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20. Äsop als Testament-Ausleger

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Äsop, wenn nicht die Sage lügt,

War das Orakel aller Griechen;

Vor seiner Weisheit mußt' verkriechen

Sich selbst der hohe Rat. Und als Beweis genügt

Vielleicht ein hübsches Anekdötchen,

Das euch zum Spaß erzählt hier sei.

Ein Vater hatte einst drei Mädchen,

Ganz grundverschieden alle drei:

Die liebt den Trunk, von leichter Sitte

War jen', ein Geizhals war die dritte.

Durch Testament nun macht genau

Zu gleichem Teil, nach dem Gesetze,

Der Vater alle drei zu Erben seiner Schätze,

Und gleich viel schenkt er seiner Frau,

Doch zahlbar erst, wenn jede nimmer

Besitzen würde das ihr zugefallne Teil.

Der Vater stirbt; die Frauenzimmer

Öffnen das Testament in allergrößter Eil'.

Man liest es, man beginnt zu fragen,

Was der Verstorbene gewollt.

Umsonst – kein Mensch vermag zu sagen,

Wie's jede Tochter machen sollt',

Daß, wenn ihr Erbteil sie nicht mehr ihr eigen nennte,

Sie ihre Mutter zahlen könnte?

Denn jeder weiß: 's ist ziemlich schwer,

Zu zahlen, wenn der Beutel leer.

Wie soll der Worte Sinn man deuten?

Die Sache kommt zum Spruch. Die Rechtsgelehrten all'

Erörtern diesen schwier'gen Fall

Und drehen ihn nach allen Seiten;

Zuletzt gestehn sie, daß zu Ende ihr Latein,

Und raten, ohne weitres Streiten

Das Gut zu teilen und – der Rest sollt' Schweigen sein.

»Und in betreff des Witwengutes

Erkennet das Gericht, kund und zu wissen tut es:

Ein Drittel soll als Pflicht für jede von den drei'n,

Doch nach Belieben zahlbar sein,

Falls eine Rente nicht der Mutter mehr zu Sinne,

Die mit des Sel'gen Tod beginne.«

Gesagt, getan. Man macht drei Teil', an Wert ganz gleich:

Der erst' enthält die Flaschenkeller

Mit Malvasier und Muskateller,

Trinkgeschirr von Kristall, mit Gold und Silber reich

Geschmückt, kunstvoll verzierte Schänken,

Becher und Kannen – kurz, was nur in dem Bereich

Der Schlemmerei man mag erdenken;

Der zweite alles das, worauf den Sinn zu lenken

Ein eitles Weibsbild pflegt, ein Haus voll Glanz und Pracht

Mit Sklaven beiderlei Geschlechtes,

Und nur ganz Echtes

An Schmuck und üpp'ger Kleidertracht;

Der dritte Wirtschaftsgut, Landhäuser, Feld und Heide,

Die Herden all' nebst Trift und Weide

Und Mensch und Vieh im Arbeitsjoch.

Und nun – damit sich's nicht zufällig treffen sollte,

Daß keine von den Schwestern doch

Bekäm', was sie gern haben wollte –

Nahm eine jede sich, was ihren Sinn ergötzt,

Nachdem's der Richter abgeschätzt.

Dies also hat sich zugetragen

Einst in Athen; und groß und klein,

Sie stimmten alle überein,

Teilung und Wahl sei recht und gut. Äsop allein

Fand, trotz der Zeit und Müh' und Plagen

Enthielte des Gerichts Sentenz

Das Gegenteil des Testaments.

»Wenn der Verstorbne noch« sprach er »am Leben wäre,

Wie würd' ihn tadeln alle Welt!

Und dieses Volk, das sich der Ehre

Vermißt und selber sich für das gescheitste hält,

Konnt' also mißverstehn des Sel'gen letzten Willen!«

Sprach's, und begann die Teilung noch einmal,

Und gab nun jeder, zu erfüllen

Des Toten Wunsch, 'nen Teil just gegen ihre Wahl.

Nichts teilt' er von den Gütern allen

Der Schwester zu, der's mocht' gefallen:

Das närrisch eitle Ding bekam,

Was Schlemmern nur kann Freude machen;

Die Schwelgerin den Wirtschaftskram,

Der Geizhals all' die prächt'gen Sachen.

Dem weisen Phrygier leuchtet's ein:

Damit die saubern Jungfräulein

Sich ihres Erbteils schnell entled'gen,

Möcht' dies das beste Mittel sein.

Hätten sie nur erst Geld, dann würde sie entschäd'gen

Gar bald ein braver Ehgemahl;

Die Mutter kriegt' ihr Kapital,

Und keine hätte, was der Vater hinterlassen –

Ganz, wie's das Testament befahl.

Das Volk vernahm den Spruch und mochte kaum es fassen,

Daß oft ein einz'ger mehr versteht

Als selber die Majorität.

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