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1. Kreuzberger Hinterhofidylle

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Ein verfallener Schuppen schmückt den trostlosen Hinterhof. Die überquellenden Mülltonnen haben schon bessere Tage gesehen. Die Dachrinnen sind verbogenen oder hängen herab. An der Fassade bröckelt der Putz. Oma Schulz, eine waschechte Kreuzbergerin, ist Ende sechzig, gehbehindert und dennoch voller Lebenslust. Sie ist immer gut gelaunt. Meist lehnt sie auf ihrem Plüschkissen und schaut zum Hoffenster hinaus. Dort empfängt sie die graue Alltagswelt, ein vertrauter Anblick ohne Rückfahrschein, den sie ihr Zuhause nennt. Diese Tristesse ist für Aussenstehende kaum vorstellbar.

Dabby, ein Transgender (Intersexueller), ist Mitte bis Ende dreißig. Sie ist eine durch und durch androgyne Erscheinung mit langen, schlanken Beinen und obendrein gut gebaut. Aufgrund einer Hormontherapie hat sie kaum Bartwuchs. Sie trägt schulterlanges, dunkelblondes Haar, hat eine hohe Stimmlage, dazu einen kleinen Busen. Sie ist modisch gekleidet und trägt ihre weiblichen Attribute bewusst zur Schau, was mitunter übertrieben wirkt. Ihr gesamtes Erscheinungsbild ist eine Augenweide, weshalb sie ungefragt als Frau akzeptiert wird. Gerade ist sie damit beschäftigt, volle Umzugskartons in ihre bezugsfertige Parterrewohnung zu tragen. Hierbei behindern sie ihre Stöckelschuhe. Oma Schulz öffnet ihr Fenster zum Hinterhof, da entdeckt sie Dabby.

„Juten Tach, junge Frau, die se sich abrackern. Bei diesem Anblick iss mir janz blümerant.“

„Guade Tag“, begrüsst Dabby ebenfalls Oma Schulz.

„Sicher sind sie die Zujereiste von nebenan?“

„Aber joo.“

„Dann sind wir sozusajen Nachbarn“, muss Oma Schulz erfreut feststellen. „Hmmmm…“, überlegt Dabby.

„Nenned sie mich ruhig Oma Schulz wie alle hier“.

Sie streckt ihr die Rechte entgegen. Dabby ergreift sie nur zögernd.

„Moie Freinde nenne mich Dabby.“

„Hoffe, et jefällt Ihnen hier, Dabby.“

Dabby ist fest davon überzeugt.

„Sicher, hajo!“

„Seit siebzehn Jaaren wohne icke hier, siebzehn Jaare, sie verstehen“, seufzt Oma Schulz.

„Oie log Zeid, hajo!“

„Ja, die Zeit is stehenjeblieben. Seit meiner Hüftoparation wird's wohl nicht wieder. Dieser Professor Pitt hat da Mist jebaut“, bemerkt Oma Schulz beiläufig.

„Verschdehe. Ja, wenn ich ihne irgendwie…“

Oma Schulz unterbricht sie.

„Danke das ist sear freundlich von ihnen. Butze Moll, meine Fußbodendompteuse, macht alle nötijen Besorjunjen. Einmal inna Woche kommt sie zum Grossreinemachen. Sie ist eine Seele von Mensch.

Wie war doch gleich…“

„Dabby, Dabby Schbassberger.“

„Ach, mein Jedächtnis. Bin nicht mear die Jüngste.

Neben juta Kleidung iss vor allem de sprachliche Ausdruck besonders wichtich. Dialekte sind nur een Hindernis, det kannst de mir globen.“

Dabby versucht sich loszureissen.

„Wir alle leben inna Leistungsjesellschaft und Backwaren jehören zum Leben. Mit diesen bejinnt der Tach und endet der Abend“, philosophiert Oma Schulz.

„Ich muss noh wohl…“, startet Dabby einen erneuten Versuch.

„Pass aber uff, daste da nich in Jesellschaft verlofen tust und imma uff`m Wech bleibst. Sonst kriegste Zoff und landest in inna Grüne Minna, hörst de?“

Oma Schulz gibt ihr einen letzten Ratschlag mit auf den Weg.

„Lass de Fisematenten, werd nie pampich, mach keenen Mumpitz, noch Remmidemmi. Vergiss de Rabatzmacher und och de junge Gemüse, hörst de?“

„Ich muss noh wohl…“, wiederholt Dabby ihr Anliegen.

„Jaja, die Jujend imma uff Achse, wa?“.

„Diase Frau heddde es drauf und sich de Umschdände endschbrechend oigerichded. Nedd oi oiziger Farbdubfer schbendede ihr Hoffnung. Es gab nur dias schäbige Alldagsgrau und jene quadradische Miniaduröffnung ge Himmel. Schon der kloischde Geschbrächskondakd erfreiade sie.“

Dabby ist in einiger Entfernung stehengeblieben, um die Dinge ins rechte Licht zu rücken.

„Wenn ich nur de Muad hädde, moi Schiggsal ebenso selbschd in die Hand z nehmen“, seufzt Dabby. Aus ihren Worten spricht sowohl Selbstmitleid als auch Bewunderung.

Berliner Mauerblume 2015

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