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Erstes Kapitel

In der Sonora

Sollte jemand mich fragen, welches wohl der traurigste, der langweiligste Ort der Erde sei, so würde ich, ohne mich lange zu besinnen, antworten: Guaymas in Sonora, dem nordwestlichsten Staate der Republik von Mexiko. Diese Meinung ist allerdings nur eine rein persönliche; ein anderer würde sie wahrscheinlich bestreiten; ich aber habe in der Stadt die inhaltslosesten zwei Wochen meines Lebens – man verzeihe mir den freilich sehr zutreffenden Ausdruck – verfaulenzt und verspielt.

Die im östlichen Teile von Sonora sich erhebenden Berge enthalten reiche Lagerstätten von edlen Metallen, Kupfer und Blei, und fast alle Wasserläufe führen Waschgold mit sich; aber die Ausbeute war damals nur eine geringe, weil die Reviere von den Indianern unsicher gemacht wurden und man sich nur in starker Gesellschaft hinauf an Ort und Stelle getraute. Wo aber eine so zahlreiche Belegschaft hernehmen? Der Mexikaner ist alles andere, nur kein Arbeiter; dem Indianer fällt es nicht ein, gegen Tagelohn die Schätze auszugraben, welche er noch heutigen Tages für sein rechtmäßiges Eigentum hält; chinesische Kulis könnte man genug bekommen, doch mag man sie nicht, denn wer diese unsauberen Geister beschwört, der wird sie nicht wieder los – – aber die Gambusinos, die Prospektors, wird man sagen; das sind doch die eigentlichen Goldsucher und Minenarbeiter; warum engagiert man diese nicht? Sehr einfach darum, weil damals keine zu haben waren; sie waren alle hinüber nach Arizona, wo das Gold in hellen Haufen liegen sollte. Darum waren die Reviere von Sonora verödet, gerade wie noch heute, wo nicht nur der Bergbau, sondern auch die Viehzucht des Landes unter der Furcht vor den wilden Indianern darniederliegt.

Auch ich hatte nach Arizona gewollt, doch nicht etwa weil auch am Goldfieber leidend, sondern aus Interesse für das eigenartige Leben, welches in den Diggins herrscht; da aber kam die bekannte Erhebung des mexikanischen Generals Jargas; ich wurde vom Herausgeber einer Zeitung in San Franzisko gefragt, ob ich für sein Blatt nach dem Schauplatze der Empörung gehen wolle, um Berichte zu schreiben, und ich ergriff mit Freuden diese Gelegenheit, eine Gegend kennen zu lernen, welche ich sonst wohl nie zu sehen bekommen hätte. Jargas hatte kein Glück; er wurde besiegt und erschossen, und ich ging, nachdem mein letzter Bericht abgesandt worden war, über die Sierra Verde zurück, um nach Guaymas zu kommen. Dort hoffte ich eine Schiffsgelegenheit nach einem nördlicheren Orte des kalifornischen Golfes zu finden, denn ich wollte nach dem Rio Gila, wo ich laut einer Verabredung mit meinem Freunde, dem Apatschenhäuptling Winnetou, zusammentreffen sollte.

Leider ging meine Rückkehr nicht so schnell von statten, wie es in meinem Wunsche lag. Ich hatte, als ich mich noch in der einsamen Sierra befand, das Unglück, daß mein Pferd stolperte und einen Vorderfuß brach; ich mußte es erschießen und den Weg dann unter die eigenen Füße nehmen. Tagelang sah ich keinen Menschen, am allerwenigsten einen, dem ich ein Pferd oder Maultier hätte abkaufen können. Vor einer Begegnung mit Bravos-Indianern hütete ich mich, da bei einer solchen nur zu verlieren und nichts zu gewinnen war. Es war eine lange und anstrengende Wanderung, und so atmete ich froh auf, als ich endlich in den Trachytkessel niederstieg, in welchem das traurige Guaymas liegt.

Obgleich am ersehnten Ziele angekommen, war ich doch keineswegs entzückt über den Anblick, welchen die Stadt mir bot. Sie hatte damals kaum zweitausend Einwohner und bestand aus Häusern, welche aus Luftziegeln erbaut waren und keine Fenster hatten. Rings von hohen, kahlen Felsen umgeben, lag der Ort wie eine ausgedorrte Leiche in erdrückender Sonnenglut. In der Umgebung war kein Mensch zu sehen, und auch als ich mich dann zwischen den ersten Häusern befand, schien es, als ob dieselben ausgestorben seien.

Freilich war der Eindruck, welchen ich auf oder in Guaymas machen mußte, kein besserer als derjenige, welchen die Stadt auf mich machte, denn ich hatte keineswegs das Aussehen eines Gentleman oder, wie man dort sagt, eines Caballero. Mein Anzug, für welchen ich vor meiner Abreise von San Franzisco achtzig Dollars bezahlt hatte, war nach und nach in eine solche Zerfahrenheit geraten, daß verschiedene Gegenden meiner Person viel sichtbarer waren als der Stoff, dem ich ihre Bedeckung anvertraut hatte. Auch die Fußbekleidung war bei der vollständigen Erschöpfung ihrer Kräfte angelangt. Rechts hatte ich den ganzen Absatz verloren; links war mir der halbe geblieben, und wenn ich vorn die offenherzigen Spitzen betrachtete, so mußte ich, ich mochte wollen oder nicht, an aufgesperrte Entenschnäbel denken. Und nun gar der Hut! In glücklicheren Zeiten Sombrero, das heißt Schattenspender, genannt, hatte er jetzt verräterischerweise auf diese Ehrentitulatur vollständig Verzicht geleistet. Die erst so breite Krämpe war, ich kann selbst heute noch nicht sagen, auf welche Weise und aus welcher Veranlassung, nach und nach immer abwesender geworden, und das, was mir als treues Überbleibsel nun auf dem Kopfe saß, hatte die Form eines türkischen Fez und hätte sich, aufrichtig gestanden, ganz vortrefflich zum Tintenseiher geeignet. Nur der lederne Gürtel, mein langjähriger Begleiter, hatte auch diesmal seine unerschütterliche Charakterfestigkeit bewiesen. Von Teint, Frisur und andern Intimitäten zu sprechen, würde diejenige Achtung verletzen, welche man seiner eigenen Person unter allen Umständen zu widmen hat.

Indem ich langsam die Straße entlang ging und bald nach rechts, bald nach links sah, um ein menschliches Wesen zu entdecken, erblickte ich ein Gebäude, aus dessen niedrigem Dach zwei Stangen ragten, welche ein hölzernes Firmenschild trugen. Es zeigte in einst weißen, nun verwitterten Buchstaben auf dunklem Grunde die verlockenden Worte »Meson de – – –« das übrige war nicht mehr zu lesen. Als ich dastand, um den Rest der Schrift zu entziffern, war endlich der Schritt eines Menschen zu hören. Ich drehte mich um und sah einen Mann, der sich näherte und an mir vorüber wollte. Ich grüßte ihn höflich und fragte ihn, welches Gasthaus wohl das empfehlenswerteste dieser guten Stadt sei. Er deutete auf das Gebäude, vor welchem ich stand, und antwortete:

»Gehen Sie nicht weiter, Sennor. Dieses Hotel ist das nobelste, welches wir haben. Im Schilde fehlt zwar jetzt das Wort Madrid, Ihnen aber wird nichts mangeln, wenn Sie sich dem Wirte, Don Geronimo, anvertrauen. Sie können sich auf meine Empfehlung verlassen, denn ich bin der Escribano, von Guaymas und kenne alle Leute. Vorausgesetzt ist natürlich, daß Sie bezahlen können.«

Er warf sich bei Nennung seines wichtigen Amtes in die Brust und betrachtete mich dann mit einem Blicke, welcher mir deutlich sagte, was er von mir dachte, nämlich daß ich höchst wahrscheinlich im Ortsgefängnisse besser aufgehoben sei als im Hotel. Dann schritt er in würdevoller Haltung weiter; ich aber wendete mich im Vertrauen auf die Empfehlung einer solchen Berühmtheit nach der offenen Thüre des Gasthauses. Ich wäre auch ohnedies hier eingekehrt, da ich müde war und keine Lust hatte, mich der Glut der Mittagssonne länger auszusetzen.

Das nobelste Hotel der Stadt! Meson de Madrid! Gute Zimmer, saubere Betten, schmackhafte Speisen! Das Wasser lief mir im Munde zusammen. Ich trat ein und befand mich sofort in – »sämtlichen Räumlichkeiten«. Das soll nämlich heißen, daß das Hotel nur aus diesem einen Raume bestand. Vorn trat man von der Straße her ein, und gegenüber führte eine Thüre nach dem Hofe. Andere Öffnungen oder gar Fenster gab es nicht. Neben der hintern Thüre stand der rußgeschwärzte, steinerne Herd, sodaß der Rauch sich dort pfiffigerweise gleich aus dem Staube machen konnte. Hartgeschlagener Lehm bildete den Boden. In denselben eingetriebene Pfähle und darauf genagelte Bretter bildeten die Tafeln, Tische und Bänke. Stühle gab es nicht. An der Mauer links hingen Hängematten, welche die Gastbetten vorstellten, aber auch sonst von jedermann nach Belieben benutzt werden konnten. An der anderen Wand, rechter Hand stand das Büffett, welches allem Anscheine nach aus einigen alten Kisten zusammengezimmert worden war. Daneben gab es wieder einige Hängematten, welche den Buen retiro der Familie des Hoteliers bildeten. In einer derselben lagen schlafend drei Jungens, deren Arme und Beine so ineinander verwickelt waren, daß es eines sehr tiefen Studiums bedürft hätte, um sagen zu können, welche Extremitäten zu jedem Körper gehörten. In der zweiten ruhte die Tochter des Wirtes, Sennorita Felisa. Sie zählte, wie sie mir andern Tages sagte, sechzehn Sommer, schnarchte aber wie ein Unisono von sechzehn Winterstürmen. In der dritten Hängematte hielt die Wirtin ihr Mittagsschläfchen. Donna Elvira genannt, hatte sie eine Länge von sechs Schuh und fünf Zoll. Ihr Gatte teilte mir später im Vertrauen mit, daß sie eine außerordentlich resolute Dame sei; da sie aber, so oft ich sie sah, entweder schlummerte oder wirklich schlief, so hatte ich leider nicht das Glück, einem vulkanischen Ausbruche ihres energischen Temperaments beizuwohnen. In der vierten Hängematte entdeckte ich einen ringartigen, grauleinenen Gegenstand, den ich beinahe für einen Rettungsgürtel, wie man sie auf Seeschiffen sieht, gehalten hätte. Bei näherer Betrachtung aber gelangte ich zu der Einsicht, daß sich aus diesem Gürtel erforderlichen Falles etwas Edleres entwickeln könne, weshalb ich ihm einen leichten Schlag versetzte. Der Ring geriet darauf in Bewegung; er löste sich. Es kamen Arme und Beine zum Vorscheine, sogar ein Kopf; der Rettungsgürtel öffnete sich vollständig, sprang aus der Hängematte und verwandelte sich in ein kleines hageres, sehr eng in graues Leinen gekleidetes Männchen, welches mich überrascht betrachtete und dann in zornig sein sollendem, aber nur vorwurfsvoll klingendem Tone fragte:

»Was wollen Sie, Sennor? Warum stören Sie meine Siesta? Warum sind Sie überhaupt wach und munter? In dieser tödlichen Hitze schläft doch jeder vernünftige Mensch!«

»Ich suche den Wirt,« antwortete ich.

»Der bin ich. Don Geronimo ist mein Name.«

»Ich komme soeben in Guaymas an und suche ein Schiff. Kann ich bei Ihnen wohnen?«

»Wollen dann sehen; jetzt aber schlafen Sie, dort in einer der Hängematten.«

Er deutete nach der andern Seite.

»Ich bin auch müde,« antwortete ich, »aber ich habe Hunger.«

»Später, später! Schlafen sie nur erst!« forderte er mich dringend auf.

»Und Durst!«

»Jawohl, jawohl! Es wird für alles gesorgt werden; aber schlafen Sie, schlafen Sie doch nur!«

Nachdem er vorher leise gesprochen hatte, war er jetzt lauter geworden. Die andern Hängematten begannen zu schaukeln; darum raunte er mir warnend zu:

»Sprechen Sie nicht weiter, sonst erwacht Donna Elvira! Schlafen Sie, schlafen Sie!«

Er schwang sich in die Hängematte und rollte sich wieder zu einem Ringe zusammen. Was war da zu thun! Ich ließ den Rettungsgürtel mit seiner Familie weiter schlafen, schlich, um Niemanden aufzuwecken, mit leisen Schritten zur Hinterthüre hinaus und gelangte in einen ziemlich großen Hof. In einer Ecke desselben war aus Stangen und Maisstroh ein Dach errichtet, unter welchem einige Gerätschaften aufbewahrt wurden. Auch ein Haufen Maisstroh lag da, daneben ein großer Hund, welcher an einer Kette befestigt war. Das Stroh bildete jedenfalls ein besseres Lager als eine der Hängematten drin; ich näherte mich also dem Haufen, ein wenig besorgt, daß der Hund Lärm machen und Donna Elvira wecken werde; aber diese Sorge war unnötig, denn – – der Kerl schlief auch! Er öffnete zwar die Augen für einen Moment, schloß sie aber sofort wieder und sagte nichts dazu, als ich mir aus dem Stroh ein Lager bereitete und mich dann auf dasselbe ausstreckte. Meine beiden Gewehre im Arme, schlummerte ich ein und schlief infolge meiner Ermüdung so gut und so fest, daß ich erst erwachte, als eine Hand meinen Arm schüttelte. Es war am späten Nachmittage; der kleine Wirt stand vor mir und sagte:

»Sennor, erheben Sie sich! Es ist an der Zeit, die Entscheidung zu treffen.«

»Welche Entscheidung?« fragte ich, indem ich aufstand.

»Ob Sie bei mir bleiben dürfen oder nicht.«

»Warum bedarf es denn da einer Entscheidung?«

Ich sprach diese Frage aus, obgleich ich mir sehr wohl denken konnte, was er meinte, und betrachtete mir das Männchen genauer, als ich es am Mittag hatte thun können. Er war wirklich sehr, sehr klein und zum Erschrecken mager. Er trug das Haar ganz kurz geschoren, fast wie rasiert. Seine scharfen Züge hatten einen klugen und dabei höchst gutmütigen Ausdruck.

»Donna Elvira will, daß ich nur Cavalleros bei mir aufnehme,« antwortete er, »und Sie werden zugeben, daß Sie nicht den Eindruck eines solchen machen.«

»Wirklich?« mußte ich lächelnd fragen, indem ich zu ihm niederblickte. »Meinen Sie, daß nur der ein Cavallero ist, der in einem neuen Anzuge steckt?«

»Nein; denn es kann auch einem feinen Manne geschehen, daß er gezwungen ist, die Schönheit des Äußern außer acht zu lassen; aber Donna Elvira hat einen sehr ausgeprägten Sinn für diese Schönheit und fühlt sich von Ihnen abgestoßen.«

»Hat sie mich denn gesehen? Die Dame schlief ja, als ich kam.«

»Sie schlief allerdings; sie schläft überhaupt sehr gern, wenn sie nichts anderes zu thun hat; aber sie ist dann in den Hof gegangen, um Sie zu betrachten, und als sie Ihren Anzug sah, Ihre Stiefel, Ihren Hut, da meinte sie – – nun, Sennor, es ist doch wohl nicht so notwendig, daß ich mich noch deutlicher ausdrücke?«

»Nein; ich verstehe Sie auch so, Don Geronimo, und werde, da ich der Donna nicht gefalle, mich nach einem anderen Hause umsehen.«

Ich wendete mich zum Gehen; da hielt er mich zurück und sagte:

»Halt! Warten Sie noch ein wenig! Es ist so einsam, wenn man keinen Gast im Hause hat, und Sie sehen mir doch nicht wie ein Bravo aus, den man fürchten muß. Ich möchte bei Donna Elvira ein gutes Wort für Sie einlegen. Dazu ist erforderlich, beweisen zu können, daß Sie mir nützlich sind. Spielen Sie vielleicht Domino?«

»Ja,« antwortete ich, mich über diese Frage wundernd.

»Gut! Kommen Sie herein! Wir wollen eine Probe machen.«

Er schritt voran, und ich folgte ihm nach dem Innern des »Hotels«. Donna Elvira lag in ihrer Hängematte. Sennorita Felisa saß im Buffet bei einem Glase Rum. Die drei Buben waren nicht da; sie befanden sich draußen auf der Straße, wo sie sich mit ihresgleichen damit unterhielten, sich mit faulen Apfelsinen zu bewerfen. Don Geronimo holte die Dominosteine und lud mich ein, mich zu ihm an einen der Tische zu setzen. Als die Steine rasselten, bewegte sich Donna Elvira, und als ihr Gatte mir andeutete: »Nehmen Sie sechs; der höchste Pasch setzt an,« da hob sie den Kopf. Sennorita Felisa kam mit ihrem Glase herbei und setzte sich zu uns, um zuzusehen. Ich sah, was für Leute ich vor mir hatte. Die Menschen schliefen, wenn sie nicht Domino spielten, und spielten Domino, wenn sie nicht schliefen. Und dabei war Geronimo kaum ein leidlicher Spieler. Ich gewann die erste Partie, die zweite und auch die dritte. Bei der ersten freute er sich; bei der zweiten wunderte er sich, und bei der dritten rief er entzückt aus:

»Sie sind ein Meister, Sennor. Sie müssen bei uns bleiben, damit ich von Ihnen lernen kann. Drei Spiele hat mir noch kein Mensch abgewonnen!«

Die Wahrheit war, daß ich mir gar keine Mühe gegeben hatte; er spielte so mangelhaft, daß es gar keiner Berechnung bedurfte, um ihn zu besiegen. Er stand vom Tische auf und ging zu seiner Frau, mit welcher er leise flüsterte. Dann begab er sich hinter das Büffett, brachte ein Buch hervor, dazu ein riesiges Tintenfaß, legte oder stellte beides vor mich hin und sagte:

»Donna Elvira ist so gütig gewesen, ihre Einwilligung zu erteilen, daß Sie hier bleiben können; schreiben Sie also Ihren Namen in dieses Fremdenbuch!«

Ich schlug das Buch auf. Es enthielt lauter Namen, Zahlen und Daten; bei der zuletzt beschriebenen Seite lag die Feder, ein uralter Gänsekiel, dessen Schnabel fast genau soweit wie meine Stiefel vorn auseinander klaffte; auch er war mit einer harten, dicken Kruste überzogen.

»Mit dieser Feder soll ich schreiben?« fragte ich belustigt.

»Allerdings, Sennor. Es ist keine andere vorhanden, und Sie werden wohl auch keine bei sich führen.«

»Aber das ist ja ganz unmöglich!«

»Wieso? Ich sage Ihnen, seit ich dieses Hotel besitze, das sind nun fast zehn Jahre her, haben sich alle meine Gäste mit dieser Feder und mit dieser Tinte eingetragen.«

Die Tinte war natürlich längst verhärtet.

»Wie haben sie das angefangen?«

»Mit Wasser, wie Sie sich leicht denken könnten, wenn Sie in der Kunst des Schreibens nur einigermaßen bewandert wären. Wenn man die Feder in heißem Wasser einweicht, wird sie so weich wie neu, ja noch viel weicher. Und gießt man heißes Wasser in das Faß, so bekommt man eine vollständig neue und außerordentlich gute Tinte. Da mein Haus einen lebhaften Zuspruch hat und jeder Gast sich hier eintragen muß, so wird bei mir ungewöhnlich viel geschrieben; ich darf also nicht verschwenderisch mit Tinte und Feder umgehen. Da Sie des Schreibens unkundig zu sein scheinen, so will ich den Eintrag für Sie vornehmen.«

»Thun Sie das, Sennor; ich bitte sehr darum. Sie nehmen mir damit eine große Last von der Seele.«

»Sehr wohl! Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein. Es soll sofort geschehen; ich will mir vorher erst heißes Wasser machen.«

Er ging an das Büffett. Ich sah, daß er Spiritus oder gar Rum in eine Lampe goß, denselben anbrannte und ein blechernes Gefäß über die Flamme hielt. Er hatte aus weiser Sparsamkeit seine Gäste zehn Jahre lang gezwungen, sich dieser Tinte und Feder zu bedienen, und dabei, ebenso aus weiser Sparsamkeit, jedesmal für einen Groschen Spiritus verbrannt! Es dauerte wenigstens eine Viertelstunde, bis das Wasser kochte; solange hielt er es geduldig über die Lampe; dann tauchte er die Feder hinein, ließ sie eine Weile darin brühen, goß dann das Wasser in das Tintenfaß, rührte es mit der Feder kräftig um und meinte dann in einem sehr befriedigten Tone:

»So, jetzt kann das Werk beginnen; ich bin bereit dazu.«

Er legte das Buch vor sich hin, stellte sich die Tinte bequem zur Hand, räusperte sich energisch, griff zur Feder, hustete, zog die Stirn in tiefe Falten, legte das Buch anders, gab auch dem Tintenfasse eine andere Stelle, hustete wieder, setzte sich fester, als er vorher gesessen hatte, kurz und gut, gebärdete sich so, als ob er im Begriffe stehe, das größte Kunstwerk der Welt in Angriff zu nehmen.

Ich brachte es nur mit Anstrengung fertig, ernst zu bleiben, und konnte mir nun das Aussehen des Fremdenbuches erklären. Ich hatte, während er Wasser kochte, darin geblättert. Die Schrift war auf den letzten Seiten dunkelgelb, wurde je weiter nach vorn desto heller und war endlich gar nicht mehr zu lesen. Die vordersten Seiten schienen niemals beschrieben worden zu sein.

»Jetzt passen Sie auf, Sennor,« sagte er. »Ich habe einzutragen den Tag und das Jahr Ihrer Ankunft bei mir, Ihren Namen, Ihren Stand oder Beruf und die Absicht, in welcher Sie sich hier befinden. Ich hoffe, daß Sie mir das alles der strengsten Wahrheit gemäß angeben!«

Ich machte ihm die Angaben, und er malte sie in Buchstaben nieder, welche in Beziehung auf Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Er malte nicht nur, sondern er mahlte förmlich, langsam, sehr langsam, mit einem Drucke und einer Hingebung, wie es einer so wichtigen und edlen Beschäftigung würdig war. Als er nach einer guten halben Stunde den letzten Strich verbrochen hatte, machte er ein sehr befriedigtes Gesicht, schob das Buch von sich ab und fragte mich dann:

»Wie gefällt Ihnen meine Hand, Sennor? Haben Sie schon einmal solche Buchstaben und Züge gesehen?«

»Nein, noch nie,« antwortete ich der Wahrheit gemäß. »Sie haben eine sehr charaktervolle Hand.«

»Das ist kein Wunder, da ich es bin, der fast alle Namen einzutragen hat, denn die meisten Gäste verstehen, gerade so wie Sie, mit Tinte und Feder nicht umzugehen. Ich danke Ihnen für Ihre Angaben; sie sind leicht verständlich; nur eine kann ich mir nicht erklären. Sie haben als Ihren Beruf angegeben, daß Sie Litterat sind. Dieses Geschäft ist mir noch nicht vorgekommen. Ist es ein Handwerk, eine militärische Charge, oder bezieht es sich auf den Handel im allgemeinen oder auf das Hausieren insbesondere?«

»Keines von alledem. Ein Litterat ist das, was Sie im Spanischen mit dem Worte Autor oder Escritor bezeichnen.«

Da sah er mich überrascht an und fragte:

»Haben Sie Vermögen?«

»Nein.«

»Dann bedauere ich Sie von ganzem Herzen, da Sie bei Ihrem Berufe notwendigerweise verhungern müssen.«

»Wieso, Don Geronimo?«

»Das fragen Sie noch? O, ich kenne diese Verhältnisse sehr genau, denn wir haben hier in Guaymas auch einen Escritor. Er ist sehr reich und schreibt für ein Blatt, welches in Hermosillo erscheint. Er muß sehr viel Geld bezahlen, um seine Einsendungen gedruckt zu sehen. Es ist ein Geschäft, welches große Ausgaben verursacht und gar nichts einbringt. Wie können Sie leben; was wollen Sie essen und trinken, und womit wollen Sie sich kleiden? Ich bedauere Sie auf das herzlichste! Können Sie denn bezahlen, was Sie bei mir genießen?«

»Ja. Dazu reicht es noch aus.«

»Das freut mich sehr. Hm, ein Escritor! Da ist es kein Wunder, daß Sie so ungemein herabgekommen sind, und ich finde es fast unbegreiflich, daß Sie dabei ein so gutes und gesundes Aussehen haben. Aber – – Caramba, da fällt mir ein: Wenn Sie ein Escritor sind, müssen Sie doch schreiben können?«

»Allerdings.«

»Und trotzdem haben Sie diese harte Arbeit mir überlassen! Warum verheimlichten Sie die Kunst, deren Sie mächtig sind?«

»Weil es unhöflich gewesen wäre, Ihnen zu widersprechen, als Sie mich für einen Mann erklärten, welcher die Feder nicht zu führen versteht.«

»Richtig! Diese Ihre Höflichkeit dient Ihnen als Empfehlung. Darf ich fragen, woher Sie kommen?«

»Von jenseits der Sierra Verde!«

»Als Fußgänger? Sie armer Teufel!«

»Ich war beritten, wie Sie daran sehen, daß ich Sporen trage. Mein Pferd stürzte und brach das Bein; ich mußte es erschießen.«

»Warum haben Sie nicht Sattel und Zaum mitgenommen?«

»Weil ich mich nicht mehrere Tage lang in solcher Hitze mit dieser Last schleppen wollte.«

»Aber Sie konnten es verkaufen und von dem Erlöse vielleicht zwei volle Tage leben. Sie thun mir wirklich leid. Lieber hätten Sie sich mit den beiden alten Schießgewehren, die ich da sehe, nicht schleppen sollen; sie sind keinen halben Dollar wert, ganz alte Konstruktion; ich verstehe mich darauf.«

Er nahm den Henrystutzen in die Hand, betrachtete ihn und schüttelte, indem ihm die Patronenkugel am Schlosse auffiel, den Kopf. Dann griff er nach der alten Bärenrifle, um sie aufzunehmen, ließ sie aber liegen, da sie so schwer war, daß er sie mit einer Hand nicht zu heben vermochte.

»Werfen Sie dieses Zeug weg!« riet er mir. »Es hat keinen andern Zweck, als daß Sie sich mit demselben das Reisen erschweren. Wohin wollen Sie von Guaymas aus?«

»Mit einem Schiffe nördlich weiter, über Hermosillo hinauf.«

»Da können Sie lange warten. Schiffe, welche soweit gehen, sind selten.«

»So reite ich.«

»Da müßten Sie sich ein Pferd oder Maultier kaufen, und ich versichere Ihnen, daß selbst für schweres Geld jetzt keines zu haben ist. Wenn Sie Zeit zum Warten hätten, könnten Sie später die Eisenbahn benutzen, welche nach Arispe geht.«

»Wie gehen die Züge dorthin?«

»Züge? Man sieht, daß Sie hier fremd sind, Sennor. Die Bahn ist noch nicht fertig. Man sagt, daß sie in drei, vier oder auch fünf Jahren vollendet sein wird; das aber sind Ihnen unbekannte Dinge. Sie sollten nicht in einem Lande reisen, welches Sie nicht kennen und welches soweit von Ihrer Heimat liegt. Bei Ihrer Armut ist dies ein gefährliches Beginnen. Sie haben als Ihre Heimat Sajonia angegeben. Wo liegt diese Stadt?«

»Es ist keine Stadt, sondern ein Königreich, welches zu Alemania gehört.«

»Ganz richtig! Man kann nicht alle Landkarten im Kopfe haben. Also Sie dürfen bei mir bleiben. Wegen Ihrer Armut und weil Sie infolge Ihres guten Dominospieles ein vorzüglicher Gesellschafter sind, will ich ein Einsehen haben und Ihnen den möglichst billigen Preis stellen. Sie sollen vollständige Pension und die beste Verpflegung für einen Peso täglich haben. Das ist ein Preis, den Sie sehr niedrig finden werden.«

»Ich danke Ihnen und bin einverstanden,« erklärte ich, denn ein Peso beträgt vier und eine halbe Mark, bei welchem Preise ich »vollständige« Pension und »beste« Verpflegung halb als geschenkt betrachten mußte.

Er nickte befriedigt, schob das Fremdenbuch zur Seite, griff wieder nach den Dominosteinen und sagte:

»Da Sie Hunger und Durst haben, wird Felisa Ihnen das Essen bereiten, und inzwischen können wir noch einige Partien spielen. Beginnen wir!«

Ob ich Lust dazu hatte, das fragte er nicht. Er schien es für ganz selbstverständlich zu halten, daß ich ein ebenso leidenschaftlicher Spieler sei, wie er war. Wir begannen, denn ich wollte nicht ungefällig sein. Ich hatte die Absicht, ihn gewinnen zu lassen, konnte dieselbe aber nicht ausführen, da er wirklich zu schlecht spielte. Bei der dritten Partie begann sich vom Herde, an welchem die Sennorita beschäftigt war, ein Duft nach verbranntem Mehle zu verbreiten. Mitten in der vierten hielt der Wirt plötzlich inne, schlug sich mit der Hand an die Stirn und rief aus:

»Wie konnte ich das vorhin vergessen! Sie wollen über Hermosillo hinaus, Sennor, und ich habe gar nicht daran gedacht, daß es eine prächtige Gelegenheit für Sie giebt. Sennor Enriquo erwartet nämlich ein Schiff, welches hier anlegen und dann hinauf nach Lobos gehen wird.«

»Dieser Ort würde mir allerdings sehr bequem liegen. Wer aber ist der Mann, den Sie Sennor Enriquo nennen?«

»Ein Gast von mir, dessen Name im Fremdenbuche gleich vor dem Ihrigen steht. Haben Sie ihn nicht gelesen?«

Das hatte ich nicht gethan. Ich griff also nach dem Buche und las: »Harry Melton, Heiliger der letzten Tage.« Diese Worte waren allerdings in englischer Sprache geschrieben. Also ein Mormone! Wie kam der hierher? Welche Angelegenheit konnte ihn aus der großen Salzseestadt soweit südlich nach Guaymas geführt haben?

»Warum blicken Sie so nachdenklich in das Buch?« fragte der Wirt. »Ist an dem Eintrage vielleicht etwas Besonderes, etwas Auffälliges zu bemerken?«

»Eigentlich nicht. Sie haben die Worte gelesen?«

»Ja, aber nicht verstanden. Der Sennor ist so ernst, so stolz und so fromm, daß ich ihn nicht mit Fragen belästigen wollte. Wahrscheinlich sprach ich seinen Namen falsch aus, und da erklärte er mir, daß Harry genau soviel wie das spanische Enriquo bedeute. Darum nenne ich ihn so.«

»Er wohnt also bei Ihnen?«

»Er schläft bei mir, geht des Morgens fort und kommt des Abends wieder,«

»Was treibt er inzwischen?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe keine Zeit, mich um jeden meiner Gäste zu bekümmern.«

Ja, der kleine Mann spielte und schlief, schlief und spielte und konnte also unmöglich dazu kommen, einem Gaste eine solche Aufmerksamkeit zu schenken. Er fuhr fort.

»Ich weiß eben nur seinen Namen und daß er auf ein Schiff nach Lobos wartet. Der Sennor spricht sehr wenig. Seine Frömmigkeit ist rühmenswert. Schade nur, daß er nicht Domino spielen kann!«

»Woher wissen Sie, daß er fromm ist?«

»Weil er den Rosenkranz beständig durch die Finger gleiten läßt und niemals kommt oder geht, ohne sich vor dem Heiligenbilde, welches dort in der Ecke hängt, zu verbeugen und Weihwasser aus dem Becken dort an der Thüre zu nehmen.«

Ich wollte eine Bemerkung machen, hielt es aber für besser, zu schweigen. Ein Mormone mit dem Rosenkranze! Vielweiberei und Weihwasser! Das Buch Mormon und die Verbeugung vor einem Heiligenbilde! Dieser Mann war jedenfalls ein Heuchler, und seine Heuchelei mußte einen Grund haben.

Es war nicht möglich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Sennorita Felisa brachte mir jetzt eine Tasse, welche eine braune, dicke Materie enthielt, und wünschte mir, wohl zu speisen. Da der Wirt sich diesem Wunsche anschloß, so vermutete ich ganz rechtmäßigerweise, daß ich den Trank genießen solle. Ich nahm also die Tasse an den Mund und kostete, kostete wieder und kostete abermals, bis meine Zunge mir sagte, daß ich es mit einer Mixtur von Wasser, Sirup und verbranntem Mehle zu thun hatte.

»Was ist das?« fragte ich.

Da schlug Felisa vor Erstaunen die Hände zusammen und rief aus:

»Ist das Möglich, Sennor? Haben Sie noch keine Schokolade getrunken?«

»Schokolade?« fragte ich, wobei mein Gesicht einen nicht eben sehr geistreichen Ausdruck gehabt haben mag. »Ja, die habe ich schon oft getrunken.«

»Nun, das ist ja welche!«

»Schokolade? Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht!«

»Nicht wahr?« nickte mir der Wirt erfreut zu. »Ja, meine Schokolade ist weithin berühmt. Wer weiß, was Sie an anderen Orten für Zeug getrunken haben. Die meinige aber ist so echt, ist so einzig, daß ein jeder, der zum erstenmale zu mir kommt, sich darüber verwundert und gar nicht glauben will, daß es Schokolade ist. Hieraus mögen Sie ersehen, daß Sie bei mir alles vortrefflich finden werden.«

Ich war heimlich ganz anderer Meinung, hielt es aber nicht für nötig, ihm dies zu sagen, sondern erkundigte mich:

»Was werden Sie mir als Abendbrot vorsetzen, Don Geronimo?«

»Abendbrot?« fuhr er überrascht auf und erklärte mir dann, indem er auf die Tasse zeigte: »Da steht es ja; das ist es!«

»Ah so! Was geben Sie als Frühstück?«

»Eine Tasse meiner unübertrefflichen Schokolade.«

»Als Mittagessen?«

»Wieder eine Tasse. Das ist das beste, was man genießen kann.«

»Wer aber Brot und Fleisch oder ähnliches haben will?«

»Der muß zum Bäcker und zum Fleischer gehen.«

»So sagen Sie, ob Sie Wein haben. Die Schokolade hilft nicht gegen den Durst.«

»O, ganz ausgezeichneten! Wollen Sie ein Glas?«

»Ja. Was kostet es?«

»Dreißig Centavos.«

Das war nach deutschem Gelde ein halber Thaler. Don Geronimo gab mir die Ehre, den Wein selbst zu holen, reichte ihn aber seiner Tochter anstatt mir. Sennorita Felisa trank das Glas halb aus, ohne eine Miene zu verziehen, und gab es mir dann mit einem holdseligen Lächeln. Ich nahm einen kleinen Schluck, welcher einen sofortigen Hustenanfall zur Folge hatte. Der »Wein« war das reinste Gift, die wahre Schwefelsäure.

»Trinken Sie langsam, langsam!« warnte mich der Wirt. »Mein Wein ist viel zu stark für Sie, aus den köstlichsten Trauben gekeltert.«

»Ja, er ist mir allerdings zu stark, Don Geronimo,« hustete ich. »Erlauben Sie, daß ich zum Bäcker und zum Fleischer gehe!«

»So trinken Sie das Glas nicht vollends aus?« fragte die Sennorita.

»Nein. Ich habe leider allzu große Rücksicht auf meine Gesundheit zu nehmen.«

Da führte sie das Glas an ihren Rosenmund, leerte es, wieder ohne eine Miene zu verziehen, und bat mich dann in zutraulichem Tone:

»Wenn Sie zum Bäcker und Fleischer gehen, so bringen Sie mir etwas mit, Sennor. Noble und aufmerksame Gäste pflegen dies stets zu thun.«

Nicht übel! Vier und eine halbe Mark zahlen, dafür dreimal Mehl- und Sirupwasser, einen Platz in der wahrscheinlich starkbevölkerten Hängematte und dazu die Familie des Wirtes mit Proviant versorgen! Meson de Madrid! Das beste Hotel der Stadt! O Stadtschreiber, Stadtschreiber, deinen guten Rat und deine Empfehlung dieses Hauses in allen Ehren, aber ich will mich doch einmal weiter umsehen!

Ich ging, natürlich ohne meine verräterische Absicht zu verraten. Volle zwei Stunden lang beschäftigte ich mich mit der Suche nach einem besseren Unterkommen, gelangte aber schließlich zu der Überzeugung, daß der Stadtschreiber recht gehabt hatte, denn gegen die Höhlen, welche ich sah, war der Meson de Madrid ein Prachtpalast. Ich kaufte also für einen Peso Fleisch, welches, unter uns gesagt, ganz leidlich »muffig« war, nahm vom Bäcker eine Anzahl platter Maiskuchen mit, welche an Stelle unsers Brotes gegessen werden, und wurde infolge dieser Vorräte daheim mit großer Anerkennung empfangen. Die liebe Felisa nahm mir, ohne lange zu fragen, sofort alles ab und brannte das Herdfeuer an, um das Fleisch zu braten. Die drei Jungens bemächtigten sich der Maiskuchen, welche sie wie Knochen zwischen den Zähnen zerknackten, und Donna Elvira richtete sich in der Hängematte empor, aus dem Schlummer geweckt durch den Bratenduft, welcher sich zu verbreiten begann. Leider konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen, denn die einzige Lampe, welche es gab, stand fern von ihr auf dem Tische, an welchem ich Platz genommen hatte. Der Wirt gesellte sich in freundlicher Weise zu mir, schob mir die Dominosteine hin und sagte:

»Noch einige Spiele bis wir essen, Sennor. Es gibt ja nichts anderes zu thun.«

Wir spielten also, bis gedeckt wurde, das heißt, bis Sennorita Felisa mir dasjenige Stück Fleisch, welches am muffigsten gewesen war, ohne Teller und ohne alles, dafür aber mit ihrem sonnigsten Lächeln vorlegte. Die andern Stücke wanderten mit erstaunlicher Schnelligkeit ihrer Bestimmung entgegen, die leider nicht in meinem hungrigen Magen zu suchen war. Ich hatte mich, oder vielmehr man hatte mich aus dem Gaste in den Gastgeber verwandelt.

Eben als ich nach dem letzten Bissen mein Messer am Ärmel abwischte und in den Gürtel zurückschob, kam derjenige, dessen Erscheinen ich mit großer, wenn auch heimlicher Neugierde entgegengesehen hatte, nämlich der Mormone. Der Schein unserer Lampe reichte bis zur Thüre, und da ich derselben gegenübersaß, sah ich ihn eintreten. Er verbeugte sich gegen die Ecke hin, in welcher das Bild hing, griff mit den Fingerspitzen in den kleinen Weihwasserkessel, wendete sich erst dann zu uns, um kurz zu grüßen, blieb, als er mich, einen Fremden, erblickte, für einige Augenblicke stehen, mich zu betrachten, kam dann mit raschen Schritten herbei, öffnete das Fremdenbuch, welches noch auf dem Tische lag, las die mich betreffenden Aufzeichnungen, und zog sich dann, gute Nacht wünschend, in das Dreivierteldunkel, wo die Hängematten für die Gäste angebracht waren, zurück.

Das war so schnell geschehen, daß es mir unmöglich gewesen war, sein Gesicht genau zu betrachten. Jetzt zeigte es sich, welchen Respekt er dem Wirte eingeflößt hatte, denn dieser sagte in unterdrücktem Tone zu den Seinen:

»Sennor Enriquo will schlafen. Legt euch nieder, und macht keinen Lärm!«

Die vordere Thüre wurde verriegelt; die hintere, nach dem Hofe führende, blieb offen. Donna Elvira ließ ihren aufgerichteten Oberkörper wieder niedersinken. Die Jungens krabbelten in ihre große, breite Matte; Sennorita Felisa reichte mir die Hand und suchte ihre hänfene Morpheuswiege auf. Der Wirt wünschte mir angenehme Ruhe, blies mir das Licht vor der Nase aus und kroch in seine Rettungsgürtel-Schaukel; ich saß im Dunkeln und fühlte mich ein wenig verblüfft über diese Art, einem neuen Gaste die »feinste« Aufmerksamkeit zu erweisen. Doch machte mir die Sache Spaß, und ich blieb noch eine Weile sitzen, unentschlossen, an welchem Orte ich mich dem Traume in die Arme werfen würde. Bald vernahm ich das kräftige Schnarchen der lieblichen Tochter. Die Mutter stieß die Luft in ganz regelmäßigen Zwischenräumen mit demjenigen Geräusch aus, welches verursacht wird, wenn man ein Licht ausbläst. Der Vater gab brummende Töne von sich, genau mit denen zu vergleichen, welche eine summende Hummel verursacht – – es schien mir unmöglich zu sein, bei einem solchen Konzerte einzuschlafen; darum verzichtete ich auf sämtliche vorhandenen Hängematten und begab mich in den Hof, um mein heutiges Lager wieder aufzusuchen. Der Hund knurrte mich zunächst an, schien mich dann aber als denjenigen zu erkennen, den er heute schon neben sich geduldet hatte, und beruhigte sich. Ich schob meine Gewehre, von denen ich mich nach alter Gewohnheit nicht trennen mochte, in das Maisstroh und legte mich dann nieder, um erst zu erwachen, als der Morgen längst angebrochen war.

Als ich den Gastraum betrat, balgten sich die Buben rund um die Bänke; Donna Elvira lag noch oder lag schon wieder in ihrer Hängematte; Sennorita Felisa kochte am Herde die köstliche Schokolade, welche heute nicht nach verbranntem Mehle, sondern nach übergelaufenem Sirup roch, und der Wirt brachte eilends die Dominosteine herbei, um die gestrige Danaidenarbeit mit mir von neuem zu beginnen.

Der Mormone hatte sich noch nicht entfernt. Er saß an einem Tische und schien mein Erscheinen abgewartet zu haben, denn ich sah, daß er mich scharf beobachtete. Ich ließ ihn nicht sehen, daß ich dasselbe auch mit ihm that, doch wurde es mir geradezu schwer, das Auge von ihm zu wenden; er war eine interessante, ja eine hochinteressante Persönlichkeit.

Seine wohlgebaute Gestalt war gut und sorgfältig gekleidet und sein Gesicht vollständig glatt rasirt. Aber was für ein Gesicht war das! Sobald ich es erblickte, fielen mir jene eigenartigen Züge ein, welche der geniale Stift Gustave Dorés dem Teufel verliehen hat. Die Ähnlichkeit war so groß, daß man hätte meinen mögen, der Mormone habe Doré zu dieser Zeichnung gesessen. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre alt sein. Um seine hohe, breite Stirne rollten sich tiefschwarze Locken, welche hinten fast bis auf die Schulter niederwallten; es war wirklich ein prächtiges Haar. Die großen, nachtdunklen Augen besaßen jenen mandelförmigen Schnitt, den die Natur ausschließlich für die Schönheiten des Orientes bestimmt zu haben scheint. Die Nase war leicht gebogen und nicht zu scharf; die zitternde Bewegung ihrer hellrosagefärbten Flügel ließ auf ein kräftiges Temperament schließen. Der Mund glich fast einem Frauenmunde, war aber doch nicht weibisch oder weichlich geformt; die etwas abwärtsgebogenen Spitzen desselben ließen vielmehr auf einen energischen Willen schließen. Das Kinn war zart und doch zugleich kräftig gebaut, wie man es nur bei Personen findet, deren Geist den tierischen Trieben überlegen ist und sie so vollständig zu beherrschen vermag, daß andere das Vorhandensein derselben gar nicht ahnen. Jeder einzelne Teil dieses Kopfes, dieses Gesichtes war schön zu nennen, aber nur schön, vollkommen für sich, denn in ihrer Gesamtheit fehlte diesen Teilen die Harmonie. Wo aber die Harmonie fehlt, da kann von Schönheit nicht die Rede sein. Ich kann nicht sagen, ob es anderen ebenso wie mir ergangen wäre, ich fühlte mich abgestoßen. Die Vereinigung einzelner schöner Formen zu einem Ganzen, dem der Ein- oder Gleichklang fehlte, machte auf mich den Eindruck des Widerwärtigen, der Häßlichkeit. Dazu kam noch eins. Die Ähnlichkeit mit dem Doréschen Bilde war mir sofort aufgefallen; je öfter ich den Mann ansah, desto deutlicher fühlte ich, daß sein Gesicht einem andern glich, welches ich schon einmal irgendwo und irgendwann und zwar unter Umständen gesehen hatte, welche keineswegs als Empfehlung für dasselbe genommen werden konnten. Ich sann und sann, vermochte aber weder über den Ort und die Zeit noch über die Person, welcher dieses Gesicht angehörte, in Klarheit zu kommen. Auch im Verlaufe der nächsten Tage, während welcher ich den Mormonen regelmäßig des Morgens und des Abends zu sehen bekam, war es mir unmöglich, mich zu besinnen, obgleich ich je länger desto mehr zu der Überzeugung gelangte, daß ich ganz gewiß einem ihm sehr ähnlichen Menschen begegnet war, der sich entweder gegen mich selbst oder gegen eine mir befreundete Person feindlich verhalten hatte.

So oft Harry Melton mich sah, maß er mich mit scharfen Augen, und obgleich in seinen Blicken nur der Ausdruck der Neugierde zu liegen schien, war es mir doch, als ob dies nur deshalb der Fall sei, weil er sich geflissentlich bemühte, mir nicht zu zeigen, daß ich keinen angenehmen Eindruck auf ihn machte. Dieser Eindruck war freilich ein gegenseitiger.

Ich wartete, wie bereits gesagt, auf ein Schiff, und er schien nach der Mitteilung, welche der Wirt mir gemacht hatte, der Ankunft eines solchen gewiß zu sein. Dennoch wendete ich mich nicht an ihn, um eine Erkundigung einzuziehen, denn es war mir ganz so, als ob ich, einmal in Beziehung zu ihm getreten, nicht wieder von ihm loskommen könne. Es war ja klar, daß ich mich nur an den Kapitän zu wenden brauchte, um als Passagier an Bord gehen zu dürfen. Aber es kam doch anders, als ich beabsichtigte. Als er am Abende des fünfzehnten Tages in das Hotel kam, suchte er nicht wie gewöhnlich sofort seine Hängematte auf, sondern setzte sich zu uns, nämlich zu dem Wirte und mir, denn es verstand sich ganz von selbst, daß wir beide wieder an der Tafel saßen und Domino spielten. Es war mir nach langen, vergeblichen Bemühungen endlich gelungen, den kleinen Don Geronimo eine Partie gewinnen zu lassen. Er zeigte sich sehr entzückt darüber und sagte:

»Jetzt ist der Bann gebrochen, Sennor. Sie geben doch zu, daß ich eigentlich weit besser spiele als Sie, aber das Unglück hat mich bisher auf eine noch gar nicht gewesene Weise verfolgt. Sie erwischten stets die besten Steine, während ich nur solche bekam, mit denen absolut nichts anzufangen war. Nun aber soll es anders werden, und ich werde Ihnen zeigen, wie sehr ich Ihnen überlegen bin. Fangen wir gleich wieder an!«

Er wendete die Steine um und mischte sie zum neuen Spiele. Ich antwortete nicht und hatte die Absicht, ihn, wenn irgend möglich, auch die nächste Partie gewinnen zu lassen; da aber nahm der Mormone zum erstenmale das Wort, um ihm zu sagen:

»Was fällt Ihnen ein, Sennor! Haben Sie denn nicht bemerkt, daß Ihr Gegner sich förmlich Mühe gegeben hat, Fehler zu machen und Sie die Partie gewinnen zu lassen? Sie werden in Ihrem ganzen Leben nicht so spielen lernen, wie er spielt.«

Das war grob. Dazu kam, daß er sich des einfachen Ausdrucks Sennor bedient hatte, während der kleine Mann gewohnt war und sehr viel darauf gab, Don Geronimo genannt zu werden. So höflich der Wirt sonst war und so großen Respekt er vor dem Mormonen hatte, jetzt gab er eine scharfe Antwort, auf welche eine ebenso scharfe Gegenrede folgte. Die beiden gerieten in Streit, was zur Folge hatte, daß Geronimo die Steine einpackte und den Tisch verließ, um sich in seine Hängematte zu legen. Das Auge des Mormonen folgte ihm mit einem befriedigten Blicke, aus welchem ich schloß, daß er den Streit vom Zaune gebrochen hatte, um den Wirt zu entfernen und mit mir allein zu sein.

»Er will mit dir reden,« dachte ich und hatte mich nicht geirrt, denn kaum hatte sich der Kleine in seiner Hängematte zusammengerollt, so wendete Melton sich an mich:

»Sie wohnen schon seit fünfzehn Tagen hier. Beabsichtigen Sie, in Guaymas zu bleiben?«

Er sprach nicht im Tone einer höflichen Erkundigung. Ich fühlte, daß er freundlich sein wollte, aber er brachte dies nicht fertig, und so klang seine Frage wie diejenige eines Beamten oder Vorgesetzten, welcher zu einer tief unter ihm stehenden Person spricht.

»Nein,« antwortete ich. »Ich habe hier nichts zu suchen.«

»Wo wollen Sie hin?«

»Vielleicht nach La Libertad.«

Ich nannte diese Stadt, weil in ihrer Nähe Lobos lag, wohin das von ihm erwartete Schiff, wie ich gehört hatte, segeln wollte.

»Wo kommen Sie her?«

»Von der Sierra Verde herunter.«

»Was haben Sie dort gemacht? Vielleicht Gold gesucht? Haben Sie welches gefunden?«

»Nein,« berichtete ich ihm der Wahrheit gemäß, ohne auf seine Erkundigung weiter einzugehen.

»Das dachte ich mir. Man sieht es Ihnen an, daß Sie ein armer Teufel sind. Sie haben überhaupt ein sehr unglückliches Metier gewählt.«

»Wieso?«

»Nun, ich habe im Fremdenbuche gefunden, daß Sie Escritor sind, und weiß, daß es in diesem Fache meist nur verkommene Existenzen gibt. Wie konnten Sie sich in diese Gegend wagen! Sie sind ein Deutscher. Wären Sie in Ihrem Vaterlande geblieben, so könnten Sie dort für Leute, welche mit der Feder nicht umzugehen wissen, Briefe schreiben, Rechnungen anfertigen und durch ähnliche Arbeiten sich wenigstens soviel verdienen, daß Sie nicht zu hungern brauchten.«

»Hm!« brummte ich, indem ich ihm nicht merken ließ, daß er mich belustigte; »das Briefschreiben ist kein so einträgliches Geschäft, wie Sie anzunehmen scheinen. Man kann dabei hungern, daß einem die Seele knackt.«

»Und da haben Sie nichts anderes gewußt, als in die Fremde zu gehen und Ihre Seele noch lauter knacken zu lassen! Nehmen Sie es mir nicht übel; aber das war eine Dummheit von Ihnen. Es hat nicht jeder solches Glück wie Ihr Namensvetter, der übrigens, ehe er in die Welt ging, ein gelernter Jäger und kein Escritor war.«

»Ein Namensvetter von mir? Wen meinen Sie?«

»Ah, ich dachte, Sie wären schon einmal drüben in den Vereinigten Staaten gewesen, in den westlichen Prairien; aber Ihre Frage sagt mir, daß dies nicht der Fall ist, sonst hätten Sie doch einmal von Old Shatterhand gehört.«

»Old Shatterhand? Den Namen kenne ich. Ich habe, es war wohl in irgend einer Zeitung, ein Reiseerlebnis gelesen, in welchem dieser Mann vorkam. Er scheint ein Prairiejäger, oder Pfadsucher, oder wie man diese Leute nennt, zu sein?«

»Das ist er allerdings. Ich weiß zufälligerweise, daß er ein Deutscher ist, und da Sie mit ihm denselben Namen haben, so kam ich im ersten Augenblicke auf die Idee, in Ihnen diesen Old Shatterhand vor mir zu haben, habe aber meinen Irrtum sehr bald eingesehen. Ihre klägliche Lage erbarmt mich, und da ich ein gutes Herz besitze, will ich Ihnen auf die Beine helfen, vorausgesetzt, daß Sie soviel Verstand haben, das Rettungsseil, welches ich Ihnen zuwerfe, zu ergreifen und festzuhalten.«

Eigentlich hätte ich ihm in das Gesicht lachen sollen, behielt aber den bisherigen, sehr bescheidenen Ausdruck des meinigen bei. Die sehr von oben herabkommende Ausdrucksweise des Mormonen hätte mich wohl ärgern sollen; aber es machte mir Spaß, ihn bei seiner Meinung zu lassen, und so antwortete ich in aller Gelassenheit:

»Warum soll ich nicht soviel Verstand haben? Ich bin doch kein Kind, welches eine ihm angebotene Wohlthat nicht zu schätzen weiß.«

»Gut! Wenn Sie auf meinen Vorschlag eingehen, sind Sie aller Sorgen enthoben und ein gemachter Mann.«

»Wenn ich das glauben könnte! Ich bitte Sie, mir diesen Vorschlag schleunigst mitzuteilen!«

»Nur gemach! Sagen Sie mir vorher, was Sie eigentlich in La Libertad wollen.«

»Arbeit suchen, mich nach irgend einer Unterkunft umsehen. Da ich hier in diesem toten Guaymas nichts gefunden habe, so hoffe ich, dort glücklicher zu sein.«

»Sie irren sich. La Libertad liegt zwar auch an der See, ist aber ein noch viel traurigerer Ort als Guaymas. Hunderte von hungrigen Indianern lungern dort herum, ohne Arbeit zu finden, und Sie wären dort noch viel schlimmer dran als hier. Es ist ein wahres Glück für Sie, daß die Vorsehung Sie auf meinen Weg geführt hat. Sie werden vielleicht gehört haben, daß ich zu den Heiligen der letzten Tage gehöre. Meine Religion gebietet mir, jedes Schaf, welches ich in der Wüste finde, nach dem blühenden Gefilde des Glückes zu bringen, und so ist es meine Pflicht, mich Ihrer anzunehmen. Sprechen und schreiben Sie englisch?«

»Leidlich.«

»Das genügt. Und schreiben Sie spanisch vielleicht auch so, wie Sie es sprechen?«

»Ja; aber in die Interpunktion kann ich mich nicht recht finden, weil im Spanischen die Frage- und Ausrufezeichen nicht nur hinter, sondern auch vor dem Satze stehen.«

»Das wird sich schon noch finden,« lächelte er von oben herab. »Ich verlange keine Meisterschaft von Ihnen. Haben Sie Lust, Tenedor de libros zu werden?«

Er fragte das mit einer Miene, als ob er mir damit ein Fürstentum anböte; darum antwortete ich im Tone freudiger Überraschung:

»Tenedor de libros? Wie gern würde ich so eine Stelle annehmen; aber ich bin nicht Kaufmann. Zwar habe ich gehört, daß es eine einfache und eine doppelte Buchführung geben soll, aber ich verstehe nichts davon.«

»Das ist auch nicht nötig, denn Sie sollen nicht bei einem Kaufmanne, sondern auf einer Hazienda angestellt werden. Zwar kann ich die Höhe Ihrer Besoldung nicht bestimmen, da dies Sache des Haziendero ist, aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie sich sehr gut stehen werden. Sie haben alles frei, und ich bin überzeugt, daß Sie monatlich nicht unter hundert Pesos erhalten werden. Hier ist meine Hand. Schlagen Sie ein, und dann fertigen wir gleich heute abend noch den Kontrakt darüber aus!«

Er hielt mir seine Hand hin. Ich hob die meinige, als ob ich einschlagen wolle, zog sie aber langsam zurück und fragte:

»Ist es denn wirklich Ihr Ernst, oder scherzen Sie nur mit mir? Es erscheint mir als ein Wunder, daß Sie einem fremden Menschen, welcher kaum seine Blöße decken kann, ein so großartiges Anerbieten machen.«

»Es ist auch beinahe ein Wunder, und darum rate ich Ihnen, ja nicht zu zögern, sondern schleunigst zuzugreifen.«

»Das möchte ich wohl, wie Sie sich denken können, doch möchte ich natürlich vorher etwas Näheres erfahren. Wo liegt denn die Hazienda, nach welcher Sie mich schicken wollen?«

»Nicht schicken will ich Sie, sondern ich werde Sie hinbringen.«

»Das ist mir noch lieber. Kostet die Reise viel Geld?«

»Sie haben keinen Centavo auszugeben, denn ich bezahle alles. Sobald Sie Ihre Zusage erteilt haben, sind Sie nicht nur von jeder Ausgabe entbunden, sondern ich bin sogar erbötig, Ihnen eine Prenda, auszuzahlen. Der Haziendero ist mein Freund. Er heißt Timoteo Pruchillo und ist der Besitzer der Hazienda del Arroyo.«

»Wo liegt die Hazienda?«

»Jenseits Ures. Man fährt von hier per Schiff nach Lobos und hat dann bis zum Ziele einen herrlichen Landweg, eine kurze, sehr angenehme Reise, auf welcher Sie viel Unterhaltung und Belehrung finden werden, zumal es dabei zahlreiche Gesellschaft aus Ihrem Vaterlande geben wird.«

»Wieso das? Gesellschaft aus meinem Vaterlande?«

»Ja, aus Preußen, welches doch in Deutschland liegt. Der Indianer ist kein ausdauernder und zuverlässiger Arbeiter; darum mangelt es hier an Leuten, welche zu der Beschäftigung, wie eine Hazienda sie erfordert, tauglich sind. Sennor Timoteo hat sich deshalb Leute aus Deutschland verschrieben. Es sind gegen vierzig Arbeiter, welche morgen hier ankommen werden und zum großen Teile auch ihre Weiber und Kinder mitbringen. Sie haben die Kontrakte unterzeichnet und sind so gestellt, daß sie in kurzer Zeit wohlhabende Leute sein werden. Der Haziendero hat mich gesandt, sie hier zu empfangen und über Lobos ihm zuzuführen.«

»Aus welcher Gegend Deutschlands kommen sie?«

»Das weiß ich nicht genau, aber ich vermute, daß sie aus der Gegend von Polonia oder Pomerania sind. Ich glaube, die Stadt, aus deren Umgebung sie stammen, wird Cobili genannt.«

»Eine Stadt dieses Namens giebt es dort nicht. Hm! Pommern oder Polen! Meinen Sie vielleicht den Namen Kobylin?«

»Ja, ja, so wie Sie sagen, wird er richtig klingen. Unser Agent hat die Leute nach Hamburg auf das Schiff gebracht. Der große Dampfer hat sie in San Franzisko gelandet, von wo aus sie morgen auf einem kleinen Segelschiffe hier ankommen werden. Das Fahrzeug legt hier nur an, um mich aufzunehmen, und segelt dann wieder ab. Wenn Sie sich noch besinnen wollen, so kann ich Ihnen nur Zeit bis morgen früh geben. Haben Sie sich dann noch nicht entschieden, so ziehe ich meinen Antrag zurück, und Sie können dann solange hier sitzen bleiben, wie es Ihnen beliebt.«

»Hoffentlich würde der Kapitän mich mit bis Lobos nehmen?«

»Nein, selbst gegen die beste Bezahlung nicht, da das Schiff nur für diese Auswanderer gemietet ist und keine Passagiere aufnehmen darf. Warum also noch lange überlegen? Es wäre geradezu Verrücktheit von Ihnen, mich mit meiner Offerte abzuweisen.«

Er sah mich erwartungsvoll an, sichtlich überzeugt, eine zusagende Antwort zu bekommen. Ich befand mich in Verlegenheit. Es war meine Absicht gewesen, ihn erst reden zu lassen und dann auszulachen; davon mußte ich nun aber absehen. Wie wollte ich sonst von hier fortkommen? Schon aus diesem Grunde war es geboten, ihm keine abschlägige Antwort zu erteilen. Es gab aber außerdem noch eine Veranlassung für mich, die Fahrt mit ihm zu machen. Er erwartete Landsleute von mir, wahrscheinlich aus der Provinz Posen stammend und durch irgend eine Art Vertrag herübergelockt. Mußte mich der letztere Umstand schon lebhaft für sie interessieren, so kam noch dazu, daß mir die Route auffiel, welche er mit ihnen einschlagen wollte. Ich wußte, daß Ures, in dessen Nähe die Hazienda zu suchen sein sollte, am Rio Sonora liegt; der kürzeste und bequemste Weg hätte also zunächst nach Hermosillo und dann den Sonorafluß aufwärts geführt; der Mormone wollte aber bis Lobos, also wohl dreißig Leguas weitersegeln. Den Landweg von dort aus hatte er mir zwar als reizend beschrieben, doch vermutete ich, obgleich ich denselben gar nicht kannte, daß er mich damit belogen habe. Selbst wenn er die Wahrheit gesagt hatte, so handelte es sich um einen so bedeutenden Umweg, daß ich einen besonderen Grund dahinter ahnte, und da man einen solchen Umweg nicht mit Leuten macht, welche Frauen und Kinder bei sich haben, so glaubte ich, annehmen zu müssen, daß dieser Grund kein lauterer sei. Es war mir infolgedessen der Gedanke gekommen, daß den Auswanderern irgend eine Gefahr drohe, und ich fühlte das Bedürfnis, dieselbe zu erforschen und sie dann zu warnen. Dies konnte ich aber nicht, wenn ich in Guaymos sitzen blieb. Ich mußte also mit. Aber wie? Binden konnte ich mich unmöglich, am allerwenigsten durch einen schriftlichen Kontrakt. Überdies war mir selbstverständlich auch der Umstand im höchsten Grade verdächtig, daß der Mormone mir, den er für einen heruntergekommenen oder gar nichtsnutzigen Menschen hielt, eine so gute Anstellung förmlich an den Hals werfen wollte. Schon dies setzte eine Absicht voraus, welche ich leider jetzt noch nicht durchschauen konnte. Es gehörte Zeit dazu, dieselbe kennen zu lernen, und diese Zeit mußte ich zu gewinnen suchen. Darum antwortete ich auf seine letzte Bemerkung:

»Sie haben recht, Sennor. Es würde nicht nur eine Dummheit von mir, sondern auch die abscheulichste Undankbarkeit gegen Sie sein, wenn ich Ihre Güte zurückweisen wollte. Ich würde darum augenblicklich ja sagen, wenn ich mich nicht gezwungen sähe, ein sehr begründetes Bedenken dagegen zu hegen.«

»Ein Bedenken? Möchte doch wissen, welcher Art dies sein könnte. Wollen Sie sich aussprechen?«

»Natürlich! Ich habe noch nie ein Buch geführt und noch nie auf einer Hazienda gelebt. Ich zweifle also den Ansprüchen des Haziendero genügen zu können.«

»Schweigen Sie doch damit!« unterbrach er mich. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es eine wahre Kinderarbeit ist, die Sie zu leisten haben, eine reine Spielerei. Sie tragen ein, was in den Apfelsinengärten und auf den Feldern geerntet wird, und welchen Preis Sennor Timoteo dafür bekommt. Sie schreiben ferner auf, wieviel junge Füllen und wieviel Kälber zu Welt kommen. Das ist die ganze Arbeit, die man von Ihnen verlangt.«

»Und dafür soll ich vollständige freie Station und monatlich hundert Pesos erhalten?«

»Wenigstens hundert!«

»So möchte ich allerdings augenblicklich in Ihre Hand schlagen; aber ich möchte doch lieber erst sehen, ob ich eine solche Gage auch verdiene.«

»Damit beweisen Sie, daß Sie ein Deutscher sind. Als einem Heiligen der letzten Tage geht mir Gottesfurcht und Rechtschaffenheit über alles; Sie aber treiben die Ehrlichkeit gar zu weit. Ihr Deutschen seid doch merkwürdige Leute!«

»Mag sein, Sennor, doch wollen Sie bemerken, daß ich Ihr Anerbieten nicht zurückweise. Ich gehe mit, wenn auch um mich erst dann vollständig zu binden, wenn ich zu der Einsicht gelange, daß ich das, was man mir zahlt, auch wirklich verdiene.«

»Das ist eine Albernheit. Aber wenn Sie nicht anders wollen, so mag es auch in dieser Weise sein. Aber wie steht es denn mit Ihrer Kasse, auf deren Boden Sie wohl angelangt sein werden? Da Sie nur bedingungsweise mitgehen, sind Sie nicht fest engagiert, und ich habe nicht die Pflicht, für Sie zu zahlen. Freie Fahrt auf dem Schiffe ist alles, was ich Ihnen unter diesen Umständen bieten kann.«

»Ich bin zufrieden damit und habe glücklicherweise noch einige Pesos, welche wohl ausreichen werden, bis wir auf der Hazienda eintreffen.«

»Aber in Ihrem jetzigen Aufzuge kann ich Sie unmöglich mitnehmen. Können Sie einen neuen Anzug erschwingen?«

»Ja, denn bei der jetzigen Hitze kauft man nur, was leicht und billig ist.«

»So besorgen Sie das morgen mit dem Frühesten, damit ich nicht auf Sie zu warten brauche. Jetzt gute Nacht!«

Er nickte mir kurz zu und ging, ohne mir die Hand zu reichen, nach seiner Hängematte. Die Kinder schliefen schon; Sennorita Felisa schnarchte; Donna Elvira pustete, und der kleine Geronimo gab im ersten Schlummer Töne von sich, welche ganz genau denen einer nicht geölten Thürangel glichen. Ich blies also das Licht aus, und suchte den Hof und mein liebes Maisstrohlager auf, wo mich der Hund, welcher sich an mich gewöhnt hatte, mit freundlichem Händelecken empfing. Obgleich ich am andern Morgen sehr zeitig erwachte und in das Gastzimmer kam, als die liebe Wirtsfamilie noch schlief und in der angegebenen Weise sich akustisch beschäftigte, konnte ich den Mormonen weder sehen noch sprechen, denn er hatte das Hotel bereits verlassen. Wo hielt er sich während des ganzen Tages auf? Niemand wußte es. Auch das war auffällig, denn wer auf ehrlichen Wegen geht, braucht sein Thun nicht in ein solches Dunkel zu hüllen.

Nachdem ich Sennorita Felisa geweckt hatte, um zu der berühmten Morgenschokolade zu kommen, machte ich, der ich heute die dreißigste Tasse trank, die nun leider zu spät kommende Entdeckung, daß die Liebliche das Getränk mit demselben Wasser bereitete, mit welchem sie ihre zarten Finger und ihr reizendes Gesicht gewaschen hatte. Ich zollte dieser häuslichen und ganz im Verborgnen blühenden Sparsamkeit meine Anerkennung, indem ich vorgab, Magenweh zu haben und darum auf die Schokolade verzichten zu müssen; die Sennorita beglückte mich mit einem zärtlichen Augenaufschlage, führte die Tasse an den Mund, trank sie aus, wischte sich mit der Außenseite der Hand die blühenden Lippen und sagte in tief zu Herzen dringendem Tone:

»Sennor, Sie sind der nobelste, der feinste Kavalier, der mir vorgekommen ist, und werden, wenn Sie heiraten, Ihre Sennora sehr glücklich machen. Jammerschade, daß Sie abreisen. Könnten Sie denn nicht hier bleiben?«

»Wünschen Sie das vielleicht?« fragte ich neckisch.

»Ja,« antwortete sie unter einem leichten Erröten.

»Und was ist die Ursache dieses Wunsches, Sennorita? Das Glück, von dem Sie soeben sprachen, oder die Schokolade, welche ich Ihnen so gern abgetreten habe?«

»Beides,« hauchte sie mit entzückender Wahrheitsliebe,

Wahrscheinlich erwartete sie, daß ich den Anfang dieses Morgengespräches zu einem glücklichen Ende führen werde, leider aber hielt ich die Anschaffung eines neuen Anzuges für weit dienlicher, als eine Stegreifverlobung, und ging, um einen Baratillero, aufzusuchen. Der Laden desselben glich einer wahren Trödelbude, doch fand ich glücklicherweise, was ich suchte, Hose, Weste und Jacke von ungebleichtem Linnen und einen Strohhut, dessen Krämpe so breit war, daß, falls ich auf die Absicht der Sennorita Felisa eingegangen wäre, ich mit ihr und sämtlichen Hochzeitsgästen darunter Platz gefunden hätte. Auch kaufte ich ein Stück billigen Stoffes, um mir mit Hilfe von Nadel und Zwirn, welch beides ich stets bei mir führte, ein Futteral für meine Gewehre anzufertigen. Das hatte einen guten Grund: Der Mormone sollte mich noch für einige Zeit für den Menschen halten, für den er mich bisher gehalten hatte. Da er viel von Old Shatterhand gehört zu haben schien, war es leicht möglich, daß er auch wußte, was für Gewehre derselbe bei sich führte, und darum sollte er sie wenigstens nicht genau zu sehen bekommen. Auch ein Paar derbe Lederschuhe kaufte ich mir. Als ich dann, mit solcher Eleganz ausgestattet, in das Hotel zurückkehrte, schlug Don Geronimo vor Verwunderung die Hände zusammen und rief aus:

»Was erblicke ich! Sind Sie plötzlich reich geworden? Sie können sich ruhig an der Seite jedes altkastilianischen Edelmannes sehen lassen, Sennor. Leider sind Sie fest entschlossen, abzureisen; aber hätte ich Sie eher in dieser Kleidung gesehen, so hätte ich Ihnen eine Stelle als Majordomo meines Hauses angeboten und vielleicht wären Sie sogar Kompagnon geworden!«

Mein Anblick schien wirklich bezaubernd zu sein, denn Sennorita Felisa legte die Hand auf das Herz und ließ einen tiefatmigen Puster hören, und selbst Donna Elvira richtete sich ein wenig in ihrer Hängematte auf, um mir einen Blick zu schenken und dann mit einem beifälligen Seufzen wieder niederzusinken, Ich schien ein der Damenwelt höchst gefährliches Individuum geworden zu sein, und da ich dies unmöglich auf Rechnung meiner innern oder äußern Vorzüge setzen konnte, so war ich geneigt, dem Leinenanzuge, welcher nach deutschem Gelde elf Mark gekostet hatte, Zauberkraft zuzuschreiben. Leider blieb er mir nur kurze Zeit treu, da er sehr bald aus den Nähten ging und sich in den verschiedensten Fetzen und Stücken nach den verschiedensten Windrichtungen verlor. Ich hätte mir sicher etwas Besseres und Haltbareres angeschafft, wollte aber Harry Melton nicht wissen lassen, daß ich dazu die Mittel besaß.

Es war gegen Mittag, als dieser in das Gasthaus kam, um mich abzuholen, denn das Schiff war angekommen. Es hatte ohne in den Hafen einzusegeln, draußen vor demselben beigedreht, um ihn aufzunehmen. Wir mußten uns also eines Bootes bedienen, um an Bord zu kommen.

Der Abschied von meinen freundlichen Wirtsleuten war rührend. Don Geronimo beging die Heldenthat, mir sein Dominospiel als Andenken anzubieten, und schluchzte beinahe vor Wonne, als ich dieses Opfer nicht annahm. Die drei Buben sagten mir Ade, indem sie meine Beine umschlangen und ihre Nasen an meine neue Hose wischten. Sennorita Felisa wollte ihr Taschentuch an die Augen führen, da sie aber an Stelle eines solchen augenblicklich gerade nur den schwarzen Herdlappen in der Hand hatte, so rieb sie sich die Traurigkeit mit Ruß ins thränende Gesicht, was auf mich einen weit tiefern Eindruck machte, als wenn sie sich eines wirklichen Nastüchleins bedient hätte. Und Donna Elvira richtete sich soweit auf, daß ich beinahe ihr Gesicht deutlich gesehen hätte, und winkte mir mit der müden Rechten ein Lebewohl zu. Für den Hund hatte ich ein Stück Wurst mitgebracht, welches ich ihm zum Abschiede verehren wollte, da ich Gründe hatte, anzunehmen, daß er nie im Leben so etwas gekostet hatte. Geronimo und Felisa gingen mit in den Hof. Als ich die Wurst aus der Tasche zog und sie dem Hunde hinhielt, schnappte aber die Sennorita noch eher zu als er. Sie riß mir die Liebesgabe aus der Hand und sagte:

»Was thun Sie da, Sennor! Ich glaube gar, Sie wollen diese Delikatesse an das Tier verschwenden! Sie gehört mir, und ich werde sie in der Erinnerung an Sie verspeisen.«

Sie gab der Erinnerung aber keine Zeit, in ihr Recht zu treten, sondern biß sofort höchst tapfer ein, was ihren Vater veranlaßte, einen schnellen Griff nach ihrer Hand zu thun, um ihr die Wurst zu entreißen und an der Erinnerung teilzunehmen. Sie entfloh mit einem Schreckensrufe, und er rannte hinter ihr her, was mir Gelegenheit gab, das gastliche Haus nun ohne weitere Angriffe auf meine Wurst und auf mein Herz zu verlassen. Der Hund mußte sich freilich nun mit einem Streicheln begnügen, was wahrscheinlich weniger nahrhaft war, als das ihm so räuberisch entzogene Abschiedsgeschenk. Dann eilte ich zu Melton, der vor dem Hause auf mich wartete, und schritt mit ihm dem Hafen zu, wo wir ein Boot bestiegen, um uns nach dem Schiffe rudern zu lassen.

Letzteres war ein kleiner Schuner, wie ihn, wenigstens damals, nur die Yankees zu bauen verstanden, ein schneller Segler und mit soviel Leinwand an den Masten, daß er selbst bei der flauesten Luft nicht festzuliegen brauchte. Als wir an der Seite des Schuners anlegten und man uns von oben die Fallreepen zuwarf, sahen viele Köpfe über Bord, um uns in Augenschein zu nehmen. Wir stiegen empor. Als ich das Deck betrat, war die erste Person, welche ich erblickte, ein vielleicht achtzehnjähriges, äußerst schmuck gekleidetes Mädchen mit orientalischen Zügen von ungewöhnlicher Schönheit. Der Anzug, welchen es trug, bestand aus Schnürstiefeln, weißen Strümpfen, rotem, mit dunklem Sammet umsäumtem Rocke und einem blauen Mieder, welches mit silbernen Hefteln und einer ebensolchen Kette geschmückt war. Ein kleines, mit einer Feder verziertes Hütchen saß auf dem vollen, in zwei Zöpfen hinten weit herabhängenden Haare. Diese Kleidung paßte wohl mehr auf einen Maskenball als hierher auf das Deck eines amerikanischen Transportschiffes für Auswanderer. Neben dem Mädchen stand ein hagerer, ältlicher Mann, dessen Gesicht den ausgesprochensten jüdischen Typus zeigte. Sein Anzug ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er ein polnischer Hebräer sei. Als sein Blick auf den Mormonen fiel, entfuhr ihm der halblaute, unwillkürliche Ausruf »Djabel!« Obgleich ich der polnischen Sprache nicht mächtig bin und nur wenige Worte derselben kenne, wußte ich, daß dieser Ausruf »der Teufel!« bedeutete. Der Mormone brachte also auf diesen Juden ganz denselben Eindruck hervor, den er auf mich gemacht hatte, obgleich sein Gesicht keine Spur von dem besaß, was der gewöhnliche, ungebildete Mann sich unter »teuflisch« denkt.

Die andern Passagiere waren arme Leute, wie man gleich auf den ersten Blick bemerken konnte. Sie wußten, daß ihr nunmehriger Führer an Bord kam, und betrachteten Melton mit neugierigen Augen, denn es fiel ihnen nicht etwa ein, mich für den Erwarteten zu halten; mein Äußeres war viel zu anspruchslos dazu. Der Kapitän kannte ihn jedenfalls, denn er kam ihm entgegen und begrüßte ihn mit einem Händeschütteln, welches man nicht für Unbekannte hat. Das sah ich, weil ich scharf aufpaßte, denn ich hielt es für erforderlich, selbst auf die geringste Kleinigkeit achtzugeben. Sie begaben sich beide nach dem Hinterdeck, um sich die für den ersten Augenblick nötigen Mitteilungen zu machen. Ich schlenderte zur Seite, lehnte meine im leinenen Überzuge steckenden Gewehre an den Mast und setzte mich auf eine Taurolle, welche in der Nähe lag. Als ich die Passagiere zählte, fand ich, daß es achtunddreißig Männer und Burschen, vierzehn Frauen und erwachsene Mädchen und elf Kinder, also in Summa dreiundsechzig Menschen waren.

Nachdem sich ihre Augen genugsam mit dem Mormonen beschäftigt hatten, richteten sie ihre Aufmerksamkeit nun auch auf mich. Ich sah, daß sie sich ihre verschiedenen Meinungen über meine Person mitteilten; sie wußten nicht, für wen oder was sie mich nehmen sollten, und beauftragten, um ins reine zu kommen, den Juden, mich zu fragen. Er kam zu mir, lüftete die schwarzseidene Kappe, welche sein spärliches Haar bedeckte, und redete mich mit einem Gemisch von jedenfalls während der Reise aufgelesenen, spanischen und englischen Worten an, welche ich in dieser Zusammenstellung nicht zu verstehen vermochte, darum unterbrach ich seine Bemühung, sich mir begreiflich zu machen, durch die Frage:

»Kommen Sie vielleicht aus der Gegend von Kobylin in Posen?«

»Ja, ja!« antwortete er rasch, indem sein Gesicht den Ausdruck der Überraschung annahm.

»So werden Sie wahrscheinlich der deutschen Sprache mächtig sein und haben es nicht nötig, sich in fremden Zungen abzuquälen.«

»Gott meiner Väter!« rief er aus, indem er die Hände zusammenschlug. »So werde ich also haben die Freude neben der Ehre, in Ihnen kennen gelernt zu werden einen Herrn von der Abstammung germanischer Hergekommenheit?«

»Ja, ich bin ein Deutscher,« nickte ich, ein wenig verwundert über die Art und Weise, in welcher er sich meiner Muttersprache bediente.

»Das freut mich in der Tiefe meiner Seele! Darf ich nehmen mir zu ergreifen die Erlaubnis der Frage, in welchem Lande und Regierungsbezirk Sie haben erlebt das Vergnügen der Geburt Ihrer werten Persönlichkeit?«

»Ich bin jetzt Sachse.«

»Sehr gut, sehr schön! Ich kenne und habe lieb Ihr Vaterland, da ich bin gewesen zu reisen oft nach Leipzig zur Messe, um zu ergreifen auf dem Brühle und vielen andern Straßen die Konjunkturen des Handels und des Wandels. Nehmen Sie die veranlaßte Gewogenheit, daß ich bin Handelsmann von Kindesbeinen an, und haben Sie die Güte, mir zu machen die mitgeteilte Aufklärung, welcher Art von Geschäft Sie haben gehabt zu ergreifen die Freundlichkeit!«

»Ich bin das, was Sie im Polnischen mit Uczony prywatny bezeichnen. Ein Geschäft treibe ich nicht, sondern bin in die Fremde gegangen, um Studien zu machen. Dabei kann es vorkommen, daß einem die Mittel ausgehen; dies ist gegenwärtig bei mir der Fall, sodaß ich mich veranlaßt sehe, nach der Hazienda del Arroyo zu gehen, um mir dort Arbeit und Verdienst zu suchen.«

Ich sagte so, weil ich es nicht für nötig hielt, ihm sofort die eigentliche Wahrheit mitzuteilen.

»So haben Sie die Absicht des Willens, zu reisen nach derselben Hazienda, welcher ist der gezielte Endpunkt unserer Fahrt und wo wir haben genommen eine engagierte Anstellung auf eine Reihe von Jahren des Verdienstes und der Sparsamkeit. Hat man auch Ihnen gegeben festes Engagement und gesagt die Mitteilung, welcher Art wird sein Ihre berufliche Thätigkeit?«

»Man hat mir die Stelle eines Buchhalters angeboten, doch habe ich noch nicht fest zugesagt. Ich werde mich erst dann entscheiden, wenn ich die dortigen Verhältnisse kennen gelernt habe.«

»Buchhalter? Das ist eine feine Anstellung. Sie werden da gehören zu den Vorgesetzten der Arbeiter, und ich werde mir erlauben, Ihnen zu geben, hochgeehrter Herr, ein Perzent, zwei Perzent, ja sogar drei Perzent Sconto bei allem, was Sie werden kaufen zu entnehmen aus meinem Geschäfte.«

»Wie? Sie wollen ein Geschäft, vielleicht einen Laden auf der Hazienda anlegen?«

»Ja. Fällt doch ab drüben im alten Lande ein so geringer Gewinn, daß man muß schnallen den Leibriemen von Tag zu Tag immer enger, wogegen in Amerika, was hier Mexiko und Sonora heißt, die Pesos und Dollars liegen geradezu auf der Straße für den, welcher Augen hat, sie zu finden, um sie zu entdecken.«

»Hm! Von wem haben Sie das gehört?«

»Von dem Agenten, welcher ist gekommen, uns zu engagieren und ist gewesen ein Mann von großer Erfahrung und kenntnisreicher Geisteskraft.«

»So! Nun ja, der Agent muß ja die Verhältnisse kennen; dagegen läßt sich nichts sagen. Hat er mit jedem von Ihnen schriftlichen Kontrakt gemacht?«

»Er hat ausgefertigt zu schreiben für jeden einzelnen ein Papier mit Stempel und unterschriftlichen Namenszügen. Er hat uns gebracht nach dem Hafen, um zu besteigen das Schiff als Fahrzeug für das große Meer der Welt. Wir sind gefahren um die amerikanische Spitze der südlichen Globushälfte, was gewährt hat viele, viele Wochen lang, bis wir gekommen sind einzulaufen und anzulegen in San Franzisko, wo man uns hat gebracht auf dieses kleinere Schiff, hier aufzunehmen den Führer und dann zu landen in Lobos, wo anfangen wird zu beginnen ein neues, besseres Leben der Ansammlung von Vermögen, Zins und Zinseszins.«

»Was sind Ihre Reisegefährten drüben gewesen?«

»Sie haben gehabt entweder den Beruf eines Handwerkes oder den Besitz eines kleinen Pachtes oder Häuschens mit Feld- und Gartenbeeten. Wenn vergangen sein werden einige Jahre, wird jeder besitzen eine Hazienda mit großmächtigen Plantagen und Weideplätzen. Das hat gesagt und beschworen der Agent, und hat mir gegeben ein Buch, worin es steht deutlich gedruckt mit schwarzen Buchstaben auf weißem Papier. Die Gesellschaft ist getreten zusammen, um zu wählen und zu erklären mich als ihr Oberhaupt, was später wird werden genannt der Bürgermeister der Hazienda del Arroyo. Wenn Sie dann empfinden einen Wunsch oder eine Bitte, so dürfen Sie getrost sich wenden an mich, worauf ich werde sein Ihnen gern zu Diensten mit Bereitwilligkeit.«

»Haben Sie Familie mit?«

»Nur meine Tochter. Rebekka, meine Traute, ist schon vor vier Jahren gegangen, zu sterben von der Erde hinweg, sodaß ich nur noch habe Judith, das Kind unserer Ehe und die einzige Tochter meiner Seele. Dort steht sie, um herzuschauen nach uns beiden. Sie ist ein Mädchen schön von Gestalt und lieblich von Gemüt. Den Körper hat sie geerbt von der Mutter, und die Stärke des Geistes vom Vater. Sie ist schon jetzt die Erbin meiner Habe, und wird bald sein eine so reiche Dame, daß die Kavaliere werden ausstrecken alle Hände und Finger, um zu werden der Bräutigam meines schönen Kindes. Sie wird sich heraussuchen den Feinsten und Vornehmsten, welcher besitzt den Adel der Familie und des Vermögens. Was wird sein gegen einen solchen Eidam der Herkules, welcher ihr ist gefolgt, ihr nachzulaufen bis nach Mexiko, obgleich er ist andern Glaubens und kaum besitzt den zehnten Teil des Geldes, welches ich könnte geben Judith, meiner Seele, schon am heutigen Tage, wenn ich wollte.«

»Der Herkules? Wen meinen Sie?«

»Den Vagabunden, welcher lehnt da vorn am Spriete des Buges und kein Auge verwendet von ihr, die doch nichts mehr von ihm wissen mag.«

»Nichts mehr? So ist sie also früher anders gesinnt gewesen?«

»Zum großen Leiden meines Herzens, ja. Sie ist gewesen auf Besuch in der Stadt Posen bei der Tochter des Bruders meiner Mutter; sie haben gekauft Billets, um zu gehen in die Vorstellung des Zirkus, wo man hat sehen können zu beschauen die gewaltige Kraft eines Herkules, welcher hat gespielt mit dem Gewichte von eisernen Stangen und Zentnerkugeln. Der Herkules und meine schöne Tochter haben einander gesehen und einander geliebt. Sie hat ihm versprochen ihre Hand ohne mein Wissen, und er hat gründen wollen nun selbst einen Zirkus, um zu werden selbständig und ein berühmter Direktor desselben. Als ich habe erfahren diese Angelegenheit, bin ich geworden beinahe gerührt vom Schlage meiner Nerven, und habe gegeben dem Kinde böse und gute Worte, um sie abzubringen von diesem Handel, der nichts bringen konnte als nur fünfhundert Perzent Verlust. Meine Bitten und Drohungen sind gewesen von fruchtloser Vergeblichkeit, denn sie hat gehangen an dem Herkules mit hartnäckiger Festigkeit, bis gekommen ist ein Reservelieutenant von eleganter Gestalt mit rotem Kragen und blitzenden Knöpfen. Vor seinem Namen ist gesessen ein großes ›von‹, und als er ihr angeboten hat seine Hand und sein Herz, ist gegangen pleite der Herkules mit seinen Hoffnungen. Als aber der Lieutenant immer hat verzögert die Verlobung und wir haben erfahren, daß er fast muß ersticken in Schulden, hat sie ihm gegeben den Abschied und sich stolz gewendet von ihm ab. Da kam der Agent der Auswanderung, und als er schilderte das herrliche Land Mexiko, wo die Minen stecken voller Gold und Silber und die Kaballeros reiten mit roten Schabracken auf prächtigen Pferden, wo die Damen liegen in Hängematten und rauchen duftende Cigaretten, da hat Judith, meine einzige, von nichts geträumt, als von diesem Lande, um zu werden auch eine Sennora in der Hängematte, und ich habe ihr gethan den Willen, zu verkaufen drüben mein Haus und mein Geschäft und hier zu werden ein Mann von Einfluß und großem Vermögen. Da Sie mitkommen nach der Hazienda del Arroyo, werden Sie sehen wachsen meine Bedeutung und mein Gewicht. Der Herkules aber, als er erfahren hat, daß wir fahren über die See, ist gegangen auch zum Agenten und hat unterzeichnet den Kontrakt, um zu bleiben in der Nähe seiner Angebeteten und sie zu bekommen doch vielleicht zum Weibe. Er hat genommen seine Ersparnisse, hat sich heimlich entfernt aus dem Engagement, und als wir gekommen sind auf das Schiff, haben wir uns geärgert, zu sehen diesen Menschen als Mitreisenden in das Land, wo nicht nur Milch und Honig, sondern sogar Gold und Silber fließt, um zu laufen in die Taschen dessen, welcher es versteht, sie zu öffnen am richtigen Orte und zur rechten Zeit. Wenn Sie wünschen, zu werden vorgestellt der Tochter meines Herzens, so können Sie jetzt kommen mit hin zu ihr, doch müssen Sie mir geben vorher im Vertrauen Ihr Versprechen, daß Sie leisten wollen Verzicht auf den Versuch, zu gewinnen ihr Herz und ihre Liebe, ihre Hand und ihr Vermögen.«

Der Mann war ein kompletter Narr, ein Dummkopf vom reinsten Schrot und Korn, ein Schwächling gegen seine Tochter, deren Gefallsucht und Eitelkeit nur mit ihrer Gewissenlosigkeit verglichen werden konnte. Dennoch wollte ich ihn nicht gern durch eine abweisende Antwort beleidigen, hatte aber auch keine Lust, »mich« ihr »vorstellen zu lassen«. Da kam mir der Mormone eben recht, welcher mich zu sich winkte, um mir zu sagen, daß mir mein Platz im Schiffe angewiesen werden solle.

Es gab da unter Deck kleine Kabinen, welche je für zwei Personen eingerichtet waren. Der Kajütenwärter führte mich in die meinige, wo ich bemerkte, daß ich dieselbe nicht allein besaß, sondern daß schon ein Platz belegt war.

»Mit wem wohne ich da zusammen?« fragte ich.

»Mit dem langen, starken Deutschen, den sie den Herkules nennen,« lautete die Antwort.

»Was für ein Kumpan ist dieser Mann?«

»Ein sehr ruhiger. Sie können keinen besseren Genossen finden. Der arme Teufel scheint es auf die schöne Jüdin abgesehen zu haben, denn er verwendet, stets in der Ferne stehend, kein Auge von ihr, obgleich sie sich gar nicht um ihn bekümmert.«

Diese Auskunft befriedigte mich. Es war ein Unsinn von dem Kraftmenschen, diesem Mädchen nachzulaufen, aber er schien von ehrenhaftem Charakter zu sein. Überdies war er besser und reinlicher gekleidet als die andern, hatte trotz seines zur Leichtlebigkeit verführenden Gewerbes Ersparnisse gemacht, was ihm zur Empfehlung gereichte, und so glaubte ich, die kurze Zeit bis Lobos recht wohl mit ihm auskommen zu können.

Da die Fensterluke geöffnet war, war in der Kabine ein angenehmerer Aufenthalt als droben auf dem Decke, wo man nur wenig Schutz gegen die Glut der auf den Kopf niederbrennenden Sonne fand; darum streckte ich mich auf das einfache Lager aus, um bis auf weiteres hier liegen zu bleiben. Nach kurzer Zeit wurde die Thüre geöffnet, und der Herkules trat herein. Er warf einen finstern Blick auf mich und sagte:

»Der Wärter teilte mir soeben mit, daß er Sie hier einquartiert hat, obgleich ich die Kabine bezahle. Da Sie, wie ich höre, ein Deutscher sind, will ich es mir gefallen lassen, setze aber voraus, daß ich mich nicht über Sie zu ärgern brauche.«

Das war sehr deutlich gesprochen; aber der gute Mann war herzenskrank, was bei mir natürlich als Entschuldigung galt, und so antwortete ich ihm lächelnd in freundlicher Weise:

»Ich werde mich bemühen, gute Kameradschaft zu halten, da Sie mir als Genosse von allen Passagieren der liebste sind.«

»Wieso? Sie kennen mich doch gar nicht. Warum diese Schmeichelei! Ich liebe das nicht.«

»Es ist nicht Schmeichelei, sondern die Wahrheit. Der Jude hat mir von Ihnen erzählt. Sie werden sich nicht über mich zu beklagen haben.«

»Wenn Sie dies wirklich wünschen, so machen Sie nicht etwa Judith den Hof. Ich werde jeden, der dies zu thun wagen sollte, mit der Faust zu Boden schlagen!«

»Keine Sorge!« lachte ich. »Auf einem solchen Abwege können wir uns niemals begegnen. Warum aber haben Sie damals den Reservelieutenant nicht auch niedergeschlagen?«

»Weil ich Mitleid mit dem Kerlchen hatte. Er wäre unter meinem Griffe in lauter Scherben und Splitter zerbrochen, und ich wußte, daß nicht seine Person, sondern seine Uniform an Judiths Untreue schuld war. Sprechen wir nicht weiter davon, und lassen Sie den Alten nur schwatzen. Ich weiß, was ich thue, und mag nichts über diesen Gegenstand hören.«

»Auch ich vespüre nicht die mindeste Lust, mich damit zu befassen; aber sagen Sie mir wenigstens, wie er heißt und was für eine Art von Geschäft er betrieben hat!«

»Er hat meist in Rauchwaren gemacht und nebenbei ein flottes Pfandleihgeschäft betrieben. Dabei hat er sich ein kleines Vermögen erworben, und das ist ihm in den dummen Kopf gestiegen.«

»Er meint, in Mexiko in kurzer Zeit Krösus werden zu können. Sind Sie vielleicht von derselben Ansicht besessen?«

»Fällt mir nicht ein! So leichtgläubig wie Jakob Silberstein, so heißt er nämlich, bin ich nicht. Ich hege vielmehr die Überzeugung, daß der Agent ein Schurke war und daß die armen von ihm Betrogenen hier Gefahren entgegengehen, von denen sie keine Ahnung haben. Darum bin ich mit herüber. Ich will Judiths Beschützer sein und bin überzeugt, daß sie dann zur Einsicht kommen wird.«

Er ließ sich auf seinen Platz nieder und schwieg; ich machte keinen Versuch, das Gespräch fortzusetzen. Später, als der Schuner vor einer leidlich starken Brise ging, durch welche die Sonnenglut erträglicher wurde, kehrte ich auf das Verdeck zurück und setzte mich an ein stilles Plätzchen, um von dort aus ungestört meine Beobachtungen zu machen. Bald kam Silberstein zu mir, um das Thema über seine Tochter weiter zu spinnen; ich ließ ihm aber deutlich merken, daß mir an demselben nichts gelegen sei, und so entfernte er sich bald wieder, ohne mich abermals zu fragen, ob ich seinem Lieblinge vorgestellt sein wolle.

Der Mormone kam auch für kurze Zeit, um einige Worte mit mir zu wechseln. Er schritt das Deck ab, um von einer Person zur andern zu gehen und sich mit allen in der leutseligsten Weise zu unterhalten, gab diesem und jenem eine Cigarre, streichelte den Kindern die Wangen und that überhaupt alles, um sich das Vertrauen und die Zuneigung der Leute zu erwerben.

Am längsten stand er bei Judith, mit welcher er sich eifrig unterhielt, während der Herkules an der nach den Kabinen führenden Luke stand und beide beobachtete. Seine Brauen waren zusammengezogen und seine Lippen fest geschlossen. Es war mir, als beginne in diesem Augenblicke ein Wölkchen aufzusteigen, welches später den ganzen Horizont bedecken und sich mit Blitz und Donner entladen werde.

Es war auf dem Schiffe für die Passagiere ziemlich gut gesorgt. Sie wohnten nicht eng zusammengepfercht und bekamen genug Trinkwasser und auch kräftiges Essen. Niemand hatte zu klagen, und jedermann sah der Zukunft mit ungetrübter Hoffnung entgegen. Ich war der einzige, der anders dachte; den Herkules rechne ich nicht, da sein Mißtrauen ein unbestimmtes war und auf keinem besondern, klaren Grunde beruhte. Sollte ich dem Mormonen in meinen Gedanken unrecht thun? Ich wollte zu Winnetou über die Grenze hinüber und Lobos lag genau in dieser Richtung. Die Fahrt kostete mich nichts, konnte mir das nicht genug sein? War es nicht besser, in Lobos meinen eigenen Weg unter die Füße zu nehmen, ohne mich um den Mormonen und seine Polen weiter zu kümmern?

Ich wog diese Gedanken und Fragen hin und her, konnte aber trotz alledem die Ahnung nicht loswerden, daß die Auswanderer ins Verderben geführt würden. Als ich dann nach dem Hinterteile schlenderte, redete mich der Kapitän an:

»Lassen Sie sich gratulieren, Master! Melton sagte mir, daß Sie als Buchhalter engagiert werden sollen. Greifen Sie ja zu, denn eine solche Stellung wird Ihnen nicht gleich wieder angeboten.«

»Kennen Sie denn diese Stelle, Kapt'n?«

»Und ob! Der Haziendero ist, sozusagen, ein alter Freund von mir, ein steinreicher Herr und dabei ein Ehrenmann. Wenn er einmal einen Menschen engagiert, so sorgt er auch in ausgiebiger Weise für ihn. Darauf können Sie sich verlassen.«

»So meinen Sie, daß Ihre jetzigen Passagiere es gut bei ihm haben werden?«

»Ich meine es nicht, sondern ich bin überzeugt davon.«

Der Kapitän hatte das Aussehen eines ehrlichen Mannes; ich mußte ihm glauben; dennoch fragte ich:

»Aber der Kontrakt! Steht es richtig mit ihm?«

»Was fällt Ihnen ein! Sie sollen sogleich sehen, wie ehrlich es Sennor Timoteo mit seinen neuen Arbeitern meint.«

Er forderte einen in der Nähe stehenden Auswanderer auf, seinen Kontrakt zu holen. Der Mann hatte denselben eingesteckt und zeigte ihn mir. Das Papier war von ihm, dem Agenten und der Behörde unterschrieben und enthielt einen einzigen Paragraphen. Der Inhalt desselben lautete ungefähr: Der Arbeiter bekommt freie Überfahrt, Reise und gute Verpflegung bis an Ort und Stelle und verpflichtet sich, auf der Besitzung Timoteo Pruchillos resp. dessen etwaigem Rechtsnachfolger täglich acht Stunden gegen einen Tagelohn von anderthalb Pesos und freie Station zu arbeiten. Nach sechs Jahren erlischt der Kontrakt.

Ich war erstaunt. Das war nicht nur ehrlich, sondern sogar sehr anständig, da bei diesem Tagelohne der Arbeiter im stande war, sich jährlich gegen zweitausend Mark zu sparen. Jetzt wunderte ich mich nicht mehr darüber, daß es dem Agenten gelungen war, für die weltentlegene Hazienda eine Gesellschaft von dreiundsechzig Köpfen zusammenzubringen. Ich sah ein, daß mein Mißtrauen ein unbegründetes gewesen war. Wirklich unbegründet? Pruchillo meinte es ehrlich; aber war auch der Mormone ein Ehrenmann? Warum nicht? Hatte ich denn Beweise gegen ihn? War ich nicht vielleicht durch allerdings vielfältige Erfahrungen allzuvorsichtig und mißtrauisch geworden? Stand Melton nicht im Begriffe, mir eine Wohlthat zu erweisen, welche, selbst wenn ich ihrer nicht bedürftig war und sie also nicht annehmen konnte, mich ihm doch zu großem Danke verpflichten mußte? Ich wurde irre an mir und kam bis zum Abende zu dem Entschlusse, in Lobos auszusteigen und allein meines Weges zu gehen, da die Auswanderer auf der Hazienda ganz vorzüglich aufgehoben waren. Da aber ereignete sich etwas, wodurch diese Ansicht widerlegt und dieser Entschluß vollständig über den Haufen geworfen wurde.

Nach dem Abendessen fiel mir nämlich auf, daß die Auswanderer alle aufgefordert wurden, sich in ihre Schlafkojen hinabzuverfügen. Auch ich wurde von dieser Maßregel nicht ausgenommen. Da es Abend geworden war, die Sonne nicht mehr brannte und im Gegenteile ein kühles Lüftchen wehte, wären die Leute noch sehr gern eine Weile auf Deck geblieben; sie mußten sich aber natürlich fügen. Aus den verwunderten Gesichtern, welche sie zu diesem ihnen erteilten Befehle machten, ersah ich, daß die Maßregel eine neue war und sie bisher des Abends und wohl auch des Nachts ganz nach Belieben im Freien hatten bleiben dürfen. Ich erfuhr dies auch sofort, als ich als der letzte, denn ich hatte gezögert, bis keiner mehr oben war, in meine Koje kam und von dem Athleten mit den mürrischen Worten empfangen wurde:

»Was fällt dem Master Harry Melton ein, uns herabzuschicken! Haben Sie eine Ahnung davon, weshalb er es gethan hat?«

»Nein.«

»Hole ihn der Teufel! Wenn man sich des Tages über von der Sonne verbrennen ließ oder hier unten in dem dumpfen Loche zubringen mußte, ist es eine Wohlthat und sogar ein Bedürfnis, des Abends in der freien, frischen Luft zu sein. Das haben wir bisher stets gedurft.«

»Wirklich? Diese Einrichtung ist also eine neue!«

»Ja. Und ich bin überzeugt, daß sie von Melton ausgeht.«

»Warum glauben Sie dies?«

»Erstens, weil man uns herabschickt, seit er sich an Bord befindet, und zweitens, nun, der zweite Grund ist ein etwas unklarer, und ich will lieber schweigen.«

»Sie schweigen, weil Sie kein Vertrauen zu mir haben?«

»Erwarten Sie es anders? Sie sind erst vor so kurzer Zeit zu mir hereingekrochen und können also nicht verlangen, daß ich Ihnen schon alle meine Gedanken mitteile.«

Da mir daran lag, diese seine Gedanken zu erfahren, antwortete ich:

»Sie fürchten sich also vor dem Mormonen und schweigen nur deshalb, weil Sie denken, daß ich ihm ihre Worte mitteile.«

Ich hatte ihn richtig beurteilt, denn noch hatte ich kaum ausgesprochen, so fuhr er mich an:

»Was fällt Ihnen ein! Ich mich fürchten? Ich möchte den Menschen sehen, der im stande wäre, mir Angst einzujagen. Und vor diesem Kerl, welcher zwar mit den Leuten schön thut und sogar gleich in den ersten Stunden beginnt, der Judith den Hof zu machen, dabei aber den Schalk im Nacken hat, ist mir erst recht nicht bange.«

Diese Worte sagten mir, daß er nicht nur mißtrauisch, sondern sogar eifersüchtig gegen den Mormonen war. Ich durfte hoffen, unter Umständen an ihm einen Verbündeten gegen den letzteren zu haben. Ich konnte also gegen ihn ein wenig aufrichtiger sein, als ich sonst nach so kurzer Bekanntschaft gewesen wäre. Darum sagte ich:

»Warum lassen Sie mich da glauben, daß Sie sich vor ihm scheuen? Warum reden Sie nicht offen zu mir, der ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit sage, daß ich den Mormonen trotz seiner auffälligen Bemühungen, sich beliebt zu machen, ja vielleicht gerade wegen derselben, für keinen ehrlichen Menschen halte?«

»Ist das wahr? Thun Sie das?« fragte er schnell.

»Ich sage es Ihnen ja, und was ich sage, das pflegt wahr zu sein.«

»Haben Sie außer seiner Schönthuerei noch andere Gründe? Sie sind mit ihm auf das Schiff gekommen und also vorher mit ihm beisammen gewesen, müssen ihn also besser kennen als ich. Übrigens ist das, wie Sie wohl einsehen werden, für mich ein Grund, auch Ihnen zu mißtrauen.«

»Mag sein; aber ich verdiene Ihr Mißtrauen nicht, denn ich habe Master Melton nur ganz kurz gesprochen. Wir wohnten zwei Wochen lang in demselben Hotel, ohne mit einander zu verkehren. Nur einmal sprachen wir längere Zeit miteinander, als er gesehen hatte, daß ich ein stellenloser armer Teufel bin, und mich darum fragte, ob ich Buchhalter auf der Hazienda del Arroyo werden wolle. Ich sagte in Anbetracht meiner gegenwärtigen Lage zu und wurde heute von ihm mit auf das Schiff genommen.«

»So kennen Sie ihn also ebensowenig wie ich. Warum sagen Sie da, daß er kein ehrlicher Mensch sei?«

»Ich behaupte das nicht infolge irgend einer Thatsache, durch die es bewiesen worden wäre, sondern weil ein gewisser Instinkt mich vor ihm warnt. Ich habe die Ahnung, daß man sich vor ihm hüten muß.«

»Hm! Bei mir findet ganz dasselbe statt. Der Kerl hat mir nichts gethan, ist im Gegenteile zu mir wenigstens ebenso freundlich gewesen wie gegen die andern, und doch mag ich ihn nicht leiden. Seine Visage gefällt mir nicht. Dazu kommen die Blicke, die er mit dem Kajütenwächter heimlich wechselt.«

»Hat er das gethan? Ich habe es nicht bemerkt.«

»Natürlich haben sie sich heimliche Blicke zugeworfen, gerade so, als ob sie alte Bekannte seien; und doch thun sie ganz fremd miteinander.«

Das war eine Beobachtung, die ich nicht gemacht hatte. Die Augen des Herkules waren von seiner Eifersucht geschärft worden. Freilich konnte er sich geirrt haben. Darum fragte ich:

»Haben Sie sich da nicht getäuscht? Der Wärter befindet sich dem Mormonen gegenüber in einer so tiefen Stellung, daß eine Vertraulichkeit, wie man sie infolge solchen heimlichen Zuwinkens annehmen müßte, fast ausgeschlossen ist. Sie können einander früher einmal gesehen haben; das wird aber auch alles sein. Vielleicht haben die Blicke, welche Sie beobachteten, nur ein Gruß sein sollen.«

»Reden Sie nicht! Ich kenne meine Augen. Was die sehen, das sehen sie richtig. Wenn die Kerls sich grüßen wollen, so können sie dies frei und offen thun. Wenn sie ihre Grüße aber nicht merken lassen wollen, so müssen sie einen Grund haben, ihr Bekanntsein nicht wissen zu lassen, und dieser Grund kann kein guter, kein ehrlicher sein.«

»Das ist richtig. Ich werde die beiden morgen schärfer beobachten, als ich es heute gethan habe.«

»Thun Sie das! Es steckt gewiß etwas dahinter. Ich habe zwar in Beziehung auf uns und unsere Zukunft keinerlei Sorge, denn unsere Kontrakte sind gut und stellen uns vollständig sicher; aber es ist zwischen Melton und dem Aufwärter irgend etwas vorhanden, was, wenn es sich auf uns beziehen sollte, uns wohl nicht gefallen würde. Ich möchte wissen, was es ist.«

»Hm, ich auch!«

»Vielleicht muß man auch dem Kapitän mißtrauen. Warum führte er den Mormonen, als dieser an Bord kam, nach hinten, um mit ihm zu reden? Konnten sie uns nicht wissen lassen, was sie zu sprechen hatten?«

»Der Kapitän ist ein ehrlicher Mann; das behaupte ich, und ich bin überzeugt, daß ich mich da nicht irre. Warum sollte er seine Schiffs- und Geschäftsangelegenheiten gerade vor unsern Augen und Ohren verhandeln? Aber wenn es wirklich wahr ist, daß der Mormone mit dem Wärter im Einvernehmen steht, so ist mir das interessant, und ich habe große Lust, hinter das Geheimnis zu kommen.«

»Das werden Sie nicht fertig bringen, weil man sich hüten wird, Ihnen die Sache auf die Nase zu binden.«

»Wenn ich nun aber meine Nase, ohne daß man es bemerkt, so tief in diese Sache stecke, daß ich dieselbe kennen lerne?«

»So wird man Ihnen einen tüchtigen Klapps darauf geben!«

»Darüber wird sie nicht allzusehr erschrecken, denn sie hat schon manchen Klapps bekommen. Ich möchte die beiden am liebsten gleich jetzt belauschen.«

»Verrückter Gedanke! Wissen Sie denn, wann und wo sie miteinander sprechen werden? Und sodann befinden wir uns auf einem Schiffe, nicht aber im Walde, wo man sich hinter einen Busch stecken kann, um seine Augen und Ohren im Verborgenen spielen zu lassen.«

»Mag sein. Aber was die Zeit und den Ort betrifft, so kenne ich beide genau. Zeit: heute, und Ort: oben das Deck. Hat der Mormone heimlich mit dem Wärter zu reden, so wird er dies thun, wenn es dunkel ist und wenn er glaubt, daß man es nicht bemerken wird. Er logiert eigentlich neben dem Kapitän, der sich wohl bald in seine Kajüte zur Ruhe begeben wird. Man weiß, wie dünn die Zwischenwände sind. Ließ der Mormone den Wärter heimlich nach der Kajüte kommen, so müßte er befürchten, von dem Kapitän beobachtet zu werden. Er muß sich also einen andern Ort suchen.«

»Wo denn?«

»Haben Sie denn nicht gesehen, daß man vorhin oben ein kleines Zelt errichtet hat? Wozu sollte dasselbe dienen? Für wen kann es sein? Doch nur für den Mormonen. Er wird gesagt haben, daß er lieber auf dem Deck, als in der dumpfen Kajüte schlafe.«

»Und da wollen Sie die beiden belauschen?«

»Wenigstens habe ich große Lust dazu.«

»Lassen Sie das sein, lieber Herr! Es könnte Ihnen schlecht bekommen. Wenn der Pudel über den Milchtopf gerät, der ihm verboten ist, bekommt er die Peitsche.«

»Ja; aber ich bitte sehr höflich, zu bemerken, daß ich kein Pudel bin und daß auch selbst ein Pudel nicht jedesmal erwischt wird. Haben Sie bemerkt, daß das Zelt aus dem Reserve-Großsegel errichtet worden ist?«

»Ich weiß nicht, wie die Segel alle heißen, habe aber gesehen, daß dieses so groß war, daß es nicht nur vollständig für das Zelt reichte, sondern hinter demselben auch noch eine Rolle bildet. Es mag also ein Großsegel sein.«

»Das ist's ja, was ich meine. Zum Zelte hat das halbe Segel genügt. Die andere Hälfte ist hinter demselben zusammengerollt. Unter dieser Rolle oder diesem Knäuel findet ein Mann sehr gut Platz, und wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich da schlafen.«

»Eine tolle Idee! Man wird Sie entdecken, wenn Sie husten oder niesen!«

»Ich werde beides bleiben lassen.«

»Sie scheinen Ihrer Nase sehr sicher zu sein. Aber selbst wenn man Sie nicht erwischen sollte, werden Sie sich vergeblich Mühe geben. Noch wissen Sie nicht, ob das Zelt wirklich für den Mormonen bestimmt ist, und falls Ihre Voraussetzung richtig sein sollte, ist es noch hundertmal fraglich, ob der Wärter dorthin kommen wird.«

»Das müßte ich mir gefallen lassen, doch bin ich der Meinung, daß die Mühe, welche ich mir geben werde, nicht vergeblich sein wird. Ich habe so eine Ahnung, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß meine Ahnungen mich selten getäuscht haben.«

»Na, dann will ich Ihnen weder zu- noch abreden, Wenn Ihre Idee Ihnen tüchtige Matrosenhiebe einbringt, so ist's nicht mein Rücken, der sie auszuhalten hat.«

Ich gebe zu, daß das, was der Athlet »Ihre Idee« nannte, ein sehr fragwürdiges Geisteserzeugnis war, aber es lag mir, sozusagen, in den Fingerspitzen, daß ich diesen Gedanken ausführen müsse. Ich verließ also unsere Koje, um mich nach dem Deck zu schleichen. Das war nicht leicht. Die Kojen waren von einander und von dem engen Gange, durch den ich mußte, durch fast papierdünne Scheidewände getrennt; die Insassen konnten mich also leicht hören. Das war aber das wenigste. Viel bedenklicher war die Begegnung mit einer Person der Schiffsbemannung, oder gar mit einem der beiden, die ich belauschen wollte. Doch kam ich, ohne auf jemand zu treffen, bis an die Luke, welche sich vom Raume aus auf das Deck öffnete. Indem ich auf der Treppe stehen blieb und nur den Kopf vorsichtig hervorstreckte, konnte ich, obgleich es nicht sehr hell war, die zwischen mir und dem Zelte liegende Strecke überblicken. Sie war frei.

Hinten gab der Kapitän dem Steuermann Befehle für die Nacht. Er stand also im Begriffe, sich schlafen zu legen. Die Stimme des Mormonen sprach einige Worte drein; er befand sich folglich auch mit am Steuer. Vorn, in der Nähe des Buges, schwatzten und lachten die wenigen Matrosen; sie konnten mich nicht sehen. Ich schwang mich also schnell aus der Luke und huschte nach dem Zelte hin, um mich unter der übriggebliebenen Hälfte des Segels, aus welchem dasselbe gebildet war, zu verbergen. Das war in Zeit von nicht einer Minute geschehen. Ich lag zwar auf dem harten Deck, aber sonst ganz bequem und wurde von dem Segel so bedeckt, daß mich niemand sehen konnte. Mein Versteck war ein ganz vorzügliches; nur fragte es sich, ob dasselbe mir auch den erwarteten Nutzen bringen werde. Geschehen konnte mir nichts. Im schlimmsten Falle galt es eine kleine Geduldprobe, welche höchstens die Folge haben konnte, daß ich von dem Herkules ausgelacht wurde.

Ich legte mich so, daß ich den Kopf unten in das Zelt schieben konnte, und langte mit dem Arme in das Innere desselben. Ich fühlte ein dünnes, aber weiches Lager, welches aus Decken hergerichtet worden war. Sehen konnte ich nichts.

Nach kurzer Zeit hörte ich, daß der Kapitän dem Mormonen »gute Nacht« wünschte und nach der Kajüte ging. Der letztere spazierte noch eine Viertelstunde auf und ab und kam dann in das Zelt, um sich niederzulegen. Die eine Voraussetzung, nämlich die, daß das Zelt für ihn bestimmt sei, war also eingetroffen; es galt nun, abzuwarten, ob die andere, daß der Wärter kommen werde, sich ebenso bewahrheitete.

Es verging eine Stunde und noch eine; es wurde Mitternacht. Das Geplauder der Matrosen hatte längst aufgehört. Es war so still geworden, daß ich den Sog des Schiffes hörte. Einmal erklang die Stimme des Sprietmannes, welcher dem Steuerer eine Meldung zurief. Ich begann Langeweile zu fühlen. Da hörte ich eine Bewegung im Innern des Zeltes, nicht als ob der Schläfer sich umwendete, sondern als ob er sich aufrichtete. Ich schob den Kopf vor, um besser hören zu können. Da vernahm ich das Anstreichen eines Zündholzes und dann leuchtete das Flämmchen desselben auf. Beim Scheine des Hölzchens sah ich, daß der Mormone aufrecht saß und sich eine Cigarre anzündete. Er wartete also und hatte jedenfalls bisher noch nicht geschlafen. Hätte er mir nicht den Rücken zugekehrt, so wäre mein Kopf jedenfalls von ihm gesehen worden.

Wieder verging eine Weile, bis ich ihn leise fragen hörte:

»Weller, bist du's?«

»Ja, Master,« lautete vorn die ebenso leise Antwort in englischer Sprache.

»Dann rasch herein, damit du nicht gesehen wirst! Ich rücke zu.«

Der Wärter hieß also Weller. Er folgte der Aufforderung Meltons, indem er sagte:

»Habt keine Sorge, Master! Es giebt außer dem Steuermanne und dem Sprietwächter keinen wachen Menschen auf dem Deck, und diese beiden sind so plaziert, daß sie uns weder sehen noch hören können.«

Es entstand eine kurze Pause, während welcher der eine Platz machte und der andere sich niedersetzte. Dann meinte der Mormone:

»Du kannst dir denken, daß ich unendlich neugierig bin. Ich betrat das Schiff mit der größten Spannung, ob du dich an Bord befinden würdest.«

»Was das betrifft, Master, so ist es mir gar nicht schwer geworden, den Platz als Stewart zu bekommen.«

»Der Kapitän kennt dich doch nicht etwa?«

»Er hat nicht die Idee einer Spur von mir.«

»Und auch nicht erfahren, daß du mich kennst?«

»Werde mich hüten, so etwas auszuplaudern! Leider konnte ich die Heuer nicht nur für die Herfahrt bekommen; ich habe sie auch für die Rückfahrt nehmen müssen und bin also eigentlich gezwungen, von Lobos wieder mit nach Frisco zu segeln.«

»Das thut nichts, da es dir nicht schwer fallen wird, in Lobos auszukneifen.«

»Denke es auch und habe mich darum so wenig mit Sachen und Effekten geschleppt, daß ich augenblicklich ans Land gehen könnte, ohne etwas an Bord zurückzulassen.«

»Recht so, obgleich das nur Nebensache ist. Wie aber steht es mit der Hauptsache? Wann ist dein Alter fort?«

»Drei Wochen vor mir und er befindet sich unbedingt am Ziele. Er ist so oft dort gewesen und kennt alle Verhältnisse und Schliche so genau, daß es gar nicht fehlen kann.«

»Aber werden die Yuma ihm zu Willen sein?«

»Bin vollständig überzeugt davon. Wenn es sich um eine solche Beute handelt, ist jeder Rote schnell dabei.«

»Das beruhigt mich. Nur fragt es sich, ob sie auch rasch genug bei der Hand sein werden.«

»Es ist gewiß, Master, daß sie schon jetzt unterwegs sind. Aber hat es denn solche Eile, Master Melton? Es jagt uns kein Mensch. Wir können die Sache in aller Behaglichkeit abmachen.«

»Das dachte ich vorher auch, bin aber anderer Ansicht geworden.«

»Warum? Hat sich etwas ereignet?«

»Ja. Ich habe eine Begegnung gehabt.«

»Das heißt, Ihr habt jemand getroffen. Das kann doch nicht von so großem Einflusse auf unser Vorhaben sein!«

»Vom allergrößten sogar.«

»Dann müßte der Mann, den Ihr meint, von ganz verwunderlicher Wichtigkeit für uns sein.«

»Ist er auch! Es war eine wirkliche Überraschung für mich, ihn hier unten zu sehen, und wenn du seinen Namen hörst, wirst du gerade ebenso erstaunt sein, wie ich es war, als ich ihn erkannte.«

»So sagt mir doch, wer es ist!«

»Das solltest du eigentlich schon wissen, denn du hast ihn hier auf dem Schiffe gesehen.«

»Dann kann es nur der Mann sein, welcher Buchhalter werden soll. Ist es so richtig?«

»Natürlich! Es ist ja sonst niemand mit mir an Bord gekommen. Und du kennst ihn nicht, wirklich nicht? Du hast ihn schon gesehen, und zwar unter solchen Verhältnissen, daß es geradezu verwunderlich ist, daß du ihn für einen Unbekannten hältst. Ich war vollständig überzeugt, daß er von dir erkannt worden sei, und darum winkte ich dir einigemale zu, vorsichtig zu sein und dich so wenig wie möglich von ihm sehen zu lassen, da er sich sonst auch deiner erinnern könnte.«

»Diese Winke sah ich, habe sie aber nicht verstanden. Ihr habt da mit diesem Manne eine Wichtigkeit, die ich nicht begreife. Ein Landstreicher, der froh ist, auf einer entlegenen Hazienda Schreiber werden zu dürfen, kann für uns doch von gar keiner Bedeutung sein!«

»Das würde ich auch sagen, wenn dieser höchst gefährliche Mann überhaupt die Absicht hätte, Buchhalter zu werden.«

»Wollt Ihr etwa sagen, daß er sich verstellt, daß er die Absicht hat, Euch an der Nase zu führen? Dann ist er entweder der größte Dummkopf, den es giebt, oder ein feiner, gescheiter Kerl.«

»Das letztere, das letztere! Denke doch einmal an Fort Uintah und was du dort erlebtest!«

»Viel Erfreuliches ist das nicht gewesen. Es war zu einer Zeit, in welcher dort gespielt wurde, wie nirgends sonst. Ich hatte gute Geschäfte gemacht und mir einen tüchtigen Beutel voll Dollars gespart, verlor sie aber in Uintah im Laufe einer einzigen Stunde. Glücklicherweise war Euer Bruder da, der mir eine gute Hand voll Dollars schenkte und mir dann auch bei dem Wirte eine Stelle als Kellner verschaffte. Ich habe ihn seitdem nicht wieder gesehen. Ihr wißt ja, weshalb er diesen Ort so plötzlich verlassen mußte. Man spricht natürlich nicht gern davon.«

»Warum nicht? Wer ein Mensch ist, und das sind wir ja alle, dem darf Menschliches passieren. Übrigens hat er sich noch ganz gut aus der Affaire gezogen.«

»Das ist richtig. Er hatte sich eine so schöne, runde Summe zusammengespielt, als den Offizier der Teufel ritt, anzunehmen, daß Euer Bruder ein falscher Spieler sei. Es kam zum Streite; er sollte den Gewinn herausgeben, schoß aber den Offizier über den Haufen und machte sich davon. Zwei Soldaten, welche das Geschrei hörten und ihn draußen anhalten wollten, bekamen auch ihre Kugeln, sodaß sie umfielen wie die Hölzer; er gelangte aus dem Fort hinaus, nahm eins der dort grasenden Pferde und machte sich auf demselben aus dem Staube. Es war eine glorreiche That, unter diesen Verhältnissen und mitten aus einem befestigten Orte zu entkommen.«

»Entkommen? Ja, aus Uintah entkam er wohl – –«

»Nicht nur da, sondern später doch auch,« fiel Weller ihm in die Rede. »Freilich ist es ihm sehr hart an den Kragen gegangen. Er wäre überhaupt nie wieder ergriffen worden, wenn nicht Old Shatterhand sich hinter ihm hergemacht hätte. Muß der Mensch Augen haben! Volle vier Tage lang war man hinter Eurem Bruder her, ohne ihn zu finden, oder gar zu fassen; da mußte Old Shatterhand kommen und die Sache hören. Der erschossene Offizier war ein guter Bekannter von ihm und darum und ohne einen andern Grund zu haben, machte er sich augenblicklich wieder fort auf den Weg, um Euern Bruder zu erwischen.«

»Ja, volle vier Tage später und nachdem es keinem Soldaten oder Pfadfinder gelungen war, die Spur zu entdecken. Dieser Halunke aber hat die Nase eines Bluthundes; er fand die Fährte und jagte meinen Bruder bis nach Fort Edward hinüber, wo er ihn dem Kommandanten übergab. Der arme Teufel sollte gehängt werden, entkam aber noch in der letzten Nacht im Anzuge des Soldaten, der ihn zu bewachen hatte und die Dummheit besaß, sich von ihm erwürgen zu lassen. Du hast doch Old Shatterhand damals auf Fort Uintah gesehen?«

»Nur im Vorüberreiten. Er war vor kaum einer halben Stunde gekommen, hatte die Thatsache gehört und ritt eben wieder fort, als ich unter der Thür stand und von dem Nachbar hörte, daß dieser Jäger angekommen sei.«

»So ist es freilich kein Wunder, daß du ihn heute nicht erkannt hast.«

»Heute?« fragte der Aufwärter im Tone äußersten Erstaunens. »Was wollt Ihr damit sagen? Doch nicht etwa, daß der sogenannte Buchhalter gar Old Shatterhand sei?«

»Ja; gerade das ist's, was ich sagen will.«

»Welch ein Irrtum! Dieser Mensch und Old Shatterhand! Wer den Jäger selbst nur im schnellen Vorüberreiten gesehen hat, weiß ganz genau, daß er mit dem Schreiber nicht das mindeste zu thun haben kann!«

»Und dennoch ist er es. Zeit und Ort sind verschieden, und das Gewand, welches er heute trägt, ist auch anders als der Lederanzug, in dem du ihn jedenfalls gesehen hast.«

»Dennoch ist es unmöglich, ganz und gar unmöglich! Der Mensch mit dem dummen Gesicht, dem ich die Koje des Herkules anweisen mußte, soll Old Shatterhand sein? Sir, ich will alles glauben, alles, was Ihr mir sagt, doch dieses eine nicht, nein, niemals!«

»Ich habe unumstößliche Beweise. Hast du das Gewehr des Mannes gesehen?«

»Nein. Es schienen zwei zu sein; sie steckten in einem leinenen Futterale.«

»Es sind zwei, und jedermann weiß, daß Old Shatterhand stets seine beiden Gewehre bei sich hat, einen Bärentöter und einen Henrystutzen, Gewehre, welche ihresgleichen nicht wieder haben. Ich habe im Hotel gar wohl bemerkt, daß ich sie nicht sehen sollte, sie mir aber von dem Wirte, welcher sie in den Händen gehabt hatte, genau beschreiben lassen. Der Westmann trat als armer Teufel auf und hat doch den Wirt mit seiner ganzen Familie mit sich essen und trinken lassen. Wäre er wirklich der, für den er sich ausgiebt, so würde er auf mein Anerbieten sofort und mit Freuden eingegangen sein; er hat sich aber unter dem lächerlichsten Vorwande, den es geben kann, Bedenkzeit ausgebeten. Er hatte mich nie gesehen und beobachtete mich doch immerfort sehr scharf. Ich ließ ihm nicht merken, daß ich dies sah. Die Ähnlichkeit mit meinem Bruder ist ihm aufgefallen. Er kam von der Sierra Verde herab. In diese öde und gefährliche Gegend versteigt sich kein gewöhnlicher Mensch, am allerwenigsten aber einer, der fremd im Lande ist, zumal es jenseits Empörung und infolgedessen die unsichersten Verhältnisse gab. Da hinauf und da hinüber wagt sich nur ein kühner und erfahrener Mann, der sich auf sich und seine Waffen verlassen kann. Bedenke, daß er ohne alle Begleitung, also ganz allein gewesen ist!«

Es läßt sich denken, daß ich mit der größten Spannung Ohrenzeuge dieses Gespräches war. Mein Instinkt hatte mich nicht nur nicht betrogen, sondern, wie ich jetzt einsah, mir und voraussichtlich auch andern einen großen Dienst geleistet. Jetzt wußte ich mit einem Male, warum mir das Gesicht des Mormonen nicht nur wegen des Widerspruchs seiner Züge aufgefallen war. Der Grund lag, wie er selbst sagte, in der Ähnlichkeit mit seinem Bruder, dem Mörder jenes Offiziers, welcher mir sehr nahe gestanden hatte. Die Freundschaft für den Ermordeten hatte mich veranlaßt, dem Thäter zu folgen, den ich, wie soeben gesagt worden war, bis nach Fort Edward getrieben und dort ergriffen hatte. Ich wußte jetzt, woran ich war. Meine Ahnung hatte wieder einmal recht gehabt. Der Mormone war ein Bruder jenes Falschspielers und mehrfachen Mörders, und die Art, wie er sich über diesen und sein Verbrechen geäußert hatte, war Beweis genug, daß auch er mit den Gesetzen auf keinem guten Fuße stand.

Leider aber sah ich ein, daß ich durchschaut worden war, wie ich nun weiter hörte. Daß der eigentümliche Wirt des Hotels die Marotte gehabt hatte, ein Fremdenbuch zu führen, und daß ich meinen Namen in dasselbe gegeben hatte, das waren die ersten Ursachen davon gewesen, daß der Mormone auf den Gedanken gekommen war, ich sei Old Shatterhand. Dazu kam die Schwatzhaftigkeit des Wirtes, welcher meine Gewehre beschrieben hatte, und noch verschiedenes andere, was Melton jetzt erwähnte und aufzählte. Sogar das erwähnte er, daß ich nicht unter dem Dache, sondern im Hofe geschlafen hätte, weil ich als Westmann dies so gewöhnt sei. Er brachte all diese Gründe so gut vor, daß der Aufwärter doch auch zu der Überzeugung gelangte, welche der Mormone hegte. Er sprach seine Zustimmung aus und meinte dann:

»Also angenommen, daß wir es wirklich mit Old Shatterhand zu thun haben, welchen Grund kann der haben, mit nach der Hazienda gehen zu wollen?«

»Es werden mehrere und verschiedene Gründe sein. Hat er erkannt, daß ich der Bruder meines Bruders bin, so wird er glauben, denselben da suchen zu müssen, wo ich mich befinde. Er hängt sich also an mich. Sodann muß ihm als erfahrenem Manne und Kenner der Verhältnisse die Bestimmung auffallen, welcher die Menschenladung dieses Schiffes entgegengeht, wenigstens angeblich entgegengeht. Nach allem, was ich über den Mann gehört habe, muß das in ihm den Gedanken erwecken, sich den Leuten beizugesellen, um ihnen unter Umständen zu raten und zu helfen. Dabei hütet er sich, einen Kontrakt zu unterschreiben, denn er will Herr seiner Freiheit bleiben. Wir haben also mit ihm zu rechnen, und zwar sehr zu rechnen, und wenn ich auch nicht denke, daß er das Gelingen unseres Vorhabens ganz vereiteln kann, so steht doch zu erwarten, daß er uns Hindernisse in den Weg legt, wodurch dasselbe sehr verzögert wird.«

»So habt Ihr einen großen Fehler begangen, indem Ihr ihn mitgenommen habt. Ihr hättet Euch gar nicht mit ihm abgeben, sondern ihn einfach ignorieren und in Guaymas sitzen lassen sollen.«

»Das hätte ich gethan, wenn der Wirt, Don Geronimo, nicht so plauderhaft gewesen wäre, ihm von mir und dem Schiffe, welches ich erwartete, zu erzählen. Ich habe Old Shatterhand zwar gesagt, daß er ohne mich nicht an Bord gekommen wäre, bin aber überzeugt, daß ihn der Kapitän, welcher ein dummer, ehrlicher Kerl ist und unser eigentliches Geschäft nicht kennt, aufgenommen hätte. Und selbst wenn er nicht mit fortgekommen wäre, so traue ich ihm zu, daß er das nächste Schiff benutzt hätte, nach Lobos zu gehen und uns von dort aus nachzufolgen. Wir hätten uns dann keinen Augenblick sicher fühlen können.«

»Wir, so viele, diesem einen gegenüber? Das klingt übertrieben, trotzdem es Old Shatterhand ist. Eine Kugel könnte uns von ihm befreien.«

»Wenn er sich einer Kugel aussetzt, ja; aber das fällt ihm gar nicht ein. Das klügste war das, was ich gethan habe. Ist er als schlauer Fuchs bekannt, so werde ich ihm zeigen, daß andere weit schlauer sein können. Gerade weil er mich überlisten will, muß er überlistet werden. Ich habe mich also verstellt und ganz so gethan, als ob ich ihn wirklich für einen heruntergekommenen, abgelumpten Ausländer halte. Ich habe ihm die Stelle angeboten, um ihn mitzulocken. Auf diese Weise behalte ich ihn stets unter den Augen und kann ihn unschädlich machen, sobald es mir beliebt. Auf diese Weise ist es möglich, ihm zu jeder Zeit eine Kugel zu geben. Und die bekommt er sicherlich, denn ich habe meinen Bruder zu rächen, den er verfolgt und als Mörder außer Landes getrieben hat. Das soll und muß gerächt werden, und da der Kerl jetzt so dumm oder so verwegen ist, sich selbst mir auszuliefern, so werde ich die Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne das zu thun, was ich für meine Pflicht, für meine blutige Pflicht halte.«

Er sagte das in so grimmigem und dabei feierlich schwörendem Tone, daß ich überzeugt war, er werde unbedingt Wort halten. Der Aufwärter meinte langsam und in nachdenklicher Weise:

»Hoffen wir, daß es so kommt! Aber es hat eine ganz eigene Bewandtnis mit diesem Menschen; es ist, als ob er mit dem leibhaftigen Satan im Bunde stehe. Je tiefer er sich in Gefahr befunden hat, desto schneller kam er heraus.«

»Das soll diesmal nicht der Fall sein. Unterwegs dürfen wir ihm nichts anhaben, weil das den Verdacht der andern erregen würde; aber laß uns nur erst auf der Hazienda sein, dann wird mit ihm abgerechnet. Ich brauche mich gar nicht an ihm zu vergreifen; die Yuma-Indianer werden das übernehmen.«

»Und wenn er ihnen entkommt? Wie oft hat er sich in der Gewalt blutdürstiger Roter befunden und ist ihnen entweder entflohen, oder hat es auf ganz unbegreifliche Weise dahin gebracht, daß sie aus grimmigen Feinden sich in seine allerbesten Freunde verwandelten. Hat er nicht auch mit Winnetou auf Leben und Tod gekämpft? Und heute sind beide bereit, ihr Leben für einander zu lassen!«

»Das waren andere Menschen und andere Verhältnisse; das war nicht ich. Ich habe seinen Hals in meiner Hand und presse denselben zusammen, sobald es mir beliebt. Ein Schwur ist ein Unsinn; aber blicke da hinauf zu den Sternen; ich schwöre dir zu: so sicher sie ihre Bahnen gehen, ohne abweichen zu können, so sicher geht dieser Mensch seinem Tode entgegen, denn ich will – –«

Er sprach nicht weiter und hatte eine sehr gute Ursache dazu, denn bei dem letzten Worte brach das Zelt über ihm zusammen. Er hatte, um einen Aufblick nach den Sternen zu ermöglichen, den oberenTeil des Segeltuches zurückziehen wollen und war dabei zu unvorsichtig verfahren. Die Stangen standen unbefestigt auf dem Holze des Deckes; sie gaben infolgedessen dem Drucke nach und fielen um, unter der Tuchlast, die sie getragen hatten, den Mormonen, den Aufwärter und – – auch mich begrabend.

Wollte ich nicht entdeckt sein, so galt es, nicht zu säumen. Ich bohrte mich schleunigst unter den auf mir liegenden Segelfalten heraus und schnellte mich fort nach der Luke hin. Sobald ich mich tief genug in derselben befand, sah ich, daß die beiden auch herausgekrochen kamen, ohne bemerkt zu haben, daß der Einbruch ihres Gebäudes noch einen dritten betroffen hatte. Vom Lauschen war jetzt natürlich keine Rede mehr; ich suchte meine Koje auf. Der Herkules schlief wie ein Bär, und da ich mir Mühe gab, leise zu sein, erwachte er nicht, sondern schlief fort, ohne mich zu hören.

Das war mir lieb, denn ich wußte in diesem Augenblicke nicht, was ich ihm auf seine Fragen hätte antworten sollen. Soviel aber stand fest, daß ich ihm die Wahrheit noch verschweigen mußte, da ich sonst zu erwarten hatte, daß er mir üblen Schaden anrichten werde. Ich legte mich also nieder, nicht um zu schlafen, sondern um über das Gehörte nachzudenken. Das Morgenlicht blickte bereits durch das kleine Lukenfenster, als ich die Augen schloß.

Also auf mein Leben war es abgesehen! Das klang gefährlich, machte mir aber keine Sorge. Ich wußte ja nun, woran ich war, und konnte mich auf alle Fälle hüten. Anders stand es mit der Gefahr, in welcher sich die Auswanderer befanden, denn daß es für sie eine Gefahr gab, davon war ich jetzt vollständig überzeugt. Und diese Gefahr war um so größer, je weniger ich eigentlich wußte, welcher Art sie sei und wo und wann sie eintreten werde. Unterwegs, also bis zur Hazienda, sollte nichts geschehen; das wußte ich. Der Mormone hatte gesagt, daß bis dahin nichts gegen mich unternommen werden dürfe, weil sonst das Mißtrauen der andern erregt werde; also konnte ihnen auch nichts drohen. Aber dann auf der Hazienda! Was aber und wie? Man hatte von den Yuma-Indianern gesprochen, welche das Rachewerk an mir ausführen sollten. Jedenfalls waren es auch sie, von denen den Auswanderern die Gefahr drohte. Ein Indianerüberfall? Das schien mir nicht allzu gefährlich. Doch warum sollten die polnischen Arbeiter überfallen werden? Sie waren so arm, daß, den Juden abgerechnet, bei ihnen nichts geholt werden konnte. Es mußte doch noch eine andere Bewandtnis damit haben, eine Bewandtnis, welche zu durchschauen ich jetzt noch nicht genug Beobachtungen gemacht hatte. Ich hoffte aber, unterwegs genug zu sehen und zu hören, um auf die richtige Spur zu kommen.

Unterwegs? Mußte ich denn mit? War ich verpflichtet dazu? Eigentlich wohl nicht. Ich konnte in Lobos aussteigen und mich aus dem Staube machen. In diesem Falle aber waren die Auswanderer ihrem bösen Schicksale verfallen, und wenn dasselbe über sie hereinbrach, so fiel die ganze Last desselben auf mein Gewissen. Das letztere befahl mir also, mitzugehen, und außerdem war es der mich nie verlassende Thatendrang, welcher es mir gerade als eine Lust erscheinen ließ, die Anschläge des Mormonen kennen zu lernen und zunichte zu machen. Er hatte gesagt: »Er will mich überlisten, folglich muß er selbst überlistet werden. Nun gut, List gegen List und Aberlist gegen Aberlist!«

Als ich erwachte, war der Athlet schon munter und fragte mich:

»Ich schlief fest und hörte Sie nicht zurückkommen. Sind Sie vielleicht ertappt worden?«

»Nein.«

»Aber haben Sie etwas erfahren?«

»Besonders Wichtiges nicht,« antwortete ich gleichgültig.

»Dachte es,« lachte er. »Habe es Ihnen übrigens vorhergesagt. Man sollte Sie tüchtig auslachen.«

»Thun Sie das; aber haben Sie die Güte, zu schweigen, damit ich nicht auch von andern ausgelacht werde.«

»Halten Sie mich für eine Plaudertasche?« fragte er in seiner grilligen Weise. »Ich bin niemals ein Plappermaul gewesen, und es fällt mir auch gar nicht ein, Ihretwegen eines zu werden. Ich werde Sie also nicht verraten, am allerwenigsten gegen die beiden Schufte, die ich nicht leiden kann. Ich habe nun einmal das Gefühl, wenigstens mit dem Mormonen einmal tüchtig zusammenzugeraten.« – – –

Satan und Ischariot I

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