Читать книгу Lessing: Nathan der Weise - Gotthold Ephraim Lessing - Страница 6

Zweiter Auftritt

Оглавление

Recha und die Vorigen.

Recha. So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater? Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge, Für Wüsten, was für Ströme trennen uns Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr, Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? Die arme Recha, die indes verbrannte! Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht! Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!

Nathan. Mein Kind! mein liebes Kind!

Recha. Ihr mußtet über Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir So nahe kam! Denn seit das Feuer mir So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott, Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel Die ungetreuen Ström' hinüber. Er, Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar Auf seinem weißen Fittiche, mich durch Das Feuer trüge –

Nathan. (Weißem Fittiche! Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel Des Tempelherrn.)

Recha. Er sichtbar, sichtbar mich Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel Von Angesicht zu Angesicht gesehn; Und meinen Engel.

Nathan. Recha wär' es wert; Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er An ihr.

Recha (lächelnd). Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem? Dem Engel, oder Euch?

Nathan. Doch hätt' auch nur Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.

Recha. Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher; Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr, Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind, Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben, Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt? Ich lieb ihn ja.

Nathan. Und er liebt dich; und tut Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder; Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit Für euch getan.

Recha. Das hör ich gern.

Nathan. Wie? weil Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge, Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr Gerettet hätte: sollt' es darum weniger Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist, Daß uns die wahren, echten Wunder so Alltäglich werden können, werden sollen. Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte, Die gaffend nur das Ungewöhnlichste, Das Neuste nur verfolgen.

Daja (zu Nathan). Wollt Ihr denn Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn Durch solcherlei Subtilitäten ganz Zersprengen?

Nathan. Laß mich! – Meiner Recha wär' Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder! Denn wer hat schon gehört, daß Saladin Je eines Tempelherrn verschont? daß je Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit Mehr als den ledern Gurt geboten, der Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

Recha. Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben War das kein Tempelherr; er schien es nur. – Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders Als zum gewissen Tode nach Jerusalem; Geht keiner in Jerusalem so frei Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig Denn einer retten können?

Nathan. Sieh! wie sinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja Von dir, daß er gefangen hergeschickt Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

Daja. Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. Doch da es viele zwanzig Jahre her, Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß, Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: – So klingt das ja so gar – so gar unglaublich, Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

Nathan. Ei, Daja! Warum wäre denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht – wie's wohl geschieht – Um lieber etwas noch Unglaublichers Zu glauben? – Warum hätte Saladin, Der sein Geschwister insgesamt so liebt, In jüngern Jahren einen Bruder nicht Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? Ei freilich, weise Daja, wär's für dich Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.

Daja. Ihr spottet.

Nathan. Weil du meiner spottest. – Doch Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott – Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

Recha. Mein Vater! Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre Nicht gern.

Nathan. Vielmehr, du läßt dich gern belehren. Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt; Der Rücken einer Nase, so vielmehr Als so geführet; Augenbraunen, die Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen So oder so sich schlängeln; eine Linie, Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal, Ein Nichts, auf eines wilden Europäers Gesicht: – und du entkommst dem Feu'r, in Asien! Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk? Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

Daja. Was schadet's – Nathan, wenn ich sprechen darf – Bei alledem, von einem Engel lieber Als einem Menschen sich gerettet denken? Fühlt man der ersten unbegreiflichen Ursache seiner Rettung nicht sich so Viel näher?

Nathan. Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf Von Eisen will mit einer silbern Zange Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! – Und was es schadet, fragst du? was es schadet? Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. – Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen« Ist Unsinn oder Gotteslästerung. – Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. – Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das Dich rettete, – es sei ein Engel oder Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders, Gern wieder viele große Dienste tun? – Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste, Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun? Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten; Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen; Könnt an dem Tage seiner Feier fasten, Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

Daja. Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft. Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren! Allein er wollte ja, bedurfte ja So völlig nichts; war in sich, mit sich so Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel Sein können.

Recha. Endlich, als er gar verschwand ...

Nathan. Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

Daja. Das nun wohl nicht.

Nathan. Nicht, Daja? nicht? – Da sieh Nun was es schad't! – Grausame Schwärmerinnen! Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! ...

Recha. Krank!

Daja. Krank! Er wird doch nicht!

Recha. Welch kalter Schauer Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

Nathan. Er ist Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt; Ist jung; der harten Arbeit seines Standes, Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha. Krank! krank!

Daja. Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

Nathan. Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld Sich Freunde zu besolden.

Recha. Ah, mein Vater!

Nathan. Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach', Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha. Wo? wo?

Nathan. Er, der für eine, die er nie Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch Ins Feu'r sich stürzte ...

Daja. Nathan, schonet ihrer!

Nathan. Der, was er rettete, nicht näher kennen, Nicht weiter sehen mocht', – um ihm den Dank Zu sparen ...

Daja. Schonet ihrer, Nathan!

Nathan. Weiter Auch nicht zu sehn verlangt', – es wäre denn, Daß er zum zweitenmal es retten sollte – Denn g'nug, es ist ein Mensch ...

Daja. Hört auf, und seht!

Nathan. Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts Als das Bewußtsein dieser Tat!

Daja. Hört auf! Ihr tötet sie!

Nathan. Und du hast ihn getötet! – Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha! Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche. Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank: Nicht einmal krank!

Recha. Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

Nathan. Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber, Wieviel andächtig schwärmen leichter, als Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt – Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

Recha. Ah, Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann Auch wohl verreist nur sein? –

Nathan. Geht! – Allerdings. – Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick Ein Muselmann mir die beladenen Kamele. Kennt Ihr ihn?

Daja. Ha! Euer Derwisch.

Nathan. Wer?

Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

Nathan. Al-Hafi? das Al-Hafi?

Daja. Itzt des Sultans Schatzmeister.

Nathan. Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? Er ist's! – wahrhaftig, ist's! – kömmt auf uns zu. Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

Lessing: Nathan der Weise

Подняться наверх