständigt hatte. Diese hatten nicht mit anzüglichen Kommentaren gespart, als sie ihren Vorgesetzten und Kollegen aus peinlicher Situation befreit hatten.

»Sie sollten nicht nachtragend sein«, empfahl Josuah Parker gemessen. »Sie dürfen sicher sein, auch Mylady hat die kleine, an sich bedeutungslose Episode längst der Vergessenheit anheim gegeben.«

»So ist es, mein Lieber, ich werfe Ihnen das nicht weiter vor.« Sie zwinkerte ihm schelmisch zu.

»Das ist verdammt großzügig von Ihnen, Mylady«, polterte der Mann los und ließ die klobige Faust auf die Schreibtischplatte fallen. »Sie blamieren mich bis auf die Knochen, aber Sie tragen mir nichts nach? Das ist ja wohl der Gipfel der Verdrehungskunst.«

Rogers beugte sich zu einem kleinen Barfach hinunter und brachte eine bauchige Flasche mit Glas zum Vorschein, das er mit zitternden Händen füllte.

»Cognac?« erkundigte sich die Detektivin und musterte die Flasche sachkundig. »Sie dürfen mir auch ein Gläschen anbieten, junger Mann, ich werde Frieden schließen und darauf mit Ihnen anstoßen.«

Rogers beugte sich erneut hinunter, während er halblaut vor sich hin murmelte, und versorgte die Lady mit einem Glas. »Sie auch?« fragte er den Butler, der stocksteif und hochaufgerichtet hinter seiner Herrin stand.

»Man dankt für das freundliche Angebot, erlaubt sich aber zu verzichten, Sir«, erklärte Parker würdevoll. »Dürfte man übrigens das Gespräch auf Mister Samuel Bell lenken, der die Ehre und den Vorzug hatte, sich mit Lady Simpson unterhalten zu dürfen?«

»Sie waren bei Bell?« staunte Rogers. Im nächsten Augenblick winkte er müde ab und schüttelte den Kopf. »Was soll mich das schon interessieren, schließlich kenne ich den Mann ja kaum.«

»Bei Myladys letztem Besuch waren Sie noch anderer Meinung, Sir«, erinnerte Parker ihn. »Sie gaben an, Mister Bell sehr gut zu kennen und hin und wieder Aufträge für ihn auszuführen.«

»Vergessen Sie’s, ich stand unter psychischem Druck, das wissen Sie verdammt genau«, fuhr Rogers ihn wütend an. »Sie haben mich doch praktisch zu dieser Aussage gezwungen, das habe ich auch Bell schon gesagt.«

»Besagter Mister Bell machte nicht den Eindruck, als hätte er ihren Beteuerungen Glauben geschenkt«, bedauerte Parker.

»Er war ganz schön sauer auf Sie«, mischte sich Lady Agatha ins Gespräch. »Er sprach davon, Sie bei Gelegenheit durch die Mangel zu drehen.«

»Er ließ in dieser Hinsicht keinerlei Zweifel aufkommen«, bedauerte der Butler. »Mister Bell schien tatsächlich nachhaltig verärgert zu sein.«

»Das haben Sie mir eingebrockt«, kreischte Daniel Rogers und sprang hinter dem Schreibtisch auf. Seine Hand riß eine Schublade auf und kam mit einer großkalibrigen Pistole wieder zum Vorschein.

»Sie sollten sich nicht unnötig inkommodieren, Sir«, empfahl Parker. Er hatte sich gleichfalls erhoben und seinen Universal-Regenschirm über die Schreibtischplatte geschoben. Der Bambusgriff hakte hinter den Knauf der Schublade und zog diese zu.

Zu Rogers Bedauern steckte seine Hand noch halb drin. Sie wurde samt Pistole eingeklemmt und einer gewissen Belastungsprobe unterzogen. Der Großschlachter stöhnte unterdrückt und schüttelte wütend den Kopf.

»Lassen Sie los, Mann, Sie haben gewonnen«, keuchte er, während sein Gesicht rot anlief.

»Sie sollten Ihr Temperament ein wenig zügeln, Sir«, tadelte der Butler. »Wie leicht kann es zu Mißverständnissen kommen.«

Er umrundete den Schreibtisch und stellte die Pistole sicher. Mit einer Geschicklichkeit, die jeden professionellen Taschendieb mit Neid erfüllt hätte, ließ er sie in einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats verschwinden und nahm dann wieder den Platz hinter seiner Herrin ein.

»Ihr Unternehmen gehört Mister Bell, während Sie es nach außen hin führen?« stellte Parker fest, der vor diesem Besuch interessante Informationen erhalten hatte. Ein gewisser Chief-Superintendent McWarden hatte ihn angerufen und damit versorgt.

»Woher wissen Sie das?« staunte Rogers.

»Einer Lady Simpson entgeht grundsätzlich nichts«, machte sich die Detektivin bemerkbar. »Fahren Sie fort, Mister Parker, Sie machen Ihre Sache gut«, wandte sie sich dann an Josuah Parker und nickte hoheitsvoll. »Ich werde einspringen, wenn es nötig sein wird.«

»Mylady sind einfach zu gütig«, entgegnete Parker und deutete eine Verbeugung an. »Man wird sich bemühen, Myladys Vertrauen zu rechtfertigen.«

»Sie sind das, was der Volksmund so anschaulich als Strohmann bezeichnet, Mister Rogers«, fuhr der Butler fort. »Mister Bell hat Ihren Betrieb vor drei Jahren übernommen und sich damit gleichzeitig Ihrer Dienste versichert. Man spricht davon, daß er über gewisses belastendes Material verfügt, das er gegen Sie in der Hand hat.«

»Dieses Schwein!« Daniel Rogers Gesicht verzerrte sich zu einer haßerfüllten Grimasse.

»Möglicherweise könnten Sie Mylady mit einigen Hinweisen zu Mister Bell dienen, die zu seinem Sturz führen könnten«, regte Parker an, »Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, Sir.«

*

»Wie bitte?« Kathy Porter, die gerade die Kasse des Supermarkts passiert hatte, sah überrascht auf. Sie war dabei, ihre Einkäufe in ihrer Tasche zu verstauen, als sie angesprochen wurde. Links und rechts von ihr standen plötzlich zwei Männer mittleren Alters in weißen Kitteln und mit dem Emblem der Firma, zu der dieser Markt gehörte.

»Sie haben mich doch sicher gut verstanden«, bemerkte der Mann rechts von ihr. »Ich sagte, man hat Sie beobachtet, wie Sie etwas unter Ihrer Jacke verschwinden ließen. Ehrlich gesagt, mögen wir das gar nicht.«

»Das ist doch Unsinn. Wer behauptet das?« Kathy richtete sich auf und sah den Sprecher empört an. »Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte Ladendiebstahl begangen?«

»Tja, so nennt man das wohl«, höhnte der Weißkittel links von ihr.

»Das muß ein Irrtum sein, ich möchte den Denunzianten sprechen, der mich angeblich beobachtet hat«, verlangte Kathy Porter und schaute die beiden Supermarkt-Angestellten wütend an. »Ich möchte, daß mir der Betreffende das ins Gesicht sagt.«

»Ich schlage vor, wir gehen ins Büro, wir wollen doch hier keinen Skandal provozieren«, schlug der erste Mann vor.

»Einverstanden«, gab Kathy zurück. »Sie werden sich anschließend bei mir zu entschuldigen haben.«

»Warten wir’s ab«, bemerkte der zweite und ergriff ihre Einkaufstasche. Die Männer rahmten die junge Frau ein und führten sie zu einer graulackierten Stahlblechtür, die zu den Betriebsräumen des Supermarkts führte.

»Also, wo ist Ihr angeblicher Zeuge?« verlangte Kathy zu wissen, als sie ein einfach eingerichtetes Büro erreicht hatten.

»Es gibt keinen«, grinste der größere der beiden Männer, der auch ihr Sprecher zu sein schien.

»Wir wollten dich nur möglichst problemlos aus dem Verkehr ziehen, Süße«, stellte der andere fest und musterte sie mit lüsternem Blick.

»Ehrlich gesagt, du selbst interessierst uns nicht die Bohne«, fügte der größere Mann hinzu.

»Das würde ich so nicht sagen.« Sein Kollege starrte Kathy aufdringlich an und leckte sich dabei unwillkürlich die Lippen.

»Reiß dich gefälligst zusammen, Mann, wir sind nicht zu unserem Vergnügen hier«, knurrte der andere Weißkittel ihn an. »Außerdem kann der Boß jeden Augenblick hier eintreffen.«

»Ist ja schon gut, reg dich nur nich auf.« Der Lüsterne winkte ab und schüttelte den Kopf. »Man wird sich doch noch mal ’n kleinen Scherz erlauben dürfen, oder?«

»Um was geht’s hier eigentlich?« wollte Kathy wissen. Sie ahnte, warum man sie hierhergeschafft hatte, wollte aber noch mal die Bestätigung hören.

»Deine Chefin wird dem Boß allmählich ’n bißchen zu aufdringlich«, stellte der Wortführer fest. »Die und dieser komische Butler dazu, obwohl ich ehrlich gesagt nicht verstehe, daß man mit zwei solchen Mumien nicht fertigwerden soll.«

»Sie arbeiten also für den sogenannten Eisbären«, bemerkte Kathy Porter. Sie musterte unauffällig ihre Umgebung und überlegte, wie sie die Weißkittel überlisten konnte.

»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht«, gab sich der Wortführer nebulös und ging ans Telefon, das in diesem Augenblick zu läuten begann.

Kathy Porter, die von Josuah Parker in allen Sparten fernöstlicher Verteidigungskunst ausgebildet worden war, sah ihre Chance. Sie spannte die Muskeln an und stieß sich vom Boden ab. Mit vorgestrecktem Bein flog sie auf den zweiten Mann zu, der ihr verblüfft entgegenstarrte und unfähig zur Gegenwehr war.

Kathys Fuß traf ihn an empfindlicher Stelle und ließ ihn aufschreien. Er hob die Hände, preßte sie gegen die Schmerzzone und sackte zusammen.

»Okay, Puppe, Ende der Vorstellung.« Der Anführer der beiden hatte den Telefonhörer fallenlassen und richtete seinen Revolver auf die attraktive junge Frau.

»Alles in Ordnung, Boß. Unsere Besucherin hat nur ’ne kleine Einlage gegeben, die aber schon wieder zu Ende ist«, bemerkte er in den Hörer und legte auf.

»Du scheinst ja überschüssiges Temperament zu haben«, knurrte er und stieß den Kollegen mit der Schuhspitze in die Seite. »Steh auf, du Held! Wie kann man sich nur von ’ner Frau reinlegen lassen?« Er schnalzte mißbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf.

»Na warte, das wirst du mir büßen.« Der von Kathy Porter überrumpelte Mann erhob sich mühsam und zog sich am Schreibtisch hoch. Er stützte sich schwerfällig auf die Platte und starrte die attraktive junge Frau haßerfüllt an. Dann griff er in seine Kitteltasche und brachte eine Klappmesser zum Vorschein. Mit enervierendem Geräusch schnellte die Klinge aus dem Griff.

»Spiel hier jetzt nicht den starken Mann«, warnte sein Kollege ihn. »Wir sollen sie zum Lager schaffen, der Chef möchte sich mit ihr unterhalten.«

»Wir sprechen uns noch, Süße«, zischte der Messerheld. »Nach unserer nächsten Unterhaltung siehst du nicht mehr so gut aus wie jetzt, verlaß dich drauf.«

»Muß ich jetzt vor Ihnen zittern?« spottete Kathy Porter. Sie ärgerte sich, daß sie sich mit einem simplen Trick hatte überrumpeln lassen und suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Sie wollte den Mann mit dem Messer reizen und zu einer Affekthandlung verführen, die sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte.

Doch der Mann mit dem Revolver durchschaute ihre Absicht. »Hände auf den Rücken«, befahl er und wedelte unmißverständlich mit der Waffe. »Wir fesseln und knebeln dich jetzt, Süße, damit du nicht wieder auf dumme Gedanken kommst.«

*

»Verdammt!« Mike Rander stieß wenig gentlemanlike einen Fluch durch die Zähne. Er befand sich mit seinem Austin in der Nähe der Handelskammer, wo er einen Termin mit einem der Abteilungsleiter hatte. Er hatte gerade eine Kreuzung überqueren wollen, als es passierte: Aus einer schmalen Seitenstraße schoß ein Mini heraus und bohrte sich in seine Seite.

Die Fahrerin, die in diesem Augenblick ausstieg und auf ihn zukam, hatte ganz offensichtlich seine Vorfahrt mißachtet und dadurch den Zusammenstoß verursacht.

»Ich glaube, ich hatte Vorfahrt«, bemerkte der Anwalt und musterte die aufgeregte junge Frau neugierig. »Ist Ihnen etwas passiert?«

Die fünfundzwanzigjährige, dunkelhaarige Frau schüttelte benommen den Kopf, preßte die Fäuste gegen ihr Gesicht und begriff offensichtlich noch nicht so ganz, was geschehen war.

»Alles halb so wild«, stellte der stets etwas lässig wirkende Anwalt fest. »Sie sollten sich keine unnötigen Sorgen machen.«

Er nahm die zitternde Frau am Arm und führte sie auf den Bürgersteig. »Legen Sie Wert darauf, die Polizei zu verständigen?« erkundigte sie sich mit unüberhörbarer Angst in der Stimme. »Wissen Sie, wenn mein Mann das erfährt...« Sie brach ab und sah Mike Rander hilfeheischend an.

»Sind Sie die Fahrer der beiden Unfallfahrzeuge?« erkundigte sich in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihnen. Unbemerkt war ein Bus der Polizei erschienen und parkte am Straßenrand. Ein Polizist stand da und legte die Hand grüßend an den Schirm seiner Mütze.

»Sind wir«, bestätigte Mike Rander. Mit dem Auftauchen der Beamten war ihm die Entscheidung über die weitere Behandlung des Unfalls abgenommen worden.

»Fahren Sie bitte Ihre Wagen an den Straßenrand, damit die Kreuzung geräumt wird«, ordnete der Polizist an. »Mein Kollege hat bereits ein paar Bilder gemacht, so daß die Situation beweiskräftig festgehalten ist. Danach kommen Sie bitte zu uns in den Wagen, damit wir das Protokoll aufnehmen können.«

»Tja, tut mir leid«, entschuldigte sich Mike Rander bei der jungen Frau. »Damit habe ich aber keinen Einfluß mehr auf die Sache.«

Er nickte ihr zu und drängte sich durch die Neugierigen auf dem Bürgersteig. Während er seinen Wagen in eine Parkbucht lenkte, sah er im Rückspiegel, daß seine Unfallgegnerin ihren Mini auf der Kreuzung wendete und in die Straße zurückfuhr, aus der sie gekommen war. Anstatt daß der kleine Wagen jedoch am Straßenrand geparkt wurde, beschleunigte er und entschwand Randers Blicken.

»Die kommt nicht weit«, stellte der Polizist fest, der sie auf dem Bürgersteig angesprochen hatte. »Wir haben ihre Beschreibung und die Nummer bereits über Funk durchgegeben.«

»Wahrscheinlich hat sie die Nerven verloren«, überlegte Mike Rander. »Sie hatte anscheinend Angst davor, daß ihr Mann von dem Unfall erfährt.«

»Na, das wird er jetzt mit Sicherheit«, stellte der zweite Polizist in dem kleinen Bus fest. »Bei Unfallflucht verstehen wir keinen Spaß.«

»Was soll’s, um die kümmern sich jetzt Kollegen«, winkte sein Partner ab. »Würden Sie sich das hier bitte mal ansehen, Sir?«

»Wie bitte?« Der Anwalt wandte sich um und blickte verwundert auf den kleinen Gegenstand, den ihm der vermeintliche Polizist entgegenhielt. Einen Augenblick später traf ihn ein dünner, unsichtbarer Strahl aus der Düse der kleinen Sprühdose und drang ihm in Mund und Nase.

Rander riß die Arme hoch und wollte sein Gesicht schützen, aber es war bereits zu spät. Ein weiterer Strahl schoß ihm entgegen und raubte ihm den Atem. Er spürte, wie ihm schwindelig wurde, und er hatte das Gefühl, in einen dunklen Schacht zu stürzen. Dann verlor er das Bewußtsein und rutschte von seinem Sitz.

»Na, das klappt doch bestens«, sagte der »Polizist«, der ihn in den Bus zitiert hatte. »Da wird sich der Chef freuen. Und für uns ist ’ne kleine Sonderprämie drin, dabei haben wir uns nicht mal anstrengen müssen.«

»Laß uns jetzt verschwinden, bevor die echten Bullen hier auftauchen.«

Sein Partner sah nervös aus dem Fenster und startete den Motor. Er lenkte den Bus in die Seitenstraße, in der der Mini verschwunden war, und gab Gas. Eine Querstraße weiter stand eine junge Frau am Straßenrand und winkte. Der Kleinbus stoppte, und die junge Frau stieg ein.

»Ist ja prima gelaufen«, bemerkte sie und betrachtete den Anwalt, der auf dem Boden lag. »Da sieht man wieder mal, was Planung ausmacht.«

*

»Wenn die Kinder nicht gleich kommen, fange ich ohne sie an«, entschied die ältere Dame. Sie saß am Tisch des kleinen Salons im altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd’s Market und wartete ungeduldig auf den Beginn des Dinners.

»Man wird sich telefonisch nach dem Verbleib der jungen Herrschaften erkundigen«, bot Josuah Parker an und begab sich zum Telefon.

»Ich lege großen Wert auf Pünktlichkeit, Mister Parker«, stellte die Hausherrin fest, »ganz besonders bei den Mahlzeiten. Regelmäßige Nahrungsaufnahme ist das A und O der Gesundheit.«

»Eine Weisheit, die immer wieder von der Medizin bestätigt wird«, stimmte der Butler ihr zu.

Er griff zum Hörer und wollte ihn gerade aufnehmen, als der Apparat wie auf ein Stichwort hin zu klingeln begann.

»Denken Sie daran, ich werde auf keinen Fall länger warten«, schärfte die Hausherrin Parker ein.

»Man wird Ihre Nachricht weitergeben«, bemerkte Parker in den Hörer und legte auf.

»Was ist, Mister Parker, waren das denn die Kinder?« erkundigte sich die ältere Dame.

»In etwa, Mylady.« Parkers Gesicht zeigte keine Rührung, obwohl ihn der Anruf durchaus getroffen hatte.

»Ein gewisser Eisbär teilte Mylady mit, daß sich Miß Porter und Mister Rander in seiner Gewalt befinden und als Pfand dafür dienen, daß Mylady umgehend das Interesse an ihm verlieren.«

»Ich muß sie befreien! Lassen Sie sich etwas einfallen, Mister Parker!« Lady Agatha vergeudete keine Zeit damit, lange mit dem Schicksal zu hadern. Sie schob entschlossen ihren Teller beiseite und sah ihren Butler herausfordernd an.

»Man wird sofort alles in die Wege leiten, um Miß Porter und Mister Rander aus ihrer mißlichen Lage zu befreien«, versprach Parker, der ebenso wie seine Herrin an Myladys Gesellschafterin und dem Anwalt hing, ohne dies allzu offen zu zeigen. Das würde sich auf keinen Fall mit der Würde eines hochherrschaftlichen englischen Butlers vereinbaren lassen.

»Das ist natürlich Ihre Schuld, Mister Parker«, klagte Lady Agatha. »Wie oft habe ich schon gesagt, Sie sollen besser auf die Kinder aufpassen.«

»Man wird sich künftig um mehr Aufmerksamkeit bemühen«, entschuldigte sich Parker, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte. »Mylady wünschen, auf das heutige Dinner zu verzichten?«

»Ich möchte eigentlich sofort etwas unternehmen, um den Kindern zu helfen«, gab sie zurück und runzelte nachdenklich die Stirn.

»Wenn man Mylady einen Vorschlag unterbreiten dürfte?« erkundigte sich Parker höflich.

»Reden Sie«, forderte die passionierte Detektivin. »Sie wissen, ich habe für alles ein offenes Ohr.«

»Es würde Miß Porter und Mister Rander keinesfalls helfen, wenn Mylady auf ihr Dinner verzichten, ganz im Gegenteil.« Josuah Parker legte eine kleine Kunstpause ein und deutete eine Verbeugung an.

»Und warum nicht?« Lady Agatha war nur zu gern bereit, Parkers Hinweis aufzunehmen.

»Es gilt zunächst, einige Recherchen durchzuführen und gewisse Vorbereitungen zu treffen«, erläuterte Josuah Parker gemessen. »Zudem dürfte ein Verzicht auf das Dinner den Gangstern nützen.«

»Papperlapapp«, wehrte sie ab.

»In der Tat, Mylady! Auf diese Weise würde nämlich Myladys Kampfkraft geschwächt, was ohne Frage im Interesse der Herren Gegner liegt.«

»Das ist ein Aspekt, den ich auf gar keinen Fall vernachlässigen sollte, Mister Parker«, stellte sie fest und nickte nachdenklich.

»Mylady sollten deshalb auf jeden Fall dinieren und sich für die kommende Auseinandersetzung stärken«, empfahl der Butler abschließend. »Dies nützt Miß Porter und Mister Rander, wenn Mylady meiner bescheidenen Wenigkeit diesen Hinweis gestatten.«

»Nun gut, Mister Parker, Sie haben mich überzeugt«, gab sie sich geschlagen. »Ich werde also für die Kinder dinieren.«

»Myladys Opferbereitschaft ist immer wieder bewunderns- und rühmenswert«, befand Parker.

*

Der Butler parkte seinen Privatwagen vor dem Eingang des altehrwürdigen Fachwerkhauses und stieg aus. Er schritt gemessen zur Tür, öffnete sie und trat beiseite, um seine Herrin vorbei zu lassen.

Agatha Simpson machte es sich im Fond bequem und lehnte sich in eine Ecke, so daß sie von außerhalb des Wagens kaum zu erkennen war. Parker nahm am Steuer Platz und setzte das ehemalige Londoner Taxi in Bewegung.

Er steuerte das hochbeinige Monstrum, wie der Wagen respektvoll von Freund und Feind genannt wurde, auf eine breite Durchgangsstraße und nahm Kurs auf das Hafengebiet, in dessen unmittelbarer Nähe sich auch die Großmarkthallen befanden.

Ein dunkler Ford, der bis dahin gegenüber dem Fachwerkhaus auf dem kleinen Platz geparkt hatte, hatte sich unmittelbar nach dem eckigen, schwarzen Gefährt in Gang gesetzt und folgte.

»Läuft ja wie geschmiert«, stellte der Fahrer des Ford fest und grinste siegesgewiß. »Da hat der Boß wieder mal den richtigen Riecher gehabt. Die beiden fahren direkt zur Halle, weil sie denken, daß da der Anwalt und sein Mäuschen festgehalten werden.«

»Das ist der letzte Akt in diesem Spiel«, stellte der Beifahrer fest. »Endlich macht der Chef Ernst und Nägel mit Köpfen. Hat sich ja auch lange genug von diesen komischen Typen auf der Nase herumtanzen lassen, wenn du mich fragst.«

Der Kasten vor ihnen beschleunigte und verschwand um eine Biegung. Der Fahrer des Ford trat aufs Gaspedal und beschleunigte gleichfalls. Ihm lag daran, daß die Insassen des ehemaligen Taxis die Verfolgung bemerkten. Dadurch sollte ihre Aufmerksamkeit von einem zweiten und dritten Team abgelenkt werden, die sich in letzter Konsequenz um sie zu kümmern hatten.

Der hochbeinige Wagen sollte in wenig belebter Gegend durch einen vorgetäuschten Unfall zum Halten gebracht und dann überfallen werden. Für den Abtransport stand ein Eiswagen bereit, den man als Krankenwagen getarnt hatte. Das Fahrzeug verfügte über eine Sonderausstattung in Form eines leistungsstarken Kühlaggregats und eines isolierten Laderaumes. Lady Agatha und ihr Butler sollten darin zur Küste gebracht werden, um von dort aus ihre letzte Reise anzutreten.

»Die werden im Transporter erst mal ’n bißchen angekühlt«, freute sich der Ford-Fahrer. Er hatte wieder aufgeholt und Anschluß gewonnen.

»Das gönne ich diesen Amateuren«, freute sich sein Kollege mit ihm. »Wie kann man auch so dumm sein und sich mit dem Chef anlegen, das muß ja so enden.«

»Eben«, pflichtete der Fahrer ihm bei und grinste, einen Augenblick später allerdings nicht mehr. Verblüfft starrte er auf das kleine Schild auf dem Dach des Wagens vor sich.

»Sag mal, das Schild auf dem Dach, war das vorhin auch schon da?«

»Was für ’n Schild?« Der Kollege beugte sich vor und spähte durch die Windschutzscheibe.

»Das is ja ’n Taxi, verdammt nochmal«, japste er und sah seinen Fahrer vorwurfsvoll von der Seite an. »Du hast sie verloren, das darf doch wohl nicht wahr sein.«

»Unsinn, Mann, das sind sie!« Der Fahrer gab Gas, der Ford holte schnell auf und lag schließlich auf der zweiten Spur neben dem Taxi.

Der Mann am Steuer des schwarzen Wagens wendete den Kopf und sah für den Bruchteil einer Sekunde herüber. Die Ford-Insassen konnten deutlich erkennen, daß es sich dabei um einen älteren Mann mit weißen Haaren, lang herabhängendem Schnauzbart und dicken Tränensäcken unter den Augen handelte. Auf dem Kopf trug er eine Kappe, die grün schillerte.

Die Frau im Fond sah gleichfalls herüber und winkte lächelnd. Sie hatte ein aufgedunsenes Gesicht, kurze, dunkle Haare, die von einem gepunkteten Tuch halb verdeckt wurden, und paffte an einer Zigarettenspitze, die zwischen geschminkten Lippen steckte.

»Ich werd verrückt, das sind die beiden nicht«, keuchte der Beifahrer des Ford. »Entweder haben wir sie verloren, oder die haben uns reingelegt.«

»Wir müssen sofort zurück, vielleicht sind sie noch im Haus.« Der Mann trat hart auf die Bremse, sah kurz in den Rückspiegel und überzeugte sich, daß hinter ihnen kein Fahrzeug folgte. Dann wendete er den Wagen und raste den Weg zurück, den er gekommen war.

Der Fahrer des Taxis beobachtete das Manöver im Rückspiegel und lächelte zufrieden. Dann hob er ein Mikrofon an die Lippen und meldete sich bei einem gewissen Butler Parker, der in diesem Augenblick in einem unauffällig aussehenden Jaguar saß und auf die Gegend zusteuerte, in der Samuel Bell residierte. Lady Agatha thronte auf dem Rücksitz und fingerte ungeduldig an den Schnüren ihre Pompadours.

»Myladys Verfolger haben gewendet und sind auf dem Rückweg zu Myladys Haus«, meldete Parker seiner Herrin. »Myladys List scheint die Herren nachhaltig verwirrt zu haben.«

»Wer ist eigentlich die Frau, die mich gespielt hat, Mister Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Sie wissen, im Prinzip kann man mich nicht nachahmen.«

»Das dürfte außer Frage stehen, Mylady«, stimmte der Butler ihr höflich zu. »Bei der Dame im Taxi handelt es sich um eine weitläufige Verwandte Mister Picketts, die früher mal als Schauspielerin tätig war.«

»Und der Fahrer war Mister Pickett selbst, nicht wahr?« Agatha Simpson lächelte versonnen. Sie schätzte den ehemaligen Eigentumsumverteiler und dessen ausgezeichnete Manieren. »Ich sollte ihn bei Gelegenheit zum Tee einladen, Mister Parker, es muß ja nicht gleich morgen sein«, fuhr sie fort.

»Wie Mylady meinen«, erwiderte Parker und fügte hinzu. »Wenn die Herren Verfolger nach Shepherd’s Market zurückfahren, werden sie ungemein erleichtert sein. Sie dürften nämlich feststellen, daß sich Mylady und meine bescheidene Wenigkeit noch im Haus befinden und ihr Irrtum deshalb keine Folgen für sie haben wird.«

»Ein weiteres Team aus Mister Picketts Bekanntschaft?« Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück. Sie war überzeugt, wieder mal alles selbst eingefädelt zu haben und staunte über ihren Einfallsreichtum.

»In der Tat«, bestätigte Parker. »Dieses Team wird sich von Zeit zu Zeit hinter den Fenstern zeigen und den Eindruck erwecken, daß Mylady und meine Wenigkeit zu Hause sind.«

»In Wirklichkeit bin ich aber auf dem Weg zu diesem Lümmel, um die Kinder zu befreien«, stellte die ältere Dame grimmig fest. »Ich hoffe für diesen Strolch, daß nichts passiert ist, Mister Parker, sonst garantiere ich für nichts!«

*

»Gegen die Schwüle, die zur Zeit in London herrscht, ist die Kühle hier direkt angenehm«, witzelte Mike Rander.

»Der Humor wird dir bald vergehen«, prophezeite der ältere »Polizist« und sah den Anwalt hämisch lächelnd an. »In Kürze bist du steifgefroren, daß man nicht mal mit ’nem Preßluftbohrer ’n Kratzer in dich reinkriegt.«

»Mit welch interessanten Vergleichen Sie aufwarten«, spottete Mike Rander, dem absolut nicht wohl zumute war. Gegenüber den als Polizisten verkleideten Ganoven wollte er sich jedoch keine Blöße geben.

Der Anwalt befand sich in einem Kühlraum, der schon lange nicht mehr benutzt wurde, wie die Staubschicht auf dem Boden bewies. Leider schien sich das Kühlaggregat noch in gutem Zustand zu befinden, denn aus einem an der Decke angebrachten Gebläse wehte eisige Luft herein.

»Du kannst uns ruhig dein Jackett mitgeben, hier drin brauchst du es bestimmt nicht, schließlich gibt’s hier ’ne erstklassige Klimaanlage«, meldete sich der zweite »Polizist« zu Wort und streckte verlangend die Hand aus.

»Ich hänge an dem guten Stück, deshalb behalt ich’s lieber«, konterte Mike Rander.

»Her damit, Mann«, herrschte ihn der ältere Wächter an.

»Na, schön, wenn ihr so scharf darauf seid?« Mike Rander zuckte die Achseln, dann machte er sich daran, sich umständlich auszuziehen.

Einen Moment später flog das Jackett durch die Luft und landete auf dem Kopf des jüngeren der beiden »Polizisten«. Es rutschte ihm über’s Gesicht und nahm ihm die Sicht. Gleichzeitig sprang der Anwalt vor und setzte seine Handkante ein. Die traf den total überraschten Mann und fällte ihn. Er griff sich an die schmerzende Halsbeuge, ließ ein gurgelndes Geräusch hören und lag einen Augenblick später am Boden.

»Darf man behilflich sein?« erkundigte sich Mike Rander höflich bei dem zweiten Mann, der noch immer mit dem Jackett über seinem Kopf kämpfte.

Der Anwalt befreite ihn von dem lästigen Kleidungsstück, griff unter das Kinn des desorientierten Ganoven und rückte es zurecht. Bevor der Mann begriff, wie ihm geschah, traf ihn Mike Randers Kinnhaken und schickte ihn seinem Kollegen nach.

Rander sah sich im Raum um und entdeckte in einer Ecke alte Kisten, deren Bretter notdürftig von dünnen Drähten zusammengehalten wurden. Er entfernte die Drähte und band damit Hände und Füße der angeblichen Polizisten zusammen. Dann verließ er den Kühlraum und verriegelte von außen die Tür.

Er schaltete das Kühlaggregat, dessen Steuerung sich neben dem Türrahmen befand, ab und suchte den Ausgang.

*

Kathy Porter befand sich in einem kleinen, nahezu völlig dunklen Raum, der offensichtlich als Abstellkammer diente. Gerümpel aller Art türmte sich und verströmte unangenehme Gerüche.

Vor einer halben Stunde war sie fröstelnd erwacht, ohne zu wissen, wie sie in den Raum gelangt war. Sie erinnerte sich nur noch an den Revolver, den einer der beiden Männer im Büro des Supermarkts auf sie gerichtet hatte, ferner daran, daß der zweite Mann sie gleichzeitig von hinten umklammert hatte. Danach war ihr schwarz vor Augen geworden.

Kathy hatte nicht die Absicht, zu resignieren und sich in ihr Schicksal zu ergeben. Josuah Parker hatte ihr einige Ausrüstungsgegenstände mitgegeben, die nicht unbedingt zum normalen Repertoire einer jungen Frau gehörten.

Sie nahm ihren Armreif ab und bog ihn auseinander. Die beiden Enden waren geschickt getarnte Dietriche, mit denen Kathy Porter unter sachkundiger Anleitung des Butlers schon manches Schloß geöffnet hatte.

Sie führte das eine Ende ins Türschloß und begann behutsam darin zu tasten. Schon nach wenigen Augenblicken spürte sie die Zuhalterungen. Sie konzentrierte sich noch mehr und fühlte, wie die Zungen im Schloß zurückglitten.

Beinahe hätte sie die Schritte vor der Tür überhört. Erst im letzten Augenblick registrierte sie die Geräusche und zog hastig den Dietrich aus dem Schloß. Kathy bog den Armreif wieder zusammen und legte ihn an. Dann wich sie an die hintere Wand zurück und wartete gespannt darauf, ob geöffnet würde.

»Hallo, Süße, ich bin’s«. Der kleinere der beiden Männer aus dem Supermarkt schob sich in den Raum und versperrte die Tür sorgfältig hinter sich.

»Wo ... wo bin ich hier?« erkundigte sich Kathy mit schwacher Stimme und sah ihn aus großen Augen an. Der Mann musterte sie zufrieden im Schein der Deckenleuchte, die er kurz vor Aufschließen der Tür von draußen eingeschaltet hatte.

»Das ist doch uninteressant, Süße, wichtig ist nur, daß ich dir helfen kann«, stellte er fest und kam näher. Kathy wich noch weiter zurück, bis sie mit dem Rücken an die Wand stieß.

»Du brauchst keine Angst zu haben, ich tue dir nichts«, beruhigte der Mann sie, der jetzt anstelle des weißen Kittels einen Pullover trug.

»Sie können mir wirklich helfen?« hauchte Kathy verängstigt, und schenkte ihm einen koketten Augenaufschlag. Gleichzeitig reckte sie sich, daß ihr T-Shirt über dem Busen spannte. Sie kannte keine falsche Prüderie.

Der Gangster schluckte und starrte gierig.

»Ich werde dir helfen, Süße, aber das kostet natürlich ’ne Kleinigkeit«, knurrte er mit heiserer Stimme.

»Alles, was Sie wollen«, flüsterte Kathy.

Der Lüstling vergaß alle Zurückhaltung und stürzte sich förmlich auf die junge Frau.

Darauf hatte Kathy Porter nur gewartet. Hinter seinem Rücken hob sie die Hand und schlug sie wuchtig an seinen Hals. Der Mann stöhnte laut, wurde schlaff und sackte zusammen. Kathy fing ihn auf und ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten. Dann stieg sie über ihn hinweg, zog den Schlüssel aus dem Schloß und verließ den dumpfen Raum. Sie schloß sorgfältig von draußen ab und machte sich auf die Suche nach dem Ausgang.

Myladys Gesellschafterin erreichte eine Biegung des notdürftig beleuchteten Ganges und blieb einen Moment stehen, um auf Geräusche zu lauschen. Sie hörte jedoch nur ihren eigenen Herzschlag und schob sich vorsichtig um die Ecke. Im nächsten Augenblick sah sie sich einem Schatten gegenüber, der urplötzlich vor ihr aufgetaucht war und genauso erschrocken zu sein schien wie sie. Dann schüttelte sie ihre Überraschung ab und stürzte sich auf den neuen Gegner.

Der wich geschickt aus und setzte seinerseits zum Angriff an. Er riskierte eine Beinschere, aber die junge Frau erkannte rechtzeitig seine Absicht und wich gerade noch aus. Der neue Gegner ließ einen Fluch hören und brachte sich seinerseits vor einer Handkante in Sicherheit.

Dann stutzte Kathy Porter. Die Stimme kam ihr bekannt vor, obwohl der Fluch nur verhalten geklungen hatte.

»Mike?« fragte sie ungläubig.

»Kathy, du?« antwortete der erleichterte Anwalt.

*

»Diese komische Lady und ihren Butler sind wir so gut wie los«, berichtete Samuel Bell und sah sich zufrieden um. »Wir haben ihre Gesellschafterin und ihren Anwalt gekidnappt und werden die beiden mit deren Hilfe in eine Falle locken, der sie nicht entgehen können.«

»Wie sieht die aus?« wollte ein Mann mittleren Alters, dessen Haar schon schütter zu werden begann, wissen.

»Keine Angst, Francis, diesmal geht nichts mehr schief«, versicherte Bell ihm, der die Skepsis seines Freundes spürte und sich darüber ärgerte. »Die Sache ist perfekt geplant.«

»Ich höre«, gab der andere zurück und produzierte eine dicke Rauchwolke aus seiner Zigarre, die den Großhändler zum Husten brachte.

Ärgerlich wedelte er mit der Hand durch die Luft und verteilte den Rauch.

»Ich habe ein Team an ihrem Haus postiert, das die beiden verfolgt, sobald sie verschwinden«, berichtete er. »Die Leute werden sich so auffällig benehmen, daß sie nicht unentdeckt bleiben.«

»Und wozu das?« wollte Daniel Rogers wissen, der mit am Tisch saß. Er war von Bell telefonisch gerufen worden und hatte sich nicht getraut, sich zu widersetzen. Er hoffte inständig, daß Bell nichts von seiner letzten Unterredung mit Lady Agatha und Josuah Parker erfahren hatte und davon, daß er bei dieser Gelegenheit allerhand ausgeplaudert hatte.

Er war gerade im Begriff gewesen, seine Koffer zu packen, als ihn Bells Anruf erreichte. Ein Blick aus dem Fenster hatte ihm gezeigt, daß bereits einer von Bells Wagen vor der Tür wartete, um ihn abzuholen. Damit war sein halbherziger Fluchtversuch auch schon wieder gescheitert.

Samuel Bell sah ihn herablassend an. »Das ist doch wohl sonnenklar, oder? Die Lady und ihr Butler sollen das Team bemerken und dadurch unaufmerksam werden. Einige Straßen weiter wird ein zweites Team einen Unfall vortäuschen und damit den Wagen der beiden aufhalten. Wenn sie dann aussteigen, werden sie vom Unfallteam und einem dritten, das einen als Krankenwagen getarnten Eiswagen fährt, hochgenommen. Sie werden zur Küste geschafft und auf einen Kutter verladen. Dann machen sie eine Seereise und nehmen anschließend ein Bad, von dem sie nicht mehr zurückkommen, kapiert?«

»Klingt ja tatsächlich so, als hätte die Sache Aussicht auf Erfolg«, knurrte Rogers und nickte.

»Du wirst dich selbst davon überzeugen können«, teilte Bell ihm mit und grinste. »Du wirst die beiden nämlich begleiten.«

»Wozu denn das?« Daniel Rogers hob abwehrend die Hände. »Das ist nicht nötig, wirklich nicht, Sam, ich verlaß mich auch so auf dich.«

»Aber wir brauchen dich dabei«, teilte ihm der Obst- und Gemüsechef mit.

»Mich? Wieso denn?« Rogers schüttelte verwundert den Kopf.

»Du verstehst auch gar nichts, du Dummkopf«, mischte sich der Mann mit der Zigarre ein und sah ihn verächtlich an. »Du wirst die beiden bis zum Schluß begleiten, klar?«

»Aber ... he, Moment mal!« Rogers begriff mit einiger Verzögerung, was der andere meinte und sprang auf. »Sitzenbleiben, Mann!« Einer von Bells Leibwächtern war hinter ihn getreten und drückte ihn zurück.

»Tja, so ist das nun mal.« Bell schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf.

»Aber warum denn nur?« Auf Rogers Stirn bildeten sich dicke Schweißperlen.

»Du bist uns zu unzuverlässig, Daniel«, teilte ihm der Mann mit der Zigarre mit. »Wir hörten, daß du vor kurzem geplaudert hast.«

»Das stimmt nicht, wie kommt ihr darauf?« Rogers krampfte die Hände um die Tischplatte und unterdrückte mit Mühe ein aufsteigendes Schluchzen.

»Gibs auf, Dan, wir wissen, daß du lügst«, teilte ihm Samuel Bell ungerührt mit. »Einer deiner Leute wird von uns bezahlt und hat ’ne nette kleine Wanze in deinem Büro eingebaut. Wir wissen Bescheid, Junge, du kannst uns deine Ammenmärchen ersparen.«

»Wer... wer hat das gemacht?« schrie Rogers.

»Das ist doch nicht mehr wichtig, aber wenn du’s unbedingt wissen willst... dein Spezi Harry, da staunst du, was?«

Rogers schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte.

»Das geht ganz schnell, du wirst nicht viel spüren«, tröstete der Mann mit der Zigarre ihn und schlug ihm auf die Schulter.

»Ihr Schweine!« Rogers sprang auf und stieß seinen Stuhl um.

Der Leibwächter hinter ihm überwältigte ihn rasch und ließ ihn zu Boden sinken.

»Schafft ihn raus«, befahl Bell. »Einer von euch kann zum Hafen fahren. Dann sind wir den Kerl los.«

»Geht klar, Boß«, erwiderte der Leibwächter und bückte sich.

*

»Sind Sie sicher, daß ich diesen Snell auch antreffe, Mister Parker?« vergewisserte sich die ältere Dame und sah ihren Butler skeptisch an.

Parker hatte den Jaguar, der von einer Leihwagenfirma stammte, am Straßenrand abgestellt und half seiner Herrin ins Freie. Einige Meter die Straße hinauf lag Bells Anwesen, wie der Butler in Erfahrung gebracht hatte.

»Mister Bell hält sich zuverlässigen Informationen zufolge in der Tat zur Zeit dort auf«, versicherte Parker. »Offiziell wohnt der Herr allerdings an einer anderen Adresse.«

»Nun gut, Mister Parker, ich hoffe, Sie haben recht.« Lady Agatha sah ungeduldig zu, wie Parker den Wagen verschloß und tastete nach ihrem Pompadour, den sie in Kürze einzusetzen hoffte.

»Wie schalte ich mich jetzt ein? Habe ich bestimmte Vorstellungen?« wollte sie wissen.

»Man sollte davon ausgehen, auf Wachen zu treffen, Mylady«, teilte der Butler mit. »Diese Sicherungsleute gilt es, unschädlich zu machen.«

»Darin lasse ich Ihnen freie Hand. Mit unwichtigen Erscheinungen befasse ich mich nicht, Mister Parker. Außerdem brauchen Sie von Zeit zu Zeit ein kleines Erfolgserlebnis. Kann ich zur Sache kommen?«

Die Detektivin setzte sich in Bewegung und steuerte zielstrebig Bells Anwesen an. Parker wußte, daß Mylady nun nicht mehr zu halten war und schob sich unauffällig an ihr vorbei. Er wollte die Führung übernehmen, um etwaigen Angriffen zuvorzukommen.

Bells Anwesen wurde von einem hohen Zaun begrenzt, hinter dem sich gepflegter Rasen ausbreitete. Parker ging davon aus, daß der Zaun mit einer Alarmanlage verbunden war und verzichtete darauf, ihn durchzuschneiden.

Er wußte aber auch, daß das Anwesen auf der Rückseite von einem kleinen See begrenzt wurde und setzte voraus, daß man von dieser Seite her wahrscheinlich nicht mit einem Angriff rechnete.

Er dirigierte Mylady vorsichtig an der Frontseite des Hauses vorbei und bemerkte dabei die Wachen, die den Haupteingang, der weit zurückgesetzt am Ende eines schmalen Kiesweges lag, absicherten.

Der Weg wurde von Halogenlampen lückenlos ausgeleuchtet und hätte selbst einer Mücke keine Chance geboten, sich unbemerkt zu nähern. Das wußten auch die Wächter und langweilten sich dementsprechend. Sie rauchten, erzählten sich Witze und achteten nicht auf die beiden Gestalten, die weit von ihnen entfernt den Zaun passierten und vorbeigingen.

*

»Was soll denn das sein, Mister Parker?« Lady Agatha betrachtete verwundert das Päckchen, das der Butler plötzlich in der Hand hielt.

»Man wird sich dem Grundstück von der Seeseite her nähern müssen, Mylady«, bemerkte Parker und machte sich an dem Päckchen zu schaffen.

»Soll ich etwa schwimmen?« empörte sich die ältere Dame und warf ihm einen strafenden Blick zu.

Lady Agatha und Butler Parker standen am Ufer des kleinen Sees. Gut hundert Meter von ihnen entfernt begann Bells Grundstück. Der Zaun, der es umgab, führte bis ins Wasser und endete erst zwanzig Meter weiter an einem Pfosten.

»Ein Gummiboot, das sich selbst aufbläst, Mylady«, erläuterte Parker, während er eine Schnur zog.

Fauchend blähte sich das schwarze Päckchen auf und wuchs zu einem Schlauchboot respektabler Größe heran. »Ein Sondermodell aus den Beständen der königlichen Marine«, ergänzte der Butler seine Erklärung. »Es gehört zur sogenannten Notfallausstattung der Schiffe Ihrer Majestät.«

»Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut«, lobte Lady Agatha und meinte selbstverständlich die Queen, mit der sie eigenem Bekunden zufolge weitläufig verwandt war.

Josuah Parker ließ das Boot zu Wasser und half seiner Herrin beim Einsteigen. Das Boot ächzte, als Myladys Fülle es belastete, und sackte auf einer Seite ein. Parker hielt plötzlich ein Aluminiumpaddel in den Händen, das aus zwei Teilen bestand und von ihm zusammengesteckt worden war »Mister Parker, nehmen Sie Kurs auf die Gangstervilla!« wünschte die ältere Dame sachkundig in der Seefahrer-Sprache.

Parker tauchte das Paddel vorsichtig ein und setzte das Boot in Bewegung. Er bemühte sich, keine Geräusche zu verursachen, um eventuelle Gangster nicht zu warnen.

*

Zehn Minuten später hatte der Butler das Boot geschickt angelegt und Mylady an Land geholfen. Er stand mit ihr hinter einer Hecke und spannte die Stränge seiner Gabelschleuder.

Er hatte eine hartgebrannte Tonerbse eingelegt und schickte sie auf die Reise.

Wieder mal zeigte sich die erstaunliche Treffsicherheit jenes Instruments, das im Grund nichts als die Weiterentwicklung jenes Spielzeugs war, mit dem Jungen aller Zeiten die Fensterscheiben ihrer Nachbarn zu testen pflegten.

Ein Wächter am Eingang faßte sich an den Nacken, rutschte in sich zusammen und legte sich auf den Boden.

Sein Kollege merkte das natürlich und wunderte sich darüber. Er zog eine Schußwaffe und sah sich mißtrauisch um.

Ihm blieb aber nicht viel Zeit, sich zu wundern. Die nächste Tonerbse traf seine Stirn und fällte ihn. Er ließ die Pistole fallen und griff an die schmerzende Stelle. Er zuckte noch mal mit den Beinen, dann lag auch er still.

»Nicht schlecht, Mister Parker!« stellte die Lady fest. »Beim nächsten Mal probiere ich es auch.«

»Man freut sich im voraus auf diese mit Sicherheit beeindruckende Demonstration«, gab Parker höflich zurück und deutete eine Verbeugung an.

»Da kommt noch jemand.« Agatha Simpson hatte das Jagdfieber gepackt. Sie entriß dem Butler die Schleuder und visierte bereits.

»Pardon, Mylady haben Mister Rander und Miß Porter aufgespürt«, unterbrach Parker und räusperte sich dezent.

»Tatsächlich?« reagierte sie überrascht. »Ehrlich gesagt, die beiden Gestalten kamen mir gleich so bekannt vor. Die lieben Kinder!«

*

»Wir sind unten im Keller festhalten worden«, berichtete Mike Rander später. »Da unten gibt’s einen Kühlraum, in dem ich war, und eine Abstellkammer, in die man Kathy gesperrt hatte. Sie hätten aber wirklich nicht gleich auf uns anzulegen brauchen, Mylady, wir wären auch freiwillig gekommen.«

»Natürlich habe ich Sie noch früh genug erkannt, ich habe ja Augen wie ein Luchs.«

»Man bittet vielmals um Vergebung, Mylady, nicht aufmerksam gemacht zu haben«, ließ sich Parker vernehmen.

»Ich bin nicht nachtragend, Mister Parker«, verzieh die Detektivin. »Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel.«

»Meine Wenigkeit wird immer Mylady nacheifern«, versprach Parker, ohne eine Miene zu verziehen, während sich Kathy Porter und der Anwalt abwandten, um aufsteigendes Lachen zu unterdrücken.

*

Samuel Bell und der dünne Mann mit dem schütteren Haar waren bester Laune. Sie hatten soeben die Einnahmen aus den diversen »Kältebehandlungen« überschlagen und waren dabei auf eine Summe gekommen, die ihre Erwartungen weit überstieg.

»Mir reicht’s, ich nehme meine Hälfte und verschwinde«, stellte der dünne Mann fest und sog genüßlich an seiner Zigarre.

»Ab in den Süden, wie?« lächelte Samuel Bell und faßte wie unabsichtlich in sein Jackett.

»Genau. Wenn ich bedenke, daß ich nie mehr auf meinen Alten angewiesen bin ...« Der Mann lachte zufrieden und gönnte sich einen großen Schluck aus dem Cognacglas.

»Weißt du, was ich mir überlegt habe, Francis?« fragte Samuel Bell den Sohn des Supermarkt-Betreibers, Sir Arthur Trumper.

»Ich höre.« Der Mann namens Francis lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloß die Augen. Vor seinem geistigen Auge erschienen blauer Himmel, Sonne, Meer, Sandstrand und hübsche junge Mädchen, die ihn umschwärmten. Er öffnete die Augen, als sich ihm ein harter Gegenstand in die Seite bohrte.

»Hundert Prozent sind mehr als fünfzig, ganz entschieden mehr sogar«, teilte Bell mit, »und deshalb werde ich alles behalten, während du dich mit einer Reise zufrieden geben wirst, die ich dir spendiere! Die geht nicht in den sonnigen Süden, aber immerhin ist es eine Seereise ...«

»Du Schwein! Dabei war die Sache mit dem Eisbär allein meine Idee!« Trumper Junior wollte aufspringen, aber Bell hielt ihn zurück.

»Nicht doch, Francis, keine unbedachten Handlungen, ich ...« Der Obst- und Gemüsegroßhändler brach ab, als die Tür zum Wohnraum förmlich aus den Angeln flog. Sie schlug gegen die Wand, federte zurück und prallte gegen eine Gestalt, die sich durch die Öffnung ins Zimmer schob.

»Das... das gibt’s doch nicht!« stammelte Francis Trumper und wurde aschfahl im Gesicht.

»Aber... aber...« Auch Samuel Bell fehlten die Worte. Aus hervorquellenden Augen stierte er auf die massige Gestalt von schmutzigweißer Farbe.

»Ein... ein Eisbär!« heulte Francis und erhob sich langsam, wobei er seinen Stuhl nach hinten umwarf.

»Irgendeiner von den Kerlen, die wir ausgenommen haben, hat sich da ’ne verdammt üble Rache ausgedacht«, keuchte Samuel Bell und hob die Pistole.

Er zielte sorgfältig auf den Schädel des vermeintlichen Raubtieres und wollte es mit einem gutplacierten Schuß niederstrecken.

Der Eisbär knurrte warnend und ... hielt plötzlich einen seltsamen Gegenstand in seiner rechten Tatze. Dieser sah aus wie einer jener Handbeutel, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen, um darin ihre Utensilien unterzubringen.

Samuel Bell hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern. Im nächsten Augenblick flog nämlich der Beutel durch die Luft und donnerte gegen die ausgestreckte Schußhand. Der Mann ließ entsetzt die Pistole fallen, griff mit der anderen Hand an die schmerzende Schulter und war den Tränen nahe.

Der Eisbär gab ein Geräusch von sich, das wie das Lachen eines Menschen klang. Dann schien er sogar zu sprechen, aber da mußten die überreizten Nerven Samuel Bell wohl einen Streich spielen.

Der Großhändler wich langsam vor dem herantapsenden Tier zurück und suchte fieberhaft nach einem Ausweg.

*

Chief-Superintendent McWarden, der vor seiner Abfahrt aus Shepherd’s Market von Parker angerufen worden war, erschien wenige Minuten später und sammelte die Gangster ein. Außerdem ließ er den Großmetzger in die nächste Klinik bringen. Rogers, der gefesselt wurde, hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten und bedurfte ärztlicher Hilfe.

»Wo ist Mylady?« erkundigte sich McWarden, nachdem seine Leute abgerückt waren. »Ich möchte mich gern persönlich bei ihr bedanken.«

»Im Wohnzimmer, Sir. Mylady unterhält sich dort mit den beiden Chef-Eisbären«, antwortete der Butler.

»Stimmt. Sie sagten ja, die beiden Obergangster würde ich im Haus zu meiner Verfügung finden. Ich werde sie persönlich zum Yard bringen. Mister Parker, was ist denn das?«

Der Chief-Superintendent blieb im Gang stehen und wandte sich irritiert nach dem Butler um, der ihm mit Kathy Porter und Mike Rander gefolgt war.

»Es dürfte sich um Mylady handeln, die gerade ein Sonder-Gastspiel gibt.«

»Ach ja?« McWarden konnte mit dieser Auskunft nichts anfangen und schob sich ins Wohnzimmer. Wie erstarrt blieb er stehen und starrte auf die gespenstische Szene, die sich seinen weit aufgerissenen Augen bot.

Ein Eisbär jagte hinter zwei Männern her, die Tische und Stühle umwarfen, um sich vor dem gewaltigen Tier in Sicherheit zu bringen.

»Mylady in einer ihrer besten Rollen«, kommentierte Parker und lüftete grüßend die Melone in Richtung Eisbär, der sich umgedreht hatte, als er jemand sprechen hörte.

»Aber... so echt...«

»Das Fell stammt aus dem Fundus eines Theaters, dessen Leiter meiner bescheidenen Wenigkeit einen kleinen Gefallen schuldet, Sir«, erläuterte der Butler gemessen. »Aber erst Myladys Schauspielkunst hat das Fell mit Leben erfüllt. Mylady wirken außerordentlich überzeugend, wie man es auf keiner Bühne zu sehen bekommt.«

Der exzellente Butler Parker Box 9 – Kriminalroman

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