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7.

Die letzten drei Schulwochen vor den Weihnachtsferien haben begonnen. Stress pur. Eigentlich in allen Klassen und Fächern noch einmal eine Runde Klassenarbeiten, Tests und Hausaufgabenüberprüfungen. Die Schulbürokratie fordert eine Menge von Einzelnoten, ohne die eine Zeugnisnote Ende Januar nicht ausgesprochen werden darf.

Die Schüler hassen diese ständigen, oft an den Haaren herbei gezogenen Überprüfungen und als Folge auch die Lehrer, die sie durchführen.

Das ergibt genau die richtige Atmosphäre vor Weihnachten, vor dem Fest der Liebe, denkt Veronika zynisch.

Anstelle mit den Kindern in aller Ruhe Weihnachten vorzubereiten, kreativ zu basteln, zu dichten, zu singen, kleine Theaterstücke einzuüben, für einander Verständnis zu entwickeln, auch einmal einen Blick auf die Kinderwelt außerhalb unseres westeuropäischen Paradieses zu werfen, nur Stress, Druck, Aggression, manchmal sogar Hass und nirgendwo Liebe.

Pädagogische Liebe war ein Stichwort in ihrem Studium, die Liebe zu den Zöglingen, zu den Schülern, die man über mehrere Jahre doch intensiv kennenlernte und begleitete. Vergleichbar der elterlichen Liebe, die nur an das Weiterkommen des Nachwuchses, an die Vorbereitung auf das spätere Leben gerichtet ist.

Diese pädagogische Liebe war damals noch unbelastet von den Skandalen sexueller Übergriffe, wie sie in den letzten Jahren bekannt geworden sind. Auch unfassbar!

Heute darfst du kein Kind mehr tröstend in den Arm nehmen, ihm verständnisvoll über das Haar streichen, es vielleicht mit deinem Auto nach Hause zu den Eltern fahren. Die Beziehung zu den Schülern wird bürokratisiert, juristisch geregelt, unterliegt ständiger Kritik.

Ist es ein Wunder, dass die Lehrer sich zurückziehen, dafür die Schulleiter in den Regionalausgaben der Tageszeiten ihre wunderbare erfolgreiche Arbeit an ihrer Schule medienwirksam ins Bild setzen?

Ein Kollege hatte einmal in einer Konferenz Andersens Märchen von des Kaisers neue

Kleider bemüht. Dieser falsche Applaus für viele Dinge, die jeder heimlich als Potemkinsche Dörfer einschätzt, sich aber nicht traut, es laut zu sagen. Diese dann hundertprozentige Zustimmung des Schulkollegiums wandert dann als Bericht zur Schulaufsichtsbehörde und ergibt in der Addition solcher Ereignisse die selbst befriedigende Reaktion des Kultusministeriums.

Veronika könnte heulen, wenn sie an diese Entwicklung der letzten zwanzig Jahre denkt.

Sie hatte anfangs gekämpft, sich den Mund verbrannt, mit Kollegen später beim Bier ohne die Schulleitung darüber gesprochen.

Die letzten Jahre ist es auch ein Generationenproblem, die jungen Lehrer kennen es doch aus ihrer eigenen Schulzeit nicht mehr anders. Junge Männer kommen eh nur noch selten an die Schule. Junge Frauen zwischen Karriere und Kochtopf, oft überfordert und ohne Kraft, bilden einen Großteil des heutigen Kollegiums.

Schluss jetzt, andere Gedanken. Ich will überleben. Sie drückt das magische > f <, die Fahrkarte in eine andere Welt.

Sie hat Post von ihrem Segler. Er schickt ihr seine Telefonnummer und erbittet ein Date. Na, endlich mal was erfreuliches.

Es ist nicht ihr erstes Treffen dieser Art. Noch vor ca. zwei Monaten war sie zu solch einer Verabredung gegangen und war, jetzt fällt es ihr wieder genau ein, so enttäuscht von diesem Schwätzer und Langeweiler. Eine ganze Stunde hatte sie bei einem wunderbaren Schokoladeneisbecher mit diesem … den Namen hat sie vergessen ... zusammengesessen, sich gelangweilt und unwohl gefühlt und war dann unter dem Vorwand noch Unterricht vorbereiten zu müssen, schnell wieder nach Hause gefahren.

Nein, diese Dates mit Männern, die man nur aus dem Internet kennt, sind immer problematisch. Schöner und erfolgreicher sind die Bekanntschaften, die man wirklich draußen im Leben macht. Wenn man abends mal an der Theke steht und ein wirklich lustiger Typ erzählt einen Joke nach dem anderen, und weil man so herrlich lacht, bestellt er schließlich ein Bier für sie mit, prostet ihr zu oder stößt sogar mit ihr an.

Sie erinnert sich an Friedrich-Karl, allein schon der Name, aber er war mit goldenem Humor gesegnet und was sie damals tatsächlich beeindruckte war, dass er sich auch wunderbar ernsthaft und super informiert über Geschichte und Politik unterhalten konnte.

Sie hatte ihn nach Mitternacht mit nach Haus genommen zu einem One-night-stand, wie man heute zu sagen pflegt. Er war etwas älter als sie und im Bett nur Durchschnitt, an der Theke war er viel besser gewesen. Er verschwand morgens nach dem gemeinsamen Frühstück, ließ sein Visitenkärtchen zurück und rief die nächsten Tage noch ein paarmal an. Doch auch am Telefon konnte er den Charme des Thekenstehers nicht mehr entfalten.

Ja, dachte Veronika, so mache ich es jetzt auch, er kann schreiben, er kann fotografieren, belassen wir es erst mal dabei. Ein Lifedate beendet meist die Romanze nach irgendeiner Seite hin. Lassen wir das Süppchen doch einfach auf dem Herd ein bisschen köcheln. Sie lächelt über ihre eigenen Gedanken. So kreativ möchte sie manchmal noch in der Schule sein, lauthals lachen über sich, die Kinder, die Situation.

Sie schreibt dem Segler zurück:

Lieber Christian, schön, dass du dich mit mir treffen willst. Ich weiß dein Angebot zu schätzen.

Aber sei mir bitte nicht böse, ich möchte jetzt noch nicht. Im Moment steht mir aus Gründen, die ich dir auch jetzt noch nicht erzählen möchte, nicht der Kopf danach.

Ich genieße deine wunderbaren Fotos, deine Reiseberichte, in denen ich erkenne, dass du ein ganz besonderer Mann bist, ein Streuner, wie du selbst schreibst, aber im absolut positiven Sinne.

Ich selbst reise auch gerne, bin eigentlich in allen Ferien unterwegs und war auch schon in Tarragona und habe wie du die Geschichte, Kultur und Schönheit der alten Römerstadt genossen.

Bleib du für mich bitte noch ein bisschen im Dunkeln...das wäre schön! Jetzt im Weihnachtsstress als Lehrerin an einer Schule ist mein Herz nicht offen für etwas vernünftiges, vielleicht Großes.

Ich gebe dir aber meine Telefonnummer: 02166/37869.

Hab noch einen schönen Abend und alles Liebe wünscht dir

Veronika

Sie überfliegt ihre Worte noch einmal flüchtig auf Rechtschreibfehler, schließlich ist sie Lehrerin, und drückt den > Antwort-Button <.

So, die Antwort hat er.

Erst jetzt denkt sie noch einmal über den Inhalt und die Konsequenz ihrer Worte nach:

Sie hat ihn mit Lob angemacht und sicher einen Jagdinstinkt in ihm geweckt, wenn er denn ein richtiger Mann ist. Er kann sie haben, wenn er baggert, später, vielleicht, es kommt auf seine Qualitäten an, die er ihr beweisen muss.

Ja, sie hat ein Spiel angefangen, in dem sie allein, hofft sie zumindest, die Spielregeln vorgibt. Mein Gott, denkt Veronika, genau umgekehrt wie in der Schule. Sie ist mit sich zufrieden.

Morgen in der 10. Klasse muss sie sich mit dem 3. Reich beschäftigen, muss versuchen den Schülern zu zeigen, mit welchen Instrumenten man Massen hinter sich bekommt. Sie selbst kann es heute eigentlich noch nicht nachvollziehen, wie diese Bewegung die Macht an sich gerissen hat und wie Adolf Hitler zum Idol der Massen aufgestiegen ist.

Er hatte hier in Deutschland die Popularität eines Papstes Benedikt, eines Thomas Gottschalk, Franz Beckenbauer und Peter Maffay zusammen. Unvorstellbar, wie will man sowas vermitteln?

Ein ganzes Volk richtet sich freiwillig auf den Willen des Führers aus, noch nicht einmal ein Gesetz zwang sie dazu.

Doch, entscheidend war sicherlich, dass keine andere Meinung seit Monaten, später Jahren, mehr zu hören gewesen war. Die Opposition saß im Knast, Konzentrationslager nannten sie es.

Der persönliche Eid der Wehrmacht auf den Führer nutzte die Gottgläubigkeit der Menschen aus, obwohl gerade die Nazis damit nichts am Hut hatten und das Schicksal bemühten.

Natürlich war hier auch die alte Weisheit am Werk, dass ein voller Bauch vor der Freiheit kommt. Hitler brachte nach der Weltwirtschaftskrise Arbeit und Einkommen. Wen interessierte es schon, ob die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen volkswirtschaftlich zu vertreten waren?

Noch heute versteht das ja kaum einer, sie selbst auch nicht.

So, liebe Veronika, dann mache bitte aus diesen Erkenntnissen eine spannende, pubertierende Schüler interessierende Unterrichtsstunde.

Alternativ kann sie ein Video zeigen aus der Reihe: Wir Deutschen: Das dritte Reich. Es steht in der Bibliothek des Laptops. Sie braucht nur am Pult die Stecker des Beamers einzustecken und die 45 Minuten Geschichtsunterricht sind abgedeckt.

Sie fährt ihren Laptop herunter.

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