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Die erste Erforschung der nubischen Kulturen

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Um die Landstriche, die seinerzeit dauerhaft unter Wasser gerieten – d.h. das Areal bis etwa Wadi es-Sebua – noch vor ihrer Überflutung zu erforschen, leitete der damalige Generaldirektor der ägyptischen Altertümer, Gaston Maspero, ausführliche archäologische Untersuchungen in Unternubien in die Wege. Um sich selbst ein Bild vom Erhaltungszustand der dortigen historischen Stätten zu machen, bereiste er im Winter 1906/07 mit seinem Kollegen Arthur E. P. Weigall die gefährdete Region. Zu den damals getroffenen Maßnahmen, die zumeist durch den Architekten Alessandro Barsanti umgesetzt wurden, zählten der Wiederaufbau des wahrscheinlich 1868 durch ein Erdbeben eingestürzten Vestibüls des Tempels von Debod und der Wiederaufbau der kollabierten Wände des Tempels von Dakka. Annähernd gleichzeitig, 1905 bis 1907, erforschte James Henry Breasted das nubische Niltal und dokumentierte dessen Altertümer auf zahlreichen Fotos. Die Ergebnisse der Untersuchungen aller beteiligten Forschergruppen wurden unter anderem in der Publikationsreihe „Les temples imergés de la Nubie“ veröffentlicht und zeigen dort die antiken Stätten oftmals in besserem Erhaltungszustand, als sie sich heute präsentieren. Neben den detaillierten Bauaufnahmen der einzelnen Tempel gab es im Zuge dieser ersten Nubienkampagne auch zahlreiche flächendeckende Untersuchungen des Niltals nördlich von Abu Simbel, im Norden beginnend mit denjenigen von Günther Roeder in der Region zwischen Debod und Kalabscha. Nach Süden hin schlossen sich die Ausgrabungen der University of Pennsylvania an, deren Mitarbeiter zwischen 1907 und 1910 unter David Randall-Mclver die Fundplätze Areika, Karanog, Schablul, Aniba und Buhen dokumentierten. Geläufig ist diese Forschungskampagne unter der Bezeichnung „Eckley B. Coxe Expedition“, benannt nach ihrem Finanzier. Aus dem deutschsprachigen Raum gab es zwei weitere Unternehmungen: die Ausgrabungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter Hermann Junker in Kubanije, Toschka und Arminna (1909–1911) und diejenigen, die Georg Steindorff im Auftrag der Leipziger Ernst von Sieglin-Expedition 1912–1914 in Aniba durchführte. Außerdem wurden die gesamten Kirchenruinen Unternubiens zunächst durch G. S. Mileham und danach durch U. Monneret de Villard dokumentiert.

Eine besondere Rolle nehmen die zwischen 1907 und 1911 von George A. Reisner und C.-M. Firth im Auftrag der Harvard University durchgeführten Ausgrabungen ein, nicht nur, weil sie auch obernubische Fundplätze im heutigen Nordsudan wie Kerma mit einschlossen, sondern weil sie es durch Vergleiche des Fundmaterials ermöglichten, eine Chronologie der frühen Kulturen Nubiens zu erstellen, die in ihren Grundzügen bis heute Gültigkeit besitzt. Mangels eindeutiger Querverbindungen zu Ägypten unterteilte Reisner seine ältesten Keramikfunde aus dem unternubischen Raum in drei aufeinander folgende Gruppen, die er mit den Buchstaben A, B und C kennzeichnete. Mittlerweile wird die B-Gruppe nicht mehr als eigenständige Kulturstufe, sondern als Verfallsphase der vorangegangenen A-Gruppe gewertet. Letztere kann dank gewachsenem Fundmaterial in drei Phasen untergliedert werden, nämlich die frühe (3700–3250 v. Chr.), die klassische (3250–3150 v. Chr.) und die späte (3150–2800 v. Chr.) A-Gruppe. Wahrscheinlich fiel die Bevölkerung der A-Gruppe den Raubzügen der Pharaonen des Alten Reiches in den Süden zum Opfer. Jedenfalls entvölkerte sich das unternubische Niltal für ein halbes Jahrtausend in dramatischer Weise. Erst als die Ägypter nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches in den Wirren der Ersten Zwischenzeit keine Plünderungen mehr unternehmen konnten, bildete sich in Unternubien wieder eine eigenständige Kultur heraus, die C-Gruppe, deren Vorstufen ab etwa 2300 v. Chr. fassbar sind. Den Trägern dieser Kulturstufe gelang es, anders als ihren Vorgängern der A-Gruppe, ihre Eigenheiten zu wahren, denn die C-Gruppe existierte selbst zu jener Zeit, als die Pharaonen des Mittleren Reiches zwischen 2000 und 1750 v. Chr. die politische und wirtschaftliche Kontrolle über Unternubien ausübten. Doch auch hier konnte beobachtet werden, dass es mit dem Zusammenbruch des ägyptischen Mittleren Reiches in der darauf folgenden Zweiten Zwischenzeit zu einer neuen Blütezeit der lokalen nubischen Kultur kam. Dies äußerte sich sowohl durch eine Zunahme der Besiedlungsdichte als auch durch besser angelegte Gräber mit reicheren Beigaben. So lässt sich auch die C-Gruppe in drei Phasen unterteilen, eine frühe (C I), die der Ersten Zwischenzeit Ägyptens entspricht, eine klassische (C II) während der 12. und 13. Dynastie des Mittleren Reiches und eine späte (C III) parallel zur ägyptischen Zweiten Zwischenzeit bis hinein ins frühe Neue Reich.

Walter Bryan Emery und Laurence P. Kirwan legten als Leiter der Oxforder Nubien-Expedition zwischen 1929 und 1934 wenige Kilometer südlich von Abu Simbel die weitaus später – nämlich in den Zeitraum zwischen dem 4. und 6. Jh. n. Chr. – zu datierenden Tumulusgräber von Ballana auf dem westlichen und Qustul auf dem gegenüberliegenden östlichen Nilufer frei. Die gewaltigen Grabhügel – wobei sich Ballana als Nachfolgenekropole von Qustul erwies – waren bis zu 13 m hoch und wiesen einen Durchmesser von bis zu 77 m auf. Etwa 40 davon, deren unterirdische Kammersysteme Wohnhäusern nachgebildet waren, dürften aufgrund ihrer Gefolgschaftsbestattungen und reichen Beigaben – darunter Silberkronen und neben anderen Nutztieren Pferde mit komplettem Zaumzeug – die Grabmäler von Königen repräsentieren. Da deren genaue zeitliche Zuordnung seinerzeit nicht zu klären war, gab man den Trägern dieser Kultur die Bezeichnung „X-Group“, einerseits, um die Rätselhaftigkeit dieser Funde zu unterstreichen, andererseits, um für die Kulturen, die damals chronologisch zwischen der A- bis C- und der X-Gruppe vermutet wurden und die man später aufzufinden hoffte, noch ausreichend Buchstaben des Alphabets zur Verfügung zu haben. Diese wurden dann allerdings nicht mehr benötigt. Mittlerweile hat man den Begriff „X-Gruppe“ durch die Bezeichnung Ballana-Kultur ersetzt und kennt zwischen Schellal am Assuan-Hochdamm und Sesebi im heutigen Nordsudan eine ganze Reihe von Tumulus-Nekropolen, die dieser eigenständigen unternubischen Kultur zuzuweisen sind.

Abu Simbel und die Tempel des Nassersees

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