Читать книгу Paul und das Geheimnis seiner Ehefrau - Iris Rösner - Страница 7

Kapitel Zwei

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Claire befand sich im Wohnzimmer. Sie saß lesend in ihrem betagten Ohrensessel mit dem abgewetzten blauen Samtstoff. Das gute Stück war Teil der Einrichtung, seit sie das Reihenhaus bezogen hatten. Hier thronte Claire damals mit kugelrundem Babybauch und scheuchte mit militärischem Drill verängstigte Handwerker durch das Haus. Paul hatte es bedauert, dass er seine hochschwangere Frau in ihrem Treiben nicht unterstützen konnte. Sein linkes, verkürztes Bein bereitete ihm sechs Monate nach dem Unfall weiterhin Probleme und die Umschulungsmaßnahme zum Finanzbuchhalter hielt ihn auf Trab. Wenn Paul an die damalige Zeit und seine negative Lebenseinstellung dachte, überfielen ihn bis heute Sorgenfalten. Wären da nicht Claire und das ungeborene Baby gewesen, hätte ihn die Diagnose Fünfzigprozentige Geh- und Stehbehinderung in ein bodenloses Loch gezogen. Da er für Frau und Kind sorgen musste, blieb ihm keine Zeit, um Trübsal zu blasen. Oft massierte ihm Claire abends den Nacken, wenn er erschöpft vom Tag noch über den Büchern saß.

„Ich sollte dich massieren, deinen Bauch streicheln und mit dem Baby reden.“

„Du kannst dem Baby etwas über Gewinn und Verlust-Rechnung erzählen. Vielleicht wird es dann ein kleines Finanzgenie.“

„Wir werden Finanzjongleure werden müssen, wenn das Baby erst einmal auf der Welt ist. Auf Montage habe ich mehr verdient, wie jetzt als Buchhalter.“

„Aber dafür bist du jederzeit in meiner Nähe und tingelst nicht monatelang durch den Orient. Es ist schön, sein Kind aufwachsen zu sehen anstatt ausschließlich über Briefe und Fotos auf dem Laufenden zu bleiben.“

„Ich wollte mit meinen Kindern immer Fußball spielen, auf den Wiesen toben und die Schweizer Bergwelt erklimmen. Aber kann ich das jetzt noch? Mit einem verkürzten Bein? Ich bin eingeschränkt für den Rest meines Lebens. Und nur, weil mir drei Zentimeter fehlen.“

Claire wurde damals unfassbar wütend. Paul wusste nicht, ob das mit den Hormonen zusammenhing oder ob das ein Teil ihres Temperamentes war.

„Paul Schreiber, jetzt reiß´ dich zusammen. Du jammerst permanent. Sei froh, dass du noch lebst. Du hättest Tod sein können. Oder geistig behindert oder querschnittsgelähmt. Du hattest verdammtes Glück. Weißt Du überhaupt, dass eine Behinderung auch Vorteile haben kann?“

„Auf dem Behindertenparkplatz darf ich mit Sicherheit nicht stehen!“

Claire verdrehte die Augen gen Himmel.

„Ja, aber die paar Meter kannst du auch laufen.“

„Welchen Vorteil bringt mir dieses blöde Stück Papier, auf dem Behindertenausweis steht? Verrat mir das!“

Claire knetete geduldig Pauls Nacken und erklärte ihm

„Die Jobsuche hat sich als leicht erwiesen, weil Firmen sich damit brüsten Behinderte einzustellen und somit ihr Image aufpolieren. Und du kannst fünf Jahre früher in Rente gehen. Im Schwimmbad oder Museum zahlst du den vergünstigten Eintrittspreis. Und nur, weil dir drei Zentimeter fehlen.“ Sie lächelte und flüsterte ihm ins Ohr, „und ich versichere dir, sie fehlen nicht an der falschen Stelle, Paul Schreiber.“

Paul wusste, dass Claire Recht hatte. Sie hatte für gewöhnlich Recht. So ist das mit schlauen Ehefrauen. Von diesem Tag an drückte Paul fleißig jeden Tag acht Stunden die Schulbank, um sich mit Offenen-Posten-Listen, Kreditoren und dem Verbuchen von Forderungen auseinander zusetzten. Schwer fiel es ihm nicht, denn Buchhaltung war eine logische Angelegenheit. Fehlte an einer Stelle Geld, musste es sich an einer anderen befinden. Verschwunden ist es nur, wenn jemand in die Kasse gegriffen hatte. Gottlob ging es in Pauls Büchern und Konten jederzeit tadellos zu. Bis auf den einen oder anderen Pfennig, der sich am Ende eines Monats nicht mehr finden ließ. Dreißig Jahre war er seinem Unternehmen treu geblieben, hatte Bilanzen erstellt, Gewinn und Verlust berechnet sowie Monats- und Jahresabschlüsse angefertigt. Er war gut in seinen Job. Gewissenhaft und verantwortungsvoll. Mit stattlichen Schritten eilte er die Karriereleiter hinauf, was sich letztendlich finanziell auszahlte, da sie bald Eltern von zwei Kindern waren.

Claire sah auf und legte ihr Buch in den Schoß. Sie hob ihre Arme in Richtung Paul und gab ihrem Ehemann zu verstehen, dass er ihr einen Kuss geben sollte. „Weil du fleißig geradelt bist, bekommst du eine Belohnung.“

„Die habe ich mir auch verdient.“

„Bei dem breiten Grinsen in deinem Gesicht müssen sich Unmengen von Endorphine in deinem Körper freigesetzt haben. Du siehst, Bewegung macht nicht nur an der frischen Luft glücklich.“

„Da muss ich dir widersprechen. Mein Kopfkino und die Schneeflocken vor dem Kellerfenster haben mir eine Extraportion Schwung verliehen.“

„Warst du etwa nicht zum Training im Keller? Aber du weißt doch, dass Dr. Sander …,“

Paul winkte lässig ab: „Vergiss Dr. Sander, ich habe Zukunftspläne geschmiedet.“

Stirnrunzelnd erhob sich Claire aus ihrem Sessel und schaltet den Deckenfluter ein. „Zukunftspläne? Du weißt schon, dass wir keine zwanzig mehr sind, oder?“

„Ja, aber die Radieschen schauen wir uns noch lange nicht von unten an.“

Mit flinken Schritten, die graue Wolljacke um sich geschlungen, eilte Claire an ihm vorbei in die gemütliche Wohnküche. Ein Unikat für ein Reihenmittelhaus der 1980er Jahre. Claire bestand jedoch auf einer Wohnküche, da der geplante Essbereich mit Durchreiche sie an dunkle Kneipen erinnerte. Verwirrt, über die unvermittelte Flucht seiner Frau, folgte Paul ihr in die Küche.

„Magst du auch einen Tee? Wir können die restlichen Weihnachtsplätzchen aufessen und dann erzählst du mir von deinen ‚Zukunftsplänen‘.“

Paul verzog die Lippen zu einem Schmollmund: „Du brauchst das nicht ins Lächerliche zu ziehen. Ich sage ja nicht, dass ich erneut Kinder in die Welt setzten möchte oder mit dem Rucksack quer durch Afrika trampen will.“

„Das mit den Kindern ist schwer umsetzbar.“

Paul lehnte sich lässig mit dem Rücken an den Kühlschrank: „Für dich vielleicht. Ich suche mir eine junge Geliebte und setze einen Stammhalter in die Welt. Einen echten Kerl, der Fußball spielt und mit mir Actionfilme anschaut.“

Claire verschränkt die Arme vor der Brust und klopft mit der rechten Fußspitze zügig auf und ab: „Und was ist mit Marie? Deiner Tochter, die bereits als zweijährige rosa verabscheute, mit dir eine Seifenkiste baute und kein Basketballspiel der Los Angeles Lakers verpasst? Marie ist tougher als jeder Sohn, merk´ dir das mein Lieber.“

Claire stellte scheppernd die Tassen, Milch, Kandiszucker und den duftenden Earl Grey Tee auf den Tisch. Paul holte die Dose mit den Weihnachtsplätzchen vom Schrank und legt eine Auswahl auf den Keksteller. Er goss sich und Claire Tee ein, zündete drei Teelichter an, rührte gemächlich den Kandiszucker in seiner Tasse um und biss in eines seiner Lieblingsplätzchen: Engelsaugen. Claire umfasste mit ihren kalten Händen die Tasse und nippte vorsichtig am heißen Getränk. Dann starrte sie Paul an.

„Was“, blaffte er.

„Jetzt verrate mir deine Pläne.“

Doch Pauls Mund nahm erneut die Form einer Schnute an.

„Nö, ich will nicht mehr.“

„Man möchte meinen, dass du nicht sechzig, sondern sechs Jahre alt wirst, so trotzig, wie du dich verhältst.“

„Das ist einsetzender Altersstarrsinn.“

„Da stimme ich dir ausnahmsweise zu.“

Claire schlürfte wiederholt an ihrem Tee, bevor sie Paul anlächelte, und einen versöhnlichen Tonfall anschlug: „Jetzt sag´ schon.“

Paul sog die Luft ein und verkündetet: „Amerika. Ich will eine Reise nach Amerika unternehmen. Vier, sechs oder acht Wochen am Stück. Je nachdem, wie viel Zeit wir benötigen. Keine Hektik, keinen Stress. An einem Ort verweilen, solange wir möchten. Was hältst du davon?“

„Durch ganz Amerika? Von Feuerland bis Alaska? In nur acht Wochen?“

„Nein“, Paul schüttelte den Kopf, „nur die Vereinigten Staaten. Und für den Anfang beschränke ich mich auf die Highlights der Ostküste. Du weißt schon ... Boston, New York, Philadelphia, Washington, Richmond, Savannah, Orlando, Miami und Key West.”

„Du willst sie alle?“

„Absolut!“

Bei diesen Plänen verschlug es Claire die Sprache. Hin und wieder nippte sie an ihrer heißen Teetasse oder griff nach einem Zimtstern. „Aber ein acht Stunden Flug. In unserem Alter. Eingequetscht wie Sardinen in der Dose. Und das mit meinen Knieproblemen. Von deinem Rücken ganz abgesehen. Findest du, dass die Reise eine gute Idee ist?“, gab sie zu bedenken.

Eine Weile sprach keiner von beiden ein Wort. Jeder hing seinen Gedanken nach. Paul wartete gespannt, ob Claire weitere Einsprüche einlegen würde. Stattdessen überraschte sie Paul mit einer Alternative: „Was hältst du von einer Fahrt mit dem Orient-Express? Von Istanbul über Venedig nach Paris? Das wäre ebenfalls ein Abenteuer. Nur viel komfortabler.“

Paul griff sich ein Vanillekipferl und kaute gemächlich wie ein Kamel darauf herum. Er leerte seine Tasse in einem Zug und erwiderte „Ja, die Idee ist gut. Aber das ist sie noch in fünf oder zehn Jahren, wenn es uns gesundheitlich schlechter geht.“

„Aber das amerikanische Essen ist Gift für deine Gesundheit. Das fettige Fleisch und die Hitze in Florida, die Kälte in Boston und …“

Bevor Claire weitere Einwände aufzählen konnte, erhob sich Paul von seinem Stuhl. Er setzte sich direkt neben Claire auf die Küchenbank und nahm ihre zarten Hände in seine Pranken: „Liebste Claire, ich gehe in zwei Monaten in Rente. Danach brauche ich Abstand von meinem bisherigen Leben. Einen Schnitt. Verstehst du das?“

Claire nickte, wenn auch nur zaghaft, woraufhin Paul seine Idee ausbaute.

„Die Vereinigten Staaten von Amerika waren für viele Menschen vor mir ein Schritt in eine unbekannte Zukunft. Und das ist bei mir genauso. Ich weiß nicht, wie ich die kommenden dreißig Jahre verbringen möchte, aber ich erhoffe mir Inspiration vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Darum bitte ich dich, Claire Schreiber,“ und jetzt kniete Paul sich vor Claire und fragte sie: „Willst du mit mir nach Amerika reisen, um meinen nächsten Lebensabschnitt gebührend zu starten?“

Es folgte ein kurzes Schweigen, bevor aus Richtung der Küchentür Applaus erklang.

„Bravo, bravo, bravo. Papa, du solltest eine Karriere als Schauspieler anstreben. Talent für das dramatische Fach bringst du mit.“

Ihre Tochter Vicky stand eingepackt in einer blauen Daunenjacke und einer pinken Pudelmütze auf dem Kopf klatschend in der Küchentür. Mit zwei Schritten war sie bei ihren Eltern, gab jedem einen Kuss auf die Stirn, schmiss ihre warme Kleidung auf die Eckbank, belegte den nächstbesten Stuhl und nahm einen kräftigen Schluck aus Pauls Teetasse. Ihre feinen Gesichtszüge mit der Stupsnase in der Mitte verzogen sich zu einer naserümpfenden Fratze: „Ein wenig Rum würde dem Tee mehr Würze verleihen.“

Claire schüttelte missbilligend den Kopf.

„Erst einmal ‚Hallo, mein Schatz. Was führt dich bei Minustemperaturen und Schneegestöber in unser beschauliches Heim?“

Vicky seufzte, zwirbelte mit dem Finger an einer ihrer kastanienroten Haarsträhne und drehte in gespielter Verzweiflung die braunen Augen in Richtung Himmel.

„Tom ist seit vorgestern kränklich und ich seitdem ans Haus gefesselt. Aber Gott sei Dank kam Oli heute früher von der Arbeit und ich begab mich raus ins Vergnügen.“

Paul lachte auf: „Raus ins Vergnügen? Bei minus fünf Grad Celsius und eisigem Wind? Erzähl mir nicht, du hast bereits zwei Schneemänner gebaut und drei Schneeengel zum Leben erweckt.“

„Einen Schneemann, zwei Schneeengel und Mama sollte Zeit einplanen, wenn sie das nächste Mal mit ihrem Flitzer fahren will.“

Vicky warf ihrer Mutter einen bedauernswerten Blick zu.

„Es sei denn, du benutzt dein Auto erst wieder im März oder April.“

Jetzt war es an Claire mit der Nase zu rümpfen. Im nächsten Augenblick erhob sie tadelnd den Zeigefinger und meinte an ihre Tochter gewandt „Dein Kind liegt krank zu Hause und du denkst nur an dein Vergnügen.“ Gleich darauf nahm ihre Stimme eine hohe Tonlage an und sie fragte besorgt „Was fehlt meinem kleinen Engel? Ich hoffe, es ist nichts Ernsthaftes?“

Vicky winkte lässig mit der Hand ab.

„Der übliche Erkältungsinfekt. Ein bisschen Husten, gepaart mit einer Rotznase und garniert mit einer Prise Fieber. Übermorgen ist der Infekt mit Sicherheit überstanden. Du darfst morgen gerne vorbeikommen und deinen ‚kleinen Engel` bespaßen. Das bedeutet zwei Stunden Vorlesen, eine Stunde Puzzeln, zwei Stunden Lego spielen und so weiter. Hiermit bist du herzlich eingeladen.“

Claire schien gedanklich ihre Termine durchzugehen, bevor sie erwiderte: „Ich kann nicht. Erst wieder im März oder April, wenn mein Auto vom Schnee befreit ist.“

Paul hatte dem Geplänkel zwischen Frau und Tochter zugehört. Jetzt war es an der Zeit, sich einzumischen.

„Im März kannst du nicht, meine liebe Claire. Da befinden wir uns auf Abenteuerreise.“

Gespannt setzte sich Vicky kerzengerade auf und fragte aufgeregt: „Oh, ihr wollt verreisen? Wo soll es hingehen?“

Paul hob seine Brust und verkündete erneut: „Amerika!“

„Aber ohne mich“, entschied Claire.

Vicky warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu. Claire stand auf, um ihrer Tochter eine Teetasse zu holen, bevor sie ihre Bedenken äußerte: „Wenn wir nach Amerika fahren, brauchen wir neue Pässe, weil die Amerikaner darauf bestehen. Und diese biometrischen Dinger sind nicht günstig. Wer weiß, welche Daten die Amerikaner über uns in Erfahrung bringen. Und nur, weil dein Vater unter allen Umständen die Freiheitsstatue sehen will. Dabei haben wir in Paris den Eiffelturm. Der ist genauso schön. Und die Freiheitsstatue ist von einem Schüler Eiffels erbaut. Also quasi nur ein müder Abklatsch vom Original. Da können wir auch in Europa bleiben.“

Nach diesem Monolog verzweifelte Paul: „Wo ist nur dein Sinn für Abenteuer geblieben?“

„In den letzten dreißig Jahren im Alltag verloren gegangen.“

Doch Paul gab nicht auf: „Claire, schließ` die Augen und stell´ es dir vor. Strand, Wärme, Outlet-Shopping in Florida, Palmen, Frühstück bei Tiffanys, großartige Kunstmuseen, Coffee-Shops ...“

„Und wer versorgt die Katzen?“

„Ich“, antwortete Vicky prompt und verschluckte sich an den letzten Plätzchenkrümel, „im Tausch gegen ein paar Levis Jeans, die es in den Staaten viel günstiger gibt.“

„Rechne den Preis für die Flugtickets sowie die Hotelübernachtungen in den Kleiderpreis ein und du kannst die Sachen zum regulären Preis bei uns kaufen“, nahm Claire ihrer Tochter die Illusion vom amerikanischen Einkaufsparadies.

„Ach Mama“, säuselte Vicky und legte den Arm um ihre Mutter, „ihr fahrt ohnehin in die Staaten. Und zwei Koffer darf jeder von euch mitnehmen. Da wird sich wohl ein Platz für eine Levis Jeans und ein paar hippe Turnschuhe finden, oder?“

Claire schnaubte wütend und stand auf, um zwischen Spüle und Kühlschrank hin und her zu tigern. „Ich will meinen Urlaub nicht damit verbringen vier Wochen im Auto zu sitzen, weil dein Herr Vater sich in den Kopf gesetzt hat von Boston bis nach Miami zu fahren. Da sind wir eine Ewigkeit unterwegs.“

Vicky stimmte ihrer Mutter zu: „Das könnte vier Wochen dauern. Oder mehr.“

Jetzt war es an Paul das Gespräch wieder in die gewünschte Richtung zu lenken. In seine Richtung. „Aber wir haben Zeit. Ich bin dann Rentner. Wenn uns vier Wochen nicht ausreichen, gut, sind wir halt sechs oder acht Wochen auf Achse. Vergiss nicht - ich bin Rentner!“

„Aber ich nicht“, fiel ihm Claire ins Wort, „Wer soll in der Zeit meine Kurse an der Volkshochschule vertreten? Für die Yoga-Einheiten finde ich rasch einen Ersatz. Aber wo zum Teufel bekomme ich jemanden her, der meine Französisch- und Italienischkurse übernimmt. Das kann nicht Hinz und Kunz, da sind Muttersprachler nötig.“

„Gibt doch mal der Jugend eine Chance“, erwiderte Vicky, „an der Uni in Mannheim findest du mit Sicherheit ein Dutzend Romanistikstudentinnen, die liebend gerne einen Kurs übernehmen.“

Mit schmallippigen Mund setzte sich Claire auf die Küchenbank und ließ ihre Finger rhythmisch auf der Tischplatte tanzen. „Und was ist mit der endlosen Autofahrt?“

Paul fasste sich verzweifelt an den Kopf. Dann stand er auf, ging ins Wohnzimmer und kam mit dem hochprozentigen Rum zurück. Er packte seine Tasse, goss dampfenden Tee ein und fügte eine großzügigen Schuss Rum hinzu. Anschließend verursachte er rührend einen Strudel in dem Becher, trank schlürfend einen Schluck und legte los: „Neue Idee. An Amerika ändert sich nichts. Aber wir ändern die Route. Ich muss ja nicht gleich alle Metropolen an der Ostküste sehen. New York, Philadelphia und Washington reichen für den Anfang. Wir sollten uns ein paar Städte für kommende Reisen übriglassen. Von Washington aus fliegen wir nach Orlando, nehmen uns dort einen Mietwagen und gondeln gemütlich bis nach Key West runter, wo wir eine oder zwei Wochen Strandurlaub dranhängen. Wäre das ein Kompromiss, meine Liebste?“

Claire genehmigte sich ebenfalls einen Schuss Rum. Sie nippte an ihrem aufgeputschten Tee und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Wie ein Tiger seine Beute fixierten Claires Augen ihren Ehemann.

„Amerika? Bist du dir sicher?“

„Unbedingt. Ich will die Freiheitsstatue erklimmen und die Freiheitsglocken in Philadelphia schlagen. Ich will ein Foto mit Donald Duck in Disney World und mich in Cape Canaveral in eine Rakete setzen. Ich will Alligatoren in den Everglades streicheln und in Hemingways Lieblingsbar in Key West einen Cocktail trinken.“

Paul griff nach Claires Händen und verlor sich in den braunen Augen seiner Ehefrau.

„Aber es geht mir nicht nur um das Land. Ich will die Reise nutzen, um Zeit mit dir zu verbringen. Um in deinem Kopf schöne Erinnerungen zu verankern, falls…“, Paul räusperte sich, „falls meine Zeit auf diesem Planeten rascher als geplant ablaufen sollte. Glaub mir, ein Herzinfarkt stand nicht auf meiner To-do-Liste.“

Claire umarmte Paul und flüsterte ihm ins Ohr: „Wenn, dann trete ich zuerst ab. Hast du verstanden? Wir halten uns an das Motto `Ladys first`. Versprochen?“

„Ich werde mich bemühen.“

Paul und das Geheimnis seiner Ehefrau

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