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Das Erste, was ich spürte, war ein schneidender Schmerz, der sich über meinen Rücken zog, und ich hörte eine raue Stimme in mein Ohr krächzen.

»Wenn du hier pennst, Freundchen, werde ich weitermachen, bis deine Haut nur noch in Fetzen an dir runterhängt. Willst du das?«

»Nein!«, brüllte ich erschrocken und noch halb im Dämmerzustand. Da krakeelte die Stimme auch schon weiter. »Dann leg dich gefälligst in die Riemen.«

Freunde, ich hatte es mal wieder geschafft, ich steckte mitten im dicksten Schlamassel. Konnte mir nicht ein ruhiger Anfang erlaubt werden wie das letzte Mal im Zug, mit dem ich gemütlich in Die Stadt gefahren bin? Hier war es leider alles andere als gemütlich. Allem Anschein nach befand ich mich im Rumpf eines Schiffes. Auf jeden Fall war ich an einer Sitzbank angekettet. Neben mir saßen zwei Männer, die das Ruder – oder fachmännisch gesagt, den Riemen – vor mir im Kreis bewegten. Eilig griff ich danach und ruderte gemeinsam mit den anderen im Takt der Trommel, die im Hintergrund dröhnte. Der Mann, der mir am nächsten saß, schien etwas größer und älter zu sein als ich. Feste Muskelpakete zeichneten sich auf seinem braun gebrannten Oberkörper ab. Bei der gesunden Hautfarbe kann der noch nicht so lange hier unten sein.

»Na Junge, endlich zur Besinnung gekommen?«, fragte der Muskelmann.

»Ja, leider.«

»Die haben dich ganz schön fertiggemacht, so lange wie du weggetreten warst.«

»Wer hat mich fertiggemacht?«

»Frag doch nicht so blöd, das solltest du wohl am besten wissen.«

»Sollte ich?«

»Haltet eure verdammten Schnauzen, ihr erbärmlichen Hunde. Sonst bekommt ihr die Peitsche zu spüren«, brüllte der Kerl, der mich so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte.

Eine Weile sagten wir nichts mehr. Insgesamt schufteten hier unten dreißig Mann an zehn Riemen, fünf Riemen auf jeder Schiffsseite, und wir alle waren diesem Peitschenkerl ausgeliefert, der keine Minute verstreichen ließ, ohne uns anzubrüllen oder seine Peitsche zischen zu lassen. Zwei weitere Typen standen mit verschränkten Armen beim Trommler und ihre einzige Aufgabe bestand darin, uns grimmig zu fixieren. Kann ich nicht diesen Job haben? Ich bin dafür ganz sicher qualifiziert!

Schweigend ruderten wir weiter. Ich fiel in eine Art Trance. Meine Bewegung verschmolz mit den Paukenschlägen. Nach einiger Zeit stiegen zwei Männer mit einem Topf in der Hand die enge Treppe zu uns nach unten. Bei uns angelangt, stellten sie den Topf in den schmalen Gang. Mit zwei Kellen schöpften sie den Inhalt, so etwas wie eine klare Brühe, heraus, gingen von Mann zu Mann und flößten jedem von uns Ruderern davon etwas in den Mund. Danach wurde uns der zweite Gang, ein Stückchen Brot in den Mund gestopft. Während der Fütterung durften wir unsere Arbeit nicht unterbrechen, darüber wachten die Aufseher mit stechenden Blicken. Selbst unsere Kellner wurden angetrieben.

»Nun beeilt euch, sonst könnt ihr gleich einen Platz hier unten bekommen, dann ist das schöne Leben in der Kombüse aus für euch zwei Seepocken.« Ein heftiger Peitschenknall unterstützte die Worte.

Plötzlich, als der Peitschenmann auf der Höhe der Bank war, auf der ich saß, rief der Braungebrannte neben mir:

»Jetzt!«

Was jetzt?, fragte ich mich, doch da spürte ich schon einen Ruck. Die beiden Männer neben mir stießen den Riemen wie einen Rammbock in die Rippen des Peitschenmanns auf dem Gang. Die drei, die auf der anderen Seite saßen, taten dasselbe. Unser Peiniger brach zusammen. Im selben Moment fielen die beiden Suppenjungs über die Kerle beim Trommler her. Abrupt setzte die Trommel aus.

»Trommle weiter, oder es wird dir so ergehen wie den beiden hier«, fauchte ein Suppenjunge.

Mindestens genauso überrascht wie unser Rhythmusgeber, starrte ich noch immer auf den am Boden liegenden Peitschenmann.

»Los Junge, greif dir den Schlüssel«, zischte der Kerl neben mir.

Schlüssel? Welchen Schlüssel? Ich schaute mich hektisch um. Ah, da ... er hing am Gürtel des Peitschenschwingers. Rasch griff ich danach. Die Kette war gerade lang genug, ich öffnete das Schloss und wir konnten die Kette aus den Ringen ziehen.

Mein Rudernachbar, der das Zeichen zum Angriff gegeben hatte, hieß übrigens Kapitän Quinn. Seinen Namen erfuhr ich zwar erst zu einem späteren Zeitpunkt, aber der Einfachheit halber werde ich ihn jetzt schon so nennen. Kapitän Quinn übernahm das Kommando, wie es sich für einen Mann seines Standes gehört. Er bedeutete uns, leise zu sein. Während der Trommler weiter den Takt schlug, als sei nichts vorgefallen, schlichen zehn von uns die Treppe nach oben. Der Rest ruderte weiter, damit sich die Riemen weiter bewegten und die Geschwindigkeit nicht zu stark nachließ.

***

Es war früh in den Morgenstunden, die ersten Sonnenstrahlen krochen gerade über den Horizont. Auf dem Vordeck entdeckten wir zwei Matrosen und wir sahen den Steuermann auf dem Steuerdeck. Doch er war nicht alleine, denn bei ihm standen ebenfalls zwei Seeleute. Kein Lüftchen war zu spüren, die Segel waren eingeholt. Wahrscheinlich mussten wir deshalb so hart rudern. Ich blickte mich um und beobachtete, wie Kapitän Quinn ein paar Männern Zeichen gab. Vier von ihnen schlichen daraufhin an die zwei Matrosen im Bug heran, während vier weitere auf die Brücke krochen. Im Nu waren die Männer an Deck überwältigt und lagen gut verschnürt am Boden. Das alles geschah völlig lautlos. Keiner hatte einen Mucks von sich gegeben. Kurz darauf kam Kapitän Quinn auf mich zu.

»Komm du mal mit«, forderte er mich auf. Leise stiegen wir die Treppe zur Brücke hinauf. Oben angelangt, zeigte er auf das große Steuerrad.

»Aber ich kann nicht ...«, begann ich, doch er unterbrach mich.

»Doch, du kannst. Du brauchst nur das Rad auf dieser Position zu halten, das wirst du doch wohl schaffen – oder?«

Zögernd griff ich nach dem Rad.

»Wo sind wir hier eigentlich?«, fragte ich den Kapitän.

Der lachte leise. »Wo wir sind? Das hast du nicht mitbekommen? Mann, die haben dir wirklich übel mitgespielt. Wir sind auf der Galeere des größten Piratenjägers der Karibik – Kapitän Loco. Doch wenn ich dich so ansehe, hat er sich bei dir bestimmt vergriffen«, sagte er und beäugte mich von oben bis unten. Kopfschüttelnd und leise lachend ließ er mich alleine mit dem großen Rad in den Händen.

Ich versuchte, das zu tun, was er mir aufgetragen hatte. Ich hielt das Rad fest, ich klammerte mich regelrecht daran. Plötzlich hörte ich Schreie an Deck. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah, wie einige Männer an Deck getrieben wurden.

Stimmen schwirrten durcheinander, ansonsten geschah nichts. Nach einer Weile kam ein stämmiger Kerl, den ich schon im Ruderraum gesehen hatte, auf mich zu.

»Mach, dass du nach unten kommst, Käpt’n Quinn sagt, ich soll jetzt das Ruder übernehmen.«

Erleichtert löste ich meine verkrampften Hände vom Steuerrad und stieg die Treppe herunter. Dort sah ich Kapitän Quinn. Gebannt starrte er auf die eine Tür unter der Brücke. Plötzlich wurde sie aufgestoßen und ein Mann im Nachthemd wurde aus der Kabine gestoßen.

»Hier Käpt’n, sehen Sie, was wir hier Niedliches haben!«, grölte einer der beiden Männer, die hinter dem Gefangenen standen. Kapitän Quinn trat näher.

»So schnell ändert sich alles, Kapitän Loco! Hübsches Hemdchen übrigens.«

»Quinn, hätte ich Sie doch gleich über die Planken gehen lassen!«

»Hätten Sie vielleicht machen sollen, aber aus Fehlern kann man lernen. Sie waren einfach viel zu gierig, Sie wollten auch mein Kopfgeld einstreichen. Jetzt sehen Sie, was Ihre Gier Ihnen eingebracht hat.« Kapitän Quinn lächelte, dann drehte er sich zu seinen Männern. »Los, bindet ihn an den Mast!«, befahl er, »und bringt die anderen runter zum Rudern!«

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da hörte ich eine Stimme aus dem Ausguck »Wind zieht auf!« rufen.

»Na, da habt ihr ja mehr Glück als wir«, meinte Kapitän Quinn zu Kapitän Locos Männern, die gerade nach unten gebracht wurden. Danach wandte er sich seiner Mannschaft zu. »Dann mal los, Männer, setzt die Segel und machen wir, dass wir Kordina so schnell wie möglich erreichen.«

Nach diesen Worten herrschte auf einmal ein wildes Durcheinander, zumindest sah es für einen Ahnungslosen wie mich so aus. Tatsächlich aber saß jeder Handgriff, jeder wusste, was er zu tun hatte. Nur ich war wie ein Praktikant an seinem ersten Tag, der nutzlos rumsteht, weil sich keiner um ihn kümmert. Als die Segel gesetzt waren, konnte auch ich den leichten Wind in meinem Gesicht spüren. Ich setzte mich auf eine Kiste, atmete tief durch und schaute an mir runter. Ich trug eine weit geschnittene rotbraune Stoffhose, die bis über meine Knie ging, an den Füßen befanden sich Schnürsandalen. Meinen Oberkörper schmückte ein dunkelblaues Hemd. In Gedanken vertieft schob ich das linke Hosenbein hoch und entdeckte die Schürfwunde am Knie. Ich hatte also meine Verwundung aus der realen Welt mitgenommen. Eine interessante Entdeckung!

Plötzlich trat jemand mit Wucht gegen mein Sitzmöbel. Ich erschrak!

»He, du fauler Hund, was ist mit dir? Glaubst du, du bist hier, um dich zu erholen? Mach dich gefälligst an die Arbeit!«, raunzte mich Kapitän Quinn an.

»Würde ich ja gerne, aber was soll ich tun?«

»Erst einmal aufstehen, wenn dein Kapitän mit dir spricht«, sagte er und trat ein weiteres Mal gegen die Kiste, fast hätte er sie unter mir weggeschossen und ich wäre auf dem Boden gelandet. Ich sprang auf. »Schon besser, und nun sag mir, was deine Aufgabe auf einem Schiff ist?«

»Ich habe keine!«

»Es heißt Sir!«

»Sir, ich habe keine Aufgabe. Ich bin kein Seemann … Sir.«

Der Kapitän musterte mich erneut. »So, du willst mir also erzählen, dass Kapitän Loco eine verfluchte Landratte gefasst hat?«

»Wenn Sie es so ausdrücken wollen.«

»Wenn Sie es so ausdrücken wollen – Sir!«

»Genau das – Sir.«

Mann, habe ich hier etwa den durchgeknallten Sergeant aus Full Metal Jacket vor mir?

Ein weiterer Mann kam zu uns.

»Hier Käpt’n, mit besten Grüßen aus Kapitän Locos Kajüte«, sagte er und hielt dem Kapitän einen Becher hin. Doch dieser gab ihn an mich weiter.

»Hier, trink.«

Dankend nahm ich den Becher entgegen und setzte ihn an. Ich hatte einen ganz trockenen Mund und freute mich auf das Wasser. Doch es war kein Wasser. Noch ehe ich den beißenden Geruch wahrnahm, spürte ich den ersten Schluck scharf und heiß in meinem Rachen brennen.

»Na, was ist, du Landei? Ist dir das Gebräu zu stark?«, höhnte Kapitän Quinn lautstark.

»Es ist etwas anderes, als ich erwartet hatte.«

»Ach nee, was hat der feine Herr denn erwartet? Vielleicht eine Tasse heiße Schokolade?« Die beiden Seemänner brachen in Gelächter aus.

»Na, lassen wir das Bübchen mal in Ruhe«, er nahm mir den Becher aus der Hand und trank ihn in einem Rutsch aus. Anschließend hob er den Deckel von einem Fass ab und tauchte den Becher hinein.

»Hier, nimm das, das ist wohl eher was für dich.« Erneutes Gelächter. Jetzt war ich es, der den Becher in einem Rutsch austrank. Das kühle Wasser rann die Kehle hinunter und erfrischte mich, das war eher nach meinem Geschmack.

»Und nun sag mal, wo haben die dich denn her, was hat einer wie du auf dem Kerbholz?«, fragte der Kapitän neugierig.

»Nichts«, sagte ich und setzte nach, »nichts, womit ich groß angeben könnte.«

»Hör dir den an, Käpt’n«, sagte der Mann, der den Becher gebracht hatte, und lachte. Inzwischen waren wir umringt von Männern aus Quinns Mannschaft. Sie stimmten in das Gelächter ein, bis die Stimme des Kapitäns das Grölen übertönte.

»Was steht ihr hier so faul rum? Zurück an eure Arbeit, oder habe ich euch etwa gestattet, eine Pause einzulegen? Ab mit euch in die Wanten, ihr verlausten Affen, oder ich hol die Peitsche aus dem Ruderraum!«

Rasch zerstreuten sich die Männer. Keiner schien von den Beleidigungen und den Androhungen von Peitschenschlägen gekränkt zu sein. Das ist wohl der gute Ton an Bord. Würde bei uns ein Chef so mit seinen Angestellten reden, hätte der doch gleich die Jungs von der Gewerkschaft am Hals. Und hier gingen die Männer einfach an die Arbeit, anstatt ihren Chef zu verklagen.

Mit offenem Mund stand ich da und bestaunte die Professionalität der Männer, jeder Handgriff saß. Ohne darüber nachzudenken, ließ ich mich wieder auf die Kiste nieder. Kapitän Quinn sah mich mit funkelnden Augen an.

»Sitzt du gut?«

»Nein, Sir!«, sagte ich zackig und sprang ebenso wieder hoch.

»Ich weiß noch nicht so recht, was ich mit dir anstellen soll. Du gehörst nicht zu meiner Mannschaft und bist nicht mal ein Seemann. Du scheinst ein Geheimnis mit dir rumzutragen, und ich weiß nicht, wo du herkommst. Aber das geht mich auch nichts an. Du bist jetzt an Bord meines Schiffes und das bedeutet für dich, dass du tun wirst, was ich dir befehle. Und der erste Befehl lautet: Geh nach unten in die Kombüse. Dort fangen alle Seemänner an. Der Smutje wird dir schon Arbeit geben. An Deck können wir dich nicht gebrauchen und geschrubbt wird hier erst am Sonntag.« Er lachte wieder und ging. Humorvolle Leute! Ich hörte noch seine Stimme über das Deck dröhnen. »Bootsmann!« Doch anstelle eines Bernhardiners kam ein grauhaariger Seemann im Laufschritt zu ihm.

Und jetzt lade ich euch wieder herzlich ein, meine Freunde, begeben wir uns zum dritten Mal in ein unbekanntes Land. Macht es euch wie immer bequem, bringt etwas Zeit und Ruhe mit, dimmt das Licht oder holt die Kerzen aus der Schublade, schließt einen Moment die Augen und stellt euch vor, ihr seid an Bord einer Galeere mit Kurs auf eine abenteuerliche Reise ins Ungewisse. Kommt zu mir an Deck und seht was ich gesehen habe, erlebt was ich erleben musste.

***

Wie gut, dass ich noch nicht wusste, welche Schindereien und Schikanen ich in den nächsten vierundzwanzig Stunden ertragen musste, als ich die Kombüse betrat. Nichts von wegen »Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön ...« Davon war hier an Bord zumindest für mich nichts zu spüren, geschweige denn zu sehen. Schon gar nicht mit diesem Smutje, einem kleinen, versoffenen Typen, dessen langes fettiges Haar unter einem speckig-schmutzigen Kopftuch heraushing. Dieser Kerl malträtierte mich ganze zwölf Stunden ohne Pause. Er gehörte, wie sich herausstellte, nicht zu Kapitän Quinns Leuten, als Einziger an Bord war er sein eigener Herr, kein Kapitän hatte ihm was zu sagen. Dass die ursprüngliche Mannschaft der Venus, so der Name der Galeere, durch die von Kapitän Quinn ausgewechselt worden war und der frühere Kapitän nun als Gefangener mitfuhr, interessierte ihn nicht im Geringsten. Der Smutje hatte nur eine einzige Pflicht und die bestand darin, das Essen pünktlich zu servieren, egal für wen. Und angeblich hinderte ich ihn daran.

»Schäl gefälligst die Kartoffeln schneller! Die Männer wollen schließlich heute noch was essen. Und außerdem sollst du nur die Schale abziehen und nicht die halbe Kartoffel wegschmeißen, kapiert?!«

Wie denn ohne Sparschäler? Ich habe noch nie in meinem Leben so Kartoffeln geschält – du Idiot!

Und der Smutje brüllte weiter. »Die Töpfe sind noch dreckig von gestern! Also halt dich gefälligst ran und mach sie sauber.«

Leider musste ich das allein über mich ergehen lassen, denn die zwei Gehilfen, die er zuvor gehabt hatte, waren jetzt an Deck beschäftigt. Es waren die beiden, die uns die Suppe gebracht hatten, und da die Jungs zu Kapitän Quinn gehörten, waren sie nun wieder an Deck. So hatte ich mehr oder weniger alleine die Aufgabe, ein Essen für etwa sechzig Mann zu kochen, denn bei Kapitän Quinn bekamen auch die Gefangenen was zu essen und nicht nur dünnes Brühwasser.

Der Smutje lag die meiste Zeit in seiner Hängematte und trank. Und wenn er sich gerade nicht den Rum eintrichterte, beschimpfte er mich und scheuchte mich durch die Kombüse. Auch wenn Kapitän Quinn mich und seine Männer etwas ruppig anging, lag in seiner Stimme nicht diese Grausamkeit und Brutalität wie bei diesem Küchenschwein.

Die einzige Gelegenheit für mich, an Deck zu kommen, war bei der Essensausgabe. Wie gerne wäre ich bei den Männern draußen an der frischen Luft gewesen, hätte das Schiff erkundet und wäre ihnen zur Hand gegangen. Auch wenn ich keine Ahnung von der Seefahrerei hatte, würde ich doch schnell lernen und zwei linke Hände hatte ich auch nicht. Doch stattdessen musste ich in der schmierigen, stinkenden Kombüse schuften, wo einem der Appetit verging. Wenn ich hier wieder raus bin, gehe ich als Erstes zum Gesundheitsamt und dann kommt der Mann mit dem weißen Kittel und macht den Laden hier dicht, kannste aber Gift drauf nehmen – du Möchtegernfünfsternekoch!

Irgendwann, nachdem ich die letzten Blechteller gespült und alles einigermaßen an seinen Platz geräumt hatte, neigte sich mein erster Tag an Bord dem Ende zu. Schon eine ganze Weile hatte ich kein Geschrei mehr aus der Hängematte gehört, ich wunderte mich so lange, bis mir ein lautes Schnarchen das Ende meines Arbeitstages anzeigte. Der rechte Arm des Smutjes baumelte aus der Hängematte heraus, mit der linken hielt er die leere Rumbuddel umklammert. Sein dichter Bart war vollkommen verkrustet. Ich ließ ihn liegen und hoffte, dass ich nicht noch einmal so einen Tag erleben musste. Da hänge ich doch lieber kopfüber an einem Baum vor einem Banditen des Wilden Westens!

Die frische Seeluft draußen an Deck war die reinste Wohltat. Mit dem Wind glitt die Venus sanft durchs Wasser. Sonne und Mond hatten gerade ihren Millionen Jahre alten Schichtwechsel vollzogen. Ein Teil der Besatzung lag an Deck, andere kletterten in den Wanten herum. Der Steuermann stand am Ruder. Von Kapitän Quinn keine Spur. Es war ruhig geworden. Jetzt hatte ich endlich Gelegenheit, das Schiff zu erkunden. Obwohl ich in Norddeutschland zu Hause bin und die See nicht weit ist, bin ich doch nur einige Male auf einem Schiff gewesen. Trotzdem wurde ich nicht seekrank, das Schaukeln machte mir nichts aus. Ganz im Gegenteil, ich werde gerne durch die Gegend geworfen. Keine Achterbahn oder Schiffsschaukel auf dem Hamburger Dom oder irgendeinem anderen Jahrmarkt ist vor mir sicher, und als Kind stand kein Karussell still, wenn ich in der Nähe war.

Meine Erkundungstour führte mich auch in den Mannschaftsraum unter Deck. Einige lagen in den, wie sagt man hier, Kojen? Wobei die Kojen eher Regalfächern glichen, die sich bis zur Decke stapelten. In so einem Regal wollte ich nicht schlafen. Ich beschloss, nach draußen zu gehen und mir da einen Schlafplatz zu suchen. Nur eine herrenlose Decke nahm ich aus einem der Schlafregale mit.

***

Zwischen zwei Seilhaufen schlief ich wie ein Stein, bis mich ein schriller Pfeifton aus dem Schlaf riss.

»Aaalle Mann an Deck!«, brüllte der grauhaarige Bootsmann.

Während ich mich in meinem Seilnest noch gemütlich streckte, ging das Gepolter los. Schwere Stiefel rannten über die Planken, aus allen Ecken kam die Mannschaft zum Vorschein. Um nicht gleich wieder Ärger zu bekommen, rappelte ich mich hoch und rannte den anderen hinterher zur Kapitänskajüte. Hier versammelten sich die Männer und unterhielten sich murmelnd, bis Kapitän Quinn die Kajütentür öffnete und in die ersten Sonnenstrahlen trat.

»Was seid ihr nur für eine trübe Bagage? Mit so einer verschlafenen Bande ist wohl kein großer Fischfang zu machen!«

Die Männer grummelten, doch Kapitän Quinn brachte sie mit einer wegwischenden Handbewegung zum Schweigen.

»Ist ja gut, Leute, wir haben es bald geschafft. In Kordina könnt ihr euch von den Mädchen in den Schlaf kraulen lassen.« Bei diesen Worten machte sich Zufriedenheit auf den verknautschten Visagen der Seeleute breit, und der Kapitän sprach weiter. »In zwei Stunden werden wir das Hinterland von Kordina erreichen. Dort setzen wir Kapitän Loco und seine Männer ab. Sie werden etwa drei Tage brauchen, um sich durch die Sümpfe und über die Berge in die Stadt durchzuschlagen. Zeit, in der wir unser Schiff zurückholen und von hier verschwinden. Ihre stolze Galeere lassen wir im Hafen für sie zurück.«

»Sie wollen sie also wirklich am Leben lassen, Käpt’n?«, fragte der Bootsmann.

»Wieso denn nicht, Mr. Donovan, was meinen Sie, wie langweilig es uns wird, wenn diese Bande nicht ab und an hinter uns her ist. Und das werden sie sicherlich sein, wenn sie erst mal ihr Schiff wiederhaben. Außerdem sind wir ehrenhafte Piraten und keine Meuchelmörder.« Dann schaute er sich um, als suche er jemanden, und rief »Küchenjunge!«

Ich schaute nach allen Seiten, keiner antwortete. »He, du Landratte, wo hast du dich verkrochen?«, brüllte der Kapitän.

Erst jetzt begriff ich – ich war gemeint. Zaghaft hob ich den Arm und stotterte »Hi...hier!«.

»Hier, Sir«, grollte Quinn, »und nächstes Mal meldest du dich sofort!«

»Jawohl, Sir«, erwiderte ich und trat aus der Menge heraus.

»Geh und hol alles Essbare, was du finden kannst. Brot, Zwieback, und wenn noch was da ist, auch Obst. Mach schon!«

»Jawohl, Sir!«

»Und ihr anderen macht, dass ihr an die Arbeit kommt!«

»Aye, aye, Käpt’n«, hallte es im Chor.

Alles war so neu für mich und interessant obendrein. Die kurzen Kommandos, die Lieder, die Quinns Männer bei der Arbeit sangen, das Ausrichten der Segel, das Quietschen der gewaltigen Flaschenzüge beim Bewegen von Lasten, das Knacken und Knarren in jedem Winkel der Galeere, der Geruch nach feuchtem Holz und Stoff, dem Meer und die vielen anderen fremden Gerüche und Geräusche.

Ich sah, wie Quinns Männer kleinen Äffchen ähnlich in den Wanten hin und her sprangen und wie der Wind die Segel füllte, doch leider konnte ich mir das Schauspiel nicht länger ansehen. Zwar sträubte sich alles in mir dagegen, nach unten in die Kombüse zu gehen, aber ich überwand mich – immerhin waren es nur noch ein paar Stunden, dann würde ich das Schiff verlassen.

In der Kombüse saß der Smutje am Tisch und pulte sich mit einem Messer den Dreck unter den Nägeln heraus. Na lecker! Neben ihm stand sein treuer Begleiter, die Flasche Rum.

»Da bist du ja, du fauler Hund!«, war sein netter Gutenmorgengruß. »Ihnen auch einen schönen guten Morgen«, antwortete ich freundlich. In wenigen Stunden würde ich diesen Schmierlappen los sein, an Land war ich frei und würde nichts mehr mit ihm zu schaffen haben. Diese Aussicht half, höflich zu sein, denn in ein paar Stunden würde es nur noch heißen: und tschüss ...

»Der Käpt’n hat mir aufgetragen, Brot und Zwieback an Deck zu bringen und Obst, wenn noch welches da ist. Wir sind bald im Hafen von Kordina.«

»Tu, was du nicht lassen kannst. Äpfel sind hinten im Lager.« Das war alles, was wir miteinander sprachen. Ich ging ins Lager und entdeckte die etwas angefaulten Äpfel in einem Fass. Zwei Kisten mit Zwieback standen so da, als warteten sie nur auf mich, ebenso die acht harten Brote, die in Leinentücher eingewickelt waren. Als Krönung fand ich noch einen fußballgroßen Schinken. Nach und nach schleppte ich alles an Deck, wo die Mannschaft wie eine Horde hungriger Löwen über das Zeug herfiel.

Zwei Stunden später wurden drei Beiboote zu Wasser gelassen. Darin befanden sich bereits die letzten Essensreste, die ich zusammengekratzt und in den Booten verstaut hatte. Als die Boote im ruhigen Wasser schaukelten, ließen wir die Gefangenen nacheinander an einer Strickleiter runterklettern.

»Wenn Sie sich beeilen, haben Sie in drei Tagen Ihre Venus wieder, Kapitän Loco. Sie wird im Hafen von Kordina auf Sie warten!«, rief Kapitän Quinn nach unten, und auf ein Zeichen von ihm wurde ein Seesack zu den Männern herunter gelassen. »Hier, noch ein kleines Abschiedsgeschenk von mir, damit Sie für Ihren Fußmarsch ein bisschen besser gerüstet sind.«

Kapitän Loco riss den Sack auf und zum Vorschein kamen ein paar Messer und drei Pistolen.

»Sie sind ja mächtig um unser Wohl bemüht, Kapitän Quinn. Hoffentlich werden Sie das nicht eines Tages bereuen, denn eines verspreche ich Ihnen, wenn wir uns wiedersehen, hat Ihr letztes Stündlein geschlagen. Dann gehört die nächste Planke Ihnen!«

»Wir werden sehen … vielleicht lasse ich Sie dann nicht noch mal davonkommen, und nun gute Reise, meine Herren!« Mit diesen Worten wurden die Seile gekappt, mit denen die Boote an der Venus vertäut waren. Kapitän Loco gab den Befehl zum Rudern, er wollte so schnell wie möglich an Land. Das wollte auch unser Kapitän, und da seit einer Stunde nur noch eine leichte Brise wehte, gab er uns denselben Befehl. Es sollte dieses Mal eine angenehmere Ruderpartie werden. Keiner brüllte uns an und drohte mit Peitschenschlägen. So zu rudern – und selbst wenn ich es einen Tag lang tun müsste – war mir tausendmal lieber als auch nur eine weitere Stunde in der Kombüse zu verbringen. Der Trommler, der sich uns als Fredo vorgestellt hatte, war nicht mit ausgesetzt worden. Das hatte man wohl vergessen oder er gehörte mit zum Inventar, genau wie der Smutje. Fredo gab also weiter den Rhythmus vor und die Männer sangen ein paar Seemannslieder, die ich alle nicht kannte. Einmal stimmte ich »Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste« an, aber den Text kannten wiederum diese Kerle nicht und dabei ist es doch das Seeräuberlied schlechthin. Das zweite Lied, das ich im Repertoire hatte, war das vom Seeräuberopa Fabian, das sie aber auch nicht hören wollten, darum summte ich es nur leise vor mich hin, während die anderen ihre Lieder schmetterten.

***

Der Anker klatschte ins Wasser und versank. Wir lagen auf Reede, einige Meter vor dem Hafenbecken neben vier weiteren Schiffen, da die Anlegestellen am Pier besetzt waren. Der Kapitän kam aus der Kajüte und trug eine Holzkiste voller kleiner Säckchen. Er ließ die Kiste vor seine Füße fallen und griff zwei heraus.

»Männer, als kleine Entschädigung für die anfänglichen Unannehmlichkeiten an Bord überreiche ich jedem von euch im Namen von Kapitän Loco, der uns bedauerlicherweise schon verlassen hat« – alle lachten – »zehn Goldstücke.« Mit diesen Worten warf er die beiden Säckchen den zwei Männern zu, die ihm am nächsten standen.

Ja, ist denn heut schon Weihnachten?

»So«, fuhr Quinn fort, »und nun kommt her, jeder nimmt sich einen Sack, aber wehe, einer von euch Ratten wagt es, mehr zu nehmen, dem hacke ich persönlich die Hand ab, die danach greift!« Er drohte mit erhobenem Säbel. Als ich in die Kiste greifen wollte, schlug er mir mit dem Säbel auf die Finger. Aua! Zu eurer Beruhigung: Es war die flache Seite.

»Was, du auch?«

»Ja, Sir!«

»Hast du dir das denn auch verdient? Ich hab dich nur beim Kistenhocken und Seilschlafen an Deck gesehen, aber nicht beim Arbeiten!«

Einmal mehr war ich der Anlass, dass alle anfingen zu lachen, doch ich ließ mich nicht unterkriegen.

»Unter Deck hab ich gearbeitet, Sir. Mir habt ihr es zu verdanken, dass ihr auf unserer Kreuzfahrt nicht verhungert seid. Denn von diesem versoffenen Schiffskoch hättet ihr bestimmt nichts bekommen!«

»Was?! Für den Fraß willst du noch einen Lohn?«

»Für die gekochten Kartoffeln und das Gemüse mit Schinkenspeck und dafür, dass ich gerudert habe, und dafür, dass ich die meiste Zeit in dieser stinkenden, stickigen Kombüse verbringen musste, und dafür ...«

Der Kapitän hob die freie Hand und ich schwieg. Nachdenklich sah er mich an und zog den Säbel von meiner Hand.

»Ganz schön mutig, unser Schiffsjunge, findet ihr nicht auch?«

Wie die Mannschaft auf die Worte reagierte, brauche ich euch wohl nicht zu sagen, auf jeden Fall sollte es das letzte Mal sein, dass sich diese Kerle über mich kaputtlachten.

Nachdem jeder, mich eingeschlossen, sein verfrühtes Weihnachtsgeschenk an sich genommen hatte, gab der Kapitän den Befehl, das verbliebene Beiboot zu Wasser zu lassen, und wählte einige Männer aus, die als Erste an Land rudern durften. Zwei von ihnen sollten dann wieder zurückschippern und weitere Männer aufnehmen, bis alle von Bord waren. Ich gehörte zur ersten Ruderpartie und war überglücklich, endlich von diesem Schiff runterzukommen, das für mich, durch den Job in der Kombüse, ein schwimmendes Gefängnis gewesen war. Kapitän Quinn würde mit der zweiten Seeräuberladung übersetzen. Der Smutje blieb in seiner stinkenden Kombüse zurück. Wie ich erfuhr, war der Trommler auch ein Gefangener von Kapitän Loco. Er war allerdings schon so lange bei ihm und hatte auch nichts auszustehen, solange er nicht aus dem Takt kam, dass er es selbst fast vergessen hatte. Trotzdem schloss er sich jetzt der Truppe von Kapitän Quinn an.

Mit jedem Ruderschlag entfernten wir uns von der Venus und kamen dem Festland näher. Immer besser konnte ich den Hafen erkennen und dann hatte ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich stand noch unschlüssig am Pier, während Quinns Männer schon losrannten. Sie hatten offenbar ein Ziel und schienen es mächtig eilig zu haben. Zwei Männer machten wie befohlen kehrt und holten die nächste Ladung Seeleute vom Schiff. Keiner der Kerle kümmerte sich weiter um mich. Es gab nicht mal eine Verabschiedung. Hallo, interessiert sich hier überhaupt jemand für mich?

Ich blieb allein zurück und dachte nicht im Traum daran, dieser davonrennenden Meute hinterherzudackeln. Welche Aufgabe ich in dieser Geschichte hatte, würde sich schon noch zeigen, das wusste ich aus Erfahrung. Bis jetzt hatte ich keinen Schimmer, was ich hier sollte, und von einer Festung war weit und breit nichts zu sehen.

Ich beschloss, mich im Hafen umzusehen. Die dicht zusammenliegenden Schiffe am Pier wurden be- und entladen, Kisten und Kübel wurden getragen, Fässer gerollt, Ziegen und Kühe durch die Gegend getrieben, in Käfigen gackernde Hühner verladen. Um die hundert schwarze und weiße Männer liefen geschäftig herum. Dagegen waren sehr wenige Frauen zu sehen. In der Nähe des Anlegers gab es einige Lagerhäuser, einen Segelmacher, eine Netzknüpferei und sogar eine kleine Werft, neben der sich die Reeperbahn befand, in der die Seile gedreht wurden. Ich verließ den Hafen und kam an Fischerhütten vorbei, die ihren eigenen Anlegeplatz hatten. Im Zentrum des Hafengebietes stand ein Hotel, Matrosenlager hieß es, und ich zählte vier Kneipen, sie hießen Zum Goldenen Anker, An Deck, Viermaster und Walfänger.

Nach einer gefühlten halben Stunde sah ich von Ferne, wie das Ruderboot zum zweiten Mal anlegte. Kapitän Quinn und seine Leute stiegen aus und gingen den Steg entlang in Richtung Zum Goldenen Anker.

Wo sind bloß meine Gefährten, die mich sonst immer erwarten? Das hier sind ganz andere Charaktere als bei meinen bisherigen Abenteuern. Wo ist der freundliche Henry alias Pater Laurentius und wo sind die anderen? Oder treffe ich vielleicht doch nicht immer mit denselben Leuten zusammen? Aber warum hat die Stimme in meinem letzten Abenteuer dann »Hilf deinen Gefährten« gesagt?

So wünschte ich mir, meine Freunde aus vergangener Zeit noch zu treffen. Allmählich bekam ich Hunger. Ich lenkte meine Schritte auch zum Goldenen Anker in der Hoffnung, dass es da nicht bloß Rum gab, sondern auch was zu beißen. Mit knurrendem Magen bahnte ich mir einen Weg durch das Gewimmel von Menschen, Karren, Kleinvieh, Kisten und Fässern.

Nick Francis 3

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