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Abdahn Effendi

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Was ich heut´ so öffentlich erzähle, war bisher ein tiefes Geheimnis. Und dennoch war es keines, weil es sich vor allen Augen und Ohren vollzog, die sehen und hören wollten. Viele berufene und unberufene Menschen gaben sich Mühe, das Rätsel zu lösen, doch stets vergeblich, weil sie selbst mit im Geheimnis standen, ohne daß sie es glaubten oder wußten. Keiner von ihnen allen brachte es fertig, sich aus diesem Geheimnisse herauszustellen, um die ganze, unsaubere Bande zu durchschauen, die aus fünf Personen bestand, die in Summa nur drei Namen hatten, nämlich zwei Achmed Agha, zwei Selim Agha und Abdahn Effendi, der eigentliche Gebieter.

Die vier Agha waren Offiziere; der Effendi aber war Zivilist und zugleich der dickste Mensch, den ich in meinem Leben gesehen habe. Er betrieb die Viehzucht, die Landwirtschaft, die Bäckerei, die Fleischerei, die Fischerei, die Jagd, die Gastwirtschaft, den Binnen- und Außenhandel und war zu gleicher Zeit der Schech el Beled, der Kadi und der Imahm (Schultheiß, Richter und Geistlicher) der weit ausgedehnten Landschaft Dschan, durch die sich die türkisch-persische Grenze zieht. Daher der Titel Effendi, den er von jedermann verlangte und auch wirklich zugesprochen erhielt. Dschan liegt sehr hoch, im Süden des kurdischen Gebirges. Dort ragen die Berge von Uluhm empor, zwei Reihen zum Teil scharf abgegrenzter, zum Teil auch ineinander fließender Höhen, die, immer parallel miteinander, von Nordwest nach Südost verlaufen und zwischen sich ein langes, viel gewundenes, tief und steil eingeschnittenes Tal bilden, auf dessen Sohle ein sehr fischreiches Wasser fließt. Die Fische gehörten dem Effendi. Er behauptete das. Und er hatte gedroht, einen jeden niederzuschießen, der sich an einer einzigen Flosse zu vergreifen wage! Die Berge von Uluhm sind, ebenso wie das zwischen ihnen liegende Tal, sehr dicht mit Busch und Wald bestanden, worin es Wild in Menge gibt. Der Effendi behauptete, daß auch dieses ihm gehöre und daß er einen jeden aufhängen werde, der so frech sei, auch nur eine einzige Maus oder Ratte anzutasten!

Wer die Türkei und Persien kennt, der weiß, daß an der Grenze beider Länder allezeit ein ebenso reger wie einträglicher Schmuggel betrieben worden ist. Und nie hat es eine Stelle gegeben, welche die Aufmerksamkeit der beiderseitigen Zoll- und Steuerbehörden in der Weise auf sich gezogen hat, wie die Landschaft Dschan, die mit ihren Bergen, Schluchten und Wäldern die Pascher geradezu herausforderte, sich hier zusammen zu ziehen.

Ein breiter Karawanenweg führt, Persien mit der Türkei verbindend, quer durch Dschan und also ebenso quer zwischen den Bergen von Uluhm hindurch. Das ist der offizielle, der befohlene Weg, den alle Personen und Güter zu nehmen haben. Jeder andere Weg wird als Schleichweg betrachtet, und wer ihn geht, setzt sich der Gefahr aus, als Schmuggler betrachtet und behandelt zu werden, vielleicht gar als Dieb und Räuber für Fisch und Wild. Da, wo diese Karawanenstraße auf der östlichen Seite in das Tal hinuntersteigt, befindet sich das Hauptquartier der persischen Zollbeamten. Da, wo sie auf der westlichen Seite wieder emporgestiegen ist, stehen die Gebäude der türkischen Douane. Beide also hoch oben auf den beiden Rändern des Tales, während unten, in der Mitte desselben, die Besitzung des Effendi an der über das Wasser führenden Brücke liegt. Er behauptete, daß diese Brücke ihm auch gehöre, und drohte, einen jeden einzusperren, der hinüber- oder herübergehe, ohne ihm den Brückenzoll zu entrichten! Sein Anwesen bestand aus einem nicht unbedeutenden Komplexe von Häusern, Hütten, Stallungen, Schuppen, Tennen, Winkeln und Löchern, welche alle dem Betriebe der oben erwähnten Tätigkeiten und Berufe zu dienen hatten. Die beiden geräumigsten unter diesen Baulichkeiten waren zwei Karawanserais, rechts an der Straße eines für die, welche von rechts her, also von Persien kamen und nach der Türkei wollten, links an der Straße eines für die, welche von links her, also von der Türkei kamen und nach Persien wollten. Da war den von beiden Seiten Kommenden Gelegenheit gegeben, mit ihren Tieren und Waren Unterkunft zu finden und sich auszuruhen oder gar zu übernachten. Im Hauptgebäude, in dem Abdahn Effendi selbst wohnte, gab es auch für vornehmere Leute Gelegenheit, zu wohnen. Nämlich zwei Zimmer über dem Parterre und noch zwei Stuben, die über diesen beiden lagen. Es gab also so eine Art erster und zweiter Etage, die aber beim Bau des Hauses gar nicht mit geplant worden waren. Sie bildeten vielmehr einen einfachen Würfel von Bretterwänden, die man erst später auf das platte Dach gesetzt hatte, um diese vier Unterkunftsräume zu gewinnen.

Ich war mit meinem kleinen Hadschi Halef Omar, den Scheik der Haddedihn-Araber, den jeder meiner Leser kennt, von Bagdad hier heraufgekommen, um nach Teheran zu gehen. Wir kehrten nicht in einem der beiden Serais, sondern hier im Hauptgebäude ein, in der Stube, die im Parterre lag und als das Zimmer für vornehme Gäste bezeichnet wurde. Man hielt uns sofort für vornehm, weil man uns nach unseren Pferden taxierte, die Araber von reinstem Blute waren und in jener kostbaren Weise aufgeschirrt, die man in Persien mit dem Namen Reschma bezeichnet. In dem Zimmer saßen fünf Personen, drei ältere und zwei jüngere. Einer von den Alten war ungeheuer dick. Er saß auf einem Sitz, der ganz augenscheinlich extra stark für ihn besonders angefertigt worden war. Sich in orientalischer Weise niederzusetzen, durfte er nicht wagen, weil es ihm in diesem Falle unmöglich war, wieder aufzustehen. Halef sagte, als er ihn erblickte, leise zu mir:

»Maschallah (Wunder Gottes), was für ein Mensch! Wer dreimal um ihn herumgeht, muß sich unterwegs viermal setzen, um auszuruhen!«

Dieser Mann war Abdahn Effendi, der Wirt. Seine Wangen standen wie Halbkugeln und seine Äuglein verschwanden fast ganz unter oder hinter dem Fettpolster, welches sie umgab. Den Mund sah man fast nicht und der Schnurrbart war unter der dicken Rindstalgnase vor Fett ganz verdünnt, erstickt und verkümmert. Aber der Zug von Gutmütigkeit, der wohlbeleibten Leuten eigen zu sein pflegt, war diesem Gesichte fremd. Die Augen schielten und wenn der »Effendi« sprach, so hatte seine Stimme einen außerordentlich hochmütigen, harten, rücksichtslosen Klang. Eben als wir in die Stube traten, aß er. Ich habe ihn überhaupt fast niemals anders als essend gesehen. Von den beiden anderen Alten hatte der eine ein langes, schmales Vogel-, der andere aber ein kurzes, breites Bulldoggesicht, doch beide echt orientalisch geschnitten und in lange, dichte Vollbärte gehüllt. Die zwei jüngeren Männer sahen einander ähnlicher. Der eine lächelte immerfort wie ein Fuchs, der einer Gans die Ehe verspricht, und der andere saß, ging und stand ohne Unterlaß geduckt wie ein Marder, der einen Hühnerstall beschleicht. Man sieht, sympathisch waren diese Leute eben nicht, aber psychologisch außerordentlich interessant. Man fühlte gleich beim ersten Blicke, daß mit keinem von ihnen gut Kirschenessen sei und man nicht mit ihnen anbinden durfte, außer man wünschte, daß irgend etwas mehr oder weniger Unangenehmes passiere. Nach altem, orientalischem Brauche sagte mir der Effendi, daß er der Wirt sei, und nannte mir denn die Namen und die Berufsstellungen der vier anderen Männer. Sie titulierten sich gegenseitig Agha, was so viel wie »Herr« bedeutet und stets hinter den Namen gesetzt wird. Diese vier hatten nur zwei Namen. Die beiden Älteren hießen Achmed Agha und die beiden Jüngeren Selim Agha. Hierzu kam, daß zu dem gleichen Namen sich der gleiche Rang gesellte. Die beiden Achmeds standen im Oberstenrange; die beiden Selims waren Leutnants, alle vier also Offiziere. Ich fragte mich, welche Gründe man in Konstantinopel und Teheran wohl gehabt haben könne, zwei so hohe und verdiente Offiziere, wie ein Oberst doch wohl ist, in diese abgelegene Gegend zu versetzen; aber die Herren zeigten sich außerordentlich mitteilsam; sie freuten sich sichtlich, wieder einmal mit einem gebildeten Menschen sprechen zu können, und als sie gar hörten, daß ich Europäer sei, schien ihnen sehr daran zu liegen, sich vor mir in gutes Licht zu stellen. Darum erzählten sie mir ganz ungefragt und unaufgefordert, warum und weshalb sie von Bagdad und Teheran hieher gekommen und dann hier geblieben seien.

Es war, wie sie versicherten, mit der Schmuggelei hier nicht mehr auszuhalten gewesen. Die Zölle hatten fast gar nichts mehr eingebracht und so waren die beiden Regierungen darin übereingekommen, die Bewachung der Grenze der bisherigen liederlichen Aufsicht zu entziehen und in feste, militärische Hände zu legen. Dies konnte aber nicht geschehen, ohne daß die betreffenden militärischen Personen vorher bei der jetzigen Douane eine Lehrzeit durchgemacht hatten, um ihre Pflichten kennen zu lernen und in ihren Beruf sich einzuleben. Darum wurde von beiden Seiten je ein Hauptmann, ein Oberleutnant und ein Leutnant nebst drei gewöhnlichen Soldaten zu ihrer Bedienung herauf nach Dschan geschickt. Der Erfolg war ein überraschend schneller. Die beiden Hauptleute und die beiden Oberleutnants wurden mit ihren Soldaten von den Paschern schnell weggeputzt. Man begrub ihre Leichen, wo man sie fand. Die beiden Leutnants aber bewährten sich. Sie hielten sich mit ihren zwei Soldaten. Sie schafften Wandel. Sie wiesen nach, daß die beiden bisherigen Kommandanten mit den Schmugglern gemeinschaftliche Sache gemacht und die Behörden um ungeheure Summen betrogen hatten. Die beiden Verbrecher wurden abgesetzt und in Ketten nach Teheran und Bagdad transportiert; ganz selbstverständlich bekamen die Leutnants die freigewordenen Stellen. Sie blieben; sie blieben für immer, aber nur aus Pflichtgefühl und Aufopferung, denn wenn sie gegangen wären, hätte die mühsam unterdrückte Schmuggelei sofort ihr Haupt von Neuem erhoben und alle bisherige Mühe wäre vergeblich gewesen. Aber die vorgesetzten Behörden waren dankbar für eine so beispiellose Uneigennützigkeit und Treue. Sie ließen die Leutnants und Soldaten entsprechend avancieren. Die Leutnants hatten es, als ich nach Dschan kam, schon bis zum Obersten gebracht, und die Soldaten standen bereits im Leutnantsrang. Weil die ersteren beide Achmed und die letzteren beide Selim hießen, alle vier aber Agha waren, konnte man sie nur dadurch auseinander scheiden, daß der Rang der beiden türkischen Offiziere nach türkischem Gebrauch, die Chargen der beiden persischen Offiziere aber in persischer Weise bezeichnet wurden. Oberst heißt türkisch Mir Alai, persisch aber Särtix. Leutnant heißt türkisch Mülasim, persisch aber Naïb. Darum hieß der Alte mit dem Vogelgesicht Mir Alai Achmed Agha, der Alte mit dem Buldoggesicht Särtix Achmed Agha, der Junge mit dem Fuchsgesicht Mülasim Selim Agha, und der Junge mit dem Mardergesicht Naïb Selim Agha.

Wir, nämlich Halef und ich, hatten gar nicht hier bleiben, sondern nur unsere Pferde ausruhen lassen und dann weiterreiten wollen, aber der Anblick dieser fünf Männer erweckte den Wunsch in mir, sie kennen zu lernen. Wir aßen etwas, dann verließ ich die Stube, um, wie es so meine Weise ist, einen kurzen Gang durch die Umgebung zu machen, um sie meiner Erinnerung einzuprägen. Als ich nach vielleicht zwei Stunden zurückkehrte, saß Halef nicht mehr an seinem Platze, sondern bei den fünf Männern. Sie hatten gewünscht, daß er bei ihnen sitze, und ihn dann ausgefragt. Wer meinen kleinen Hadschi Halef kennt, der weiß, welche Schleusen der Beredsamkeit da von ihm geöffnet worden waren, um unsere Erlebnisse und alle tausend Vorzüge, die er uns andichtete, in das hellste Licht zu stellen. Ich wurde zu meinem großen Erstaunen mit lautem Jubel begrüßt. Sämtliche Agha taten, als ob sie mich schon längst gekannt und geliebt hätten, und der dicke Abdahn Effendi bat mich inständigst, so lange sein Gast zu sein, wie es mir beliebe und ohne etwas zu bezahlen; nur müsse ich ihm den Gefallen tun, den riesengroßen, kurdischen Bär zu erlegen, der von Norden her in die Waldungen von Dschan gedrungen sei und unter dem Wildstand ungeheure Verwüstungen anrichte.

Kein hiesiger Mensch getraute sich an ihn. Meine Leser kennen diese Art des Bären; ich habe wiederholt von ihr erzählt. Der kleine Halef hatte erklärt, daß ich diesen Wunsch wahrscheinlich erfüllen werde, weil es uns zu aller Zeit eine Freude sei, mit einem solchen Raubwilde Bekanntschaft zu machen. Ich hatte keinen Grund, anders zu denken als er, und stellte nur die Bedingung, daß uns gute Unterkunft und gutes, gesundes Futter für unsere Pferde geboten werde. Dieser Bescheid erregte allgemeine Freude. Die Pferde bekamen einen schnell gesäuberten Stall für sich allein angewiesen und so viel Gerste, gequollenen Reis und gequetschte Bohnen, daß sie förmlich wüsten konnten. Und was uns selbst betraf, bedeutete der ultradicke Effendi, daß er uns in eigener Person die Zimmer anweisen werde, die wir bewohnen sollten. Er bekümmerte sich um seine Gäste nie, denn er habe keine Zeit dazu. Daß er sich mit uns jetzt diese Mühe gebe, sei eine Auszeichnung, die wir dankbar anzuerkennen hätten.

Er führte uns hinaus und hinter das Haus, wo eine Holztreppe auf das platte Dach leitete. Er stieg uns da voran, langsam und schwer, ächzend und stöhnend, hustend und pustend, pro Minute einen Schritt. Wir, die wir hinter ihm gingen, hatten das Glück, den Anblick seiner unförmlichen Fleischmasse mit Demut und Ergebenheit zu genießen. Das Dach war lang und breit. Es bestand aus festgeschlagenem Lehm. Man konnte mit großen Schritten darauf spazieren. Es büßte durch den schon erwähnten Bretterwürfel, der die vier Stuben enthielt und auf der Mitte des vorderen Randes stand, nur den vierten Teil seiner Oberfläche ein. Wir bekamen die zwei Stuben, welche direkt auf den Dache standen. Man trat gleich direkt von dem letzteren durch eine Tür hinein. Zu den beiden oberen Stuben führte ein schwankes, hölzernes Mittelding zwischen Treppe und Leiter hinauf. Sie waren schon bewohnt, und zwar auch von zwei Fremden. Der eine von ihnen sei aus dem Sumpflande von Basra, also ein Türke, der andere aus dem Fieberlande von Laristan, also ein Perser. Das Sumpffieber habe sie an den Rand des Todes gebracht und sie gezwungen, für einige Monate hier herauf nach Dschan zu gehen, um in der reinen, stärkenden Höhenluft zu gesunden. Sie seien schon zwei volle Wochen hier und würden uns nicht im geringsten belästigen, da sie sich während des ganzen Tages im Walde aufhielten, um guten Atem zu holen.

Unsere Zimmer gefielen uns sehr, weil sie uns einen freien Ausblick nach allen vier Himmelsrichtungen boten und weil wir nur aus der Tür zu treten brauchten, um im Freien sein zu können, ohne zu den anderen Leuten hinuntersteigen zu müssen. Leider waren wir aber nicht die einzigen Bewohner dieser mit Kissen, Decken und Teppichen sehr reichlich ausgestatteten Räume. Es logierte da eine solche Menge jener kleinen, lieblich duftenden und zutraulichen Wesen, die der Araber Bakka, der Perser aber Sas oder Millä (Wanze) nennt. Diese letztere Sorte ist übrigens nicht ungefährlich, da ihr Biß unter Umständen direkt giftig wirkt. Der Effendi hatte davon gesprochen, daß er keine Bezahlung von uns nehmen wolle. Mir ahnte aber, daß unser Gehen nicht so friedlich wie unser Kommen verlaufen werde, und so hielt ich es darum für ausgeschlossen, irgend etwas ohne Gegenleistung von ihm anzunehmen. Darum eröffnete ich ihm jetzt, als ich mich bereit erklärte, die Zimmer anzunehmen, daß ich sie und alles andere bezahlen würde, obwohl er darauf verzichtet habe. Da gestand er mir mit fast überirdischer Aufrichtigkeit, daß er sich das genau so gedacht habe, wie ich es ihm jetzt sage. Ein anständiger Mensch lasse sich nichts schenken, sondern er bezahle um so mehr, je weniger man verlange. Da er aber nicht nur wenig, sondern gar nichts von mir verlangt habe, so rechne er auf den höchsten Preis, den es hier oben gebe. Als ich ihn dann aufforderte, diesen Preis zu bestimmen, schüttelte er den Kopf und antwortete, das überlasse er mir. Dann ließ er uns oben stehen und stieg wieder vom platten Dach hinab, daß alle Stufen der Treppe krachten. Halef lachte. Er sagte:

»So dick und ungeschlacht er ist, so unförmlich ist auch diese seine Geldschneiderei! Wir werden ihn bezahlen, nicht wahr, Effendi? Nicht zu viel und nicht zu wenig!«

Er zog dabei seine Kurbatsch (Nilpferdpeitsche) aus dem Gürtel, um mit einigen kräftigen Bewegungen des Armes die Münze anzudeuten, in der er sich diese Bezahlung dachte. Dann folgten wir dem Effendi hinab, um das uns aufgetragene Werk sofort zu beginnen. Ich teilte den Herren Offizieren mit, daß wir im Begriffe ständen, unsere Bärensuche anzutreten, und forderte sie auf, sich zu beteiligen. Das lehnten sie aber ganz entschieden ab. Die Kerle hatten Angst. Die einzige Hilfe, die sie uns leisteten, bestand darin, daß sie uns berichteten, was sie über den Bären, den wir erlegen sollten, wußten, und das war wenig genug. Bevor wir dann aufbrachen, erhielten wir von Abdahn Effendi folgende Instruktion:

»Der ganze Wald ist mein und die ganze Gegend ist mein. Ihr könnt also überall hin, wohin ihr wollt. Nur vor dem Sägemüller Ben Adl habt ihr euch zu hüten. Der ist mein Feind. Ich verbiete euch, seine Besitzung zu betreten oder gar mit ihm zu reden. Er schießt nämlich jeden nieder, der es wagt, sich ihm zu nähern! Nehmt euch also in acht!«

»Wo ist die Mühle?« erkundigte ich mich.

»Wenn ihr an diesem unseren Wasser aufwärts geht, kommt erst ein Bach von rechts, dann einer von links, dann wieder einer von rechts. An diesem hat Ben Adl, der Schuft und Schurke, sich festgesetzt, um unser schönes Dschan zu verschimpfieren. Sein Vater war der hiesige Kommandant der persischen Douane. Er ist jetzt Kettengefangener. Der Vater seines Weibes war der hiesige Kommandant der türkischen Douane, der auch in Ketten liegt. Beide Kommandanten wurden abgesetzt und bestraft, weil sie große Unterschleife und Betrügereien begangen hatten. Sie mußten alles hergeben, was sie besaßen. Nur eines konnte man ihnen nicht nehmen, nämlich das Land, welches sie direkt vom Schah gekauft hatten, um ihren Kindern ein Haus darauf zu bauen und sie dann miteinander zu vermählen. Aus diesem Hause ist eine Schneidemühle geworden, in welcher diese Kinder nun als Mann und Weib wohnen, um mir meine Bäume wegzufällen und mich totzuärgern.

»Sie machen aus diesen Bäumen Bretter, die sie über das ganze Hochland bis nach Kurdasir und Feridan, sogar bis Teheran und Isfahan versenden, wo Pilgersärge aus ihnen gezimmert werden. Dieses viele, viele Geld könnte ich mir selbst verdienen! Sie nehmen es mir weg! Sie bestehlen, betrügen und berauben mich! Darum verbiete ich euch, mit ihnen zu verkehren. Wenn ihr es dennoch tätet, würde meine Rache euch vernichten!«

»Die meine auch!« rief Achmed Agha, das Vogelgesicht.

»Die meine auch!« drohte Achmed Agha, das Bulldoggesicht.

»Die unsere auch!« warnten die beiden Selim, Fuchs und Marder, zusammen.

Dann, nachdem sie ihre Pflicht hiemit getan zu haben glaubten, nahmen ihre Physiognomien sofort wieder die freundlichsten Züge an, und wir wurden mit dem strahlendsten Wohlwollen von ihnen entlassen.

Wir wanderten schweigend am Wasser hinauf, jeder mit seinen Gedanken für sich. Wir befanden uns kaum erst drei Stunden bei diesen Leuten und wußten trotz dieser kurzen Zeit doch schon, wie tief sie trotz des hochgelegenen Landes, in dem sie lebten, standen. Sie zu durchschauen, war freilich noch nicht möglich, aber wir hegten beide die Überzeugung, daß es uns wahrscheinlich beschieden sei, nichts Gutes, sondern Schlimmes aufzudecken. Nachdem wir lange Zeit so still nebeneinander hingegangen waren, fragte Halef:

»Sihdi (Herr), soll ich dir sagen, was wir beide jetzt denken?«

»Nein,« antwortete ich.

»Warum nicht?«

»Weil ich es schon weiß.«

»So sage du es! Ich bin überzeugt, daß du genau dasselbe denkst wie ich.«

»Ganz richtig! Wir denken beide, daß wir nun erst recht zu Ben Adl, den Sägemüller, gehen. Der wird höchstwahrscheinlich ein braver Mensch sein!«

»Ganz meine Ansicht! Ich habe ihn jetzt schon lieb! Wen so ein dicker, schielender, habsüchtiger Abdahn haßt, der verdient gewiß, daß man ihm Achtung und Vertrauen schenkt. Hast du gerochen, wie der Effendi stank, als er vor uns die Treppe emporstieg?«

Ich nickte nur. Da fuhr er fort:

»Er stank nach allen möglichen schlechten Düften, besonders aber nach Geist- und Seelenlosigkeit. Geh, lauf, Effendi, damit wir schneller aufwärts kommen!«

Er verdoppelte die Schritte seiner kleinen, kurzen Beine und zwang mich dadurch, auch meinerseits ein schnelleres Tempo einzuschlagen. Nach einer halben Stunde erreichten wir den ersten, von rechtsher kommenden Bach, nach einer zweiten halben Stunde den, der von der linken Seite kam und sich, wie der erstere, in das Hauptwasser ergoß. Das Tal, dem wir folgten, war oft sehr breit, zuweilen aber auch ebenso schmal, immer aber von dichtem Unterholz besetzt, aus dem die Kronen hoher Bäume ragten. Es gab da einen Holzreichtum, der für Persien beinahe als Wunder zu betrachten war. Es mochte bald wieder eine halbe Stunde vergangen sein, so daß wir nun anderthalb Stunden lang gegangen waren, da erreichten wir den zweiten Bach, der von rechts her mündete. Wir bogen in diese Richtung ein, um seinem Laufe entgegenzugehen. Der Weg wurde hier gangbarer. Er verließ sogar zuweilen den Bach, um in gerader Richtung eine seiner Windungen abzuschneiden. Indem wir ihm aufwärts folgten, hatten wir diese Windungen bald zur rechten, bald zur linken Seite neben und unter uns liegen. Es galt, kleine Brücken zu übersteigen. Das Plätschern und Murmeln des Wassers erklang bald hüben und bald drüben. Bei einer dieser Gelegenheiten hörten wir nicht nur das Wasser, sondern auch menschliche Stimmen. Es schienen weibliche zu sein. Wir blieben stehen und lauschten. Der Weg lag an dieser Stelle über dem Bache. Zwei Riesenbuchen standen in einiger Entfernung von ihm, und zwar genau an dem Rande, der sich zum Bache niedersenkte. Die Hälfte ihrer Wurzeln verlief nach unserer Seite in die Erde. Die andere Hälfte stieg auf der anderen Seite im Freien abwärts, bis sie unten den Boden erreichten und in demselben verschwanden. Diese freiliegenden Wurzeln bildeten eine Art von Nische, in der zwei Bänke standen, eine niedrige und eine höhere, aus Stein und Moos gebaut. Man sah, das war zum Beten.

Um zu sehen, wer da sprach, waren wir an die Buchenstämme getreten, knieten da leise nieder und schauten heimlich hinab. Auf der niedrigen Bank knieten zwei Kinder nebeneinander, ein Knabe und ein Mädchen. Sie hatten die Hände gefaltet auf den Schoß einer Frau gelegt, die vor ihnen auf der höheren saß. Alle drei beteten, und zwar mit vereinten Stimmen. Und was sie beteten, das war nicht aus dem Kuran, sondern aus der Bibel, nämlich das Vaterunser, natürlich in arabischer Sprache. Und zwar beteten sie in einer unendlich rührenden, gläubigen Weise. Die Augen der Kinder waren voll Liebe auf das Gesicht der Mutter gerichtet, und diese hatte den Blick zum Himmel erhoben, und ihre Augen erglänzten in heiligem Feuer. Man sah und hörte, daß hier nicht nur drei Lippenpaare, sondern auch drei Herzen beteten, die wirklich an die Macht und an die Güte dessen glaubten, an den sie sich wendeten. Als wir zu horchen begannen, waren sie mit den ersten Bitten schon vorüber. Nun fuhren sie fort:

»Unser tägliches Brot gib uns heute! Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel! Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Erlöse den Vater unsers Vaters und den Vater unserer Mutter von den Ketten, in die sie unschuldig gefallen sind! Du kannst sie retten, wenn du willst! Amen!«

Als sie geendet hatten, drückte die Mutter die Köpfchen der Kinder an ihr Herz, gab jedem einen Kuß, und dann begann es von neuem: »Vater unser, der du im Himmel bist!« Ich war tief gerührt. Ich stand auf und trat von den Bäumen zurück. Daß wir hier lauschten, kam mir wie eine Entheiligung des Gebetes vor. Halef schien ganz dasselbe zu fühlen. Er zog mich noch weiter fort und sagte:

»Komm, wir gehen!«

Erst als wir uns weit genug entfernt hatten und rings von Gebüsch umgeben waren, hielt er die Schritte wieder an. Da fragte er:

»Für wen hältst du diese drei Personen, Effendi?«

»Für die Frau und die Kinder des Sägemüllers Ben Adl,« antwortete ich.

»Ich auch. Die Mühle scheint nicht mehr fern von hier zu sein, denn dieser Platz war die Kirche, war der Gebetsplatz, und den legt man sich doch so nahe wie möglich an das Haus. Ich behaupte, daß diese Leute Christen sind, und da war es ganz richtig, daß ich sie schon liebte, ehe ich sie zu sehen bekam. Nun aber liebe ich sie doppelt. Gehen wir direkt und offen in die Mühle?«

»Nein. Wenigstens nicht gleich. Wir umkreisen sie erst einmal, ohne daß man uns sieht. Es ist immer vorteilhaft, ein sicheres Bild von der Wohnung zu haben, ehe man zu den Leuten geht, die sich drin befinden, nicht nur in materieller, sondern auch in anderer Beziehung.«

»Du meinst, daß es geraten ist, sich erst um den Körper zu bekümmern, ehe man sich an die Erforschung des Geistes und der Seele macht?«

»Ja. Nun komm!«

Wir gingen weiter. Wie Halef vermutet hatte, so war es: die Mühle lag in der Nähe. Wir waren noch gar nicht weit gegangen, so blieb ich überrascht stehen, denn ich sah ein kleines, reizendes Landschaftsbild vor mir liegen, welches von einem Künstler nicht besser, lieblicher und traulicher hätte angelegt werden können und mich fast heimatlich anmutete. Die bisher ganz schmale Schlucht des Baches erweiterte sich hier sehr plötzlich und energisch zu einem nicht ganz unbedeutenden Talkessel, der von hier gegen Morgen lag und uns gleich beim ersten Blick verriet, daß der Besitzer desselben ein fleißiger, umsichtiger und überhaupt intelligenter Mann sei. Der Kreis, den der Boden des Kessels bildete, war mit Feldern, Wiesen und Weiden, die vom Bach bewässert wurden, ausgelegt. Uns gegenüber sah ich einen Steinbruch, in dem man arbeitete. Hüben zogen sich zwei große, wohlgepflegte Gärten am Abhange des Berges hinauf. Zwischen ihnen lag die Mühle, deren Rad aber nicht durch den Bach, sondern mit Hilfe eines von weiter oben direkt herabgeleiteten Wassergrabens in Bewegung gesetzt wurde. Ihre innere Einrichtung war uns unbekannt, doch stand zu vermuten, daß sie der einer einfachen, primitiven deutschen Sägemühle ähnlich sei. Vor ihr waren große Haufen von Stämmen, Klötzen und Brettern aufgestapelt. Seitwärts stand ein zwar niedriges, aber sehr geräumiges Gebäude, welches jedenfalls als Unterkunftshaus diente. Daneben gab es eine Hürde, in welcher fremde Kamele, Maultiere und Maulesel standen, die für den Transport der Bretter bestimmt waren. Überall sah man arbeitende Menschen. Auf den Weiden grasten Pferde, Kühe, Schafe und Ziegen. Und rund um dieses schöne, erfreuliche Bild zog der Hochwald seinen dichten schützenden Rahmen. Man konnte es verstehen, daß der dicke Abdahn Effendi sich über diesen Besitz, über diesen Fleiß und über diese unverkennbare Behäbigkeit reichlich ärgerte.

Wir standen am Rande des Waldes und brauchten, um in das Freie zu kommen, nur noch einige Schritte zu tun. Das Unterholz bestand hier aus dichten Jasmin- und wilden Weichselbüschen, welche in Blüten förmlich leuchteten und einen Duft verbreiteten, den dieselben Sträucher in Deutschland nie erreichen. Eben wollte ich für einen Augenblick den Schutz der Bäume verlassen, um mich zu orientieren, wohin wir uns nun zu wenden hätten, da trat ich rasch wieder zurück, weil aus dem einen naheliegenden Garten drei Männer kamen, die ihre Richtung nicht nach der Mühle, sondern nach der Stelle nahmen, an der wir uns befanden. Da mündete ja der Weg, der wahrscheinlich nicht nur der unserige, sondern auch der ihrige war. Sie wollten vermutlich da hinunter, wo wir heraufgekommen waren. Wir verbargen uns hinter dem hellen Grün und duftenden Weiß der Jasmine, um sie an uns vorübergehen zu lassen, doch kam es etwas anders, als wir dachten.

Zwei von ihnen waren bejahrte Männer, aber noch rüstig. Ihre Bewegungen waren würdevoll, ihre Haltung stolz und fest, beinahe militärisch. Sie trugen Vollbärte. Der dritte war bedeutend jünger als sie, stark und kräftig gebaut, mit einem ungewöhnlich offenen, intelligenten Gesicht, in dem er nur den Schnurrbart trug. Sein Anzug zeigte die Spuren der Arbeit, doch sah man ihm an, daß er nicht als Untergebener tätig war. Er behandelte die beiden älteren Männer mit sichtbarer Hochachtung.

»Ob das etwa Ben Adl, der Müller, ist?« fragte Halef.

»Sehr wahrscheinlich«, antwortete ich.

»Die beiden anderen sind nicht von hier«, fuhr er fort. »Das sind nicht Männer, sondern Herren. Und sie kommen nach dem Wege, der hinunter in das Haupttal und dann nach uns zu Hause führt. Weißt du, Effendi, welcher Gedanke mir da annehmbar erscheint?«

»Der Gedanke, daß es die beiden Fremden sind, die in den Zimmern über uns wohnen?«

»Ja, wahrhaftig, so vermute ich!«

»Ich auch, obwohl ich gar keine Haltepunkte hiefür habe. Wenn Abdahn Effendi uns verboten hat, hieher zu gehen, so ist wohl anzunehmen, daß er es auch den beiden anderen Gästen untersagte.«

»Die aber ganz so wie wir der Meinung waren, daß sie nicht verpflichtet sind, ihm zu gehorchen! Doch still! Sie sind schon da!«

Wir waren der Ansicht gewesen, daß diese Leute an uns vorübergehen würden. Das taten sie aber nicht, sondern sie blieben an der Stelle, wo der Weg aus dem Walde mündete, stehen. Wir sahen und hörten sehr bald, warum. Wir hatten uns nicht geirrt. Sie waren die, für die wir sie gehalten hatten, nämlich der Sägemüller und die beiden Fremden aus Basra und Laristan, die gerade über unseren beiden Zimmern wohnten. Sie hatten im Garten ein wichtiges Gespräch gehabt, nach welchem der Müller seinen Besuch nun bis hieher begleitete, wo ihr Heimweg durch den Wald begann. Da blieben sie nun für einige Augenblicke stehen, um sich voneinander zu verabschieden.

»Hierbei hat es also zu bleiben«, sagte einer der beiden älteren Herren in arabischer Sprache, doch hielt ich ihn infolge seines Dialekts sofort für einen Perser. »Es bleibt uns leider kein anderes Mittel mehr übrig. Ist auch das ohne Erfolg, so geben wir diese Forschungen auf und kehren in unsere Garnisonen zurück.«

»Das verhüte Gott!« wünschte der Müller, indem er die Hände faltete.

»Ein anderes bleibt uns dann allerdings nicht übrig,« bestätigte der andere ältere Herr, der unbedingt ein Türke war. »Wir geben zu, daß diese drei Personen im höchsten Grade verdächtig sind; aber wir können nichts auf sie bringen. Der Zoll bringt nichts mehr ein, und doch wissen wir, daß ganz bedeutende Mengen von Waren gerade hier durch Dschan nach beiden Richtungen gehen. Wir hofften auf dich. Du lebst ja hier und kennst die Verhältnisse. Du behauptest, daß dein Vater und der Vater deiner Frau unschuldig bestraft worden seien. Du hast also das größte Interesse daran, uns nachweisen zu helfen, was für Schurken die drei Kerle sind. Was aber haben wir entdeckt?«

»Nichts, gar nichts!« antwortete der Perser schnell. »Nur eins haben wir gefunden, nämlich, daß die beiden Achmed Agha sich als Oberst und die beiden Selim Agha sich als Leutnants bezeichnen, obwohl kein Mensch daran gedacht hat, sie avancieren zu lassen. Die Achmeds sind heute noch Leutnants und die Selims heute noch gewöhnliche Soldaten. Aber das gibt keinen Grund, sie zu bestrafen. Sie würden einfach sagen, daß es ein Scherz sei oder daß sie diese Täuschung der Schmuggler für notwendig gehalten haben, um zu imponieren und sie vom Verbrechen abzuschrecken. Sie haben in ihren Berichten sich niemals als etwas Höheres bezeichnet, als sie sind, und darum könnte auf diese falsche Rangbezeichnung dem Zivil gegenüber höchstens ein Verweis erfolgen, zumal sie niemals Uniform getragen haben, am allerwenigsten diejenige einer Charge, die sie nicht bekleiden. Diese drei Männer sind entweder so grundehrliche Leute, oder so abgefeimte Schurken, daß wir nicht die geringste Waffe gegen sie in die Hand bekommen haben, obwohl du uns hilfst und wir schon zwei Wochen lang, von ihnen unerkannt, bei ihnen wohnen und sie so scharf beobachtet haben, daß uns sicherlich nichts von dem, was während dieser Zeit geschah, entgangen ist. Nun haben wir nur noch die Wirkung unseres neuen Planes abzuwarten. Der von mir in Teheran bestellte Bote wird von heute an in vier Tagen ankommen – —«

»Der, den ich in Bagdad bestellt habe, ungefähr an demselben Tage,« bestätigte der Türke, indem er ihm in die Rede fiel.

»Sie kommen also wohl an einem und demselben Tage nach Dschan,« sagte der Sägemüller, »und die beiden sogenannten Oberste werden also zu gleicher Zeit die Meldung erhalten, daß ein persischer und ein türkischer hoher Adjutant kommen werde, um eine Untersuchung gegen sie einzuleiten. Daß diese beiden Adjutanten schon da sind, das wissen sie und das ahnen sie nicht. Sie werden durch diese Botschaft in eine gewaltige Aufregung versetzt werden. Sie werden hin- und herrennen. Sie werden Tag und Nacht arbeiten und alles in Bewegung setzen, die Spuren ihrer verbrecherischen Tätigkeit zu verwischen. Sie werden ihre Ruhe verlieren und weniger vorsichtig sein. Wir aber werden unsere Aufmerksamkeit verdoppeln und es sofort bemerken, wenn sie sich durch irgend etwas verraten.«

»Das ist es, was wir hoffen,« gestand der Perser. »Daß dann auch dein Vater und der Vater deines Weibes unterwegs sind, wird nicht in den Meldungen stehen. Sie werden fürchterlich erschrecken, wenn sie beide sehen, und der Augenblick dieses Schreckes wird, so hoffe ich, sie so betroffen machen, daß sie alle ihre Geheimnisse verraten.«

»Und dann kommen unsere Väter frei?« erkundigte sich der Müller.

»Nur für den Fall, daß erwiesen wird, daß sie damals unschuldig waren. Denn was die drei Schurken nachher taten, kann eure Väter nicht befreien.«

»Wir bitten Gott täglich um Hilfe.«

»Das ist umsonst!«

»Warum? Wohl weil ich Christ bin?«

»O nein!« lächelte der Perser. »Nicht deshalb! Ich bin Schiit; mein Kamerad hier ist Sunnit und du bist Christ. Wir sind das nur, weil unsere Väter das waren, was wir sind. Das gewöhnliche Volk aber rechnet sich das als Verdienst an. Es verlangt für dieses Verdienst, daß Allah stets bereit sei, ihm zu dienen. Es betet; das heißt, es belästigt ihn, es fordert von ihm Dinge, zu denen er nicht verpflichtet ist. Mein Kamerad hier ist zwar Moslem, er leugnet aber Allah ganz. Ich, der Schiit, will ihn zwar nicht leugnen, aber ich mute ihm auch nicht zu, unser Packträger und Wunscherhörer zu sein, so oft wir es von ihm verlangen. Wenn du glaubst, daß er etwas auf das Plappern und Beten der anderthalbtausendmillionen Menschen, die es gibt, achtet, so bist du unheilbar irr im Kopf!«

»Ich glaube es aber,« versicherte der Müller, indem er beide Hände beteuernd auf die Brust legte.

»So bist du also unheilbar, bist irr!«

»Nein; Ihr seid irr!«

»Beweise es!«

»Das kann ich nicht. Das kann nur Gott!«

»So mag er es beweisen!«

»Ja, das ist so die Art der Ungläubigen,« nickte der Müller. »Erst sagen und behaupten sie, daß es keinen Gott gebe, und dann verlangen sie, daß er sie dennoch höre und sich ihnen offenbare. Es sind also sehr schwache Füße, auf denen Euer Unglaube steht!«

»Spotte nicht!« gebot ihm der Türke. »Du bist Müller, weiter nichts. Du sägst dein Holz und staubst deine Gebete wie Sägemehl in die Luft. Sie fallen ganz von selbst wieder nieder. Wir aber wissen das besser. Du behauptest, es sei ein Gott, kannst es aber nicht beweisen. Ich aber glaube, daß es gar keinen Gott gibt, und mein Kamerad, der Schiit, behauptet, daß ein Gott, selbst wenn es einen gäbe, ganz unmöglich auf dein Lallen hören kann. Wir werden dir das beweisen. Du betest täglich, daß der Gott der Christen euch von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden erlösen möge?«

»Ja.«

»Dein Weib und deine Kinder beten dasselbe?«

»Ja.«

»Und ihr glaubt, daß er es hört?«

»Ja.«

»Dann muß er euch erhören, muß, muß, muß! Sonst ist er ja noch schlimmer als dieser Abdahn Effendi nebst allen seinen Schmugglern, Dieben und Betrügern! Sage ihm das! Laß es ihm auch durch deine Frau und deine Kinder sagen! Und sage ihm auch noch folgendes: Wenn es wirklich einen Gott gibt, der die Gebete der Christen hört, so verlangen wir von ihm, daß er das eurige erfüllt, und zwar nicht durch uns, sondern eben auch durch einen Christen, und – — «

»Und,« fiel ihm der Perser in die Rede, »und wir verlangen ferner vor ihm, daß Abdahn Effendi selbst zu ihm beten soll: Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Hast du das verstanden, Ben Adl?«

Abdahn Effendi

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