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Vorwort

Wissen hat heute Konjunktur. Das gilt auch für das wissenschaftliche Wissen. Wissenschaft, vor allem in ihren naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Teilen, steht hoch im Kurs, und die Gesellschaft gefällt sich in der Selbstbeschreibung als Wissensgesellschaft. Unter dieser ist eine Gesellschaft zu verstehen, die erstens über einen klaren Wissensbegriff verfügt, die zweitens ihre Entwicklung und damit ihre Zukunft auf die Leistungsfähigkeit des wissenschaftlichen Verstandes setzt, daher auch drittens im Wissen ihre wesentliche ökonomische Produktivkraft erkennt und im übrigen viertens zwischen Verstand, als Ausdruck eines Verfügungswissens, und Vernunft, als Ausdruck eines Orientierungswissens, klug zu unterscheiden weiß.

In Teilen trifft eine derartige Beschreibung auf die gegenwärtigen Verhältnisse wohl zu, vor allem dort, wo sich das Wissen mit dem Ökonomischen verbindet, in Teilen aber auch nicht, nämlich dort, wo es um einen klaren Wissensbegriff (etwa in Unterscheidung zum Informationsbegriff) geht sowie um die unterschiedlichen Rollen von Verstand, der, z.B. als wirtschaftender Verstand, alles beherrscht, und Vernunft, von der wir uns, auch im Wechselspiel von Wissen und Ökonomie, Orientierung, reflektierte Orientierung versprechen. Diese Situation macht sowohl ein Nachdenken über Wissenschaft und ihre Leistungsfähigkeit als auch ein Nachdenken über den Menschen in einer Wissenswelt und über die sie bevölkernde (schon existierende oder erst werdende) Wissensgesellschaft erforderlich.

Die vier hier wiedergegebenen Vorlesungen widmen sich einem solchen Nachdenken unter jeweils besonderen Aspekten. So werden in der ersten Vorlesung anthropologische und ethische Betrachtungen über die Situation des Menschen in einer Wissenswelt angestellt, die in mancher Hinsicht auf dem Wege ins Inhumane zu sein scheint. Konkretisiert wird dies in der zweiten Vorlesung anhand des Um-ganges mit dem Sterben. Die dritte Vorlesung fragt nach den Grenzen des Wissens und der Wissenschaft, und dies unter sowohl wissenschaftstheoretischen als auch ethischen und ökonomischen Gesichtspunkten. Dem besonderen Status, der hierbei den Geisteswissenschaften zukommt bzw. zukommen sollte, geht schließlich die vierte Vorlesung nach, indem sie sich mit einer in vieler Hinsicht irreführenden Zwei-Kulturen-Vorstellung, Selbstzweifeln der Geisteswissenschaften, aber auch mit deren eigentlichen Aufgaben befaßt, wenn es darum geht, die kulturelle Form der Welt, die auch Wissenschaft und Leben wieder zusammenbringt, zu begreifen.

Alle vier Vorlesungen stützen sich zu großen Teilen auf bereits publizierte Überlegungen. Für Was ist der Mensch?: Machen wir uns selbst? Über die biologische und die kulturelle Natur des Menschen, in: D. Lorenz (Ed.), Rechtliche und ethische Fragen der Reproduktionsmedizin, Baden-Baden (Nomos Verlagsgesellschaft) 2003, 39–48; Das “nicht festgestellte Wesen”. Der Mensch zwischen Endlichkeit und Vollkommenheit, in: H. Schmidinger/C. Sedmak (Eds.), Der Mensch – ein “animal rationale”? Vernunft – Kognition – Intelligenz, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2004, 20–31. Für Wem gehört das Sterben?: Wem gehört das Sterben?, in: C. Y. Robertson-von Trotha (Ed.), Tod und Sterben in der Gegenwartsgesellschaft. Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung, Baden-Baden (Nomos Verlagsgesellschaft) 2008, 19–34. Für Gibt es Grenzen des Wissens und der Wissenschaft?: Gibt es Grenzen des Wissens?, in: J. Mittelstraß, Wissen und Grenzen. Philosophische Studien, Frankfurt/Main (Suhrkamp) 2001, 120– 137; Was heißt “Grenzen des Wissens”?, in: P. Walde/F. Kraus (Eds.), An den Grenzen des Wissens, Zürich (vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich) 2008 (Zürcher Hoch-schulforum 41), 9–25. Für Glanz und Elend der Geisteswissenschaften: Zwischen Geist und Natur. Die Stellung der Geisteswissenschaften im System der Wissenschaft und ihre Aufgaben in der modernen Welt, in: Conceptus. Zeitschrift für Philosophie 35 (2002/2003), Nr. 86–88, 109–126.

Salzburg, im April 2010

Der Mensch, das Wissen und das Leben

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