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Kapitel 4: Geschwisterbande

Helena Kapodistrias betrat das sonnendurchflutete Atelier ihres Bruders Stavros. Er hatte sich im Dachgeschoss der Villa die Südecke umbauen lassen. Große Fenster, vom Dachfirst bis zum Fußboden und über die ganze Länge der Wand gaben dem Raum mehr Größe und Tiefe. Einige Bilder und Stauen, die Stavros fertig gestellte hatte, standen an der Wand oder in den Ecken des Raumes. Die meisten Werke waren Studien der Körperproportionen, Akte oder Landschafts­aufnahmen aus dem Fenster heraus gesehen.

Aber einige Gemälde und eine Skulptur spiegelten die Alpträume des jungen Mannes wieder. Eine gesichtslose Gestalt, gebeugt, mit einer Axt in der Hand und einem vor Blut triefenden Mund.

Die Staffelei stand in der Nähe des Fensters, das Tageslicht fiel direkt auf die Leinwand. Stavros saß auf seinem hohen Hocker, hatte die Palette in einer Hand und zwei Pinsel in der anderen. Im Mund hatte er einen Pinsel und hinter seinem rechten Ohr steckte ebenfalls einer.

Lächelnd betrachtete Helena ihren Bruder, wie er losgelöst von seiner Umwelt die Leinwand bearbeitete und mit jedem Pinselstrich, jedem Farbtupfer ein neues Gemälde schuf. Sie konnte Stavros stundenlang zusehen, es wurde nie langweilig. Im Gegenteil, es beruhigte sie regelrecht.

Nach dem gestrigen Tag, der damit endete, dass ihr Onkel sie geohrfeigt hatte, brauchte sie die ruhige Ausstrahlung, die Stavros ihr bot. Leise setzte sie sich auf das alte, zerschlissene Sofa, schlug die Beine unter und sah sich um.

Das einzige Bild, das Stavros richtig aufgehängt hatte, war ein Portrait von ihr. Das Bild hatte er vor vier Jahren gemalt, als seine Leidenschaft und Begabung für die Malerei offensichtlich wurde. Helena machte auf dem Bild einen sehr nachdenklichen Eindruck, aber auch sinnlich und verführerisch.

´So sehe ich dich, Leni! `, hatte Stavros gesagt.

Innerlich immer noch aufgewühlt, blickte Helena auf ihre Hände, die nun nicht mehr zitterten. >Er darf nie erfahren, was Onkel Dim und ich heimlich tun!<, dachte sie und schluckte hart. >Ich muss ihn schützen.<

„Was beschäftigt dich, Schwesterchen?“ Stavros hatte den Pinsel aus dem Mund genommen und benutzte ihn gerade. Er hatte eine angenehme warme Stimme, ein sanftes Lächeln umspielte ständig seinen schönen Mund. Die hellblauen Augen stachen aus dem dunklen Gesicht hervor, und die fein geschwungenen schwarzen Augenbrauen und die dichten schwarzen Locken intensivierten die Augen geradezu.

„Muss mich denn etwas beschäftigen, wenn ich dich hier oben besuche und dir beim Malen zusehe?“ Sie versuchte unbeschwert zu klingen, merkte aber selbst, dass ihr das nicht gelang.

Stavros lächelte und blickte seine Schwester an. Sein Lächeln erstarrte plötzlich und die Augenbrauen zogen sich zusammen. „Verflucht!“

Er warf die Palette und die Pinsel auf den Beistelltisch, schnappte sich seine Gehhilfe und humpelte auf seine Schwester zu. Mit einer vorsichtigen, fast zärtlichen Bewegung umfasste er ihr Kinn und hob das Gesicht zu ihm hoch, drehte es ein wenig zur Seite. Ein bläulicher Schimmer prangte auf der linken Wange und am Unterkiefer waren kleinere Abdrücke zu erkennen. „War das Onkel Dim?“

Überrascht sah Helena ihren Bruder an. „Woher weißt du das?“ Sie hatte vorgehabt, ihn anzulügen. Sie wollte ihm sagen, sie wäre gestürzt oder sie wäre überfallen worden. Aber wenn Stavros sie direkt mit irgendetwas konfrontierte, konnte sie ihn nicht anlügen.

Die Nasenflügel des jungen Mannes blähten sich empört auf. Noch nie hatte Helena ihren Bruder so wütend gesehen. „Irgendwann musste er ja mal durchdrehen!“, knurrte Stavros und ließ sich neben Helena auf das Sofa plumpsen. „Komm her, Leni.“

Stavros hob seinen Arm und Helena kuschelte sich an seine Schulter. Wie früher, als sie noch kleine Kinder waren, legte er, der jüngere Bruder, ihr, der älteren Schwester, seinen Arm schützend um sie, drückte sie fest an sich. Zärtlich strich Stavros über das lange, glatte schwarze Haar Helenas.

„Was ist passiert?“, fragte er leise, seine Lippen auf ihren Kopf gepresst.

Helena atmete den leicht schweißigen Duft ihres Bruders ein. Sie roch auch Farbe und Pinselreiniger. Und ein Parfum, das sie noch nicht an ihn kannte.

„Wer ist sie?“, fragte Helena und sah kurz in hellblaue Augen.

Stavros grinste. „Eine Kommilitonin. Nett und intelligent. Nichts Ernstes. Woher weißt du das?“

„Ich rieche ihr Parfum an dir.“

Die blauen Augen blitzten schelmisch auf. „Vielleicht sollte ich doch nicht immer die Klamotten vom Vortag anziehen.“

„Igitt, du bist widerlich!“ Helena stieß Stavros mit gespieltem Entsetzen ihre Finger in die Rippen.

„Nein, große Schwester“, lachte er. „Ich bin ein Mann! Das ist mein natürlicher Moschusduft!“

„Bäh! Es gibt wirklich Frauen, die auf so etwas stehen?“

„Mehr als du denkst. Solltest du vielleicht auch mal versuchen!“

Indigniert sah Helena ihren Bruder an. „Ich soll einen Mann suchen, der sich nicht wäscht oder ich soll mich selbst nicht waschen?“

Lachend umklammerte Stavros Helena, zog sie bäuchlings über seinen Schoß und schlug ihr auf den schlanken, festen Po. Helena quietschte auf, strampelte, lachte.

„Lass mich los du Grobian!“

„Erst, wenn du dich nicht länger raus redest und mir endlich erzählst, was passiert ist.“

Sie hatte gehofft, das Stavros nach dem Ablenkungsmanöver nicht mehr darauf zu sprechen kommen würde. Sie sah ihm sehr ernst in die Augen, die sie grübelnd und fragend zugleich anblickten. Ergeben seufzte Helena. Sie würde ihm so viel erzählen wie sie konnte, ohne dass sie das geheime Bündnis zwischen Dimítrios und ihr erwähnen musste.

„Na gut, Táwo. Onkel Dim und ich hatten gestern Vormittag einen Geschäftstermin. Wir haben Kontakt mit einem Abnehmer für unser Spezialglas geknüpft.“

Stavros entließ seine Schwester aus dem Griff und Helena rappelte sich wieder auf, blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht und setzte sich neben Stavros. Wie so oft legte sie ihre Beine quer über seine Beine und er begann sofort, ihre Füße zu massieren. Sie erzählte ihm in allen Punkten, wie dieses Gespräch lief und das es zu einer mündlichen Vereinbarung gekommen war.

„Die Verträge werden jetzt von unseren Firmenanwälten aufgesetzt und ausgehandelt. Nächste Woche wird es dann wahrscheinlich zur Unterschrift kommen.“

Stavros hatte aufmerksam zugehört, nickte zwischendurch ein paar Mal. „Und nach dem Gespräch?“

Helena wurde unruhig, wusste aber nicht genau warum. „Cerný lud Onkel Dim und mich zum Essen ein. Onkel Dim gab vor, in der Firma zurück zu müssen.“

„Aha. Der Alte wollte also, dass du den Tschechen ein wenig aushorchst. Auf deine eigene, ganz charmante Weise.“

Helena nahm eine ihrer schwarzen Haarsträhnen zwischen die Finger und besah sich intensiv die Spitzen. „Ja.“

„Was hast du herausgefunden?“

„Nur das, was wir ohnehin schon wussten.“ Sie wich aus, wollte nicht an Jannik denken.

Stavros umfasste mit einer Hand Helenas Handgelenk. „Beschreibe ihn mal. Wie sieht er aus?“ Stavros hatte ein untrügliches Gespür dafür, im richtigen Moment das Falsche oder aber im Falschen Moment das Richtige zu sagen.

„Er ist 25 Jahre alt, eins-fünfundachtzig groß, hat blonde, kurzgeschnittene Haare, einen gepfleg­ten Vollbart und braune Augen.“ Sie klang genervt, ratterte die Beschreibung einfach runter.

„Und Dim denkt, dass du in ihm verknallt bist, deshalb hat er dir eine gescheuert?“

„Ja. In gewisser Weise. Ich meine, ich denke, dass Onkel Dim in gewisser Weise denkt, dass ich in Cerný verknallt bin.“

„Gefällt er dir?“

Überrascht sah Helena ihren Bruder an. „Er ist ein Geschäftspartner, Táwo!“

„Das habe ich nicht gefragt, meine Schwester.“ Ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Himmel, Táwo! Ja, Jan sieht gut aus und er ist charmant. Ein Womanizer!“

„Also gefällt er dir.“ Das war eine Feststellung.

„Das tut nichts zur Sache. Ich verliebe mich nicht in einem Geschäftspartner, das wäre unprofessionell. Ich poppe auch nicht rum, um eventuell günstigere Bedingungen auszuhandeln.“ Verärgert zog Helena die Augenbrauen zusammen.

„Warum hat dann dein Puls jedes Mal einen Hüpfer gemacht, als du von Cerný gesprochen hast?“

Verdattert blickte Helena Stavros in die Augen. Dann begriff sie. Die Hand des Bruders an ihrem Handgelenk war absichtlich so platziert. Seine sensiblen Finger hatten ihren Puls gefühlt. „Himmel, ich scheine es ja echt nötig zu haben!“

Stavros lachte auf, ließ ihr Handgelenk los. „Aber Onkel Dim sollte es lieber nicht erfahren. Er will dir doch einen reichen, griechischen, orthodoxen Christen suchen!“

Helena zog ein verdrießliches Gesicht und streckte Stavros die Zunge raus.

„Das sollte gerade ein Scherz sein“, gab Stavros nach einer Weile zu Bedenken. „Das mit dem orthodoxen Christen meine ich.“

Helena sah verlegen zur Seite. Dimítrios Kapodistrias hatte Helena vor einigen Jahren klargemacht, dass ihr Leben und ihre Zukunft ausschließlich in seinen Händen lagen. Und tatsächlich verbot Onkel Dim ihr eine Beziehung mit einem Mann, der nicht christlich-orthodox war.

´Affären kannst du haben, Helena!`, hatte Dimítrios gesagt. ´Wenn dir das Fell juckt wie eine räudige Katze dann such dir jemanden, der dich befriedigt. Aber keine Beziehung und absolute Diskretion. Ist das klar?`

„Großer Gott, Leni! Das ist nicht dein Ernst?“ Stavros Augenbrauen waren so zusammengezogen, dass sie einen einzigen Strich auf seiner schönen Stirn bildete. „Wir leben im 21. Jahrhundert! Du kannst selbst entscheiden, mit wem du zusammen sein möchtest und mit wem nicht!“

Helena sah ihren Bruder traurig an. „So einfach ist das nicht. Ich schulde ihm etwas!“

Verständnislos sah Stavros Helena an. „Was denn? Gut, er hat uns aufgenommen und großge­zogen, nachdem unsere Eltern ermordet worden waren. Aber wir haben immer nach seinen Regeln gelebt. Du bist eine erwachsene und intelligente Frau, Helena!“

Helena nahm ihre langen Beine vom Schoß ihres Bruders und stand auf.

„Ich will auf deiner Hochzeit eine glückliche Braut sehen, Leni. Du sollst den Mann bekommen, den du liebst, den du verdienst.“ Stavros hielt Helenas Hand fest. „Was verheimlichst du mir?“

Helena sah traurig in die Augen ihres geliebten Bruders. „Frage bitte nicht, Táwo. Ich will dich nicht anlügen müssen.“

Ihre Stimme war leise und ängstlich. Stavros stand auf, gestützt auf seiner Gehhilfe. Ernst sah er in ihre dunklen Augen, umfasste sanft ihr Gesicht.

„Schwester. Du bist alles, was mir wichtig ist. Ich habe gelernt, meine Behinderung zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Ich könnte mit wenig Geld auskommen, wenn ich von heute auf morgen bettelarm wäre. Wenn Onkel Dim eines Tages stirbt, werde ich traurig sein, aber das Leben geht weiter.“ Stavros presste seine Stirn an Helenas, was nicht ganz einfach war, da sie fünf Zentimeter größer war als er.

„Aber wenn du unglücklich bist, bin ich das auch. Wenn dir etwas geschehen sollte, dann …. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich weiterleben könnte.“

Erschrocken sah Helena in die vertrauten Augen, sah Tränen. Rasch umarmte sie ihren Bruder. „Du bist für mich ebenfalls der wichtigste Mensch in meinem Leben, Táwo! Niemand kennt mich so gut wie du. Aber nach dieser schrecklichen Nacht damals habe ich geschworen, dich für den Rest meines Lebens zu beschützen. Und nicht nur vor Dämonen!“

Ein verzweifeltes Lächeln umspielte Stavros Lippen, als er kopfschüttelnd seine Schwester ansah. „Es gibt keine Dämonen. Der Mörder unserer Eltern war ein realer Einbrecher, kein über­natürliches Wesen.“

Helena hätte ihm gern gesagt, dass sie und Onkel Dim seit einigen Jahren auf Dämonenjagd waren und seitdem drei Vampire zur Strecke gebracht hatten.

Aber sie schwieg.

Aus Scham!

Vampirjagd

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