Читать книгу Die Intelligenz der Liebe - Isha Judd - Страница 7

Leer ist das neue Voll

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Ein japanischer Zenmeister bekam einmal Besuch von einem Universitätsprofessor, der ihn über Zen befragen wollte.

Der Meister servierte Tee. Die Japanische Teezermonie ist lang und kompliziert, und der Wissenschaftler wurde immer ungeduldiger, während der Zenmeister in aller Seelenruhe die vierundfünfzig Schritte der Zeremonie absolvierte. Als der Tee fertig war, goss er ihn in die Tasse seines Besuchers. Als die Tasse voll war, goss er noch weiter Tee hinein.

Natürlich lief die Tasse über. Der Professor konnte sich nicht länger zurückhalten: "Die Tasse ist bereits voll, da geht nichts mehr hinein!"

"So wie diese Tasse", sagte der Meister, "so voll sind Sie mit Ihren eigenen Meinungen und Ansichten. Wie kann ich Sie unterrichten, wenn Sie Ihre Tasse noch nicht geleert haben?"

In der heutigen Zeit gilt die Lehrmeinung, dass wir Vollendung finden, wenn wir Dinge anhäufen wie Ansichten, Besitztümer, Wissen und Erfahrung. Aber in Wahrheit kommt das wirkliche, pulsierende Leben zu uns, wenn wir leer sind.

Während wir in jedem wachen Moment so viel wie möglich büffeln, befinden sich unsere Sinne in einem endlosen Kanonenfeuer aus Stimulation und Ablenkung und wir begraben dabei den größten Schatz, den es gibt: uns selbst. Ganz tief unten, unter allen Ansichten, Vorlieben, Meinungen, Ängsten und Erinnerungen ist unser wahres, ewiges Wesen — das ich das Bewusstsein von Liebe nenne. Es war immer da und wird immer dort sein. Es ist das, was wir im Grunde sind, aber wir haben es aus dem Auge verloren. Es wurde von all dem "Zeugs" verdeckt, das wir so schätzen. Nur wenn wir uns davon befreien, können wir unseren kostbarsten Schatz in uns wiederfinden. Leere ist voll von dem, was wir im tiefsten Grunde wollen und brauchen.

Wir hängen an Strukturen, die uns vertraut sind, denn wir denken, dass sie definieren, wer wir sind. Selbst wenn sie uns unglücklich machen, scheint die Alternative noch weniger wünschenswert zu sein: Unsere Angst vor Veränderung ist letztlich die Angst, unsere Identität zu verlieren. Denn wer wären wir ohne unsere Glaubenssätze, politischen Einstellungen, Vorlieben und, tatsächlich, unseren Persönlichkeiten? Diese Ansichten über die Welt und unseren Platz darin geben uns ein Gefühl von Sicherheit. Wir wissen, wo wir stehen und wir wissen, in welcher Position wir in Bezug auf alles andere und jeden anderen stehen. Aber hat diese Illusion von Sicherheit uns bislang Glück gebracht? Für die überwältigende Mehrheit von uns, die wir in der modernen westlichen Welt leben, lautet die Antwort "Nein".

Wenn wir also eine neue Ansicht auf dieses Leben gewinnen wollen, müssen wir auch gewillt sein, unsere alten Ansichten und Vorstellungen über Bord zu werfen. Anstatt uns an ihnen festzuhalten — uns gegen Veränderungen zu wehren und dabei starr und unbeweglich zu bleiben — müssen wir uns öffnen, um Neues aufnehmen zu können. Wir müssen bereit sein, uns zu entwickeln. Das Bewusstsein von Liebe entsteht durch Entwicklung. Und was treibt die Entwicklung voran? Veränderung. Es gibt kein Wachstum und kein Leben ohne Veränderung. Starre — der Widerstand oder das Fehlen jeglicher Veränderung — ist Tod. Um zu überleben, muss man sich dem Leben anpassen: Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir bereit sein, uns zu verändern und das Alte hinter uns lassen.

Die Geschichte zeigt, dass Größe immer mit dem Bruch der alten Vorstellungen einherging. Jesus brach mit der Tradition ebenso wie Buddha. Wenn wir uns weiterentwickeln, stellen sich Meinungen und Urteile, die wir einst einmal fraglos akzeptiert haben, als veraltet und bedeutungslos heraus. Es ist Zeit, uns von all dem zu befreien, woran wir hängen und die Ideen und Meinungen aufzugeben, die unser Bewusstsein ausgefüllt haben.

Das Bewusstsein entwickelt sich. Ohne Veränderung gibt es keine Entwicklung.

Es ist so befreiend, leer zu sein! Keine Meinungen, Ideen, Grenzen, Widerstände haben. Zum Universum "Ja" sagen, "Ja" zur gesamten Schöpfung als einem Ort der Freude. Das kann, wer das Leben umarmt, ohne sich ständig einzumischen, wer sich fallen lässt in alles, was ist und sich in unsere gegenwärtige Realität verliebt. Das ist die wahre Liebe — die Liebe eines Einzelnen zum Leben selbst, für sich selbst, aus Freude am Sein.

Deshalb werden Sie in diesem Buch eher etwas verlernen, anstatt etwas zu lernen. Im ersten Teil werde ich Sie mit den häufigsten allgemein akzeptierten Illusionen konfrontieren, mit den meisten Lügen, die wir als gemeinsame Realität anerkannt haben, die aber mit Angst belastet sind und einschränken. Ein paar dieser Illusionen haben die gleichen Wurzeln und so überschneiden sich manche. Möglicherweise stellen Sie fest, dass Sie sich mit der einen mehr identifizieren können als mit der anderen, oder dass die eine für Ihr Leben zutreffender ist als die andere, daher schließe ich deren unterschiedlichen Wiederholungen mit ein, damit Sie die vielen Variationen erkennen können, in denen sie sich manifestieren.

Der Rest des Buches stellt einige der Probleme des täglichen Lebens dar, die von den genannten Illusionen erschaffen werden. Im zweiten Teil betrachten wir, wie diese Illusionen unsere zwischenmenschlichen Beziehungen unterminieren und die verschiedenen Rollen, die jeder von uns in seinem Leben spielt. Anstatt die uns vorgegebenen Klischeevorstellungen aufrechtzuerhalten, die uns die Art und Weise diktieren, wie wir unserer Rolle als Mutter, Vater, Mann, Frau, Liebhaber, Geliebte, Ehemann, Ehefrau, Arbeitnehmer oder Chef gerecht werden, können wir diese Rollen aus einem Zustand des Bewusstseins von Liebe heraus viel wirkungsvoller, freudiger und leidenschaftlicher als jemals zuvor ausfüllen. Teil 3 bietet konkrete Vorschläge dafür, wie wir unser Bewusstsein von Liebe in diesem schnelllebigen, sprunghaften neuen Jahrhundert, in dem wir leben, ausdrücken können.

Die Intelligenz der Liebe

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