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W. B. Seabrook: DIE RACHE DER HEXE

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Der Streit zwischen Mère Tirelou und meinem jungen Bekannten Philippe beruhte auf der Tatsache, dass er sich in Maguelonne, die Enkelin der alten Frau, verhebt hatte.

Obwohl Maguelonne bereits neunzehn und mit Abstand das hübscheste Mädchen des Dorfes war, hatte sie keine Bewerber unter den Jünglingen des Ortes gehabt, denn die einheimischen Bauern von Les Baux, dieses rauen Bergfleckens in Südfrankreich, das ich seit Jahren in unregelmäßigen Abständen besucht hatte, waren vom Aberglauben durchtränkt und glaubten, die alte Mère Tirelou sei eine sorcière, eine Hexe.

Maguelonne, im Krieg verwaist, wohnte allein mit der alten Frau in einem alten, aus herabgestürzten Steinen erbauten mas, das, abseits des eigentlichen Dorfes, unter den Ruinen der lehnsherrlichen Burg dicht darüber lag, und der Klatsch wollte, dass Mère Tirelou das Mädchen, mit oder gegen dessen Willen, in ihre dunklen Machenschaften hineingezogen hatte. Sie wurden nicht verfolgt oder gehasst - die Bauern und Hirten von Les Baux und den umliegenden Bergen konsultierten Mère Tirelou sogar in bestimmten Notfällen -, doch mit Ausnahme dieser besonderen Konsultationen, die gewöhnlich mit einem Kaninchen, einem Krug Wein oder Öl bezahlt wurden, mied man die Alte und ihre Enkelin und »Gehilfin«, wenn sie das wirklich war, allgemein, wenn man sie nicht gar unverhohlen fürchtete.

Philippe jedoch, der sich jetzt als Angehöriger der großen Welt fühlte - er hatte eine Ingenieurschule in Marseille besucht und arbeitete nun in einer Flugzeugfabrik bei Toulon - betrachtete all diesen lokalen Aberglauben als dummes Zeug und Unsinn. Er war mit seinem Motorrad aus Toulon gekommen, um die Ferien hier zu verbringen. Wir hatten uns im vorangegangenen Sommer in Les Baux kennengelernt. Er und ich wohnten nun im selben kleinen Hotel, dem Hotel René, das am Rand des steilen Abhangs lag und von Philippes Tante, Madame Plomb, und ihrem Mann Martin geführt wurde. Und Philippe hatte sich, wie ich schon sagte, in Maguelonne verhebt.

So sah die Lage, kurz Umrissen, aus, als die seltsame Kette der Ereignisse begann, in die ich zunächst nur als zufälliger Zeuge, zuletzt aber als aktiver Teilnehmer verwickelt war.

Sie begann an einem heißen Nachmittag, als ich in meinem Zimmer lag und las. Mein Raum hatte zwei Außenwände mit Fenstern, von denen aus man das Tal überblickte, und einem Seitenfenster unmittelbar über dem Tor in der mittelalterlichen Befestigungsmauer, durch das sich die Straße in Serpentinen nach unten wand.

Dicht unter diesem Fenster hörte und erkannte ich ganz plötzlich die nörgelnde und krächzende Stimme von Mère Tirelou, die zornig lauter wurde, und Philippes Organ, das halb liebenswürdig, halb spöttisch antwortete.

Es war Zufall und kein Lauschen, unmöglich, sie zu überhören, und dann, nach einigen gemurmelten Äußerungen, hob die alte Frau wieder ihre Stimme, doch diesmal mit einem so eigenartigen, unnatürlichen Tonfall, dass ich aufstand, um zu sehen, was los war.

Sie standen in der Sonne genau unter dem Fenster, er groß, blond, das Haar zerzaust, barhäuptig, in Knickerbockern und Sporthemd; sie grau, gebeugt und wie ein Habicht - nein, eher wie eine Fledermaus, mit ihrer Arlesienne-coiffe und dem Umhang, die Arme ausgebreitet, um ihm den Weg zu versperren. Und sie stimmte einen unheimlichen Singsang aus Knüttelversen an, wobei sie mit ihren krallenhaften Händen in der Luft umherfuhr:

So fall, so fall, mein hübscher Jüngling,

Doch aufstehn wirst du nimmermehr.

Es windet sich der verstrickte Fuß,

Es folgt ihm das verstrickte Hirn.

So wirst du fallen, mein hübscher Knab’,

Doch aufstehn wirst du nimmermehr.

Verstricke dich und winde dich,

Netz und Schlingen sind gewoben.

Sie versperrte Philippe nun nicht mehr den Weg, sondern trat zur Seite und forderte ihn auf, vorbeizugehen, so dass ihr Rücken mir zugewandt war, während Philippe so dastand, dass ich sein Gesicht und den darüber huschenden Ausdruck sehen konnte - zuerst interessierte, ungläubige, überraschte Aufmerksamkeit, als könne er den eigenen Ohren nicht trauen, dann ein gutgelauntes, aber spöttisches und keckes Grinsen, während die alte Frau ihre Knüttelverse wiederholte.

»Nein, nein, Mère Tirelou«, sagte er lachend, »mit diesem Zeug kannst du mir keine Angst machen. Hol lieber einen Besenstiel, wenn du mich vertreiben willst. Spar dir deine Netze und Zaubersprüche für Bleo und die Hirten auf.«

So war er mit einem kecken und fröhlichen Gruß und einem au revoir auch schon pfeifend die Straße hinab, während die alte Frau hinter ihm her schrie: »So fall, so fall, so wirst du fallen, doch nicht aufstehn, mein hübscher Junge; nicht aufstehn, nicht aufstehn, nicht aufstehn!«

Ich sah zu, wie Philippe die gewundene Straße ins Tal hinabschritt, während Mère Tirelou, sich über die Brüstung lehnend, ebenfalls zusah, bis er weit unten nur noch ganz winzig zu erblicken war und hinter der Mauer des Obstgartens verschwand, der die Straße am Pavillon der Königin Jeanne säumt. Dann nahm sie ihren Stock auf, rief Bleo, ihren Hund, und humpelte durch das Tor.

»Also«, dachte ich, »glaubt die alte Frau tatsächlich, dass sie eine Hexe-ist, und denkt sicher, sie hätte Philippe mit einem wirksamen Bann belegt!«

Aber es fiel mir nicht ein, mich auch nur im Geringsten beunruhigen zu lassen. Ich hatte recht umfangreiche theoretische Kenntnisse über Hexerei, oder glaubte sie zu haben. Ich glaubte, sie laufe letzten Endes nur auf Suggestion und Autosuggestion hinaus. Ich hatte erlebt, dass sie zu konkreten Ergebnissen führte, aber nur in Fällen, in denen das Opfer selbst (meist ein Angehöriger primitiver oder unzivilisierter Volksgruppen) zutiefst abergläubisch und infolgedessen furchtsamen Regungen zugänglich war. Ich war absolut sicher, dass völliger, hartnäckiger, skeptischer Unglaube, Verachtung und Lachen einen stärkeren Gegenzauber bildeten als jede Menge von Exorzismen und heiligem Wasser, und deshalb kam es mir nicht einen einzigen Augenblick in den Sinn, Philippe könnte in der kleinsten Gefahr schweben.

Mit dieser Überzeugung und die gesunde Wiederkehr von Philippe deshalb als sichere Schlussfolgerung vorwegnehmend, dachte ich an jenem Nachmittag kaum noch an die Angelegenheit; las zu Ende, aß früh zu Abend, spazierte zur Spitze des Abhangs, um den Sonnenuntergang zu sehen, und ging früh zu Bett.

Gewöhnlich Hegt das ganze Dorf Les Baux einschließlich des Hotel René kurz nach zehn Uhr in tiefem Schlaf und ist still wie ein Grab. Es war das Geräusch hastiger Schritte, die auf den Steinplatten des Hotelflurs tappten, das mich spät in der Nacht weckte, doch gleichzeitig hörte ich leise Stimmen auf der Straße unter meinem Fenster, sah Lichter blitzen, hörte Stiefel auf dem Straßenpflaster klappern.

Ich knipste eine Lampe an, sah, dass es kurz nach Mitternacht war, zog mich an und ging nach unten. Martin Plomb sprach mit einer Gruppe von Nachbarn. Seine Frau stand im Eingang, in einen gesteppten Morgenrock gehüllt.

»Was ist denn passiert?«, fragte ich sie.

»Wir machen uns Sorgen um Philippe«, antwortete sie. »Er wollte heute Nachmittag einen Spaziergang ins Tal machen und ist noch nicht zurück. Sie wollen nach ihm suchen. Wir haben uns nichts dabei gedacht, dass er zum Abendessen nicht kam, aber jetzt ist Mitternacht vorbei, und wir haben Angst, dass er vielleicht verunglückt ist.«

Schon begannen die Männer in Gruppen zu zweit und zu dritt, einige mit altmodischen Bauernlaternen, ein paar mit elektrischen Taschenlampen, den Abhang des Bergs hinabzuklettern. Ich ging zu Martin Plomb, der am Tor stand und ihnen Anweisungen gab, welchen Weg sie einschlagen sollten und durch Rufe mit anderen Gruppen in Kontakt zu bleiben. Er selbst wollte weiter oben auf dem anderen Hang suchen, in Richtung der Feengrotte, wo Philippe gelegen dich kletterte, da er fürchtete, sein Neffe sei vielleicht in eine Schlucht gestürzt. Ich begleitete ihn...

Es war kurz vor Anbruch des Morgens, nach stundenlanger ergebnisloser Suche, als wir vom Ende des Tals plötzlich andere Rufe hörten. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber Martin sagte sofort: »Sie haben ihn gefunden.« Wir suchten uns einen Weg über die Felsen und kletterten zur Straße, wo wir nun blitzende Lichter sehen konnten, die nach Les Baux zurückkehrten.

Sie trugen Philippe auf einer improvisierten Bahre aus zwei Schösslingen und dazwischen geflochtenen Kiefernzweigen. Er war bei Bewusstsein; seine Augen waren geöffnet; aber er schien wie in einer Erstarrung zu liegen und hatte, wie sie sagten, nicht erklären können, was ihm passiert sei. Es waren keine Knochen gebrochen, und er hatte auch keine anderen ernsten körperlichen Verletzungen erlitten, doch seine Kleidung war böse zerrissen, besonders die Knickerbocker an den Knien, wo sie abgeschabt und aufgerissen waren, als habe er sich auf Händen und Knien weitergeschleppt.

Sie stimmten alle darin überein, was wahrscheinlich geschehen war: Er war in der Hitze des Spätnachmittags mit unbedecktem Kopf zwischen den Felsen herumgeklettert und hatte dabei eine insolation, eine Art Hitzschlag erlitten, der ihn seiner Kräfte beraubte, aber nicht tödlich war. Dann hatte er sich teilweise erholt und auf der Suche nach Hilfe, immer noch im Delirium, die Richtung verloren. In ein oder zwei Tagen würde er wieder völlig in Ordnung sein, sagte Martin. Am Morgen würden sie einen Arzt aus Arles holen.

Natürlich hatte ich in jener Nacht mehr als einmal an Mère Tirelou gedacht und erwogen, Martin Plomb die Sache zu erzählen, aber seine Erklärung war so vernünftig, ausreichend, natürlich, dass es jetzt absurd schien, den Vorfall als mehr zu betrachten denn als rein zufälliges Zusammentreffen, und deshalb sagte ich nichts.

Der Morgen war angebrochen, als wir Les Baux erreichten und Philippe ins Bett brachten, und als ich gegen Mittag erwachte, war der Arzt schon dagewesen und wieder gegangen.

»Er hatte einen bösen Hitzschlag«, sagte mir Martin. »Er hat einen klaren Kopf - aber es ist was an der Sache, das der Arzt nicht verstehen konnte. Als Philippe versuchte, aus dem Bett zu steigen, konnte er nicht gehen. Aber seine Beine sind nicht verletzt. Es ist eigenartig. Wir fürchten, es könnte eine Art Lähmung sein. Er schien zu taumeln und über die eigenen Füße zu stolpern.«

Während er sprach, übermannte mich die verspätete Gewissheit, dass hier jedes zufällige Zusammentreffen ein Ende hatte; dass ich mich geirrt hatte; dass etwas Böses, ebenso unheimlich und dunkel, wie ich es je im Dschungel erlebt hatte, hier in Les Baux, unter meinen eigenen Augen, geschehen war.

»Martin«, sagte ich, »gestern Nachmittag ist etwas passiert, wovon Sie nichts wissen. Ich kann noch nicht sagen, was es war. Aber ich muss Philippe sofort sehen und mit ihm reden. Sie sagen, er hat einen vollkommen klaren Kopf?«

»Aber bestimmt«, sagte Martin verwirrt; »ich verstehe allerdings nicht, worauf Sie hinauswollen. Er wird Sie auch sehen wollen.« Philippe lag im Bett. Er wirkte eher deprimiert als krank und war bestimmt im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte.

Ich sagte: »Philippe, Martin hat mir erzählt, dass mit Ihren Beinen etwas nicht stimmt. Ich glaube, ich kann Ihnen sagen, was...«

»Wieso, sind Sie früher mal Arzt gewesen?«, unterbrach er eifrig. »Wenn wir das gewusst hätten! Der Bursche, der aus Arles heraufkam, schien nicht sehr gut zu sein.«

»Nein, ich bin kein Arzt. Aber ich bin nicht sicher, dass es sich hier um die Aufgabe eines Arztes handelt. Ich möchte Ihnen etwas sagen. Sie wissen, wo mein Zimmer Hegt. Ich war gestern zufällig am Fenster, und ich hörte und sah alles, was zwischen Ihnen und Mère Tirelou vorfiel. Haben Sie nicht daran gedacht, dass es irgendeinen Zusammenhang geben könnte?«

Er starrte mich überrascht und mit einer gewissen zornigen Enttäuschung an.

»Tiens!«, sagte er. »Sie, ein gebildeter moderner Amerikaner, Sie glauben an diese phantastische Narretei! Also, ich stamme aus diesen Bergen, ich wurde hier geboren, und ich weiß trotzdem, dass das ganze Zeug alberner Unsinn ist. Sicher, ich habe daran gedacht, aber es ist Irrsinn. Was sonst?«

»Vielleicht auch nicht«, sagte ich, »aber würden Sie mir trotzdem bitte erzählen, so gut Sie sich erinnern können, was Ihnen gestern Nachmittag und in der vergangenen Nacht passiert ist?«

»Zum Teufel, Sie wissen doch, was passierte. Ich hatte einen Hitzschlag. Und das hier hat er mit mir angerichtet. Bei Gott, ich wäre lieber tot als verkrüppelt oder hilflos.«

Er verfiel in düsteres Schweigen. Aber ich hatte genug gehört. Es gibt Menschen, die ihr Leben lang gelähmt im Bett liegen, obgleich sie kein organisches Leiden haben, sondern nur glauben, sie könnten nicht aufstehen und gehen. Wenn ich ihm helfen konnte, dann nur durch den Schock eines Beweises. Ich musste mich jetzt um Mère Tirelou kümmern...

Weder die alte Frau noch ihre Enkelin hatten sich an diesem Morgen in der Nähe des Hotels aufgehalten. Ich kletterte den gewundenen, gepflasterten Weg hoch und klopfte an ihre Tür. Sogleich machte Maguelonne zögernd auf. Ich machte keine Anstalten, einzutreten, sondern sagte:

»Ich möchte Mère Tirelou sprechen - in einer ernsten Angelegenheit.«

Sie blickte mich mit ängstlichen, vorsichtigen Augen an, als wisse sie nicht, wie sie antworten sollte, und sagte endlich: »Sie ist nicht da. Sie ging gestern Abend über die Berge hinter Saint-Remy. Sie wird einige Tage fort sein.« Meinen Zweifel spürend, fügte sie verteidigend, fast flehend hinzu: »Sie können hereinkommen und nachschauen, wenn Sie wollen. Sie ist nicht da.«

Das Mädchen litt offensichtlich große Seelennot, und ich begriff, dass sie den Grund meines Kommens kannte oder vermutete.

»In diesem Fall«, sagte ich, »müssen wir uns unterhalten. Sollen wir es hier machen, oder ziehen Sie vor, dass ich hereinkomme?«

Sie machte mir ein Zeichen, hineinzugehen.

Ich sagte: »Mademoiselle Maguelonne, ich bitte Sie inständig, aufrichtig zu sein. Sie wissen, was sich die Leute über ihre Großmutter erzählen - und manche sagen es auch über Sie. Ich hoffe, dass letzteres nicht stimmt. Aber Ihre Großmutter hat etwas getan, was ich unbedingt rückgängig machen muss. Ich bin dessen, was ich weiß, so sicher, dass ich Martin Plomb ins Vertrauen ziehen werde, wenn es nötig ist, und mit ihm zur Polizei von Arles gehe. Ma’m’selle, ich spüre, dass Sie genau wissen, wovon ich spreche. Es geht um Philippe - und ich möchte Sie fragen, ob Sie...«

»Nein, nein, nein!«, rief das Mädchen kläglich, mich unterbrechend. »Ich hatte nichts damit zu tun! Ich habe versucht, es zu verhindern! Ich habe ihn gewarnt! Ich habe ihn angefleht, mich nie mehr zu besuchen. Ich habe ihm gesagt, dass etwas Schreckliches geschehen würde, aber er hat mich nur ausgelacht. Er glaubt nicht an solche Dinge. Ich habe meiner Großmutter bei anderen Dingen geholfen - sie hat mich gezwungen, ihr zu helfen -, aber nicht bei etwas so Bösem - und dann noch gegen Philippe! Nein, nein, Monsieur, bei einer solchen Sache würde ich niemals helfen, selbst dann nicht, wenn sie...« Das Mädchen begann plötzlich zu schluchzen: »Oh, was soll ich nur tun?«

Ich sagte: »Meinen Sie damit, es gäbe etwas, das Sie tun könnten?«

»Ich habe Angst«, sagte sie, »Angst vor meiner Großmutter. Oh, wenn Sie nur wüssten! Ich wage nicht, dort hinein zu gehen - und außerdem ist die Tür verschlossen - und vielleicht ist es gar nicht darin.«

»Maguelonne«, sagte ich sanft, »ich glaube, Philippe ist Ihnen nicht gleichgültig, und ich glaube, auch Sie sind ihm nicht gleichgültig. Wissen Sie, dass er seine Beine nicht mehr gebrauchen kann?«

»Oh, oh, oh!«, schluchzte sie; dann fasste sie Mut und sagte: »Ja, ich werde es tun, und wenn meine Großmutter mich tötet. Aber Sie müssen etwas finden, um das Schloss aufzubrechen, denn sie hat den Schlüssel immer bei sich.«

Sie führte mich in die Küche, die hinten war, fast unmittelbar unter den Mauern der alten Burgruine in den Felsen gebaut. Während sie eine Lampe anzündete, entdeckte ich ein kleines Beil.

»Es geht hier durch«, sagte sie und zeigte auf eine Abstellnische, deren Öffnung von einem Vorhang verdeckt wurde.

An der Rückseite der Nische, verborgen durch einige alte, an Nägeln aufgehängte Kleidungsstücke, war eine verschlossene kleine Tür. Sie bestand aus schwerem Holz, doch ich hatte kaum Schwierigkeiten, das Schloss aufzubrechen und die Tür zu öffnen, die eine schmale, sich in die Dunkelheit hinabwindende Treppe freigab.

(Es war nichts Geheimnisvolles an der Tatsache, dass es hier eine derartige Treppe gab. Die ganze Seite des Felsens unter der Burg wurde von ähnlichen Gängen durchzogen.)

Das Mädchen ging voran, und ich folgte ihr dicht auf dem Fuße, uns den Weg leuchtend, indem ich die Lampe über ihre Schulter hielt. Die kurze Treppe machte einen scharfen Knick und führte dann direkt in ein altes, vergessenes, rechteckiges Gewölbe, das früher einmal zu den Weinkellern oder Vorratsräumen der Burg gehört haben musste. Doch jetzt beherbergte es verschiedene absonderliche und unerfreuliche Gegenstände, auf denen die Schatten tanzten, als ich die Lampe auf einen Vorsprung stellte und mich umzusehen begann. Ich hatte gewusst, dass es in bestimmten Teilen Europas noch echte Hexen gab, die ihr Handwerk nach fast ungebrochener mittelalterlicher Überlieferung ausübten, war aber doch überrascht, das eindeutig irdische Zubehör des Gewerbes zu erblicken, das so unversehrt überlebt hatte.

Nicht nötig, alles davon genau zu beschreiben - der Ort war ruchlos, und viele der Gegenstände waren auf groteske Weise ruchlos; an der Wand gegenüber stand ein Altar, über dem ein Römerpaar hing, worunter die umgedrehten Buchstaben I.N.R.I. zu obszönen Symbolen verzerrt waren; daneben hing eine schwarze, zusammengeschrumpfte Ruhmeshand - und dort auf dem Fußboden, geschickt und mit unendlicher Sorgfalt verfertigt und beträchtlichen Raum einnehmend, befand sich das Ding, das zu finden wir gekommen waren und das mir trotz all meiner Anstrengungen, einen kühlen Kopf zu behalten, Schauder über den Rücken jagte, als ich es untersuchte.

Vier aufrechte Holzpflöcke waren wie Miniaturpfähle in den Fußboden getrieben worden und bildeten ein viereckiges Feld von etwa hundertzwanzig Zentimeter Durchmesser, das von Kordeln begrenzt war, die von Pflock zu Pflock liefen. In diesem Feld hing, an den umgebenden Kordeln befestigt, ein kreuz und quer gespannter, labyrinthischer, spinnenwebähnlicher Irrgarten aus Baumwollfäden.

In seiner Mitte war, einem in einem Spinnennetz gefangenen Insekt gleich, eine etwa fünfundzwanzig Zentimeter große Figur verstrickt - ursprünglich eine gewöhnliche Puppe mit einem auf den mit Sägespänen ausgestopftem Rumpf genähten Porzellankopf; eine Puppe, wie man sie für drei Franc in jedem Spielzeugladen kaufen könnte - doch welches Babykleid sie auch immer getragen haben mochte, als man sie gekauft hatte, es war alles entfernt und durch einen Anzug ersetzt worden, der roh die Knickerbocker-Sportkleidung eines Mannes imitierte. Die Augen dieses Männchens waren mit einem schmalen schwarzen Tuch verbunden; seine Füße und Beine gefesselt, gebunden, umgarnt von den kreuz und quer laufenden Fäden.

Es hing, krümmte sich dort in einem unnatürlichen Winkel, weder aufrecht noch hegend, lächerlich unheimlich, wie der Körper eines verwundeten, in einen Stacheldrahtzaun geratenen Mannes. All das scheint vielleicht albern, kindisch, wenn man es erzählt. Aber es war nicht kindisch. Es war böse und verworfen.

Ich löste das Männchen sanft aus den Fesseln und untersuchte es sorgfältig, um zu sehen, ob man es mit Nadeln durchbohrt hatte. Aber es waren keine Nadeln da. Die alte Frau war wenigstens vor einem Mordversuch zurückgeschreckt.

Und dann drückte Maguelonne es an ihre Brust und schluchzte: »Ah, Philippe! Philippe!«

Ich nahm die Lampe, und wir machten uns bereit, den Raum zu verlassen. Er enthielt jedoch noch einen anderen Gegenstand, den ich bisher nicht erwähnt habe, und den ich jetzt näher betrachtete. Mit einer schweren Kette an der Decke aufgehängt, baumelte ein offenes, käfigähnliches Gebilde aus Holz und geschwärzten Lederriemen und Eisen in natürlicher Größe - ein so pervers teuflisches Gerät, wie der menschliche Erfindungsreichtum auf seinen größten Abwegen je ersonnen hat, denn ich kannte seinen Namen und Gebrauch aus alten Stichen in Büchern über die dunklen, sadistischen Elemente der Hexenkunst des Mittelalters. Es war eine Hexenwiege. Und es war etwas an den Gurten, das mich stutzig machte...

Maguelonne sah, wie ich es untersuchte, und schauderte zusammen.

»Mademoiselle«, sagte ich, »ist es möglich...?«

»Ja«, antwortete sie mit gesenktem Haupt; »da Sie schon einmal hier sind, gibt es nichts mehr zu verbergen. Aber es war immer gegen meinen Willen.«

»Aber warum um alles auf der Welt haben Sie sie nicht angezeigt; warum haben Sie sie nicht verlassen?«

»Monsieur«, sagte sie, »ich hatte Angst vor dem, was ich wusste. Und wohin hätte ich denn gehen sollen? Und außerdem ist sie meine Großmutter.«

Ich war allein mit Philippe in seinem Schlafzimmer. Ich hatte das Männchen, in eine Zeitung eingewickelt, mitgebracht. Wenn es wirklich Hexerei war, hätte er in dem Augenblick, da die Fäden gelöst worden waren, auf magische Weise geheilt sein müssen. Doch in der Realität folgt die Magie gewundeneren Pfaden. Er lag noch genauso da, wie ich ihn verlassen hatte, sogar noch deprimierter. Ich erzählte ihm, was ich entdeckt hatte.

Er war gleichzeitig skeptisch, ungläubig und interessiert, und als ich ihm das Männchen zeigte, dessen Kleidung die seine imitieren sollte, und als ihm klar wurde, dass Mère Tirelou mit voller Absicht versucht hatte, ihm eine schlimme Verletzung zuzufügen, wurde er wütend, hob sich aus seinen Kissen und rief aus:

»Ah, die alte Vettel! Sie wollte mir tatsächlich etwas an tun!« Meiner Meinung nach war der Augenblick gekommen.

Ich stand auf. Ich sagte: »Philippe, vergessen Sie das alles jetzt! Vergessen Sie alles und stehen Sie auf! Jetzt ist nur noch eins nötig. Glauben Sie daran, dass Sie gehen können, und Sie werden gehen.« Er starrte mich hilflos an, sank zurück und sagte: »Ich kann es nicht glauben.«

Ich hatte es nicht geschafft. Seinem Geist fehlte, glaube ich, die nötige bewusste Vorstellungskraft. Aber es gab noch etwas, das ich versuchen konnte.

Ich sagte sanft: »Philippe, Sie mögen Mademoiselle Maguelonne doch, oder?«

»Ich liebe Maguelonne«, antwortete er.

Und dann erzählte ich ihm brutal, kurz, beinahe böse von dem Gegenstand, der in jenem Keller hing - und von seinem Zweck. Die Wirkung war so heftig, so physisch, als hätte ich ihm plötzlich ins Gesicht geschlagen. »Ah! Ah! Tonnerre de Dieu! La coquine! La vilaine coquine!«, schrie er, wie ein Verrückter aus dem Bett springend.

Der Rest war einfach. Philippe war zu wütend und zu sehr mit Maguelonne beschäftigt, um viel Zeit zu haben, Überraschung oder gar Dankbarkeit über seine plötzliche völlige Heilung zu spüren, war aber einsichtig genug, um zu begreifen, dass es für das Mädchen besser war, die Angelegenheit nicht an die große Glocke zu hängen. Als er also ging, um Maguelonne zu holen, nahm er seine Tante mit, und noch in derselben Stunde wurde sie mit ihren Habseligkeiten in Madame Plombs Zimmer untergebracht. Martin Plomb würde schon mit der alten Mère Tirelou fertigwerden. Wegen der Rolle, die sie bei Philippes Missgeschick gespielt hatte - und die sich juristisch kaum stichhaltig nachweisen ließe wollte er keine Anklage erheben, sie aber warnen, dass er Strafbefehl wegen Misshandlung eines minderjährigen Mündels gegen sie beantragen würde, falls sie je versuchen sollte, etwas gegen Maguelonne oder die bevorstehende Hochzeit zu unternehmen.

Es bleiben zwei ungelöste Elemente in diesem Fall, die man zu erklären versuchen sollte. Ich war schon immer der Meinung, dass böse Magie durch von außen auferlegte Autosuggestion wirkt und dass infolgedessen kein Zauberspruch funktionieren kann, wenn das Opfer nicht daran glaubt. Im vorhegenden Fall, der dieser Theorie zu widersprechen schien, kann ich nur vermuten, dass Philippes bewusster Verstand zwar mit völliger Skepsis reagierte, dass sein Unterbewusstsein aber (seine Familie stammte aus denselben Bergen) bestimmte atavistische, abergläubische Befürchtungen zurückbehalten hatte, die ihn verwundbar machten. Das zweite Element ist natürlich der ausgeklügelte Mummenschanz mit dem gefesselten Männchen, der Puppe, direkter Nachfahre der Wachsfiguren, die man im Mittelalter mit Nadeln durchbohrte und langsam vor einem Feuer schmelzen ließ. Wenn die Hexe kein Scharlatan ist, glaubt sie selbst felsenfest daran, dass es eine leibliche und übernatürliche Übertragung von Personen gibt.

Ich persönlich glaube, dass das Abbild einfach als Brennpunkt für die konzentrierte, böse Willenskraft der Hexe dient. Ich bin, kurz gesagt, der Meinung, dass Hexerei eine reale und gefährliche Macht ist, dass ihre Erklärung letztlich aber nicht in irgendeinem übernatürlichen Bereich, sondern auf dem Gebiet der Psychopathologie hegt.

SPUK

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