Читать книгу Douarnenez und das Geheimnis der Sardine - Jean-Pierre Kermanchec - Страница 6

Kapitel 4

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Gall Daumas trat seinen Dienst auch heute um 9 Uhr an. Er erreichte die Île Tristan mit seinem Boot und befestigte es am Landungssteg. Die Flut hatte gerade erst ihren Höhepunkt erreicht. Gall Daumas ging zum Ausstellungsgebäude der Insel, bis dahin konnten auch die Besucher der Insel gelangen. Ein Rundgang über die Insel war den Touristen nur an wenigen Tagen erlaubt und auch nur in Begleitung eines Führers. So versuchte man die Insel zu schützen.

Die Insel mit ihren 450 Metern Länge und einer Breite von 250 Metern war ein wahres Kleinod in der Bucht von Douarnenez. Dank des Süßwassers auf der Insel hatte man auf der 6 Hektar großen Fläche einen exotischen Garten angelegt. Über 300 verschiedene Pflanzen und diverse seltene Tierarten gab es hier. Auf dem höchsten Punkt der Insel stand der Leuchtturm, der den Schiffen den Weg in den Hafen von Douarnenez wies.

Sein Vater hatte ihm erzählt, dass auf der Insel früher, die seit 1911 der Familie des Poeten Jean Richepin gehörte, eine Sardinenfabrik gestanden hatte, genau an der Stelle, an der Gall Daumas heute arbeitete. Die Fischerboote konnten direkt am Kai vor der Fabrikhalle anlegen, und dort wurden dann die Sardinen zu Konserven verarbeitet. Das Schloss der Besitzer, die ehemalige Konservenfabrik, der Leuchtturm und die Kapelle, in der die Familienmitglieder der Richepins ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, sind heute die einzigen Gebäude der Insel. Früher war die Insel von 30 Personen bewohnt. Gall Daumas war heute der einzige, der täglich auf der Insel sein durfte.

Seine Tätigkeit war weder aufregend noch langweilig. Bei Hochwasser konnte er sicher sein, dass niemand zu Fuß auf die Insel kam, da unternahm er seinen Rundgang. Er kontrollierte die Strandbefestigungen auf Schäden, entfernte den angeschwemmten Müll und bereitete das Ausstellungsgebäude, die ehemalige Konservenfabrik, für Besucher vor. Viele Besucher hatte die Insel selten, an einem gewöhnlichen Besuchstag waren es manchmal 20 Personen. Ihnen musste er dann mitteilen, dass sich der Besuch der Insel auf den Besuch der Ausstellungshalle beschränkte. Aus seinem kleinen Bürofenster blickte er auf die Statue vor der Insel. Von hier sah er auf die Seite der Sirene. Ob die Sirene Dahut die Tochter des Königs Gradlon darstellte, wusste er so wenig wie die Besucher, die ihn manchmal darauf ansprachen. Dass die andere Seite der Statue, die Sardine, der Hinweis auf die Haupteinnahmequelle der Fischer von Douarnenez war, war ihm wohl bekannt.

Gall schloss die Tür zur Halle auf und betrat den langen Raum. An den Wänden hingen verschiedene Bilder von den Pflanzen und Tieren der Insel und andere Fotos zur Geschichte der kleinen Insel. Er betrat sein Büro am hinteren Ende des Gebäudes, legte sein mitgebrachtes Mittagessen in den Schrank und stellte das Mineralwasser in den Kühlschrank. Da lag noch eine Flasche Rosé, die er Ende des Sommers für seinen kleinen Aperitif reingelegt hatte. Aber er war in den letzten Herbsttagen nicht mehr zu einem gemütlichen Aperitif gekommen, und in den Wintermonaten bereitete ihm der kalte Wein keinen Genuss. So würde die Flasche wohl noch einige Monate im Kühlschrank verweilen.

Gall sah zum Fenster hinaus auf die Sirene, wandte sich dann zum Schlüsselschrank und entnahm ihm die Schlüssel für seinen morgendlichen Rundgang. Der große öffnete das Tor des Zauns, das den Zugang zur Insel freigab und schloss die Tür zur Kapelle auf, ein anderer war für den Zugang zum Leuchtturm und der dritte, ein Sicherheitsschlüssel, öffnete das Schloss. Er benötigte auf seinem Rundgang lediglich den großen und den Leuchtturmschlüssel, aber er nahm den anderen zur Sicherheit immer mit, falls er doch einmal das Gebäude betreten musste. Er machte sich auf seinen Weg. Gegenüber der Eingangstür zur Besucherhalle führten einige Stufen zum Eingangstor des Parks, er schloss es auf und verschloss es sofort wieder hinter sich. Über den Pfad ging er ans Ufer der Insel und folgte der Uferbefestigung. Sorgfältig schaute er nach eventuell aufgetretenen Schäden an der Befestigung. Die Wellen arbeiteten hier kräftig. Schon manches Mal hatten die Wassermassen große Felsbrocken rausgeschlagen, die fachmännisch repariert werden mussten. Kleinere Arbeiten konnte er selber ausführen.

Sein üblicher Rundgang führte ihn einmal rund um die Insel. Auf der Höhe des Leuchtturms bog er vom Uferweg ab und stieg zum Turm rauf. Er nahm den Schlüssel, öffnete die Stahltür und stieg die Wendeltreppe hoch. Auch wenn sein Leuchtturm, wie er ihn nannte, nicht zu den größten, höchsten oder schönsten der Bretagne zählte, war er für ihn der allerwichtigste. Der 9,5 Meter hohe Turm gab auf seiner Aussichtsplattform einen herrlichen Blick über die Insel, die Bucht von Douarnenez und die Stadt frei. Gall genoss die Aussicht. Heute sah er einen Frachter und zahlreiche Segelboote. Nach einer viertel Stunde auf der Plattform stieg er wieder runter und machte sich auf den Rückweg zur Ausstellungshalle. Das Wasser war bereits deutlich zurückgegangen. Bald würden sich die ersten Besucher auf den Weg zur Insel machen. Bis dahin musste er wieder zurück sein und die Besucher von einem Rundgang über die Insel freundlich abhalten. Der überwiegende Teil der Gäste hatte Verständnis und folgte seinen Anweisungen, während andere zu diskutieren versuchten und eine Ausnahme auf erlaubten Wegen erbaten.

Gall verschloss das Eisentor hinter sich und ging die restlichen Meter zur Halle. Die Schlüssel hängte er ans Brett im Schrank und setzte sich an seinen Schreibtisch. Von hier aus konnte er jeden Menschen sehen, der sich der Insel näherte. Viele Besucher kannte er inzwischen, seine Stammgäste sozusagen, Pensionäre, Wattfischer oder pêcheurs à pied, Kinder und Erwachsene auf der Suche nach Algen oder Muscheln, Hobbymaler, die mit Staffelei und Farben an die Kaimauer kamen und andere Spaziergänger.

Roland Morics war einer dieser Besucher. In regelmäßigen Abständen machte sich Roland Morics auf den Weg zur Insel, sammelte Muscheln, scharrte manchmal im Schlamm, als suchte er einen verborgenen Schatz oder nach Resten der versunkenen Stadt Ys. Den Rentner kannte Gall schon lange. An manchen Tagen setzte er sich zu Roland auf die Kaimauer, und sie sprachen über Gott und die Welt und Rolands Sammelleidenschaft.

Als er Roland heute gemächlich auf die Insel zukommen sah, beschloss er, in seinem Büro zu bleiben. Der Regen der letzten Nacht und vom Morgen hatte alles durchnässt, so dass es bestimmt keine Freude war, neben Roland auf der nassen und kalten Kaimauer zu sitzen. Gall träumte vor sich hin und beobachtete Roland auf der Kaimauer. Als Roland auf seinem Rückweg war, sah er ihn an der Sirene stehenbleiben, sich bücken und eine Flasche aufheben, die sich wohl zwischen den Felsen verklemmt hatte.

„Was der alles sammelt!“, sagte er laut zu sich und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Ihm würde nicht einfallen, alles zu sammeln was er bei seinen Rundgängen um die Insel fand. Er hätte bereits ganze Lastwagenladungen beisammen. Es war wirklich unglaublich, was das Meer alles anschwemmte, vom üblichen Müll bis zu Inhalten verlorengegangener Container, von Turnschuhen bis zu chinesischen Vogelkäfigen. Brauchbar waren die durchnässten und manchmal schon halb zerstörten Gegenstände meistens nicht mehr.

Der heutige Tag verlief ruhig. Es lag vielleicht am Wetter, dass nicht so viele Besucher zur Insel gekommen waren. Inzwischen war es wieder Flut, und er war alleine auf der Insel. Er griff nach den Schlüsseln und machte sich auf den Weg zu seinem zweiten und abschließenden Rundgang des heutigen Tages.

Er war auf Höhe des Leuchtturms angelangt als er in einiger Entfernung einen blauen gefüllten Müllsack zwischen den Felsen entdeckte.

„Eine Unverschämtheit, seinen Müll ins Meer zu werfen! Die Leute haben keine Achtung vor der Natur, vor unserem Lebensraum! Es wird immer schlimmer“, schimpfte er laut und näherte sich dem Müllsack. Gall Daumas hatte die Stelle erreicht und sah, dass vor ihm ein größerer Gegenstand lag, der in mehre Säcken eingepackt war. Gall bückte sich und versuchte die Verschnürung am oberen Ende zu öffnen. Die Verknotung war fachmännisch, da hat sich jemand mit Seemannsknoten ausgekannt. Gall öffnete die obere Verknotung und sah in den Sack.

Er schreckte zurück! Er drehte sich um und rannte so schnell es ihm seine alten Beine ermöglichten. Er lief zum Büro, setzte sich an seinen Schreibtisch, holte aus der untersten Schublade seinen Lambig, öffnete die Flasche und setzte sie an. Er nahm einen kräftigen Schluck. Gall stellte die Flasche auf den Tisch, griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer.

Douarnenez und das Geheimnis der Sardine

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