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Erster Aufzug
Dritter Auftritt

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Iphigenie. Thoas.

Iphigenie.

Mit königlichen Gütern segne dich

Die Göttin! Sie gewähre Sieg und Ruhm

Und Reichthum und das Wohl der Deinigen

Und jedes frommen Wunsches Fülle dir!

Daß, der du über viele sorgend herrschest,

Du auch vor vielen seltnes Glück genießest.


Thoas.

Zufrieden wär' ich wenn mein Volk mich rühmte:

Was ich erwarb, genießen andre mehr

Als ich. Der ist am glücklichsten, er sei

Ein König oder ein Geringer, dem

In seinem Hause Wohl bereitet ist.

Du nahmest Theil an meinen tiefen Schmerzen,

Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn,

Den letzten, besten, von der Seite riß.

So lang die Rache meinen Geist besaß,

Empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung;

Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre,

Ihr Reich zerstört, mein Sohn gerochen ist,

Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze.

Der fröhliche Gehorsam, den ich sonst

Aus einem jeden Auge blicken sah,

Ist nun von Sorg' und Unmuth still gedämpft.

Ein jeder sinnt was künftig werden wird,

Und folgt dem Kinderlosen, weil er muß.

Nun komm' ich heut in diesen Tempel, den

Ich oft betrat, um Sieg zu bitten und

Für Sieg zu danken. Einen alten Wunsch

Trag' ich im Busen, der auch dir nicht fremd

Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich,

Zum Segen meines Volks und mir zum Segen,

Als Braut in meine Wohnung einzuführen.


Iphigenie.

Der Unbekannten bietest du zu viel,

O König, an. Es steht die Flüchtige

Beschämt vor dir, die nichts an diesem Ufer

Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst.


Thoas.

Daß du in das Geheimniß deiner Ankunft

Vor mir wie vor dem Letzten stets dich hüllest,

Wär' unter keinem Volke recht und gut.

Dieß Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz

Gebietet's und die Noth. Allein von dir,

Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl

Von uns empfangner Gast, nach eignem Sinn

Und Willen ihres Tages sich erfreut,

Von dir hofft' ich Vertrauen, das der Wirth

Für seine Treue wohl erwarten darf.


Iphigenie.

Verbarg ich meiner Eltern Namen und

Mein Haus, o König, war's Verlegenheit,

Nicht Mißtraun. Den vielleicht, ach wüßtest du

Wer vor dir steht, und welch verwünschtes Haupt

Du nährst und schützest, ein Entsetzen faßte

Dein großes Herz mit seltnem Schauer an,

Und statt die Seite deines Thrones mir

Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit

Aus deinem Reiche; stießest mich vielleicht,

Eh' zu den Meinen frohe Rückkehr mir

Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist,

Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,

Von seinem Haus Vertriebnen überall

Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.


Thoas.

Was auch der Rath der Götter mit dir sei,

Und was sie deinem Haus und dir gedenken;

So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst

Und eines frommen Gastes Recht genießest,

An Segen nicht, der mir von oben kommt.

Ich möchte schwer zu überreden sein,

Daß ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze.


Iphigenie.

Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gast.


Thoas.

Was man Verruchten thut wird nicht gesegnet.

Drum endige dein Schweigen und dein Weigern;

Es fordert dieß kein ungerechter Mann.

Die Göttin übergab dich meinen Händen;

Wie du ihr heilig warst, so warst du's mir.

Auch sei ihr Wink noch künftig mein Gesetz:

Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst,

So sprech' ich dich von aller Fordrung los.

Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,

Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch

Ein ungeheures Unheil ausgelöscht,

So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz.

Sprich offen! und du weißt, ich halte Wort.


Iphigenie.

Vom alten Bande löset ungern sich

Die Zunge los, ein lang verschwiegenes

Geheimniß endlich zu entdecken; denn

Einmal vertraut, verläßt es ohne Rückkehr

Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet,

Wie es die Götter wollen, oder nützt.

Vernimm! ich bin aus Tantalus Geschlecht.


Thoas.

Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.

Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt

Als einen ehmals Hochbegnadigten

Der Götter kennt? Ist's jener Tantalus,

Den Jupiter zu Rath und Tafel zog,

An dessen alterfahrnen, vielen Sinn

Verknüpfenden Gesprächen Götter selbst,

Wie an Orakelsprüchen, sich ergetzten?


Iphigenie.

Er ist es; aber Götter sollten nicht

Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen, wandeln;

Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach

In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln.

Unedel war er nicht und kein Verräther;

Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen

Des großen Donnrers nur ein Mensch. So war

Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht

War streng, und Dichter singen: Übermuth

Und Untreu' stürzten ihn von Jovis Tisch

Zur Schmach des alten Tartarus hinab.

Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Haß!


Thoas.

Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?


Iphigenie.

Zwar die gewalt'ge Brust und der Titanen

Kraftvolles Mark war seiner Söhn' und Enkel

Gewisses Erbtheil; doch es schmiedete

Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.

Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld

Verbarg er ihrem scheuen düstern Blick;

Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,

Und gränzenlos drang ihre Wuth umher.

Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,

Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb

Sich durch Verrath und Mord das schönste Weib,

Önomaus Erzeugte, Hippodamien.

Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwei Söhne,

Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie

Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn

Aus einem andern Bette wachsend an.

Der Haß verbindet sie, und heimlich wagt

Das Paar im Brudermord die erste That.

Der Vater wähnet Hippodamien

Die Mörderin, und grimmig fordert er

Von ihr den Sohn zurück, und sie entleibt

Sich selbst —


Thoas.

Du schweigest? Fahre fort zu reden!

Laß dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!


Iphigenie.

Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,

Der froh von ihren Thaten, ihrer Größe

Den Hörer unterhält, und still sich freuend

An's Ende dieser schönen Reihe sich

Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich

Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;

Erst eine Reihe Böser oder Guter

Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude

Der Welt hervor. – Nach ihres Vaters Tode

Gebieten Atreus und Thyest der Stadt,

Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht

Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest

Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus

Ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon

Thyest, auf schwere Thaten sinnend, lange

Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich

Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.

Dem füllet er die Brust mit Wuth und Rache

Und sendet ihn zur Königsstadt, daß er

Im Oheim seinen eignen Vater morde.

Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt: der König

Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend,

Er tödte seines Bruders Sohn. Zu spät

Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen

Gemartert stirbt; und die Begier der Rache

Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still

Auf unerhörte That. Er scheint gelassen

Gleichgültig und versöhnt, und lockt den Bruder

Mit seinen beiden Söhnen in das Reich

Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie,

Und setzt die ekle schaudervolle Speise

Dem Vater bei dem ersten Mahle vor.

Und da Thyest an seinem Fleische sich

Gesättigt, eine Wehmuth ihn ergreift,

Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme

Der Knaben an des Saales Thüre schon

Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend

Ihm Haupt und Füße der Erschlagnen hin. —

Du wendest schaudernd dein Gesicht, o König:

So wendete die Sonn' ihr Antlitz weg

Und ihren Wagen aus dem ewg'en Gleise.

Dieß sind die Ahnherrn deiner Priesterin;

Und viel unseliges Geschick der Männer,

Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt

Die Nacht mit schweren Fittigen und läßt

Uns nur die grauenvolle Dämmrung sehn.


Thoas.

Verbirg sie schweigend auch. Es sei genug

Der Gräuel! Sage nun, durch welch ein Wunder

Von diesem wilden Stamme du entsprangst.


Iphigenie.

Des Altreus Ält'ster Sohn war Agamemnon:

Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen,

In ihm hab' ich seit meiner ersten Zeit

Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn.

Ihm brachte Klytämnestra mich, den Erstling

Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte

Der König, und es war dem Hause Tantals

Die lang entbehrte Rast gewährt. Allein

Es mangelte dem Glück der Eltern noch

Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfüllt,

Daß zwischen beiden Schwestern nun Orest

Der Liebling wuchs, als neues Übel schon

Dem sichern Hause zubereitet war.

Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen,

Der, um den Raub der schönsten Frau zu rächen,

Die ganze Macht der Fürsten Griechenlands

Um Trojens Mauern lagerte. Ob sie

Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel

Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater führte

Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie

Auf günst'gen Wind vergebens: denn Diane,

Erzürnt auf ihren großen Führer, hielt

Die Eilenden zurück und forderte

Durch Kalchas Mund des Königs ält'ste Tochter.

Sie lockten mit der Mutter mich in's Lager;

Sie rissen mich vor den Altar und weihten

Der Göttin dieses Haupt. Sie war versöhnt:

Sie wollte nicht mein Blut und hüllte rettend

In eine Wolke mich; in diesem Tempel

Erkannt ich mich zuerst vom Tode wieder.

Ich bin es selbst, bin Iphigenie,

Des Altreus Enkel, Agamemnons Tochter,

Der Göttin Eigenthum, die mit dir spricht.


Thoas.

Mehr Vorzug und Vertrauen geb' ich nicht

Der Königstochter als der Unbekannten.

Ich wiederhole meinen ersten Antrag:

Komm, folge mir, und theile was ich habe.


Iphigenie.

Wie darf ich solchen Schritt, o König, wagen?

Hat nicht die Göttin, die mich rettete,

Allein das Recht auf mein geweihtes Leben?

Sie hat für mich den Schutzort ausgesucht,

Und sie bewahrt mich einem Vater, den

Sie durch den Schein genug gestraft, vielleicht

Zur schönsten Freude seines Alters hier.

Vielleicht ist mir die frohe Rückkehr nah;

Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, hätte

Mich wider ihren Willen hier gefesselt?

Ein Zeichen bat ich, wenn ich bleiben sollte.


Thoas.

Das Zeichen ist, daß du noch hier verweilst.

Such' Ausflucht solcher Art nicht ängstlich auf.

Man spricht vergebens viel, um zu versagen;

Der andre hört von allem nur das Nein.


Iphigenie.

Nicht Worte sind es, die nur blenden sollen;

Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt.

Und sagst du dir nicht selbst, wie ich dem Vater,

Der Mutter, den Geschwistern mich entgegen

Mit ängstlichen Gefühlen sehnen muß?

Daß in den alten Hallen, wo die Trauer

Noch manchmal stille meinen Namen lispelt,

Die Freude, wie um eine Neugeborne,

Den schönsten Kranz von Säul an Säulen schlinge.

O sendetest du mich auf Schiffen hin!

Du gäbest mir und allen neues Leben.


Thoas.

So kehr' zurück! Thu' was dein Herz dich heißt,

Und höre nicht die Stimme guten Raths

Und der Vernunft. Sei ganz ein Weib und gib

Dich hin dem Triebe, der dich zügellos

Ergreift und dahin oder dorthin reißt.

Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt,

Hält vom Verräther sie kein heilig Band,

Der sie dem Vater oder dem Gemahl

Aus langbewährten, treuen Armen lockt;

Und schweigt in ihrer Brust die rasche Gluth,

So dringt auf sie vergebens treu und mächtig

Der Überredung goldne Zunge los.


Iphigenie.

Gedenk', o König, deines edeln Wortes!

Willst du mein Zutraun so erwiedern? Du

Schienst vorbereitet alles zu vernehmen.


Thoas.

Auf's Ungehoffte war ich nicht bereitet;

Doch sollt' ich's auch erwarten: wußt' ich nicht,

Daß ich mit einem Weibe handeln ging?


Iphigenie.

Schilt nicht, o König, unser arm Geschlecht.

Nicht herrlich wie die euern, aber nicht

Unedel sind die Waffen eines Weibes.

Glaub' es, darin bin ich dir vorzuziehn,

Daß ich dein Glück mehr als du selber kenne.

Du wähnest, unbekannt mit dir und mir,

Ein näher Band werd' uns zum Glück vereinen.

Voll guten Muthes wie voll guten Willens

Dringst du in mich, daß ich mich fügen soll;

Und hier dank' ich den Göttern, daß sie mir

Die Festigkeit gegeben, dieses Bündniß

Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt.


Thoas.

Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.


Iphigenie.

Sie reden nur durch unser Herz zu uns.


Thoas.

Und hab' Ich, sie zu hören, nicht das Recht?


Iphigenie.

Es überbraust der Sturm die zarte Stimme.


Thoas.

Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?


Iphigenie.

Vor allen andern merke sie der Fürst.


Thoas.

Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht

An Jovis Tisch bringt dich den Göttern näher,

Als einen erdgebornen Wilden.


Iphigenie.

So

Büß' ich nun das Vertraun, das du erzwangst.


Thoas.

Ich bin ein Mensch; und besser ist's, wir enden.

So bleibe denn mein Wort: Sei Priesterin

Der Göttin, wie sie dich erkoren hat;

Doch mir verzeih' Diane, daß ich ihr,

Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf,

Die alten Opfer vorenthalten habe.

Kein Fremder nahet glücklich unserm Ufer;

Von Alters her ist ihm der Tod gewiß.

Nur du hast mich mit einer Freundlichkeit,

In der ich bald der zarten Tochter Liebe,

Bald stille Neigung einer Braut zu sehn

Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden

Gefesselt, daß ich meiner Pflicht vergaß.

Du hattest mir die Sinnen eingewiegt,

Das Murren meines Volks vernahm ich nicht;

Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes

Frühzeit'gem Tode lauter über mich.

Um deinetwillen halt' ich länger nicht

Die Menge, die das Opfer dringend fordert.


Iphigenie.

Um meinetwillen hab ich's nie begehrt.

Der mißversteht die Himmlischen, der sie

Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur

Dir eignen grausamen Begierden an.

Entzog die Göttin mich nicht selbst dem Priester?

Ihr war mein Dienst willkommner, als mein Tod.


Thoas.

Es ziemt sich nicht für uns, den heiligen

Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft

Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken.

Thu' deine Pflicht, ich werde meine thun.

Zwei Fremde, die wir in des Ufers Höhlen

Versteckt gefunden, und die meinem Lande

Nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand.

Mit diesen nehme deine Göttin wieder

Ihr erstes, rechtes, lang entbehrtes Opfer!

Ich sende sie hierher; du weißt den Dienst.


Iphigenie auf Tauris

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