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Kapitel 2

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Wie war er so plötzlich hierhergekommen? Alexander sah sich nach allen Seiten um. Der Weg auf dem er so urplötzlich lief war eindeutig der Weg zum Ferienhaus seiner Eltern am See. Wie in Trance trugen ihn seine Füße immer näher zu seinem scheinbaren Ziel. Es dämmerte und unter seinen Füßen knirschte der Kies bei jedem Schritt. Eine Ahnung beschlich ihn und der Angstschweiß begann sich auf seiner Stirn zu sammeln. Unbewusst wurde er immer schneller, bis er beinahe lief. Da. Er konnte es sehen. Das große Holzhaus, in dem sie zu seiner Jugendzeit so viele Ferientage verbracht hatten und an die er nicht nur gute Erinnerungen hatte. Rauch quoll in dicken Schwaden empor und er konnte hinter den zersplitterten Fensterscheiben erkennen wie Flammen vom Inneren bereits Besitz ergriffen hatten. Er meinte schon die Wärme zu spüren, die von dieser Szenerie ausging. Panik machte sich in ihm breit als er begriff wo er sich befand und was hier gerade geschah. Als er von links ein höhnisch klingendes Lachen vernahm blieb er abrupt stehen und blickte in die Richtung aus der es kam. Da, auf einem großen Felsblock der wie von Gottes Hand wahllos in die Landschaft geworfen in der Nähe des Hauses lag, konnte er ihn sitzen sehen. Ein junger Mann mit schwarzen Haaren und dunklen Augen. Er saß auf dem Steinblock, auf einem großen Grashalm kauend, blickte auf das mittlerweile in voller Ausdehnung brennende Ferienhaus und lachte gehässig. Sein eigenes Ebenbild. Alexanders Blicke schweiften vom brennenden Haus zu dem Kerl dessen Gesicht er jeden Tag im Spiegel wiederfand und lief auf ihn zu. „Wo ist sie…?“ schrie er den Mann an, der genau so aussah wie er selbst. Doch er erhielt keine Antwort. Nur das Lachen wurde immer lauter und hysterischer bis Alexander es beinahe nicht mehr aushielt. „Wo ist sie…?“, rief er noch einmal lauter als zuvor. Da hob der Mann auf dem Felsblock langsam seine linke Hand und richtete seinen Zeigefinger auf das brennende Haus. „Nein…“, entfuhr es lauthals Alexanders Kehle. Er konnte und wollte nicht begreifen was das hieß, als er plötzlich und unerwartet etwas Feuchtes in seinem Gesicht spürte. Verwirrt blickte er um sich und das Bild vor seinen Augen wurde undeutlicher. Allmählich verschwamm es immer mehr und nach einem erneut nassen Angriff auf sein Gesicht verschwand die ganze grauenvolle Szene völlig. Langsam schlug er die Augen auf und nahm die Gegend um sich herum wahr, bis ihm völlig bewusst wurde wo er sich befand. Er hatte ihn wieder einmal gehabt. Diesen furchtbaren Albtraum der ihn schon seit Jahren verfolgte. Nur hatte er heute anders geendet als sonst, und der Grund dafür lag unverkennbar auf seinem Brustkorb und blickte ihm auffordernd und schwanzwedelnd ins Gesicht.

Sein momentanes „Pflegekind“ hatte offenbar bemerkt wie sehr ihn sein, immer wieder kehrender, Traum quälte und hatte ihn auf seine ganz eigene Art und Weise aus dieser furchtbaren Situation befreit. Trotz der Ängste die sein Traum immer wieder in ihm wachrief konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er kraulte den kleinen, namenlosen Hund hinter den Ohren und redete leise mit ihm. „Na, du kleiner Räuber….Hast wohl bemerkt, dass ich schlecht träume. Danke, dass du mich aufgeweckt hast. Aber eigentlich dulde ich keine Hunde in meinem Bett.“ Alexander schmunzelte und brachte es einfach nicht übers Herz ihn hinunter zu scheuchen. Nach einem Blick auf die Uhr war ihm klar, dass es keinen Wert hatte noch einmal an Schlaf zu denken. Es war beinahe sechs Uhr morgens und ohnehin bald Zeit aufzustehen. Also entschloss er sich dazu es gleich zu tun und hob seinen Retter aus diesem unsäglichen Albtraum mit der einen Hand und deckte sich mit der anderen auf um aus dem Bett zu steigen.

Er setzte den Hund auf dem Boden ab und ging in die Küche. Dort öffnete er eine weitere Dose Hundefutter und setzte sie dem Kleinen, der ihm auf Schritt und Tritt gefolgt war, vor die Nase. Der fraß den Inhalt im Nu und mit großem Appetit, während Alexander ins Bad ging um zu duschen. Das Wasser hatte Alexander auf beinahe kalt eingestellt um die Schrecken der Nacht abzuspülen und einen klaren Kopf zu bekommen. Immer wieder hatte er diesen furchtbaren Traum. Warum nur konnte er die Vergangenheit nicht endlich ruhen lassen? Nichts wünschte er sich mehr als endlich ein ruhiges, normales Leben zu führen. Aber das war ihm nicht vergönnt. Selbst wenn er selbst es versuchte….immer wieder, gerade wenn er dachte er hätte es geschafft, holte ihn die Vergangenheit wieder ein. Nach dem Duschen stand er am Waschbecken und starrte lange in den Spiegel darüber. Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn, über die über Nacht gesprießten Bartstoppeln und schüttelte kaum merklich den Kopf. Dieses Gesicht, mit dem er zu leben gelernt hatte und, dass er andererseits so hasste. Doch alles Grübeln halft nichts. Er begann damit sich zu rasieren und machte sich fertig für einen neuen Tag. Wieder kam ihm die schöne Blonde von gestern in den Sinn. Wie wäre ihre Begegnung wohl verlaufen wenn er eine andere Vergangenheit gehabt hätte. Hätte er versucht mit ihr zu flirten? Oder hätte er sie vielleicht gar nicht richtig wahrgenommen weil er bereits ein glücklich verheirateter Familienvater wäre? Wenn, wenn, wenn…… das alles brachte ihn schließlich nicht weiter und „es ist so wie es ist“, dachte er kopfschüttelnd. Er ging in die Küche um nach seinem neuen kleinen Freund zu sehen, der sich anscheinend so schnell erholt hatte. Struppig stand der vor der leeren Schüssel, die als Fressnapf diente und schaute ihm erwartungsvoll mit schräger Kopfhaltung entgegen. Die Ohren gespitzt lauschte er den Worten Alexanders. „Na mein Kleiner. Es wird wohl Zeit, dass wir beide kurz eine Runde nach draußen gehen bevor hier noch ein Malheur geschieht. Ich hab bestimmt noch eine Leine unten in der Praxis. Lass uns mal nachsehen.“ Und so machten sich die zwei auf den Weg nach unten. Tatsächlich lagen noch mehrere Leinen vom Vorgänger beim Empfangsbereich der Tierarztpraxis parat. Sehr praktisch, dachte Alexander. Eine der mittleren Größen passte dem Streuner auf Anhieb und so legten sie los und drehten eine Runde um die Häuserblocks und der dazu gehörenden kleinen Parkanlage. Die frische Luft tat Alexander gut. Es war kalt und hatte über Nacht ein paar Schneeflocken gegeben. Doch der meiste Schnee war nicht auf den Straßen und Wegen liegengeblieben. Lediglich auf den Rasenflächen lag eine dünne Schneedecke. Das schien dem Hund jedoch nichts auszumachen. Interessiert schnupperte er an allen Sträuchern und man hatte den Eindruck er könnte sich stundenlang damit beschäftigen an einem einzigen, aus dem Schnee aufragenden, Grashalm zu riechen. Wieder einmal konnte Alexander es nicht fassen wozu Menschen doch fähig waren. Dieser tolle kleine Hund zeigte so viel Charakter. Nach allem was ihm scheinbar zuvor zugestoßen war hatte er sich rasend schnell erholt und strotzte nur so voller Energie und Lebensfreude. Aber gerade in seiner Tätigkeit als Tierarzt hatte er auch schon ganz andere Dinge gesehen. Schlimme Dinge, zu denen Menschen fähig sind. Gerade das war es ja gewesen, was ihn schon in jungen Jahren dazu bewogen hatte, diesen Beruf eines Tages ausüben zu wollen. Zunächst waren seine Eltern damals nicht damit einverstanden gewesen, dass er diese Richtung einschlug. Als Tierarzt sei man schließlich nicht genügend anerkannt. Er solle doch lieber in die Human-Medizin gehen. Gar als Chirurg etc. wenn er denn schon so etwas in der Art vorhabe. Ihm klangen oft noch die Worte seines Vaters in den Ohren. Doch diesmal hatte er sich durchgesetzt, sein Vorhaben durchgezogen und irgendwann hatten seine Eltern das schließlich akzeptieren müssen.

Nach einer halben Stunde beendeten die Beiden ihren Spaziergang und Alexander hatte einen Entschluss gefasst. Sollte sich kein Vorbesitzer für „Rusty“ finden, so nannte er den Kleinen bereits insgeheim aus unerfindlichen Gründen, dann würde er ihn behalten. Ihm selbst tat die Gesellschaft dieses kleinen Hundes gut und so wäre er wenigstens an den langen Abenden nicht mehr alleine. Zudem war er so zumindest gezwungen regelmäßig nach draußen zu gehen. Das hatte er schon lange nicht mehr gemacht und den Spaziergang in vollen Zügen genossen. Mit diesen Gedanken betrat er die Praxis. In Kürze war es Zeit sie zu öffnen. Dann würde er einer seiner Sprechstundenhilfen den Auftrag geben nachzuforschen ob Rusty irgendwo bereits als vermisst galt. Insgeheim hoffte er sehr, dass das nicht der Fall wäre.

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Bibbernd vor Kälte wachte Sarah am nächsten Morgen auf. Warum war es nur so kalt in ihrer Wohnung? Mit steifen Gliedern quälte sie sich aus dem Bett. Die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, ging sie ins Bad. Auch hier war es furchtbar kalt. Sie hielt ihre Hand an den Heizkörper und musste feststellen, dass er genau so kalt war wie befürchtet. So wie es aussah war die Heizung schon wieder einmal ausgefallen. Das konnte ja heiter werden. Also war heute Morgen eine Katzenwäsche angesagt. Beim Spülen nach dem Zähneputzen taten ihr die Zähne weh, so kalt war das Wasser. Sie versuchte das Beste aus der Situation zu machen und wusch sich in Windeseile um sich kurz darauf warm anzuziehen. Eigentlich hatte sie heute vorgehabt bei ihrer netten Nachbarin, Frau Wiesner, auf einen Kaffee oder Tee vorbeizukommen. Aber wenn ihre Wohnung kalt war, so war das bei Frau Wiesner genauso. Also beschloss sie ihre Nachbarin in ein nettes Kaffeehaus in der Innenstadt einzuladen. Dort konnte man wunderbar frühstücken und insgeheim galt das Kaffee als Treffpunkt für viele die sich sonst nicht die Mühe machten, den Morgen mit einem ordentlichen Frühstück zu beginnen. Sie war sicher, dass ihre Nachbarin genauso froh darüber sein würde dieser Kälte für einige Momente zu entkommen. Hoffentlich brachte der Notdienst das bald wieder in Ordnung. Sonst konnte das Wochenende nicht gerade gemütlich verlaufen. Sie griff zum Telefon und rief bei der Hausverwaltung an um den Stand der Dinge zu melden. Doch die wussten bereits Bescheid und versprachen so schnell wie möglich für Abhilfe zu sorgen.

Sie ging die zwei Stockwerke nach unten und klingelte an Frau Wiesners Wohnungstür. Mit einer Decke über der Schulter und eingezogenem Genick öffnete ihr die ältere Dame. Obwohl es ihr, angesichts der Kälte, nicht gut ging lächelte sie sofort als sie erkannte wer vor ihrer Tür stand. Sarah wusste, dass Frau Wiesner stets unter Rheuma-Attacken litt und, dass gerade die Kälte ihr diesbezüglich schadete. „Oh je, Frau Wiesner. Mir ist ja schon irre kalt, wie muss es Ihnen denn da erst gehen?!“ „Ach das wird schon wieder Mädchen….!“ Tapfer wie immer reichte sie ihrem Besuch die Hand. „Ich hab eine Idee Frau Wiesner. Ich lade sie heute Morgen zu einem schönen Frühstück ins Kaffee Schneider ein. Was meinen sie?“ Linda Wiesner bekam große Augen. „Aber das kann ich doch nicht annehmen. Wenn dann bezahle ich schon selbst.“ Sarah winkte lächelnd ab. „Tut mir leid Frau Wiesner. Das können sie mir jetzt nicht abschlagen. So oft habe ich meine Spendierhosen nicht an.“, scherzte sie und Frau Wiesner musste lachen. „Also gut. Dann werde ich mich eben bei Gelegenheit revanchieren. Das ist eine tolle Idee von ihnen Sarah. Vielleicht haben wir ja Glück und die Heizung funktioniert wieder bis wir zurück sind. Kommen sie herein. Ich muss nur mal kurz eben meine Schuhe und meinen Mantel überziehen. Dann können wir gerne gehen.“

Wenige Minuten später saßen sich die Zwei in einer Nische des Kaffees gegenüber und erfreuten sich an einem ausgiebigen Frühstücksmenü. Bei Kaffee, Marmelade und Croissant erzählte Sarah ihr die Geschichte von dem kleinen Hund am Vorabend. Interessiert hörte ihr Gegenüber zu und als die Sprache auf den Tierarzt kam wurde Linda Wiesner sofort hellhörig. Die Art wie Sarah Ludwig von ihm sprach und ihre Wangen, die plötzlich eine andere Farbe annahmen, das alles kannte Frau Wiesner aus ihrer eigenen Jugend und sie lächelte in sich hinein. „Der junge Tierarzt hat es ihnen aber anscheinend ganz schön angetan Sarah… oder irre ich mich da?“ Sarah blieb beinahe der Bissen im Hals stecken und sie musste leise husten. „Merkt man das etwa?“, fragte sie mit aufgerissenen Augen. Linda Wiesner lachte. „Sie können es nur schwer verstecken Sarah. Wissen sie, in meinem Alter hat man schon so einiges erlebt und bekommt so ein Gespür für das Ein oder Andere!“

Einerseits war es Sarah peinlich und sie fühlte sich wie ein ertappter Teenager. Andererseits war Linda Wiesner genau der richtige Gesprächspartner für solche Dinge. Sie hatte ihr schon von so einigen ihrer Sorgen und Nöte erzählt. Alleine die Tatsache, dass jemand ein offenes Ohr für sie hatte half Sarah in so mancher Situation. Ihre Eltern wohnten nicht mehr in der Nähe und sie wollte sie auch nicht unnötig verängstigen wenn beispielsweise wieder eine Anrufattacke ihres Ex-Freundes Robert sie die ganze Nacht wachgehalten hatte. Der hatte es immer noch nicht aufgegeben und sie immer wieder belästigt. Robert konnte die Trennung von Sarah einfach nicht akzeptieren und rief sie ständig zu den unmöglichsten Zeiten an. Anfangs nur auf dem Haustelefon, später auch auf dem Handy. Und wenn er nicht anrief dann schickte er Nachrichten mit Texten die anfangs noch bittend und flehend waren. Doch später wurde er immer beleidigender und Sarah fühlte sich immer mehr bedroht von dem Mann mit dem sie einst Bett und Tisch geteilt hatte. Er war zu der Zeit ihrer Beziehung zwar manchmal regelrecht despotisch gewesen, aber dass er sie jetzt so sehr und gemein attackierte hätte sie niemals von ihm gedacht. Sein letzter Anruf war nun schon einige Tage her und sie hoffte insgeheim, dass er es nun endlich aufgegeben hätte.

Linda Wiesner wusste von Sarahs Problem mit ihrem Ex-Freund, doch helfen konnte sie ihr leider dabei nicht. Jedoch alleine die Tatsache, dass Sarah mit jemandem darüber reden konnte machte ihr das Ganze ein wenig leichter.

Und nun saß sie hier und bekam rote Wangen beim Erzählen der Geschichte von einem kleinen Hund und dem heldenhaften und ungemein attraktiven Dr. Lorenz!!! Welche Ironie. Man sollte doch meinen, dass sie von Männern nun endlich ein für alle Mal die Nase voll hatte. Doch ein wenig Schwärmerei schadete schließlich niemandem. Höchstwahrscheinlich würde ihr dieser Traummann mit der herrlichen Stimme niemals mehr über den Weg laufen. Und wenn dann würde er sie vermutlich noch nicht einmal mehr wieder erkennen.

Seufzend legte Sarah ihr Besteck auf den fast leeren Teller und hielt sich den Bauch. „Ich glaube ich muss dringend mal wieder ins Sportstudio. Das waren in letzter Zeit wohl so einige Spaghetti zu viel.“ „Ach was Mädchen.“, antwortete Linda Wiesner. „Sie sehen toll aus. Fangen sie nur nicht an mit irgend so einer dummen Diät. An einer Frau muss schon ein bisschen was dran sein damit sie attraktiv ist für einen netten Tierarzt oder so…..“, grinste sie und zwinkerte ihrem Gegenüber zu. Sarah lachte. „Nun ist aber gut Frau Wiesner, ich werde ja noch ganz verlegen.“ Linda Wiesner lächelte in ihrer gewohnt liebevollen Art. „Wie wär´s; lassen wir doch dieses Frau Wiesner. Ich heiße Linda und würde mich freuen wenn wir „Du“ zueinander sagen.“ Sie reichte Sarah die Hand und die nickte bestätigend mit dem Kopf. „In Ordnung Linda. Die Freude ist ganz meinerseits.“

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Robert Himmel konnte es nicht fassen. Schon wieder hatte sie ihn einfach weggedrückt. Dabei wollte er doch nur noch einmal in Ruhe mit ihr über alles reden. Sarah hatte seine Großzügigkeit mit Füßen getreten. Sie hatten sich damals im Sportstudio kennengelernt. Schon nach kurzer Zeit waren sie ein Paar und er hatte ihr angeboten bei ihm einzuziehen. Dass das nun alles vorbei sein sollte wollte und konnte er nicht einfach so hinnehmen. Es war doch alles super zwischen ihnen gelaufen. Er zahlte weiterhin die Miete, dafür hatte sie für den Haushalt zu sorgen. Das hatte sie anfangs auch ohne Murren gemacht. Doch nach und nach war sie regelrecht aufmüpfig geworden und hatte es immer häufiger gewagt ihm zu widersprechen. Das gefiel ihm gar nicht. Er war es gewohnt, dass die Frauen ihm gehorchten. Das war schon früher bei seinen Eltern so gewesen und das wünschte er sich - verdammt noch mal - auch für seine eigene Beziehung. Schließlich hatte er vor eines Tages mit Sarah eine Familie zu gründen. Und dann war sie von einem Tag auf den anderen einfach bei ihm ausgezogen. Hatte ihm ein paar beschwichtigende Erklärungsversuche an den Kopf geknallt und fort war sie.

Das ließ er sich nicht einfach so gefallen. Er, der es gewohnt war, dass ihm die Frauen aller Altersklassen eindeutige Blicke zuwarfen, lies sich nicht so einfach abservieren. Auch nicht von einer Frau wie Sarah es war. Das würde ihr noch leidtun wenn sie nicht endlich einsichtig wurde und zu ihm zurückkommen würde. Allerdings hätte sie noch so einiges zu lernen wenn er sie so selbstlos und großzügig wieder bei sich aufnahm. Wieder drückte er die Wahlwiederholungstaste und wartete darauf, dass sie endlich den Hörer am anderen Ende abnahm.

Doch so oft er es auch versuchte, entweder ging niemand dran oder er wurde mit einem kurzen Klick im Hörer abgewürgt. Immer wieder versuchte er sie zu erreichen und steigerte sich mehr und mehr in seine Wut über ihre Ignoranz. Währenddessen trank er einen Cognac nach dem anderen und sein Zorn wurde größer und größer. Na warte, dachte er sich. Wenn sie nicht bereit war mit ihm am Telefon zu sprechen, dann musste er ihr eben einen Besuch abstatten. Noch wusste er nur ihre Telefonnummer und kannte nicht ihre neue Adresse. Aber es war nur eine Frage der Zeit das herauszufinden. Schon ein paar Mal hatte er versucht sie von ihrem angeblich schwulen Freund Jo, der im Sportstudio arbeitete, zu erfahren. Doch der weigerte sich strikt und Robert, der diesen Typ noch nie hatte leiden können, musste sich schwer zusammennehmen um ihm nicht einfach eine in seine schwule Fassade zu hauen. Dann musst er eben versuchen sie dort abzupassen. Irgendwann würde sie sicher wieder einmal dort auftauchen. Alleine schon um ihren „Jo“ wiederzutreffen.

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In der Hoffnung, dass zwischenzeitlich Handwerker die Heizungsanlage wieder in Gang gebracht haben fuhren die zwei Frauen von ihrem Samstag-Morgen-Ausflug zurück nach Hause. Während der Fahrt unterhielten sie sich noch über dies und das und gut gelaunt betraten sie das Treppenhaus des Mehrfamilienhauses. Doch ihre Hoffnung war umsonst gewesen und es sah ganz danach aus, dass sie ein sehr kaltes Wochenende verbringen sollten. Da Sarah wusste welche Schmerzen Linda bei Kälte stets aushalten musste brachte sie ihren kleinen Radiator zu der neugewonnenen Freundin. Zunächst wollte Linda Wiesner das nicht annehmen, doch Sarah ließ keinen Widerspruch zu und ging zurück in ihre kalte Wohnung wo sie sich einen Tee kochte und es sich mit ihrer dicken Wolldecke und einem guten Buch auf der Couch bequem machte. Vom Frühstück noch völlig satt hatte sie es heute nicht nötig in der kalten Küche zu stehen und etwas zu kochen. Also las sie bis ihr die Augen zufielen und sie einschlief. Eine ihr bekannte Melodie weckte sie und innerhalb von ein paar Sekunden wurde ihr bewusst, dass es ihr Telefon war, welches einen eingehenden Anruf anmeldete. Noch leicht verschlafen setzte sie sich auf und ging ran. Wenn sie zunächst befürchtet hatte, dass es sich bei dem Anrufer schon wieder um Robert handelte, so war sie doch umso erschrockener als ihr bewusst wurde wer sie da tatsächlich anrief. Die tiefe Stimme die aus dem Telefonhörer erklang war ihr noch allzu bekannt. Sie bekam eine Gänsehaut und trotz der Kälte im Raum wurde ihr plötzlich abwechselnd heiß und kalt. „Alexander Lorenz hier .... sie erinnern sich?“ Als wenn sie sich an den Mann nicht erinnern würde. „Ja….?“ Stotterte sie zögerlich in den Hörer und ärgerte sich über ihr plötzliches Schulmädchen-Gehabe. „Ist etwas mit dem kleinen Hund?“, fragte sie weiter als ihr einfiel warum dieser Lorenz höchstwahrscheinlich anrief. „Es ist alles in Ordnung mit ihm. Es geht ihm sehr gut und nachdem er gebadet und gefüttert ist sieht er auch wieder sehr viel besser aus als gestern.“ Okay, dachte sie sich. Warum ruft er also an? Soll ich nun doch die Rechnung für seine Tätigkeit als Arzt begleichen? Sie vergaß völlig wie eindringlich sie tags zuvor regelrecht einen Anruf von ihm gefordert hatte. „Gott sei Dank“, sagte sie allerdings nur und wartete ab. „Ich habe mich gefragt ob sie ihn vielleicht in diesem Zustand noch einmal wiedersehen wollen?!?“ Sarah wusste zunächst nichts darauf zu antworten und zögerte einen Moment. Was wollte er ihr damit sagen? „Ja natürlich.“, antwortete sie deshalb nach einer kurzen Pause. „Haben sie Lust in etwa einer halben Stunde zum Eingang des Stadt-Parks zu kommen? Dann könnten wir gemeinsam mit ihm einen Spaziergang machen.“ Jetzt war Sarah baff. Das hätte sie nun wirklich nicht erwartet. Sicher, das war keine Einladung zu einem Date. Aber ein Spaziergang mit diesem atemberaubenden Mann, Seite an Seite durch den Park schlendernd? Wieder wurde ihr heiß bei dem Gedanken. „Warum nicht. Ich werde da sein.“, antwortete sie und erschrak selbst, nachdem ihr klar wurde was sie da gesagt hatte. Oh Gott. Eine halbe Stunde. Wie sah sie überhaupt aus? Wahrscheinlich war ihr Make-up total verschmiert und ihre Haare standen in alle Richtungen. Sie brauchte dringend einen Spiegel. Sofort. „Also bis gleich!“, sprach Alexander Lorenz und legte auf noch bevor sie die Gelegenheit hatte sich zu verabschieden. Sie hielt das Telefon ein Stück von ihrem Gesicht entfernt und starrte darauf als ob es ihr noch etwas sagen könnte. Dann sprang sie mit einem Satz auf und lief ins Badezimmer um ihr Aussehen zu überprüfen und sich frisch zu machen. Wie sie es befürchtet hatte. Was ihr da aus dem Spiegel entgegenblickte gefiel ihr gar nicht. Schnell nahm sie ihre Haarbürste und versuchte ihre blonde Lockenpracht zu bändigen. Als ihr das einigermaßen gelungen war putze sie ihre Zähne und frischte ihr Make-up auf. Niemals mit schlechtem Atem zu einem Date war ihr Motto. Das war zwar kein Date aber immerhin! Ruckzuck stieg sie in ihre Lieblingsjeans und zog sich einen warmen Rollkragenpullover über. Der hatte erstens den Vorteil warm zu sein und zweitens gab er ihr ein wenig Sicherheit. Zu ihrem Leidwesen hatte ihr Körper nämlich die Angewohnheit bei jeder Aufregung die Farbe aus ihrem Dekolleté in Richtung Gesicht in einem kräftigen Rot erblühen zu lassen. So oft schon hatte sie sich darüber geärgert aber es half alles nichts. Sie musste damit leben. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie sich sputen musste wenn sie es noch rechtzeitig schaffen wollte. Nicht, dass ihr dieser Mann noch entwischte, nur weil er annehmen musste, dass sie nicht kommen würde. Sie schnappte ihren Schlüssel, zog ihre Jacke über und rannte förmlich die Stufen des Treppenhauses hinunter. Dabei musste sie wohl so laut gewesen sein, dass sich in der untersten Etage eine Tür öffnete und Linda Wiesner heraus spähte. Sie warf Sarah einen fragenden Blick zu. So eilig hatte sie sie selten erlebt und wenn dann hatte sie meistens Ärger mit ihrem Ex-Freund Robert. „Hallo Linda. Ich hoffe du hast es einigermaßen warm in der Wohnung mit dem kleinen Heizgerät. Ich hab leider gar keine Zeit. Ich treffe mich mit Dr. Lorenz. Wir gehen Gassi.“ Verblüfft starrte Linda Wiesner ihrer jungen Nachbarin hinterher. Sie kam überhaupt nicht dazu zu antworten und hörte gerade noch so etwas wie: „Ich erzähle dir nachher davon.“, bevor die Haustür ins Schloss fiel.

Der Feind mit deinem Gesicht

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