Читать книгу Wunschrakete - Jane Casper - Страница 4

Kapitel 2 – Mein unerwarteter Freund

Оглавление

Als ich die Augen aufschlage, kitzeln mich die Sonnenstrahlen, die in meinen Wohnbereich fallen, in dem auch mein Bett steht. Vorhänge gibt es bei mir nicht. Da ich im vierten Stock wohne, kann mir auch niemand in die Wohnung schauen. Ich lächle und genieße das milde Morgenlicht, doch schon als ich mich herzhaft strecke, ist die gerade so schön verdrängte Erinnerung wieder da.

Hallo Bein! Fast habe ich dich vergessen.

Mürrisch richte ich mich auf und schaue auf meine Klamotten, die immer noch nass vom Vorabend, auf meinem Fußboden liegen.

Pansy, du kleines Schweinchen, du lässt dich aber auch gehen!

Ich schüttele den Kopf über mich selbst, doch im selben Moment entspannen sich meine Gesichtszüge wieder. Besondere Situationen erfordern halt…

Ich schlage die Bettdecke zurück und ziehe meine Krücken heran. Mein Bett ist definitiv nicht hochgenug. Jetzt weiß ich, warum alle diese Boxspringbetten lieben. Bevor ich meinen Morgensport, das Erheben aus dem Bett, antrete, fahre ich mir durch mein ungewaschenes Haar. Ich bin aber auch ein Ferkelchen. Das erste Mal in meinem Leben bin ich ungeduscht ins Bett gegangen. Ein plötzliches Grinsen legt sich auf meine Lippen. Nun gut, gegangen bin ich nicht.

Es ist mir schwer genug gefallen, aus den nassen Sachen herauszukommen, sodass ich mich spontan dazu entschlossen hatte, es mir im T-Shirt mit meinem Gin Tonic im Bett gemütlich zu machen. Mein Blick wandert über den Teppich, auf dem die fast leere Flasche liegt. Das würde sicher ein gutes Bild für Besucher abgeben. Aber die habe ich ja nicht, nicht wahr?

Aber nun heißt es, sein Leben wieder anpacken und das im besten Sinne. Fangen wir doch einfach mal mit dem Duschen an, schließlich will ich mein bestelltes Mittagsessen später gepflegt und mit Stil entgegennehmen. Und dann, dann muss ich mich unbedingt um mein Portemonnaie kümmern.

Es war ein Akt, doch jetzt fühle ich mich besser. Die Duschschaumreste würden heute schon mal allein absickern. Endlich habe ich es geschafft, meine schwarze Jogginghose über mein Bein zu ziehen. Etwas Anderes bekomme ich gerade nicht über… Es.

Last Christmas…

Verdammt! Was sucht dieses Lied in meinem Kopf?! Das muss ja nun wirklich nicht sein. Verschwinde Ohrwurm!

Meine Schwarzenegger-Ärmchen bringen mich gekonnt in meine Küche. Es ist noch nicht mal Acht. Für gewöhnlich bin ich kein Frühaufsteher. Ich stütze mich auf eine Krücke und öffne den Kühlschrank. Ich schnaube. Außer dem Kaffee, der gerade durch meine Maschine läuft, gibt mein Ernährungs-Depot nicht mehr viel her. Ich muss unbedingt einkaufen. Das auch noch!

Heute wird es dann mal ein üppiges Frühstück, ein Joghurt, eine Banane und Kaffee. Was will man mehr?

Ich lasse mich auf dem Stuhl nieder und während ich nach draußen schaue, greife ich zum Telefon. Endlich ist die Praxis wieder geöffnet.

„Guten Morgen. Schön, dass sie gleich rangehen. Ich glaube, ich habe mein Portemonnaie bei Ihnen liegengelassen.“, presche ich sofort vor und im selben Moment stelle ich beschämt fest, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Aber ich atme auf.

„Ja, wir haben eine Geldbörse gefunden.“

Meine dämliche Krücke kracht auf den Boden.

„Oh Gott sei Dank!“ –

„Pansy Mittermair?“ –

„Ja.“ –

„Sie sind ja morgen zum Verbandswechsel da. Reicht es dann oder wollen sie sich die Geldbörse nachher rausholen?“

Einen flüchtigen Moment stelle ich mir die fast unüberwindbare Treppe nach unten noch einmal vor.

„Oh nein, das reicht morgen.“, gebe ich flott zurück und verabschiede mich.

Ich lehne mich wieder zurück und löffle genüsslich langsam mit einem Anflug von Ironie meinen feinen Joghurt, der mich eigentlich durch den Arbeitsvormittag bringen sollte.

Oh nein! Bitte nicht!

Es schneit, der erste Schnee in diesem Jahr! Wenn ich es bis jetzt geschafft habe, den Weihnachtsschmerz nicht aufkommen zu lassen, Schnee lässt mich sofort wehmütig werden und an damals zurückdenken. Damals, vor dem Autounfall, bei dem meine Eltern tödlich verunglückt sind, war noch alles schön. Rasant sind diese Bilder wieder in meinem Kopf, die Familie, strahlende Kinderaugen beim Anblick des ersten Schnees. Ich schlucke schwer.

Was?!

Ich schrecke auf. Was war das? Ein Schneeball landete direkt an meiner Scheibe. Und noch einer! Neugierig strecke ich mich.

Wer kann denn bitte Schneebälle bis in den vierten Stock werfen? Meine Unterlippe schiebt sich vor. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Smiley-Zettel und dem Schneeball-Angriff?

Ich stemme mich auf meiner Krücke auf, humpele hinter den Tisch und öffne das Fenster.

Verdammt!

Eine weitere Schneebombe landet direkt in meinem Gesicht. Voll auf die Fresse!

He!

Wutentbrannt zetere ich und blicke nach unten, doch außer dem großen, verlassenen Baukran von gegenüber sehe ich nichts.

Ich finde das nicht lustig!

Meiner wütenden Stimme lasse ich das energische Zuschmettern des Fensters folgen. Was soll denn das? Wer macht sich da einen Spaß mit mir?

Mürrisch schaffe ich es zurück auf den Stuhl, doch mein Hals ist weiter ausgestreckt. Meine Ohren sind gespitzt. Fast triumphgerecht hebe ich den Kopf. Das Schneeballinferno hat aufgehört.

Und doch ärgere ich mich maßlos darüber. Ich bin doch immer so unauffällig, bin nur zum Schlafen hier, für gewöhnlich zumindest.

Ach Mensch!

Ich seufze missgestimmt und schiebe die Banane gereizt von mir weg, während der Schnee bedächtig langsam und geschmeidig vor meiner Scheibe herunterrieselt. Die Melancholie ergreift mich voll und ganz.

Alle sind sie nicht mehr da, unfreiwillig oder freiwillig, weil ich einfach nicht mehr gut genug für sie bin.

Nein Pansy! Diese Gedanken lässt du nicht zu!

Energisch greife ich nach Zettel und Stift. Es ist der richtige Augenblick für meinen Einkaufszettel. Doch dann klingelt es an meiner Tür.

Bitte nicht schon wieder!

Nach dem bösartigen Schneeball-Angriff erwartet mich bestimmt wieder ein munterer Zettel vor meiner Tür. Gekonnt ignoriere ich das erneute Läuten. Es klingelt ein zweites Mal, ein drittes Mal und endlich verstummt die Klingel.

Konzentrieren kann ich mich nicht mehr. Es wurmt mich, verdammt! Ich warte einen Augenblick und lausche. Wer in diesem Haus findet es lustig, mit mir, einer unscheinbaren Anwohnerin, seine Scherze zu treiben?

Es bleibt ruhig. Ich erhebe mich und bahne mir meinen Weg zur Tür. Noch einmal lausche ich. Stille. Ich öffne und schwanke kurz.

Was?!

Irritiert schaue ich nach unten und blicke in die schwarzen Kulleraugen eines flauschigen, kleinen Hündchens, das sich prompt aus seinem Körbchen erhebt und mit dem Schwanz wedelt.

„Nein, mein Lieber!“

Meine scharfe Stimme hält den weißen Wirbelwind nicht davon ab, in meine Wohnung zu flitzen. Wer, um Himmels Willen, hat mir einen Hund vor die Tür gestellt?!

Zornig fahre ich herum.

„Nein, mein Freund! Gewöhne dich hier nicht ein!“

Ich schaue zu, wie der flinke Hund auf mein Bett springt und es erkundet, als gäbe es kein schöneres Abenteuerland. Kurz schmunzele ich.

„Raus, Streuner!“

Der kleine Hund schaut mich plötzlich irritiert an. Seine großen Augen sind aber auch entzückend. Nein, jetzt rümpft er auch noch schüchtern die Nase!

„Du brauchst mir keine schönen Augen machen!“

Sofort wedelt er wieder mit dem Schwanz. Ich bin wohl in Rage nicht sehr überzeugend.

Soll ich ihn einfach wieder in sein Körbchen vor die Tür zurücksetzen? Wer auch immer ihn gebracht hat, wird dann schon sehen, dass er keinen Erfolg hatte. Aber schließlich hatte man ihn gezielt vor ihrer Tür abgestellt und würde bestimmt nicht noch einmal gucken kommen, ob er noch da ist, oder?

Verdammt!

Wer macht so etwas?

Als würde er sich an eine gefährliche Beute heranpirschen, hebt der kleine Strolch vorsichtig seine flauschigen Pfoten und nähert sich meinen Stoffhausschuhen. Ich muss grinsen über die befangene Unsicherheit meines kleinen Besuchers.

„Pass auf, dass sie dich nicht angreifen!“

Der süße Hund wäre der perfekte Darsteller für diese Cesar-Hundefutter-Werbespots.

Was mache ich denn nun?

Mir kommt ein tollkühner Gedanke, während der Kleine endlich seinen Hunde-Mut zusammennimmt, und meine Pantoffeln angreift.

„He ho, kleiner Racker!“

Als wäre er im Todeskampf, beißt er sich in meine Hausschuhe. Mit einem triumphierenden Blick humpele ich zurück in die Küche und greife nach meinem Handy.

Was macht er da?

Ich höre gefährliche Geräusche aus meinem Wohnzimmer. Ich muss laut lachen, als ich mich auf Krücken zurückkämpfe.

Der kleine Weiße trampelt auf meinem Bett unruhig von einer Seite auf die andere, während er die auf dem Boden liegenden Schuhe mit bösestem Blick anknurrt.

Ach wenn ich jetzt doch nur… Ich grinse in mich hinein. Mit meiner Krücke schiebe ich den Hausschuh rasant vor.

Sofort verkriecht sich mein ungewollter Besucher winselnd unter meiner Decke.

Meine Schuhe müssen ja schon richtig pervers riechen, dass der kleine Racker sie für etwas Lebendiges hält.

„Kriege dich wieder ein!“

Wie können diese Kulleraugen mich nur so verdammt hilflos ansehen!

Ich lasse mich neben dem Model-Cesar nieder und atme auf, als jemand meinen Anruf annimmt.

„Guten Tag, mein Name ist Pansy. Jemand hat einen kleinen Hund vor meiner Tür abgestellt.“

Ich höre, wie jemand am anderen Ende der Leitung mürrisch schnaubt. Ich runzle die Stirn und denke sofort, dass ich ja selbst nicht besser bin.

„Es tut mir leid. Aber wir sind im Tierheim total überlastet. Wir können derzeit keine neuen Tiere aufnehmen.“

Die Stimme des Mannes klingt gleichgültig.

„Aber was soll ich denn jetzt mit ihm machen?“

Noch während ich zeternd versuche, meiner Stimme mehr Ausdruck zu verleihen, kriecht mein Kulleraugenfreund unter der Decke vor. Erlöst von seiner Hausschuh-Angst legt er seinen Kopf auf mein Bein und winselt nun leiser.

Oh bitte schau mich nicht so an!

„Warten sie doch einfach ab, ob sich der Besitzer meldet!“ –

„Hallo? Der Besitzer hat ihn in einem Korb bei mir abgestellt.“

Der Hörer wurde aufgelegt.

Tsss! Mein Zischen stört den kleinen Strolch nicht.

„He, ich bin nicht dein Frauchen!“

Der zierliche Hund schließt seine Augen und genießt meine Nähe, als hätte er nie etwas Anderes gekannt, als auf meinem Schoß zu liegen.

Ich seufze.

Nein Pansy, tu das nicht!

Und doch streiche ich vorsichtig über sein Fell. Ich spüre den Herzschlag meines ausgesetzten Gastes. Es schlägt so ruhig und gleichmäßig und plötzlich bin ich ganz entzückt von dem Frohsinn, mit dem der muntere Kerl sich jetzt wieder erhebt und mit dem Schwanz wedelt.

„Was willst du?“

Er schaut mich an, als erwarte er etwas von mir.

„Hast du Hunger?“

He, er versteht mich! Sofort springt er von meinem Bett herunter und trampelt wieder aufgeregt auf der Stelle umher. Ich rolle mit den Augen, doch trotzdem hinke ich zurück in meine Küche. Ich werde verfolgt und grinse erneut.

„Ich kann dir nicht viel anbieten, Kleiner!“

Aus meinem Kühlschrank hole ich die einzige Packung Wurst, die ich besitze. Es ist nur noch eine Scheibe Salami da.

Ach wie herzzerreißend er winselt und mein halbtotes Bein erklimmen will.

„Ja, du kriegst sie ja!“, lache ich und lasse ihn die Scheibe Wurst schnappen. Nie haben mich Augen mehr angeleuchtet.

Ich muss eine Lösung für das da finden, sage ich mir selbst, während ich zuschaue, wie er euphorisch meine Gabe verdrückt. Aber im Moment lehne ich mich einfach wieder auf meinem Stuhl zurück.

Im Nu ist der Tollkühne wieder an meinem Bein.

„He, ich habe nichts weiter, Kleiner! Was bist du überhaupt?“

Ich runzele die Stirn. Ich habe keine Ahnung, wie man männliche Hunde nennt. Es war in meinem Leben nie wichtig.

„Bist du ein Rüde?“

Behutsam hebe ich meinen Gast auf meinen Schoß, der sofort hibbelig an meiner Tischplatte riecht, um auch ja nichts Beutegleiches zu verpassen.

„Ich habe keine Ahnung, ob du ein Männchen oder Weibchen bist.“

Ich schaue zu, wie er siegesbewusst meinen Tisch erklimmt, weil er noch nicht ahnt, dass es bei mir nichts zu holen gibt. Neugierig stolziert er vor und steht schließlich auf meinem Fensterbrett. Fast gedankenverloren schaut der Hund hinaus und folgt den Flocken, die vom Himmel fallen.

„Da haben wir wohl etwas gemeinsam.“, schnaube ich melancholisch.

„He, Rocky! Ja, Rocky ist ein guter Name. Der passt, was immer du bist.“

Ich nehme noch einmal mein Handy.

„Was wollen wir beide denn Schönes essen? Stehst du auf Chinesisch?“

Mein neuer Freund spitzt seine Ohren. Ich spitze die Lippen.

Ach verdammt, Pansy! Du hast ihm, ihr, was auch immer, schon einen Namen gegeben! Du kannst dich doch unmöglich noch um einen herrenlosen Hund kümmern.

Und sein Körbchen, es steht noch immer vor meiner offenen Haustür.

„Du hast mir ganz schön den Kopf verdreht, weißes Fellknäuel!“

Ja, Fellknäuel! Das ist ein besseres Wort, um Distanz zu bewahren.

Ach was soll es!

Ich schaffe es, die Tür zu schließen und den Korb hineinzubringen. Meine Hände berühren die so weiche Plüschdecke im Korb. Jemand muss den Kleinen wirklich gern haben oder gehabt haben. Warum gerade ich?

„Du willst futtern tollkühner Rächer, was? Heute gibt’s Ente, China-Ente. Ich hoffe, du magst das.“

Soll ich Flugblätter verteilen? Aber wer immer Rocky loswerden wollte, hat es bewusst getan. Wie kann jemand so ein liebes Tier aussetzen und das dann auch noch bei mir? Aber ein Tier in meinem Alltag? Das geht absolut nicht. Und doch streichele ich über Rockys Fell, während er schmatzend und dankbar den letzten Happen der China-Ente vom Mittag verdrückt. Ich hatte nie bessere Gesellschaft. Der Lieferservice liebt Rocky auch.

Und während es draußen langsam dunkel wird, schaue ich mit Rocky im Arm von meinem Bett aus hinaus und lausche dem stetigen Herzschlag meines Gastes. Die Augen meines kleinen Babys funkeln mich zufrieden an, während es sich in meine Bettdecke kuschelt. Das schwache Licht der Straßenlaternen unten lässt uns noch hier oben die Flocken erkennen, die noch immer gegen die Scheibe fallen und dem Abend einen zauberhaften Glanz verleihen. Rocky legt den Kopf auf die Seite und schließt vollkommen entspannt die Augen, während meine Hand unter seinem Ohr ruht.

„He kleiner Freund, so müde?“

Ich runzele die Stirn. Ich spreche ja schon mit ihm wie mit einem lang vermissten Familienmitglied.

Wunschrakete

Подняться наверх