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Der König Tschiwotschei

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Der Siegreich-Vollendete hielt sich in Njanjod im Park des Prinzen Dschaldsched auf, als er sah, daß die Gelonge selbstsüchtig wurden, nach Vorteilen haschten und nach Ruhm strebten, wenig taten und viel dafür erwarteten.

Da sprach der Siegreich-Vollendete zu ihnen: „Ehrgeizige und Habsüchtige sind verdammt in alle Ewigkeit. In ihren zukünftigen Existenzen werden sie unendliche Qualen erdulden. Auch ich bin einmal in grauen Vorzeiten den Herrschergelüsten anheimgefallen und viel Leid mußte ich erdulden.“

Kungawo kniete sich vor Buddha hin, legte die Handflächen zusammen und fragte den Siegreich-Vollendeten: „Wie konnte Buddha durch die Macht der Begierden und Gelüste fallen?“

Der Siegreich-Vollendete sprach:

„Vor zahllosen in Gedanken nicht zu fassenden Kalpas regierte in Dschambudwip der König Dupade. Er herrschte über vierundachtzigtausend Vasallenfürsten. Er hatte zwanzigtausend Gemahlinnen, aber keinen Sohn.

Da geschah es, daß auf dem Haupt des Monarchen sich eine eiförmige Wasserblase bildete, die vollkommen klar und rein war und dem König nicht den geringsten Schmerz verursachte. Die Blase wuchs immer mehr, und als sie die Größe eines Kürbisses erreicht hatte, platzte sie und ein ungewöhnlich schöner, blauschwarzhaariger, goldfarbener Knabe, dessen Körper alle Glückszeichen aufwies, entstieg ihr.

Die herbeigerufenen Zeichendeuter nahmen ihn in Augenschein und sprachen: ,Dieser Knabe trägt die Zeichen der höchsten Tugend. Er wird zweifellos Tschakrawartin werden und alle vier Weltteile beherrschen.‘ Sie gaben ihm den Namen Tschiwotschei (der Kopfgeborene).

Als der Knabe aufwuchs, zeichnete er sich durch hohe Tugenden aus und sein Vater ernannte ihn zu einem Vasallenfürsten.

Später erkrankte der König und starb trotz aller Bemühungen und Heilversuche.

Darauf versammelten sich die Vasallenfürsten, und sie beschlossen Tschiwotschei aufzusuchen. Sie gingen also hin zu ihm und baten ihn, den Thron zu besteigen.

Da sprach Tschiwotschei: ,Wenn ich dank meiner Tugenden und Verdienste so vollkommen bin, daß ich das Recht zur Macht habe, so mögen die vier Geisterkönige unter Führung Dschadschins zu mir kommen und mir die königliche Macht verleihen.‘

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die vier Geisterkönige sich auf die Erde herabließen und aus Edelsteingefäßen wohlriechende Öle auf seinen Scheitel träufelten und ihn zum König salbten. Auch Dschadschin senkte sich herab und setzte auf das Haupt Tschiwotscheis ein mit köstlichem Edelstein geschmücktes Diadem.

Darauf kamen die Vasallenfürsten und baten den König, sich in das Hauptland zu begeben.

Aber Tschiwotschei sprach: ,Bin ich dank meiner Tugenden und Verdienste so vollkommen, daß ich das Recht zur Macht habe, so möge das Land und das Volk zu mir kommen.‘

Kaum waren diese Worte des Königs verklungen, erschien vor ihm das große goldene Religionsrad, das ganze Land, der Palast, der Garten mit den Wasserbassins, Blumen und Vögeln. Zugleich kamen auch Elefanten und Pferde, Männer und Weiber.

So wurde Tschiwotschei Tschakrawartin, der die vier Weltteile beherrschende Monarch. Lange Zeit regierte er treu den Vorschriften der Religion, gerecht und gütig.

Einmal sah der König viele Menschen die Erde umgraben und die Felder pflügen. Er fragte die Minister, was diese Leute eigentlich täten.

Die Minister antworteten: ;Sie betreiben Ackerbau, weil alle lebenden Wesen sich ernähren müssen.‘

Da sprach der Herrscher: ,Bin ich dank meiner Tugenden und Verdienste so vollkommen, daß ich das Recht zur Macht habe, so möge die Erde Nahrung von hunderterlei Geschmack hervorbringen und jeder möge sich sättigen und seinen Durst stillen.‘

Kaum waren diese Worte gesprochen, entstanden Speise und Getränke ganz von selbst, ohne daß gearbeitet wurde.

Bei einer anderen Ausfahrt erblickte er Weber. Als er seine Minister fragte, was die Leute täten, erhielt er den Bescheid: ,Nahrung entsteht zwar von selbst, aber Kleider müssen noch angefertigt werden.‘

Da sprach Tschiwotschei: ,Bin ich dank meiner Tugenden und Verdienste so vollkommen, daß ich das Recht zur Macht habe, so mögen von nun an Kleider ohne Arbeit von selbst entstehen.‘

Kaum hatte er so gesprochen, wuchsen auf den Bäumen Kleider von verschiedenster Art und Farbe und die Menschen besaßen bald einen unerschöpflichen Vorrat.

Ein anderes Mal erblickte der König Leute, die Musikinstrumente in den Händen hielten.

,Was bedeutet dies?‘ fragte er seine Minister.

,Die Menschen haben jetzt Nahrung und Kleider. Aus Freude machen sie Musik und spielen auf verschiedenen Instrumenten.‘

Da sprach Tschiwotschei: ,Bin ich dank meiner Tugenden und Verdienste so vollkommen, daß ich das Recht zur Macht habe, so mögen Musik und die Musikinstrumente von selbst entstehen.‘ Kaum hatte er so gesprochen, hingen an den Zweigen der Bäume die verschiedensten Musikinstrumente, und wünschte jemand Musik, ertönten sie von selbst, so lieblich und wohllautend, daß alle Menschen fröhlich und lustig wurden.

Dann ließ der König Edelsteine vom Himmel herabregnen. So lebte er und seine Untertanen während vierundachtzigtausend Jahren in höchstem Glück und vollkommener Freude auf Dschambudwip.

Einmal aber kam ein Jakscha vor die Pforten des Palastes und rief mit lauter Stimme: ,Im Osten liegt der Weltteil Schardschi lüp agling. In diesem unbeschreiblich schönen Land herrscht das vollkommenste Glück und die größte Freude. Der Herrscher Tschiwotschei müßte auch dahin gehen und dort eine Weile leben.‘

Als er diese Worte hörte, bekam er Lust, sich dahin zu begeben und er erhob sich in die Luft mit dem goldenen Rad und seine Vasallenfürsten und Minister, seine Elefanten und Pferde folgten ihm. Glücklich gelangten sie in den östlichen Weltteil.

Vierundachtzigtausend Jahre lang lebten sie hier alle in größtem Glück.

Aber ein Jakscha erschien wieder und sprach: ,Im Westen liegt noch ein Weltteil, Langtschon genannt. Auch dort ist das Leben unbeschreiblich schön. Tschiwotschei sollte auch dieses Land kennenlernen.‘

Er begab sich mit seinem Gefolge dorthin, und er verbrachte vierundachtzigtausend Jahre in größtem Glück in Langtschon.

Abermals erschien ein Jakscha und sprach: ,Im Norden liegt ein Weltteil, er heißt Daminjan. Hier leben die Menschen in höchster Glückseligkeit. Du müßtest auch diesen Weltteil besuchen.‘

Tschiwotschei bekam auch gleich Lust und er verbrachte vierundachtzigtausend Jahre in Daminjan.

Wieder kam ein Jakscha und sprach: ,Unermeßliches Glück herrscht im Lande der vier Geisterkönige, dorthin sollte der Monarch fliegen.‘

Da erhob sich Tschiwotschei in die Lüfte und seine Minister und sein Heer folgten ihm.

Die vier Geisterkönige erschraken, als sie Tschiwotschei nahen sahen und eilig sammelten sie ihre Krieger. Aber sie konnten nichts gegen Tschiwotschei ausrichten und mußten ihn mit seinem Gefolge in ihr Land lassen. Hier lebte Tschiwotschei zehntausend Jahre lang in Freude und Genuß.

Da aber wollte der Monarch in das Land der dreiunddreißig Götter gelangen und er erhob sich gegen den Himmel mit seinem ganzen Gefolge.

Damals lebten in den Schluchten Kirabhlunpos fünfhundert Drangsrongs. Als diese sahen, daß der Unrat der Elefanten und Pferde in die Schlucht fiel, sprachen sie: ,Was mag denn das sein?‘

Da sagte ein besonders kluger Drangsrong: ,Der König Tschiwotschei ist sicher auf dem Wege in das Reich der dreiunddreißig Götter, und das ist der Unrat seiner Elefanten und Pferde.‘

Dieses übermütige Vorhaben erregte den Unwillen der Drangsrongs, und durch Zaubersprüche und magische Zeichen hielten sie den König und sein Gefolge auf. Festgebannt konnten diese ihren Weg nicht fortsetzen.

Als Tschiwotschei die Ursache erfuhr, sprach er: ,Bin ich dank meiner Tugenden und Verdienste so vollkommen, daß ich das Recht zur Macht habe, so mögen die Drangsrongs vor mir erscheinen und mir Ehrenopfer darbringen.‘

Kaum hatte Tschiwotschei so gesprochen, kamen die Drangsrongs der Reihe nach und dienten ihm. Tschiwotschei und sein Gefolge konnten ihren Weg fortsetzen.

Schon von weitem erblickten sie den in unbeschreiblichem Glanz leuchtenden wunderbaren Palast der Götter. Dieser herrliche Götterpalast hatte tausend zweihundert weite große Pforten.

Die Götter erschraken, als sie das nahende Heer und Tschiwotschei an der Spitze erblickten, und sie verschlossen alle Tore mit dreifachen eisernen Riegeln.

Als Tschiwotschei und sein Heer vor den Pforten des Götterpalastes anlangten, blies er in sein Horn, spannte seinen Bogen und ließ den Ton der Sehne erschallen. Darauf sprangen die tausend zweihundert Pforten des Götterpalastes zu gleicher Zeit auf und Dschadschin selbst eilte zum Empfang Tschiwotscheis. Er führte ihn in das Innere des Palastes und ließ ihn die Hälfte seines Thrones einnehmen. Dschadschin und Tschiwotschei sahen sich so ähnlich, daß man den Beherrscher der Götter und den der Menschen nur nach sorgfältigster und genauester Betrachtung unterscheiden konnte. Hier lebte Tschiwotschei in höchstem Glück und größter Freude während sechsunddreißig Lebensaltern Indras.

Damals geschah es, daß der König der Assuri mit seinem Heere gegen die Götter zog.

Dschadschin konnte ihn nicht besiegen und mußte mit seinem Heer in den Götterpalast fliehen.

Jetzt zog Tschiwotschei gegen die Assuri. Er blies in sein Horn, spannte seinen Bogen und ließ den Ton der Sehne erschallen. Und das Heer der Assuri ergriff sofort die Flucht.

Da dachte Tschiwotschei: ,Niemand ist so stark wie ich. Warum soll ich mit Dschadschin die Macht teilen. Es ist besser, ich töte ihn und herrsche allein.‘

Kaum aber hatte er diesen sündigen Gedanken gefaßt, stürzte er plötzlich vom Himmel. Er fiel vor die verfallenen Pforten seines ehemaligen Palastes.

Trotz des ungeheuren Sturzes starb er nicht gleich. Er mußte noch fürchterliche Qualen erdulden.

Da kamen Leute zu ihm und sagten: ,Wenn man uns fragen wird, auf welche Weise der König Tschiwotschei gestorben ist, was sollen wir antworten?‘

Der König sprach: ,Wird man euch fragen, so antwortet: ‚Tschiwotschei hat sein Leben eingebüßt, denn er unterlag seinen Herrschergelüsten. Millionen Jahre hat er über die vier Weltteile geherrscht, alle Kostbarkeiten konnte er vom Himmel herabregnen lassen, die größten Freuden hat er genossen, in zwei Götterreiche gelangte er, aber nichts genügte ihm. Deshalb mußte er vom Himmel fallen und qualvoll sein Leben enden.‘

Tschiwotschei war ich selbst“ — sprach Buddha — „Sehet ihr, Gelonge, welche Laster Habgier und Machtgelüste sind. Entsagt diesen bösen Übeln. Laßt euch nie von ihnen beherrschen. Nur dann könnt ihr nach der wahren und höchsten Vollkommenheit streben.“

Tibetische Märchen

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