Читать книгу Das Dorf - Karl Olsberg - Страница 5

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2. Der Golem ist weg

Am nächsten Morgen serviert Karo ein herzhaftes Frühstück. Zwar hat Magolus sein Ziel, Wumpus mit einem sprechenden Golem zu beeindrucken, nicht erreicht, aber die freundliche Behandlung durch die Bäuerin stimmt ihn milde. „Ihr könnt ja nichts dafür, dass ihr so einen Angeber als Priester habt“, stellt er fest. Primo und Kolle rollen mit den Augen, was ihnen einen Tadel von Birta einbringt.

Als sie aus dem Bauernhaus treten, erwartet sie eine Überraschung. Wumpus steht dort inmitten einer Gruppe von Dorfbewohnern und macht ein finsteres Gesicht.

„Wo ist der Golem?“, fragt er.

„Da steht er doch!“, erwidert Magolus und weist auf Asimov, der reglos neben einem von Karos Getreidefeldern wartet.

„Den meine ich nicht“, sagt der Priester des Wüstendorfs. „Ich meine unseren Golem. Gestern Abend war er noch da, aber seit heute Morgen ist er nirgends zu finden.“

„Woher sollen wir wissen, wo euer Golem ist?“, fragt Magolus.

„Gebt es ruhig zu!“, zischt Wumpus.

„Gebt was zu?“

„Dass ihr ihn gestohlen habt!“

Einen Moment lang herrscht eisige Stille.

„Was sagst du da?“, fragt Magolus. Seine Stimme bebt vor Zorn.

„Willst du mir etwa erzählen, es ist Zufall, dass unser Golem genau in dem Moment spurlos verschwindet, wo ihr hier aufkreuzt?“, gibt Wumpus ebenso zornig zurück.

Primo blickt zwischen den beiden hin und her. Die angespannte Stimmung gefällt ihm gar nicht. Wenn es zum offenen Konflikt kommt ...

„Hast du irgendwelche Beweise für deine Anschuldigungen, Wumpus?“, schaltet sich Karo ein.

„Beweise? Der Fall ist doch eindeutig: Diese Fremden kreuzen hier auf, und am nächsten Morgen ist unser Golem weg. Was brauchen wir da noch für Beweise? Wer sonst außer einem Fremden würde einen Golem klauen?“

„Und wie genau sollen unsere Besucher den Golem gestohlen haben?“

„Das weiß ich doch nicht! Wahrscheinlich haben sie sich nachts an ihn herangeschlichen, und dann – zack – haben sie ihn sich geschnappt.“

„Und wo, glaubst du, haben sie ihn versteckt? Unter ihren Roben vielleicht?“

„Nun, äh ... also ...“, stottert Wumpus und sieht sich verwirrt um.

Primos Blick fällt auf Asimov, der immer noch reglos dasteht. Bildet er es sich nur ein, oder schaut der Golem verschämt auf den Boden? Ihm kommt ein Verdacht.

„Asimov, kannst du uns vielleicht sagen, wo der Golem aus dem Wüstendorf ist?“, fragt er.

„Schon möglich“, erwidert der Golem, ohne Primo anzusehen.

Die Wüstendorfbewohner starren Asimov mit großen Augen an. „Er kann ja wirklich sprechen!“, ruft Wumpus erstaunt.

„Ha!“, macht Magolus triumphierend.

„Asimov, wo ist der andere Golem?“, fragt Primo.

Asimov streckt seinen langen metallenen Arm aus und zeigt auf die Wüste nordöstlich des Dorfs. „Irgendwo da draußen.“

„Und wieso ist er da draußen?“

„Ich habe ihn in die Wüste geschickt.“

„Und warum?“

„Mir war gestern Abend etwas langweilig, so allein hier draußen, während ihr im Haus euren Spaß hattet“, erzählt der Golem. „Also bin ich ein wenig spazieren gegangen, und da hab ich meinen Kumpel getroffen. Wir haben uns ein bisschen unterhalten. Um ehrlich zu sein, hab die meiste Zeit ich geredet. Er ist eher der schweigsame Typ, aber ein wunderbarer Zuhörer. Wir waren uns schnell einig, wie trostlos die Existenz als Golem ist, gefangen in einem metallenen Körper, gebunden an den Willen durchgeknallter Knollnasen ohne Sinn und Verstand. Ich habe gemerkt, dass er immer trübsinniger wurde, und da hab ich ihm vorgeschlagen, in die Wüste zu gehen und über den Unsinn des Lebens zu meditieren. Sowas bessert zwar nicht die Laune, aber man stört dabei wenigstens niemanden. Wohin genau er gegangen ist, weiß ich auch nicht.“

„Auweia!“, entfährt es Primo.

„Also habt ihr unseren Golem nicht gestohlen?“, fragt Wumpus.

„Natürlich nicht“, bekräftigt Magolus. „Einer von denen reicht uns, das kannst du mir glauben!“

Wumpus beugt sein Haupt. „Dann entschuldige ich mich dafür, dass ich euch fälschlich beschuldigt habe“, sagt er. Alle starren ihn verwundert an. Am meisten scheint Karo über die Demut ihres Priesters erstaunt zu sein.

„Ähem“, räuspert sich Magolus, der sich offenbar von Wumpus in nichts etwas vormachen lassen will, auch nicht in Entschuldigungen. „Auch wir bitten für das Verhalten von Asimov um Verzeihung. Ich werde sofort meine besten Leute in die Wüste schicken, damit sie euren Golem zurückbringen!“ Er zeigt auf Primo und Kolle, die beide unwillkürlich aufstöhnen.

„Seit wann muss man sich für eine freundliche Plauderei unter Kumpels entschuldigen?“, grummelt Asimov.

„Schweig, Golem!“, befiehlt Magolus. „Du wirst die beiden begleiten und dafür sorgen, dass der Golem des Wüstendorfs wohlbehalten zurückkehrt. Sonst lassen wir dich hier an seiner Stelle zurück.“

„Okay, okay, ich geh ja schon“, mault Asimov und stapft hinter Primo und Kolle her.

Zum Glück dauert es nicht lange, bis sie den Golem des Wüstendorfs finden. Er sitzt mit hängendem Kopf im Schatten eines Sandhügels.

„Eine von den Knollnasen aus deinem Dorf hat uns geschickt, damit wir dich zurückholen“, erklärt Asimov.

Der Wüstendorf-Golem schüttelt langsam seinen Metallschädel.

„Nimm’s nicht so schwer, mein Freund“, beruhigt ihn Asimov. „In spätestens tausend Jahren bist du verrostet, dann hast du’s hinter dir.“

Der Golem scheint noch mehr in sich zusammenzusacken, obwohl das mit seinem Metallkörper eigentlich gar nicht möglich ist.

„Lass lieber mich mit ihm reden!“, sagt Primo. Er geht zu dem Golem und legt ihm eine Hand auf die metallene Schulter. „Komm schon, deine Dorfbewohner vermissen dich! Sie brauchen deine Hilfe und deinen Schutz! Außerdem haben sie dich richtig lieb!“

Der Golem schüttelt nur den Kopf und stößt ein Geräusch aus, das wie ein metallischer Seufzer klingt.

„Lasst ihn in Ruhe“, sagt Asimov. „Er hat nun mal erkannt, dass er überflüssig ist. Da kann man nichts machen.“

„Aber er ist nicht überflüssig!“, widerspricht Primo. „Er muss das Dorf vor Monstern beschützen!“

„Pah, so ein Blödsinn. Im Wüstendorf hat es schon lange keinen Monsterangriff mehr gegeben. Der arme Kerl hier hat längst nur noch eine dekorative Funktion. Kein Wunder, dass er depressiv ist.“

„Er scheint ganz zufrieden gewesen zu sein, bis du gekommen bist und ihm eingeredet hast, er werde nicht mehr gebraucht!“

„Ich hab ihm gar nichts eingeredet. Und außerdem ist es doch wahr!“

In diesem Moment hören sie Hufgetrappel. Kurz darauf erscheinen Margi und Karo, die zusammen auf dem Rücken des Pferdes durch den Sand galoppieren.

„Hui, das macht Spaß!“, ruft Karo aus.

„Steh, Assan!“, sagt Margi. Das Pferd hält so abrupt an, dass Karo beinahe den Halt verliert und herunterpurzelt. Die beiden steigen ab.

„Da ist ja unser Golem“, stellt Karo fest. „Aber warum sitzt er bloß da? Ist er kaputt?“

„Asimov hat ihm eingeredet, er sei in eurem Dorf überflüssig“, erklärt Primo.

„Aber das stimmt doch nicht!“, widerspricht Karo. Der Golem blickt kurz auf, doch dann schüttelt er wieder nur den Kopf.

„Das Problem ist anscheinend, dass es seit Langem keinen Monsterangriff mehr bei euch gegeben hat“, meint Primo.

„Das stimmt“, bestätigt Karo. „In letzter Zeit ist es ziemlich ruhig in den Nächten.“

„Ich hab eine Idee“, sagt Kolle. Er geht zu Karo und boxt sie gegen den Arm.

„Aua!“, ruft die Bäuerin aus.

„Sag mal, spinnst du, Kolle?“, empört sich Margi. „Was ist denn in dich gefahren?“

Doch Kolle zeigt nur auf den Golem, der sich jetzt aufgerichtet hat und ihn wütend anstarrt. „Lauf vor mir weg zum Dorf!“, raunt er Karo zu.

Die Bäuerin versteht. „Hilfe!“, ruft sie. „Hilfe, der Fremde will mir etwas tun!“ Laut schreiend läuft sie den Hügel hinauf in Richtung des Wüstendorfs.

Kolle rennt ihr nach, gefolgt von dem Golem, der mit mächtigen Schritten durch den Sand stakst und versucht, ihm mit seinen langen Armen einen Schlag zu verpassen.

„Auweia!“, ruft Margi aus. „Was ist, wenn er Kolle erwischt?“

„Keine Angst, Golems sind zum Glück nicht allzu schnell zu Fuß“, sagt Primo.

„Ja, das ist eine unserer vielen Stärken!“, grummelt Asimov.

Margi sitzt wieder auf. Zu dritt folgen sie dem wütenden Golem.

Karo und Kolle haben inzwischen das Dorf erreicht. Der Golem versucht immer noch, Kolle durch die Luft zu schleudern, während dieser sich hinter der Bäuerin in Deckung bringt. Die beiden tänzeln um Karo herum, als führten sie ein merkwürdiges Ritual auf.

„Was habt ihr denn jetzt wieder für einen Unsinn angestellt?“, fragt Birta.

Primo ignoriert sie. „Ihr müsst euch wieder vertragen!“, ruft er Kolle und Karo zu. „Umarmt euch oder so!“

Karo dreht sich um, nimmt Kolle in den Arm und gibt ihm einen Kuss. Kolles Gesicht läuft knallrot an. Der Golem hält inne und blickt zwischen ihnen hin und her, dann lässt er seine Metallarme sinken.

Margi springt von ihrem Pferd und rennt auf die beiden zu. Einen Moment lang befürchtet Primo, dass sie Karo eine Ohrfeige verpassen wird, weil diese ihren Freund geküsst hat. Was würde wohl der Golem dann tun? Aber stattdessen nimmt sie Kolle in den Arm und küsst ihn ebenfalls, nur länger. „Gut gemacht!“, sagt sie.

„Jetzt, wo unser Golem wieder da ist, möchte ich unsere Ehrengäste aus dem, äh, wunderschönen Schluchtdorf zum gemeinsamen Gottesdienst in unsere Kathedrale einladen!“, ruft Wumpus feierlich.

„Kathedrale? Was für eine Kathedrale?“, fragt Magolus. Doch er folgt seinem Priesterkollegen zusammen mit den anderen zu der kleinen Dorfkirche.

Es ist ziemlich eng, als sich alle Bewohner des Wüstendorfs und die Besucher aus dem Dorf an der Schlucht in der Kirche drängen. Wumpus hält eine lange Predigt über gute Nachbarschaft und darüber, dass man Fremden gegenüber stets freundlich und tolerant sein muss.

„Denn Notch hat uns alle nach seinem Ebenbild geschaffen!“, schließt er. „Und deshalb sind wir alle Brüder und Schwestern. Unsere Besucher aus dem fernen Dorf an der Schlucht kamen als Fremde, doch hier und jetzt sind sie unsere Freunde geworden! Amen!“

„Amen!“, sagt die ganze Gemeinde, und die Bewohner beider Dörfer umarmen einander zum Zeichen der Freundschaft.

„Und nun wollen wir zur Feier dieses wundervollen Tages gemeinsam das Heilige Brot essen!“, sagt Wumpus und hält einen großen Brotlaib hoch. „Denn Notch, der Herr, sprach ...“

„Das heilige Was?!?“, ruft Magolus empört dazwischen.

Das Dorf

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