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Mut in mutarmen Zeiten – Ein Plädoyer

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Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele

»Unser Salzburger Festspielhaus soll ein Symbol sein. Es ist keine Theatergründung, nicht das Projekt einiger träumerischer Phantasten und nicht die Angelegenheit einer Provinzstadt. Es ist eine Angelegenheit der europäischen Kultur. Und von eminenter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung.« So selbstbewusst, so dringlich, so unvergleichlich formulierte der Dichter und Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal vor 100 Jahren die Aufgabe Salzburgs.

Und sein kongenialer Partner, der Regisseur Max Reinhardt, schrieb mitten in »den Stürmen des Krieges« in seiner Denkschrift 1917 von der »furchtbaren Wirklichkeit dieser Tage«, vom »ungeheuren Weltenbrand«, dem die Salzburger Festspiele trotzen könnten und sollten. Ein Festspiel zu gründen, sollte »eines der ersten Friedenswerke sein«. Diesem festen Glauben an die Kraft der Kunst und den Kraft-Ort Salzburg verdanken die Festspiele ihre Existenz.

Dass in diesem »Herz vom Herzen Europas« (so Hofmannsthals Definition meiner Heimatstadt) der Trilog am Beginn des neuen Jahrtausends gegründet wurde, scheint mir geradezu logisch. Ich danke vor allem Liz Mohn, dass sie die ganze intellektuelle und organisatorische Kraft der Bertelsmann Stiftung aufgeboten hat und weiter zu Verfügung stellt. Ich danke Wolfgang Schüssel, dass die Wahl auf Salzburg fiel. Weil diese Stadt ideal für das Nachdenken über die Welt, für das Quer- und Vordenken ist.

Auch da gilt ein bisschen, was Max Reinhardt für die Festspiele konstatierte. Er war überzeugt, dass nur »abseits vom städtischen Alltagsgetriebe« und »entfernt von den Zerstreuungen der Großstadt« Besonderes entstehen kann. Gerade bei den Zusammenkünften des Trilogs, aus denen sich meist bereits nach wenigen Stunden inspirierende Wortwechsel entwickelten, hat sich gezeigt, wie recht Max Reinhardt hatte. Und die Festspielbesuche am Abend waren stets mehr als bloße Unterhaltung – was auch gestattet sein dürfte.

»Die Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt, erregt, erschüttert, beglückt«, rief der große österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt in seiner Festansprache zu 75 Jahren Salzburger Festspiele leidenschaftlich in den Saal. »Ein Kunstwerk, das anregen, bewegen will, braucht die qualifizierte Ablehnung genauso wie die Zustimmung« und »die großen Kunstwerke sind deshalb Meisterwerke, weil sie den Menschen jederzeit etwas zu sagen haben – aber jede Generation sieht dann etwas anderes.« Der Titel dieser Rede lautete »Was ist Wahrheit? oder Zeitgeist und Mode«.

Gerade heute sind Politiker und Politikerinnen aller Parteien verführt, dem Zeitgeist zu folgen und damit rasche Erfolge im Internet zu feiern. Umso wichtiger erscheint mir der Beitrag der Kunst. Nein, Künstler und Künstlerinnen sind nicht klüger, nicht moralisch besser. Aber in einer Zeit der vorschnellen Antworten verstehen sie es, Fragen zu stellen, die das Publikum zwingen – im besten Falle inspirieren – nachzudenken.

Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss waren der festen Überzeugung, dass die antike Mythologie subtile Deutungsmöglichkeiten für moderne Probleme persönlicher und politischer Art böte. Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss’ Lieblingslibrettist, formulierte es so: »Denn wenn sie etwas ist, diese Gegenwart, so ist sie mythisch – ich weiß keinen anderen Ausdruck für eine Existenz, die sich vor so ungeheuren Horizonten vollzieht – und für dieses Umgebensein von Jahrtausenden, für dieses Hereinfluten von Orient und Okzident in unser Ich, für die ungeheure innere Weite, diese ragenden inneren Spannungen, dieses Hier und Anderswo, das die Signatur unseres Lebens ist. Es ist nicht möglich, dies in bürgerlichen Dialogen aufzufangen. Machen wir mythologische Opern, es ist die wahrste aller Formen.«

Unsere Opern »Salome« und dieses Jahr »Elektra« liefern den atemberaubend beeindruckenden Beweis für diese These. Der zeitliche Abstand ermöglicht uns, wie mit der Lupe, die ewig gültigen Konflikte scharf zu erkennen: Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Vergebung und Rache.

Und auch auf der Suche nach Change-Architects könnte man durchaus bei unseren Künstlern fündig werden. Der Regisseur Peter Sellars hat in seine Inszenierungen das Umweltthema eingebaut, lange bevor Greta Thunberg dafür auf die Straße ging – nicht platt, nicht mit dem Holzhammer, sondern mit der Sensibilität eines Künstlers für das Unheil, das droht.

Der Trilog hat die Vertreter und Vertreterinnen von Kunst und Kultur gleichberechtigt mit Wirtschaftskapitänen und Ministern an einem Tisch platziert, um die Zukunft zu verhandeln. Eine Position, die wir uns in Corona-Zeiten im politischen Alltag erst mühsam erkämpfen mussten. Alles schien wichtiger – die Gastronomie, der Handel, die Agrarlobby. Doch je länger der Lockdown anhielt, desto mehr Menschen zitierten Max Reinhardt: Kunst nicht als bloße Deko, sondern als Lebensmittel. Und plötzlich wurden die Salzburger Festspiele wieder als das gelobt, wofür sie gegründet wurden: als Leuchtturmprojekt in dunklen Zeiten.

Im April 2020 hingegen war die Sympathie nicht auf unserer Seite. Als praktisch alle anderen Festivals absagten, verstieg man sich im deutschen Feuilleton zu der ehrenrührigen Prophezeiung, »die Salzburger Festspiele wollten wohl das Ischgl der Kultur werden.«

Sollten auch wir Corona gänzlich die Regie überlassen und das lang geplante 100-Jahr-Jubiläum des größten Klassikfestivals der Welt einfach ausfallen lassen? Oder sollten wir versuchen – selbstverständlich immer unter dem Vorrang der Gesundheit unserer Künstler und Künstlerinnen, unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie unseres Publikums – Festspiel abzuhalten und damit ein Zeichen der Kraft der Kunst in kraftlosen Zeiten zu setzen? Rat konnte uns niemand geben, Modelle gab es keine. Große Unsicherheit prägte und prägt weltweit die Stimmung in den Führungsetagen, ob in der Politik, der Wirtschaft oder in der Kultur.

Dem Lockdown durch die Regierungen folgte ein ebenso fataler Lockdown in den Gehirnen, im Verhalten derer, die eigentlich führen, die in Alternativen denken sollten. Dass die Metropolitan Opera in New York ihre Tore im März 2020 schloss und die Wiedereröffnung nach unglaublichen 18 Monaten für irgendwann im Herbst 2021 ankündigte, ist nicht bloß ein Schaden für Opernfreaks. Das beschädigt den Ruf New Yorks als Kulturmetropole nachhaltig. Es diskreditiert den Stellenwert der Kunst. Kunst und Kultur sind Lebensmittel. Sie sind systemrelevant.

Die Festspiele sind Sinngeber und Arbeitgeber – dieser doppelten Verantwortung waren wir uns bewusst, als wir entschieden, das Risiko einzugehen, Festspiele in Corona-Zeiten abzuhalten. Ein kalkuliertes Risiko, kein Hasardspiel. Wir handelten frei nach der Devise von Peter F. Drucker, dem ersten Managementguru: »Es gibt Risiken, die einzugehen du dir nicht leisten kannst, und es gibt Risiken, die nicht einzugehen du dir nicht leisten kannst.« Wir hätten uns bei einer Absage ob unseres Kleinmuts vor unseren Gründervätern geschämt, die an Festspiele in ungleich schwierigeren Zeiten geglaubt hatten.

Der vergangene Festspielsommer – und auch dieses Jahr liegt der Schatten der Pandemie noch über uns – war streckenweise ein echtes Fegefeuer. Aber im September zogen wir eine fast himmlische Bilanz: ausverkaufte Festspiele, ein Riesenschritt vorwärts in Sachen Digitalisierung, tausend gute Ideen, wie wir unserem größten Kapital, den Stammkunden aus 80 Ländern der Welt, ein schnelleres und noch besseres Service bieten können.

Ich bin sicher, dass mein Plädoyer für Mut in mutarmen Zeiten gerade bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Trilogs auf große Zustimmung stoßen wird, und zitiere noch einmal Hugo von Hofmannsthal: »Wo der Wille nur erwacht, da ist schon fast etwas erreicht.«

Ich hoffe sehr, dass der Trilog auch das nächste Jahrzehnt von Salzburg aus Entscheidungsträger in aller Welt mit dem Willen zum Diskurs, zur Debatte ansteckt.

Stimmen für die Zukunft

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