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Ab ovo …, in medias res

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Wo, wann und wie hat der Trojanische Krieg angefangen? Mit der Ausfahrt der griechischen Flotte von Aulis und ihrer Landung vor Troja, als Protesilaos als erster an Land sprang? Mit der Entführung der Helena, als Paris ihr auf der Insel Kythera begegnete und sie ihm nach Troja folgte? Mit dem Parisurteil, als die Liebesgöttin dem trojanischen Königssohn die schönste Frau versprach und Paris sie dafür zur Miss Olymp erwählte? Auf der Hochzeit des Peleus und der Thetis, als die Streitgöttin Eris den goldenen Zankapfel mit der Aufschrift „Der Schönsten“ in den Göttersaal warf? Oder noch viel früher, mit der Einkehr des Göttervaters Zeus bei der spartanischen Königin Leda und der Geburt der Helena – denn wie hätte es ohne diese Miss World zum Krieg um ebendiese Miss World kommen sollen?

In seinem poetischen Lehrbrief „Über die Poetik“ rühmt Horaz „ihn, der nichts ungeschickt anpackt“, den grossen Homer: Der lasse den Trojanischen Krieg nicht umständlich „von dem Zwillings-Ei her“ seinen Anfang nehmen – „… nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo …“ –‚ sondern eile immer dem Ausgang entgegen und reisse den Hörer „mittenhinein in die Dinge“ mit sich fort, nicht anders, als wenn diese schon bekannt wären – „… semper ad eventum festinat et in medias res/non secus ac notas auditorem rapit …“ Das „Zwillings-Ei“ deutet auf die Geburt der Helena: Der Verwandlungskünstler Zeus war in Schwanengestalt zu Leda gekommen; diese hatte darauf, zoologisch durchaus stimmig, zwei Schwanen-Eier geboren oder sagen wir doch ruhig: gelegt, und aus dem einen Ei waren die Zwillinge Kastor und Polydeukes geschlüpft, aus dem anderen die nachmals so schöne, viel umworbene Helena. Zweiflern zeigte man in Sparta, im Tempel der Leukippiden, ein solches „Ei der Leda“; noch im 2. Jahrhundert n. Chr. hat Pausanias es dort mit allerlei Bändern umwickelt an der Decke aufgehängt gesehen.

Ja, wahrhaftig: Hätte Homer den Krieg um Troja derart „gemino … ab ovo“, von diesem Zwillings-Ei der Leda an, von einer Episode zur anderen besingen wollen und hätte er seine Hörer nicht eilends mit dem Fluss der Erzählung „in medias res“, „mittenhinein in die Dinge“, mit sich fortgerissen, er wäre kaum je zu seinem tragischen Epos vom Zorn des Achilleus im zehnten, letzten Kriegsjahr durchgekommen. Ein spätantiker Metriker namens Atilius Fortunatianus bezeugt uns, dass Horazens bildhafte Wendung im Laufe der Jahrhunderte auch jenseits aller poetischen und rhetorischen Kunstregeln in dem allgemeinen Sinne „von Anfang an“ geläufig geworden war: „Altius et ab ovo mihi, quod aiunt, repetenda res est“, ruft er sich selbst zurück: „Ich muss weiter ausholen und vom Ei an, wie man sagt, die Sache darlegen“.

Seither sind diese beiden geflügelten Worte, dieses „ab ovo“ und das bei Horaz gleich darauf folgende „in medias res“, ihrem poetischen Biotop vollends entflogen. Wenn heute ein Redner die beruhigende Zusicherung vorausschickt, er wolle nicht „ab ovo“, sozusagen mit der Erschaffung der Welt, beginnen, sondern gleich „in medias res“ gehen, gleich zur Sache kommen, so heisst das noch lange nicht, dass er seine Vortragskünste an Horazens „Ars poetica“ geschult hat. Aber es ist doch hübsch zu sehen, wie diese beiden aus dem gleichen Nistplatz, dem gleichen Horazischen Zwillings-Ei, aufgeflogenen Worte einander im rhetorischen Zitiergebrauch einer Captatio benevolentiae‚ einer „Vereinnahmung des Wohlwollens“ der Hörerschaft, so nah geblieben sind.

Wir haben hier mit dem alten Griechen Homer und dem alten Römer Horaz ganz unhorazisch „ab ovo“ angefangen; Kurt Tucholsky geht in seinen „Ratschlägen für einen schlechten Redner“ gut horazisch „in medias res“: „Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: ‚Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz …‘ Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache. … Du hast ganz recht: Man versteht es ja sonst nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen Hintergründe … sehr richtig! … Paul Lindau hat einmal einen dieser gefürchteten Hochzeitstoaste so angefangen: ‚Ich komme zum Schluss.‘“

Auch wir kommen hier zum Schluss und merken nur noch ganz kurz an, dass ein zweites gleichfalls geflügeltes und gleichfalls Horazisches „ab ovo“, das dem ersten wie ein Ei dem anderen ähnlich sieht, mit diesem Schwanen-Ei der Leda nichts, rein gar nichts zu schaffen hat, ausser dass es auch da um einen Anfang geht. Bei diesem zweiten „ab ovo …“, „vom Ei an …“, heisst die Fortsetzung über den Verssprung hinweg „… usque ad mala“, „… bis zu den Äpfeln“, und dieses zweite geflügelte Wort verweist einfach auf ein langes Lukullisches Menu vom ersten bis zum letzten Gang, will bedeuten: auf irgendeine lange Geschichte vom Anfang bis zu ihrem Schlusspunkt.

Geflügelte Worte aus der Antike

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