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Liang

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Ich ging ein Stückchen die Straße hoch, setzt mich vor unsere Bar und bestellte einen Tee.

Ich wollte den Tag einfach vor sich hin plätschern lassen. Ich trank meinen Tee in aller Ruhe und bestellte mir noch einen. Es war Sonntag und deshalb kaum etwas los. Der Autoverkehr war ohnehin nicht dicht in der Stadt, an diesem Mittag war kaum ein Auto zu sehen. Ich sah, wie ein junger Mann einen Karren heranschob, der bis oben hin voll Weintrauben gepackt war. Die Trauben waren weiß und vollreif, mir lief das Wasser im Mund zusammen. Er postierte seinen Karren genau vor meinen Tisch und wartete auf Kundschaft. Um die Mittgszeit war nicht los und der junge Mann hockte auf seiner Kiste neben dem Karren. Ab und zu kamen Leute vorbei und kauften ein Bündel Weintrauben. Dann gab es wieder eine lange Pause.

Ich zahlte meinen Tee und ging zu dem Traubenverkäufer, schaute auf die Trauben und nahm ein Bündel. Ich fragte ihn auf Englisch, wie viel die Trauben kosteten. Er antwortete, ebenfalls auf Englisch, dass die Trauben vier RNB kosteten. Dann sagte er plötzlich: „Probier doch erst!“ Ich war völlig perplex und starrte ihm ins Gesicht. Da war ein völlig verarmter chinesischer jugendlicher Weintraubenverkäufer, und der sprach mich auf Deutsch an, ich fand zuerst keine Worte. Dann fragte ich ihn einfach auf Deutsch, woher er meine Sprache könnte. Er antwortete, dass er an der Fachhochschule Wiesbaden in Geisenheim Weinbau studiert hätte, er wäre Diplomingenieur. Ich bekam ganz große Augen und sah ihn an. Ich bekam das Bild von dem armen Traubenjungen und dem Weinbauingenieur nicht zusammen. Er sagte, er hieße Liang, ich sagte mein Name wäre Paulo. Liang siezte mich zu Anfang, ich korrigierte ihn sofort und sagte, dass er mich duzen und Paulo zu mir sagen sollte. Dann nahm ich mein Weintraubenbündel und setzte mich zu Liang an die Straße. Liangs Deutsch war ausgezeichnet, wir konnten uns sehr gut unterhalten.

Er sagte, dass sein Studium auf Englisch abgelaufen wäre, und er deshalb besser Englisch als Deutsch spräche. Ich sagte ihm, dass mir das völlig egal wäre, wir sollten uns in der Sprache verständigen, in er wir miteinander am besten klar kämen.

Liang wollte von mir wissen, wie ich nach Turpan gekommen wäre und ich erzählte ihm den ganzen Ablauf meiner Reise und dass ich noch bis Xian müsste, wo die Seidenstraße anfinge. Am Ende meiner Reise wollte ich von Peking nach Hause fliegen. Liang staunte über meine Reiseerlebnisse. Dann erzählte er von seinem Projekt, den Weinbau nach Turpan zu bringen. Ich könnte mir ja nicht vorstellen, mit wie vielen Schwierigkeiten das verbunden wäre. Er müsste gegen den orthodoxen Islam ankämpfen, der das Weinkeltern verböte. Auf seinen Einwand hin, dass die Leute aber doch Bier und Schnaps tränken, bekäme er dann irgendwelche Ausflüchte zu hören. Ich erzählte Liang, dass ich in Kashgar schon Wein aus Turpan getrunken hätte. Er sagte, dass er den Weinbauern kennen würde, er hätte erhebliche Probleme und würde von kaum jemandem geachtet, machte aber gute Geschäfte. Seine Eltern hätten dafür gesorgt, dass er in Deutschland Weinbau studierte, sie hätten die Zukunft Turpans vorausgesehen. Ich fand das wahnsinnig interessant, was Liang erzählte. Ich fragte ihn, wie er Deutschland gefunden hätte, schließlich hätte er drei Jahre dort gelebt. Liang sagte, dass er am Anfang seiner Studienzeit wegen fehlender Sprachkenntnisse erhebliche Probleme gehabt und sein Studium wohl abgebrochen hätte, wenn er nicht Kommilitonen aus China und anderen Ländern mit den gleichen Probleme gehabt hätte. Das Studium selbst wäre ihm nicht schwergefallen, er hätte mit seinen Kommilitonen in einem Wohnheim gelebt, einen Kontakt zu Deutschen hätte es allerdings kaum gegeben.

Er wäre einmal in Frankfurt gewesen. hätte die Stadt aber als so abweisend empfunden, dass er sich nicht hätte vorstellen können, dort zu leben. Einmal hätten sie eine Exkursion nach Wertheim am Main gemacht, das hätte ihm gut gefallen, er wäre auch mit seinen Kommilitonen im Rheingau herumgefahren und hätte sich Wiesbaden angesehen. Woher ich denn käme, wollte Liang von mir wissen. Ich antwortete, dass ich aus Essen käme. Die Stadt würde er nicht kennen, sagte Liang, hätte aber von Essen schon in Verbindung mit Kruppstahl gehört. Wie alt ich wäre, fragte er, und ich sagte, einundzwanzig, er wäre dreiundzwanzig, sagte Liang dann. Obwohl wir erst fünfzehn Minuten miteinander sprachen, kam Liang mir sehr vertraut vor, woran das wohl lag? Es war nicht nur die annähernde Altersgleichheit, es musste etwas anderes sein, das in uns lag, eine Art Gleichklang, den man sofort spürte. Auch bei Liang hatte ich den Eindruck, dass er so von mir dachte. Wo er denn wohnte, fragte ich Liang. Er antwortete, dass er aus Putao käme, das läge mitten im „Grape Valley“. Man hätte ihn und seinen Karren am Morgen mit einem LKW nach Turpan gebracht, wo er den ganzen Nachmittag über Weintrauben verkaufen wollte. Seine Eltern betrieben den Weintraubenanbau schon in der vierten Generation. Sie hätten einen alten Hof, der allerdings nicht sehr groß wäre. Der Hof hätte drei Gebäude, von denen zwei zum Wohnen gedacht wären. In einem lebte er mit seinem Bruder, der fünf Jahre jünger wäre. Wenn ich wollte, könnte ich mit ihm hinauskommen und eine Zeit auf dem Hof leben. Ich sagte Liang, dass ich das gern machen wollte, ich könnte ihm ja auch bei seiner Arbeit helfen.

So fand ich einen Freund, den ich noch eine Zeit lang begleiten würde. Es wurde bereits Wein im „Grape Valley“ produziert, da gab es einen portähnlichen schweren Dunklen und einen leichten fruchtigen Weißen. Gemessen an dem, was er im Rheingau kennengelernt hätte, wären jene Weine aber ausgesprochen blasse Vertreter. Liang wollte als Jungwinzer aber einen Wein, der von sich reden machte. Doch das brauchte reifliche Überlegung und eine Menge Vorbereitung.

Inzwischen war die Gaochang Road etwas belebter geworden. Ich sagte Liang, dass ich meine Sachen im Hotel holen und dann wiederkommen wollte. Später zahlte ich mein Zimmer und ging mit meinem Rucksack auf dem Rücken zu Liang zurück. Er hatte zwischenzeitlich einiges an Weintrauben verkauft, er hatte auch Rosinen, die aber nicht so gut gingen. Am nächsten Wochenende wäre im „Grape Valley“ das Traubenfest, ganz Putao wäre schon auf den Beinen und träfe Vorbereitungen. Bei dem Fest könnte man Besucher aus ganz China bestaunen. Auch er hätte auf dem Hof noch einige Vorbereitungen zu treffen, wobei ich ihm helfen könnte.

Um 17.00 h fuhren wir mit dem Karren die Gaochang Road hoch bis zum Stadtrand. Dort warteten wir eine Viertelstunde, bis uns ein LKW abholte. Liangs Vater saß am Steuer des alten Lastwagens, Liang stellte mich vor, als sein Vater hörte, dass ich Deutscher wäre, wurde er noch freundlicher.

Wir fuhren acht Kilometer Richtung „Flamenberge“, als wir in Putaogou ankamen, was so viel wie „Traubengraben“ hieß. Obwohl ich noch am Vortag mit dem Touristenbus dort durchgekommen war, erschien mir der Ort, als wäre ich nie dort gewesen. An den Hängen und vor allem unten auf dem Talboden wuchsen unendlich viele Weinstöcke, ein kleiner Bach floss durch das Tal. Das dichte Dach, das von den ineinander verwachsenen Weinstöcken gebildet wurde, lieferte einen angenehmen Schutz vor der sengenden Sonne. Zwischen den Weinstöcken sprossen Blumen und wuchsen Obstbäume.

Der Traubengraben umfasste ungefähr vierhundert Hektar, es wurden jährlich sechstausend Tonnen Weintrauben geerntet. Liangs Zuhause war ein relativ kleiner Hof, der etwas entfernt von der Durchgangsstraße im Hintergrund lag. Es sah alles schmuck und sauber auf dem Hof aus. In dem alten Haupthaus wohnten die Eltern, in dem noch neueren Nebengebäude Liang und sein Bruder, und es gab eine Art Stallgebäude für den LKW, Werkzeug und zwei Kühe, in dem Stallgebäude befand sich auch ein riesiger Bottich, in dem die Trauben gepresst werden sollten. Früher presste man die Trauben noch mit den Füßen, Liangs Vater hatte aber eine Presse angeschafft, die allerdings von Hand zu bedienen war, eine Spindelpresse.

Zwischen den Häusern gab es einen Hof, der eine Kiesfläche war, es knirschte, wenn man über den Hof lief oder fuhr. Eine niedrige Backsteinmauer fasste die ganze Hofanlage ein. Das Haus der Eltern stand vor Kopf und bildete den Mittelpunkt des Hofes. Es war eingeschossig und hatte ein flaches Dach. Die Haustür war aufwändig verziert und alt, Liangs Urgoßvater hatte sie einst eingebaut, bei wem er sie hat anfertigen lassen, war nicht mehr bekannt. Es war eine zweiflüglige Tür aus Eiche, man betrat durch sie einen Vorraum, der mit uralten glatten schwarzen Fliesen ausgelegt war. Solche Fliesen gab es im „Palast des himmlischen Friedens“ in Peking, sie waren Jahrhunderte alt und wurden gepflegt, das hieß, sie wurden blank gewienert. Vom Vorraum gelangte man in drei Räume, die Küche, das Schlafzimmer und das Wohnzimmer. Dieses Untergeschoss reichte Liangs Eltern vollkommen aus, sie hatten im Obergeschoss noch die alten Kinderzimmer, die nicht mehr benötigt wurden und deshalb Abstellräume waren. Im Wohnzimmer, in dem sich Liangs Eltern praktisch immer aufhielten, gab es einen alten Ofen, der mit Holz oder Kohle befeuert wurde. Oft stank es nach Kohlefeuer im Haus, wenn der Ofen nicht richtig zog. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch aus schwarzem glänzendem Eschenholz. Der verdunkelte den ohnehin nicht sehr hellen Raum noch mehr, durch die kleinen Fensterchen fiel nur spärliches Licht. Liangs Vater saß immer auf einem samtenen Sofa und rauchte ununterbrochen filterlose Zigaretten. Nur wenn seine Frau das Essen auf den Tisch gestellt hatte, wenn er zur Toilette oder ins Bett ging, dann stand er auf. Ansonsten saß er und schaute durch das kleine Fenster, das direkt neben dem Sofa in die Wand eingelassen war.

Es gab eigentlich nicht viel zu sehen, weil auf dem Hof nichts passierte, und wenn Liang dann doch einmal seinen Karren über den Hof schob, rutschte sein Vater unruhig hin und her, als würde Gott weiß was geschehen. Er hatte graues langes Haar, das aber auf dem Kopf schon lichte Stellen ließ. Er ließ sein Haar wachsen, warum, wusste er auch nicht genau. Seine Frau trug ihm oft auf, doch einmal zum Friseur zu gehen oder sie wollte ihm selbst die Haare schneiden. Er ließ sich aber nicht beirren und seine Haare wachsen. Liangs Mutter war ein ganz anderer Typ Mensch, sie wieselte emsig durchs Haus, machte immer irgendetwas sauber oder kochte in der Küche. Gegessen wurde im Familienkreis, Liang und sein Bruder kamen dann ins Haus und setzten sich im Wohnzimmer an den Esstisch. Ihre Mutter freute sich immer, wenn sie ihre Söhne wegen ihrer Kochkunst lobten. In Wirklichkeit waren sie nur zu faul, selbst zu kochen. Das Leben auf dem Weinhof war unkompliziert und gefällig. Es gab keine auffälligen Besonderheiten, der Ablauf des Jahres war durch die Natur der Weintrauben bestimmt. Lediglich das Weinfest im August brachte etwas Abwechslung. Alles fieberte dem Fest entgegen und putzte sich heraus.

So war auch Liangs Mutter bestrebt, alles in Ordnung zu bringen und den Hof für die Festbesucher sauber zu machen. Liangs Bruder ging in Turpan zur Schule, hätte aber nur noch zwei Monate Unterricht. Er wollte eigentlich mit den Weintrauben nichts zu tun haben, wenn er sein Abitur in der Tasche hätte, wollte er in Shanghai Elektrotechnik studieren. Er hieß Akuma. Wenn man über den Weinhof schritt, überkam einen ein Gefühl von etwas Altehrwürdigem, Ewigem. Wäre nicht der Neubau neben dem Haupthaus gewesen, hätte man denken können, die Zeit wäre stehen geblieben. Man hatte vom Hof aus einen Blick auf die „Flammenberge“, die rot strahlten und greifbar nahe schienen. Ich würde bald mit Liang auf die Berge steigen und dort eine Nacht im Schlafsack verbringen. Das Haus der Jungen war sehr schlicht, es hatte vier Zimmer und ein Badezimmer, es war ein Flachbau. Es wirkte gegenüber dem Haupthaus gedrungen. Am Haus der Eltern wuchs Wein, der mit einigen Trieben über eine Laube geleitet wurde. Dort verdichtete sich die Pflanze und bot Schatten. Sie hing voller Trauben, und am Haus musste der Wein hin und wieder zurückgeschnitten werden, besonders die Pflanzenteile, die auf das Dach wuchsen und über die Wellabdeckungen krochen. Wein war nicht so schlimm wie Knöterich, wenn man den nicht immer wieder bändigte, drohte der alles zu vereinnahmen und zu überwuchern, am besten grub man Knöterichpflanzen aus und warf sie auf den Kompost. Im Neubau hatten Liang und Akuma jeder zwei Zimmer und konnten dort machen, was sie wollten. Allerdings kam die Mutter regelmäßig und putzte die Zimmer. Nie schimpfte sie über die Nachlässigkeit ihrer Kinder oder über den Dreck, den sie hinterlassen hatten.

Das Stallgebäude war ein unscheinbarer Ziegelbau mit einem großen Einfahrttor, es hatte zur Hofseite hin zwei Fensteröffnungen, die allerdings nicht mit Glas eingefasst waren. Im hinteren Teil des Grundstückes befand sich ein Nutzgarten, in dem Liangs Mutter Salat erntete, aber auch Tomaten, Gurken, Paprika Möhren und Kräuter. Sie war sehr oft im Garten und zupfte Unkraut, das hielte sie beweglich, sagte sie immer, wahrscheinlich hatte sie recht damit. Liangs Vater wäre es nicht im Traum eingefallen, in den Garten zu gehen, er saß immer nur auf seinem Sofa im Wohnzimmer und rauchte.

Das „Grape Valley“ hatte etwas Märchenhaftes, Gemütliches. Die vielen Weinranken nahmen einem zwar die Sicht, wenn sie sich über der schmalen Durchgangsstraße vereinigten und ein Blätterdach bildeten, schufen aber auf die Weise einen Raum, der Schutz zu gewähren schien. Manche Leute standen vor ihren Häusern und hängten Girlanden auf. Mitten im Tal gab es eine Verbreiterung, eine Art Platz, auf dem eine Bühne aufgebaut war. Dort würden auf dem Fest Sänger auftreten und Lieder zum Besten geben. Oftmals sangen zwei Mädchen im Duett, vor der Bühne würde getanzt werden, Alt und Jung wären zusammen und würden ausgelassen feiern. Liang und seine Familie waren keine Uiguren, obwohl die Uiguren in Turpan siebzig Prozent der Stadtbevölkerung stellten. Sie waren aber auch keine Han, die dreiundzwanzig Prozent ausmachten. Sie gehörten der Minderheit der Hui an, die im gesamten Turpan-Becken nur sechseinhalb Prozent der Menschen ausmachten.

In Putaogou gab es einige Hui, in ganz China gab es zehn Millionen. Sie waren Muslime, konnten aber keiner größeren Ethnie zugeordnet werden. Ursprünglich stammten die Hui von einem König der Sulu-Inseln ab, den Philippinen also. Liang und ich saßen am Abend in der Laube am Haupthaus. Sie erinnerte mich sehr an eine südtiroler Törgelstube, nur dass man dort keinen Wein trank, sondern Bier, Liang holte uns jedem eine Flasche. Er sagte, dass es sein Ziel wäre, Weinstuben mit Weinausschank zu errichten, in denen Touristen den Wein des „Grape Valley“ probieren konnten. Die Laube erinnerte mich aber auch an zu Hause, wo ich früher mit den Nachbarn und Frau Aldenhoven saß und wo Frau Aldenhoven aus Ostpreußen erzählte. Liang hatte im Rheingau überall Weinstuben gesehen, sicher, der Islam verbot den Alkoholgenuss, aber dann dürfte man auch kein Bier trinken, Liang jedenfalls wollte sich über das Verbot hinwegsetzen. Plötzlich sprang Liang eine Katze auf den Schoß, sie war schwarz-weiß und schön anzusehen. Liang sagte mir, ich sollte sie einmal zu mir nehmen. Ich hob die Katze auf meinen Schoß und streichelte sie, sie ließ sich das genüsslich gefallen und schnurrte. Liang holte noch zwei Flaschen Bier, als sich Akuma zu uns setzte. Er hätte mit dem ganzen Weinbetrieb nichts zu tun, sagte er, er verstünde nicht, wie man sein ganzes Leben an den Weinbau verschwenden könnte, wie seine Eltern und Liang das täten.

Er träumte von einem Leben als Elektroingenieur mit einem guten Einkommen und einer Familie. Er wollte in Shanghai leben, am Puls der Zeit und nicht in dem rückständigen Turpan. Liang ließ ihn reden, er jedenfalls sähe seine Zukunft als Weinbauer in Putaogou, er müsste nur noch die richtige Traube finden. Dann kam der Tag des großen Festes. Alle Bewohner des „Grape Valley“ hatten sich herausgeputzt, Liangs Vater trug seinen Sonntagsstaat. Liangs Mutter hatte ein buntes Seidenkleid angezogen, Liang und sein Bruder trugen Jeans, so als gäbe es keinen Anlass, etwas Besonderes anzuziehen. Ich hatte meine normale Kleidung an, ich hatte auch nichts anderes, sah aber ganz passabel aus, wie ich meinte. Wir liefen an dem hohen Trocknungsturm vorbei, wo jedes Jahr dreihundert Tonnen Weintrauben zum Trocknen aufgehängt wurden, bis nach kurzer Zeit in der heißen Luft von den „Flammenbergen“ Rosinen daraus geworden waren. Auf dem Dorfplatz war der Teufel los, neben vielen Touristen, die von überall her angereist waren, hatten sich auch die Einheimischen versammelt, zum Teil in Tracht, womit sie ein lohnendes Objekt für die Kameras boten. Wir mischten uns unter die Menschen, es gab auch hübsche Mädchen unter ihnen, mit denen man tanzen konnte, wenn sie einen ließen. Ansonsten tanzten die Mädchen oft zusammen und die Jungen standen am Rand und starrten in die Gegend.

Der Singsang auf der Bühne war nicht jedermanns Sache, gefiel aber den meisten Besuchern. Liang und ich hielten uns zwar nicht die Ohren zu, wandten uns aber leicht missgestimmt ab. Und dann bekam ich meinen ersten Wein im „Grape Valley“, eisgekühlten Weißwein von fruchtiger Frische mit einer schönen Farbe. Der Wein war allerdings sehr süß, ich glaubte, dass es in Deutschland früher nur süße Weine gegeben hatte. Der trockene Wein, so wie er in unserer Zeit fast überall getrunken wurde, den gab es erst seit Mitte der 1970er Jahre. Ich sagte Liang, dass der Wein für meine Begriffe zu viel Süße hätte, Eiswein, Spätlesen und Dessertweine wären so süß, sagte ich, aber gewöhnlicher Tafelwein sollte trocken sein. Liang gab mir recht, er wüsste schon, was ich meinte, im Rheingau gäbe es bei den jungen Winzern überhaupt keine süßen Weine. Er hätte sich im letzten Monat eine neue Pflanze aus dem Rheingau schicken lassen und wollte im „Grape Valley“ eine neue Trauben erschaffen. Am nächsten Tag wollte er mir seine neuen Stöcke zeigen, er glaubte, bei der Lese schon so viele Trauben zu erhalten, dass er hundert Flaschen Wein bekäme. Er hätte aber verschiedene Sorten und würde vielleicht mischen. Ich sollte dann mein Geschmacksurteil abgeben. Der Wein, den wir auf dem Fest im Ausschank bekamen, war jedenfalls eindeutig zu süß. Er wurde auch gar nicht von allen getrunken, viele tranken Bier, nachdem sie ein Glas Wein probiert hatten.

Der weibliche Teil der Festgäste hielt sich beim Trinken sehr zurück, die meisten Mädchen und Frauen tranken Erfrischungsgetränke. Dann trat eine Musikkapelle auf und spielte Tanzmusik. Ich forderte ein Mädchen auf, das sich tatsächlich auf einen Tanz mit mir einließ. Die Umstehenden schauten, wie eine der Ihren mit mir Langnase tanzte. Wir tanzten eine Art Foxtrott. Als die Musik aber langsamer spielte und wir enger hätten tanzen müssen, war der Tanz beendet und meine Partnerin lief zu ihrer Freundin zurück. Ich bedankte mich für den Tanz. In der Ecke des Platzes war ein großer Grill aufgebaut, dort bestellten Liang und ich uns Lammkeule. Am Stand daneben gab es Reis und Salat, das war ein Essen, wie ich es mochte. Wir tranken Bier zum Essen, der Wein war als Getränk zum Essen völlig ungeeignet. Liangs Bruder und auch seine Eltern waren völlig in der Menge untergegangen. Am späten Nachmittag liefen Liang und ich nach Hause, seine Eltern waren schon dort, Liangs Vater lag auf seiner Couch und machte ein Schläfchen, seine Mutter trank Tee, Akuma blieb verschollen. Die Musik vom Festplatz dröhnte bis zum Weinhof. Wir wollten am Abend noch einmal auf das Fest gehen.

Liang und ich saßen in der Laube und sprachen über den Wein, den Liang aus Deutschland hatte kommen lassen und auf seinem Weinfeld angebaut hatte. Er hatte fünf verschiedene Reben geschickt bekommen, zwei Rieslinge aus dem östlichen und mittleren Rheingau, von den tieferen Lagen, wo er auf sandigen Lehmböden wuchs, einen Dornfelder, einen Spätburgunder und einen Müller-Thurgau. Liang hätte am liebsten den Schwerpunkt auf einen leichten Roten gelegt, wusste aber natürlich nicht, wie ihm der Spätburgunder oder der Dornfelder gelingen würde. Er hatte daran gedacht, den Dornfelder anzubauen, wie das überall in Deutschland geschähe und ihm eine besondere Note zu geben, die ihm die Sonne, der Boden und das Wasser verliehen. Liangs Mutter kam zu uns und fragte, ob wir Akuma gesehen hätten. Wir sagten, dass er irgendwo auf dem Fest herumstromerte. Wir wollten um 20.00 h noch einmal hinübergehen, in dem Moment wäre uns zu viel los. Liangs Mutter bestätigte, was wir sagten, sie hätte sich auf dem Festplatz manchmal doch zu bedrängt gefühlt. Sie hatte sich ihre Tasse Tee mitgebracht. Ich fragte, ob in China nur grüner Tee getrunken würde, Liang sagte, dass das fast ausschließlich der Fall wäre. Liangs Mutter sah nicht alt aus, jedenfalls nicht alt im Sinne von verbraucht. Ihr Gesicht hatte etwas Edles, ihr Gang war aufrecht und wenn sie lachte, sah man ihre Zähne, die fast alle vorhanden schienen. Das war in China keineswegs selbstverständlich, wie ich mich oft selbst überzeugen konnte. Sie fragte uns, ob wir etwas essen wollten, aber wir lehnten dankend ab. Wir waren von dem Grill auf dem Fest noch pappsatt. Liang und ich tranken unser Bier, und Liang fantasierte über seine Zukunft im Weinbau. Ich fragte ihn, wie er sich den Weinverkauf vorstellte und er antwortete, dass er das noch nicht genau wüsste, mit Sicherheit würde es aber nicht beim Ausschank in Weinstuben bleiben, er könnte sich bei einer entsprechenden Menge durchaus auch einen Weinexport vorstellen. Er dächte auch an weitere Weinfelder, vieles wäre möglich, man müsste es nur angehen.

Um 20.00 h gingen wir noch einmal zum Weinfest. Die Musik schallte uns schon entgegen, als wir den Hof verließen. Es war aber nicht dieses Remmidemmi, das man von unseren Schützenfesten und sonstigen Veranstaltungen kannte, es war dieser chinesische Singsang, der mir auf den Wecker ging, Liang ließ ihn über sich ergehen. Als wir am Platz ankamen, standen zwei Schönheiten auf der Bühne und sangen, Akuma tanzte mit einem Mädchen aus Putaogou, Liang kannte es. Wir gingen zum Getränkestand und kauften Bier. Liang sagte, dass das alles viel professioneller ablaufen müsste, es könnte doch nicht sein, dass man in einer der produktivsten Weingegenden Chinas stünde und dort ein Fest gefeiert würde, auf dem man Bier tränke, weil der Wein, der verkauft würde, ungenießbar wäre und Musik gespielt würde, die auf keiner Schul-Abschlussfeier geduldet würde. Er war richtig zornig geworden, man sah Liang an, wie es in ihm arbeitete. Trotz der spießigen Idylle fühlte ich mich auf dem Fest wohl, aber ich war ja auch nur ein Tourist, der bald wieder abreisen würde. Liang machte das Weingeschäft zu seinem Lebensinhalt und da bedurfte es schon einiger Zukunftsüberlegungen.

Gegen 22.30 h war das Fest zu Ende und die Musik hörte auf, es wurde noch ein letztes Bier herausgegeben, einige Leute tranken auch Schnaps, Reisschnaps, um es genau zu sagen. Es gab in ganz China keinen Weinbrand aus eigener Herstellung und wenn sich niemand um dessen Produktion kümmerte, würde es ihn auch in absehbarer Zeit nicht geben. Liang dachte an eine Brennerei, später einmal, zuerst müsste vernünftiger Wein produziert werden. Wir liefen nach Hause und setzten uns noch auf ein Bier in die Laube. Akuma kam angewackelt und setzte sich noch einen Augenblick zu uns, dann torkelte er ins Bett. Um 23.30 h gingen Liang und ich auch ins Bett, ich hatte eines seiner zwei Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen. Am nächsten Morgen mussten wir zum Elternhaus hinüber, Liangs Mutter hatte Frühstück für uns gemacht. Sie hatte selbst gemachte Marmelade und Honig, sehr lecker! Brot hatte sie im Dorf gekauft, gut, frisch, fast noch warm. Dann kam Akuma, er hatte einen brummenden Schädel. Woher er denn die Kopfschmerzen hätte, wollte seine Mutter von ihm wissen, wenn er den Schnaps nicht vertrüge, dann sollte er doch die Finger davonlassen. Nach dem Frühstück gingen Liang und ich in sein Weinfeld. Es lag auf der anderen Straßenseite am Hang. Es gab am Hang Lößboden, der hervorragend die Wärme und das bisschen Feuchtigkeit speicherte, die von den sechzehn Millimeter Niederschlag pro Jahr herrührte, aber natürlich würden die Hänge auch aus dem Karez-System bewässert. Es gab in China Lößmächtigkeiten von bis zu vierhundert Metern, zum Beispiel am Gelben Fluss, wo sich die Sedimente ablagerten. Doch im „Grape Valley“ stammte der Löß von den „Flammenbergen“, von wo er durch Winderosion an den Hängen aufgeschichtet wurde. Löß war ein ausgesprochen fruchtbarer Boden, für den Weinbau hervorragend geeignet.

Liang hatte auch im Rheingau Lößboden kennengelernt und dessen Fruchtbarkeit erfahren können. Ich sah die voll hängenden Weinstöcke, rote dicke Trauben hingen an ihnen, die nur auf die Lese warteten. Daneben hingen gelblich-weiße Trauben, die stammten von den Rieslingen und vom Müller-Thurgau, die Roten waren Dornfelder und Spätburgunder. Liang hatte von jeder Weinsorte genug Trauben, um jeweils circa fünfzig Flaschen zu ziehen. Wenn er den Anbau seiner neuen Sorte in großem Stile betreiben wollte, musste er Käufer gewinnen, mehr Käufer als die Touristen, die in der Saison das „Grape Valley“ bevölkerten, Liang musste Nachfrage schaffen, wie das in der Fachsprache der Wirtschaft genannt wurde. Nachfrage in großem Umfange konnte man nur über Werbung schaffen. Liang dachte dabei nicht nur an Plakate oder Zeitungsannoncen, Liang dachte an Fernsehwerbung, wie sie jeden Tag über den Sender lief, den Millionen von Chinesen sahen. Er musste sich einen Werbeclip überlegen bzw. sich von sachkundigen Leuten dabei beraten lassen. Ich fragte Liang, ob ich seine Trauben probieren dürfte, er sagte, dass ich mir überall ein paar abknipsen dürfte. Ich sollte sie aber in dem kleinen Rinnsal, das durch das Feld floss, abspülen, denn er würde Gift spritzen. Das wäre aber nicht sehr umweltfreundlich, sagte ich Liang.

Er entgegnete, dass man im Weinbau keine andere Möglichkeit hätte, auch in Deutschland würde Gift ohne Ende gespritzt. Es gäbe zu viele Schädlinge, die hüben wie drüben ganze Weinernten zunichtemachten, da blieb ihm gar keine Wahl. Ich wusch meine Trauben gründlich ab und biss hinein, ich merkte schon, dass sie vollmundig, aber nicht in klassischem Sinne süß waren. Ich fragte Liang, wann er denn seine Weinlese durchführen wollte, und er antwortete, dass er erst die weißen kernlosen Trauben ernten wollte, die Trauben, die seit Jahrhunderten im „Grape Valley“ angebaut würden. Es wäre gut, dass ich da wäre, denn bei der Weinlese würde jede Hand gebraucht. Klar, dass ich mithelfen würde, sagte ich, ich würde Liang auch bei der Lese seiner deutschen Trauben helfen. Die Weinlese begänne in zwei Tagen, sagte Liang, sein Vater, seine Mutter und sein Bruder würden helfen, vielleicht könnte er noch einige Bekannte aus dem Dorf gewinnen, es gäbe Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten, er würde sehen. Die Trauben, die Liang da aus Deutschland hatte, waren meiner Meinung nach vielversprechend, aber ich war ja kein Sommelier. Liang hatte schon eher das Vermögen, Weine auf ihren Gehalt hin zu beurteilen, aber es gab ja noch keinen Wein, sondern zunächst nur die Trauben an den Weinstöcken.

Die Sonne beschien den Hang den ganzen Tag über, nachts war es kühl, insgesamt war es niederschlagsarm, zur Bewässerung diente das Schmelzwasser aus dem Tienshan, optimale Bedingungen also, um einen guten Tropfen zu erhalten. Wir gingen wieder nach Hause und Liang zeigte mir den großen Bottich im Gerätehaus, er überprüfte die Spindelpresse auf ihre Funktion hin. Dann untersuchte er den Wagen, mit dem die Trauben geholt würden, kontrollierte den Luftdruck in den Reifen und die Tragekiepen, ob bei ihnen die Schulterriemen in Ordnung waren. Ich half Liang dabei, besonders als es darum ging, den Bottich zu reinigen. Ich stellte mich hinein und schrubbte den hölzernen Boden und die Wände mit einer Wurzelbürste. Am Nachmittag war die Arbeit erledigt und wir setzten uns in die Laube. Ich fragte Liang, was er an den Deutschen mochte und was er an ihnen nicht mochte. Liang überlegte eine ganze Zeit lang, bevor er antwortete, dann sagte er, dass er die Strebsamkeit und den Arbeitswillen an den Deutschen gut fände. Jedem wäre klar, dass es ein Leben ohne Arbeit nicht gäbe, alle müssten in einer Volkswirtschaft an der Erstellung des Bruttosozialproduktes beteiligt sein. Nicht so gut hätte er gefunden, dass viele verbissen und verbohrt wären, auch Fremdenfeindlichkeit hätte eine Rolle gespielt, als er sich im Rheingau aufgehalten hätte, es gäbe in Deutschland zu wenig Gelassenheit. Wie ich denn die Chinesen fände, wollte Liang dann im Gegenzug von mir wissen.

Ich überlegte auch eine Weile und sagte, dass ich, um mir ein gründliches Urteil über die Chinesen erlauben zu können, noch nicht lange genug in China wäre, eines wäre mir aber schon in der kurzen Zeit meines Aufenthaltes aufgegangen, das Vorurteil behaftete Bild von China, wie es in Europa noch bei weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet wäre, das würde so nicht mehr stimmen. Es gab den gleichförmigen Ameisenstaat nicht mehr, wie er unter Mao zur Zeit der Kulturrevolution propagiert wurde, auch in China würde Individualität betont, allerdings hätte ich mir Gedanken zur chinesischen Nationalitätenpolitik gemacht. China wäre wegen seiner Größe schon ein besonderes Land mit vielen Volksgruppen, Kulturen und Religionen und von daher schon nicht so einfach mit einem europäischen Land zu vergleichen. Dann wollte Liang, dass wir uns Gedanken zu einem Fernsehclip machten, er wollte sich nicht einfach einem Fernsehmacher ausliefern und etwas eigenes vorweisen können. Ich war einverstanden und wir saßen mit Papier und Bleistift in der Laube und überlegten. Liang meinte, dass wir uns einen Werbespruch überlegen sollten, der zöge, der in das Herz der Chinesen zielte. Man müsste zuerst überlegen, was den Chinesen heilig wäre, dann käme man schon auf ein Werbemotto. Heilig wäre den Chinesen ihre Familie, das müsste im Kern der Werbebotschaft angesprochen werden, man müsste eine Verbindung zwischen dem Wein und der Familie herstellen. Damit war in meinen Augen alles klar. Der Clip müsste ein Ehepaar mittleren Alters mit einem Kind zeigen, das sich in seinem Wohnzimmer aufhielt und sich wohlfühlte. Dann müsste die Frau eine Flasche Wein aus der Küche holen und beiden ein Glas einschenken. Mann und Frau würden sich zuprosten, ob sie sich auch küssen dürften, müsste Liang entscheiden, das Kind spielte mit seinem neuen Spielzeug und war glücklich, das wäre alles. So ein Clip dürfte in der Regel ja nur dreißig Sekunden dauern! Liang fand die Grundidee hervorragend, er glaubte, dass mit dem Familienklischee viele angesprochen würden. Auch jungen Leuten würde man damit aus der Seele sprechen, eine glückliche Familie strebten schließlich alle an.

Wir schrieben unsere Werbeidee auf und fertigte ein paar Zeichnungen zu den Räumlichkeiten an. Es sollte ein typisches Wohnzimmer sein, ein Sofa, ein Wohnzimmertisch, vor dem Tisch lag ein Teppich, auf dem der Junge (!) mit seinem Spielzug spielte. Der Mann war das Familienoberhaupt und das sollte auch vermittelt werden, er machte es sich auf dem Sofa bequem, die Frau umsorgte ihn. Das traditionelle chinesische Rollenverständnis durfte nicht angetastet werden, es musste im Gegenteil im Werbespot betont und so bestätigt werden.

Wir dachten beide, dass der Clip in seiner Grundstruktur stand. Es ging dann noch um einen Namen für den Rotwein und einen für den Weißwein. Es gab schon Namen wie „Drachenperle“ oder „Stutenauge“, diese Namen waren für den europäischen Geschmack aber eher ungewöhnlich, aber „Kröver Nacktarsch“ oder „Liebfrauenmilch“ waren auch nicht gerade gewöhnlich. Die Namen mussten das Leichte und Spritzige betonen.

Die Namensfindung stellte sich als schwerer heraus, als ich gedacht hatte. Namen wie „Stierblut“ oder „Mädchentraube“ schieden aus, sie suggerierten Schwere und gehaltvolle Süße. Auf der anderen Seite musste man an den Geschmack der Chinesen denken und da war ich mir sehr unsicher, ich konnte den chinesischen Zeitgeist nicht einschätzen.

Vielleicht sollte der Clip etwas Deutsches enthalten, denn die Deutschen wurden in China geachtet. Wir schoben die Namensfindug noch etwas vor uns her, so sehr eilte das ja auch nicht. Liang setzte sich aber mit dem Fernsehen in Verbindung und vereinbarte ein Treffen mit den Fernsehleuten in der nächsten Woche.

Liangs Mutter rief uns zum Tee ins Haus, sie hatte gebacken und ließ uns von ihren köstlichen Kuchen probieren. Liangs Vater saß auf dem Sofa, trank eine Tasse Tee und rauchte eine seiner stinkenden filterlosen Zigaretten. „Weiße Perle“, sagte Liangs Mutter mit einem Male, das wäre doch ein passender Name für einen leichten Weißwein. Liang schaute mich an, ich nickte und fand den Namen sehr eingängig und passend, den würden wir nehmen, sagte Liang und dankte seiner Mutter. Dann sagte ich, dass ich für den Rotwein „Roter Flammenberg“ ganz treffend fände und Liang stimmte mir zu. Merkwürdig war, dass wir zuerst in der Laube gesessen und uns lange die Köpfe zerbrochen hatten und dann einem plötzlich innerhalb von Minuten die Namen einfielen.

Zugegeben, sehr kunstvoll oder einfallsreich war der Name „Roter Flammenberg“ nicht, und man hätte in Deutschland sicher Schwierigkeiten, einen Wein mit einem solchen Namen zu verkaufen, der Name war aber ein Hinweis auf die Lage und den Charakter des Weines und wenn Liang mit dem Namen einverstanden wäre, würden wir den Namen auch nehmen. Nach dem Tee gingen wir wieder in die Laube, Liang sagte, dass er am nächsten Tag wieder Trauben in Turpan verkaufen müsste. Ich würde ihn begleiten, sagte ich.

Am nächsten Morgen fuhr uns Akuma mit dem LKW zum Stadtrand, von wo aus wir mit dem Karren ins Zentrum liefen. Der Karren war voll bepackt mit frischen kernlosen Trauben und mit Rosinen. Als wir in Höhe des Tulufan Museum waren, stellte Liang den Karren an den Straßenrand, nahm eine Kiste und setzte sich darauf. Werktags war in Turpan mächtig etwas los, wenn ich da an den zurückliegenden Sonntag dachte, als sich kaum jemand auf der Gaochang Road blicken ließ. Der Traubenverkauf lief sehr gut, am Mittag war schon das meiste weg. Die Alten kauften meistens Rosinen, während die Jungen Weintrauben nahmen und ihren Kindern davon gaben. Sie wuschen sie in einem der Brunnen an der Straße. Die Alten davon zu überzeugen, Wein zu trinken, würde sicher sehr schwer werden, aber wer wusste schon, wie die Werbung anschlagen würde?

Es gab in China schon fünf Regionen, in denen Weintrauben angebaut wurden, das North Eastern Plateau, die Bohai Bay, die Ancient Yellow River Area, die North Western Area und Shacheng. Aber nirgendwo in China gab es extensiven Weinbau, es fehlte einfach der Markt. Die natürlichen Voraussetzungen waren in China wenigstens in den genannten Regionen gegeben. Die Chinesen tranken aber lieber Reiswein, Pflaumenwein, Reisschnaps und Pflaumenschnaps. Diese Konsumgewohnheiten zu durchbrechen, darin sah Liang seine Aufgabe.

Am Nachmittag hatte Liang seine Tauben verkauft und etwas Geld verdient, viel war das nicht, es würde aber reichen, um zwei, drei Tage über die Runden zu kommen. Reich konnte man mit dem Traubenverkauf nicht werden, so viel war klar. Aber Liang wollte an der Situation etwas ändern, nicht dass er unzufrieden gewesen wäre, aber er dachte durchaus daran, sich einmal ein Auto oder ein Häuschen zu kaufen. Mit dem Traubenverkauf war das nicht möglich. Als wir wieder zu Hause waren, setzten wir uns auf ein Bier in die Laube. Am nächsten Morgen müssten wir früh zur Weinlese aufstehen. Akuma hatte im Dorf noch einen Bekannten angeheuert, der gegen Lohn mithelfen würde. Wir aßen zu Abend und gingen relativ zeitig ins Bett. Es war am nächsten Morgen noch dämmerig, als Liang mich weckte und mit zum Frühstück nahm. Seine Eltern saßen schon mit Akuma am Tisch. Wir frühstückten schnell und begaben uns dann in die Weinstöcke zum Hang. Jeder baute dort die gleiche Rebe an, weiß, kernlos, süß und fruchtig. Wir nahmen alle eine Kiepe und eine Astschere. Auf die Ladefläche des LKW, der unten an der Straße parkte, hatten wir eine Folie gelegt, damit die Weintrauben nicht übermäßig verdreckten.

Am Anfang war das Bücken mit der Kiepe auf dem Rücken ungewohnt, nachher ging es dann. Man schnitt die Weintraubenbündel ab und warf sie in seine Kiepe, die natürlich allmählich an Gewicht zunahm. War die Kiepe voll, lief man den Hang hinunter und kippte sie auf den LKW. Die Arbeit war anstrengend, die Sonne brannte vom Himmel. Am Mittag machten wir eine Pause.

Liangs Mutter, die, wie auch sein Vater, genau so hart am Hang arbeitete wie wir anderen, hatte Brote für jeden dabei, auch hatte sie ein Reisgericht gekocht. Jeder bekam einen Teller und einen Löffel und aß, ohne viel zu sprechen. Dann gab es Wasser und wer wollte, konnte auch Bier trinken. Bei der Hitze aber Bier zu trinken, würde ungemein ermüden und sofort zu Kopf steigen. Es waren vierzig Reihen Wein von jeweils fünfzig Metern Länge, die zu ernten waren, wir mussten dreimal mit dem LKW zum Hof fahren und den Kipper leeren. Anschließend fuhren wir zum Hang zurück, legten die Folie wieder aus und die Arbeit ging weiter. Am Abend, als wir endlich fertig waren, hatten wir viereinhalb LKW-Ladungen Weintrauben zum Hof gebracht. Die letzte Ladung beließen wir auf dem Kipper, weil der Bottich voll war und erst einmal gepresst werden musste. Mit dem Pressen warteten wir aber bis zum nächsten Tag, den LKW stellten wir beladen ins Gerätehaus. Wir gingen alle zum Abendessen und waren ziemlich geschafft.

Ich freute mich auf ein Bier, das ich schon zum Essen trank. Nach dem Essen fragte ich Liang, was mit dem Trester geschähe. Den Trester würde er dem Vieh zu fressen gegeben oder untergegraben, so würde er als Dünger für die Weinstöcke dienen. Ich sagte ihm, dass wir in Deutschland Tresterschnäpse kannten, in Italien würde man den sogenannten „Grappa“ herstellen und in alle Welt exportieren, der „Grappa“ hätte zwischen siebenunddreißig und fünfzig Prozent Alkohol.

Liang sagte, dass er einen Teil des Tresters zurückbehalten und destillieren wollte, er müsste sich nur noch um eine Destille kümmern. Liang hatte sich aus Deutschland ein Refraktometer mitgebracht, mit dem man das Mostgewicht des Traubenmostes bestimmte. Dieses Verfahren war relativ modern, man maß die Zuckerkonzentration optisch. Ein anderes Verfahren war die Messwaage oder das Aröometer mit angepasster Skalenteilung. Nach Archimedes sank ein Körper so tief in eine Flüssigkeit ein, bis das Gewicht der von ihm verdrängten Flüssigkeit dem Eigengewicht des Körpers entsprach. Da der Most wegen des Zuckers und anderer gelöster Stoffe ein höheres spezifisches Gewicht hatte als Wasser, ergab sich als Formel für die Oechsle-Grad: (d-1)*1000. Ein Most mit einem Gewicht von 1.083 kg/l hatte also 83° Oechsle, was einem erwartbaren Alkoholgehalt von zwölf Prozent entsprach. Am nächsten Tag würde Liang die Oechsle-Grad seines Traubenmostes bestimmen.

Ich fand es wieder merkwürdig, bei einem Weinbauern in der Stube zu sitzen und Bier zu trinken. Wir waren am nächsten Morgen früh an der Presse, sprühten die Trauben mit Wasser ab und pressten den ersten Most. Wir hielten die Spindelgriffe zu zweit und holten aus den Trauben den letzten Tropfen heraus. Das war das erste Mal, dass aus den Trauben des Weinhofs Most gepresst wurde. Am Mittag hatten wir die letzten Trauben gepresst und Liang hielt von dem Trester etwas zurück. Wir ließen den Tresterrest zwei Tage lang leicht an gären. Dazu hatte Liang in Turpan Gärhefe besorgt, die während des Gärprozesses den vorhandenen Zucker in Alkohol und Kohlendioxid verwandelte, sodass die Maische entstand. Diese Maische füllten wir in eine Brennblase, die nichts anders war als ein Kessel. Beim Erhitzen der Maische verdampften die Methanole und Fuselöle. Beim sogenannten „mittleren Durchlauf“ entstand die Spirituose. Es kam darauf an, Alkohol und Wasser zu trennen, was wegen der unterschiedlichen Siedetemperaturen möglich war. Wir ließen uns überraschen, wir hatten kein Alkoholmeter, um den Alkoholgehalt zu überprüfen, wir mussten einfach probieren. Wenn der Schnaps brannte, war er vermutlich zu stark. Wir hatten bei unserer Tresterdestillation ungefähr 0.7 l Schnaps erzeugt und hofften, dass man ihn trinken konnte. Wir stellten ihn zur Seite und widmeten uns dem Most. Wir hatten circa achttausend Liter gepresst und füllten den Most in Stahltanks, die im Gerätehaus standen. Dort würde er ohne Zuckerzusatz oder Gärhefe gären und zu Wein werden. Wir reinigten den Pressbottich wieder, denn wir brauchten den Bottich noch für Liangs deutschen Wein, jedenfalls für den Weißwein. Liang und ich gingen wieder zu dem Hang, Akuma war mitgekommen, um zu helfen, außerdem fuhr er den LKW.

Wir setzten unsere Kiepen auf und schnitten die Traubenbündel ab. Wir ernteten zuerst die beiden Rieslinge und dann den Müller-Thurgau. Auf der Ladefläche des LKW hatten wir drei Fächer bereitet, um die Trauben getrennt voneinander transportieren zu können. Es kam in der Phase der Bearbeitung darauf an, die Trauben nicht zu vermischen und klar zu kennzeichnen. Liang hatte Zettel in die Fächer gelegt, auf denen die Sorten beschriftet waren. Dann fuhren wir zum Weinhof und pressten die Trauben, jede Sorte für sich. Wir füllten so drei Stahltanks, die wir jeweils mit einer Sortenangabe versahen. Dann fuhren wir zum Feld zurück und begannen mit der Ernte der beiden roten Weine, dem Dornfelder und dem Spätburgunder. Es kam beim Transport der Trauben immer darauf an, dafür zu sorgen, dass sie unversehrt blieben. Bei einer Beschädigung der Beerenhaut begänne im kleinen Umfang eine ungewollte Maischengärung, der Most nähme Farbe und Aroma der Beerenschale an und der Wein neigte zur Oxidation. Wir packten die Trauben deshalb in kleine Kisten, damit die unterem nicht durch die Last der oberen zerquetscht würden. Vom Rotwein hatten wir nicht so viel wie vom Weißwein, es waren ja auch nur zwei Sorten. Zu meinem Erstaunen wurden die Rotweintrauben nicht gepresst, sondern nur ganz oder in Teilen entrappt und zerdrückt.

Entrappen nannte man den Vorgang, bei dem die Trauben von den Stielen getrennt wurden. Während der Rotweingärung verblieben die Schalen, Kerne und übrigen Stiele im Most. Dadurch lösten sich Phenole und Tanine aus den Schalen und wurden so dem Most zugeführt. Der Gehalt an Taninen war ein ausschlaggebender Faktor bei der Qualität des Rotweins. In unserer Zeit kannte die Önologie dreißig verschiedene Tanine. Bei Rotweinen spielten sie eine größere Rolle als bei Weißweinen, da mit den Farbstoffen immer auch Gerbstoffe aus den Beerenhäuten extrahiert wurden. Späte Weinlese und hohe Reife sorgten für als weich und angenehm empfundene Tanine. Einfache Rotweine hatten eine Maischestandzeit von zwei bis drei Tagen. Es kam darauf an, während des Angärens den Trester immer wieder in die Maische zu drücken, er wurde durch die Kohlensäurebildung an die Oberfläche gespült. Das geschah mit Stangen oder langen Löffeln. Nach der Gärung wurde der Most abgelassen, geschwefelt und in Tanks gefüllt. Manche bauten ihren Wein in Barriques aus, was ihn in seinem Aromaspektrum beeinflusste. Liang dachte aber gar nicht an Barriqueausbau, er füllte den Most in zwei Stahltanks, die im Gerätehaus standen und neben den Weißweintanks untergebracht waren. Dann hieß es warten.

Liang wollte jungen Wein verkaufen, er musste mindestens drei Monate alt sein. Er musste immer wieder kosten, bis er der Ansicht war, dass der Wein genießbar war. Nachdem der Wein nun in den Stahltanks ruhte nahmen wir uns unseren Tresterschnaps vor. Ich hielt eine Flamme an ein mit Schnaps gefülltes Gläschen, der Schnaps brannte nicht, das hieß, dass sein Alkoholgehalt unter fünfzig Prozent lag und er damit genießbar war. Zu Hause hatten wir gelegentlich Feuerzangenbowle gemacht, dabei musste man einen Rum nehmen, der mindestens vierundfünfzig Prozent Alkohol hatte, damit er brannte und dabei den Zucker zersetzte. Liang hatte auch ein Gläschen vor sich stehen und wir prosteten uns zu. Ich nippte an meinem Schnaps und merkte sogleich, dass er stark und kratzig und nicht lieblich vollmundig war. Liang bestätigte meine Einschätzung und sagte, dass er bei nochmaligem Brennen auf Reinheit und eine gute Brennvorrichtung achten würde. Der Schnaps war aber nicht schlecht, er erinnerte mich stark an Grappa, um den für meine Begriffe viel zu viel Wirbel gemacht wurde. Er war und blieb ein Tresterschnaps, der also aus Abfallprodukten hergestellt wurde. Aber ich war nie ein Schnapsfan gewesen und konnte deshalb auch nicht als Maßstab dienen. Liang fand den Schnaps auch nicht schlecht, mit den gängigen Reis- und Pflaumenschnäpsen konnte er allemal konkurrieren.

Er wollte sich in der Folgezeit nach einer anständigen Brennanlage umsehen. Nachdem der Wein in den Stahltanks etwas zur Ruhe gekommen war, so nach ungefähr zwei Wochen, ging ich mit Liang ins Gerätehaus und nahm Verkostungen vor, wir hatten jeder ein Glas in der Hand, das sehr sauber gespült war und ließen aus dem jeweiligen Fass einen Schluck hinein laufen. Dann schüttelte Liang den Wein im Glas und roch kurz daran. Er schrieb seinen Gesamteindruck auf, ich tat es ihm gleich und schilderte ihm mein Geschmacksempfinden, wobei mein Geruchseindruck etwas beeinträchtigt war, weil ich in Essen einmal eine Operation an der Nasenscheidewand hatte durchführen lassen. Aber für das Riechen der Rieslinge, des Müller-Thurgaus, des Dornfelders und des Spätburgunders reichte mein Geruchssinn noch aus. Wir verkosteten zuerst den Weißwein. Dabei nahm Liang einen Schluck in den Mund, wälzte den Wein im Mund an den Geschmacksnerven vorbei und spuckte ihn wieder aus. Ich tat es Liang wieder gleich. Dann sagte ich, dass ich den Duft von frischem Gras in der Nase und am Gaumen hätte, dazu Fruchtnoten von Pfirsichen und exotische Aromen. Liang sagte, dass er frische Zitrusfrüchte schmeckte, aber auch Pfirsicharomen in der Nase hätte. Der erste Riesling musste als gelungen gelten, er war leicht und spritzig.

Wir tranken einen Schluck Mineralwasser, um den Geschmack zu neutralisieren. Dann gingen wir an den zweiten Riesling. Auch er konnte überzeugen, er hatte etwas Furchtiges, das ich bei Ananas ansiedelte. Liang gab mir recht, glaubte aber auch Stachelbeeraromen schmecken zu können. Der Wein wirkte sehr trocken, war dabei aber angenehm. Der Müller-Thurgau schmeckt noch unreif, entwickelte aber Aromen von Honig und Mandeln am Gaumen, Liang schmeckte noch Nüsse, Birnen und exotische Früchte. Auch dieser Wein war trocken, wirkte aber sehr vollmundig. Die drei Weißen mussten als gelungen gelten.

Wir würden am nächsten Tag anfangen, sie auf Flaschen zu ziehen. Dann gingen wir zu den beiden Rotweintanks. Beim Rotwein konnten verschiedene Duftnoten eine Rolle spielen, die meist nur in Kombination zu riechen, aber oft nur tendenziell wahrzunehmen waren. So gab es zum Beispiel Vanille, Mokka, Tabak und Kakao als eine Duftharmonie, dann Beeren, Pflaumen, Holznoten, Schokolade, Kirschen Heidelbeeren, Gewürznoten und sogar Paprika. Wir fingen mit unserer Verkostung beim Dornfelder an, ich notierte runde Wald- und Johannisbeernoten, dazu ein saftiges Kirscharoma und zeigte meine Notizen Liang, der auch Kirschen und Johannisbeeren, aber auch eine Mandelnote notiert hatte, außerdem hatte er noch seidiges Tanin aufgeschrieben. Der Dorndelder machte einen sehr guten ausgewogenen Eindruck, er würde sich bestimmt gut verkaufen lassen. Der Spätburgunder brachte volle Aromen von Kirschen und Himbeeren, den Spätburgunder schluckten wir hinunter, man spürte dann seinen „Abgang“, den es zu charakterisieren galt, manche sprachen von „Finale“. Es wurde Weinen ein lebendiges „Finale“ zugeschrieben, unser Spätburgunder hinterließ bei mir einen vollmundigen und gleichzeitig trockenen Eindruck. In der Weinfachsprache war ein „Abgang“ das Verspüren der Geschmacksstoffe beim Trinken, genauer gesagt beim Hinunterschlucken in der Kehle. Ein langer „Abgang“ wurde als positiv bewertet und sprach für die Qualität des Weines. Der Geschmack im Gaumen, besonders beim Schlucken, wurde in „Caudalies“ („Abgang“ in Sekunden) gemessen, ein „Abgang“ von zwanzig „Caudalies“ wurde als gut bewertet. Wir legten solch hohe Hürden bei der Bewertung unseres Rotweines nicht an.

Mir gefiel der Dornfelder am besten, aber bitte, ich war kein Weinkenner. Liang meinte aber auch, dass ihm der Dornfelder unter unseren Weinen am meisten zusagte. Wir würden auch den Rotwein auf Flaschen ziehen und zusammen mit dem Weißen zunächst in Turpan verkaufen. Liang hatte von jeder Sorte ungefähr hundert Flaschen, er müsste vorsichtig damit umgehen, damit nicht sofort alles verkauft wäre. Dann stand das Treffen mit den Werbefachleuten vom Fernsehen an. Es kamen zwei Leute vom Fernsehstudio in Urumqi, mit denen wir uns in Turpan trafen. Wir gingen zusammen in eine Bar in der Gaochang Road, und Liang und ich sagten, was wir wollten. Wir stellten den Fernsehleuten unser Konzept vor und hörten uns an, was sie dazu zu sagen hatten.

Sie sagten, dass ein Werbeclip im Regelfall dreißig Sekunden dauerte, man müsste sehen, dass man das, was einem vorschwebte, auf diese Zeitspanne bringen könnte. Unser Konzept wäre gut und ließe sich auch mit relativ wenig Aufwand verwirklichen. Es müsste aber mehr Pep hinein. Es reichte nicht aus, ein glückliches Ehepaar und dessen Kind in seinem Wohnzimmer zu zeigen, es müsste etwas passieren, das die Zuschauer aufhorchen ließ. Es müsste ein Problem auftauchen, dessen Lösung der Weiß- oder der Rotwein wäre. Denkbar wäre zum Beispiel ein Familienkrach, der über den Weingenuss beigelegt werden würde. Wir sollten ein Drehbuch schreiben und damit nach Urumqi kommen, sagten uns die Fernsehleute. Man würde dann das Drehbuch mit Schauspielern umsetzen. Die beiden Fernsehleute ließen ihre Karte da und verabschiedeten sich wieder. Sie hätten das, was wir uns überlegt hätten, wenigstens nicht in der Luft zerrissen, sagte Liang. Aber das mit dem Familienkrach, das leuchtete ein. Sofort begannen wir mit den Überlegungen zur Einbindung eines Spannungselementes. Wir fuhren zur Ausarbeitung aber wieder nach Putaogou und setzten uns in die Laube. Dieses Mal holte Liang uns kein Bier, sondern er stellte jedem ein Glas Riesling vor die Nase. Ich nahm einen Schluck, er schmeckte jung, spritzig und frisch, er war genau das Richtige für die Tageszeit. Wir legten eine kleine Denkpause ein, in der jeder seine Vorstellungen auf ein Blatt Papier schrieb. Mir schwebte vor, dass das Ehepaar streitend ins Wohnzimmer käme und er sich aufgeregt aufs Sofa fallen ließe, sie käme dann mit einem Glas Rot- und einem Glas Weißwein, gäbe ihm den Roten und lächelte ihn an, sie sähen sich beide tief in die Augen und tränken. Es ertönte Versöhnungsmusik und beide lägen sich in den Armen, das Kind spielte glücklich mit seinem Spielzeug. So etwas Ähnliches hatte sich Liang auch überlegt, nur wusste er nicht, ob es gut wäre, zwei Weinsorten erscheinen zu lassen. Er fände meine Idee aber gut und übernahm sie.

Es müsste dann nur noch ein Satz kommen, in dem die beiden Weinnamen genannt würden. „„Roter Flammenberg“ und „Weiße Perle“ stiften den schönsten Familienfrieden“, so oder ähnlich müsste der Satz lauten. Er müsste vor allem einprägsam sein, dazu wären Reime immer sehr gut geeignet. Aber solche Reime zu finden, das wäre schwer. „Hat die Familie einmal Streit, halte immer „Roter Flammenberg“ und „Weiße Perle“ bereit“, das gefiel Liang, damit wollten wir nach Urumqi fahren. Wir rekapitulierten noch einmal die gesamte Szene. Das Ehepaar käme streitend ins Wohnzimmer, man bekäme den Grund für den Streit aber nicht richtig mit, hörte nur, wie der Mann verärgert sagte: „Es ist doch immer dasselbe!“ Dann ginge die Frau in die Küche und erschiene danach mit zwei Gläsern Wein, gäbe ihrem Mann den roten und sagte: „Dieses Mal nicht!“ Sie lächelte ihren Mann an, er lächelte zurück, sie säßen Arm in Arm auf dem Sofa, das Kind spielte glücklich auf dem Teppich, dann ertönte Versöhnungsmusik und eine sonore Stimme spräche: „Hat die Familie einmal Streit, halte immer „Roter Flammenberg“ und „Weiße Perle“ bereit“. Das wäre gut, sagte Liang und telefonierte nach Urumqi.

Wir sollten drei Tage später um 12.00 h mit unserem Drehbuch erscheinen. Liang war ganz aufgeregt und ich war auch nicht mehr ruhig. Sein Wein käme ins Fernsehen, sagte Liang seinen Eltern, ins chinesische Staatsfernsehen, wir würden nach Urumqi fahren und einen Werbespot drehen. Liangs Eltern schüttelten die Köpfe, die Mutter fragte Liang, warum er das viele Geld dafür bezahlen wollte. Liang antwortete, dass er nur so möglichst viele Menschen von der Qualität seines Weines überzeugen könnte, er wäre überzeugt davon, dass das „Grape Valley“ in Kürze nur so von Menschen wimmelte, die seine Weine kaufen wollten. Da fiel ihm ein, dass im Werbespot noch ein Hinweis auf die Herkunft des Weines fehlte. Die Stimme müsste fortfahren und sagen: „Diese Weine gibt es bei Liang in Putaogou“. Das wäre es, sagte Liang voller Überzeugung. Er müsste dann viel neuen Wein anbauen. Ohne zu wissen, wie sein Werbespot ankäme, bestellte Liang im Rheingau via Internet neue Weinstöcke der Sorte Dornfelder. In Turpan gab es Internet-Cafes, wo er seine Bestellung aufgab. Schon nach acht Tagen waren seine Weistöcke da. Er fuhr mit mir zum Hang und pflanzte sie neben die schon dort stehenden Stöcke.

Paulo und Liang (7)

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