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Soziales Wesen

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Die menschliche Person ist von Natur aus eine soziale Existenz. Wie ein bekannter Liedtext sagt, ist niemand eine Insel und steht niemand für sich alleine. Wir sind keine vollständig unabhängigen Wesen: Wir brauchen andere. „Aus sich selbst herausgehen, um sich mit den anderen zusammenzuschließen, tut gut. Sich in sich selbst zu verschließen, bedeutet, das bittere Gift der Immanenz zu kosten, und in jeder egoistischen Wahl, die wir treffen, wird die Menschlichkeit den kürzeren ziehen.“4

In der Nikomachischen Ethik sagt der griechische Philosoph Aristoteles, dass ein Mann alles in der Welt besitzen kann, aber dennoch nicht wirklich glücklich ist, wenn er keine Freunde hat. Als vernunftbegabte Geschöpfe besitzen wir die angeborene Eigenschaft zu kommunizieren und mit anderen Individuen zusammen zu leben. Tatsächlich entwickeln wir uns als Person nur in soweit, wie wir mit unseren Verwandten, Freunden, Bekannten und allen übrigen Menschen interagieren. Wir werden nicht reifer in einem sozialem Vakuum. Solidarität ist eine Berufung der menschlichen Person von Natur aus. Die eigene Persönlichkeit wird durch menschliche Beziehungen bereichert. Es ist keine Überraschung, dass es eine der grausamsten Foltermethoden ist, einen Menschen in einem kleinen Raum einzusperren. Er mag Wasser und Nahrung haben, aber abgetrennt von der menschlichen Gesellschaft, wird er verrückt werden.

Wenn Sie versuchen, alleine auf einer Insel zu leben, dann werden Sie innerhalb kurzer Zeit Ihren Verstand verlieren. Ich gebe zu, dass es nach einem dummen Vorschlag klingt so zu handeln. Aber ist es nicht wahr, dass im urbanen Dschungel so viele Menschen sich für ein Leben in Isolation entscheiden? Das ist der Paradox des modernen Lebens. Nehmen wir als Beispiel soziale Netzwerke wie Facebook. Es hat die erstaunliche Kapazität, eine Verbindung zu bereits seit langem verloren geglaubten Freunden wiederherzustellen. Die Welt ist wahrhaft ein globales Dorf geworden, dank dem Ausbau der modernen Kommunikationstechnologien. Leider können wir jedoch so aufgesogen werden von online Chats, online Spielen oder online Surfen, dass wir unsere Nachbarn neben uns nicht mehr bemerken. Nichts kommt einer persönlichen Begegnung und einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht gleich. Mit einer Tasse Kaffee wird es sogar noch besser.

Hightech Kommunikationsmittel bringen uns nicht von selbst näher zu einander. Sogar die schnellsten schnurlosen Verbindungen werden einen Digital Native nicht aus seiner Eierschale und Komfortzone herausholen, wenn er sich entscheidet in seiner Enklave zu verbleiben. Nächstenliebe und Solidarität gibt es in Chips und Mikroprozessoren nicht. Tugenden leben im menschlichen Herz und im Geist des Menschen. Eigensucht und Gleichgültigkeit kann nur überwunden werden durch eine klare Entscheidung in der Gemeinschaft mit anderen zu sein und etwas Erstrebenswertes für sie zu tun. Die Gesellschaft der Gegenwart ist merklich individualistisch und narzisstisch. Es ist somit kein Wunder, dass es im Tumult einer großen Metropole so viele einsame und depressive Menschen gibt, während ein Bauer auf dem Land so zufrieden, glücklich und vertraut mit seinem nächsten Nachbarn ist, der einen Kilometer entfernt lebt.

Wir können unsere Mitmenschen nicht alleine dadurch lieben, dass wir uns unter sie mischen. Auch ist Nächstenliebe nicht zu reduzieren auf Schübe des Mitgefühls, die sich im Geben von Almosen an die Armen zeigen. Nächstenliebe ist eine ständige Angewohnheit zum Gut anderer zu streben. Sie findet vorauseilend, immer neue Wege anderen behilflich zu sein. Die Tugend kann vereinzelt heroische Akte verlangen, wie wenn ein Unfallopfer aus einem Autowrack heraus zu holen ist. Sie mag manchmal auch politische Einsicht erfordern um die Zustände in Entwicklungsländern zu erkennen, damit die Not von Milliarden Menschen in Armut gelindert wird. Allerdings sind diese Fälle eher selten. Es ist auf der „Straße“ des Alltagslebens, wo unsere Freundlichkeit sich tatsächlich zeigen wird: in der Form kleiner Taten der Nächstenliebe, wie einem warmherzigen Gruß, einem Zeichen der Dankbarkeit, einer wohl gesinnten Korrektur, einem Wort des Trostes, einer Zusicherung der Unterstützung oder einem stillen Gebet für jemanden.

Das Gut anderer anzustreben: das ist brüderliche Nächstenliebe in aller Kürze. Wenn wir jemandem helfen oder ihn freundlich behandeln, weil wir etwas als Gegenleistung erwarten oder einen Gewinn erhoffen, dann sind wir selbstsüchtig und nicht selbstlos. Es gibt keine Liebe in einem Dienst, der getan wurde aus niederen Motiven, oder in einer Söldner-Mentalität ausgeführt wurde. Geschenke, die an Bedingungen geknüpft wurden, sind ein Fluch und kein Segen. Wahre Liebe ist altruistisch: die Art, die Menschen haben, die das Wenige, das sie haben, mit anderen teilen; die denen vergeben, die sie verletzt haben; oder die anonyme Spenden geben. Großzügigkeit berührt die Herzen der Menschen und weckt ihre guten Neigungen.5

Eine liebenswürdige, ältere Spanische Witwe, die alleine in ihrer Wohnung lebte, platzierte eine handgeschriebene Notiz mit folgendem Inhalt beim Fahrstuhl ihres Hauses. „500 Peseta Schein verloren. Wer ihn gefunden hat, gebe ihn bitte zurück an Frau Castrillo, Apartment 6A.“ Sie empfing nur eine bescheidene Rente vom Staat; somit brauchte sie dringend den Betrag, den sie verlor. Ein Mann bekam Mitleid mit ihr, klopfte an ihre Türe (ihr Gehör war nicht mehr das Beste, weswegen es einige Zeit brauchte, bis sie öffnete) und gab ihr das Geld, als sie heraus kam. Zwei Tage später brauchte er jemanden, um einige Kleidungsstücke zu bügeln, und weil sie diesen Service anbot, um ihr kleines Einkommen aufzubessern, rief er sie an. Aufgeregt erzählte sie ihm, dass drei andere Bewohner des Hauses zu jeweils unterschiedlichen Zeiten ebenfalls zu ihr gekommen waren, mit der Behauptung ihren 500er gefunden zu haben. Als sie abgelehnt hatte, den Schein anzunehmen, bestanden sie alle darauf, dass sie ihn entgegen nahm. „Und wissen Sie was,“ lachte sie, „ich fand den fehlenden Schein in meinem Bademantel. Könnten Sie bitte so freundlich sein, den Zettel beim Fahrstuhl zu entfernen? Irgendjemand anderer mag sonst erneut mein Geld finden.6

Vitalzeichen - Wohin geht die Reise Ihres Lebens?

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