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Alpträume

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Umhüllt von Traummaterie folgte Manfreds verformter Körper dem Weg der liegenden Acht. Die Leere war allgegenwärtig, als der Geist des Seelenspieglers aufhörte zu arbeiten. Eine Fiktion weiter Hallen, angefüllt mit Bücherregalen voller gesammelter Begebenheiten ließ die drei Mitgefangenen Geister der Freunde verlassen erscheinen.

Was ist passiert? fragte Agnes ängstlich. Ich spüre Manfred nicht mehr. Ratlos sahen sich die Drei an. Das einzige, was zu spüren war, fühlte sich wie die Traummaterie an, die sie bereits von früheren Kontakten mit dem Traumkontinuum her kannten. Dieses Kontinuum hatte sich mit ihrem verbunden und nun sickerte die Traummaterie ungehindert in Galaxien und einzelne Sternensysteme ein.

Bis zur Erde war es noch ein weiter Weg und es würde einige Millionen Jahre dauern, bis die fremde Materie dort ankäme. Aber die Daseinsverwalter hatten bereits kleinere Teile zur Rettung der Erde und der Menschheit mitgebracht und eingesetzt. An diesem Doppelgestirn aber zeigte sich, wie sich ein unkontrollierter Zufluss negativ auswirken konnte. Die Traummaterie war eine Falle für intelligente Lebensformen geworden.

War Manfred das erste Individuum, welches mit seinem eigenen Hilferuf aus der Zukunft angelockt wurde? Diese Frage war für unsere Freunde nicht vorrangig. Sie bestanden nur noch aus Angst und Panik. Und Angst ist bekanntlich der schlechteste Ratgeber in vertrackten Situationen, die keinen Ausweg aufwiesen.

Wir müssen zusammenbleiben und uns in hintere Kammern flüchten, entschied Rigo. Als Kriegsveteran nahm er das Heft in die Hand. Von Flucht verstand er etwas. Die Freunde fassten sich bei den Händen, damit sie sich nicht verlieren konnten, und rannten los als ob alle guten und schlechten Geister hinter ihnen her wären. Es ging durch riesige Hallen mit unendlich scheinenden Bücherwänden.

Immer weiter hechteten sie, bis Bernhard völlig außer Atem anhielt. Was tun wir hier eigentlich? fragte er. Wir sollten uns beraten und nicht planlos herumlaufen. Ich hab sowieso den Eindruck, dass wir uns ständig im Kreis bewegen. Leider sind die Bücher nicht nach Alphabet geordnet. Manfred wusste ja, wo jedes einzelne stand. Sonst könnten wir herausfinden, ob wir hier schon mal waren.

Was passiert, wenn wir schlafen und träumen? fragte Agnes ängstlich. Werden unsere unkontrollierbaren Träume dann wieder Realität? Ich möchte nicht wieder in unwürdige Situationen hineingeraten, greinte sie weiter. Und wo ist Manfred geblieben? Ist er tot? Was wird dann aus seinem Körper? Und was wird mit uns? Agnes fing bitterlich an zu weinen.

Ratlos schauten Rigo und Bernhard sich an. Agnes hatte Recht mit ihren Fragen. Aber heulen hilft nicht. Es benebelt die Sinne, dozierte Bernhard, dann werden Endorphine ausgeschüttet, die wie Morphium wirken. Gut zu wissen, entgegnete Rigo sarkastisch. Das hilft toll weiter.

Langsam beruhigten sich die Freunde wieder. Sie kamen überein, sich ein Buch oder eine Erlebnissequenz von Manfred zu suchen und sich dort zu verstecken. Es sollte etwas interessantes sein, wo es unwahrscheinlich ist, dass wir Blödsinn träumen, meinte Agnes pragmatisch. Also, bloß nichts von fremden Kulturen, erklärte Bernhard entschieden. Dann träume ich mit Sicherheit schlecht, dass ich einen Außerirdischen kennenlerne und so.

Und ich möchte bitte keine Kriegsgeschichten, warf Rigo ein. Davon habe ich für alle Zeiten genug. Also eine Liebesgeschichte, meinte Agnes begeistert. Nein, riefen „ihre Jungs“ wie aus einem Munde. Bloß nicht sowas. Wenn das hier Realität wird gibt es hier auch noch Nachwuchs. Wer weiß, ob diese Hülle überhaupt so lange zusammenhalten würde, um so was großzuziehen, dachte Rigo. Agnes begann erneut zu weinen. Nun hör schon auf, fuhr Rigo sie an, sonst wirst du noch völlig besoffen.

Plötzlich wurden die Drei aus ihren Überlegungen gerissen. Der Alptraum eines anderen, eines fremden Wesens, welches das Doppelgestirn wohl bereits seit längerem gefangen hielt, manifestierte sich. Durch die Gänge, die einst friedlich und einladend da lagen, kroch das Grauen. Ein in einem Traum geborenes, denkendes und bösartiges Wesen, dessen Urheber wohl aufrecht stehen konnte, bevor sein Gefängnis es plattdrückte, war auf Beute aus.

Es zischte und allen drei Freunden standen die Nackenhaare zu Berge. Durch einen Parallelgang kroch etwas, das wie eine riesige Schlange wirkte. Keiner traute sich zu atmen und die bisherigen Existenzängste, die das Verschwinden Manfreds betrafen, traten augenblicklich in den Hintergrund. Ohne weiter zu überlegen, fassten sich die drei wieder bei den Händen. Rigo berührte mit der freien Hand vorsichtig einen dicken Erlebnisband, der Manfred sicher viele Jahre Recherche gekostet hatte, und sie verschwanden darin, ohne noch einen Laut von sich gegeben zu haben.



Der Sonnengeist

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