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Erste Differenzierungen

– Kathrina Talmi –

I

Worte Kunst oder Künste sagen umgangssprachlich so gut wie nichts mehr aus. Sehr viele Menschen sind bereit, differenzlos alles mit Kunst zu bezeichnen, das sie traditionelle künstlerische Tätigkeiten oder Produkte assoziieren lassen, auch ohne sie näher zu kennen. Diese assoziative Herangehensweise könnte ein typisches umgangsprachliches Verhalten sein, ohne es allerdings als Mittel einzusetzen oder auch nur zu bemerken. Die relative Schrankenlosig- und Breitenwirksamkeit, mit der dies geschieht, drängt auch in die Massenmedien, die in diesem Fall als Verstärker fungieren, nicht als Korrektur. Sogar die Paläonologie hat sich inzwischen solcher Worte bemächtigt, um vorgeschichtlichen Bewohnern der Erde, sobald ein paar Striche oder Farben auf Knochen oder Fels übriggeblieben sind, künstlerische Tätigkeiten nachzusagen. Inzwischen wurden auch Neanderthaler erfasst, deren Leben bislang als kunstlos galt, im Unterschied zu denen der frühen Homo Sapiens. Man könnte jeden Toten und noch Lebenden beglückwünschen, in diesem Kontext als kunstlos oder gar -feindlich zu gelten.

Aufgrund dieser Vorkommnisse ist es angebracht, nach einer ersten Differenzierungsmöglichkeit zu suchen. Ich bin mir bewusst, dass dieses Vorgehen Skepsis hervorbringen wird. Nicht untypisch wäre innerhalb der deutschen Wissenschaftsszene, eine Definition zu geben. Doch eine solche Willkür möchte ich vermeiden. Ich pfeife auf das, auch als Frau, was derzeit Wissenschaft genannt wird, solange es verwertbar ist, mal davon abgesehen, dass ich hier ohnehin keine betreiben möchte. Die Frage wäre, auf was ich noch pfeifen kann, um es im Kontext von Worten Kunst und Künsten zu verwerfen!

Noch gibt es Worte Kunsthandwerk, mit denen sich differenzieren ließe. Solche Worte bezogen sich einst auf ein Schmuck- und Stickhandwerk. Doch was ist für ein solches Handwerk typisch, um es abgrenzen zu können? Serien anzufertigen, gehört nicht dazu, weil es auch im Handwerk möglich ist, Einzelstücke herzustellen. Aber zum Handwerk gehört nicht, Neues zu entwerfen, etwas Neues, das über traditionelle Techniken und Formen hinausweist. Im Zentrum steht eher das Bewährte und die Ausrichtung auf eine Nachfrage, ob bei Clubmusik, einem typischen Roman oder einem Wandschmuck. Fraglos gibt es auch im Handwerk Entwicklungen, aber diese sind in der Regel Veränderungen in der Nachfrage geschuldet, also gesellschaftlichen Veränderungen, nicht Resultat individueller Entscheidungen. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, ob bei der typografischen Gestaltung oder dem Objektdesign, innerhalb denen individuelles Engagement hervortreten konnte, auch zu Moden führte. Sogar ein Nutzen ließe sich in Frage stellen, als z.B. die Lesbarkeit von Text bei der Gestaltung sekundär wurde. Die beanspruchte Freiheit überschnitt sich mit der künstlerischen. Überwiegend steht im Kunsthandwerk jedoch anderes im Zentrum. Heute wären freie Schriftgestaltungen nahezu unverkäuflich. Anerkennung, ein Dazugehören ist weitaus wichtiger geworden, als eine mögliche Abgrenzung und Erkennbarkeit.

Eine Verkäuflichkeit, eine leichte Einsortierung in den jeweils aktuellen Warenhandel, ist eine wichtige Voraussetzung von Kunsthandwerk. Ob Schmuck, Wandbild oder Club- bzw. Tanzmusik, es muss zum sogenannten Zeitgeist passen, also zu weit verbreiteten Ansprüchen und Nachfragen. Diese Wirtschaft ist inzwischen derart selbstverständlich geworden, dass anderes häufig nur als Unfug abgetan wird. Und nur jenes lässt sich auch über die verschiedenen Kanäle, online inklusive, in der Breite vermarkten.

Kunst aber, künstlerische Resultate, die aus anderen Gründen entstanden sind, lassen sich öffentlich kaum noch finden. Ein im Feuilleton als anspruchsvoll deklariertes Kriterium wie ‚ästhetisch auf der Höhe der Zeit‘ kann lediglich demonstrieren, wie verkommen die Gesellschaft inzwischen ist. Dass auch unter einem solchen Kriterium lediglich Kunsthandwerk produzierbar als auch erkennbar ist, Neues auf der Strecke bleiben muss, sei explizit erwähnt. Die Künste, sind sie bereits gesellschaftlich am Ende (vgl. Matern, R., 2014)?

Wenn der Markt bei der Kunstproduktion eher nebensächlich ist, es vielmehr um die Schaffung von Neuem geht, wie lässt sich dies erläutern? Neues in den Künsten setzt eine erkennbare Auseinandersetzung voraus: eine sachliche mit der Tradition, eine Abgrenzung von dieser als auch mit den aktuellen Vorlieben und Zuständen in der Gesellschaft. Es entspringt einem Vorgehen, das sich seine eigenen Regeln, Unregeln und Nichtregeln entwirft, um etwas Abgrenzbares zu produzieren. Doch sobald ein Common Sense, eine Mode entsteht, kann eine Übernahme von konkreten Kriterien nur zu Kunsthandwerk führen. Eine solche Adaption hat auch nichts mehr mit Kreativität zu tun, setzt man voraus, dass die Schaffung von Neuem eine entscheidende Bedingung ist.

Mit den vorgestellten Abgrenzungen ist allerdings nicht viel erreicht, nur ein erster sprachlicher Schritt, der eine sanfte Feuilletonruhe vertreiben könnte, falls denn ein Interesse an den Künsten herrschen würde.

II

Autonomie war eines der Kriterien, das ich bereits für Künste veranschlagte, ein weiteres: Angemessenheit (vgl. Talmi, K., 2014). Doch beide sind in dieser Allgemeinheit nicht nur für Künste relevant. Auch ein philosophischer oder wissenschaftlicher Forschritt erfordert sowohl Autonomie als auch Angemessenheit. Das zweite Kriterium hatte ich sogar aus diesen Kontexten gewonnen. Abgelehnt hatte ich hingegen Schönheit, weil die Frage danach lediglich in die empirische Psychologie führen kann, mithin in die Beliebigkeit von Geschmäckern, anstatt in die Künste.

Hervorgehoben hatte ich allerdings, dass sich wissenschaftliche und künstlerische Angemessenheiten unterscheiden. In der sogenannten Belletristik sind z.B. andere Relationen von Relevanz, sowohl innerhalb eines Textes, im Zusammenhang mit anderen Texten als auch im Hinblick auf Imaginäres und eventuell Empirisches. Logische Vereinbarkeit und eine empirische Prüfbarkeit müssen nicht vorliegen. Die Herangehensweise ist eine andere, eher eine assoziative und als solche stärker an umgangsprachliches Verhalten gekoppelt, als im Rahmen von philosophischem oder wissenschaftlichem Vorgehen.

Allgemein über Künste zu sprechen, birgt eine spezifische Gefahr. Ohne gemeinsames Merkmal, das in das Zentrum einer Betrachtung rücken könnte, würde etwas fehlen, das sich thematisieren ließe. Man hätte es lediglich mit einem Sammelbegriff zu tun, der seine gesellschaftliche, seine umgangsprachliche Abkunft kaum verbergen könnte. Was aber ließe sich als Gemeinsames ausgeben, sähe man von thematischen oder gesellschaftsbezogenen Fragen ab?

Goodman hatte symboltheoretisch geantwortet (vgl. Goodman, N., 1990 u. Goodman, N., Elgin, C. Z., 1989). Möglich wären auch Angaben im Kontext von Zeichentheorien. Ein generelles Problem beträfe jedoch Fassung und Erläuterung von Bedeutungen und eventuellen Bezügen. Symbole bzw. Zeichen sind in einer Reihe von Künsten nicht oder nur teilweise standardisiert. Auch ist nicht einfach davon auszugehen, dass über eventuelle Bezüge leichter etwas zu erfahren ist: bildnerische oder belletristische Welten liegen nicht einfach vor, sondern werden erst geschaffen.

Schönheit reicht nicht, auch dann nicht, wenn man anfangen würde, Schönheitsauffassungen wie Briefmarken zu sammeln. Auch künstlerische Angemessenheit ließe sich nicht als gemeinsames Merkmal ausgeben, weil mögliche Urteile darüber von Fall zu Fall variieren können. Schließlich taugt nicht einmal künstlerische Autonomie, berücksichtigt man das derzeitige Sprachverhalten. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu gestehen, dass die Künste für mich kein gemeinsames Merkmal haben und es gesellschaftlichen Prozessen und Diskussionen überlassen bleibt, was in welcher Weise dazugehört. Vorbringen kann ich lediglich Kriterien, Vorschläge, in diesem Fall künstlerische Autonomie und Angemessenheit.

Künstlerische Angemessenheit bezieht sich auf eine Relationen zur Sache – nicht, um es zu betonen, auf Emotionen von Betrachtern. Jene ist argumentativ zugänglich und lässt relativ viele Variationen zu. Ob etwas schön ist oder nicht, ließe sich hingegen kaum erörtern, soll sich die jeweilige Rede nicht in formale Spielereien oder Vorlieben verlieren. Angemessenheit geht über Fragen nach Form hinaus, betrifft auch die Sache. Eine vollständige Differenzierung von Form und Sache ist übrigens im Kunsthandwerk zu finden. Die Formen der Stickereien von Omas Kissen sind ein anführbares Beispiel, ebenso Malen nach Zahlen oder Sonette. Wenn wir mehr Wissen über uns hätten, vielleicht ließen sich solche ablösbaren Formen bis in die Steinzeit zurückverfolgen. Doch mit Künsten hätten solche Anstrengungen nichts zu tun. Erst durch eine Thematisierung wie in der Pop-Art, die sich der Massen- und Industrieproduktion stellte, erhielten relevante Formen ein anderes Gewicht – und wurden zu einer Mode.

Der vorliegende Band dient dazu, eine Diskussion neu zu beleben, die letztlich den Weiterentwicklungen von Künsten dienen könnte.

Literatur

Goodman, N., 1990, Weisen der Welterzeugung, Frankfurt a.M.

Goodman, N., Elgin, C. Z., 1989, Revisionen. Philosophie und andere Künste und Wissenschaften, Frankfurt a.M.

Matern, R., 2014, Trauer um die Künste, in: Wie wärs mit einer Revolution? Saturnalien aus dem Ruhrgebiet (eBook), Duisburg.

Talmi, K., 2014, Jenseits des Absoluten, in: Analytische Belletristik, hg. v. M. Ammern (eBook), Duisburg.

Diabolus.

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