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Winnetou in Fesseln

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Damit der Bär nicht weit geschleppt zu werden brauchte, war während meiner Abwesenheit das Lager bis in die Nähe der Stelle, wo ich ihn erlegt hatte, vorgerückt worden. Er war so schwer, daß die vereinte Anstrengung von zehn kräftigen Männern hatte angewendet werden müssen, um ihn unter den Bäumen hervor und durch das Gebüsch nach dem im Freien brennenden Feuer zu schaffen.

Trotz der späten Stunde, in welcher ich zurückkehrte, waren außer Rattler alle noch wach. Dieser schlief seinen Rausch aus; er hatte getragen werden müssen und war wie ein Klotz ins Gras geworfen worden. Sam hatte dem Bären das Fell abgezogen, das Fleisch aber unberührt gelassen. Als ich vom Pferde gestiegen war und dasselbe versorgt hatte und an das Feuer trat, sagte der Kleine:

»Wo jagt Ihr denn herum, Sir? Wir haben mit Schmerzen auf Euch gewartet, weil wir das Bärenfleisch kosten und den Petz doch nicht ohne Euch anschneiden konnten. Habe ihm einstweilen den Rock ausgezogen. War ihm vom Schneider so gut angemessen worden, daß er auch nicht die kleinste Falte hatte, hihihihi. Hoffentlich habt Ihr nichts dagegen, wie? Und nun sagt, wie das Fleisch verteilt werden soll! Wir wollen, ehe wir uns schlafen legen, ein Stückchen davon braten.«

»Teilt, wie Ihr wollt,« antwortete ich. »Das Fleisch gehört allen.«

»Well, so will ich Euch etwas sagen. Das Beste sind die Tatzen; es gibt überhaupt nichts, was über Bärentatzen geht.

Sie müssen aber längere Zeit liegen, bis sie den gehörigen Hautgout bekommen haben. Am delikatesten sind sie, wenn sie schon von Würmern durchbohrt sind. Aber so lange können wir nicht warten, denn ich fürchte, daß die Apachen sehr bald kommen und uns das Essen verderben werden. Darum wollen wir lieber beizeiten dazutun und uns gleich heut schon über die Tatzen machen, damit wir sie genossen haben, wenn wir von den Roten ausgelöscht werden. Habt Ihr etwas dagegen, Sir?«

»Nein.«

»Well, so mag das schöne Werk beginnen; der Appetit ist da, wenn ich mich nicht irre.«

Er löste die Tatzen von den Beinen und zerlegte sie dann in so viel Teile, wie Personen da waren. Ich bekam das beste Stück eines Vorderfußes, wickelte es ein und legte es beiseite, während die andern sich beeilten, ihre Portion an das Feuer zu bringen. Ich hatte zwar Hunger, aber keinen Appetit, so widersprechend dies auch klingen mag. Infolge des langen, anstrengenden Rittes fühlte ich wohl das Bedürfnis, Speise zu mir zu nehmen, aber es war mir unmöglich, zu essen. Ich konnte die Mordszene noch immer nicht verwinden. Ich sah mich mit Klekih-petra zusammensitzen; ich hörte seine Bekenntnisse, welche mir jetzt wie eine letzte Beichte vorkamen, und mußte immer wieder an seine Schlußworte denken, die wie die Vorahnung seines nahen Todes geklungen hatten. Ja, das Blatt seines Lebens war nicht leicht und leise abgefallen, sondern mit Gewalt abgerissen worden, und zwar von was für einem Menschen, aus was für einem Grunde und in was für einer Weise! Dort lag der Mörder, noch immer sinnlos betrunken. Ich hätte ihn niederschießen mögen, aber es ekelte mich vor ihm. Dieses Gefühl des Ekels war jedenfalls auch der Grund gewesen, daß die beiden Apachen ihn nicht auf der Stelle bestraft hatten. »Feuerwasser!« hatte Intschu tschuna im allerverächtlichsten Tone gesagt; welche Anklagen, welche Vorwürfe lagen in diesem einen Worte!

Wenn mich etwas über den blutigen Vorgang beruhigen konnte, so war es der Umstand, daß Klekih-petra am Herzen Winnetous gestorben war, daß sein Herz die für Winnetou bestimmte Kugel aufgefangen hatte; dies war ja sein letzter Wunsch gewesen. Aber die Bitte an mich, zu Winnetou zu halten und das begonnene Werk zu vollenden? Warum hatte er sie an mich gerichtet? Noch vor wenigen Minuten hatte er gemeint, daß wir uns wohl nicht wiedersehen würden, also daß mein Lebensweg wohl kein mich zu den Apachen führender sei, und nun erteilte er mir plötzlich eine Aufgabe, deren Lösung mich mit diesem Stamme in innige Beziehung bringen mußte. War dieser Wunsch ein zufälliges, leeres, weggeworfenes Wort? Oder ist dem Sterbenden vergönnt, wenn er von seinen Lieben scheidet, im letzten Augenblicke, wenn die eine Schwinge seiner Seele bereits im Jenseits schlägt, einen Blick in ihre Zukunft zu werfen? Fast scheint es so, denn es wurde mir später möglich, seine Bitte zu erfüllen, obgleich es jetzt den Anschein hatte, als ob eine Begegnung mit Winnetou mir nur Verderben bringen könne.

Warum hatte ich dem Sterbenden überhaupt mein Versprechen so schnell gegeben? Aus Mitleid? Ja, wahrscheinlich. Aber es war wohl noch ein anderer Grund vorhanden, wenn ich mir seiner auch nicht bewußt gewesen war: Winnetou hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, einen Eindruck, wie ich ihn noch bei keinem andern Menschen empfunden hatte. Er war grad so jung wie ich, und doch mir so überlegen! Das hatte ich gleich beim ersten Blicke herausgefühlt. Die ernste, stolze Klarheit seines samtweichen Auges, die ruhige Sicherheit seiner Haltung und jeder seiner Bewegungen und der wehmütige Hauch eines tiefen und verschwiegenen Grames, den ich auf seinem jugendlichen, schönen Gesichte zu entdecken glaubte, hatten mir es sofort angetan. Wie achtunggebietend war sein und seines Vaters Verhalten gewesen! Andere Menschen, mochten es nun Weiße oder Rote sein, hätten sich sofort auf den Mörder gestürzt und ihn getötet; diese beiden hatten ihn nicht eines Blickes gewürdigt und das, was in ihnen vorging, nicht durch die leiseste Bewegung eines Gesichtsmuskels verraten. Was für Leute waren doch wir dagegen! So saß ich, während die andern sich ihr Fleisch schmecken ließen, still am Feuer und grübelte in mich hinein, bis Sam Hawkens mich aus meinem Sinnen weckte:

»Was ist‘s mit Euch, Sir? Habt Ihr keinen Hunger?«

»Ich esse nicht.«

»So? Und haltet lieber Denkübungen! Ich sage Euch, daß Ihr Euch das nicht angewöhnen dürft. Auch mich ärgert das, was vorgekommen ist, gewaltig, aber der Westmann muß sich an solche Auftritte gewöhnen. Man nennt den Westen nicht umsonst die »dark and bloody grounds« die finstern und blutigen Gründe. Ihr könnt es glauben, daß hier der Boden auf jedem Schritte, den Ihr darauf tut, mit Blut getränkt ist, und wer eine so empfindliche Nase hat, daß er dies nicht erriechen kann, der mag daheim bleiben und Zuckerwasser trinken. Nehmt Euch die Geschichte nicht zu Herzen, und gebt Euer Tatzenstück her; ich will es Euch braten!«

»Danke, Sam; ich esse wirklich nicht. Habt ihr euch denn darüber geeinigt, was nun mit Rattler werden soll?«

»Haben allerdings darüber gesprochen.«

»Nun, was wird seine Strafe sein?«

»Strafe? Meint Ihr, daß wir ihn bestrafen sollen?«

»Natürlich meine ich das.«

»Ach so! Und wie denkt Ihr, daß wir dies anzufangen haben? Sollen wir ihn nach San Francisco, New York, oder Washington transportieren und dort als Mörder anklagen?«

»Unsinn! Die Obrigkeit, die ihn zu richten hat, sind wir; er ist den Gesetzen des Westens verfallen.«

»Seht doch an, was so ein Greenhorn alles von den Gesetzen des wilden Westens weiß. Seid Ihr etwa aus dem alten Germany herübergekommen, um hier den Lord Oberrichter zu spielen? War dieser Klekih-petra ein Verwandter oder sonstiger guter Freund von Euch?«

»Allerdings nicht.«

»Da habt Ihr den Punkt, auf den es ankommt. Ja, der wilde Westen hat seine feststehenden, eigentümlichen Gesetze. Er verlangt Auge für Auge, Zahn für Zahn, Blut für Blut, so wie es in der Bibel steht. Ist ein Mord geschehen, so kann der dazu Berechtigte den Mörder sofort töten, oder es wird eine Jury gebildet, welche das Urteil fällt und es dann ungesäumt vollzieht. Auf diese Weise entledigt man sich der schlimmen Elemente, welche den ehrlichen Jägern sonst über den Kopf wachsen würden.«

»Nun, so bilden wir also eine Jury.«

»Dazu würde zunächst ein Ankläger nötig sein.«

»Der bin ich!«

»Mit welchem Rechte?«

»Als Mensch, der nicht zugeben kann, daß ein solches Verbrechen ungeahndet bleibt.«

»Pshaw! Ihr redet eben, wie ein Greenhorn redet. Als Ankläger könnt Ihr in zwei Fällen auftreten. Nämlich erstens, wenn der Ermordete Euch als Verwandter oder Freund und Kamerad nahe gestanden hat; daß dies aber nicht der Fall ist, habt Ihr bereits zugegeben. Zweitens könnt Ihr auch dann als Ankläger gegen den Mörder auftreten, wenn Ihr selbst der Ermordete seid, hihihihi. Seid Ihr das?«

»Sam, die Sache ist keine solche, über welche man Witze reißen soll!«

»Weiß schon, weiß! Wollte diesen Punkt auch nur der Vollständigkeit wegen hinzufügen, weil, wenn ein Mord vorgekommen ist, der Ermordete das erste und größte Recht besitzt, die Bestrafung des Mörders zu beantragen. Also Ihr habt keinen Grund, den Ankläger zu machen, und bei uns andern ist ganz dasselbe der Fall; wo aber kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Es gibt hier gar kein Recht, eine Jury zusammenzustellen.«

»So soll Rattler also unbestraft ausgehen?«

»Davon ist keine Rede. Ereifert Euch nicht so! Ich gebe Euch mein Wort, daß ihn die Vergeltung so sicher treffen wird, wie jede Kugel aus meiner Liddy ihr Ziel erreicht. Die Apachen werden dafür sorgen.«

»Und uns trifft dann die Strafe mit!«

»Sehr wahrscheinlich. Aber meint Ihr, daß wir dies dadurch verhindern können, daß wir Rattler töten? Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Die Apachen sehen nicht ihn allein, sondern auch uns als Mörder an und werden uns ganz gewiß als solche behandeln, wenn sie uns in ihre Hände bekommen.«

»Auch wenn wir uns seiner entledigen?«

»Auch dann. Sie schießen uns nieder, ohne zu fragen, ob er bei uns ist oder nicht. Aber wie wolltet Ihr Euch seiner wohl entledigen?«

»Ihn fortjagen.«

»Ja, darüber haben wir uns freilich auch schon beraten und sind zu der Ansicht gekommen, daß wir erstens kein Recht haben, ihn fortzujagen und dies, selbst wenn wir das Recht hätten, aus Klugheitsrücksichten nicht tun würden.«

»Aber, Sam, ich begreife Euch nicht! Wenn mir jemand nicht paßt, so trenne ich mich von ihm. Und nun gar ein Mörder! Sind wir etwa gezwungen, so einen Schurken, der noch dazu ein Trunkenbold ist und uns in immer neue Verlegenheiten bringen kann, noch länger bei uns zu dulden?«

»Ja, leider sind wir das. Rattler ist ebenso wie ich, Stone und Parker für Euch engagiert worden, und nur diejenigen, die ihn angestellt haben und besolden, können ihn entlassen. Wir müssen uns da streng nach dem Rechte halten.«

»Streng nach dem Rechte? Einem Menschen gegenüber, der Tag für Tag die göttlichen und menschlichen Gesetze mit Füßen tritt!«

»Wenn auch! Was Ihr da vorbringt, ist ja alles gut; aber man darf keinen Fehler begehen aus dem Grunde, weil ein Anderer ein Verbrechen begangen hat. Ich sage Euch, daß die Obrigkeit sich vor allen Dingen rein zu halten hat; aus diesem Grunde haben wir Westmänner, die wir gegebenen Falles die Obrigkeit spielen müssen, alle Veranlassung, unsern Ruf unbefleckt zu erhalten. Doch auch davon abgesehen, will ich Euch fragen, was Rattler wohl dann täte, wenn er von uns fortgejagt würde?«

»Das ist seine Sache!«

»Und die unserige ebenso! Wir befänden uns in jedem Augenblicke in Gefahr, da er höchst wahrscheinlich versuchen würde, sich an uns zu rächen. Es ist besser, ihn bei uns zu behalten, wo wir ihn beaufsichtigen können, als daß wir ihn fortjagen und er uns fortgesetzt umschleicht und jedem, dem er will, eine Kugel in den Kopf jagen kann. Ich denke, daß Ihr nun auch unserer Meinung seid.«

Er sah mich dabei mit einem Blicke an, den ich recht wohl verstand, denn er blinzelte dann in bezeichnender Weise zu Rattlers Genossen hinüber. Wenn wir gegen diesen vorgingen, so stand zu befürchten, daß sie gemeinschaftliche Sache mit ihm machen würden. Das sagte ich mir auch, denn es war ihnen nicht zu trauen. Darum antwortete ich:

»Ja, nachdem Ihr mir die Sache in dieser Weise klar gemacht habt, sehe ich wohl ein, daß wir sie laufen lassen müssen, wie sie läuft. Nur machen mir die Apachen Sorge, denn es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß sie kommen werden, um sich zu rächen.«

»Sie kommen, und zwar um so sicherer, als sie nicht ein Wort der Drohung ausgesprochen haben. Sie haben nicht nur außerordentlich stolz, sondern auch sehr klug gehandelt. Hätten sie augenblicklich Vergeltung geübt, so wäre davon, selbst wenn wir es geduldet hätten, was keinesfalls so sicher war, doch nur Rattler betroffen worden. Sie hatten es aber auf uns alle abgesehen, weil er zu uns gehörte und weil sie uns infolge unserer Vermessungen als Feinde betrachten, die ihnen ihr Land und Eigentum rauben wollen. Darum haben sie sich in so außerordentlicher Weise beherrscht und sind davongeritten, ohne einen Finger gegen uns zu erheben. Desto sicherer aber werden sie zurückkehren, um uns alle in ihre Hände zu bekommen. Glückt ihnen das, so können wir uns auf einen bösen Tod gefaßt machen, denn das Ansehen, in welchem dieser Klekih-petra bei ihnen gestanden hat, erfordert eine doppelt und dreifach schwere Rache.«

»Und das alles um eines Trunkenboldes willen! Sie werden jedenfalls in größerer Anzahl kommen.«

»Natürlich! Es hängt da alles von der Frage ab, wann sie kommen werden. Wir hätten ja Zeit, zu fliehen, müßten aber alles im Stiche und die beinahe fertige Arbeit unvollendet lassen.«

»Das umgehen wir, wenn es nur halbwegs möglich ist.«

»Wann glaubt Ihr, fertig werden zu können, wenn Ihr Euch recht sputet?«

»In fünf Tagen.«

»Hm! So viel ich weiß, gibt es hier in der Nähe kein Apachenlager. Ich würde die nächsten Mescaleros wenigstens drei starke Tagesritte von hier suchen. Wenn ich mich hierin nicht irre, so haben Intschu tschuna und Winnetou, weil sie die Leiche transportieren, vier Tage zu reiten, ehe sie Sukkurs bekommen können; drei Tage dann nach hier zurück, das ergibt sieben Tage, und da Ihr glaubt, in fünf Tagen fertig zu werden, so meine ich, daß wir es wagen dürfen, mit der Vermessung fortzufahren.«

»Und wenn Eure Berechnung nicht richtig ist? Es ist ja möglich, daß die beiden Apachen die Leiche einstweilen an einen sichern Ort geschafft haben und dann zurückkommen, um aus dem Hinterhalte auf uns zu schießen. Ebenso ist es möglich, daß sie viel eher auf einen Trupp der Ihrigen treffen; ja es läßt sich sogar annehmen, daß sie Freunde in der Nähe haben, denn es sollte mich wundern, wenn zwei Indianer, noch dazu Häuptlinge, sich ohne alle Begleitung so weit von ihrem Wohnsitze entfernten. Und da die Zeit der Büffeljagd gekommen ist, so wäre auch die Möglichkeit vorhanden, daß Intschu tschuna und Winnetou zu einem Jagdtruppe gehören, der sich in der Nähe befindet und von welchem sie sich aus irgend einem Grunde auf nur kurze Zeit entfernt haben. Das alles ist zu bedenken und zu beherzigen, wenn wir vor- und umsichtig sein wollen.«

Sam Hawkens kniff das eine seiner beiden kleinen Aeuglein zu, zog eine verwunderte Grimasse und rief aus:

»Good lack, was Ihr doch klug und weise seid! Wahrhaftig, heutzutage sind die Küchlein zehnmal gescheiter als die alte Henne, wenn ich mich nicht irre. Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, so war das, was Ihr vorgebracht habt, gar nicht so dumm gesagt. Ich gebe Euch vollständig recht. Wir müssen unsere Augen auf alle diese möglichen Fälle richten. Darum ist es notwendig, zu erfahren, wohin die beiden Apachen sich gewendet haben. Ich werde ihnen also mit Tagesanbruch nachreiten.«

»Und ich reite mit,« sagte Will Parker.

»Ich auch,« erklärte Dick Stone.

Sam Hawkens sann eine kurze Weile nach und antwortete ihnen dann:

»Ihr bleibt hübsch da, ihr Beide. Ihr werdet hier gebraucht. Verstanden?«

Er sah dabei nach Rattlers Freunden hinüber, und er hatte recht. Wenn diese unzuverlässigen Menschen allein bei uns blieben, so könnte es nach ihres Anführers Erwachen leicht unliebsame Szenen geben. Da war es besser, Stone und Parker blieben da.

»Aber du kannst doch nicht allein reiten!« sagte der letztere.

»Ich könnte schon, wenn ich wollte; aber ich will nicht,« erwiderte Sam. »Werde mir einen Begleiter aussuchen.«

»Wen?«

»Dieses junge Greenhorn hier.«

Dabei deutete er auf mich.

»Nein, der darf nicht fort,« entgegnete da der Oberingenieur.

»Warum nicht, Mr. Bancroft?«

»Weil ich ihn brauche.«

»Möchte doch wissen, wozu!«

»Zur Arbeit natürlich. Wenn wir in fünf Tagen fertig werden wollen, müssen wir alle unsere Kräfte anspannen. Ich kann keinen missen.«

»Ja, alle Kräfte anspannen. Bisher habt Ihr das nicht getan; es hat vielmehr einer für alle arbeiten müssen; nun mögen sich auch einmal alle für diesen Einen anstrengen.«

»Mr. Hawkens, wollt Ihr mir etwa Vorschriften machen? Das möchte ich mir verbitten!«

»Fällt mir nicht ein. Eine Bemerkung ist noch lange keine Vorschrift.«

»Klang aber genau so!«

»Mag sein; habe auch gar nichts dagegen. Was Eure Arbeit betrifft, so wird es wohl keine gar so große Verzögerung nach sich ziehen, wenn morgen vier anstatt fünf sich daran beteiligen. Habe grad eine bestimmte Absicht dabei, dieses junge Greenhorn, welches Shatterhand genannt worden ist, mitzunehmen.«

»Darf ich fragen, welche?«

»Warum nicht. Er soll einmal sehen, wie man es macht, wenn man Indianern nachschleicht. Wird ihm wahrscheinlich von Nutzen sein, eine Fährte richtig lesen zu können.«

»Das ist aber für mich nicht maßgebend.«

»Weiß schon. Es gibt noch einen zweiten Grund. Nämlich der Weg, den ich zu machen habe, ist ein gefährlicher. Da ist es vorteilhaft für mich und euch, wenn ich einen Begleiter bei mir habe, der eine solche Körperkraft besitzt und mit seinem Bärentöter so außerordentlich gut schießen kann.«

»Ich sehe wirklich nicht ein, inwiefern dies auch für uns von Vorteil sein könnte.«

»Nicht? Das wundert mich. Seid doch sonst ein außerordentlich pfiffiger und einsichtsvoller Gentleman,« antwortete Sam in leicht ironischem Tone. »Wie nun, wenn ich auf Feinde treffe, die hieher wollen und mich auslöschen? Da kann Euch niemand von der Gefahr benachrichtigen, und Ihr werdet überfallen und umgebracht. Habe ich aber dieses Greenhorn bei mir, welches mit seinen kleinen Ladieshänden den stämmigsten Kerl mit einem Schlage zu Boden schmettert, so ist es sehr wahrscheinlich, daß wir heiler Haut wiederkommen. Seht Ihr das nun ein?«

»Hm, ja.«

»Und sodann kommt die Hauptsache: Er muß morgen mit, damit keine Reiberei entsteht, welche unglücklich enden kann. Ihr wißt, daß Rattler es ganz besonders auf ihn abgesehen hat. Wenn dieser Liebhaber eines Glases Brandy morgen erwacht, ist es sehr wahrscheinlich, daß er sich gleich an den macht, der ihn heut wieder niedergeschmettert hat. Wir müssen diese beiden wenigstens morgen, am ersten Tage nach der Mordtat, auseinander halten. Darum bleibt der Eine, den ich nicht brauchen kann, hier bei Euch, und den Andern nehme ich mit. Habt Ihr nun auch noch etwas dagegen?«

»Nein; er mag mit Euch reiten.«

»Well; so sind wir also einig.« Und indem er sich mir zuwendete, fügte er hinzu: »Ihr habt gehört, was Euch morgen für eine Anstrengung bevorsteht. Es kann leicht möglich sein, daß wir da keinen Augenblick zum Essen und zur Ruhe finden. Darum frage ich Euch, ob Ihr denn nicht wenigstens einige Bissen von Eurer Bärentatze probieren wollt.«

»Na, unter diesen Umständen will ich es wenigstens versuchen.«

»Versucht es nur, versucht es nur! Ich kenne diese Versuche, hihihihi! Man braucht nur einen Bissen zu nehmen, so hört man gewiß nicht eher auf, als bis man nichts mehr hat. Gebt die Tatze her; ich will sie Euch braten. So ein Greenhorn hat nicht den richtigen Verstand dazu. Also paßt hübsch auf, damit Ihr es lernt! Müßte ich Euch eine solche Delikatesse zum zweitenmal braten, so bekämet Ihr nichts davon, denn ich würde sie selber essen.«

Der gute Sam hatte ganz recht gesagt: kaum hatte ich, als er mit seinem kulinarischen Meisterstück fertig war, den ersten Bissen probiert, so stellte sich der vorhin vermißte Appetit ein; ich vergaß, was mich vorher bedrückt hatte, und aß, aß wirklich so lange, bis ich nichts mehr hatte.

»Seht Ihr‘s!« lachte er mich an. »Es ist wirklich weit angenehmer, einen Grizzlybären zu verspeisen, als zu erlegen; das habt Ihr nun wohl kennen gelernt. Jetzt werden wir uns einige tüchtige Stücke aus dem Schinken schneiden, um sie noch heut abend zu braten. Die nehmen wir morgen als Proviant mit, denn auf solchen Kundschafterritten muß man immer darauf gefaßt sein, daß man keine Zeit findet, ein Wild zu schießen und auch kein Feuer anbrennen darf, um es zu braten. Ihr aber legt Euch auf das Ohr und macht einen schnellen, tüchtigen Schlaf, denn wir brechen mit der Morgenröte wieder auf und werden morgen alle Kräfte brauchen.«

»Well, ich werde also schlafen. Aber vorher sagt mir, welches Pferd Ihr reiten werdet?«

»Welches Pferd? Gar keines.«

»Was denn?«

»Welche Frage! Meint Ihr denn, daß ich mich auf ein Krokodil oder einen andern sonstigen Vogel setzen werde? Natürlich werde ich mein Maultier, meine neue Mary reiten.«

»Das würde ich nicht tun.«

»Warum?«

»Ihr kennt sie noch zu wenig.«

»Dafür kennt sie mich ganz genau. Hat gar gewaltigen Respekt vor mir, das Vieh, hihihihi!«

»Aber bei einem solchen Späherritte, wie wir morgen vorhaben, muß man sehr vorsichtig sein und alles vorher bedacht haben. Ein Pferd, dessen man nicht sicher ist, kann alles verderben.«

»So? Wirklich?« lachte er mich an.

»Ja,« antwortete ich eifrig. »Ich weiß, daß das Schnauben eines Pferdes seinem Reiter das Leben kosten kann.«

»Ah, das wißt Ihr? Gescheiter Kerl, der Ihr seid! Habt es wohl auch gelesen, Sir?«

»Ja.«

»Dachte es mir! Muß doch außerordentlich interessant sein, solche Bücher zu lesen. Wenn ich nicht selbst ein Westmann wäre, würde ich nach dem Osten ziehen, mich dort recht hübsch behaglich auf ein Kanapee setzen und solche schöne Indianergeschichten lesen. Ich glaube, man kann rund und fett dabei werden, obgleich man die Bärentatzen nur auf dem Papiere zu essen bekommt. Möchte wirklich wissen, ob die guten Gentlemen, welche solche Sachen schreiben, einmal über den alten Mississippi herübergekommen sind!«

»Die meisten von ihnen wahrscheinlich.«

»So? Denkt Ihr?«

»Ja.«

»Glaube es nicht. Habe meine sehr guten Gründe dazu, daran zu zweifeln.«

»Und diese Gründe sind?«

»Will‘s Euch sagen, Sir. Habe früher auch einmal schreiben gekonnt, aber es so schön verlernt, daß ich jetzt wohl kaum noch imstande wäre, meinen Namen auf ein Papier oder eine Schiefertafel zu bringen. Eine Hand, welche so lange ein Pferd gezügelt, die Büchse und das Messer geführt und den Lasso geschwungen hat, die ist nicht mehr geeignet dazu, allerlei Krikselkraksel auf das Papier zu malen. Wer ein richtiger Westmann ist, der hat sicher das Schreiben verlernt, und wer keiner ist, der mag es unterlassen, über Sachen zu schreiben, die er nicht versteht.«

»Hm! Man braucht sich doch nicht, um ein Buch über den Westen zu schreiben, so lange da aufzuhalten, bis man kein Schreibgelenk mehr in den Fingern hat.«

»Fehlgeschossen, Sir! Ich habe soeben gesagt, daß nur ein tüchtiger Westmann richtig und der Wahrheit gemäß schreiben könnte; aber grad so ein Mann kommt nie dazu.«

»Warum?«

»Weil es ihm nicht einfallen wird, den Westen, wo es keine Tintenfässer gibt, zu verlassen. Die Prairie ist wie die See; sie läßt denjenigen, der sie kennen gelernt und lieb gewonnen hat, niemals wieder von sich. Nein, alle diese Bücherschreiber kennen den Westen nicht, denn wenn sie ihn kennen gelernt hätten, so hätten sie ihn nicht verlassen, um ein paar hundert Papierseiten mit Tinte schwarz zu machen. Das ist so meine Ansicht, und ich vermute sehr, daß sie die richtige ist.«

»Nein. Ich kenne zum Beispiel einen, der den Westen lieb gewonnen hat und ein tüchtiger Jäger werden will. Dennoch wird er zuweilen in die Zivilisation zurückkehren, um über den Westen zu schreiben.«

»So? Wer wäre das?« fragte er, indem er mich neugierig ansah.

»Das könnt Ihr Euch denken.«

»Denken? Ich mir? Sollte es möglich sein, daß Ihr Euch da selbst gemeint habt?«

»Ja.«

»Alle Wetter! Ihr wollt also unter das unnütze Volk der Büchermacher gehen?«

»Wahrscheinlich.«

»Das laßt bleiben, Sir, ja das laßt bleiben; ich bitte Euch inständigst darum. Ihr würdet dabei elend zu Grunde gehen; das könnt Ihr mir glauben.«

»Ich bezweifle es.«

»Und ich behaupte es. Ich kann es sogar beschwören,« rief er eifrig. »Habt Ihr denn eine kleine Ahnung von dem Leben, welches Euch dann bevorsteht?«

»Ja.«

»Nun?«

»Ich mache Reisen, um Länder und Völker kennen zu lernen, und kehre zuweilen in die Heimat zurück, um meine Ansichten und Erfahrungen ungestört niederzuschreiben.«

»Aber zu welchem Zwecke denn, um aller Welt willen? Das kann ich nicht einsehen.«

»Um der Lehrer meiner Leser zu sein und mir nebenbei Geld zu verdienen.«

»Zounds! Der Lehrer seiner Leser! Und Geld verdienen!

Winnetou 1

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