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2. Die Monatskarte

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Die 37er-Straßenbahn bimmelte, als sie quietschend am Mühlbachplatz hielt. Dennis drückte sich vom Bordstein ab, so fest er konnte. Die Türen sprangen auf. Gleich hinter Kalle, Eddie und Bruno schwang er sich ins Abteil. Platz vier, noch vor Guntram. Das war ziemlich gut, aber auch notwendig, um noch einen Sitzplatz zu ergattern.

„Rüpel“, schimpfte ein Mann hinter ihm. „Stellt euch gefälligst hinten an“, nörgelte ein anderer. In einer langen Schlange warteten viele Leute an der Haltestelle.

Nur nicht umdrehen. Auf keine Diskussion einlassen, hatte Dennis von Kalle gelernt. Einfach nicht hinsehen und die Kopfhörer auf volle Lautstärke.

Keuchend ließ sich Dennis auf den letzten Platz in der Viererreihe fallen. Kalle, Eddie und Bruno grinsten ihn an. Sie klatschten ein. Nur Guntram war wieder einmal viel zu langsam gewesen. Er ließ sich von einem Anzugmenschen abdrängen und konnte von Glück sagen, dass er noch einen Stehplatz bekam, ehe die Türen die Straßenbahn wie eine Sardinendose verschlossen.

Die neue Schule war viel weiter entfernt. Bis zum Mühlbachplatz fuhren sie jetzt mit dem Fahrrad, und dort stiegen sie in die Straßenbahn. Natürlich kamen sie immer erst auf den allerletzten Drücker an. Wenn sie sich ganz hinten in die Warteschlange einreihten, bekämen sie niemals einen Sitzplatz. Nur Guntram war der Meinung, dass sie sowieso den ganzen Tag in der Schule sitzen mussten und ein bisschen Stehen überhaupt nicht schadete. Guntram verstand überhaupt nicht, worum es ging. Ihm fehlte der Sportsgeist. Es war Ehrensache, einen Sitzplatz zu erkämpfen, da musste Dennis Kalle und den anderen recht geben.

Eine ältere Dame in einem viel zu warmen braunen Wollmantel stand im Gang, direkt neben Kalle. Sie sprach Kalle an. Dennis verstand nicht, was sie sagte, seine Musik dröhnte laut aus den Kopfhörern. Dieser Trick war wirklich super. So konnte er jedem lästigen Gespräch aus dem Weg gehen.

Kalle fingerte in der Jackentasche nach seinem MP3-Player. Er stellte ihn noch etwas lauter und wippte zur Musik. Die Oma hatte überhaupt keine Chance, ihn zu erreichen.

An der Haltestange, die von Kalles Sitz bis hinauf zur Decke führte, klammerte sich die alte Frau fest. Sie war ziemlich klein, kaum größer als Kalle im Sitzen. Ihre Hände reichten nicht hinauf zu den Griffen, die von der Decke baumelten. Sie stand krumm nach vorne gebeugt. Herr Blauberg würde schimpfen, wenn Dennis seinen Rücken so schief machen würde. Aber die Frau hatte wohl keinen Vater mehr. Als die Straßenbahn über die Mühlbachbrücke rumpelte, wurde die Frau hin und her gerissen. Es sah fast aus, als würde sie tanzen. Dennis machte die Augen zu und wippte immer wilder mit dem Oberkörper zur Musik. Da stupste ihn jemand an der Schulter. Die alte Frau? Dennis kniff die Augen zusammen. Er beschloss, die alte Frau nicht zu bemerken. Da packte ihn jemand an der Schulter. Ängstlich öffnete er seine Augen einen winzigen Spalt. Eddie und Bruno grinsten ihn spöttisch an.

„Was ist los?“, fragte Dennis seine Freunde und setzte seine Kopfhörer ab.

„Bei dir sieht das komisch aus, wie in einem Fitnessstudio. Ich meine, wie du herumwackelst“, sagte Eddie, und Bruno nickte dazu.

Dennis erstarrte augenblicklich wie tiefgefroren, und sein Gesicht glühte knallrot. Er beschloss, cooles Wippen zu Hause vor dem Spiegel zu üben.

„Eddie, lass Dennis in Ruhe“, fuhr Kalle dazwischen. „Ich hab' da so ein kleines Problem.“

„Was für ein Problem, Chef?“, fragte Bruno.

„Es geht um den Schulausflug zur Sommerrodelbahn nach Birnberg.“

„Nächsten Montag, das wird super“, freute sich Bruno. „Den ganzen Tag rodeln anstatt Mathe, Englisch und Deutsch.“

„Genau das ist das Problem. Ich habe die zwanzig Euro noch nicht bezahlt und heute ist die allerletzte Möglichkeit, hat Herr Zieseke gesagt. Sonst darf ich nicht mitfahren und muss stattdessen in die Parallelklasse gehen. Und ich Idiot habe mein Geld heute wieder vergessen“, gab Kalle kleinlaut zu.

Betreten sahen Dennis, Eddie und Bruno zu Boden.

„Kann mir vielleicht einer von euch zwanzig Euro leihen?“, fragte Kalle.

„Zwanzig Euro?“, wiederholte Eddie. „Ich wäre froh, wenn ich zwei Euro hätte.“ Und Bruno schüttelte ganz schnell den Kopf, damit er nicht in Verdacht kam, zwanzig Euro zu besitzen.

Sechs Augen starrten Dennis an. Er hatte das Gefühl, dass ihn sogar die alte Frau im Wollmantel ansah. Dennis druckste herum. Ihm wurde plötzlich ganz heiß. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn. Ja, heute hatte er zwanzig Euro dabei. Aber das war überhaupt nicht sein Geld. Das konnte er nicht einfach verleihen. Mama hatte es ihm gegeben.

„Nun sag schon“, drängte Kalle.

Dennis fühlte sich ziemlich unwohl. Am liebsten hätte er mit Guntram getauscht, der immer noch an der Tür stand und nach draußen starrte.

„Ja, schon, aber ich kann dir das Geld nicht geben“, sagte Dennis.

„Was soll das? Ich gebe es dir doch zurück! Ich dachte, du bist mein Freund!“ Kalle drehte sich wütend zur Seite.

„Meine Mutter hat mir zwanzig Euro mitgegeben, aber davon muss ich die Monatskarte für die Straßenbahn kaufen. Morgen beginnt der November.“ Dennis machte ein ganz zerknirschtes Gesicht.

Kalle ließ nicht locker: „Das ist überhaupt kein Problem. Du leihst mir jetzt die zwanzig Euro, und ich gebe dir das Geld morgen früh zurück. Dann darf ich zur Rodelbahn mitkommen, und du kannst dir rechtzeitig die Monatskarte kaufen.“

„Hm, das müsste gehen“, überlegte Dennis. Er brauchte die neue Monatskarte erst morgen. Dennis zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und fischte den Zwanzig-Euro-Schein heraus. „Aber du musste mir das Geld unbedingt morgen früh zurückgeben“, sagte er, „sonst kann ich nicht mit der Straßenbahn fahren.“

„Klar, mache ich. Danke, Dennis“, grinste Kalle ehrlich erleichtert.

Und an diesem Tag redeten Dennis, Guntram, Kalle, Eddie und Bruno nur noch von der Sommerrodelbahn. Das würde ein riesiger Spaß werden.

Am nächsten Morgen fuhren Dennis und Guntram mit dem Fahrrad fünf Minuten früher los, damit sich Dennis noch die neue Monatskarte kaufen konnte. Er war der Einzige in der Haibande, der keine Jahreskarte hatte. Doch am Mühlbachplatz warteten weder Kalle noch Eddie und Bruno. Dabei hatten sie es doch extra ausgemacht. Dennis wurde nervös. Er tippelte auf und ab. Die Schlange an der Straßenbahnhaltestelle wurde immer länger. Die Frau in dem braunen Wollmantel hatte sich auch eingereiht. Wo blieben nur seinen Freunde? Dennis' Hände fühlten sich ganz feucht an.

Da bimmelte schon die Straßenbahn um die Kurve. Endlich, in diesem Moment schossen Kalle, Eddie und Bruno um die Ecke. Sie rasten über den Mühlbachplatz und legten direkt neben Dennis und Guntram eine Vollbremsung hin.

„Gerade noch geschafft“, schnaufte Kalle, als er von seinem Fahrrad sprang und das Schloss zuschnappen ließ.

„Mein Geld, hast du mein Geld dabei?“ Dennis sah Kalle mit aufgerissenen Augen an.

Die Straßenbahn quietschte. Jeden Moment würde sie halten. Dennis hatte ein mieses Gefühl. Wie sollte er es jetzt noch schaffen eine Monatskarte zu kaufen?

Kalle schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen habe. Morgen bringe ich dein Geld mit. Ganz bestimmt.“

„Mei-ne Mo-nats-karte“, stammelte Dennis.

Aber das schien Kalle nicht aus der Ruhe zu bringen. „Ist doch kein Problem. Dann fährst du heute ohne Karte. Die kontrollieren sowieso nie.“

„Ich soll schwarzfahren?“, fragte Dennis mit zitternder Stimme.

„Nein, du fährst nicht schwarz. Du kaufst die Monatskarte nur einen Tag später. Darüber regt sich kein Mensch auf“, erklärte Kalle. Eddie und Bruno nickten. Und auch Guntram machte ein zuversichtliches Gesicht.

Die Türen der Straßenbahn fuhren zischend auf.

„Los geht's“, rief Kalle. Er spurtete an der Warteschlange vorbei. Eddie und Bruno hinterher. Und sogar Guntram drängelte heute so sehr, dass er ein „Frechheit“ abbekam. Dennis atmete tief ein und hetzte seinen Freunden nach. Auf dem Trittbrett trat er einem Mann aus Versehen auf den Fuß, sodass dieser mit der Aktentasche um sich schlug. Zum Glück war Dennis längst ins Abteil geklettert und ließ sich neben den andern auf den allerletzten Sitzplatz fallen. Er hatte ein mieses Gefühl. Er wollte nicht schwarzfahren. Guntram versuchte, ihn zu beruhigen: „Dennis, es ist alles in Ordnung. Morgen kaufst du die Monatskarte.“

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dein Geld vergessen habe“, entschuldigte sich Kalle. „Ich schreibe es gleich auf. Dann vergesse ich es bestimmt nicht.“ Kalle kramte in seiner Schultasche und zog sein Hausaufgabenheft heraus.

Die Frau im braunen Wollmantel stand wieder neben den Jungs und klammerte sich an der Haltestange fest. Die Straßenbahn rumpelte los.

Von hinten schob sich ein Mann in schwarzer Lederjacke durch den Gang. Er trug seine Haare streng gescheitelt. Der Mann kämpfte sich nicht wortlos durch die Straßenbahn. Er sprach jeden Fahrgast einzeln an und unterhielt sich kurz mit ihm.

„Was will der?“, fragte Dennis nervös und zeigte mit dem Finger auf den Mann.

Guntram zuckte mit den Schultern: „Weiß nicht? Den kenne ich nicht.“

Kalle drehte sich nach dem Mann um und als er wieder zu Dennis sah, war er ganz blass im Gesicht. „Das ist ein Kontrolleur“, murmelte er. Der Kontrolleur war nur noch vier Sitzreihen entfernt.

Dennis rang nach Luft, riss seinen obersten Jackenknopf auf. Er fühlte sich, als hätte ihm der Kontrolleur bereits einen Magenschwinger verpasst. „Was soll ich tun?“, japste er.

„Wir springen einfach an der nächsten Station raus“, schlug Kalle vor.

„Bis dahin hat er uns längst erwischt“, zischte Dennis. „Guntram, du musst mir helfen. Bitte.“

Guntram Mempelsino von Falkenschlag konzentrierte sich. Er schien zu wissen, dass es jetzt wirklich darauf ankam. Guntram riss ein Blatt Papier aus dem Schulranzen und zückte seinen Zauberstab. Zackig schwang er ihn hin und her. Er murmelte Zaubersilben und endlich hörte Dennis das erlösende Plombat.

Es war allerhöchste Zeit. Der Kontrolleur stand nur noch zwei Reihen entfernt. Er schnauzte gerade eine Frau an, sie solle gefälligst ihren Kinderwagen ordentlich an den Rand schieben und ihren Fahrschein herzeigen. Der Kontrolleur machte einen ungenießbaren Eindruck. Dennis lief es eiskalt über den Rücken.

Das Blatt Papier zuckte unter Guntrams Zauberstab. Es blitzte kurz auf und im nächsten Moment schrumpfte es zu einer kleinen Karte zusammen. Es leuchtete marzipanrosa und war rund wie ein Bieruntersetzer. In goldenen Schnörkelbuchstaben stand darauf zu lesen: Dennis' Monatskarte.

„Spinnst du?“, rief Dennis. „Das geht niemals als Fahrkarte durch. Das Ding kann ich dem Kontrolleur auf keinen Fall zeigen.“

Guntram machte ein betretenes Gesicht. „Ich kann's ja noch einmal probieren“, murmelte er und ließ den Zauberstaub über die rosa runde Fahrkartenfälschung kreisen.“

Eddie und Bruno rutschten ein wenig zur Seite, so als würden sie Dennis nicht kennen.

„Gleich hält die Straßenbahn“, murmelte Kalle.

Aber es war zu spät. Der Kontrolleur stand schon vor ihnen. Er hatte sich breitbeinig aufgestellt. Es gab kein Entkommen. Die alte Frau im braunen Wollmantel hatte er mit dem Ellenbogen zur Seite geschoben: „Fahrkartenkontrolle“, bellte er und hielt den Jungs seinen Ausweis unter die Nase.

Umständlich kramte Kalle in seiner Hosentasche. Eddie hatte seine Fahrkarte als Erster gefunden. Bruno machte so eine bescheuerte Verbeugung, als er sein Ticket vorzeigte. Zuletzt fischte Guntram seine neue Monatskarte aus dem Geldbeutel.

„Und du?“, wandte sich der Kontrolleur an Dennis.

Dennis wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen. Er starrte auf den Boden.

„Deine Fahrkarte!“, forderte der Kontrolleur.

Der Kontrolleur würde ihn bestimmt gleich verhaften und seine Eltern anrufen. Dennis haspelte: „Ich, ich meine, also …“ Aber Dennis meinte überhaupt nichts.

„Aha, ein Schwarzfahrer“, schnarrte der Kontrolleur. „Name, Adresse, Telefonnummer.“ Zufrieden strich er sich über den Scheitel. „Wird's bald?“

„Dennis. Dennis Blauberg.“

In diesem Moment drängelte sich die Frau im braunen Wollmantel vor. Sie drückte dem Kontrolleur einfach ihre Handtasche in den Bauch.

„Guter Mann“, sagte sie, „für meinen Enkel Dennis habe ich die Karte gelöst.“

Sie hielt dem verdutzten Kontrolleur eine gültige Fahrkarte unter die Nase.

Dennis starrte die Frau ungläubig an. „Wieso ...?“, murmelte er.

Guntram kniff Dennis in den Arm.

„Warum nicht gleich so?“, knurrte der Kontrolleur und warf einen abschätzigen Blick auf die Fahrkarte. Enttäuscht ließ er von Dennis ab.

„Danke“, murmelte Dennis fassungslos und starrte die Frau im braunen Mantel an.

„Ich habe euch gestern zugehört“, sagte die Frau zu Dennis und lächelte. „Es ist nicht deine Schuld, dass du keine Monatskarte kaufen konntest. Du hast einem Freund aus der Patsche geholfen. Da dachte ich mir, heute helfe ich dir.“

Kalles Kopf leuchtete rot wie eine Weihnachtskugel. „Morgen bringe ich das Geld mit. Ganz bestimmt“, murmelte er und kritzelte noch ganz viele Ausrufezeichen in sein Hausaufgabenheft.

„Vielen Dank“, stammelte Dennis. Dann stand er auf und fragte: „Möchten Sie meinen Platz haben?“

„Ja, gerne.“ Die Frau strich ihren Wollmantel glatt und setzte sich.

„Wenn Sie möchten, halten wir Ihnen jeden Morgen einen Sitzplatz frei“, schlug Dennis vor.

„Klar, ist doch Ehrensache“, meinte Kalle. Eddie und Bruno nickten. „Ganz genau“, fügte Guntram hinzu und schob seinen Zauberstab zurück in den Umhang.

Dennis & Guntram – Zaubern für Helden

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