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Zweites Kapitel: Bei den Bolamännern

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Am andern Morgen war ich sehr zeitig wach, und lange vor der Zeit, in welcher der Yerbatero kommen wollte, hatte ich meine kleinen Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Dazu bedurfte es keiner großen Mühe und Arbeit. Ich war echt amerikanisch gereist. Ein kleiner Koffer hatte all mein Eigentum enthalten, und diesen Inhalt trug ich jetzt auf dem Leibe. Den leeren Koffer hatte ich dem Kellner und den gestern getragenen Anzug dem Hausknecht geschenkt. Einige Hemden, Taschentücher und sonstige Notwendigkeiten lagen in Leder geschnallt auf dem Tische. Ich war zur Abreise bereit.

Die Hotelrechnung war berichtigt, und der Kellner hatte nebst dem Koffer noch ein Trinkgeld erhalten. Er war ein Schweizer und schien sehr schweigsam zu sein. Das Geschenk aber hatte ihn redselig gemacht. Als er erfuhr, daß ich die Reise zu Pferde und in gleicher Gesellschaft machen werde, beglückwünschte er mich, daß ich so klug gewesen sei, diese Art des Fortkommens zu wählen. Er entwarf mir eine entsetzliche Schilderung der Reise in der Diligence, und ich fand diese Beschreibung später vollständig bestätigt.

Diese sogenannte Staatskutsche ist ein mehr als solid gebauter Wagen von riesigen Verhältnissen. Sie besteht aus Coupé, Cabriolet und Rotunde und bietet zehn bis zwölf Personen Platz. Sie wird gezogen von sieben gewöhnlich ausgehungerten „Rössern“, davon vier neben einander unmittelbar vor dem Wagen, vor denselben nur zwei, und vor diesen letzteren eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Ein anderer Peon sitzt auf dem hinteren Sattelpferde. Auf einem achten Tiere galoppiert ein dritter Reiter nebenher, welcher ohne Unterlaß, mit Grund oder ohne Grund, mit einer großen Hetzpeitsche auf die Pferde losschlägt, um sie anzutreiben.

Dem Vorreiter liegt es ob, dem unbeholfenen Fuhrwerke die Richtung zu geben. Der Kutscher, Mayoral genannt, thront vom oben, mit einem stereotyp verächtlichen Gesichte, aus welchem zu ersehen ist, daß es ihm höchst gleichgültig erscheint, ob die Fuhre glücklich von statten geht oder einige der Pferde totgehetzt liegen bleiben und er beim Umwerfen die gebrochenen Glieder der Passagiere aus dem Wagen auf die Pampa schüttet.

Man erlaubt den Pferden niemals, in Schritt zu gehen; auch der Trab ist selten und fällt dann schlecht und unregelmäßig aus. Meist oder vielmehr stets geht es im sausenden Galopp vorwärts, und grad an den schlechtesten und gefährlichsten Stellen wird dieser Galopp zum Rasen.

So kommt es, daß man per Diligence trotz des miserablen Weges pro Tag bis und über fünfzehn deutsche Meilen zurücklegt, eine Leistung, worüber ein deutscher Postillon den Kopf schütteln würde.

Wenn ich von einem Wege spreche, so ist das nur figürlich gemeint, denn einen Weg giebt es eben nicht. Man sieht keine Andeutung oder Spur eines solchen. Man fährt über die natürliche Fläche, wie sie eben geschaffen ist, und der Europäer traut seinen eigenen Augen nicht, wenn er sieht, daß auf einem solchen Terrain gefahren werden kann.

So geht es über Stock und Stein – auch nur figürlich gemeint, denn Stöcke oder Steine giebt es in der Pampa nicht, desto mehr aber Unebenheiten, ausgetrocknete Bäche und andere Erhöhungen und Vertiefungen, über und durch welche der Wagen wie im Fluge fortgerissen und fortgeschleudert wird, so daß die Reisenden unaufhörlich gegeneinander stoßen und ihnen Hören und Sehen vergehen möchte.

»War das Ihr Kopf, Sennor?«

»Nein, der Ihrige, Sennorita?«

»Herr, Sie treten mich ja an den Leib!«

»Nein, Sennor, Ihr Fuß stieß mir den Schenkel wund!«

»Haben Sie Ihr Leben versichert, Herr Nachbar?«

»Nein, denn wenn ich hier den Hals breche, was höchst wahrscheinlich ist, so bekommen lachende Erben den Betrag. Ich habe keine Familie.«

»Sie Glücklicher! Ich habe Frau und Kinder. Seit ich in dieser Diligence sitze, kann ich sie mir nur noch als verwitwet und verwaist denken.«

Solche und ähnliche Interjektionen, scherzhaft oder ernst gemeint, ertönen unablässig aus dem Munde der Passagiere, welche für ihr teures Geld am Rande des Todes dahingezerrt werden.

Der Kutscher schreit; der Vorreiter brüllt; der hinterste Peon wettert; der Seitenreiter flucht und haut wie verrückt auf die armen Tiere ein, welche, hungernd und entkräftet, kaum mehr vorwärts können. Die wilde Jagd geht steil bergab in den Fluß hinein, welcher hoch aufschäumt. Halb vom Wasser getragen und halb von den Pferden gerissen, gelangt der Wagen, als ob er einzelne Sprünge mache, an das andere Ufer und wird unter Heulen, Schreien und Peitschenhieben an demselben emporgezerrt. Dort hält die zerlumpte Schar. Ein Pferd ist gestürzt. Man durchschneidet den Riemen, mit dem es an den Wagen gehängt war, nimmt ihm den Sattel ab, und dann geht es weiter, weiter, weiter!

Dem Pferde hängt die Zunge aus dem weit offenen Maule. Seine Flanken schlagen, und aus den Augen bricht ein jammernder Blick. In zwei – drei Minuten ist es von Raubvögeln umgeben, welche nur auf die letzte Bewegung des zu Tode gehetzten Tieres warten, um ihm das warme Fleisch von den Knochen zu reißen.

Ueberall sieht man die gebleichten Knochen dieser armen Geschöpfe auf der Pampa liegen. Kein Mensch denkt sich etwas dabei. Pferde giebt es im Ueberflusse. Eine Stute kostet nach deutschem Gelde zwölf bis sechzehn Mark. Man schämt sich, auf Stuten zu reiten. Diese Tiere haben so wenig Wert, daß man mit ihren Knochen und ihrem Fette die Ziegelöfen heizt.

Einen Stall giebt es im ganzen Lande nicht. Die Pferde befinden sich bei Tag und Nacht, zur Winters- und Sommerszeit, in Sonnenglut und Gewitterstürmen im Freien. Sie genießen nicht die geringste Pflege. Eine Fütterung mit Hafer, Mais oder Heu giebt es nicht. Das Tier hat eben für sich selbst zu sorgen. Das einzige, was der Besitzer thut, ist, daß er ihm seinen Stempel einbrennt. Braucht er es, so wird die Herde von den Peons oder Gauchos in den Corral gehetzt und man fängt sich das betreffende Pferd mit dem Lasso heraus.

Uruguay wird von den Bewohnern desselben die Banda oriental, d.h. die östliche Seite, genannt, und der Uruguayense bezeichnet sich infolgedessen gerne als „Orientale“. Das Land stößt im Norden an Brasilien, im Westen an den Uruguayfluß, von welchem es den Namen hat, im Süden an den La Plata und im Osten an den atlantischen Ocean. Es ist durchweg welliges Hügelland, durch welches von Nordost nach Südwest, also in der Diagonale, der Rio Negro fließt, ein Fluß ungefähr von der Größe unserer Oder. Er läuft parallel einem Höhenzuge, welcher der Cuchillo grande genannt wird. Cuchillo heißt im Spanischen das Messer, und dieses Wort ist eine sehr treffende Bezeichnung für diesen schmalen, sich gleich einer Messerklinge erhebenden Gebirgszug. Die von Flüßchen und Bächen zerrissene, wellenförmige Fläche des Landes ist meist mit Gras bewachsene Pampa. Höchstens in den Furchen der genannten Wasserläufe findet man niedriges Buschwerk, welches nach Norden in Wald übergeht, ohne aber den eigentlichen Charakter eines geschlossenen Waldes anzunehmen.

Dörfer nach unserm Sinne giebt es in diesem Lande nicht, sondern nur größere Landgüter und einzelne Gehöfte. Unter diesen ersteren muß man eine Unterscheidung zwischen Estancias, das sind Viehgüter, und Haziendas, das sind Ackerbaugüter, treffen. So ein Gehöft besteht meist aus weiß getünchten Gebäuden und nimmt sich aus der Ferne recht stattlich aus, zeigt sich aber in der Nähe als ein höchst einfaches und aus mangelhaftem Materiale hergestelltes Bauwerk.

Ranchos sind kleinere Güter, in welchen die weniger wohlhabenden Leute wohnen. Die mit Stroh oder Schilf gedeckten Mauern eines solchen bestehen meist aus festgestampftem Rasen.

Der Viehstand des Landes ist sehr bedeutend. Wenn man durch dasselbe reitet oder fährt, so kann man nach jeder halben Stunde eine große Herde von Hornvieh, Pferden oder Schafen zu sehen bekommen. Ein ausgewachsener, vollwichtiger Schlachtochse kostet kaum fünfzig Mark, eine Pferdestute, wie bereits erwähnt, höchstens sechzehn Mark. Bei diesen Preisen achtet der Besitzer das einzelne Stück gering; es ist ihm gleichgültig, ob es hungert und dürstet oder von den Peons tot gequält wird. Ein „Orientale“ würde die teilnehmende Fürsorge, welche ein armer deutscher Landmann seinem Pferde, seiner Kuh, ja seiner Ziege und sogar seinem Schweine widmet, laut verlachen.

Es war nahe an neun Uhr, als lautes Pferdegetrappel mich veranlaßte, an das Fenster zu treten. Da unten hielten die sechs Yerbateros. Der Anblick, welchen sie boten, war köstlich.

Die Reiter habe ich schon beschrieben. Sie waren heute nicht anders und besser gekleidet als gestern. Ihre Pferde paßten zu ihnen. Es waren magere, ruppige, struppige Gäule. Aber wie waren sie gesattelt und aufgezäumt! Das Lederzeug war mit Silber geschmückt. Federn und Quasten wankten auf den Köpfen und von denselben herab. Die Sattelponchos waren mit klingenden Schellen versehen, und in die Schwänze hatte man bunte Seidenbänder eingeflochten. Auch die Steigbügel waren von Silber, aber eben nur groß genug für eine Zehe. Die Reiter hatten an ihre nackten Füße Sporen geschnallt, deren Räder wohl vier Zoll im Durchmesser hatten. Wie sehr man sich dieser Sporen bediente, das bewiesen die blutrünstigen und eiternden Stellen rechts und links in den Weichen der Pferde.

So einen Aufputz liebt der Südamerikaner, und der Yerbatero also auch. Kehrt der Theesammler nach harter Arbeit aus den Wäldern zurück, so ist es gewöhnlich seine erste Sorge, sich so ein glänzendes Reitzeug zu verschaffen, für welches er gern sein sauer verdientes Geld hingiebt.

Es ist gar nichts Seltenes, einem Reiter zu begegnen, dessen Pferd in so glänzender Weise herausgeputzt ist; er selbst aber hat weder Stiefel oder Schuhe noch Strümpfe, und seine Hose, seine Jacke sind so zerlumpt, daß ein europäischer Bettler sich sehr bedenken würde, ob die Polizei ihm erlauben werde, sich in einem solchen Habitus auf der Straße sehen zu lassen.

Dann vertrinkt und verspielt der Yerbatero das Geld, welches ihm übrig geblieben ist, verspielt schließlich sogar das Pferd mitsamt dem Flitterkram und kehrt in den Urwald zurück, um von neuem sechs oder neun Monate lang als Sklave seines Auftraggebers zu arbeiten. Da denkt er mit Wonne an die Tage zurück, in denen er als angestaunter Stutzer durch die Straßen von Montevideo, Asuncion oder Corrientes ritt.

Daß meine neuen Freunde, heute, wo sie Montevideo verließen, sich noch im Besitze all dieses Putzes befanden, war ein sicherer Beweis, daß sie nicht zu den ärmsten ihres schweren Berufes gehörten.

Sennor Mauricio Monteso war vom Pferde gestiegen und kam herauf zu mir in das Zimmer, um mich abzuholen. Ich ging ihm bis an die Thüre entgegen, um ihn zu begrüßen. Er aber hörte die Worte gar nicht, welche ich sagte, und sah auch nicht, daß ich ihm die Hand entgegenstreckte. Er war unter der geöffneten Thüre stehen geblieben und starrte mich mit einem unbeschreiblichen Erstaunen an. Er schien ganz fassungslos zu sein. Sprachlos war er ganz bestimmt, denn er hatte den Mund weit offen, brachte aber keinen Laut heraus.

»Willkommen, habe ich gesagt, Sennor!« erinnerte ich ihn. »Hoffentlich komme ich Ihnen nicht ganz unbekannt vor, und Sie erinnern sich, was wir gestern miteinander gethan und gesprochen haben!«

»Gott stehe mir bei!« Diesen Ausruf stieß er hervor, weiter nichts.

»Was bringt Sie denn so sehr aus der Fassung?«

Er trat vollends in die Stube und machte wenigstens die Thüre zu.

»Kommen Sie doch zu sich!« lachte ich. »Was haben Sie denn an mir auszusetzen?«

Er faßte mich am Arme, zog mich näher zum Fenster, betrachtete mich vom Kopfe bis zu den Füßen und stieß dann ein so schallendes Gelächter aus, daß es klang, als ob die Fenster mitzitterten. Hierauf rief er aus:

»Sennor, was ist denn geschehen? Wer hat Ihnen denn das angethan? Man erlebt ein wahres Wunder an Ihnen. Ich muß mich in der Zeit verrechnet haben. Springen Sie mir doch zu Hilfe, und sagen Sie mir gütigst, ob wir gegenwärtig vielleicht in der Fastnachtszeit leben!«

Er begann von neuem zu lachen. Ich ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen. Ich wußte natürlich, daß mein Anzug es war, welcher ihn in diese überaus heitere Laune versetzte. Endlich, als er nicht mehr zu lachen vermochte, trat er weit von mir zurück, betrachtete mich durch seine beiden Hände, welche er sich wie ein Fernrohr vor das Auge hielt, und fragte:

»Sennor, sagen Sie mir einmal aufrichtig, wer von uns beiden ein Narr ist, Sie oder ich?«

Jetzt machte ich ein recht ernstes Gesicht, denn einen solch vertraulichen Ton wollte ich zwischen uns doch nicht aufkommen lassen, und antwortete:

»Jedenfalls Sie! Als ich Sie zum erstenmale sah, war Ihre Erscheinung mir ebenso fremd, wie die meinige jetzt Ihnen zu sein scheint; aber ich habe mich wohl gehütet, mich über Sie lustig zu machen oder gar Sie einen Narren zu nennen.«

Das wirkte augenblicklich. Er ließ die Hände sinken und sagte in entschuldigendem Tone:

»Verzeihen Sie, Sennor! So waren meine Worte nicht gemeint. Aber Sie geben doch zu, daß Sie in diesem Anzuge eine gar zu komische Figur machen!«

»Das gebe ich durchaus nicht zu. Mir erscheint es vielmehr komisch, mit nackten Beinen in den Urwald zu wollen und das Pferd mit Flittern zu behängen, während der Reiter die Hose und Jacke voller Flecke und Löcher hat. Wenn Sie mich für einen so komischen Menschen halten, welcher die Lachlust anderer herausfordert, so haben Sie es frei, sich nach einem ernsteren Begleiter umzusehen!«

Jetzt wurde er ängstlich.

»Aber bitte tausendmal um Verzeihung, werter Sennorl Ich wiederhole, daß ich ganz und gar nicht die Absicht hegte, mich über Sie lustig zu machen. Sie kommen mir so außerordentlich fremdartig vor, daß es mir für den Augenblick unmöglich war, an mich zu halten. Nehmen Sie das ja nicht übel, und haben Sie lieber die Güte, mir zu erklären, in welcher Weise diese lederne Kleidung für unsre Reise geeignet sein soll! «

»Das ist ganz genau der Anzug eines nordamerikanischen Westmannes.«

»So mag ein solcher Lederanzug wohl für Nordamerika passen, aber für den Süden doch unmöglich.«

»Sie scheinen anzunehmen, daß es im Norden nur kalt und im Süden nur warm ist. Am Aequator ist die größte Hitze; je weiter man sich von demselben nach Norden oder Süden entfernt, desto mehr nimmt die Wärme ab. Wir befinden uns gegenwärtig fünfunddreißig Grad südlich des Aequators. Ebenso viele Grade nördlich desselben haben wir im allgemeinen dasselbe Klima zu suchen. Ich habe mich aber noch weit südlicher befunden und dabei doch die lederne Kleidung getragen.«

»Das ist mir zu gelehrt.«

»So will ich populärer sein. Sie haben im allgemeinen hier warme Tage und kalte Nächte. Das Leder aber ist ein schlechterer Wärmeleiter als das Zeug, aus welchem Ihre Kleidung besteht. Infolgedessen werde ich am Tage weniger schwitzen und des Nachts weniger frieren als Sie. Während Sie sich des Nachts in mehrere Ponchos hüllen, schlafe ich in dieser Kleidung im Freien, ohne daß die Kühle mich aus dem Schlafe weckt.«

»Dann wäre sie freilich praktisch!«

»Sie haben hier oft starke Regengüsse. Durch dieses indianisch zubereitete Leder dringt der Regen nicht, während er bei Ihnen sofort bis auf die Haut geht. Mir können die Stachelgewächse des Urwaldes nichts anhaben, während Ihnen die Kleidung durch die Dornen in Fetzen gerissen wird. Und sehen Sie, wie eng meine Kleidung am Halse schließt! Kein Moskito vermag es, bis auf meine Haut zu dringen. Wie aber steht es bei Ihnen?«

»O, Sennor,« seufzte er, »wenn ich mich vier oder fünf Tage bei der Arbeit befinde, so ist mein ganzer Körper ein einziger Moskitostich!«

»So wird es Ihnen sehr leicht sein, einzusehen, daß Sie über etwas gelacht haben, um was Sie mich beneiden sollten.«

»Ja, aber Sie können sich doch gar nicht bewegen! Sie sehen aus wie ein Taucher in seiner Rüstung. Diese schrecklichen Stiefel!«

Er betastete die genannte Fußbekleidung, deren Aufschlageschäfte mir allerdings sogar die Oberschenkel bedeckten.

»Sie sind nicht schrecklich, sondern außerordentlich praktisch. Durch diese Stiefel dringt kein Giftzahn einer Schlange und auch kein Wassertropfen. Ich reite bis zur Sattelhöhe im Flusse, ohne naß zu werden.«

»Und diese Hose mit den eigentümlichen Fransen!«

»Das sind indianische Leggins, aus der Haut einer Elenkuh gefertigt, fast unzerreißbar zu nennen.«

»Und dieses Kleidungsstück?«

»Ist ein indianisches Jagdhemde aus dem Felle eines Büffelkalbes. Es ist so dünn und leicht wie ein Leinwandhemde, reißt nicht und kann gewaschen werden. Und das Oberkleid ist ein indianischer Jagdrock aus Wapitifell, dessen Zubereitung über ein Jahr erfordert hat. So dünn das Leder ist, es dringt kein Pfeil hindurch, der nicht ganz aus der Nähe abgeschossen ist.«

»Das wäre prächtig! Wissen Sie, Sennor, daß es im Gran Chaco und den angrenzenden Nordgegenden Indianer giebt, welche sich vergifteter Pfeile bedienen? Nur ein leiser Ritz durch einen solchen Pfeil tötet den Getroffenen binnen kurzer Zeit!«

»Das weiß ich, und gerade darum habe ich diesen Anzug mitgebracht.«

»Ich beginne einzusehen, daß ich unrecht hatte. Aber die Hauptsache fehlt, Sennor, die Sporen.«

»Die habe ich eingepackt. Ich lege sie nur an, wenn ich sie brauche.«

»Aber Sie werden ja reiten und brauchen sie also! Kein hiesiges Pferd läuft, ohne daß es die Sporen bekommt.«

»Das hat seinen Grund. Sie gebrauchen dieses Reizmittel zu oft, so daß die Pferde es gar nicht mehr beachten und Sie es in stets größerer Stärke anwenden müssen. Ich bin tagelang geritten, ohne das Pferd mit dem Stachel berührt zu haben. Das ist eben das Kennzeichen eines guten Reiters. Er braucht die Haut des Pferdes nur ganz leise mit dem Sporn zu berühren, so geht es bereits in die Luft.«

Was für Augen machte mir da der Mann! Einen Vortrag wie diesen hatte er nicht erwartet; aber er schwieg. Er betrachtete meine Gewehre, meine Revolver, den Inhalt meines Gürtels. Er fand viel, was ihm unnötig erschien, und er vermißte noch weit mehr, was er für das größte Bedürfnis hielt. Doch unterließ er es, sich darüber in eine Diskussion einzulassen. Meine Abweisung seiner Kordialität wirkte noch nach, und das konnte gar nichts schaden.

Vom Fenster aus bemerkte ich das ledige Pferd, welches für mich bestimmt war. Es war nicht mehr wert als die andern auch. Es blutete ebenso an den beiden Weichen und hatte einen tückisch ängstlichen Blick wie alle diese Tiere, welche keine Liebe und Pflege finden.

»Das ist für mich?« fragte ich.

»Ja, Sennor. Ich habe Ihnen das ruhigste und zuverlässigste ausgewählt.«

»Dafür bin ich Ihnen nicht dankbar, ebensowenig auch dafür, daß Sie es angeputzt haben wie die andern. Ich liebe das nicht. Sie können das alles abnehmen und die Decke auch. Ich reite hart und sitze also auf dem bloßen Sattel.«

»Behüt‘ mich Gott, sind Sie ein Mann! Sie werden es bereuen, die Decken verschmäht zu haben! Soll ich hinabgehen, um sie wegzunehmen?«

»Ja, bitte!«

Er ging.

Ich hatte noch einen zweiten, sehr triftigen Grund, diese Decken zurückzuweisen, aber ich sagte ihm denselben nicht. Dieser Grund bestand in dem Ungeziefer, mit welchem diese Leute bis zur Ueberfülle behaftet zu sein pflegen, und ich fühlte keine Lust, gleich am ersten Tage mit einer solchen Einquartierung bedacht zu werden.

Durch das Fenster blickend, sah ich, daß er die Decken abschnallte. Dabei schien er seinen Gefährten etwas zu erklären. Ich vermutete, daß er ihnen verbot, über meinen ungewöhnlichen Anzug zu lachen. Er schob das Tier hin und her, und dabei bemerkte ich, daß das Pferd das eine Hinterbein schnell und zuckend hob, im Sprunggelenk stark bog und rasch wieder auf den Boden setzte. Ah, hielt man mich für einen so schlechten Reiter, daß man mir ein solches Tier anbieten konnte? Ich öffnete das Fenster und rief hinab:

»Aber, Sennor, das Pferd leidet ja ganz stark am Zuckfuß!«

»Nur ein wenig,« antwortete er herauf.

»Das ist mehr als ein wenig!«

»Sie werden es nicht bemerken, wenn Sie im Sattel sitzen!«

»Ich werde gar nicht auf diesem Pferde sitzen.«

Ich machte das Fenster zu, um den Wirt aufzusuchen. Er gehörte zu den wenigen, welche einen Stall besaßen. In demselben hatte ich mehrere Pferde stehen sehen, von denen eins mir besonders gefallen hatte. Er stand mit seiner ganzen Dienerschaft bereit, mir einen höflichen Abschied zu bereiten. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er war bereit, mir das Pferd abzulassen, und ließ es in den Hof bringen. Ritt ich schlechte Pferde, so war ich gezwungen, oft zu wechseln. Ich brauchte ein Tier, welches sich an mich gewöhnte und auf welches ich mich verlassen konnte. Wechseln wollte ich so wenig wie möglich, am liebsten gar nicht.

Ja, das war ein ganz anderes Tier als der Zuckfuß! Ein vierjähriger Brauner, voll Feuer, stark und doch elegant gebaut, mit hübsch aufgesetztem Halse und prächtiger Hinterhand. Die Yerbateros standen dabei und betrachteten ihn mit bewundernden Blicken.

»Da darf man sich noch nicht aufsetzen,« erklärte Monteso. »Der muß erst einen Tag lang nebenher gehen, um müde zu werden.«

»Ja,« stimmte der Wirt bei. »Er wurde nicht gebraucht und hat über eine Woche im Stalle gestanden. Uebrigens reite ich ihn nur selbst. Er duldet keinen andern im Sattel. Sie werden Ihre Not haben, wenn Sie ihn kaufen, Sennor!«

»Was kostet er?« fragte ich kurz, anstatt der Antwort.

»Sie sollen ihn für fünfhundert Papierthaler haben.«

Das waren nach deutschem Gelde achtzig Mark. Ich handelte nichts ab und zahlte ihm die Summe sofort aus. Ich hätte ihm auch noch mehr gegeben. Im Stalle hatte ich einen englischen Sattel mit zugehörigem Zeuge hängen sehen. Ich kaufte auch das noch und hatte dafür hundert Papierthaler, also sechzehn Mark, zu zahlen.

Nun war Pferd und Sattel mein, und ich konnte machen, was mir beliebte. Sämtliche Insassen und Bewohner des Hotels hatten sich auf dem Hofe eingefunden. Der Braune hatte keinen Augenblick still gestanden. Er sprang in graziösen Bewegungen im Hofe umher, und der Peon, welcher ihn aus dem Stalle gelassen hatte, gab sich vergeblich Mühe, ihn am Halfterbande zu fassen. Als noch zwei andere Knechte sich diesen Bemühungen anschlossen, wurde das Pferd geradezu wild und verteidigte sich mit den Hufen gegen die es bedrängenden Männer. Es wurden Lassos herbeigeholt; aber das Tier schien die Weise, wie man sich dieser Riemen bedient, genau zu kennen. Er that so oft die Schlinge geflogen kam, um sich um seinen Hals zusammenzuziehen, einen Seitensprung, durch welchen es ihm gelang, der Gefangenschaft auszuweichen.

Monteso lachte die Knechte aus. Er behauptete, sie seien im Gebrauche des Lasso nicht geschickt genug. Aber als er es dann selbst versuchte, hatte er ganz denselben Mißerfolg, wie sie, und seinen Kameraden erging es ebenso.

»Sennor, Sie müssen sich der Bola bedienen,« sagte er zu mir. »Das Pferd hat den Teufel im Leibe. Werden ihm nicht die Kugeln um die Hinterbeine geworfen, so daß es stürzen muß, so bekommen Sie es nicht in Ihre Gewalt.«

»Meinen Sie? Ich denke, daß der Lasso genügend ist, es zu fangen. Denn ich glaube, daß es bisher am nötigen Geschick gefehlt hat.«

Er machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht und musterte mich mit einem Blicke, ungefähr wie ein Rechenkünstler einen Schulknaben ansehen würde, welcher behauptet, im Kopfe aus einer hundertstelligen Zahl die Kubikwurzel ziehen zu können.

»Das klingt sehr hübsch aus Ihrem Munde!« lachte er. »Getrauen etwa Sie sich, es besser zu machen als wir alle? So versuchen Sie es! Sie werden ausgelacht werden, wie ich.

Ich rollte meinen Riemen auf, legte die Schlinge und näherte mich dem Pferde. Es sprang weiter, und ich folgte ihm langsam von der Seite. Dabei schwang ich den Lasso um den Kopf. Jetzt machte ich eine schnelle Armbewegung, als ob ich die Schlinge schleudern wolle, that dies aber nicht. Der Braune ließ sich betrügen; er machte einen Seitensprung. Kaum jedoch hatten seine Hufe den Boden wieder berührt, so flog ihm der Riemen um den Hals. Ich hielt das andere Ende desselben fest und wurde vom Pferde einmal um den Hof gezerrt. Dabei aber zog sich die Schlinge so fest zusammen, daß dem Tiere der Atem verging und es stehen bleiben mußte. Augenblicklich stand ich neben ihm und sprang auf. Ich lockerte die Schlinge, und nun gab es sich alle Mühe, mich abzuwerfen. Es folgte ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, welcher mir den Schweiß in dicken Tropfen in das Gesicht trieb; aber ich blieb Sieger, und der Braune mußte sich ergeben.

Nun stieg ich ab, schickte nach meinen Sachen, welche sich noch oben in dem Zimmer befanden, und legte dem Pferde indessen den Zaum an. Als ich dann meine schöne Santillodecke auf den Rücken des Pferdes gab, um den Sattel darauf zu legen, sagte Monteso:

»Sie sind ein sehr tüchtiger Reiter, Sennor!«

»Und wie ist es mit dem Lasso?«

»Nun, den werfen Sie ausgezeichnet. Ich bin beinahe überzeugt, daß Ihre Begleitung uns wenigstens keine schweren Hindernisse bereiten wird.«

»Ich danke Ihnen für diese Aufrichtigkeit! Vielleicht sehen Sie ein, daß ich Ihnen nützlich, anstatt hinderlich bin. Steigen wir jetzt auf!«

Meinen Henrystutzen umhängend, stieg ich in den Sattel und ritt auf die Straße. Der Wirt und seine Untergebenen machten mir tiefe Verbeugungen und knixten noch hinter mir her. Der Umstand, daß ich mich nicht vom Pferde hatte werfen lassen, hatte ihre Achtung für mich erhöht.

Der erste Mensch, welchen ich sah, als ich auf die Straße kam, war Sennor Esquilo Anibal Andaro, der famose Haziendero, welcher mir den Bravo nachgeschickt hatte. Er stand dem Thore des Hauses gegenüber, und es hatte den Anschein, als ob er nur gekommen sei, Zeuge meiner Abreise zu sein. Wußte er denn, daß ich jetzt Montevideo verlassen wollte? Von wem hatte er das erfahren können? Er warf einen langen, giftigen und dabei wie triumphierenden Blick auf mich. Wäre ich willens gewesen, noch länger hier zu bleiben, so hätte dieser Blick mich warnen müssen, denn derselbe sagte mir ganz deutlich: »Gestern ist es nicht gelungen, aber ich habe dir eine andere Falle gestellt, in welcher du ganz gewiß stecken bleiben wirst!«

Einen Augenblick hatte ich zu warten, bis die Yerbateros aufgestiegen waren. Als wir uns dann in Bewegung setzten, kam Andaro auf uns zu, schritt schnell quer vor dem Kopfe meines Pferdes vorüber und rief mir dabei in höhnischem Tone zu:

»Glück zur Reise, Sennor!«

Ich antwortete ihm natürlich kein Wort, sondern that, als ob ich ihn gar nicht gesehen hätte. Monteso aber war ganz ergrimmt über diese Frechheit. Er stieß seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es emporstieg, riß es zur Seite und zwang es dann, einen Satz zu thun, durch welchen Andaro zur Erde geschleudert wurde. Seine Flüche und Verwünschungen folgten uns laut nach.

»Dieser Halunke hätte eigentlich von meinem Pferde zertreten werden sollen!« schimpfte der Yerbatero. »In seinem Gesicht lag etwas Drohendes; blieben wir noch da, so hätten wir wohl Gefahr zu befürchten.«

»Davon bin ich überzeugt. Ja, ich möchte fast glauben, daß er jetzt noch im Sinne hat, mir eine Schlinge zu legen. Vielleicht ist sie schon gelegt, und ich tappe ganz ahnungslos hinein.«

»So sah er allerdings aus. Aber worin könnte diese Schlinge bestehen? Höchstens könnte er irgendwo einen Kerl hingestellt haben, welcher auf Sie schießen soll.«

»Das ist möglich. Kommen wir durch Waldung?«

»Welch eine Frage! Von Waldung ist hier keine Rede. Das Land besteht aus lauter wellenförmigen Erhöhungen, in deren Vertiefungen, wenn es Feuchtigkeit giebt, ein lichtes Buschwerk steht. Bäume aber finden Sie nur an den Gebäuden stehen, welche über das Land zerstreut liegen.«

»So würden wir also einen Hinterhalt, den man mir gelegt haben könnte, sofort bemerken?«

»Augenblicklich. Uebrigens werde ich zwei meiner Leute beordern, in gewissem Abstande voran zu reiten, so lange wir rechts und links noch Bauten haben, hinter denen jemand stecken könnte. Indessen sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen, denn es reitet ein Sennor mit uns, welcher uns in dieser Beziehung von Nutzen sein kann.«

»Wie? Sie haben, ohne mich vorher zu fragen, jemanden die Erlaubnis erteilt, sich uns anzuschließen?«

»Ja, denn ich war Ihrer Zustimmung sicher, wenn es überhaupt einer solchen bedarf.«

Er sagte das in etwas wichtigem Tone. Darum antwortete ich:

»Gewiß bedarf es meiner Einwilligung. Ich pflege nur mit Leuten zu reisen, welche mir angenehm sind. Darum hätte es sich ganz von selbst verstanden, daß Sie mich vorher fragen mußten.«

»Ich bitte aber, zu bedenken, daß eigentlich ich der Anführer unserer kleinen Reisegesellschaft bin!«

»Einen Anführer giebt es nicht. Meiner Ansicht nach hat jeder gleiche Rechte. Sie mögen die Direktion haben, wenn Sie mit Ihren Kameraden in den Urwald reiten, um Yerba zu sammeln. Da ich aber kein unter Ihnen stehender Yerbatero bin, so kann ich Sie nicht als meinen Anführer anerkennen. Soll ich von den Anordnungen eines andern abhängig sein, so reise ich lieber allein.«

Hatte ich vorhin seine allzu große Vertraulichkeit zurückgewiesen, so mußte ich ihn jetzt von dem Gedanken abbringen, daß ich in irgendwelche Abhängigkeit zu bringen sei. Er war ganz gewiß ein sehr braver Mann; aber er durfte nicht glauben, auch nur den geringsten Vorrang vor mir zu haben. Leute seines Bildungsgrades greifen dann leicht weiter, als sie eigentlich sollen. Meine Worte versetzten ihn in Bestürzung.

»So ist es nicht gemeint, Sennor!« sagte er schnell. »Ich habe Ihnen nicht zu gebieten; das weiß ich ja. Es fällt mir gar nicht ein, Ihnen gegenüber den Anführer spielen zu wollen. Wenn ich ja ein kleines Vorrecht beanspruche, so ist es nur dasjenige, Sie beschützen zu dürfen.«

»Dagegen habe ich freilich gar nichts.«

»Und darüber, daß ich diesem Caballero erlaubt habe, mit uns zu reiten, dürfen Sie nicht zürnen. Sie haben keine Veranlassung dazu.«

»Also ein Caballero ist er, kein gewöhnlicher Mann?«

»Er ist ein fein gebildeter Herr, ein höherer Polizeibeamter.«

»So habe ich nichts gegen seine Begleitung einzuwenden, vorausgesetzt, daß er das auch wirklich ist, wofür er sich ausgiebt.«

»Natürlich ist er es. Warum sollte er es nicht sein und mich belogen haben?«

»Hm! Aus Ihren Worten ist zu vermuten, daß Sie ihn eigentlich nicht genau kennen?«

»Ich kenne ihn, und zwar sehr gut.«

»Seit wann?«

Er wurde ein wenig verlegen.

»Nun,« antwortete er, »eigentlich erst seit – gestern.«

»Ah! Das nennen Sie eine gute Bekanntschaft?«

»Unter diesen Umständen, ja. Sie selbst kennen ihn ja auch. Erinnern Sie sich nur des Herrn, welcher sich gestern abend in unsere Nähe setzte und um die Erlaubnis bat, mit uns spielen zu dürfen. «

»Dieser ist es? Hm!«

Ich brummte nachdenklich vor mich hin. Dies veranlaßte ihn zu der Frage:

»Haben Sie etwa ein Bedenken?«

»Ja. Für ein so wichtiges Amt, welches große Erfahrungen und eine ziemlich bedeutende Karriere voraussetzt, scheint der Mann doch wohl zu jung zu sein.«

»Denken Sie das nicht! Hier macht man schneller Karriere als anderwärts. Es giebt noch höhere Beamte, welche nicht viel älter sind. Sie werden ihn als einen hochgebildeten und sehr unterrichteten Mann kennen lernen. Als ich ihm mitteilte, daß ein vielgereister Deutscher mit uns reite, war er ungemein erfreut davon.«

»Wo befindet er sich jetzt? Holen wir ihn an seiner Wohnung ab?«

»Nein. Wir verabredeten, daß wir draußen vor der Stadt mit ihm zusammentreffen würden.«

»Das ist mir nicht lieb. Ein Beamter von solcher Stellung gesellt sich nicht draußen vor der Stadt wie ein Wegelagerer zu seinen Reisegenossen. Warum kam er nicht in das Hotel, sich mir vorzustellen? Warum läßt er sich nicht an seiner Wohnung abholen? Kennen Sie überhaupt dieselbe?«

»Nein.«

»Aber wenigstens ist Ihnen sein Name bekannt?«

»Ja. Er heißt Sennor Carrera.«

»Der Name klingt gut. Wollen hoffen, daß er zu dem Manne stimmt! Wären wir nach seiner Wohnung geritten, um ihn abzuholen, so hätten wir den Beweis gehabt, daß er wirklich derjenige ist, für den er sich – — ah, Sennor, welch eine Nachlässigkeit!«

Ich hatte während der letzten Worte an meine Tasche gegriffen, als ob ich etwas suche. Jetzt hielt ich mein Pferd an und ließ ein möglichst beunruhigtes Gesicht sehen.

»Was ist‘s? Was fehlt Ihnen?« fragte er.

»Soeben bemerke ich, daß ich meinen Geldbeutel im Hotel auf dem Zimmer liegen gelassen habe.«

»Das ist kein Unglück, denn er liegt jedenfalls noch dort. Ich werde einen meiner Leute zurücksenden, ihn zu holen.«

»Danke! Ich hole ihn selbst. Mein Pferd ist wohl schneller als die Ihrigen. Wenn Sie langsam reiten, werde ich Sie bald einholen.«

Ohne seine Gegenrede abzuwarten, wendete ich mein Pferd und galoppierte zurück, aber nicht nach dem Hotel, denn ich hatte den Geldbeutel in der Tasche, vielmehr nach dem Polizeigebäude, welches in der Nähe des Domes lag. Dort angekommen, band ich das Pferd an und ließ mich dann zu dem obersten der anwesenden Beamten führen. Der Mann machte große Augen, als er mich in dem hier so fremdartigen Trapperanzug eintreten sah. Ich stellte mich ihm vor und fragte, ob es einen Comisario criminal Carrera gebe.

»Nein, den gibt es nicht, Sennor,« lautete die Antwort. »Wahrscheinlich haben Sie als Fremder den Namen verhört?«

»O nein. Der Mann hat sich selbst als einen Polizeibeamten dieses Ranges bezeichnet.«

»Gewiß war es ein Scherz.«

»Dann scheint aber Grund vorhanden zu sein, dem Scherze ein wenig zu Leibe zu gehen, weil ich vermute, daß der angebliche Kriminalist Böses im Schilde führt, und zwar gegen meine Person.«

»Dann muß ich mich freilich eingehender mit der Angelegenheit befassen. Bitte, setzen Sie sich!«

Er deutete auf einen Stuhl, auf welchem ich mich niederließ, und nahm an seinem Tische Platz. Dort legte er einige Bogen weißen Papieres vor sich hin, tauchte die Feder in die Tinte und begann:

»Zunächst muß ich mir Ihren Namen, Ihr Alter, Ihre Nationalität, den Geburtsort, den Stand, die Vermögensverhältnisse, den Grund Ihrer Anwesenheit und anderes notieren. Sie werden die Güte haben, mir meine Fragen zu beantworten.«

»Um Himmels willen!« rief ich, gleich wieder aufstehend. »Soll das ein wirkliches, ausführliches Legitimationsverhör werden?«

»Allerdings. Es ist unumgänglich nötig!«

»Ich kam nur, um Anzeige zu erstatten und Sie zu ersuchen, mir einen Beamten mitzugeben, welcher sich des Betreffenden bemächtigen soll.«

»Das ist sehr viel verlangt. Haben Sie denn ganz besondere Gründe, anzunehmen, daß der Mann Böses gegen Sie im Schilde führe?«

»Allerdings. Man hat gestern zwei Mordanfälle auf mich gemacht. Jetzt stehe ich im Begriff, nach Mercedes zu reiten. Ich befand mich bereits unterwegs; da erfuhr ich, daß ein junger Mensch mit uns will, welcher sich Carrera nennt und als Kriminalkommissar bezeichnet. Ich habe den Mann im Verdachte, sich in böser Absicht an meine Person machen zu wollen.«

»Was Sie da erzählen! Zwei Mordanfälle? Und davon wissen wir nichts! Sennor, Sie werden nicht nach Mercedes reisen. Wir müssen diesen Fall in die Hand nehmen und untersuchen. Sie werden als Zeuge hier bleiben.«

»Wie lange?«

»Das kann ich jetzt nicht wissen. Es kann einen oder auch mehrere Monate dauern.«

»Dann danke ich! So lange Zeit habe ich nicht. Mein Wunsch läuft nur darauf hinaus, von der Person befreit zu werden, welche sich einen falschen Stand beigelegt hat.«

»So müssen Sie auch in aller Form Anzeige erstatten.«

»Das thue ich ja hiermit!«

»Ja, aber der nötigen Form zu genügen, scheinen Sie eben nicht Lust zu haben. Ich muß auf jeden Fall die erwähnten Fragen aussprechen.«

»Und sie mit meinen Antworten zu Protokoll nehmen?«

»Ja. Dann werde ich Ihnen zwei Offizials mitgeben, welche den Mann arretieren und ihn mit Ihnen zu mir bringen.«

»Und dann?«

»Dann werde ich sofort die Vorarbeiten fertigen und die Sache dem Kriminalrichter übergeben.«

»Es wird also eine förmliche Kriminaluntersuchung anhängig gemacht werden?«

»Ganz selbstverständlich.«

»Und wie lange ist da meine Gegenwart notwendig?«

»Bis zum Urteilsspruch, also einige Wochen.«

»Das ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, Sennor. Ich muß nach Mercedes. Soll ich des Kerls wegen hier bleiben, so bedaure ich, Sie belästigt zu haben, und verzichte auf alles. Empfehle mich Ihnen!«

Ich setzte meinen Hut auf und eilte nach der Thüre.

»Halt, halt!« rief er mir nach. »Sie können verzichten, wir aber nicht. Da wir nun einmal wissen, daß —«

Mehr hörte ich nicht, denn nun war ich draußen. Aber hinter mir riß er die Thüre wieder auf und fuhr fort:

»Daß zwei Mordanschläge auf Sie gemacht worden sind —«

Jetzt war ich unten an der Treppe. Er stand oben und fügte hinzu, indem er mir nachkam:

»Gemacht worden sind, so sehe ich mich gezwungen, die Sache zu untersuchen und Sie – — – «

Ich befand mich unter dem Thore und band mein Pferd los. Er hatte die unterste Stufe erreicht und schrie:

»Und Sie bis Austrags der Sache hier festzuhalten. Darum muß ich Ihnen – — – «

Ich saß im Sattel, und er erreichte das Thor. Beide Arme nach meinem Pferde ausstreckend, wetterte er:

»Muß ich Ihnen jetzt allen Ernstes befehlen, hier zu bleiben, sonst werden Sie arretiert und so lange eingesperrt, bis – —«

Weiter vernahm ich nichts, denn ich jagte fort, nach der Markthalle zu, neben welcher mein Weg aus der Altstadt hinaus führte. Es fiel mir gar nicht ein, meine schöne Zeit an einen uruguayischen Kriminalprozeß zu verschwenden. Wollte er mich wirklich dazu zwingen, so konnte er ja versuchen, mich zu arretieren. Ich hatte nichts dagegen.

Es ging zur Bai hinab und dann wieder zu der Straße hinauf, an deren Ende die Yerbateros auf mich warteten.

»Nun,« rief Monteso mir entgegen, »da sind Sie endlich! Schon glaubte ich, Sie hätten aus Versehen eine andere Richtung eingeschlagen. Haben Sie das Geld gefunden?«

»Ich habe es. Und wo befindet sich der Gefährte, welchen wir erwarten? Ich sehe ihn nicht. Er hat doch vor der Stadt zu uns stoßen wollen!«

»Er wird noch etwas weiter vorangeritten sein.

Darf ich vielleicht annehmen, daß Sie sich nicht unfreundlich zu ihm verhalten?«

»Mein Betragen wird sich ganz genau nach dem seinigen richten.«

»So bin ich beruhigt, denn er ist ein außerordentlich höflicher Mann, ein Caballero durch und durch.«

»Was sich bei einem Comisario criminal von selbst versteht! «

Vielleicht hatte ich das in einem etwas ironischen Tone gesagt, denn Monteso fragte:

»Glauben Sie es immer noch nicht, daß er es ist?«

»Ich will Ihnen den Gefallen thun, keinen Zweifel mehr hören zu lassen.«

»Schön! Sie werden sich überzeugen, daß er wirklich ein Kriminalist ist. Er hat uns so viele interessante Fälle erzählt, in denen es ihm durch großen Scharfsinn und wahrhaft bewundernswerte Gewandtheit gelungen ist, die Schuldigen zu entdecken. Er hat oft sogar sein Leben riskiert.«

Wir hatten die Stadt bald so weit hinter uns, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Hier und da gab es noch ein vereinzeltes Feld, welches zum Schutze gegen die Herden von mächtigen Kaktus- und Agavehecken eingeschlossen war; sonst aber befanden wir uns im offenen Lande, dessen Charakter fast durch ganz Uruguay derselbe bleibt: eine hügelige Fläche, welche von dem feinen, selten über einen Fuß hohen Camposgrase bewachsen ist, und in den Vertiefungen lichtes Buschwerk, auf welches der Name Gebüsch eigentlich nicht angewendet werden konnte. Weidende Tiere sah man überall, Pferde, seltener Schafe, zumeist aber Rinder.

Ein vor uns reitender Mann hatte sich umgeblickt und uns gesehen. Er hielt sein Pferd an, um auf uns zu warten. Als wir ihm so nahe gekommen waren, daß ich sein Gesicht deutlich erblickte, erkannte ich den jungen Menschen, dem ich gestern abend meinen Stuhl überlassen hatte.

»Da haben wir Sie ja!« redete Monteso ihn an. »Guten Tag, Sennor! Hier sehen Sie den deutschen Caballero, von dem ich Ihnen erzählt habe.«

Der Mann war in weite, blaue Hosen und eine ebensolche Jacke gekleidet. Seine Weste war weiß, ebenso die Schärpe, welche er sich um die Taille geschlungen hatte und in welcher ein Messer und eine Pistole steckte. Ein Gewehr hing an seinem Sattelknopfe. Er zog den Hut vom Kopfe, erhob sich in den Bügeln und grüßte:

»Mei-ne Em-pfeh-lung, Herr!«

Das klang gebrochen und in einem Tone, wie wenn ein Papagei die ihm eingelehrten Worte ausspricht.

»Sie sprechen meine Muttersprache?« fragte ich spanisch.

»Nein,« antwortete er in derselben Sprache. »Ich kenne nur diesen Gruß, welchen ich mir in Buenos-Ayres gemerkt habe, wo ich mit Deutschen verkehrte. Ich wollte Sie durch die Klänge Ihres Vaterlandes erfreuen. Darf ich hoffen, daß Sie meinem Anschlusse an Ihre kleine Gesellschaft Ihre Zustimmung erteilen?«

»Jeder ehrliche Mann ist mir willkommen.«

»So nehmen Sie mir eine Sorge vom Herzen. Ich danke Ihnen sehr!«

Er reichte mir die Hand, und ich gab ihm die meinige. Der angebliche Kriminalist war höchstens dreißig Jahre alt. Sein Gesicht sah nicht so aus, wie dasjenige eines mutigen, sogar verwegenen Menschen. Weit eher hielt ich ihn für einen verschlagenen Feigling, welcher seine Absichten am liebsten durch Hinterlist auszuführen sucht.

Wir ritten weiter. Die Yerbateros hielten sich hinter uns. Sie mochten denken, es sei eine Pflicht der Höflichkeit, die beiden Vornehmen voran zu lassen. Wir waren also gezwungen, hier und da eine Bemerkung auszutauschen, doch erkannte ich bald, daß dem Comisario an meiner Nähe nichts gelegen sei. Er hielt sich außerordentlich wortkarg, jedenfalls aus Sorge, daß er sich verraten könne.

Dadurch, daß ich in die Stadt zurückgekehrt war, hatte Monteso seinen Vorsatz gar nicht ausführen können, zu meiner Sicherheit zwei seiner Leute voraus reiten zu lassen. Jetzt war dies gar nicht mehr nötig, denn wir befanden uns auf freiem Felde und hatten eine ganz vortreffliche Fernsicht. Ich wendete meine Aufmerksamkeit fast ausschließlich der Gegend zu, was dem Criminalo jedenfalls sehr lieb war. Die Pferde liefen gut, diejenigen der andern nur deshalb, weil sie ohne Unterlaß angetrieben wurden; mein Brauner aber wäre gern ein wenig mit mir durchgegangen; ich mußte ihn scharf im Zügel halten.

Wir gelangten noch vor Mittagszeit an einige niedrige Höhenzüge, auf denen einzelne Felsblöcke lagen. Dies waren die Ausläufer der Cuchilla, über welche wir hinweg mußten. Eine Stunde später sahen wir zu unsrer Rechten einen bewohnten Ort liegen, dessen Name mir entfallen ist. Vor demselben lag in einiger Entfernung ein ziemlich großes Gebäude, welches Monteso als Poststation bezeichnete.

Daß es eine solche sei, erkannte man an den vielen Geleisen, welche hier zusammentrafen, während sie sonst auseinander gehen, da ein jeder fährt, wie es ihm beliebt. Die Yerbateros hielten da an und erklärten, einen Schluck thun zu müssen. Auch ich stieg ab und setzte mich auf die mit Rasen bekleidete Lehmbank, welche vor dem Hause stand. Es gab einen Laden da. Der Criminalo ging hinein und brachte drei Flaschen Wein und Gläser heraus. Er hatte die Absicht, die Yerbateros zu traktieren, und auch ich sah mich gezwungen, ein Glas zu nehmen, dachte aber nicht daran, ihm Revanche zu geben.

In der Nähe des Hauses gab es einen kleinen Fluß, welcher sein Wasser dem Rio Negro zusendet. Die Ufer desselben waren scharf und tief eingeschnitten, und doch sah ich an den Geleisen, welche quer über den Fluß führten, daß man ihn zu Wagen passieren könne. Aber in welcher Weise das geschieht, bekam ich sehr bald zu sehen. Wir wollten eben aufbrechen, als sich uns aus der Gegend, aus welcher wir gekommen waren, ein Lärm näherte, als ob die wilde Jagd im Anzuge sei. Ich kehrte um die Ecke des Hauses zurück und erblickte eine der beschriebenen Diligencen, welche in rasendem Galoppe näher kam.

Der Kutscher und die drei Pferdeführer schlugen wie verrückt auf die Tiere los, welche alle ihre Kräfte anstrengten, das schwere Vehikel fortzuzerren. Ich glaubte, der Wagen müsse jeden Augenblick umstürzen, so ruckweise wurde er vorwärts gerissen. Die Kerle brüllten wie die Unsinnigen; aus dem Innern des Wagens und vom Verdecke ertönten kreischende und bittende Stimmen. Es gab Passagiere, welche um langsameres Fahren bitten oder hier am Hause einmal aussteigen wollten. Vergebens! Die Hetzjagd flog vorüber, auf den Fluß zu, das steile Ufer hinab, durch die hoch aufspritzenden Wasser und am jenseitigen Ufer wieder hinauf, wobei die Pferde vor Anstrengung fast auf den Bäuchen lagen. Mir wollte Hören und Sehen vergehen. Lieber auf dem allerschlechtesten Pferde reiten, als sich in einer solchen Kutsche über die Campos schleudern, schlingern und zerren lassen!

Nun brachen wir wieder auf. Wir mußten durch das Wasser, welches mir bis über die Füße ging. Drüben kam den Yerbateros der Gedanke, die Diligence einzuholen. Darum wurde im Galopp geritten. Als wir uns ihr näherten und der Beireiter unsre Absicht erkannte, ging er auf den tollen Wettlauf ein. Es war, als ob vor uns die ganze Hölle losgebrochen sei, so ein Gebrüll erhob sich. Die Hiebe fielen hageldicht auf die armen Pferde nieder. Der Wagen wurde in einzelnen Stößen fortgerissen. Er neigte sich bald nach rechts, bald nach links, und es sah aus, als ob er in großen Sprüngen über den Campo dahineile.

Alles, was sich bei und in dem Wagen befand, schrie, heulte und brüllte, die einen vor Angst und die andern in der Aufregung des Wettrennens. Meine Yerbateros erhoben auch ihre Stimmen. Es klang, als ob eine Rotte von Jaguaren oder Pumas die andere hetze.

Die Aufregung hatte auch mein Pferd ergriffen, aber ich hielt es zurück. Das Rennen war nicht nach meinem Geschmack. Die gesunden Glieder derer, welche in der Kutsche saßen, befanden sich in der größten Gefahr. Darum rief ich meinen Gefährten zu, abzulassen. Doch das war vergebens. Sie bearbeiteten mit ihren Sporen die Pferde, daß diese vor Schmerz wie unsinnig vorwärts rannten.

Das Terrain war hier ziemlich eben. Sobald aber die Kutsche an irgend ein Hindernis stieß, war hundert gegen eins zu wetten, daß sie umstürzen werde. Und da, da sah ich es von weitem, dieses Hindernis! Ein zwar nicht breiter, aber tief eingeschnittener Bach kam von der Seite her und floß quer über unsre Richtung. Alle diese Wasserläufe zeichnen sich durch solche schroff in den Lehm eingefressene Ufer aus.

Die Peons sahen die Gefahr natürlich auch; aber sie waren gewöhnt, gerade an solchen Stellen die größte Eile zu entfalten, und wollten sich nicht von uns einholen lassen. Rosse und Wagen flogen auf den Bach zu. Ein Sprung in das Wasser – die Diligence neigte sich nach rechts. Die drei Passagiere, welche auf dem Verdecke saßen, streckten vor Angst brüllend die Hände empor. Die Pferde kamen durch das Wasser. Sie rangen sich in gleicher Eile und mit der größten Anstrengung jenseits desselben empor, und der Wagen neigte sich nun nach links. Die Pferde waren auf der Höhe des Ufers angelangt und zogen, von den Peons gepeitscht, nun doppelt stark an. Das gab dem Wagen einen gewaltigen Ruck – er neigte sich wieder nach rechts – ein zweiter Ruck – die Diligence machte einen Sprung und fiel auf die zuletzt angegebene Seite. Sie wurde von den Pferden noch eine kurze Strecke weit fortgerissen. Die drei waren herabgeschleudert worden. Sie lagen an der Erde und streckten Arme und Beine von sich. Sie befanden sich in der Gefahr, von den Pferden meiner Yerbateros verletzt zu werden, denn wir hatten uns hart hinter der Diligence befunden.

Diese lag nun an der Erde, daneben der Mayoral mit zwei Passagieren, welche hinter ihm gesessen hatten. Das Pferd des Vorreiters war gestürzt, ebenso eins der beiden Tiere, welche sich hinter demselben befanden. Mehrere Lassos waren gerissen. Das Zuggeschirr ist nämlich in jenen Gegenden ein sehr mangelhaftes. Es besteht nur aus einem Riemen, welcher um den Leib des Pferdes läuft. An diesen Riemen wird ein Lasso befestigt und mit dem andern Ende an den Wagen gebunden.

Auf diese Weise müssen die Pferde den letzteren ziehen. Stürzt eins der Tiere, und muß es liegen bleiben, nun, so nimmt man ihm einfach den Riemen und den Lasso ab, und man ist mit ihm fertig.

Wir hielten neben dem verunglückten Vehikel an. Es herrschte da ein Skandal, welcher gar nicht zu beschreiben ist, Pferde und Peons wälzten sich am Boden. Die von ihren Sitzen Geschleuderten jammerten oder fluchten aus Leibeskräften. Noch weit schlimmer als sie waren diejenigen daran, welche im Innern der „Staatskutsche“ steckten. Diese lag jetzt auf der Seite, und die Passagiere befanden sich infolgedessen in jedenfalls nicht sehr bequemen Stellungen. Sie zeterten, so laut es ihre Lungen erlaubten. Ganz besonders kräftig ließ sich eine weibliche Stimme vernehmen.

»Mein Hut, mein Hut!« schrie sie unausgesetzt.

»Zum Teufel mit Ihrem Hute!« brüllte eine männliche Stimme. »Treten Sie mir nicht im Gesicht herum!«

»Ich bin verwundet! Hinaus, hinaus!« schrie ein anderer.

Ich sprang vom Pferde und öffnete den Schlag, welcher sich jetzt obenauf befand. Das Glasfenster desselben war zerbrochen, und jedenfalls waren die Trümmer desselben in das Innere des Wagens geflogen.

Zuerst erschien ein Mann, welcher am Arme verletzt sein mochte, denn er versuchte vergeblich, sich oben heraus zu arbeiten. Ich half ihm, dem engen und gefährlichen Gefängnisse zu entkommen. Dann schwang sich ein kleiner, schmächtiger Kerl heraus; nach ihm kam ein dritter, welcher so dick war, daß Monteso mir helfen mußte, ihn an das Tageslicht zu zerren.

»Mein Gott, mein Hut, mein Hut!« schrie es noch immer im Innern. »Treten Sie nicht, treten Sie nicht,

Sennor! Sie verletzen mich und verderben mir meinen schönen Hut!«

»Was geht mich Ihr Hut an! Lassen Sie mich hinaus!«

Der Passagier, welcher diese zornigen Worte ausgestoßen hatte, kam langsam herausgekrochen. Dann erschienen zwei lange Frauenarme, denen der Kopf der jammernden Dame folgte. Sie hatte ganz zusammengekauert im Wagen gesteckt. Jetzt ragte ihre Gestalt lang und dürr aus dem Schlage hervor.

»Mein Hut, mein Hut!« jammerte sie noch immer, als ob es sich um den Verlust eines geliebten Familiengliedes handle, so herzbrechend war ihre Stimme. Sie blutete im Gesicht; auch ihre Kleidung hatte unter den erhaltenen Stößen, Tritten und Verletzungen gelitten.

»Steigen Sie nur erst aus, Sennora!« sagte ich. »Ihr Hut wird dann auch gewiß gerettet werden.«

»O, Sennor, er ist ganz neu, die allerneuste Pariser Façon! Ich habe ihn erst gestern in Montevideo gekauft.«

»Bitte, retten Sie sich nur selbst erst! Ich werde Ihnen helfen, wenn Sie es mir erlauben.«

Ich stieg auf den alten Kasten, faßte sie um die Taille und hob sie heraus und herab. Sie war noch länger als ich selbst. Kaum hatte sie den Boden berührt, so beugte sie sich über die Oeffnung des Kutschenschlages und langte in dieselbe hinein. Sie brachte einen formlosen Gegenstand heraus, den sie einen Augenblick lang vor sich hinhielt, um ihn zu betrachten, dann aber vor Entsetzen fallen ließ.

»O, welch ein Schmerz, welch ein Unglück!« rief sie aus, indem sie die Hände zusammenschlug. »Die Hutschachtel ist ganz zusammengetreten; wie mag da erst der Hut aussehen!«

Sie befand sich in der größten Aufregung. Die Sorge um den kostbaren Schmuck ihres Hauptes war noch größer, als diejenige um sich selbst. Aber ihre Klagen waren nicht die einzigen, welche man hörte. Wer einen Mund hatte, ließ seine Stimme vernehmen. Die einen untersuchten fluchend ihre Gliedmaßen; die andern schimpften aus Leibeskräften auf den Mayoral und die Peons ein; die letzteren wieder zankten untereinander, da ein jeder dem andern die Schuld des Unglückes beimaß. Die Passagiere drohten mit Beschwerde und Klage auf Schadenersatz und Erstattung der Kurkosten. Die Lenker des Wagens und der Rosse verteidigten sich mit der Behauptung, die Passagiere hätten die Pferde durch ihr grundloses und unnützes Geschrei erschreckt und wild gemacht. So wurden die Vorwürfe hin- und zurückgeworfen, und es wäre wohl gar eine tüchtige Prügelei entstanden, wenn die Yerbateros sich nicht Mühe gegeben hätten, die streitenden Parteien zu trennen.

Sich zunächst um die Hauptsache, nämlich den Wagen zu bekümmern, war noch keinem eingefallen. ich untersuchte ihn und fand, daß die beiden rechtseitigen Räder, auf denen die Kutsche jetzt lag, zerbrochen waren, das eine geradezu in Stücke.

Als ich das mitteilte, erhob sich der eben erst gestillte Lärm von neuem, denn der Mayoral erklärte, daß zunächst an eine Fortsetzung der Fahrt nicht zu denken sei. Er wolle versuchen, die Räderstücke durch Lassos zusammen zu binden. Das werde, selbst wenn es gelinge, lange Zeit in Anspruch nehmen, und dann könne man nur im Schritte weiter fahren.

Als die Dame, welche noch immer neben ihrem an der Erde liegenden Hutfutterale stand, dies vernahm, schrie sie:

»Welch ein Unglück! Welch ein Elend! Stundenlang warten! Und dann im Schritt fahren! Das darf ich nicht zugeben!«

Sie trat zum Mayoral, nahm eine sehr kampfesmutige Haltung an und schrie ihm in das vor Verlegenheit hochrote Gesicht:

»Sennor, behaupten Sie wirklich, daß wir nicht sofort aufbrechen können?«

»Das ist leider hier nicht zu ändern. Wir müssen versuchen, uns so leidlich wie möglich bis nach San Lucia zu schleppen. Vielleicht finden wir dort ein Fahrzeug.«

»Vielleicht finden wir, vielleicht! Sennor, auf Ihr Vielleicht kann ich mich nicht einlassen! Ich befehle Ihnen strengstens, ganz gewiß eine Kutsche zu finden, und jetzt sofort aufzubrechen!«

»Das ist unmöglich. Sie werden das einsehen!«

»Nichts sehe ich ein, ganz und gar nichts! Ich erkenne keine Unmöglichkeit an! Was ich verlange und wir alle verlangen, muß möglich gemacht werden. Wissen Sie, wer ich bin, Sennor?«

»Ich schmeichle mir, Sie allerdings oft gesehen zu haben, kann aber Ihre Frage nicht genau beantworten.«

»Ich bin die Schwester des Bürgermeisters von San José, heiße Sennora Rixio und bin die Gattin des Kauf- und Handelsmannes gleichen Namens. Wissen Sie es nun?«

Er bejahte durch eine stumme Verneigung.

»Und,« fuhr sie fort, »ich muß unbedingt auf das schnellste nach Hause. Ich habe heute abend eine Gesellschaft, eine großartige Tertullia, zu welcher die Vornehmsten der Stadt geladen sind. Ich kann meinen Pflichten nicht entsagen und die Gäste auf mich warten lassen. Ich bin die Leiterin, die Königin des gesellschaftlichen Lebens und darf mir nicht die Blöße geben, bei einer Tertullia zu fehlen, zu welcher ich selbst die Einladung erlassen habe. Sie haben alle Rücksicht auf diese meine Stellung zu nehmen und augenblicklich aufzubrechen!«

Die „Königin des gesellschaftlichen Lebens“ sagte das in einem Tone, welcher unter andern Verhältnissen geeignet gewesen wäre, jeden Versuch eines Widerspruches abzuschneiden. Die andern Passagiere, von denen glücklicherweise keiner eine wirkliche Verletzung davongetragen hatte, standen still umher. Sie sahen ein, daß es für sie am allerbesten sei, zu schweigen, da die energische Dame ihre Angelegenheit nach besten Kräften führen werde. Der Mayoral aber deutete kopfschüttelnd auf den Wagen und blieb bei seiner Behauptung:

»Es ist wirklich ganz unmöglich, Ihrem Wunsche nachzukommen. Sie müssen sich ebenso wie wir alle in die Notwendigkeit fügen!«

»Das fällt mir nicht im Schlafe ein! Ich bin wegen meiner Tertullia nach Montevideo gefahren, um mir einen Hut nach dem neuesten Pariser Muster zu holen. Den Hut habe ich und nun muß ich unbedingt heim, um ihn – — O Himmel!« unterbrach sie sich. »Dort liegt er an der Erde! Wie wird er aussehen! In welchem Zustande mag er sich befinden! Ihre Diligence geht mich nichts an; sie möchte immerhin zerschellt und zerbrochen sein; aber mein Hut, mein Hut! Welch ein schweres Geld habe ich zahlen müssen; nun ist er verschimpfiert, und ich soll außerdem zu spät zur Tertullia kommen! Ich glaube, ich falle in Ohnmacht, wenn ich die Schachtel öffne!«

Sie eilte zu der Stelle zurück, an welcher der Hut lag, und ich hob denselben auf, um ihn ihr hinzureichen. Kein Maler hätte es vermocht, das Gesicht wiederzugeben, welches sie machte, als sie die zusammengequetschte Form nun näher betrachtete, als es vorhin der Fall gewesen war. Nie wieder habe ich bei einer Dame ein so deutlich ausgesprochenes Herzeleid gesehen, auf einen erhofften Vorzug verzichten zu müssen. Die Klagen, welche sie ausstieß, hätten eigentlich Lachen erregen müssen, erweckten aber meine Teilnahme. Sie bemühte sich vergeblich, die verbogene Schachtel zu öffnen. Endlich warf sie dieselbe zur Erde und rief im höchsten Zorne:

»Ich kann nicht einmal zu dem Hute! Man hat mir auf denselben getreten. Das herrliche Frühjahrsmodell ist mir verdorben. Wer kann es mir ersetzen, und wer wird mich überhaupt entschädigen, wenn ich meine Tertullia versäume! Ich werde es meinem Bruder sagen, die ganze Gesellschaft einzusperren!«

Ich hob die weggeworfene Schachtel wieder auf, betrachtete sie und sagte in tröstendem Tone:

»Vielleicht läßt sich der Schaden wieder heilen, Sennora!«

»Das ist unmöglich! Sie sehen ja, wie zusammengedrückt das Dings ist! Man kann es ja nicht einmal öffnen!«

»Darf ich es versuchen?«

»Bitte, bitte, haben Sie die Güte! Vielleicht gelingt es Ihnen besser als mir.«

Es gelang mir allerdings besser, aber erst nach längerem Bemühen. Ich bog zunächst die Knillen der Schachtel aus und zog sodann das „Frühjahrsmodell“ aus derselben. O weh! Wie sah der Hut aus! Er war von sehr hoher Façon gewesen, jetzt aber ganz und gar zusammengedrückt. Die Sennora schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie:

»Entsetzlich! Dieses Meisterstück ist mir für alle Zeit verdorben! Sieht es nicht wie die reinen Eierkuchen aus? Ich zittere vor Entsetzen! Der Schreck kann mich töten! So ein Unglück wurde noch niemals erlebt, von keinem Menschen!«

Ich untersuchte den Hut. Er bestand aus einer Façon aus dünnstem Drahte, welcher mit einem spinnwebfeinen Zeuge überzogen war. Der daraufliegende Grund war von schwarzem, dünnem Schleierstoffe, und der Ausputz bestand in einer seidenen Bandschleife, zwei aufgepufft gewesenen Rosetten und einer weißen Straußenfeder. Diese Teile befanden sich freilich in einem sehr tristen Zustande. Das Gesicht der Dame aber sah noch weit trauriger aus.

»Beruhigen Sie sich, Sennora!« tröstete ich sie. »Vielleicht läßt sich diese Ruine wieder herstellen. Die Façon wird sich wohl ausbiegen lassen, und die Feder kann wieder gerade gerichtet und gekräuselt werden.«

»Meinen Sie?« fragte sie in hoffnungsvollerem Tone.

»Ja, gewiß. Die Schleife muß freilich abgenommen und von neuem gesteift werden, was mit Hilfe von Weizenkleie und einem Plätteisen sehr gut möglich ist, und den Rosetten kann man wohl ihr früheres Aussehen auch wieder geben.«

Sie sah mich mit großen Augen an.

»Verstehen Sie denn etwas von solchen Dingen, Sennor?« fragte sie. »So sind Sie wohl zufälligerweise ein Modisto?«

»Das nicht, Sennora,« lächelte ich, da mein Aussehen eine solche Vermutung eigentlich gar nicht zuließ.

»Oder ein Hutmacher?«

»Auch das nicht. Aber ich habe eine Schwester, welche sich ihre Hüte stets selbst aufputzt, und bin oft mit großem Interesse Zeuge solcher Arbeit gewesen. Ich habe mir die dabei vorkommenden Kunstgriffe genau gemerkt und möchte behaupten, daß ich Ihren Hut recht leidlich zu reparieren vermag.«

»Durch diese Mitteilung versetzen Sie mich in die höchste Seligkeit. Ich würde Ihnen ganz unbeschreiblich dankbar sein, wenn Sie sich meiner erbarmen wollten!«

»Sehr gern, Sennora. Aber hier im Campo ist das nicht gut möglich.«

»Wir werden ja doch nicht hier bleiben. Wohin reisen Sie denn?«

»Wir gehen nach San José, wo wir für die nächste Nacht zu bleiben beabsichtigen.«

»Das ist ein sehr glückliches Zusammentreffen. Sie werden mir dort, bevor die Tertullia beginnt, den Hut herstellen. Wollen Sie das? Wollen Sie mein Retter sein?«

Sie ergriff bittend meine Hand.

»So weit es in meinen Kräften steht, bin ich zu Ihrer Verfügung. Aber wie wollen Sie bis zum Abend nach San José kommen? Die beiden Räder der Diligence sind so kaput, daß ein Zusammenbinden der Stücke nicht möglich ist. Man wird den Wagen fortschleifen müssen.«

»So bin ich freilich verloren! Mein Ruf steht auf dem Spiele; ja, er ist so gewiß wie ganz dahin!«

»Hm! Wenn Sie reiten könnten, Sennora!«

»Das kann ich. Welche Dame dieses Landes könnte nicht reiten! Ich bin in Matara am Rio Salado geboren, wissen Sie, in der Gegend, wo Frauen selbst ohne Sattel reiten oder gar sich hinter ihren Männern auf das Pferd setzen.«

»Und das können auch Sie?«

»Ja. Ich habe schon als kleines Mädchen, hinter meinem Vater sitzend, weite und schnelle Ritte unternommen.«

»Nun, so steht also Ihrem Fortkommen kein Hindernis im Wege. Sennor Monteso!«

Der Yerbatero, welchen ich rief, stand bei einem der Passagiere, mit welchem er sich im Gespräch befand. Er kam herbei und ich bat ihn, der Dame das ledige Pferd zu leihen.

»Warum sagten Sie mir das nicht eher!« antwortete er. »Nun habe ich es verkauft an jenen Sennor, mit welchem ich sprach. Er sah, daß es unmöglich sei, zu Wagen fortzukommen. Er zählte unsere Pferde, und da er bemerkte, daß eins derselben überzählig sei, fragte er, ob wir es ihm verkaufen möchten. Ich war froh, den Hahnentreter los zu werden.«

»Das ist höchst unangenehm. Ist der Handel nicht rückgängig zu machen?«

»Nein, denn er hat mich bereits bezahlt. Hier sehen Sie!«

Er öffnete die Hand und zeigte uns eine Anzahl Papierthaler, welche er in derselben hielt.

»So kaufe ich ihm das Pferd wieder ab,« meinte die Dame. »Sollte mein Geld nicht reichen, so bitte ich Sie um einen Vorschuß, welchen ich Ihnen sofort nach unserer Ankunft in San José zurückerstatten werde.«

»Ich stelle Ihnen meine Mittel gern zur Verfügung, Sennora,« antwortete ich. »Bitte, kommen Sie zu dem Manne! Wollen sehen, ob er sich bereit finden läßt.«

»Er kann einer Dame ein solches Ansuchen nicht abschlagen. Thäte er es, so wäre er kein Caballero.«

Leider hatte sie sich geirrt. Der Mann wollte lieber auf die Bezeichnung eines Caballero verzichten, als sich in den einsamen Campo setzen und, wer weiß wie lange, auf eine Gelegenheit zum Fortkommen warten. Als ich der Dame diese Erklärung mitteilte, deutete sie auf mein Pferd und sagte:

»Dies ist von Ihren Pferden das beste und kräftigste. Wer reitet es?«

»Ich selbst, Sennora.«

»Glauben Sie, daß es zwei Personen tragen kann?«

Diese Frage klärte mich über die Absicht der Dame vollständig auf. Fast hätte ich laut gelacht.

»Es ist stark genug dazu,« antwortete ich so ernsthaft wie möglich.

»So könnten Sie mich hinter sich aufnehmen. Ich halte mich an Ihnen fest, wenn das Sie nicht geniert. Den Hut binden Sie an den Sattelknopf. Mein Tuch breiten wir über den Sattel und die Croupe des Pferdes aus. Gehen Sie darauf ein, so können Sie meiner allergrößten Dankbarkeit versichert sein.«

»Ich bin mit dem größten Vergnügen bereit dazu.«

»Sind Sie in San José bekannt, Sennor?«

»Ich war niemals dort. Ich befinde mich erst seit gestern hier im Lande.«

»Und haben Sie schon bestimmt, wo Sie dort bleiben werden?«

»Jedenfalls im Posthause.«

»Nein, das dürfen Sie nicht. Das kann ich unmöglich zugeben. Sie müssen mit zu mir, um mein Gast zu sein. Ich werde Sie meinem Bruder vorstellen, und Sie sollen teil an meiner prächtigen Tertullia nehmen.«

»Das ist nicht möglich, Sennora, weil ich dazu eines Anzuges bedarf, welchen ich nicht besitze. Ich muß mir also den Eintritt in ein Paradies versagen, welches mir mit solcher Freundlichkeit angeboten und geöffnet wird.«

Sie strahlte im ganzen Gesichte vor Vergnügen.

»Paradies!« sagte sie. »Alle Ihre Worte legitimieren Sie als einen Poeta! Aber dieses Paradies soll Ihnen nicht verschlossen bleiben. Sie dürfen in diesem Anzuge erscheinen. Ich werde Sie entschuldigen, und Sie können des freundlichsten Empfanges sicher sein. Also, ich reite mit Ihnen, ja?«

»Gewiß.«

»Und Sie nehmen meine Einladung an?«

»Wenn ich überzeugt sein könnte, Nachsicht zu finden, ja.«

»Sie haben nie um Nachsicht zu bitten. Sie werden die Honoratioren und hervorragenden Schönheiten der Stadt bei mir versammelt finden. Nun freue ich mich doppelt auf den heutigen Abend und auf meine Tertullia. Mein Sohn ist auch geladen und wird von Mercedes herüberkommen, wo er jetzt mit seiner Eskadron steht. Er ist Rittmeister und kommandiert unter Latorre, von welchem Sie trotz Ihres kurzen Aufenthaltes vielleicht gehört haben werden.«

»Dies ist allerdings der Fall. Es ist möglich, daß ich Ihrem Sohne eine sehr wichtige Mitteilung zu machen habe. Haben Sie Latorre bereits einmal gesehen?«

»Noch nicht.«

»Dachte es mir! So scheint dem Herrn Rittmeister eine kleine Ueberraschung bevorzustehen. Doch davon später. Würden Sie mir jetzt gestatten, mich als Ihren Arzt zu betrachten? Sie sind leider im Gesicht von den Splittern der Fensterscheibe verwundet worden.«

Ich führte die Dame an das Wasser zurück, um ihr mit ihrem Taschentuche das Gesicht vom Blute zu reinigen, und bedeckte dann die Risse der Haut mit schmalen Pflasterstreifen; ich hatte Heftpflaster bei mir. Das sah allerdings unschön aus, war aber nicht zu ändern.

Uebrigens gehörte die Sennora ihrem Aussehen nach keineswegs zu den Xantippen. Sie war zwar lang und hager und hatte vorhin im Zorne gesprochen. Jetzt aber befand sie sich in ruhiger Gemütsstimmung und machte auf mich den Eindruck einer zwar energischen, dabei aber auch gutmütigen Dame. Sie mochte früher sogar schön gewesen sein, und ihr Benehmen bewies jetzt, daß sie die Herrin eines nach hiesigen Verhältnissen fein zu nennenden Hauses sei.

Als wir zum Wagen zurückkehrten, sah ich, daß eins der beiden gefallenen Pferde, welches sich nicht hatte aufrichten können, ausgesträngt worden war. Man zerrte es an einem Beine auf die Seite, um dort liegen gelassen zu werden. Dabei schnaubte und stöhnte es in einer Weise, welche bewies, daß es große Schmerzen leide. Um nicht von seinen Hufen getroffen zu werden, zog man es an einem Lasso, welcher ihm um das Bein geschlungen worden war.

»Was ist mit dem Tiere?« fragte ich.

»Es hat sich ein Bein gebrochen,« antwortete der Mayoral. »Es kann nicht mehr gebraucht werden.«

»Welches Bein ist es?«

»Das hintere linke.«

»Also grad das, an welchem Sie es zerren! Denken Sie denn nicht daran, daß Sie ihm dadurch große und unnötige Schmerzen bereiten?«

»Pah! Ein Pferd!« antwortete er roh.

»So! Was soll nun mit dem Pferde werden?«

»Es bleibt liegen und mag verrecken.«

»Und wird von den Caranchos und Chimangos bei lebendigem Leibe zerrissen. Das Tier ist, den Beinbruch abgerechnet, noch ganz gesund und kräftig. Es kann noch tagelang hier liegen, bis es verschmachtet und ihm das Fleisch von den Knochen gerissen worden ist.«

»Das geht uns gar nichts an! Es ginge nur mich an, nicht aber Sie!«

»Sie irren! Auch die Tiere sind Gottes Geschöpfe. Sie sind nicht da, um nur allein die Qualen des Daseins zu tragen und dann lebendig zerfleischt zu werden. Ich fordere von Ihnen, daß Sie es töten!«

»Dazu ist mir mein Pulver zu teuer!«

Er hatte kein Gewehr bei sich und nur eine alte Pistole im Gürtel stecken. Er wendete sich ab, als ob ihn die Sache nichts mehr angehe und er sie als beendet betrachte. Ich aber hielt dem Pferde die Mündung meines Gewehres an den Kopf und schoß es tot. Kaum war das geschehen, so traten die Peons zusammen und sprachen einige Augenblicke leise miteinander. Dann kam der Mayoral zu mir und sagte, indem er eine sehr strenge Miene zog:

»Sennor. Gab Ihnen der Besitzer die Erlaubnis, es zu töten?«

»Nein!«

»So haben Sie es zu bezahlen. Dieses Pferd kostet hundert Papierthaler, welche ich mir jetzt ausbitten muß.«

»Ah so! Läuft es darauf hinaus! Es war unbrauchbar geworden, und Sie gaben es dem langsamen Tode anheim, welchen ich abgekürzt habe. Sie bekommen nichts.«

»Und ich bestehe auf meinem Verlangen!«

»Thun Sie das immerhin! Ich bestehe auf meiner Weigerung.«

Ich wollte von ihm fort; da aber stellte er sich mir in den Weg, und die drei Peons kamen herbei, um ihn zu unterstützen. Sie nahmen eine sehr feindselige Haltung an. Als das Monteso sah, kam er mit den Yerbateros, um mir beizustehen.

»Ich lasse Sie nicht eher fort, als bis Sie gezahlt haben!« erklärte der Mayoral.

»Oho!« meinte da Monteso. »Dieser Sennor hat recht. Wir alle haben gehört, daß Ihr das Pferd liegen lassen wolltet, bis es verreckt!«

»Bitte!« sagte ich ihm. »Bringen Sie sich nicht meinetwegen in Unannehmlichkeiten! Ich werde ganz allein mit diesen vier Sennors fertig.«

»Und wir mit Ihnen noch viel eher!« rief der Mayoral. »Wollen Sie das Geld sofort zahlen oder nicht?«

Bei diesen Worten trat er ganz an mich heran und legte die Hand an meinen Arm.

»Die Hand fort!« gebot ich ihm. »Ich dulde keine solche Berührung!«

»Sie werden es doch dulden müssen! Heraus mit dem Gelde, oder wir nehmen es uns selbst!«

Er schlang die Finger fester um meinen Arm und versuchte, mich zu schütteln. Ich riß mich los, stand im nächsten Augenblicke hinter ihm, faßte ihn mit der Linken am Kragen, mit der Rechten unten an der Hose, hob ihn empor und warf ihn fort, an den noch auf der Seite liegenden Wagen, so daß das alte Fuhrwerk wie eine morsche Holzkiste krachte. Seine drei Peons wollten nach mir fassen, aber ich warf den mir nächsten seinem Mayoral nach, gab dem andern die Faust unter das Kinn, daß er sich überschlug, und der dritte wich selbst zurück.

»Bravo!« rief Monteso. »Ich sehe, Sennor, Sie brauchen niemanden zur Hilfe. Aber geben sich die Kerle auch nun nicht zufrieden, so werden wir ihnen unsere Komplimente dennoch auch noch machen!«

Das zeigte sich als nicht nötig. Die Peons hatten Respekt bekommen. Sie rafften sich auf und standen beisammen, wütende Blicke auf mich werfend, aus denen ich mir nichts zu machen brauchte. Der Mayoral aber konnte sich doch nicht enthalten, uns zu drohen:

»Sie gehen nach San José. Auch wir kommen dorthin und werden dort Anzeige machen.«

»Immer thut das!« antwortete ihm die Sennora, welche diese Gelegenheit ergriff, sich wieder streitbar und mir ihre Freundschaft zu zeigen. »Mein Bruder wird Euch wegen Erpressung einsperren lassen. Ich werde ihm die Angelegenheit mitteilen. Kommen Sie, Sennor! Verlassen wir diesen Platz und diese Menschen!«

Sie legte ihren Arm in den meinen, und ich führte sie zum Pferde. Dort breiteten wir ihr Tuch in der angedeuteten Weise auf den Rücken des Tieres und ich band die liebe Hutschachtel an den Sattel.

Da ich dem angeblichen Polizeibeamten nicht traute, so hatte ich ihn stets im Auge behalten. Auch er war, wie wir, vom Pferde gestiegen. Sonderbarerweise aber hatte er sich dann hinter dasselbe zurückgezogen, und zwar, wenn meine Beobachtung mich nicht täuschte, von dem Augenblicke an, an welchem die Dame aus der umgestürzten Kutsche gestiegen war. Es schien mir, als ob er sich von derselben nicht gerne sehen lassen wolle. Hatte er einen Grund dazu? Um denselben kennen zu lernen, hatte ich die Sennora in einem kleinen Bogen zu meinem Braunen geführt. Der Verdächtige aber war dabei in der Weise langsam um sein Pferd geschritten, daß dieses letztere sich genau zwischen ihm und uns befand. Darum machte ich sie nun direkt auf ihn aufmerksam, indem ich auf ihn zeigte und dabei sagte:

»Sollten die Peons mich etwa noch belästigen wollen, so habe ich Hilfe in nächster Nähe. Da ist ein Herr, welcher uns begleitet, Sennor Carrera, welcher in Montevideo das Amt eines Polizeikommissars bekleidet.«

Jetzt war er gezwungen, sich zu zeigen. Kaum war ihr Blick auf ihn gefallen, so rief sie aus:

»Mateo, du!«

Er wurde blutrot im Gesicht, gab sich aber Mühe, gefaßt zu erscheinen, und fragte im Tone des Erstaunens:

»Sprechen Sie mit mir, Sennora? Was wollen Sie mit diesem Namen sagen?«

»Er ist doch der deinige. Wo kommst du denn her?«

»Verzeihung, Sennora! Ihr Benehmen läßt mich stark vermuten, daß Sie mich mit irgend einer Person verwechseln, welche Ihnen bekannt zu sein scheint!«

»Bekannt ist sie mir allerdings, sehr bekannt! Aber von einer Verwechslung ist hier keine Rede. Ich werde doch dich, unsern einstigen Lehrling, kennen!«

»Sie irren sich wirklich ungeheuer. Ich bin nicht derjenige, für welchen Sie mich halten. Ich befinde mich, wie dieser Sennor bereits sagte, in Montevideo,« antwortete der Gefragte in scharfem Tone, »heiße Carrera und bin Beamter der dortigen Polizei.«

»Polizei!« wiederholte sie, ihn immer von neuem fixierend. »Das ist unmöglich. Sie scherzen, Mateo!«

»Ich scherze nicht, Sennora. Ich bin sehr gern höflich gegen Damen, so weit es meine amtliche Stellung erlaubt, aber solche Beleidigungen, wie sie in Ihren Worten, Ihren Blicken und Ihrem Tone liegen, muß ich energisch von mir weisen. Ich habe Ihnen gesagt, wer und was ich bin, und muß Sie also ersuchen, dies zu beachten!«

Man sah es der Dame an, daß sie im Zweifel war, ob sie ihn auslachen, oder sich über ihn ärgern sollte. Sie that keins von beiden. Ihr Gesicht wurde sehr ernst, als sie ihm jetzt in warnender Weise sagte:

»Mateo, ich bitte Sie, um Ihrer Eltern willen keine Dummheiten zu machen. Ich vermute aus Ihrem Benehmen, daß Sie unsere damaligen Warnungen nicht beachtet haben. Sie geben sich für einen andern aus, als Sie sind. Die Gründe, infolge deren Sie dies thun, können keine lobenswerten sein.«

»Jetzt ist‘s genug, Sennora!« brauste er auf. »Ich darf kein Wort mehr hören, sonst muß ich Sie wegen Beleidigung bestrafen lassen, obgleich Ihr Bruder Bürgermeister ist, wie ich Sie vorhin sagen hörte.«

Die Dame schien fassungslos zu werden. Sie errötete und erbleichte abwechselnd. Ich sah, daß sie sich von ihm abwenden wollte; da aber fragte ich sie:

»Bitte, wer ist der Mateo, von welchem Sie sprachen?«

»Ein früherer Lehrling meines Mannes. Er mußte plötzlich entlassen werden, weil er die Kasse bestohlen hatte.«

»Und Sie erkennen ihn in diesem Manne wieder? Ist es nicht möglich, daß Sie sich täuschen?«

»Nein. Er ist aus San José, und ich kenne ihn seit der Zeit, als er noch Knabe war. Eine Täuschung ist da unbedingt ausgeschlossen.«

»Pah!« lachte jener, indem er auf sein Pferd stieg. »Weibergeklatsch!«

»Bitte, Sennor!« antwortete ich ihm. »Ich kann mich diesem Ihrem Urteile nicht anschließen, sondern ich glaube alles, was die Dame gesagt hat. Sie sind jener Mateo, jener Dieb, welcher sich jetzt vielleicht auf noch weit schlimmerem Wege befindet, als damals.«

»Hüten Sie sich! Sie wissen ganz genau, was ich bin!«

»Das weiß ich allerdings sehr genau. Sie sind ein Lügner, ein Schwindler!«

»Wollen Sie, daß ich mich meines Gewehres bediene!« drohte er.

»Immerhin! Aber nur nicht aus dem Hinterhalte, wie Sie vielleicht die Absicht hegen. Ich habe mich auf der Polizei erkundigt. Es giebt keinen Polizeikommissar Namens Carrera. Ich vermute, die Polizisten sind bereits hinter Ihnen her, um Sie festzunehmen. Haben Sie also die Güte, abzusteigen, um die Zusammenkunft mit diesen Herren nicht zu verzögern!«

Er warf einen sehr besorgten Blick nach rückwärts. Dort war niemand zu sehen. Das gab ihm die fast verlorene Frechheit zurück. Er sagte:

»So werde ich ihnen entgegen reiten und dann mit ihnen umkehren, um Sie und diese Frau festnehmen zu lassen. Beleidigungen, wie die gegenwärtigen, müssen schwer geahndet werden!«

Er ritt fort, zurück, über das Flüßchen hinüber, wo er hinter dem Posthause verschwand.

»Sennor, was haben Sie gethan!« sagte Monteso. »Sie haben ihn auf das tödlichste beleidigt. Die Folgen werden nicht ausbleiben, denn er ist wirklich Polizeikommissar!«

»Unsinn!« sagte ich und klärte ihn dann auf.

»Warum hat der Mann uns dann belogen?« fragte er.

»Um sich in dieser guten Weise an mich machen zu können. Mut hat er nicht, und verwegen ist er noch viel weniger. Direkt auf mein Leben hat er es nicht abgesehen. Zu einem Morde ist er zu feig. Er hat etwas anderes vor, irgend eine Teufelei, die ich aber vielleicht noch herausbekommen werde.«

»Das ist nun nicht mehr möglich. Er ist ja fort.«

»Er kommt wieder; aber er wird uns heimlich folgen, um sein Vorhaben doch noch auszuführen. Setzen Sie sich auf Ihr Pferd, und folgen Sie mir nur fünf Minuten! Ich werde Ihnen den Beweis liefern, daß es ihm gar nicht einfällt, nach Montevideo zurückzugehen.«

Ich stieg auf, und er that dasselbe. Wir ritten über den kleinen Fluß zurück bis an das Gebäude der Poststation. Als wir um die Ecke desselben blickten, sahen wir den Kerl, welcher in gestrecktem Galoppe die Richtung nach der Hauptstadt verfolgte.

»Da sehen Sie, daß er doch nach Montevideo will!« sagte Monteso.

»Er hält diese Richtung nur so lange ein, als wir ihn sehen können. Passen Sie auf!«

Ich nahm mein Fernrohr vom Riemen und richtete es. Der Reiter wurde für das bloße Auge kleiner und immer kleiner, bis er endlich verschwand. Durch das Fernrohr sah ich ihn aber dann auf dem Kamme einer Bodenwelle erscheinen und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß er nach links eingelenkt hatte. Ich gab Monteso das Fernrohr und zeigte ihm den Mann.

»Wahrhaftig, er reitet jetzt nach Nord!« gab er zu. »Sie haben recht, Sennor.«

»Er kehrt zurück und wird in einiger Entfernung von hier wieder über das Flüßchen gehen, um uns zu folgen. Sind Sie nun überzeugt?«

»Vollständig.«

»Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß er der Dieb Mateo ist. Läßt er sich vor mir wiedersehen, so werde ich sehr kurzen Prozeß mit ihm machen. Kommen Sie!«

Wir kehrten zum Wagen zurück. Noch ehe wir denselben erreichten, begegneten uns zwei der Peons, welche klugerweise nach der Station wollten, um dort Hilfe zu holen, die Diligence transportabel zu machen. Der Mayoral war mit dem dritten Peon zurückgeblieben. Die Passagiere hatten sich in das Gras gesetzt, um das weitere zu erwarten. Nur der eine von ihnen, welcher das Pferd gekauft hatte, brauchte nicht zu bleiben. Er bat um die Erlaubnis, sich uns anschließen zu dürfen, und sie wurde ihm selbstverständlich gewährt.

Jetzt hob Monteso die Dame auf mein Pferd. Ich merkte gleich, daß sie nicht zum erstenmal in ihrem Leben einen solchen Sitz einnahm. Sie legte beide Arme um mich, und dann konnte der unterbrochene Ritt wieder beginnen.

Während der ersten Viertelstunde saß ich wie auf glühenden Kohlen. Hinter sich eine Sennora, in deren Umarmung man sich befindet, und vorn am Sattel einen neuen, aber zusammengedrückten Frühjahrshut, welchen vollständig herzustellen man versprochen hat, das ist eine Situation, an welche man sich nur langsam gewöhnt.

Meine Gefährtin saß natürlich als Dame zu Pferde, beide Füße nach derselben Seite. Das ist ein wahrer Kunstreitersitz, aber ich habe dann später sehr oft Frauen in derselben Weise über die Pampa fliegen sehen, ohne daß sie auf ihrem Sitze nur einen Zoll gerückt wären. Ich sah Frauen, welche sich nicht einmal am Reiter festhielten und doch so sicher saßen, als ob sie sich selbst im Sattel befunden hätten. Wir unterhielten uns ausgezeichnet miteinander, und als wir das Ziel erreichten, war ich ebensogut über ihren Lebenslauf unterrichtet, wie sie über den meinigen. Wer vermag es, gegen eine Dame einsilbig und verschwiegen zu bleiben, wenn sie Bildung hat, Teilnahme für einen empfindet und dabei das richtige „Plapperment“ besitzt!

San José hat einen kleinen Marktplatz, an welchem die turmlose Kirche liegt. Gegenüber derselben wohnte der Kaufmann Rixio, der Gemahl meiner Mitreiterin, welche ich bis zu ihrer Thüre brachte. Dort stieg sie ab, während ich nach dem nahen Postgebäude ritt, wo die Yerbateros bleiben wollten. Doch mußte ich der Dame versprechen, mich so bald wie möglich bei ihr einzufinden.

Kaum hatte ich mich von dem anhaftenden Staube gereinigt, so kam ein junger Herr, welcher sich mir als Rittmeister Rixio vorstellte, und den Auftrag hatte, mich zu seinen Eltern zu bringen. Ich mußte ihm sofort folgen.

Das Haus war groß und geräumig, aber nach europäischen Begriffen nur dürftig ausgestattet. Im Empfangszimmer wurde ich von den Eltern des Rittmeisters erwartet, welche mich mit ausgezeichneter Freundlichkeit willkommen hießen. Die Frau konnte ihrem Gemahle nicht genug rühmen, wie gut ihr der Ritt mit dem deutschen Poeta – sie hielt mich in der That für einen Dichter – gefallen habe. Ich wurde in die Fremdenzimmer geführt, von denen ich mir eins auswählen durfte. Dann holte man meine Sachen und sogar mein Pferd. Ich sollte eben im weitesten Sinne des Worts Gast des Hauses sein.

Der Sohn des Hauses lud mich zu einem Spaziergange in den Garten ein, doch fand ich jetzt keine Zeit dazu, denn seine Mutter brachte mir den verunglückten Hut, den ich reparieren sollte. Sie war höchst gespannt darauf, ob mir dies gelingen würde, und jubelte vor Glück, als ich ihn nach einer halben Stunde so hergestellt hatte, daß sie behauptete, er sei sogar noch schöner als vorher. Dann führte mich der Offizier in den Garten. Es gab da einige Pappeln und zwei mir fremde Bäume. Von einem im Sommer schattigen oder gar „lauschigen“ Aufenthalte war keine Rede. Diese letztere Bezeichnung ließ sich höchstens auf die Wildwein-Laube anwenden, in welcher wir uns niederließen. Der Offizier bat mich um Verzeihung, daß ich einstweilen nur auf seine Gesellschaft angewiesen sei; die Eltern seien zu sehr mit der Vorbereitung zur abendlichen Tertullia beschäftigt. Wir unterhielten uns trefflich. Der junge Mann gefiel mir. Er hatte so etwas Bedächtiges, Gründliches an sich. Ich konnte nicht umhin, ihm zu sagen:

»Sie scheinen viel nachgedacht zu haben. Das bringt Ueberzeugung und Ruhe.«

»O, wenn das ein Vorteil ist, so habe ich es nicht mir selbst zu verdanken. Ich habe einen Lehrer und Freund, dessen aufmerksamer Schüler ich bin. Sie hörten auch von ihm. Ich meine Latorre.«

»Ah, dieser! Woher wissen Sie, daß ich von ihm hörte?«

Ein schlaues, überlegenes Lächeln glitt über sein hübsches Gesicht. Er blickte mich schalkhaft an und antwortete:

»Ich bemerkte, als ich mich Ihnen im Posthause vorstellte, in Ihren Zügen eine gewisse Spannung. Auch haben Sie zu meiner Mutter von einer Ueberraschung gesprochen. Ihre Spannung wurde nicht befriedigt, und die Ueberraschung ist ausgeblieben. Ist es nicht so, Sennor?«

»Genau so!«

»Sie hatten auf Ihre Aehnlichkeit mit Latorre gerechnet?«

»Ja. Aber wie können Sie wissen, daß – —«

»Pst! Es giebt überall Agenten und scharf geöffnete Augen. Man sah Sie in Montevideo ans Land steigen. Ihre Aehnlichkeit fiel auf. Sie wurden beobachtet. Ein gewisser Andaro war bei Ihnen. Vielleicht kann man erfahren, was er bei Ihnen gewollt hat. So viel ist gewiß, daß Sie von ihm mit Latorre verwechselt worden sind.«

»Sennor, ich erstaune über das, was ich von Ihnen höre!«

»Es ist gar nicht erstaunlich. In einem Lande, in welchem ein jeder schnell steigen und ebenso schnell fallen kann, ist Vorsicht die größte der Tugenden. Sie wären ganz gewiß von einem der Unserigen besucht worden. Dies unterblieb aber, als man erfuhr, daß Sie nach Mercedes wollen, also über San José kommen mußten. Hier erwartete ich Sie und hätte im Posthause mit Ihnen gesprochen, wenn nicht das Abenteuer meiner Mutter Sie uns näher gebracht hätte.«

»Aber, sagen Sie, wie konnte man wissen, daß ich nach Mercedes will? Das wurde erst spät am gestrigen Abende entschieden.«

»Allerdings, und zwar in einem Spiellokale, in welchem außer Ihnen noch andere saßen, als Sie eintraten, die Ihnen dann aufmerksam zuhörten. Man hatte Sie mit dem Yerbatero gesehen. Man wußte, wo dieser zu verkehren pflegt, und man ahnte, daß er Sie dorthin bringen werde. Doch, da kommt Vater. Lassen Sie uns dieses Gespräch gelegentlich fortsetzen! Sollte es aber Vater für angezeigt halten, jetzt von demselben Gegenstande zu beginnen, so ersuche ich Sie ebenso herzlich wie dringend, ihm keine verneinende Antwort zu erteilen. In Ihrem eigenen Interesse liegt es, daß Sie sich unsere Partei zum Dank verpflichten. Wir können Ihnen bedeutende Vorteile bieten.«

Das klang bittend und beinahe feierlich. Mich aber befremdete es. Was hatte ich mit seiner Partei zu thun? Sowohl die Blancos oder Weißen, wie auch die Colorados oder Roten waren mir sehr gleichgültig. Wer sich in Gefahr begiebt, muß sich darauf gefaßt machen, in derselben umzukommen. Am allerwenigsten fiel es mir ein, die gebratenen Kastanien für andere aus dem Feuer zu holen und mich zum Danke dafür mit jenem wackern, sprichwörtlich gewordenen Huftiere vergleichen zu lassen, von welchem man sagt, daß es auf das Eis tanzen gehe, wenn es ihm zu wohl geworden ist.

Sennor Rixio kam in würdevoller Haltung auf uns zu, verbeugte sich mit spanischer Grandezza vor mir und bat mich um die Erlaubnis, bei uns Platz nehmen zu können. Die einfache, herzliche Freundlichkeit, mit welcher er mich in seinem Hause empfangen hatte, war von ihm gewichen. Sein Gesicht lag in ernsten, feierlichen Zügen.

Es geschah, was der Rittmeister angenommen hatte. Sein Vater hielt es für geraten, das betreffende Thema sofort aufzunehmen, denn er fragte den Sohn:

»Hast du dem Sennor bereits eine Mitteilung gemacht?«

»Ueber Allgemeines sprachen wir. Näheres zu sagen, habe ich vermieden,« antwortete der Gefragte. »Der Sennor weiß aber bereits, daß wir ihn zu uns dirigiert hätten, selbst wenn Mutter nicht so glücklich gewesen wäre, ihn unterwegs kennen zu lernen.«

»So ist die Einleitung geschehen, und Sie werden sich nicht wundern, wenn ich Sie frage, Sennor, zu welcher Partei Sie halten, zu den Roten oder zu den Weißen?«

Er blickte mir mit einer Spannung in das Gesicht, als ob von meinem Bescheide das Glück des ganzen Landes abhänge.

»Ich wundere mich allerdings, diese Frage zu hören, Sennor,« sagte ich. »Ich bin ein Deutscher und lege auch im Auslande meine Nationalität nicht ab.«

»Nun, so will ich meine Frage anders formulieren: Welcher Partei geben Sie recht, den Colorados oder den Blancos?«

»Ich bin nicht zum Richter über sie gesetzt.«

»Aber, Sennor, es handelt sich ja gar nicht um einen Urteilsspruch. Es verlangt mich nur, Ihre persönliche Ansicht zu hören.«

»Die können Sie leider nicht hören, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich keine Ansicht habe. Um zu wissen, wer recht hat, müßte ich die hiesigen Verhältnisse studiert haben, was aber nicht der Fall ist. Ich beschäftige mich nicht mit Politik, da ich eingesehen habe, daß ich nicht die geringste staatsmännische Begabung besitze. Mich interessieren die allgemein geographischen und ethnographischen Verhältnisse eines Landes. Auf andere Betrachtungen lasse ich mich niemals ein.«

Er zog die Brauen enger zusammen, gab sich aber Mühe, das Gefühl der Enttäuschung nicht merken zu lassen. Er fand keine Handhabe, an welcher er mich zu fassen vermochte.

»Aber, Sennor,« sagte er, »Sie müssen doch wenigstens eine Art von Teilnahme für die Zustände desjenigen Landes haben, in welchem Sie sich jeweilig befinden!«

»Das ist natürlich auch der Fall, nur daß mir gerade diejenige Art der Zustände, welche man politisch nennt, gleichgültig ist. Ich verspeise das Brot, ohne mich um den Bäcker zu bekümmern, der es gebacken hat, und Millionen freuen sich des Frühlings, ohne Astronomie studieren zu müssen, um die Ursache desselben kennen zu lernen.«

»Sennor, Sie bringen mich in Verlegenheit. Sie sind glatt wie ein Aal; Sie weichen mir aus, obgleich Sie jedenfalls recht gut wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen will. Sie wissen doch, daß bei uns zwei Parteien sich gegenüberstehen?«

»So viel weiß ich.«

»Die Partei, zu welcher ich gehöre, hat das wirkliche Wohl des Landes im Auge. Sie will Ordnung, Gerechtigkeit und Wohlstand schaffen, während die andere Partei das Gegenteil, die Verwirrung wünscht, um im Trüben fischen zu können. Wir wissen, daß wir siegen werden; aber bis dahin kann noch eine lange Zeit vergehen, welche große Opfer fordert. Wir stehen im Begriff, diese Opfer zu sparen, indem wir zu einer großen, unerwarteten That schreiten. Gelingt dieselbe, so sind unsre Gegner vernichtet, oder doch wenigstens für Jahrzehnte hinaus unschädlich gemacht. So unglaublich es klingen mag, so sind Sie es, welcher außerordentlich viel zu diesem Gelingen beitragen kann.«

»Ich? Sie überraschen mich auf das höchste! Ich, der Fremde, der sich erst seit gestern im Lande befindet, sollte so etwas vermögen!«

»Der Grund liegt in Ihrer außerordentlichen Aehnlichkeit mit dem Manne, welchen wir an unsre Spitze zu stellen beabsichtigen.«

»Mit Latorre also? Darf ich um die Erklärung bitten?«

»Sie würde sehr einfach sein, wenn ich mich auf Ihre Diskretion vollständig verlassen könnte.«

»Ich gebe Ihnen das Versprechen der strengsten Verschwiegenheit.«

»Nun, so will ich, obgleich ich Sie nicht näher kenne, im Vertrauen auf Ihr ehrliches Gesicht es wagen, Ihnen einige Andeutungen in Beziehung auf unsern Plan zu geben. Wir wünschen uns Latorre zum Präsidenten —«

»Das vermutete ich.«

»Also haben Sie doch nachgedacht, was Sie vorhin in Abrede stellten. Soll dieser Wunsch in Erfüllung gehen, so dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen; wir müssen vielmehr arbeiten. Aber nicht nur wir, sondern auch Latorre selbst muß eine Thätigkeit entfalten, welche seine ganzen Kräfte in Anspruch nimmt. Das werden Sie einsehen, Sennor?«

»Natürlich! Kein Ziel ohne Streben, kein Preis ohne Anstrengung und kein Lohn ohne Arbeit.«

»Nun aber ist Latorre Offizier. Er ist an diesen Beruf gebunden, dem er sich ganz zu widmen hat. Das ist ein großes Hindernis. Er muß also seinen Abschied oder wenigstens einen längern Urlaub nehmen, um die notwendige Muße zu gewinnen und außerdem sich der bei seinen dienstlichen Verhältnissen unvermeidlichen Beaufsichtigung entziehen zu können.«

»Diese Notwendigkeit sehe ich ein. Was aber hat dies mit meiner unbedeutenden Persönlichkeit zu thun?«

»Außerordentlich viel. Unser späterer Präsident hat seine Dispositionen in tiefster Verborgenheit zu treffen. Er hat Reisen zu unternehmen, von denen unsre Gegner nichts ahnen dürfen. Da giebt es Besuche, Konferenzen und dergleichen, welche nur im stillen abgehalten werden dürfen. Da man aber ahnt, was im Werke liegt, so beobachtet man ihn auf das allerstrengste. Darum müssen wir ein Mittel zu entdecken suchen, welches geeignet ist, diese lästige und gefährliche Aufmerksamkeit von ihm abzulenken. Wir haben es gefunden. Dieses Mittel sind – — Sie, Sennor.«

»Ich, ein Mittel? Schön! Aber wollen Sie mir auch sagen, welche Wirkung dieses Mittel haben soll?«

»Indem wir die Aufmerksamkeit unsrer Gegner von Latorre abziehen und auf Sie lenken.«

»Ah, jetzt beginne ich, zu begreifen. Ihre Gegner sollen mich für ihn halten?«

»Ja.«

»Soll ich vielleicht seinen militärischen Rang einnehmen und seine bezüglichen Pflichten erfüllen, während er sich nach einem Orte zurückzieht, an welchem er unbeobachtet für Ihre Partei wirken kann?«

»Ihre Frage trifft die Wahrheit halb, zur andern Hälfte geht sie über dieselbe hinaus. Seinen Rang können Sie nicht einnehmen; das ist sehr klar. Aber die Angelegenheit soll so arrangiert werden, daß Latorre sich einen Urlaub nimmt, um auf einer entlegenen Hazienda oder Estanzia seine angegriffene Gesundheit zu kräftigen. Dorthin reisen Sie; dort tragen Sie seine Uniform; dort sind Sie ganz Latorre. Man wird alle Aufmerksamkeit auf Sie richten und dann finden, daß Sie in tiefster Einsamkeit nur allein Ihrer Gesundheit leben. Inzwischen geht Latorre incognito nach einer ganz andern Gegend, wo er seine Anhänger sammelt, seine Pläne entwirft und dann zur geeigneten Stunde losbricht.«

»Und was wird aus mir zu dieser geeigneten Stunde?«

»Sie setzen Ihre unterbrochene Reise fort, nachdem Sie die eklatantesten Beweise unsrer Dankbarkeit empfangen haben.«

»Und worin werden diese Beweise bestehen? Meinen Sie irgend eine Bezahlung?«

»Bezahlung! Wer wird sich so eines Wortes bedienen! Nennen wir es Honorar, Dotation oder dergleichen! Bestimmen Sie die Höhe der Summe, welche Sie für zureichend halten, das Opfer zu ersetzen, welches Sie uns bringen.«

»Ich kenne die Art und die Größe dieses Opfers nicht. Es kann sich um eine kleine Zeitversäumnis, aber auch um mein Leben handeln, Sennor.«

»Das letztere unmöglich!«

»O doch. Wenn der echte Latorre losbricht, können seine Gegner sich sehr leicht über den unechten hermachen, um ihn ein wenig tot zu schießen. Werde ich füsiliert, so bin ich nicht mehr imstande, mich der Dotation zu erfreuen, welche Sie mir so freundlich bewilligen wollen.«

Der Rittmeister hatte bisher seinen Vater sprechen lassen. Jetzt sagte er.

»Sennor, fürchten Sie sich? Ich habe Sie für einen mutigen Mann gehalten!«

»Ich bin kein Feigling; das habe ich schon oft bewiesen und finde wahrscheinlich Gelegenheit, es auch fernerhin zu beweisen. Aber es ist zweierlei, das Leben für sich selbst, für die Seinigen, für sein Vaterland zu wagen oder es um Geldes willen für fremde Interessen auf das Spiel zu setzen. Was das Wagnis an sich betrifft, so wollte ich mich getrost für Latorre ausgeben und die Folgen ruhig erwarten. Ihre Gegner fürchte ich gerade so wenig, wie ich auch vor Ihnen keine Angst besitze. Brächte mich diese Angelegenheit in Gefahr, so traue ich mir Mut und List genug zu, derselben zu entkommen. Also die Rücksicht auf einen etwaigen Schaden, den ich erleiden könnte, ist es nicht, was mich verhindert, auf Ihre Offerte einzugehen.«

»Welchen andern Grund hätten Sie dann?«

»Den, daß die Sache mir nicht gefällt. Ich hasse die Unwahrheit, die Lüge, und einer großen, ungeheuern Lüge würde ich mich schuldig machen, wenn ich Ihren Wunsch erfüllte.«

»Aber es ist für die gute Sache!«

»Jeder andere würde mir ganz dieselbe Versicherung geben.«

»Sennor, Sie sind sehr schwer zu bekehren!«

»Weil ich überhaupt nicht bekehrt sein will.«

Bei diesen Worten stand ich auf. Der Kaufmann ergriff schnell meinen Arm, zog mich auf den Sitz nieder und sagte:

»Handeln Sie nicht zu schnell, Sennor! Sie bleiben mein Gast auf alle Fälle, selbst wenn die Hoffnungen, welche wir auf Sie setzten, nicht erfüllt werden. Ich zweifle übrigens noch nicht daran, daß wir dennoch einig werden. Vielleicht wissen Sie nicht, welche Gegenleistung Sie von unsrer Dankbarkeit erwarten dürfen. Es sind reiche, sehr reiche Männer unter uns, und der Vorteil, welchen Ihre Aehnlichkeit mit Latorre uns bietet, ist so groß, daß Sie durch die Annahme meines Vorschlages geradezu Ihr Glück machen können.«

»Was nennen Sie Glück?«

»Als Kaufmann verstehe ich unter dem Ausdrucke „sein Glück machen“ die Erlangung großer geschäftlicher Vorteile, also besonders die Erwerbung einer Summe Geldes von so bedeutender Höhe, daß man für die Lebenszeit aller Sorgen enthoben ist. Sagen Sie mir, welche Summe Sie verlangen!«

»Gar keine. Ich sehe mich ganz außer stande, Ihnen den gewünschten Dienst zu erweisen.«

»Hoffentlich ist das nicht Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit, welche Ihre ganze Zukunft bestimmen kann.«

»Mein Entschluß lautet nicht anders, und ich pflege solche Entschlüsse niemals aufzugeben.«

»Dennoch bitte ich Sie, sich die Sache doch noch zu überlegen. Ich will jetzt nicht näher in Sie dringen. Sie haben heute abend Gelegenheit, uns kennen zu lernen. Wenn Sie sich dann meinen Vorschlag beschlafen, so werden Sie mir morgen früh gewiß Ihre Zusage erteilen.«

Ich wollte eine Gegenbemerkung machen; aber er stand auf und wehrte mir mit den Worten ab:

»Bitte, sagen Sie jetzt nichts mehr! Sie wissen nun, um was es sich handelt. Bis morgen wird Ihnen wohl der bessere Entschluß kommen. Ich sehe, daß man die Lichter anbrennt. Die Gäste werden jetzt kommen. Begeben wir uns in das Haus.«

Es war beinahe dunkel geworden. Wir befanden uns im Oktober, also im südamerikanischen Frühlinge, wo die Abende zeitig anbrechen. Vom Hause her flimmerte Lichterschein. Die berühmte Tertullia sollte beginnen. Darum begaben Vater und Sohn sich nach den Gesellschaftsräumen; ich aber suchte meine Stube auf, um nicht der erste der Gäste zu sein. Vorher aber ging ich zu einem Bäcker, welcher nebenan wohnte, wie ich bemerkt hatte, und kaufte mir ein Schwarzbrot, wie es hier von den armen Leuten gegessen wird. Mit demselben begab ich mich in den Stall, um mein Pferd zu füttern.

Der Knecht war anwesend. Er wunderte sich nicht wenig, als er das Brot sah und daß ich es zerschnitt und dem Pferde gab. Auch für das Tier war diese Gabe etwas ganz Ungewohntes. Es fraß und rieb dabei den Kopf dankbar an meiner Schulter. Jedenfalls war es das erstemal, daß es bei einem Menschen Liebe fand. Als ich es streichelte, wieherte es freudig auf. Ich war überzeugt, daß es mir gelingen werde, es an mich zu gewöhnen.

Das Zimmer, welches ich mir ausgewählt hatte, lag nach dem Hofe zu. Es hatte zwei Fenster, zwei wirkliche Fenster mit Glasscheiben, ein Luxus, auf welchen der Reisende zu verzichten bald gezwungen ist. Es gab da ein gutes Bett, einen Tisch und einige Stühle. Auf einem der letztern stand ein breiter Wassertopf, und dabei lag ein feines, weißes Taschentuch. Beides stellte das Waschgeschirr vor. Anstatt des Sofas gab es eine Hängematte, welche an zwei Mauerringen hing. Auf dem Tische lag ein Carton mit Cigaretten. Das war eine dankenswerte Aufmerksamkeit des Wirtes gegen mich. Freilich rührte ich die kleinen Dinger nicht an. Ein wirklicher Raucher, wenn er nicht Südamerikaner ist, mag von Cigaretten nichts wissen. Er will Tabak haben, aber nicht Papier.

Zu meiner Genugthuung bemerkte ich, daß sich an der Thüre ein Nachtriegel befand, Ich hegte natürlich nicht das geringste Mißtrauen gegen die Bewohner des Hauses; aber ich dachte an den falschen Polizeikommissar, der sich höchst wahrscheinlich nun auch hier im Städtchen befand. Er hatte bei Rixio gelernt und kannte also die Räume des Gebäudes ganz genau. Vielleicht kam er auf den Gedanken, mir einen nächtlichen Besuch zu machen. Das konnte durch den Riegel verhütet werden.

Ich hatte ein Rindstalglicht brennen, welches auf dem Tische stand. Eben war ich beschäftigt gewesen, den Riegel hin und her zu schieben, um mich von der Brauchbarkeit desselben zu überzeugen, da sah ich, mich umwendend, ein Gesicht, welches zum Fenster hereingeblickt hatte und jetzt so schnell verschwand, daß es mir unmöglich war, die Züge desselben zu erkennen. Ich vermochte nicht einmal zu sagen, ob es ein männliches oder weibliches sei.

Ein Sprung brachte mich zum Fenster. Es war verquollen, vielleicht seit langer Zeit nicht geöffnet worden, daß es mir schwer gelang, den einen Flügel aufzumachen, und als ich dann in den Hof blickte, sah ich keinen Menschen. Es war dunkel draußen, da der Mond erst in einer Viertelstunde aufging.

Besorgniserregend war die Sache nicht. Vielleicht war einer der vielen dienstbaren Geister des Hauses neugierig gewesen, zu sehen, was der Fremde in seiner Stube eigentlich treibe. Doch verschloß ich nunmehr das Fenster fest, so daß es von draußen nicht geöffnet werden konnte.

Bald kam der Rittmeister, um mich abzuholen. Er erwähnte das vorhin gehabte Gespräch mit keinem Worte und war so freundlich und höflich wie zuvor gegen mich. Jedenfalls war er ganz der Ansicht seines Vaters, daß ich meinen Entschluß doch noch ändern werde.

Im Salon war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft von Damen und Herren versammelt. Die Blicke, welche sich bei meinem Eintritte auf mich richteten, sagten mir, daß von mir bereits die Rede gewesen war. Ich wurde vorgestellt und hörte eine Menge langer, hochtönender Namen und Titel, welche ich augenblicklich wieder vergaß. Der Spanier ist in dieser Beziehung fast wie ein Araber: Er liebt es, seinem Namen die Namen und einstigen Würden seiner Vorfahren beizufügen. Dem Fremden klingen diese wohllautenden Worte sehr angenehm in das Ohr; wenn man sie aber in das Deutsche übersetzt, so verschwindet die Poesie und das Imponierende. Don Gänseschmalz von Ofenruß, Donna Maria Affensprung von Hobelspan und ähnliche Namen haben nur im Spanischen Wohlklang, aber im Deutschen nicht.

Für einen oberflächlichen Beobachter konnte es leicht sein, die Gesellschaft eine glänzende zu nennen; leider aber besaß ich scharfe Augen. Mir fiel der viele Puder auf, das stumpfe Schwarz der Augenbrauen und Stirnlöckchen, welches auf die Anwendung gewisser Färbemittel schließen ließ. Ich sah die zierlichsten Füßchen mit Schuhen Nummer Null; aber an diesen Schuhen war irgend eine Naht geplatzt oder die Sohle klaffte los. Zarte Damenhände mit schwarzgeränderten Fingernägeln, rauschende Seide mit Brüchen und die Säume ausgefranst, falsche Steine in kunstvoller Fassung – und wie die Kleidung, der Putz, so war auch alles andere darauf berechnet, das Auge, das Ohr, die Sinne zu bestechen; Echtheit aber fand ich nicht.

So war es auch bei der Tafel. Mein Messer hatte einen Griff von Elfenbein, die Gabel einen von papierdünnem Silber, mit Kolophonium ausgefüllt; der Löffel war zerbrochen gewesen und zusammengelötet worden. Die Früchte erschienen in kostbar gewesenen Vasen, an denen Stücke fehlten. So war das ganze Geschirr beschaffen, aber die Speisen waren gut. Vorzüglich mundete mir der landesübliche Asado, welcher ganz vortrefflich war.

Asado ist ein Spießbraten. Das Leibgericht des Gaucho aber ist Asado con cuero, Spießbraten in der Haut. Wird ein Rind oder Pferd geschlachtet, so schneidet sich der Gaucho ein Stück des noch dampfenden Fleisches samt der Haut ab, steckt es an ein Holz und hält es über das Feuer. Nun wartet er nicht etwa, bis das Stück ganz durchbraten ist, sondern er bratet Bissen um Bissen. Dabei fährt er mit dem Fleische abwechselnd an den Mund und wieder an das Feuer und hantiert sich mit dem scharfen, langen Messer so vor der Nase her, daß einem angst und bange um dieselbe wird, denn er beißt in das Fleisch, bevor er sich den Bissen abschneidet.

Unser heutiger Asado war ohne Haut, doch war es nichts weniger als appetitlich, zu sehen, wie er verspeist wurde. Ich sah Damen, welche sehr einfach die Hände als Gabeln und die Zähne als Messer benutzten. Das fiel hier gar nicht auf. Ich erhielt vielmehr von mehreren Seiten die wohlgemeinte Aufforderung, es mir ebenso bequem zu machen und nicht wie eine Gouvernante zu essen.

Später wurde getanzt. Darauf hatte ich mich gefreut. Ich sehnte mich, allein in einer Ecke zu sitzen und zuzuschauen. Leider aber kam ich nicht dazu. Man gab mich nicht frei. Ich war und blieb der Mittelpunkt der Unterhaltung, aber einer ganz und gar gehaltlosen Konversation. Man sprach von allen Seiten auf mich ein. Ich sollte und mußte auf alle möglichen und unmöglichen Fragen Antwort erteilen. Es wurde mir zu Mute wie einem alten Uhu, welcher, an seinen Sitz gefesselt, von einer Schar Krähen und Elstern umschwärmt wird, deren er sich nicht erwehren kann. Und dabei war man überzeugt, ich sei entzückt, mit solcher Liebenswürdigkeit behandelt zu werden. Man tanzte nach den Tönen von Guitarren, deren mehrere vorhanden waren. Diese Instrumente wurden meisterhaft gespielt. Der Spanier scheint als Guitarrero geboren zu werden.

Nun hatte man sich unterhalten, gegessen, getanzt, und es blieb nur noch eins zu thun – — zu spielen. Bald saßen sie alle, Männlein und Weiblein, bei den Karten. Ich beteiligte mich nicht, was mit Kopfschütteln kritisiert wurde. Eine Zeitlang interessierte es mich, den Zuschauer zu machen; als aber der Teufel des Spieles seine Samtpfötchen nach und nach in Krallen verwandelte und ich aus schön sein sollendem Munde so manches Fluchwort hörte, da schlich ich mich heimlich fort. An einem deutschen Skate mag man sich beteiligen, an einem südamerikanischen Juego aber nicht. Es ist kein Vergnügen, die Leidenschaften zu beobachten, welche das Gesicht eines solchen Spielers oder gar so einer Spielerin verzerren. Die berühmte Tertullia war jetzt für mich zu Ende, und ich kann nicht behaupten, daß ich von ihr sehr erbaut gewesen sei.

Draußen im Vorzimmer saßen die bedienenden Peons und – spielten auch. Mein Erscheinen war für sie keine Veranlassung, sich stören zu lassen.

Ich hatte meine Stube nicht verschlossen, da es möglich war, daß die Dienerschaft während meiner Abwesenheit da noch zu thun hatte. Der Mond schien so hell zum Fenster herein, daß ich einer andern Beleuchtung nicht bedurfte. Ich überzeugte mich, daß die Fenster noch so wie vorher verschlossen waren. Unter das Bett zu schauen, das vergaß ich.

Vielleicht hätte ich es gethan, aber man hatte mir so fleißig zugetrunken, und ich war gezwungen gewesen, so viel Bescheid zu thun, daß der schwere, gefälschte Fabrikwein mich ermüdet hatte. Ich schob den Riegel vor und fiel, als ich mich gelegt hatte, sofort in einen tiefen Schlaf.

Der Aufenthalt in den Prairien hatte meine Sinne so geschärft. daß sie sich selbst während dieses tiefen Schlafes nicht ganz außer Thätigkeit befanden. Mir träumte, ich liege im Walde und werde von Indianern beschlichen. Einer derselben kam an mich heran und holte aus, um nach mir zu stechen. Ich sprang auf, um mich zu wehren, und – erwachte. Ich saß im Bette.

Noch lag der Mondschein in der Stube; nur die Thürgegend war im Dunkel. Es war mir, als ob dort sich eine menschliche Gestalt bewege.

»Wer da?« fragte ich.

Ich erhielt keine Antwort, vernahm aber ein leises Knarren. Ich sprang aus dem Bette und nach der Thüre. Sie war zu. Also hatte ich mich wahrscheinlich getäuscht. Darum legte ich mich beruhigt wieder nieder und schlief nun ohne Unterbrechung bis zum Morgen.

Als ich da aufstand und nach dem Waschen die Stube verlassen und also den Riegel zurückschieben wollte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß derselbe bereits zurückgeschoben war.

Ich wußte ganz genau, daß ich ihn am Abende vorgeschoben hatte. Ebenso genau wußte ich, daß ich ihn dann, als ich aus dem Traume erwachte und eine Gestalt zu erblicken meinte, nicht geöffnet hatte. Wie kam es, daß er jetzt offen war?

Ich durchsuchte das Zimmer, fand aber keine Spur, welche angedeutet hätte, daß sich jemand bei mir befunden habe. Von meinen Kleidern und Sachen, von dem Inhalte meiner Taschen war nichts abhanden gekommen. Auch die Waffen befanden sich im besten Zustande. Auf der Diele sah ich einen roten, seidenen Faden liegen. Er war ganz kurz abgerissen und vierfach genommen, als hätte er sich in einer Nähnadel mit starkem Oehr befunden und sei nach dem Nähen abgerissen worden.

Hatte dieses Fadenende schon gestern hier gelegen? Wahrscheinlich! Gewiß kam doch kein Dieb in meine Stube, um mir einen Faden herzulegen. Ich hatte wohl dennoch in der Nacht den Riegel zurückgeschoben, um die Thüre zu öffnen und hinauszusehen. In der Schlaftrunkenheit hatte ich dann vergessen, wieder zu schließen. Auf diese Weise war die Erklärung sehr einfach.

Mochte dem sein, wie ihm wolle, ich beruhigte mich, da mir gar nichts abhanden gekommen war, und begab mich in das Speisezimmer, wo die Familie bereits bei der Chokolade saß.

Nach Beendigung des Frühstückes entfernte sich die Dame, und die beiden Herren ergriffen die Gelegenheit, das gestrige Thema wieder zur Sprache zu bringen. Sie schienen überzeugt zu sein, daß ich mich nun eines Bessern besonnen habe, mußten aber von mir das Gegenteil erfahren. Sie ergingen sich in allen möglichen Vorstellungen und Zureden, welche aber keinen Eindruck auf mich machten. Es war mir sehr gleichgültig, wer heute oder morgen oder übers Jahr Präsident der Banda oriental sein werde, und es fiel mir gar nicht ein, mich aus Rücksichten für fremde politische Meinungen in Gefahr zu begeben.

Die Enttäuschung der beiden war groß. Ihre Gesichter verfinsterten sich, und ihr Benehmen wurde gemessener.

»Nun, da Sie partout nicht wollen, zwingen können wir Sie nicht,« sagte Rixio endlich fast zornig. »Hoffentlich aber werden Sie wenigstens Ihr Wort halten und den Inhalt unsers Gespräches bis auf weiteres keinem unserer Gegner mitteilen?«

»Ich werde überhaupt zu keinem Menschen davon sprechen.«

»Wie lange gedenken Sie hier im Lande zu verweilen?«

»Ich reite quer durch dasselbe, und zwar voraussichtlich ohne jeden Aufenthalt. Sie kennen die Entfernungen besser als ich und werden also wissen, daß ich in wenigen Tagen die Grenze hinter mir haben werde.«

»Das ist gut für Sie. Ihre Aehnlichkeit kann Ihnen sehr leicht große Fatalitäten bereiten, nachdem Sie die Vorteile, welche wir Ihnen boten, zurückgewiesen haben. Darum rate ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, sich nirgends zu verweilen.«

»Diesem freundlichen Rate werde ich so eilig nachkommen, daß ich denselben schon auf meinen hiesigen Aufenthalt in Anwendung bringe. Ich werde sofort aufbrechen.«

Er hatte zuletzt in fast gehässigem Tone gesprochen. Das verdroß mich natürlich. Darum wendete ich mich kurz ab nach der Thüre.

»Bitte, Sennor,« rief er mir nach. »So war es nicht gemeint. Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung, so lange Sie es wünschen. Uebrigens war es doch bestimmt, daß mein Sohn mit Ihnen reiten werde.«

»Dann muß ich denselben bitten, sich mit dem Aufbruche zu beeilen. In einer halben Stunde liegt San José hinter mir.«

»So schnell kann ich nicht,« erklärte der Offizier. »Es hat sich herausgestellt, daß ich erst am Nachmittage fort kann.«

Das war nur Vorwand. Ich sagte, daß ich so lange nicht warten könne, und begab mich in den Stall, um mein Pferd selbst zu satteln. Dann verabschiedete ich mich von der Familie, von welcher der so herzlich aufgenommene Fremde sehr kalt entlassen wurde. Wie es gewöhnlich zu sein pflegt, war die Höhe der Trinkgelder, welche ich zu geben hatte, größer als der Wert des Genossenen.

Im Posthause fand ich die Yerbateros meiner wartend. Monteso benachrichtigte mich gleich bei meinem Eintritte:

»Sennor, Sie haben recht gehabt: Der Polizeikommissar ist nicht nach Montevideo geritten. Gestern abend lungerte er draußen auf dem Hofe herum; als er mich sah, machte er sich schleunigst von dannen. Er führte irgend etwas im Schilde.«

»Wir müssen vorsichtig sein. Wie weit reiten wir heute?«

»Nach Perdido, einer Station für die Diligence, aber mit allen möglichen Bequemlichkeiten ausgestattet.«

»Sie haben dem angeblichen Polizisten natürlich unsere Reiseroute mitgeteilt?«

»Ja.«

»Das ist nun leider nicht zu ändern.«

»O doch ist es zu ändern. Wir bleiben an einem andern Orte.«

»Hm! Dieser Vorschlag ist nicht übel, doch läßt sich auch einiges gegen denselben einwenden. Sie sagen, Perdido sei nur Station, also ein einzelnes, freistehendes Gebäude?«

»Es liegt in einer weiten Ebene. Man hat von da einen bedeutenden Fernblick.«

»So ist es besser, dort zu bleiben. Wir wissen, daß dieser Mensch kommen wird, und können also unsere Maßregeln treffen. Wir sehen ihn wohl sogar kommen. Nehmen wir aber anderswo Quartier, so haben wir keine solche Sicherheit.«

»Ich stimme Ihnen bei. Wann brechen wir auf, Sennor?«

»So bald wie möglich, am allerliebsten gleich.«

»Das kann geschehen. Wir sind fertig und haben hier gar nichts mehr zu suchen.«

Sogar die Pferde der Yerbateros standen schon gesattelt. Fünf Minuten später hatten wir die Stadt hinter uns, in welcher ich der ersten südamerikanischen Tertullia beigewohnt hatte.

Ueber die Gegend, durch welche wir kamen, läßt sich nur das bereits Gesagte wiederholen. Sie bleibt sich durch ganz Uruguay gleich. sanfte Bodenwellen mit Vertiefungen dazwischen, schmale, tief eingeschnittene Bäche oder kleine Flüsse, welche dem Rio Negro zustreben, Camposgras und wieder Camposgras – es ist die Einförmigkeit im vollsten Sinne des Wortes.

Kurz nach Mittag sahen wir ein ziemlich großes Gebäude vor uns liegen, ein Posthaus mit Schenke und Kramladen, das an einem Flüßchen lag. Weit über dieser Station draußen sahen wir einen Reiter, welcher im Galoppe nach Westen ritt und also von dem Hause kam, bei welchem wir anhalten wollten.

Dort angekommen, erkundigte ich mich nach dem Reiter. Er hatte mehrere Stunden lang vor dem Hause gesessen und war dann, als er uns kommen sah, in den Sattel gestiegen und davongeritten. Die Beschreibung, welche der Wirt lieferte, stimmte ganz genau. Es war Mateo, der frühere Kaufmannslehrling. Eine Stunde hinter dieser Station kamen wir an die Cuchilla grande, den bereits erwähnten Gebirgszug. Aber von Bergen war auch hier keine Rede. Auf unbedeutenden Bodenerhebungen standen einzelne Felsen, welche den Ueberresten einer zerfallenen Mauer glichen. Das war das Gebirge.

Als wir es durchkreuzt hatten, gab es wieder die vorige wellenförmige Ebene, deren Grasfläche zuweilen von einem ausgedehnten Distelfelde unterbrochen wurde. Die Disteln hatten mehr als Manneshöhe. Sie verbreiten sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit und nehmen den Bewohnern des Landes nach und nach die besten Weideflächen weg. Zwischen ihnen verbirgt sich allerlei Getier. Ich hörte, daß sie sogar Hirschen und Straußen zum Aufenthaltsorte dienen, konnte aber keins dieser Tiere erblicken. So ging es fort bis gegen Abend. Die Pferde der Yerbateros begannen zu ermüden. Sie mußten durch Peitsche und Sporen angetrieben werden. Mein Brauner aber hielt vortrefflich aus.

Als die Sonne im Westen verschwinden wollte, erreichten wir unser heutiges Ziel. Es lag am Rio Perdido und führte denselben Namen. Das Gebäude bestand aus Wänden von festgerammter Erde und war mit Schilf gedeckt. Eine alte Magd und zwei Peons waren zur Stelle. Wir erfuhren, daß der Besitzer in Mercedes abwesend sei und erst morgen wiederkomme.

Die Station liegt in sehr einsamer Gegend, dennoch wurden uns gute Betten und ein ebenso gutes und auch billiges Abendessen geboten.

Die Einsamkeit pflegt den Menschen wortkarg zu machen. Den beiden Peons hätte man jede Silbe abkaufen mögen. Die Magd war gesprächiger. Ich erkundigte mich, ob im Laufe des Nachmittags ein Reiter hier eingekehrt sei. Als die Peons diese Frage hörten, verließen sie die Stube. Ich sah ihren Gesichtern an, daß sie diese Frage erwartet hatten, aber von der Beantwortung derselben nichts wissen wollten. Die Magd hielt mir stand, aber mit sichtlichem Widerwillen. Sie verneinte meine Frage, doch sah ich ihr an, daß sie mich belog.

»Sennorita, wollen Sie einem Caballero, der sich so offen an Sie wendet, eine Unwahrheit sagen?« fragte ich. »Sie haben so ein gutes, ehrliches Gesicht. Ich denke nicht, daß Sie es über das Herz bringen werden, mich zu täuschen.«

Ich hatte sie trotz ihres Alters Sennorita, also Fräulein genannt. Dazu kam der zutrauliche Ton, in welchem ich sprach. Sie konnte nicht widerstehen.

»Ja, Sennor, Sie haben das Aussehen eines Caballero,« sagte sie; »aber ich bin gewarnt worden.«

»Von wem?«

»Von eben dem Reiter, nach welchem Sie sich erkundigen.«

»Was hat er gesagt?«

»Das darf ich nicht verraten.«

»So thut es mir leid, daß Sie zu einem Bösewicht mehr Vertrauen haben, als zu einem ehrlichen Menschen.«

Ihr Gesicht wurde immer verlegener.

»Mein Gott!« stieß sie hervor. »Dieser Reiter hat auch gesagt, daß er ein ehrlicher Mann sei, Sie aber ein böser Mensch.«

»Das ist Lüge.«

»Er vertraute uns sogar an, daß er ein Kriminalbeamter aus der Stadt Montevideo sei.«

»Weshalb reiste er?«

»Er wollte Ihnen voraus nach Mercedes, damit Sie dort sogleich bei Ihrer Ankunft arretiert werden könnten.«

»Hat er Ihnen gesagt, was ich begangen haben soll?«

»Ja. Sie sind ein Aufrührer und Verschwörer, der das Land in Unglück bringen will.«

Sie haben ihm das natürlich geglaubt. Glauben Sie es denn auch jetzt noch, nachdem Sie mich gesehen haben, Sennorita?«

»O, Sennor, Sie haben gar nicht das Aussehen eines Mannes, welcher so nach Blut trachtet.«

»Nicht wahr? Ich bin ein ganz und gar friedfertig gesinnter Mensch. Ich bin gar nicht hier im Lande geboren, und ich bekümmere mich auch nicht um die Verhältnisse desselben. Ich trachte nach nichts, als nach einem guten Bette, in welchem ich diese Nacht ruhig zu schlafen vermag.«

»Aber das will er nicht. Ich soll Sie nicht im Hause aufnehmen, und sobald die Polizei befiehlt, muß ich gehorchen.«

»Nun, Sennorita, so sehr streng gehorsam sind Sie doch nicht gewesen. Sie haben mir die Betten gezeigt, und uns in Ihrer Freundlichkeit ein gutes Abendessen versprochen?«

»Ja,« lachte sie gezwungen, »konnte ich denn anders? Sie fragten gar so höflich. Sie nannten mich Sennorita, was hier niemand thut, und Sie haben so ein – ein – ein – Wesen wie ein echter Caballero. Es war mir ganz unmöglich, Sie abzuweisen und draußen im Freien schlafen zu lassen.«

Also hatte Ihnen dieser Mann befohlen, es so einzurichten, daß wir unter dem freien Himmel schlafen müßten?«

»Ja, das befahl er mir.«

»Er ist ein großer Lügner, Sennorita. Er ist gar nicht ein Kriminalkommissar, sondern ein Spitzbube, welchen w i r arretieren lassen könnten, anstatt e r uns. Wollen Sie etwa die Verbündete eines solchen Menschen machen?«

»Das fällt mir gar nicht ein. Wenn es so ist, wie Sie sagen, Sennor, so soll er sich ja nicht wieder bei uns sehen lassen. Es würde ihm schlecht ergehen, denn wir verstehen keinen Spaß. Ich glaube Ihren Worten, und gerade weil dieser Kerl uns vor Ihnen gewarnt hat, sollen Sie auf das allerbeste bedient werden. Ich verlasse Sie jetzt, um das Abendmahl zu bereiten, mit welchem Sie hoffentlich zufrieden sein werden.«

Mateo hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; das mußte einen Grund haben. Es war ein milder, wunderschöner Abend. Kein Lüftchen regte sich. Die Yerbateros erklärten, daß es ihnen bei solchem Wetter nicht einfallen könne, im Hause zu schlafen. Ich warnte sie, doch vergeblich. Als wir gegessen hatten, und zwar verhältnismäßig sehr gut, wickelten sie sich in ihre Decken und legten sich unter ein Strohdach nieder, welches zu irgend einem Zwecke auf vier Pfählen neben dem Hause errichtet war. Ihre Pferde ließen sie frei weiden.

Da ich Mateo nicht traute, so brachte ich meinen Braunen in den Corral, welcher mit einer hohen, dichten und stacheligen Kaktushecke umgeben war. Die Magd bewies mir eine ganz besondere Aufmerksamkeit dadurch, daß sie einen Hund zu dem Pferde in den Corral sperrte. Sie versicherte, derselbe werde einen Heidenskandal machen, falls ein Fremder es wagen solle, sich zu dem Pferde zu schleichen.

Am Rio de la Plata

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