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Schule, Filmen und andere Kuriositäten

Manuela Weber

Es regnet draußen kleine Hunde und ein heftiger Wind weht durch die Straßen. Sie muss noch den Biomüll entsorgen und sich dann langsam auf den Weg zur Schule machen. Sie hatte die Vertretung eines Kollegen übernommen, der mit seiner Klasse auf Klassenfahrt war. Sie hatten diese Fahrt nach Berlin gemacht. Für die ersten beiden Stunden sollte sie ihn in Mathe vertreten. Eigentlich hätte sie heute erst ab der dritten Stunde unterrichten müssen. Sie packte ihre Sachen zusammen und trank noch schnell ihren Kaffee, der inzwischen kalt geworden war, aus. An Kaffee konnte sie nie genug bekommen, den hatte sie schon reichlich in ihrer Studentenzeit, wenn sie für Prüfungen lernen musste, zu sich genommen. Der Regen war stärker geworden und tröpfelte stark an die Fenster. Der Wind pfiff und wehte die grünen Tannen, die vor dem Fenster standen, in alle Richtungen. Juliane Messerschmidt nahm ihre braune Tasche, steckte sich noch einen Schokoriegel hinein und machte sich aus dem Haus.

Schokolade war ihre zweite Leidenschaft, die half ihr über Stress phasen manches Mal drüber hinweg. Das Wetter war alles andere als einladend, aber da musste sie jetzt durch. Sie streifte sich ihr Regencape über den Kopf und ging zu ihrem Fahrrad. Sie biss die Zähne zusammen und fuhr zu ihrer Schule. Diese lag 4,5 Kilometer von ihrem Wohnsitz entfernt. Sie fuhr den Weg immer mit dem Fahrrad, was sie meistens entspannte. Das Autofahren stresste sie sehr, besonders wenn manche Autofahrer einen aggressiven Fahrstil an den Tag legten. Sie fuhr nur im Notfall mit dem Auto, wenn sie eine größere Entfernung zurück legen musste oder wenn sie in den Urlaub fuhren. Jetzt musste sie aber Gas geben, wollte sie noch rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn der 8 f erscheinen. Ins Lehrerzimmer würde sie es vor Unterrichtsbeginn nicht mehr schaffen, sie hatte mit ihren Sohn die üblichen Diskussionen am Morgen geführt. „Jan zieh dich an, putze dir die Zähne und packe dein Pausenbrot ein, du kommst sonst zu spät zur Schule“.

Die Antwort war üblicherweise: „Mama, du nervst!“

Zusammen fahren wollte er nicht mit ihr, obwohl sie den gleichen Weg zur Schule hatten, es war ihm peinlich, mit seiner Mutter gesehen zu werden. Es reichte ihm schon, dass sie ausgerechnet an seiner Schule Lehrerin war, da musste er sich bereits genug Spott von seinen Klassenkameraden anhören. Sie arbeitete seit 10 Jahren an dem Gymnasium in Göttingen. Sie mochte ihren Beruf, nur manchmal wuchs ihr alles über den Kopf, besonders wenn es auf das Abitur zuging und sie mit Abiturklausuren dran war. Dann hieß es monatelang, Abiturklausuren zusammen zu stellen und die Schüler darauf entsprechend vorzubereiten.

Dieses Jahr hatte sie keine Oberstufe zu unterrichten, sondern war zum Teil im ausgelagerten Bereich der fünften und sechsten Klassen tätig. Aber auch da lag genug Arbeit an.

Es wurden regelmäßig Elterngespräche geführt, vor allem wenn es Problemschüler in der Klasse gab. Und es gab in jeder Klasse ein paar Schüler, die auf der Kippe standen. Da gab es die Überforderten, die mit dem Stoff große Probleme hatten. Es gab in jeder Klasse ein bis drei Mal den Klassenclown und dann noch allerhand andere Charaktere. Da musste sie in ein anderes Gebäude, welches zwei Straßen weiter entfernt lag. Den anderen Teil ihrer Stunden gab sie im Hauptgebäude.

Manchmal hatte sie die ersten beiden Stunden im Junior, so hieß das ausgelagerte Gebäude, und musste dann nach der Pause ins Hauptgebäude eilen. Die große Pause reichte gut dafür und mit ihrem Fahrrad hatte sie keine Parkplatzprobleme, wie viele ihrer Kollegen, die von auswärts kamen. Einige ihrer Kollegen kamen aus Ostdeutschland und fuhren zum Teil über eine Stunde zur Arbeit. Sie war froh, dass sie dieses Problem nicht hatte, so konnte sie, wenn sie zwei Stunden Leerlauf hatte, bequem nach Hause radeln.

Die Kollegen aus dem Osten hatten so manches Mal Parkplatzprobleme, besonders seitdem auf dem Schulparkplatz gebaut wurde. Sie bildeten oft Fahrgemeinschaften und fuhren zu zweit oder zu viert zur Arbeit. Irgendwer fand sich immer, der sich an den Fahrgemeinschaften beteiligte. Manchmal arbeiteten sie auch an verschiedenen Schulen, die dann höchstens drei Kilometer auseinander lagen.

Das Prinzip der Fahrgemeinschaften hatte sich schon bei vielen bezahlt gemacht und die Leute hatten noch zusätzlich Unterhaltung im Auto.

Sie kam gerade noch mit dem Schulgong in die Schule. Mit ihr gingen noch ein paar andere Schüler ins Schulgebäude. Das hätte auch gut ihr Sohn sein können, dem fällt manches Mal morgens ein, dass er noch ein Bad nehmen könnte.

*

Jan hatte an diesem Morgen Geschichte, und mit dem Eintreffen des Geschichtslehrers fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass er seine Geschichtsaufgaben mal wieder nicht erledigt hatte.

Das war ihm in letzter Zeit häufiger passiert und würde ihm in der Note für das Arbeitsverhalten ein D einbringen. Ein D stand für mangelhaftes bis ausreichendes Arbeitsverhalten.

Die Schule hatte fünf Abstufungen hierfür: von A bis E. E stand für sehr schlechtes Arbeitsverhalten und A für ein exzellentes. Dabei hatte er sich wirklich vorgenommen, sich in diesem Schuljahr zu verbessern. Er wollte sich nicht immer am Limit aufhalten, sondern sich positiv verändern und seine Noten aufpolieren. Wenn er nur nicht immer wieder in die alten Verhaltensweisen zurückfallen würde. Jetzt hatte er sich in einigen Fächern wieder durch mangelhaftes Arbeitsverhalten eine schlechte Note eingefangen. Im Gegensatz zum Arbeitsverhalten hatte Janni schauspielerisches Talent.

Aber anders als die Schauspieler zieht es ihn nicht auf die Bühne, die die Welt bedeutet. Janni möchte nicht als Hamlet über Sein oder Nichtsein schwadronieren, will auch nicht wie ein wild gewordener Handfeger über die Bühne rasen. Nein, Janni lebt nicht in der Literatur auf, sondern steht mit beiden Beinen im wirklichen Leben. Er lässt sich von seinen Lehrern inspirieren. Die Geschichtsstunde soll eben beginnen, der erste Akt der heutigen Tragödie. Hauptdarsteller: der Geschichtslehrer. Er wird die Schülerschaft in die verschiedenen Zeitalter führen - oh Gott! Schon geht die Tür auf und – wer tritt da ein? Das ist zweifelsfrei Janni. Aber so wie er die Brust hervor wölbt und seine Stimme tief erklingen lässt und wie er zur Tafel schreitet, sich dann jäh umdreht und die Klasse kalt und streng fixiert wie der furchtbare Tyrannosaurus rex von Anno Tabak, ist es ohne Frage der Herr Geschichtslehrer.

Nun räuspert sich der Herr respektheischend, knöpft seinen Mantel über den Bauch und donnert in den Raum: „Das schönste Buch ist das Buch der Geschichte“- da gibt es kein Halten mehr: Die Klasse wiehert los, manche klatschen begeistert, andere pfeifen lustvoll, als ziehe da vorne Prince seine große Nummer ab. „Ruhe“ brüllt Janni. In diesem Moment geht die Tür wieder auf, und diesmal ist es wirklich der Geschichtslehrer. Oder macht dieser Janni nach? Der Lehrer weiß zwar nicht, was für ein Stück gerade aufgeführt worden ist, aber so, wie Janni da vorne steht, fühlt sich der Pädagoge dumpf an irgendwas und irgendwen erinnert. Der Lehrer entscheidet sich für die Abschreckungsmaßnahme und unterwirft Janni einer mündlichen Prüfung. Ergebnis: sechs minus. So ein Imitator lebt halt gefährlich. Janni kann es aber nicht lassen. In der Klasse herrscht Schweigen und man könnte eine Stecknadel fallen hören.

Die Schule langweilte Janni meistens, obwohl es auch einige Bereiche gab, die ihn brennend interessierten.

Wenn doch die Schule nur anders wäre. Auf den Frontalunterricht könnte er verzichten und besonders auf die Noten. Projektunterricht, bei dem man sich das Wissen im eigenen Tempo aneignen könnte, das wäre etwas für ihn, oder besser noch, wenn man das Schulziel mit einzelnen Levels vergleichen würde und jeder Schüler im eigenen Tempo versucht, die einzelnen Levels zu erreichen. Er träumte so vor sich hin. Zu den interessanten Bereichen gehörte auch das Fliegen. Er hatte sich immer mal wieder mit dem Fliegen beschäftigt, hatte einige ferngesteuerte Flugzeuge, die er bei schönem Wetter fliegen lassen konnte. Die Flugshow, die in Elliehausen alle zwei Jahre stattfand, interessierte ihn auch brennend. Bücher über das Fliegen und die Mechanik über Flugzeuge hatte er in seiner Freizeit gelesen und sich Sendungen im Fernsehen angesehen, wenn es ums Fliegen ging.

Viel lieber, als zur Schule zu gehen, drehte er seine Filme, die er auf Youtube veröffentlichte.

Er hatte schon einige hundert Abonnenten und bekam immer mehr dazu. Seine Abonnenten wollte er nicht enttäuschen und so hatte er den Anspruch an sich selbst, dass er jede Woche mindestens zwei Filme ins Netz stellen wollte. Das kostete viel Zeit und erforderte große Konzentration und Kreativität, wollte er seine Abonnenten ja nicht langweilen. Er musste sich dann immer etwas Neues einfallen lassen.

Seine Eltern haben ihn dazu ermuntert, an einem Filmwettbewerb teilzunehmen. Zuerst hatte er keine Ambitionen dazu.

Wettbewerbe interessierten ihn noch nie. Seine Eltern haben ihn schon immer dazu überreden wollen, bei Musi-Kuss und beim Schwimmen oder Parkour, den einen oder anderen Wettbewerb mitzumachen.

Allerdings hatte er in letzter Zeit Geschmack daran gefunden und wollte an einem Filmwettbewerb teilnehmen und Filme einsenden. Es sollten zwei Filme eingesandt werden.

Ein allgemeiner Film, den man sich selbst ausdenkt, und beim Zweiten sollte ein Thema mit einer Handlung bearbeitet werden. Er wollte auf jeden Fall dran teilnehmen. Er hatte einige seiner Freunde gefragt, ob sie mit ihm zusammen etwas auf die Beine stellen wollten. Die Resonanz sah bisher eher mau aus. Der eine hatte wenig Zeit und ein anderer Kumpel hatte nicht so viel Geduld mit der Dreherei. Geduld brauchte man, wenn man einen vernünftigen Film produzieren wollte. Ja, er wollte etwas auf die Beine stellen und vielleicht wären seine Eltern dann stolz auf ihn. Sie schimpften mit ihm manches Mal wegen der Schule - und dies zu Recht.

Dies ließ er sich aber nie anmerken, obwohl es ihn tief in seinen Inneren doch störte. Jetzt hatte er jedenfalls Blut geleckt und wollte auf jeden Fall an diesem Wettbewerb teilnehmen, koste es, was es wolle. Es gab auch Preise in Geldbeträgen zu gewinnen. Es war insgesamt für alle Altersgruppen ein Preisgeld von 13.000,-- Euro festgelegt.

Wie die einzelnen Geldbeträge aufgeteilt würden, stand noch nicht fest. Ja, er wollte etwas Besonderes präsentieren. Dafür brauchte er noch ein paar zündende Ideen, die ihm mit der Zeit bestimmt noch einfallen würden. Er hatte noch gut zwei Monate dafür Zeit.

Jetzt musste er sich auf Geschichte konzentrieren, wenn er dort noch etwas bewegen wollte. Es ging um Zünfte im Mittelalter. Er musste sich wenigstens ein- bis zweimal melden, damit er mündlich nicht völlig ablooste. Manchmal ist das gar nicht so einfach, denn wenn er sich meldet, sind schon meistens vier bis fünf Finger der anderen Schüler oben, und dann kommt der zuerst dran, der den Finger zuerst oben hatte.

Manchmal kam er auch dran und konnte dann mit einem guten Beitrag glänzen. Bedauerlicherweise kam das nicht so häufig vor. Nicht, dass er nichts gewusst hätte, meistens wusste er alles, verpasste es dann aber, sich zu melden.

Es fiel ihm dann ein, wenn die Stunde schon fast zu Ende war, und er nahm sich dann für die nächste Unterrichtsstunde vor, dies zu verbessern. Heute durfte er es nicht versäumen, sich seine Geschichtshausaufgaben in seinen Planer zu schreiben, und was noch viel wichtiger war, dass er sie zuhause prompt erledigen musste, wollte er keine Fünf in Geschichte bekommen. Er hatte oft keine Lust, mit Lehrern zu sprechen. Das lag zum einen an seiner schlechten Erfahrung in der Grundschule und zum anderen, dass Lehrer meistens etwas von ihm wollten, meist eine Antwort auf eine Frage. Manchmal stellte er sich einfach stumm und tat so, als ob er vor sich hin träumte. Er gab dann keine Antwort und sein Gegenüber verzweifelte dann an ihm. Diese Art der Ignoranz legte er oft seinen Eltern gegenüber an den Tag. Seine Mutter reagierte dann gekränkt, wenn sie nach dem dritten Versuch keine Antwort bekam.

Mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt, nur die Lehrer verzweifelten an dieser Eigenschaft, und nicht selten stand er im Mündlichen dann auf Fünf. Er hoffte, dass er in der Pause nicht seiner Mutter über den Weg laufen würde, denn diese würde ihn bestimmt wieder nach der Schule fragen, und dieser Frage wollte er heute aus dem Weg gehen. Seine Eltern waren ansonsten eigentlich ganz cool und ließen sich auf manche Freizeitaktivitäten mit ihm ein. Sie besuchten im letzten Jahr in den Herbstferien, als sie im Harz waren, einen Kletterpark. Das hatte ihm selbst und auch seinen Eltern gefallen. Klettern mochte er gerne. Irgendwann wollte er mal in den Alpen klettern. Sein Vater wollte dies mit ihm machen. Manchmal gingen sie auch zusammen ins Kino. Meistens Sonntagnachmittag, dann hatte sich seine Mutter bereits auf den Unterricht für die kommende Woche vorbereitet. Sonntagnachmittag war immer Familientag.

Meistens durfte er auch einen Freund hierzu einladen. Nur mit der Schule waren seine Eltern richtige Spießer. Sie sprachen oft über seine beruflichen Wünsche und Neigungen. Er mochte diese Gespräche nicht besonders, wollte lieber so in seiner Position verharren, wusste aber auch, dass dies nicht ging und er sich diesbezüglich seine Gedanken machen musste. Insgeheim gab er seinen Eltern recht, aber wer wollte dies schon offen zugeben, also hieß es, auf sein Recht beharren auf Teufel komm heraus. In der Pause wollte er sein Schulbrot verzehren. Er simste mit seinem Handy, vergaß darüber die Zeit und musste sich schließlich beeilen, um noch pünktlich zum Unterricht zu kommen.

Morgen wollte er wieder vernünftig frühstücken, was ihm auch heilig war. Er aß gerne zwei Nutella- Brote morgens und kam damit auch gut bis zum Mittag aus. In der nächsten Stunde würden sie Sport haben.

Da konnte er mit seiner Sportlichkeit wieder glänzen. Hoffentlich machten sie wieder Geräte-Turnen. Ballspiele mochte er nicht so gern. Basketball und Handball waren für ihn am schlimmsten. Fußball ging immer noch, denn durch seine Geschicklichkeit und Schnelligkeit schoss er manches Mal ein Tor, aber Handball und Basketball waren nicht sein Ding im Sport. Wenn es nach ihm ginge, würde der Sportunterricht nur aus Schwimmen, Geräteturnen, Akrobatik und Parkour bestehen. Er war sehr gelenkig und er und seine Freunde hatten schon manchen Parkourfilm gedreht und ins Netz gestellt. Einige hatten auch bereits an die zweihundert Clicks bekommen. Von Profis ins Netz gestellte Parkourfilme bekamen bis an die vierhundert Tausend Clicks. Diese Zahl wollte er auch mal erreichen.

Bis dahin war noch ein weiter Weg, aber er würde stetig daran arbeiten. Er war diesbezüglich voller Optimismus.

*

Juliane hatte die ersten beiden Stunden unterrichtet und musste für die nächsten Stunden ins Nebengebäude. In der Klasse hatte sie eine Kollegin in Deutsch vertreten. Wie gut, dass es immer Schüler/innen gibt, die sehr redselig sind. Die Schüler tendieren im allgemeinen im Unterricht zu Einsilbigkeit und Schweigen. Der Lehrer muss sich dann abmühen, die lähmende Stille zu überbrücken. Ein harter Job manchmal, aber schließlich wird man dafür bezahlt, Geräusche von sich zu geben. Zum Glück für Lehrer existiert in der Klasse eine Art Unterhalter, der fast in allen Klassen vorkommt. Wenn eine Lehrkraft nicht mehr weiter weiß, ruft sie einfach diesen Schüler auf, und dieser redet und redet wie aufgezogen bis zum Ende der Stunde, während sich andere Schüler durch Handy, Spiele und Whatsapp in euphorische Erregung versetzen, sprudelt dieser Schüler wie ein munterer Quell Worte und Sätze hervor, die den Rest der Stunde ausfüllen.

Morgens kommt dieser Schüler genauso mürrisch zur Schule wie die anderen, begegnet er einem Menschen, öffnet er seine Schleusen der Worte. Er verhält sich da wie Robinson Crusoe, als ihm nach Jahren der Einsamkeit der arme Freitag über den Weg lief. Ja, für die anderen ist es ein Segen, wenn der Unterricht beginnt und dieser Schüler sein Reden unterbrechen muss. Kurzfristig. Denn nachdem er so richtig in Schwung gekommen ist, kann er sich nicht lange still verhalten. So gibt es in der Klasse zwei Redeströme. Der Biologie- oder Deutschlehrer erzählt von Schachtelhalmen bzw. von Goethe und dieser Schüler oder diese Schülerin genauso packend, wenn auch nur zum Tischnachbarn gewandt, von seinem bzw. ihrer neuen Freundschaft. Im Eifer ihrer Erzählung verleiht sie ihren/seinen Worten größeren Nachdruck, wird lauter – bis die Farne vergleichsweise verkümmern und eingehen. Der Biologielehrer fordert den Schüler oder die Schülerin zum Schweigen auf.

Er/sie schweigt – zwei Minuten lang, und setzt dann, zunächst noch flüsternd, seine/ihre Erzählungen fort, und so geht es weiter. Weiß man als Lehrkraft aber mal nicht weiter, weil es nicht das eigene Gebiet ist, hilft es ungemein, diese Schülerin bzw. diesen Schüler aufzurufen und diese/dieser doziert dann mit um so größerer Leidenschaft weiter, bis die Stunde vorbei ist. Bei dieser Begabung sind diese redseligen Schüler dazu prädestiniert, selbst einmal Lehrer/in zu werden.

Sie wollte zu Fuß ins Junior gehen, war dieses Gebäude nur zwei Straßen entfernt. Ein paar Schritte an der frischen Luft würden ihr gut tun. Der Regen hatte aufgehört, einen Schirm würde sie aber trotzdem mitnehmen, man konnte ja nie wissen. Sie hatte jetzt gleich eine sechste Klasse in Mathe, eine schwierige Klasse, weil es dort sehr unruhig war. Sie war manchmal sehr angestrengt, wenn sie von dort heraus kam, aber der Unterricht machte ihr trotzdem Spaß. Manche der Kinder waren mit Herzblut dabei und dies freute sie.

Einige der Kinder waren schwierig in ihrem Verhalten. Sie wusste nicht so recht, ob dies an der überschießenden Informationsflut lag oder an anderen Dingen. Sie bekam in ihrer Arbeit mit, dass die Kinder ihre Handys überall mitnahmen, und auch im Unterricht passierte es gelegentlich, dass ein Handy anfing zu klingeln. Eine Kollegin, mit der sie befreundet war, monierte das Gleiche in ihrer Klasse. Die Schüler hatten bei jeder Gelegenheit ihre Handys an und schauten aufs Display. Sogar beim Unterhalten schauten sie auf ihre Handys und waren mit Simsen beschäftigt oder prüften, ob sie eine Nachricht bekommen hatten. Die neue Volkskrankheit war eine steifer Hals und eine verkürzte Rückenmuskulatur, was sich bereits bei den Teenies ausgebreitete. Sie kassierte die Handys ein, wenn die Schüler sie im Unterricht benutzten, und gab sie nach dem Unterricht wieder zurück. Ihre Freundin Birgit machte es genauso.

Bei diesem brisanten Thema gingen die Meinungen im Kollegium weit auseinander, und sie hatten auch schon manch hitzige Diskussion darüber gehabt.

Sie hielt es für ihren Unterricht so, dass sie es nicht duldete, wenn die Schüler die Handys im Unterricht benutzten. Birgit und sie hatten schon überlegt, dass in manchen Fällen, wenn sich die Schüler nach mehrmaligem Ermahnen nicht an die Absprachen hielten, die Handys von den Eltern abgeholt werden mussten. Dies führte nicht in jedem Fall zu Begeisterung, was man sich gut vorstellen kann. Die meisten Eltern waren konform mit diesem Vorgehen, sie hatte aber auch schon anderes erlebt. Einmal kam ein erboster Vater in die Schule und plusterte sich auf, was ihr denn einfallen würde, seinem Sohn das Handy zu wegzunehmen. Sie gab es dem Vater dann wieder und versuchte ihren Standpunkt zu erklären, merkte aber ziemlich schnell, dass in der Angelegenheit ihre Meinungen sehr weit auseinander waren, und ließ sich auf keine Diskussion ein.

Das hätte ihr nur Zeit geraubt und sie hätte ihren Ärger mit nach Hause genommen.

Sie hatte im Laufe ihrer Berufszeit gelernt, wann es besser ist, keine Grundsatzdebatten anzufangen. Vielleicht würden sie im Kollegium irgendwann zu einer gemeinsamen Regelung kommen, das würde es dem einzelnen Lehrer ungemein erleichtern.

Heute war es erstaunlich ruhig in dieser Klasse, und die Klasse ließ sich auf den Unterricht gut ein. Vielleicht lag es daran, dass einige der Schüler fehlten, die sonst vermehrt für Unruhe sorgten. Sie ließ einige Schüler ein paar Aufgaben an der Tafel vorrechnen. Das wurde von ihnen durchgeführt, die Begeisterung der Schüler hielt sich jedoch in Grenzen. Es kamen auch oft Fragen seitens der Schüler: „Wofür brauche ich diese Formeln, warum muss ich dies jetzt machen? Ich hasse Mathe.“ Sie konnte dann immer nur antworten, weil es das Schulcurriculum so vorschreibt und weil man im täglichen Leben jeden Tag von Neuem Mathematik braucht.

Die Stunde war im Nu vorbei und die Schüler schienen zufrieden zu sein. Sie nahm nach dem Unterricht ihre Sachen und machte sich schnell auf den Heimweg. Sie hatte heute noch eine Menge Dinge zu erledigen.

*

Schule, Filmen und andere Kuriositäten

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