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Bewahrungshaus

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Der Autor, 1954 geboren, musste als Student der Sozialwissenschaft nach einer Verzweiflungstat die Unterbringung in einer Haftanstalt und auch in der Psychiatrie erleben. In dieser besonderen Notlage entdeckte er seine Fähigkeit, die Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse in Kurzgeschichten und Gedichten zu verarbeiten. 1999 erhielt er den Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene. Als Mitglied in der Literaturwerkstatt von Jo Micovich in Wuppertal intensivierte er seine Schreibversuche und erstellte mehrere Anthologien. Ermutigt durch die überaus positiven Erfahrungen veranstaltete er zahlreiche Lesungen in kulturellen Einrichtungen, Schulen und Haftanstalten.








Buch


38/1 ist eine besondere und berühmt berüchtigte Abteilung in einer psychiatrischen Anstalt, wo sich unter den drogenabhängigen Patienten ungewöhnlich viele Todesfälle ereignen. Es geht um das Leben und Sterben in einer weitgehend unbekannten Welt. Der Autor berichtet über die besonderen, kaum vorstellbaren Ereignisse und Erfahrungen, die er in den verschiedenen Anstalten, aber auch in seinem bewegten Leben erleben und überleben konnte. In diesem schonungslos ehrlichen Tatsachenroman beschreibt der Autor seine extremen Tiefpunkte und einen Teufelskreis, den er nur mit viel Fantasie einigermaßen schadlos überstehen konnte.

Für viele meine Freunde, die aus dem Teufelskreis der Sucht nicht heraus finden konnten und viel zu früh ihr Leben beendeten.

Hier danke ich auch vor allem meiner Freundin, Petra Piskar, die als Graphik-Designerin die Gestaltung des Buches kompetent erledigte und mit deren Hilfe mein Vorhaben überhaupt realisiert werden konnte. Ebenso danke ich vielen anderen Freunden, die mich ermutigten und motivierten, diesen Roman zu schreiben.

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In den Häusern der Irren

„38/1“

in den häusern der irren

irren die irren irre umher

irre verwirrt verirrt

für immer

Es ist irgendwann im Sommer. Plötzlich und endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, muss ich ganz schnell meine Sachen packen. Innerhalb von 30 Minuten. Eine Blitzverlegung. Drehe mir aber doch noch ganz schnell eine Zigarette, um diesen angenehmen Schock zu verarbeiten. Nach Jahren der Monotonie in dieser äußerst kargen und Reiz reduzierten Umgebung, überall nur die gleichen Wände, die Zelle, der vergitterte Ausblick auf noch mehr Wände und Mauern. Kein Sex, teure Drogen und die vielen Psychopathen und Verhaltensgestörten, mit denen man irgendwie auskommen muss. Eine üble Angelegenheit. Ja, und das alles sollte plötzlich vorbei sein.

Die Ereignisse überstürzen sich. Ziemlich planlos stecke ich meine wenigen Sachen in irgendwelche Taschen und Kartons, und ab geht die Post. Werde auch noch mit dem Einzeltransporter, welch eine Ehre und ungewohnter Komfort, in die für mich vorgesehene Klinik gefahren, um dort meine lang ersehnte Zwangstherapie anzutreten. Viele wissen es nicht, denken, dass es in einer Klinik, in der Psychiatrie, schlimmer wäre als im Knast. Aber ich habe da andere Sachen gehört. Nach meiner Vorinformation dürfte und sollte ich dort zumindest eine bessere Lebensqualität erwarten und die Chance, vorzeitig entlassen zu werden. Für mich Anlass genug, in eine positive und gehobene Stimmungslage zu verfallen. Ich freue mich auf die Verlegung und Veränderung. Es kann nur besser werden.

Unterwegs während der Fahrt sauge ich die neuen Bilder in mich auf. Sichtkontakt mit einer anderen Welt, in der man sich frei bewegen kann. Ein Leben in Freiheit. Darüber lässt sich gut philosophieren. Jedem steht es frei, sich frei zu fühlen – im Rahmen der üblichen Zwänge. Viele laufen frei herum, sind aber im Kopf gefangen. Nicht jeder kann mit Freiheit etwas anfangen. Sucht, Wahn, das ganze Spektrum an psychischen Erkrankungen. Wie auch immer. Ich weiß zumindest, wo die Freiheit definitiv endet. Für mich ist es eine schmerzhafte Erinnerung. Schon lange her, verdammt lang her. So schnell wie möglich möchte ich wieder frei sein.

Nach einer relativ kurzen Fahrt erreichen wir den Ort und fahren in das Klinikgelände.

Überall die schmalen Wege und viel Grün, viele Bäume. Etwas düster die geräumigen Häuser, alle im gleichen Stil gebaut, solides Bauwerk. Seltsamerweise sehe ich kaum Leute auf den Wegen. Der Ort wirkt wie ausgestorben und unwirklich. Eine Geisterstadt. Der Bus fährt plötzlich an einer Mauer entlang, so ähnlich wie im Knast, etwas niedriger vielleicht. Wir warten vor einem Tor, das kurze Zeit später geöffnet wird, um den Transporter durchzulassen. Ich erblicke die Nummer 29/1, und sage auch zu einem der Fahrer, dass es wohl die falsche Nummer sei. Für mich ist ganz klar die 38/1 vorgesehen. Der Beamte guckt mich irgendwie recht seltsam an. Und ich kann ganz gut in Gesichtern lesen. Das lernt man automatisch mit der Zeit in einer geschlossenen Umgebung, schon alleine mangels Abwechslung, aber auch wegen der möglichen Gefahren. Es gilt das Recht des Stärkeren und nicht selten hat man es mit schwer aggressiven und gewaltbereiten Schwachsinnigen zu tun. Schon im Sinne der Selbsterhaltung ist es angebracht, die Situation sofort zu erfassen, um notfalls entsprechend zu reagieren.

Im Knast gibt es eine klare Hierarchie. Entweder man ist gut trainiert und kann sich wehren, oder man geht die Sache mit Verstand und Einfühlungsvermögen an. Dann findet man auch schnell seine geeigneten Partner und Schutz und braucht sich selbst nicht zu bemühen. Ich hatte trotzdem ein sehr scharfes Messer in meinem Haftraum, das ich jetzt leider zurücklassen und verkaufen musste, weil man vor einem Transport immer auf Metallteile durchsucht wird. Es war scharf wie ein Rasiermesser. Aber das werde ich wohl künftig nicht mehr brauchen, so hoffe ich.

Nun ja, jedenfalls guckt der Beamte irgendwie mitleidig, mit einem Anflug von Bedauern, so als ob in Kürze meine Hinrichtung anstehen würde. Nee, ist schon richtig, kannste aber gleich alles abklären, sagt er noch. Dann öffnet sich eine weitere Tür und zwei in Weiß gekleidete Männer kommen die Treppe herunter. Meine beiden uniformierten Begleiter verschwinden plötzlich ganz schnell und ich werde in das Haus geführt. Ein ziemlich großes und graues Gebäude mit vergitterten Fenstern. Beeindruckend sind auch die hohen Wände, die größeren Räume. Im Knast ist der Lebensraum auf knappe 4 Quadratmeter beschränkt. Das ist schon Käfighaltung. Hier ist es auch deutlich kühler. Angenehm kühl. Aber ansonsten auch nicht besonders einladend. Alles grau. Ich fühle mich ganz schön durch geschwitzt von der Fahrt. Einer der Begleiter meint dann auch, dass mir eine Dusche nach der anstrengenden Fahrt sicherlich gut tun würde. Wir gehen einen langen Gang entlang, vereinzelt stehen da noch weitere weiße Pfleger. Alle gucken irgendwie gelangweilt, aber ich spüre, dass sie mich doch mit ihren Blicken verfolgen. Ich kenne diese abschätzenden Blicke, diese erste Grundmusterung. Ist es einer, bei dem Vorsicht geboten ist, oder jemand, der wohl keine Probleme bereiten wird.

Im Duschraum steht ein Stuhl bereit, wo ich meine Kleider ablegen soll. Ich gehe dann unter die Dusche, genieße die angenehme Abkühlung und versuche die neuen Eindrücke zu ordnen. So schlecht ist es hier doch gar nicht, und wahrscheinlich ist es nur eine Durchgangsstation, wo man aufgenommen, untersucht und dann auf die vorgesehene Abteilung verlegt wird.

Nach dem Duschen bemerke ich sofort, dass meine ganze Bekleidung wie auch Tabak und Feuerzeug, verschwunden sind. Auf dem Stuhl befinden sich lediglich eine etwas größere und fast antike Unterhose, ein Handtuch, und sonst nichts. Fängt schon mal gut an, kann vielleicht noch richtig heiter werden. Die Tür ist verschlossen. Ich drücke einen Meldeknopf, worauf irgendwann ein Pfleger erscheint. Ihre Sachen bekommen sie bald wieder, aber zuerst müssen sie ja noch vom Arzt untersucht werden, sagt er, und der wird sicherlich bald kommen. Folgen sie mir. Ich folge ihm in dieser unmöglichen Unterhose weiter den langen Gang entlang, bis wir am Ende vor einer vergitterten Tür stehen bleiben. Dahinter erblicke ich eine Art Gummizelle. Hier müssen sie mal kurz warten, bis der Arzt kommt, kann aber nicht lange dauern, sagt der Mann, dann wird alles geklärt. Widerstand ist zwecklos, denke ich mir, deshalb gehe ich da hinein, frage aber noch nach meinem Tabak. Kurze Zeit später bekomme ich den gebracht, aber ohne Feuerzeug. Das ist hier noch nicht erlaubt, aber sie können immer fragen, dann bekommen sie schon ihr Feuer, bekomme ich zu hören. Die Zelle ist eigentlich mehr eine Beruhigungszelle wie im Knast. Kein Fenster, dafür Glasbausteine, wo ein wenig graues und trübes Licht durchsickert. Eine große und schwere Matratze aus irgendeinem belastbaren Stoff, wahrscheinlich auch noch feuerfest, steht mitten im Raum. Die Toilette befindet sich in einer Ecke, die bei offener Tür leicht einsehbar ist, wie auch der ganze Raum. Hier gibt es anscheinend keine toten Winkel, alles unter Kontrolle, alles übersichtlich. Eigentlich ist die Toilette nur ein eingelassenes Loch in einer gekachelten Ecke. Die Tatsache, dass man hier auch beim Stuhlgang beobachtet werden kann, steigert mein ungutes Gefühl. Meine anfängliche Begeisterung hält sich jetzt schwer in Grenzen, aber ich hoffe immer noch, dass es nur vorübergehend zu den normalen Aufnahmebedingungen gehört. Schließlich werden in der Psychiatrie ja auch gefährliche Psychopathen untergebracht.

Ansonsten kenne ich ja bereits all die verschiedenen Zellen, die es in geschlossenen Einrichtungen halt so gibt. Die Einzel- und Gemeinschaftszellen, Schlicht- und Arrestzellen und neuerdings auch Liebeszellen, wo man bei braver und vorbildlicher Führung auch zweimal im Monat Sex mit seiner Partnerin haben kann. Ich meine, das ist schon wirklich wichtig und eine sehr positive Veränderung. Aber wirklich beeindruckend sind vor allem die Beruhigungszellen. Ist nämlich etwas gewöhnungsbedürftig, sich nackt und gefesselt in einem kahlen Raum zu beruhigen. Klappt jedenfalls nicht immer auf Anhieb. Aber in diesen Schall isolierten und Kamera überwachten Räumen hat das Personal auf jeden Fall alles unter Kontrolle und somit auch die Ruhe. Kommt also immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man die Angelegenheit betrachtet. Meinen Aufenthalt in einer Haftanstalt habe ich vor allem Kommissar Zufall zu verdanken, aber es lohnt sich nicht, darüber zu lamentieren. Zumindest muss ich mir nichts vorwerfen, was mein Gewissen dauerhaft belasten könnte. Leichtsinn vielleicht. Zu hohe Risikobereitschaft. Darüber könnte ich noch bei Gelegenheit nachdenken. Die Gesetzgebung ist auch etwas schizophren. So ist der Konsum von Drogen straffrei, nicht aber der Besitz. Und wie will man etwas konsumieren ohne es vorher zumindest kurzfristig zu besitzen? Manchmal stelle ich mir vor, wie sich das wohl anfühlen mag, wenn man unschuldig zum Tode verurteilt wird und nichts dagegen unternehmen kann. Nur auf die Hinrichtung warten, die jeden Tag näher rückt. Also, da wäre ich auch mit meinem Latein am Ende. Hab mal gelesen, dass die auch schwer darauf aufpassen, dass man sich nicht selber vorher umbringt. Solche Gedanken und Vorstellungen beruhigen mich normalerweise. Es reicht, wenn man sich irgendwas ausdenkt, wo es einem viel schlechter ergehen könnte.

Ich rufe nach einem Pfleger, der gelangweilt in einer Ecke steht. Der kommt dann betont langsam und lässig an geschlichen und gibt mir Feuer für meine selbst gedrehte Zigarette. Wie lange dauert das hier so in der Regel, frage ich. Was meinen sie, fragt er irritiert zurück. Ja, bis der Arzt kommt, die Untersuchung und so, erkläre ich. Ach so, der Arzt, ja der kommt noch. Heute oder morgen, oder nächste Woche. Ich merke schnell, dass ich keinen geistigen Überflieger vor mir habe, aber langsam fühle ich mich gar nicht gut. Und wie lange muss man hier in der Regel, in dieser Zelle so bleiben, frage ich weiter. Das hängt ganz von ihnen ab, sagt er in einem sanften Ton, so wie man auf geistig Verwirrte beruhigend einredet. Wir müssen uns ja auch erst mal kennen lernen. Manche schaffen es auch schon in einem halben Jahr, verlegt zu werden. Es kommt auch darauf an, wie gut sie hier mitarbeiten. Mein ungutes Gefühl verstärkt sich erheblich. Kann doch wohl nicht wahr sein. Andere brauchen natürlich etwas länger, fügt der Typ noch nachdenklich hinzu. Eine längere Zeit in diesem Raum kann ich mir nur schlecht vorstellen. Es kann nur ein Irrtum sein. Spätestens wenn der Arzt kommt, dann wird sich alles klären, denke ich mir, aber was, wenn doch nicht. Wenn sie dich hier einfach festhalten.

An dem Tag laufe ich lange in der Zelle hin und her. Es ist auch drückend heiß. Ich kann den ganzen langen Flur überblicken, weil die Tür offen bleibt, nur das Gitter davor ist zu. So bleibe ich aber auch ständig im freien Blickfeld, wie im Zoo, und dazu passend die Tarzan-Unterhose.

Der Arzt kommt nicht und auch nicht am nächsten Tag. Dann kommt das Wochenende. Nichts passiert. Versuche ein paar Yoga-Übungen, kann mich aber nicht richtig konzentrieren. Die Zeit zieht sich wie Kaugummi. Ein totes Wochenende. Und ich laufe hin und her. Wie ein Geistesgestörter. Morgens bekomme ich meine Zahnbürste ausgehändigt und darf einen Waschraum aufsuchen. Allein. Neben mir in der Nachbarzelle liegt ein Verwirrter, mit dem kein Wortwechsel möglich ist. Abends wird ein Fernseher vor seine Gittertür auf einen Rollwagen vorgefahren. Programm ist nicht wichtig, Hauptsache irgendwelche bunte Bilder. Mein Zellennachbar findet alles voll aufregend, lacht und macht unaufhörlich seltsame Geräusche. Und ich stecke jetzt mittendrin in diesem Psycho-Film. Muss mir alles anhören. Bleibt nur die Hoffnung, dass sich dieses Missverständnis bald aufklären wird. Gehe also weiter in der Zelle spazieren. Für mich gibt es noch keinen Fernseher, kein Buch, keine Zeitung, kein gar nichts. Über alles hat nur der Arzt zu entscheiden. Wo bin ich denn hier geraten. Womit habe ich das verdient. Kann das alles nicht so recht glauben.

Der Arzt erscheint dann irgendwann im Verlauf der nächsten Woche. In Begleitung eines besonders kräftigen Pflegers darf ich dann einen Untersuchungsraum aufsuchen. Immerhin gibt es da einen normalen Stuhl, wo ich mich auch setzen darf. Der Doktor macht auf mich den Eindruck, als ob er selber irgendwie geistig behindert ist. Grinst andauernd vor sich her. Vielleicht hat er auch Pillen geschluckt. Wenn man hier zehn oder zwanzig Jahre arbeitet, dann färbt das ab, denke ich mir. Dann ergeben sich gewisse Auswirkungen und Beeinflussungen, die man kaum steuern kann.

Ich versuche völlig normal und ruhig zu wirken und zu reden. Entschuldigen sie, aber ich vermute, dass hier ein kleiner Irrtum, eine Verwechslung vorliegt. Laut richterlicher Anordnung soll ich auf einer Suchtabteilung untergebracht werden. Schauen sie doch bitte in meine Akte, sage ich betont ruhig. Ach so, ja, dann wollen wir mal schauen, sagt er und blättert ganz kurz in irgendwelchen Unterlagen. Sein blödes Grinsen behält er die ganze Zeit auf seinem Gesicht, ebenso die dicke und geschmacklose Brille. Also, die richtigen Akten kommen ja noch, das dauert ja immer ein wenig, sagt er immer noch grinsend. Scheinbar bin ich für ihn ein Patient wie jeder andere. Und hier kommen gewöhnlich Menschen, die schwerst gestört sind und nach §63 StGB untergebracht werden. Da muss also auch eine Allgemeingefährlichkeit vorliegen. Der Aufenthalt ist da, glaube ich, unbefristet. Ich merke schnell, dass auch meine Ausdrucksweise hier unwichtig ist. Verrückte können auch gebildet sein. Die schlimmsten Massenmörder sind oder waren ja nicht gerade blöd. Nur abartig.

Immerhin schaffe ich es, normal nachzufragen, wie lange es gewöhnlich dauert, bis die Akten ankommen und wie lange ich in dem Käfig verbleiben müsste. Er spricht von einigen Tagen oder auch Wochen. Ich frage nach meinen persönlichen Sachen. Dann geht er mit mir in ein anderes Zimmer, wo sich einige Gestalten vom Pflegepersonal aufhalten und stellt mich dem Oberpfleger vor. Also, Herr Grund mag gerne Bücher, spielt auch gerne Gitarre, aber das müssen wir noch klären wegen der Stahlsaiten, eine Sporthose darf er schon tragen usw.

Er spricht über mich, als ob ich selber dazu nicht fähig wäre. Aber wahrscheinlich muss er das so machen. Mir würden sie gar nicht richtig zuhören. Ich lass ihn dann auch reden und nicke nur mit dem Kopf, wenn er eine Zustimmung benötigt. Das hier ist Irrenhaus pur. Und mir fehlen die Worte. Kann nur hoffen, dass der Alptraum nicht zu lange dauert.

Endlich bekomme ich meine Sport-Klamotten gebracht. Auf die Gitarre muss ich noch warten. Dafür bekomme ich auch ein paar Bücher ausgehändigt.

Die ersten Ausgänge erfolgen in einem kleinen Hinterhof. Ganz allein darf ich einige kurze Runden drehen. Es macht wenig Spaß, aber Hauptsache Bewegung. Natürlich werde ich beobachtet. Ich versuche unauffällig die Höhe der Mauern einzuschätzen. Nicht besonders hoch, spiele schon automatisch paar Gedanken durch, wie man hier notfalls abhauen könnte. Für den Notfall. So einfach scheint es nicht zu sein. Aber wahrscheinlich doch möglich.

Danach geht es wieder ab in die Gummizelle. Immerhin habe ich inzwischen etwas zum Lesen. Trotzdem ist es nicht ganz so leicht, mit dieser beschissenen Situation klar zu kommen. Ist ja schlimmer wie im Knast. Wenn ich hier noch länger bleiben sollte, dann habe ich wohl einen ganz schlechten Tausch gemacht. Aber noch kann ich nicht glauben, dass mein Aufenthalt hier wesentlich länger dauern könnte. Die durften mich keine Minute länger im Knast behalten und so sieht jetzt die Notlösung aus. Mein Anwalt hatte es vorhergesehen, dass es auf eine Notlösung hinauslaufen würde. Persönlich habe ich ihn nicht kennengelernt. Meine Frau hatte ihn ausgesucht. Ein Fachmann für den Maßregelvollzug und ziemlich teuer. Er hatte paar Schreiben an bestimmte und richtige Stellen in der Justiz aufgesetzt, die aber direkt erfolgreich waren. Für mich ist es immer noch das kleinere Übel, wenn es nicht all zu lange dauert. Wenn meine Akten kommen, werden sie mich bestimmt anders behandeln, wage ich zu hoffen. Vorerst muss ich aber noch hier bleiben. Natürlich ist meine Unterbringung in diesem Haus unzulässig. Aber eine Beschwerde will ich nicht riskieren. Vielleicht kommen die dann notfalls auf die Idee, die Reihenfolge der Vollstreckung bei mir abzuändern. Dann müsste ich zuerst paar Jährchen im Knast verbringen und würde irgendwann in die Psychiatrie verlegt. Das soll tatsächlich möglich sein. Solche Ideen und Möglichkeiten möchte ich auf keinen Fall provozieren.

Irgendwann wird dann ein Platz in einem Gemeinschaftsraum frei. Genauer gesagt sind es direkt zwei Plätze, die plötzlich freigeworden sind. Es waren zwei Insassen, die miteinander Schach spielten, bekomme ich später zu hören. Der eine konnte nicht gut verlieren, wurde richtig sauer und schnitt seinem Gegner nach dem verlorenen Spiel kurzerhand den Hals auf. Mit einer Art Säge, selber zusammengebastelt. Gut die Halsschlagader getroffen, soll reichlich Blut geflossen sein, aber wahrscheinlich ohne Todesfolge, wie man sich hier erzählt. Genauer weiß ich es nicht, weil sie hier auch keinem etwas sagen, die Pfleger. Danach werden sie den Übeltäter und schlechten Verlierer sicherlich gut fixiert und weg gespritzt haben. Und höchstwahrscheinlich wird er so bald kein Schach mehr spielen. Solche Vorfälle sind hier wahrscheinlich gar nicht mal so selten. Darüber wird man draußen bestimmt nie etwas zu lesen bekommen. Nur besondere Vorfälle müssen gemeldet werden. Wenn es einige Tote gibt, wie vor kurzen in einer anderen Klinik. Da sind bei einem Brand mehrere Patienten qualvoll verbrannt und erstickt. Das wird dann schon untersucht und darüber wird berichtet. Oder wenn besonders gefährlichen Psychopathen die Flucht gelingt. Die müssen schnell wieder eingesammelt werden. Einige besondere Patienten schaffen es auch, eine Beziehung zu einer Therapeutin oder Angestellten aufzubauen. Kommt öfter vor als man es sich vorstellt. Hierbei scheint auch die Tat des Untergebrachten keine große Rolle zu spielen. Sexualstraftäter und sogar Serienkiller üben anscheinend einen gewissen Reiz auf bestimmte Frauen aus. Nicht selten und je nach Bekanntheitsgrad bekommen die besonderen Verbrecher zahlreiche Briefe und Heiratsangebote. Eine gute Bekannte und Freundin von mir hat sich vor einigen Monaten in einen Sexualmörder verknallt. Verstehen und erklären kann sie es angeblich selber nicht. Den Mann habe ich kurz in der Haftanstalt kennen gelernt. Auf mich wirkte er ziemlich gewalttätig, rastet schnell aus. Ansonsten hat er 12 Jahre für Totschlag und anschließende Sicherheitsverwahrung als Strafe bekommen. Er muss also schon öfter aufgefallen sein. Im letzten Fall hat er die Freundin seines Vaters vergewaltigt und umgebracht. Meine sozial engagierte Freundin konnte mir nicht erklären, wieso und warum sich da tiefer gehende Gefühle bei ihr entwickelt haben. Sie versteht es auch nicht, fühlt sich innerlich zerrissen und wie ferngesteuert zu ihm hingezogen. So etwas soll es geben. Mir hat sie es im Vertrauen mitgeteilt, weil wir uns so ziemlich alles erzählen. Wir gehen sehr offen miteinander um. Anscheinend werden wir alle viel stärker als gedacht vom Unterbewusstsein gesteuert und gelenkt. Meine Freundin ist recht attraktiv, intelligent und vor allem sehr einfühlsam. Ich bin zwar verheiratet und mag meine Frau, aber mit ihr würde ich auch gerne mal etwas Sex machen, um die Beziehung noch weiter zu vertiefen. Da war sie vor geraumer Zeit auch nicht abgeneigt, hatte aber doch Bedenken, welche Auswirkungen es auf unsere Freundschaft haben könnte. Ja, und jetzt diese seltsame Geschichte, die ich einfach für verrückt halte. Wie lange will sie denn auf ihn warten. In den nächsten 15 Jahren wird er bestimmt nicht entlassen. Die beiden könnten höchstens die Liebeszelle in Anspruch nehmen, aber auch das wird sich noch hinziehen, weil er ja noch vorher den Segen des Psychologen und Anstaltsleiters bekommen muss. Einfach wird es nicht sein, da keiner ein Risiko eingehen will. Das ist schon eine verrückte Angelegenheit. Wie kann man sich in einen solchen Psycho verlieben. Ich glaube aber nicht, dass sie es noch sehr viel länger aushält. Liebe macht blind und ist oft rational nicht zu erklären, würde ich mal behaupten. Also, umgekehrt könnte ich mir auch vorstellen, mich in eine schöne und interessante Mörderin zu verlieben, kommt auf die Umstände an. Ich müsste den Mord und die Umstände nachvollziehen können.

Der Gemeinschaftsraum ist noch halbwegs akzeptabel, geräumiger als eine Gemeinschaftszelle und mit einer Toilette, die aber einsehbar ist. Intimsphäre ist hier wohl überhaupt nicht angesagt. Es gibt hier einen Fernseher, Tisch und Stühle und durch eine Klappe in der Tür bekommt man tagsüber auch das Essen durch gereicht. Der Fernseher läuft natürlich durchgehend und die Programmauswahl ist schwer gewöhnungsbedürftig. Irgendein Schwachsinn für Kinder, Hauptsache bewegte Bilder und volle Lautstärke. Das muss ich noch ein wenig abändern, sonst bekomme ich die Krise. Zuerst halte ich mich noch zurück, muss die Situation richtig einschätzen.

Wenig später werde ich dann auch noch in eines der Dreierzimmer verlegt. Bin aber darüber nicht wirklich erfreut. So übel meine Gummizelle auch war, dort hatte ich zumindest weitgehend meine Ruhe. Damit ist es vorerst vorbei. Einer der Mitbewohner ist Afrikaner, der ansonsten kaum redet, aber dafür fürchterlich schnarcht. Mein zweiter Zimmerkollege ist zwar ansprechbar, redet aber auch nur wirres Zeug. Ist aber nicht ganz daneben. Immerhin bindet er dem Afrikaner abends vor dem Schlaf ein Band um den dicken Zeh. Wenn das Schnarchen zu laut wird, dann braucht er nur an dem Band zu ziehen und der andere gibt dann eine Zeitlang Ruhe. Abends werden ganz penibel alle Feuerzeuge eingesammelt, damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Bei all den vielen Feuerteufeln ist es sicherlich eine notwendige Maßnahme. Ich besorge mir trotzdem irgendwie ein zweites Feuerzeug, weil ich abends und nachts gerne rauche. Tagsüber muss ich mich in diesem Gemeinschaftsraum aufhalten. Meine drei Mitpatienten sind alle auf Haldol und andere Medikamente eingestellt. Das Zeug hat Auswirkungen auf die Motorik und verändert einiges im Gehirn. So bin ich schon froh, dass ich keine Psychopharmaka einnehmen muss, aber für manche scheint es die einzige mögliche Hilfe zu sein. Hier in diesem Haus sind die Insassen nicht selten dauerhaft eingesperrt. Die meisten werden wohl nie die Freiheit erleben. Will auch nicht wissen, wie viele unbequeme Zeitgenossen einfach für wahnsinnig erklärt und dann für immer weg gesperrt werden. Hier entscheiden auch nur die Ärzte, ob man überhaupt noch raus kommt oder nicht. Die Richter in weiß. Unruhige Patienten werden schnell wieder beruhigt. Wenn einer tobt, dann sind die Pfleger schnell da und bilden einen Kreis um die Person. Der Kreis wird immer enger und dann bekommt man die Spritze notfalls durch die Hose verabreicht. Weiß nicht genau, was für ein Zeug das ist, aber es wirkt schnell und überzeugend. Die sogenannte Betonspritze. Jeder Pfleger hat eine Trillerpfeife am Hosenbund baumeln. Wenn er trillert, dann ist Alarm angesagt und schnell kommen die Helfer angerannt.

Ich finde schnell Kontakt zu meinen Mitinsassen. Man kann mit ihnen auch paar vernünftige Sätze sprechen. Nur sind die geistig schon gestört und nicht gerade kommunikativ. Aber das gilt nicht für alle Bewohner des Hauses. So gibt es schon auch einige echt Intelligente, die in der Regel auch wesentlich gefährlicher sind.

Am Monatsanfang wird ein bescheidenes Taschengeld ausgezahlt. Ich spiele mit meinen Mitbewohnern Karten, am liebsten Poker. Das konnte ich ihnen jedenfalls relativ schnell beibringen. Es wird um Einsatz gespielt. Für mich ein leichtes Spiel, weil sie die Feinheiten kaum beherrschen. Nach kurzer Zeit habe ich schon das ganze Geld von allen in meiner Tasche. Bekomme sogar leichte moralische Bedenken, aber dann sage ich mir, dass sie das Geld sowieso für Tabak und Kaffee ausgeben würden und somit ist es auch besser für die Gesundheit und so. Natürlich lass ich sie von meinem Gewinn dann auch mal eine Zigarette drehen und spendiere gelegentlich auch Kaffee. Dafür sind sie mir dankbar, spielen und verlieren auch gerne. Irgendwann taucht dann ein etwas jüngerer Typ in unserem Gruppenraum auf. Wirre dunkle Locken und eigentlich recht sympathisch. Spielt auch wirklich gut Gitarre, vor allem gut auf Zappa fixiert. Er kann ihn gut nachspielen, was wirklich nicht leicht ist. Zappa ist für jeden Musiker eine echte Herausforderung. Meine schöne Ibanez-Gitarre habe ich ausgehändigt bekommen, allerdings musste ich die unteren drei Saiten gegen Nylonsaiten umtauschen. Ist im Knast aber nicht anders. Der Typ spielt deutlich besser als ich und ich lass mir einige Feinheiten und Griffe von ihm zeigen. Ansonsten weiß ich nicht, warum er eingeliefert wurde. Es klingt alles sehr verworren und unglaubhaft. Irgendeine Psychose wird er sicherlich haben. Anscheinend pyromanisch veranlagt. Nach seinen Angaben soll ein Haus plötzlich abgefackelt worden sein und aus dem Rest werde ich nicht schlau. Jedenfalls kann ich nicht nachvollziehen, wieso er ausgerechnet hier gelandet ist. Da muss einiges ganz dumm gelaufen sein. Gestern war ich unter der Dusche. Neben mir duschte noch ein anderer Patient, den ich noch nicht kannte. Plötzlich fragte er mich, ob ich ihm meine Dusche überlassen könnte, er käme da besser mit klar. Einen Nachteil konnte ich nicht erkennen und so tauschte ich mit ihm. Er duschte kalt, eiskalt sogar und auch das machte mich nicht weiter stutzig. Bis dann plötzlich zwei Pfleger auftauchten, ihn aus der Dusche zerrten und heftig schimpften. Du Schwein du, schon wieder erwischt. Ich guckte mir das Schauspiel an und sah wie er mit erregtem Penis und einem irren Blick gegen die zwei Pfleger ankämpfte. Anscheinend haben sie ihn kurz vor seinem Orgasmus gestört. Sachen gibt es, da fehlen einem die Worte. Natürlich waren sie stärker und schleiften ihn schließlich fort. Offensichtlich brauchte er eiskaltes Wasser, einen kalten und starken Wasserstrahl, um so einen Abgang zu erzielen. Hier braucht man sich nicht zu wundern.

Vor einigen Jahren war ich mal kurzfristig in einer anderen psychiatrischen Klinik zwecks Begutachtung und Überprüfung meiner Gehirntätigkeit eingeliefert worden. Es ging um die Frage der Schuldfähigkeit, die man dort in zwei Wochen abklären wollte. Bei schweren Delikten wird oft ein Gutachter hinzugezogen. Mitunter kann man für komplett schuldunfähig erklärt werden. Dann ist aber meistens ein längerer Aufenthalt in der Psychiatrie angesagt. Jedenfalls war ich nach den zwei Wochen restlos überzeugt und beeindruckt. Da habe ich auch einiges gesehen und erlebt, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Besuche wurden da in einem besonderen Raum abgehalten. Mit Trennscheibe und Telefon, wobei die Gespräche auch noch aufgezeichnet und abgehört wurden. Mein Gutachter war auch der Direktor der Einrichtung. Ich kannte seine Tochter, die ebenfalls Drogen konsumierte und ansonsten keinen guten Ruf hatte. Bei der Wahl der Sex-Partner war sie nicht sonderlich wählerisch und machte auch so ziemlich alles mit. Natürlich habe ich es in seiner Gegenwart nicht erwähnt. Der Mann war Kettenraucher, eine nach der anderen, und sein Zimmer glich einer Räucherkammer. Eine längere Untersuchung in diesem Zimmer war im Grunde eine Körperverletzung. Glaube kaum, dass er noch lebt. Nach einer Reihe von Untersuchungen konnte bei mir keine Störung, kein Gehirnschaden festgestellt werden. Eine gewisse Beschränktheit hätte vielleicht ein milderes Urteil bedeutet. Zum Ende hin fragte mich einer der Psychiater, ob ich denn unbedingt einen Gehirnschaden diagnostiziert bekommen möchte, mit einem leichten zynischen Unterton. Das wollte ich auf keinen Fall riskieren. Und so blieb es halt bei diesen zwei Wochen. Immerhin konnte ich dort einen interessanten Künstler und Maler kennenlernen. Der wurde nach einem dramatischen Vorfall, wobei er seine bildhübsche Frau und zwei weitere Menschen tödlich verletzte, dauerhaft in der Psychiatrie eingesperrt. Niklas war hoch intelligent und leider eben auch schizophren. Die Übergänge sind ja bekanntlich fließend. Er malte ein Bild für mich, das ich später auf Umwegen zugeschickt bekam. Zwischenzeitlich schrieben wir uns Briefe auf Englisch. Er hatte eine gute Allgemeinbildung. Ich konnte ihn gut leiden. Die schwarzen Haare und sehr dunkle, fast schwarze Augen. Eine interessante Erscheinung. In Freiheit war er ein bekannter Künstler, der auch viel Geld mit seiner Malerei verdiente. Während seiner Unterbringung verweigerte er alle Medikamente und galt als schwierig. Die Pfleger behandelten ihn mit einer gewissen Vorsicht. Nachdem er das Bild fertig gemalt hatte, brachte er sich gemeinsam mit einem Mitpatienten um. Es sollte als Protest gegen die damaligen Zustände in diesem Haus 5 der Klinik von ihm geplant und durchgeführt worden sein. Ich erinnere mich noch an den letzten Brief von ihm. Seinen Plan hatte er mir nicht verraten, aber er schrieb von einem Wiedersehen in einer anderen Welt, in einem anderen Universum. Seltsam formuliert mit zahlreichen Vergleichen und phantastischen Vorstellungen. Er erhängte sich während sein Mitpatient sich zeitgleich verbrannte. Eine wirklich krasse Veranstaltung. Wie in einem Horror-Film. Plötzlich steht jemand in Flammen und ein anderer erstickt in seinem Seil. Selbstverbrennung macht immer Eindruck. Tibetanische Mönche machen es auch. Leider ist aber die Wirkung, die sie damit erzielen, nicht beeindruckend genug. Sie erreichen damit nicht viel. Es wird von der Weltöffentlichkeit lediglich zur Kenntnis genommen. Mehr nicht. Niklas und der andere Patient verfassten einen besonderen Abschiedsbrief. Ich hörte von der Aktion in den Nachrichten. Danach wurde das Haus tatsächlich geschlossen und der Direktor entlassen. Es gab auch zu viele Vorfälle in dieser Anstalt, über die berichtet wurde. Ist schon länger her. Da war ich noch am Anfang meiner Karriere. Jetzt steht das Haus unter Denkmalschutz oder so, jedenfalls ist es nicht abgerissen worden.

Ich darf hier täglich anrufen oder angerufen werden. Das ist schon mal ein echter Fortschritt. Meine Frau freut sich über diese Möglichkeit. Manchmal muss ich natürlich anstehen und warten, wenn andere vor mir telefonieren. Es kommt zu einem Zwischenfall mit einem Mitpatienten, der sich einfach vordrängen möchte. Und, was willst du machen, fragt er frech. Ich schmeiße dich die Treppe herunter, sage ich betont langsam. Er ist klein und mollig, wirkt aber kräftig. Eine Zeitlang fixiert er mich unschlüssig und verunsichert. Ja, ist gut, habe nur Spaß gemacht, sagt er nach einer Weile. Weiß gar nicht, ob ich ihn wirklich die Treppe runter geschmissen hätte, aber irgendwas wäre mir sicherlich eingefallen. Bei solchen Sachen sollte man jedoch besser immer die möglichen Konsequenzen bedenken. Dann bekomme ich meinen ersten Besuch in dieser neuen Einrichtung. Das Besuchszimmer ist völlig leer. Ein gelangweilter Pfleger, der aufpassen muss, sitzt vor der Tür und liest in einer Zeitung. Ich schaffe es, die Tür immer weiter zu zuziehen, so dass er keinen richtigen Einblick mehr hat. Natürlich erkennt meine Frau sofort die Möglichkeit auf mehr Intimität und auf Sex. Mich machen die Umstände ein wenig verspannt, aber beim oralen Sex kann ich auch nicht widerstehen, komme ich leicht in Stimmung. Nach so langer Zeit ist es etwas ungewohnt, aber auch sehr angenehm und intensiv. Und nicht wenige Frauen, die ich kenne, haben auch ihren Spaß dabei. Danach fühle ich mich deutlich besser und wie neu geboren. Bestimmt sind bei mir jede Menge Endorphine freigesetzt worden.

Die Tage und Wochen vergehen. In der Zwischenzeit bekomme ich immerhin mitgeteilt, dass meine Verlegung bald erfolgen könnte. Man versucht, mich bei Laune zu halten. Der Oberarzt veranlasst auch, dass mich die zuständige Therapeutin einmal in der Woche besucht. Auf mich macht sie einen sympathischen Eindruck, obwohl sie kaum lächelt, meistens wirkt sie sehr ernst, hat aber schöne dunkle Augen, schwarzes Haar und auch sonst recht hübsch. Sie stellt sich vor, erklärt sich für zuständig und endlich habe ich das Gefühl, mit einem normalen Menschen zu sprechen. Sie stimmt mir zu, dass diese Notlösung nicht ganz korrekt ist, aber mangels Alternative müsste ich es hinnehmen. Sie kann mir nicht sagen, wann ungefähr ein Platz sicher frei wird. Aber ich werde auf jeden Fall der nächste sein, der aufgenommen wird. Ich muss mich noch weiter gedulden.

Außerdem wird mir vom Oberarzt angeboten, in eine andere Klinik verlegt zu werden, wo ich direkt meine 64er- Zwangstherapie beginnen könnte. Es wird überall auch nur mit Wasser gekocht, sagt er noch, um mir die Sache schmackhaft zu machen. Ich muss schon darüber nachdenken, aber dann lehne ich ab. Auch, weil ich über diese andere Klinik überhaupt keine Vorinformation habe und dann auch noch die große Entfernung. Das kann ich meiner Frau nicht zumuten. Ist ja jetzt schon weit genug. Selbst wenn sich alles noch hinziehen sollte, irgendwann muss auf 38/1 ein Platz frei werden. Das Bewahrungshaus, wo ich jetzt gelandet bin, ist das übelste Haus in der ganzen Klinik, aber hier werde ich auch nicht bleiben. Bei all den Psychopathen, Schizophrenen und Verhaltensgestörten. Der Hausarbeiter, der hier den Job macht, wirkt auf mich fast normal. Nur hat er voll pervers Leute umgebracht und aufgeschlitzt, um zu gucken, wie das alles innen so aussieht. Hat seine Opfer auch wieder zugenäht, wenn auch mit Draht, weil er nichts anderes finden konnte. Rein äußerlich sieht man ihm nichts Abartiges an.

Ich spiele oft Tischtennis mit dem Pflegepersonal. Einer von ihnen spielt sogar recht gut. Eine echte Herausforderung. Momentan haben wir einen Gleichstand erreicht. Keiner ist deutlich besser. Die Tagesform entscheidet. Es gibt hier einen gut eingerichteten Sportraum, der aber so gut wie nie benutzt wird. Dann spiele ich einige Male Fußball mit den Patienten im Hof. Ein Erlebnis der besonderen Art. Mit Fußball hat es nichts zu tun. Einige hauen sich zwischendurch einfach auf die Köpfe, wenn sie den Ball verlieren oder abgenommen kriegen. Von der Klopperei bleibe ich verschont, weil ich rechtzeitig den Ball weiter spiele, aber es macht eigentlich keinen Spaß. Fühle mich hier einfach fehl am Platz. Die Außenmauer ist hier ziemlich klein, kein Vergleich mit Knast. Und es gibt keine Wachtürme, wo die Beamten sofort schießen. Es würde ausreichen, einen groß gewachsenen Patienten an der Mauer zu postieren, dann wäre die Höhe erreicht und ich weg. Allerdings müsste ich da noch einen dazu überreden, aber das dürfte nicht so schwer sein. Ich müsste mir einen passenden Kerl aussuchen, der eine solche Aktion mitmachen würde, vielleicht für Tabak und Kaffee oder für Geld. Er müsste verstehen, dass er da nicht viel zu verlieren hätte. Irgendeine Sanktion würde er sicherlich kriegen, aber keine richtige Strafe. Obwohl, so genau weiß ich es gar nicht. Wenn sie wollen, können sie natürlich fast alles machen. Wegsperren, weg spritzen und was weiß ich nicht alles. Es beruhigt mich aber doch ein wenig, dass ich notfalls hier abhauen könnte, wenn meine Belastungsgrenze erreicht sein sollte. Wenn nichts mehr geht. Dann würde ich alles versuchen.

Hoffentlich verändere ich mich sonst nicht zu sehr. Wenn ich mir so das Pflegepersonal angucke, dann bekomme ich eine böse Vorahnung. Wer hier länger arbeitet oder sich aus anderen Gründen aufhält, wird es wohl nicht unbeschadet überstehen. Wie in den Gefängnissen, so findet auch hier eine gegenseitige Beeinflussung statt. Nicht wenige vom Pflegepersonal sind auch ganz schön korrupt und zocken die Klinik ab. So kommen ja regelmäßig neue Decken, Bekleidung und gute Lebensmittel für die Patienten hier an. Da wird schon einiges einfach untereinander aufgeteilt und weggeschleppt. Ich kann das gelegentlich vom Fenster aus beobachten, wie die Sachen herum getragen und dann im Kofferraum eines Autos verschwinden.

Die Gespräche mit meiner Therapeutin sind für mich eine willkommene Abwechslung. Sie versucht mich zu vertrösten und ich soll jetzt auch Tagesberichte schreiben. Das würde mir helfen, meint sie. Bei einem der wöchentlichen Gespräche bekomme ich plötzlich einen unkontrollierten und fast hysterischen Lachanfall. Weiß gar nicht mehr warum und weshalb. Ein solcher Anfall ist nicht leicht zu stoppen. Und sie guckt auch noch so ernst und verdattert. Mit ist die Vorstellung echt peinlich. Ich kann mich überhaupt nicht wieder fangen. So etwas ist mir schon lange nicht passiert. Und vor allem völlig ohne Vorwarnung. Die Angelegenheit macht mich echt nachdenklich. Und die gute Therapeutin schaut schon fast besorgt. Normalerweise bin ich ziemlich kontrolliert. Einer, der sich gut beherrschen kann. Seltsam, vielleicht bin ich schon ein wenig verrückt. Vielleicht macht mich das Irrenhaus langsam irre. Wahnsinn. Es hängt in der Luft und klebt an den Wänden. Vielleicht mischen sie auch irgendwas ins Essen.

Eines Tages wird plötzlich eine Frau auf der Station als Schwester oder Pflegerin eingestellt. Bislang war das nicht zugelassen. Für Frauen könnte es hier auch leicht gefährlich werden. Deshalb ist es schon eine kleine Sensation, jetzt diese Frau zu sehen. Petra heißt sie, und sieht wirklich gut aus. Hoch gewachsen, sehr schlank, mit langem blonden Zopf. Allerdings ist sie auch voll arrogant. Kein freundliches Lächeln, gar nichts. Na ja, wie soll sie sich auch verhalten unter all den Verstörten. Auch ich komme ihr nicht näher. Versuche sie möglichst normal anzusprechen, damit sie merkt, dass ich nicht einer von denen bin, die hier normalerweise untergebracht werden. Aber scheinbar ohne Erfolg. Einmal laufe ich im Hof beim normalen Hofgang etliche Runden, um sie zumindest mit meiner Kondition zu beeindrucken. Sie sitzt da oben auf der Treppe und hat das Geschehen voll im Blick. Zwischenzeitlich unterhält sie sich mit einem Kollegen vom Pflegepersonal. Mich scheint sie völlig zu ignorieren. Egal, ich laufe einfach weiter, immer weiter und bin dann echt geschafft. Immerhin sagt sie dann Tage später, als ich völlig fertig die Treppe wieder hochgehe, irgendeine nette Bemerkung, ein Lob. Offensichtlich ist ihr mein Lauftraining und meine Ausdauer nicht entgangen. Nur kann sie wohl nicht wissen, dass sie der Anlass für meine außergewöhnliche Leistung ist. Wegen ihr laufe ich die ganzen Runden. Und in Gedanken bewegt sie mich ziemlich stark, lässt mich nicht mehr los. Dauernd muss ich an sie denken. Denke mir irgendwas zusammen. Phantasie, Wunschdenken. Irgendwas wo wir, ich und Petra, wo wir uns also alleine in einem Raum befinden, und wo ich ihren coolen Blick ebenso cool auffange. Sie fällt mir dann um den Hals und öffnet mir mit ihrer zarten und feingliedrigen Hand die Hose. Ich drücke sie gegen die Wand und zerreiße ihr mit einem Ruck den Slip, dringe wild und etwas heftig in sie ein, worauf sie mir ins Ohrläppchen beißt und mich ebenso wild und heftig umklammert. In dieser Vorstellung besorge ich es ihr also richtig gut. In meinen Tagträumen schaffe ich es, sie für mich zu gewinnen. Manchmal rette ich sie vor irgendwelchen Gefahren. Ich meine, sie ist ja auch die einzige Frau in dieser trüben Umgebung. Und sie hat was, sie wirkt interessant. Weitere Wochen vergehen.

Meine Frau kommt mich regelmäßig besuchen, aber es gibt keine weitere Gelegenheit auf Sex. Und natürlich erzähle ich ihr auch nichts von Petra und meinen Phantasien.

Eines Tages ist Petra nicht mehr da. Wie ich höre, wollte wohl ein anderer Irrer und Insasse Petra als Geisel nehmen, um dann hier weg zu kommen. So ein Arschloch. Jetzt ist es vorbei mit Frauen in diesem Haus. Die Anstaltsleitung wird das vorerst nicht mehr riskieren. Bin echt sauer auf diesen Bekloppten, weiß aber nicht genau, wer das ist. Sonst wäre eine Maßnahme denkbar. Dann würde ich Egon sagen, dass er schlecht über seine Mutter gesprochen hätte. Egon ist ein Riesenbaby, der trotz seiner unglaublichen Kräfte eher sanftmütig veranlagt ist, aber man darf nichts Schlechtes über seine Mutter sagen. Dann riskiert man, eingestampft zu werden. Aber da ist vorerst nichts zu machen. Außerdem hat der Typ für die nächste Zeit sicherlich Bunker verordnet bekommen. So schnell wird man ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Mein Traum ist damit jetzt auch zerstört. Jetzt bin ich ohne Petra mit diesen Irren zusammen. Meine Stimmung tendiert gegen Null. Was habe ich mir nur eingebrockt. Ich will hier weg. Bei jeder Visite, wo auch der Klinikleiter dabei ist, frage ich nach mit Nachdruck. So lange nerven, bis es passiert, ist jetzt meine Devise. Die Notlösung zieht sich allerdings ganz schön hin. Inzwischen sind einige Monate vergangen.

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Dann plötzlich werde ich tatsächlich verlegt. Nur ist es nicht die 38, sondern die 25. Immerhin ein anderes Haus. Der Hauspsychologe sagt mir zum Abschied, dass es für mich auf jeden Fall eine Verbesserung der Lebensqualität bedeuten wird. Dann gehe ich alleine mit einem Pfleger dahin. Er hilft mir, meine Sachen zu tragen. Wahnsinn. Keine Mauer mehr. Keine Wände. Ich könnte fliehen. Keine Handschellen. Auf dem Weg kriege ich ein euphorisches Gefühl. Natürlich fliehe ich nicht. Das wäre Schwachsinn. Auf jeden Fall ist eine Veränderung angesagt. Es geht weiter. Im neuen Haus gibt es keine Mauer. Es sieht auch etwas freundlicher aus. Die Fenster sind nicht vergittert, aber stabiles Glas. Jeden Tag dürfen die Patienten raus in den Garten. Ein kleiner Zaun, das ist alles, was ich notfalls überwinden müsste, wenn mir mal endgültig der Kragen platzt oder besondere Umstände es erforderlich machen. Am Garten grenzt ein etwas größerer Park mit Tieren. Eine Art Zoo. Irgendwelche Viecher und ein Pfau laufen da herum. Der Pfau spaziert überall herum, höre ich von anderen. Kommt auch zu uns in den Garten. Vielleicht ist der Vogel auch schon verrückt. Jedenfalls verhält er sich manchmal recht seltsam. Die Insassen sind hier ziemlich behindert und gestört. Eigentlich noch schlimmer als im vorherigen Haus, aber anscheinend nicht so gefährlich. Mit einem Typ kann ich immerhin ein halbwegs normales Gespräch führen. Der hatte wohl im Haschisch-Rausch seine Tante oder Oma erschlagen. Hasch-Psychosen sind wohl selten, aber es gibt sie. Und unter einer Psychose kann alles Mögliche passieren. Dann sieht man plötzlich Zombies. Und fühlt sich bedroht. Die Gutachter hielten ihn für unzurechnungsfähig und deshalb hat er sich den 63er eingefangen. Nach ca. drei Jahren wird er voraussichtlich entlassen. Das ist auch so die Mindestzeit, die man im Rahmen einer Unterbringung nach §63 einplanen muss. Kürzer geht es kaum, aber es gibt da auch kein richtiges Ende. Darüber entscheiden die Richter in Weiß. In paar Tagen darf der junge Mann auch in Urlaub fahren. An seiner Stelle würde ich allerdings kein Hasch mehr rauchen. So hat er immerhin kompetente Gutachter gehabt und ist wirklich gut weggekommen. Es hätte auch ganz anders für ihn laufen können. Mein neuer Zimmerkollege ist leider voll daneben und ein Alptraum. Gespräch unmöglich. Er spricht nicht oder zumindest nicht gerne. Dafür raucht er wie ein Schlot, sammelt auch schön die Kippen und seine Finger sind schon fast schwarz. Auch sonst ist der Typ die reinste Zumutung. Ziemlich dreckig und schmierig. Wahrscheinlich wäscht er sich nicht oder wird nicht oft genug gewaschen. In seiner Nähe riecht es immer befremdlich. Ich melde es dem Stationspfleger, der mir verspricht, sich um ihn zu kümmern. Alles ist eine Zumutung. Das ganze Haus. Meine anfängliche Freude verfliegt ziemlich schnell. Was habe ich hier verloren. Immer öfter denke ich an Flucht. Ist schon alles echt nervig, die ganze Angelegenheit. Die Tatsache, dass ich nach hier verlegt wurde, bedeutet auch nichts Gutes. Wahrscheinlich dauert es länger, bis ein Platz für mich frei wird. Bei jeder Visite mache ich Theater wegen der Verlegung. Der etwas jüngere Stationsarzt ist von meiner Hartnäckigkeit beeindruckt und voll auf meiner Seite. Er unterstützt mich auch in meinem Anliegen, endlich auf die für mich vorgesehene Abteilung verlegt zu werden. Und so lässt er mich auch oft mit meiner Therapeutin telefonieren. Ich komme hier immer schlechter drauf. Nach einigen Wochen und mehreren Gesprächen habe ich dann eines Tages völlig unerwartet Erfolg.

In den Häusern der Irren

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