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Matthi und Pfeffer

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Die Sonne scheint, er öffnet die Augen und blinzelt zunächst. Die starke Trübung der Pupillen lässt darauf schließen, dass er fast erblindet sein muss. Trotzdem er sich zusammengerollt hat, bleibt erkennbar, wie mager sein Körper ist. Sein hellbeiges, fast weißes Fell ist ungepflegt und verfilzt. Es war ursprünglich lockig und halblang. Außerdem hat es handteller große Flecken, die von pfefferig grauer Farbe sind. Wegen dieser Eigenheit erhielt der kleine Hund seinen Namen Pfeffer. Pfeffer ist ein reinrassiger Foxterrier und heißt laut seiner Papiere mit vollen Namen Pfeffer vom Uhlenhof im Eichengrund.


Pfeffer hat trotz seines Alters und der Lebensumstände immer noch ein drolliges Gesicht. Wenn er lauscht, kippen seine Schlappohren nach vorne und bedecken Teile seines Gesichts. Sein Gehör ist längst genauso schlecht wie seine Augen. Aber wem sollte er auch zuhören oder wen sollte er anschauen?


Er liegt an dieser Stelle schon eine Ewigkeit. Pfeffer hebt seinen Kopf und schnuppert. Dabei bewegt er seine schwarze Nase hin und her. Sein Geruchssinn ist noch recht gut. Sein Blick wandert zu dem entfernten Haus, das er nie aus der Nähe oder von innen sehen durfte.


Die Bäuerin kocht irgendetwas Wohlriechendes, und, wenn er Glück haben sollte, bekommt er von dem Essen später einen Rest ab. Vor ihm stehen zwei Näpfe. Der eine ist leer, schmutzig und von angetrockneten Futterresten verklebt. Der andere wird innen von einem grünen und schleimigen Rand geziert. In diesem befindet sich etwas trübes Wasser. Pfeffer hatte schon längere Zeit nichts bekommen und ihm knurrt der Magen. Er steht auf, reckt seine langen Beine und gähnt. Das durch die Bewegung ausgelöste Rasseln der schweren Kette erinnert den Hund an sein unendliches Leid.


Pfeffer wurde bereits als junger Hund hier angebunden. Man hatte ihm nicht einmal ein Halsband gegeben. Die Kette wurde einfach um seinen Hals geschlungen, so dass er keine Chance hatte, sich zu befreien. So hinterließ sie über die Jahre ihre schmerzhaften Spuren. Auf der anderen Seite endet die Kette, die ihm einen Bewegungsradius von etwa drei Metern lässt, an einem Eisenpflock. Dieser ist genau neben seiner Hütte ins Erdreich eingeschlagen. Die Hütte ist uralt, das Holz hat faulige Stellen und das Dach hat wegen der fehlenden Dachpappe Löcher. Sie bietet ihm kaum noch Schutz. Wenn es regnet oder sehr kalt ist, verkriecht sich Pfeffer bis nach ganz hinten. Hier kauert er sich dann an die Rückwand, damit er wenigstens etwas warm und trocken bleibt.


Oberhalb der Luke hängt mit einem einzigen Nagel fixiert ganz schief ein Schild, auf dem der Name Janusch geschrieben steht. Pfeffer weiß nicht, ob dieser Name nun an die Stelle seines Geburtsnamens getreten ist, und er jetzt so heißt oder ob dieser Name einem anderen Hund gehörte, der hier bereits vor ihm früher sein bemitleidenswertes Leben fristen musste.



Und so fing alles vor vielen Jahren an:


Pfeffer war ein junger temperamentvoller Rüde, der seinem Namen alle Ehre machte. Er war gerade erwachsen geworden. Damals war seine Hundewelt noch in Ordnung. Er hatte ein artgerechtes Leben und Spielen, ja Spielen und Herumtollen, das waren seine Leidenschaften…...


Pfeffer und seine drei Geschwister werden an einem sonnigen, warmen Morgen in der ersten Mai-Woche geboren. Schon in diesem ersten Lebensjahr geschieht für ihn und seine Familie großes Leid. Die Hündin Ondra zieht mit Pfeffer, Paula, Pina und Pinta ihren ersten Wurf groß. Sie ist eine gute Hundemutter und stetig um ihre Jungen bemüht. Als die Welpen für die Geburtskiste zu groß geworden sind und beginnen, ihr Umfeld zu entdecken, wird sie besonders wachsam, und bleibt, wo immer sie kann, in der Nähe der Hundekinder. Da Ondra selbst noch sehr jung ist, tollt und spielt sie mit den vier Geschwistern so oft wie möglich herum. Hierbei erhalten die Jungen ihre ersten Lektionen, wie sich ein Hund zu benehmen hat.


Es kommt leider auch bald die Zeit, in der die Tiere alt genug sind, um getrennt zu werden. So gehen Pfeffers drei Schwestern und auch die Mutter weg vom Uhlenhof. Es heißt, sie würden in gute Hände abgegeben. Was Pfeffer nicht wissen kann ist, dass sein Frauchen Christin, die Herrin vom Uhlenhof, keine Freude mehr an der Foxterrier-Zucht hat und sie deshalb auflöst, obwohl bereits viele Generationen dieser Tiere auf dem Uhlenhof im Eichengrund geboren wurden und gelebt haben, weshalb alle Hunde in ihren Papieren diesen Namen tragen und so auch beim Zuchtverband eingetragen sind. Wie erfolgreich die Zucht war, zeigen auch die vielen Pokale, die überall im Haus verteilt stehen, die Christin Gruhn auf Unmengen von Ausstellungen für ihre edlen Hunde erhalten hat.


Pfeffer bleibt allein auf dem Uhlenhof zurück, worüber er glücklich ist, obwohl ihm Mutter und Schwestern zunächst sehr fehlen. Doch da gibt es ja noch sein geliebtes junges Herrchen, dem Pfeffer verdankt, dass er bleiben darf. Matthias ist ganz verrückt nach dem kleinen Hund, nicht zuletzt deshalb, weil er der einzige Rüde in diesem Wurf war. Außerdem kann Pfeffi, wie ihn sein Herrchen liebevoll nennt, nicht wissen, dass Christin und Tristan Gruhn ihrem Sohn aus gutem Grund keinen Wunsch abschlagen.


Matthi ist ein etwas dicklicher Junge mit rundem Gesicht, braunen freundlichen Augen und blonden wild gelockten Haaren. Matthi ist Pfeffis bester Freund. Die beiden sind fast immer zusammen zu finden. Bereits morgens schallt die Kinderstimme hell durch das gesamte Haus: „Pfeffer! -------------Pfeffiiiiiiiii! ---------Wo steckst du??--------?“Pfeffer springt dann aus seinem Korb und rennt so schnell er kann zu Matthias. Dabei gerät er meist auf dem glatten Terrakottaboden ins Rutschen Die Beine scheinen sich bei seinem Spurt zu verheddern, und man kann hören, wie die Krallen ihren Halt suchen. Dass Pfeffis Korb im großen Flur des Hauses steht, ist für ihn normal. Hier stand die Wurfkiste, in der er geboren wurde, hier hatten all die anderen Hunde ihren Platz, und nun hat er hier seine Ecke.


Er versteht auch nicht die Bedeutung der Worte von Christin: “Der Hund muss im Flur schlafen. Tiere übertragen immer irgendwelche Keime, die von Matthi unbedingt fern gehalten werden müssen.“ Diese zwei Sätze wiederholt die Mutter meist mehrfach täglich. Dabei macht sie stets ein sorgenvolles Gesicht, und sie wirkt dann wie versteinert, als würde sie mit ihren Gedanken in eine völlig andere Welt eintauchen. Geht Matthi schlafen, darf Pfeffi nicht mit in das Zimmer des Jungen. Er schaut zwar täglich erwartungsvoll zu Christin hinauf, ob vielleicht doch eine Ausnahme zu erwarten ist, erhält aber jedes Mal den barschen Befehl: „Du bleibst hier!“ Christins Blick richtet sich dann scharf und bedeutungsvoll auf den Hund und ihr Zeigefinger weist spitz auf den Hundeplatz. Pfeffer gehorcht, geht wie befohlen in seinen Korb und setzt sich hinein, um von hier noch eine Weile das abendliche Geschehen im Haus zu beobachten bis die nächtliche Ruhe eintritt. Er legt sich dann brav nieder und lauscht den Geräuschen der Nacht. Er hört die Schreie der Eulen, die dem Hof seinen Namen gegeben haben. Hierunter mischt sich oft ein langgezogenes `Kiiiewitttt`. Diesen Ruf benutzt ein Kauz, der neben anderen Eulenvögeln im nahen Eichengrund sein Zuhause hat. Wegen der Ähnlichkeit mit den Worten `Komm mit` und dem Aberglauben vieler Menschen wird das harmlose Käuzchen zum Begleiter des Todes herabgewürdigt. Man sagt diesen Tieren nach, dass ein Mensch stirbt, wenn der Ruf erschallt. Hiervon weiß Pfeffi aber nichts.


Vielmehr beängstigt ihn ganz etwas anderes. Es passiert immer häufiger, dass das Leben im Haus nicht nur tagsüber sondern auch nachts in eine unerwartete Hektik aufschreckt. Pfeffis Menschen laufen dann durcheinander, und das Stimmengewirr lässt auf nichts Gutes schließen.

Und dann kommt der große fremde Mann, der so komisch riecht, und der Pfeffi nicht einmal dann beachtet, wenn dieser versucht, an ihm zu schnuppern. Dieser Mann hat immer eine schwarze lederne Tasche dabei. Um den Hals hängt ihm so ein blinkendes Ding, welches die Menschen Stethoskop nennen. Der Mann wird der Doktor genannt. Er betritt mit Eile das Haus und verschwindet mit der gleichen Eile in Matthis Zimmer. Matthias wird dann immer von schweren Hustenanfällen geschüttelt, und der Doktor greift nach seinem Stethoskop, um die Lunge des Jungen abzuhören.

Der Doktor achtet dabei aber auch auf den Herzschlag, indem er den Puls über dem Handgelenk fühlt. Pfeffi kann spüren, dass alle anwesenden Menschen voll der größten Sorge um Matthias sind. Christin wischt sich dann immer fast unmerklich für alle anderen Tränen aus den Augen. Sie liebt ihr Kind über alles und hat dabei die schrecklichsten Vorahnungen….

Wegen der Erkrankung kann Matthias nicht mit den anderen gesunden Kindern zusammen zur Schule gehen. Er erhält deshalb Hausunterricht. Hierfür kommt fast täglich das bereits etwas ältliche Fräulein Clarissa Rose zu den Gruhns, die mit Matthi den Stoff des dritten Schuljahres durchnimmt. Manchmal kommt an Stelle von Fräulein Rose auch ein junger Lehrer. Der zeigt Matthi den Lehrstoff anhand von vielen Bildern, Grafiken und auch kleinen Filmen. Diesen Unterricht mag der Junge besonders gern, und er kriegt dann vor lauter Aufregung ganz rote Wangen. Außerdem darf Matthias den Lehrer bei seinem Vornamen nennen. Aaron pflegt mit Matthi eine freundschaftliche Lehrer- Schülerbeziehung. Für Aaron ist Matthias ein ganz besonderer Junge, den er sehr gern unterrichtet. Pfeffis Begeisterung für den Unterricht hält sich in engen Grenzen, weil er in diesen Stunden nicht bei seinem kleinen Freund sein darf. Er soll das Kind vom Lernen nicht ablenken. Also erwartet der Hund artig an seinem Platz das Ende des Unterrichts, um dann schnell zu seinem Herrchen zu laufen, sobald die fremden Menschen gegangen sind.


Matthi hustet im Verlauf der Zeit immer öfter und heftiger. Die Anfälle sind so qualvoll, dass der schnell herangeholte Doktor ihn jetzt meist ins nahegelegene Krankenhaus begleitet. Hier bleibt er dann für einige Stunden bis die verabreichten Medikamente ihre Wirkung tun. Sobald das Kind wieder daheim ist, ist die Familie einschließlich des Doktors total aufgelöst. Matthi weint meist, da er die Schmerzen kaum noch aushält und die Medikamente, die erhebliche Nebenwirkungen haben, auch immer höher dosiert werden müssen, um überhaupt noch eine befreiende Wirkung zu erzielen. Die Aufregung ist dann sehr groß. Alles spielt sich im Kinderzimmer ab. Selbst der Doktor bleibt aus Sorge immer länger im Haus. Draußen bleibt allein der kleine Hund, der sich in seinen Korb verzieht und geduldig wartet bis wieder Ruhe einkehrt. Wenn ein Tier den Begriff Sorge kennt, dann ist es Pfeffi. Zumindest die Empfindungen, die damit einhergehen, kann der Hund nachvollziehen. Er spürt ganz instinktiv den Schmerz und die Qual seines Herrchens und die damit verbundenen Ängste der anderen Menschen. Angst gehört genauso wie Vertrauen zu den Instinkten eines jeden Tieres. Hunde sind Rudeltiere. Die Zugehörigkeit zum Rudel baut auf das gegenseitige Vertrauen der einzelnen Mitglieder auf. Nur so kann ein Rudel funktionieren. Angst schützt die Tiere vor falscher Einschätzung der Feinde. Werden die Funktionen des Rudels durch fremde Einflüsse empfindlich gestört, so bleibt den Tieren keine andere Möglichkeit als geduldig abzuwarten bis sich die Abläufe wieder normalisieren. Genau das tut Pfeffi. Er wartet ab und hofft, dass sich alles normalisiert…...


Christin ist nicht nur eine liebevolle Mutter, sondern auch eine sehr reinliche Hausfrau. Sie hält alles mit größter Genauigkeit sauber. So wundert es Pfeffi nicht, dass sein Korb regelmäßig geseift und abgeduscht wird. Er erhält täglich frische Kissen und seine immer blitz blanken Näpfe stehen stets an einer eigens dafür vorgesehenen Stelle in der Küche auf einer abwaschbaren Platzdecke. Nur an dieser bestimmten Stelle darf Pfeffi fressen. Pfeffer selbst wird einmal wöchentlich gebadet und geföhnt, wobei der Hund ahnt, dass diese aufwendigen Prozeduren irgendetwas mit Matthis Husten zu tun haben müssen. Pfeffi nimmt es hin und freut sich über jede Minute, die er bei seinem Freund sein darf. Doch hört er eines Tages Tristan sagen: “Eigentlich dürfte der Hund nicht mehr bei dem Jungen sein! Ich habe da große Bedenken.“ Christin antwortet müde: „Du hast natürlich Recht, Tris, aber ich bringe es einfach nicht über das Herz, ihm Pfeffer wegzunehmen!“ Pfeffi erschrickt über diese Worte und wird nachdenklich. Ob er wohl irgendetwas tun kann? Er schaut hilfesuchend zu Tristan hoch. Dieser dreht sich weg und wischt sich die aufkommenden Tränen aus den Augen. Pfeffer kennt mittlerweile die Auswirkungen der menschlichen Trauer. Tristan trauert still und in sich gekehrt und hofft, dass dies seine Frau nicht bemerkt. Mit dem Kopf auf den Pfoten liegend beobachtet der kleine Hund die Szene. Dann steht er umständlich auf, geht zu Tristan und leckt seine Hand. Tristan bückt sich nach ihm und krault den Kopf des Tieres, wobei er seinen traurigen Gedanken nachhängt.


Es fängt ein neuer Tag an. Eigentlich ist alles wie immer, nur dass Matthias schon seit Tagen keinen Unterricht mehr hat. Da heute sowieso Sonntag ist, käme ohnehin kein Lehrer ins Haus. In der Nacht hat Matthi wieder viel gehustet und schrecklich geweint. In solchen Nächten wacht dann Christin bei dem Jungen und versucht ihm Trost zu spenden. Sie gibt ihm Medizin und hofft, dass es unnötig sein wird, den Doktor zu holen. In dieser Nacht ist Matthi nach einiger Zeit tatsächlich wieder eingeschlafen. Christin blieb trotzdem zur Sicherheit bei ihrem Sohn. Tristan war ebenfalls aufgestanden und lief im Arbeitszimmer hin und her. Seine Hände steckten in den Taschen des weinroten Morgenmantels, den er übergezogen hatte. Dennoch fror er und seine Gedanken waren düster und sorgenvoll.


Nun ist aber der Morgen angebrochen. Der Tag verspricht warm zu werden, obwohl der Herbst mit seinen bunten Farben bereits Einzug genommen hat. Dick und warm eingepackt trägt Tristan seinen Sohn auf die Terrasse. Die frische saubere Luft soll ihm gut tun und seiner kranken Lunge etwas Erleichterung bringen. Auf dem Weg dahin erklingt Matthis Stimme wie immer hell, aber doch wesentlich leiser und kraftloser als sonst: „Pfeffer, Pfeffi! Komm zu mir!“ Der kleine Hund gehorcht sofort und läuft zu seinem Herrchen. Er merkt, dass etwas anders ist als sonst, ja er kann diese Veränderung sogar riechen. Deshalb legt er sich ganz vorsichtig neben den Liegestuhl des Jungen. Mit dem Kopf auf den Vorderpfoten schaut er das Kind unentwegt an, wobei das Weiße in seinen Augen sichtbar wird. Pfeffi ist ganz still und bleibt auch ganz verhalten als Matthias nach dem roten Bällchen greift, das auf dem Blumenkasten liegt, der auf der Fensterbank neben dem Liegeplatz des Jungen steht. In dem Kasten befindet sich derzeit nur Erde. Christin hatte dieses Jahr keine Lust, irgendetwas zu pflanzen. Es wird ohnehin bald der Winter kommen, und die üblichen bunten Herbstblumen hat sie dieses Mal ausgelassen. Pfeffi hebt den Kopf als Matthi den Ball in den Hof wirft. Er steht auf und läuft ihm ohne Eile nach. Er fängt den hüpfenden Ball auf, kehrt zu dem Kind zurück und legt ihn in den Schoß des Jungen auf die Wolldecke. Dabei stellt er sich auf seine Hinterbeine und stützt sich nur mit einer Pfote am Liegestuhl ab, so als ob Pfeffi Angst hätte, das Kind zu berühren. Es ist aber nicht die Angst vor der Berührung, die den Hund so vorsichtig sein lässt…...


Christin beobachtet die Szene von der Küche aus und sieht, dass Matthi seinen rechten Arm frei gemacht hat, der nun unter der Wolldecke hervorkommt, um mit dem Hund zu spielen. Sie läuft auf die Terrasse und will ihren Jungen wieder richtig zudecken. Der aber mault: „Mu, lass` mich doch ein bisschen, bitte!“ Er nennt seine Mutter häufig so, besonders dann, wenn sie ihm so wie im Augenblick zu fürsorglich erscheint. Christin lässt Matthi seinen Willen -nicht ohne die Ermahnung: „Aber nicht herumtollen, mein Kind.“ „Mein Kind…“, wiederholt Matthi. Er mag nicht, wenn seine Mutter ihn so nennt. Aber er liebt seine Mu über alles und nimmt deshalb den Überschwang ihrer Fürsorglichkeit hin. Er deckt sich daher auch nicht weiter auf. Einarmig spielt er mit Pfeffi weiter. Der Hund bringt ihm nach jedem Wurf den Ball zurück. Hüpft dieser in den Hof, fängt Pfeffi ihn und legt das Bällchen immer in der gleichen Weise auf den Hinterbeinen stehend und sich mit einer Vorderpfote am Liegestuhl abstützend Matthi auf die Wolldecke in den Schoß. Pfeffi hatte dieses Spiel gleich verstanden. Er bringt dem Jungen den Ball gern und unermüdlich zurück. Dabei trabt der Hund hin und her und legt den Ball immer so ab, dass Matthi mit der einen freien Hand problemlos danach greifen kann. So verbringen die beiden ein Weilchen mit ihrem Spiel.


Dann aber plötzlich….! Matthi schreit kurz auf, fast gleichzeitig verschluckt sich der Junge und beginnt zu husten. Er hustet so wie Pfeffi seinen Freund hat noch nie husten hören. Pfeffer vergisst den Ball und rennt voller Panik ins Haus. Er rutscht aus, springt wieder auf und bellt Tristan entgegen. Dieser schaut kurz auf den Hund, dann in den Flur. Er sieht seine Frau auf die Terrasse laufen. Sie ruft ihm zu: „Tristan, schnell!“ Tristan greift nach dem Telefon und ruft dieses Mal nicht wie sonst den Doktor an. Er wählt die Notrufnummer: „Hallo, spreche ich mit dem Notruf der Feuerwehr?“ Tristan versucht ruhig zu bleiben und bemüht sich um Fassung. „Es geht um meinen achtjährigen Sohn. Er hat einen Anfall. In seinen Lungen befinden sich Tumore, die nicht mehr operiert werden können. Bitte schicken Sie den Notarztwagen zum Uhlenhof. Es ist sehr eilig!“ Nachdem Tristan das Telefonat beendet hat, eilt er auf die Terrasse. Er sieht seinen Jungen und erblasst. Matthias wird von schrecklichen Hustenkrämpfen geschüttelt. Er weint und hält den Mund geöffnet, um besser Luft zu kriegen. Matthi schlägt voller Panik um sich, Christin fängt seine Arme ein und hält den Jungen fest. Dann flößt sie ihm die Notfallmedizien ein, die ihr der Doktor für den schlimmsten Fall dagelassen hat. Die Tränen laufen dem Jungen über das Gesicht. Er versucht sich freizukämpfen. Er will alles loswerden, was ihn einengt; die Decken, die ihn eigentlich wärmen sollen; ja selbst die Mutter, die ihn festhält, um ihm Schutz zu geben. Matthi hustet von neuem und es läuft Blut über seine Lippen. Seine weitaufgerissenen Augen suchen die Mutter. Matthi ist nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu sagen. Pfeffi steht ein wenig abseits. Er riecht das Blut und erstarrt. Schon vorhin hatte er diesen Geruch in der Nase, nur nicht so intensiv.


Tristan beobachtet voller Sorge die Szene. In diesem Moment fährt endlich der ersehnte Notarztwagen auf den Hof. Aus dem roten Auto springen zwei mit roten Hosen und weißen Shirts bekleidete Männer. Der eine Mann öffnet die Seitentür des Fahrzeugs und holt eine metallene Flasche heraus, an der eine durchsichtige Kunststoffmaske hängt. Der andere greift nach einem Aluminiumkoffer. Ein dritter bleibt am Steuer sitzen und schaut zu dem Jungen, dem der erste Mann schon die Maske auf das Gesicht drückt. Er dreht an einem an der Flasche befindlichen Rad. Das Rauschen verrät, dass ein Gas fließt. Dieses Gas soll Matthi einatmen und Ihm Erleichterung bringen. Trotz des Sauerstoffs kann der Junge nur schwer ein- und ausatmen. Er hält sich nun krampfhaft an der Mutter fest. Die Decken liegen auf dem Boden und Christin greift danach, um ihr Kind zu wärmen. Matthi will dies aber nicht. Er hofft wohl, besser Luft zu kriegen, wenn ihn nichts bedeckt.


Der andere Mann ist Arzt. Er hat, genauso wie Matthis Hausarzt, ein Stethoskop, mit dem er Herz und Lunge des Jungen abhört. Außerdem prüft er den Blutdruck. Zu diesem Zweck stülpt er Matthi eine Manschette über den linken Oberarm. Mit einem Blasebalg pumpt er Luft in die Manschette bis diese fest um den Arm des Jungen liegt. Nun lässt er mit Hilfe einer kleinen Schraube die Luft wieder ab und misst mit einem Manometer den Druck des Blutes zwischen den Pumpvorgängen des Herzens von Matthi. Die Gesichtszüge des Mannes wirken angespannt. Er öffnet eilig seinen Koffer und holt eine Ampulle und ein Spritzbesteck hervor. Mit einer kleinen Pfeile sägt er das obere Ende der Ampulle auf, um mit Nadel und Spritze das darin befindliche Medikament aufzuziehen. Der andere Mann hat in der Zwischenzeit mit einem Gummischlauch den Oberarm des Kindes abgebunden. Er reibt nun mit dem Zeigefinger die Innenseite der Armbeuge und findet die Vene. Der Doktor spritzt die Flüssigkeit in das Blutgefäß und es dauert nicht lange und Matthi wird ruhiger und atmet etwas leichter. Erst jetzt spricht der Doktor: „Das Kind muss sofort ins Krankenhaus. Unsere technischen Möglichkeiten im Fahrzeug sind begrenzt und der Junge sollte an die Herz- Lungenmaschine.“ Tristan nickt. Der Arzt nimmt Matthi auf den Arm und legt ihn auf die Bahre im Krankenwagen. Die Maske bleibt auf seinem Gesicht und das Gas fließt weiter. Er schnallt das Kind an und lässt Christin auf dem Sitz neben der Bahre Platz nehmen. Diese schaut voller Sorge auf das blutverschmierte Gesicht ihres Sohnes und schnallt sich ebenfalls auf Geheiß des Arztes an. Dieser bleibt bei dem Jungen und prüft ununterbrochen Blutdruck und Lunge des Jungen. Tristan klettert zu den beiden anderen Männern in den Fond des Wagens.


Pfeffi hatte sich die ganze Zeit still im Hintergrund gehalten. Er hatte sich aber einen Platz gesucht, von dem er alles genau beobachten konnte. Nun hört er, wie das rote Feuerwehrauto gestartet wird. Auf dem Dach des Fahrzeugs beginnt eine blaue Leuchte ihre Arbeit. Der Wagen fährt vom Hof und das Geheul der Sirene deutet allen anderen Verkehrsteilnehmern, dass hier ein Notfall transportiert wird. Pfeffer steht jetzt auf der Terrasse und blickt dem davonbrausenden Auto nach. Er lauscht und hört noch eine Zeit lang das sich immer weiter entfernende und damit leiser werdende Geräusch. Dann ist alles still. Es dauert noch eine geraume Weile bis der kleine Hund sich endlich bewegt. Er dreht sich um und geht zu Matthis Liegestuhl. Er schnuppert an den am Boden liegenden Decken, die den Geruch des Jungen tragen, legt sich auf einer nieder und platziert seinen Kopf in seiner eigenen üblichen Manier auf den Vorderpfoten. In dieser Position verbleibt Pfeffi den Rest des Tages. Erst als es bereits dunkel ist, geht er in das Haus und legt sich in seinen Korb. Er hört –wie so oft- den Geräuschen der Nacht zu. Im nahen Eichenwald bellt ein Rehbock, der offensichtlich sein Rudel ruft. Ein Uhu gibt Kund, dass er auch noch da ist. Selbst die scheue Hofkatze lässt sich sehen und hören. Das Rauschen der Bäume zeigt aufkommenden Wind an. Mehrere Igel sind auf der Suche nach etwas Fressbaren. So vergehen Stunden. Und plötzlich fährt es Pfeffi durch Mark und Bein. Er hört den langgezogenen Schrei: „Kiiiiiiewittt!“ Er hebt den Kopf und spitzt die Ohren. Es folgt erneut: „Kiiiiiewittt, Kiiiiewittt!“ Das Käuzchen ist ganz in der Nähe des Hofes. Pfeffi, der eigentlich alles andere als ängstlich ist, fürchtet sich. Er zittert sogar ein wenig. Er bleibt jedoch in seinem Korb zusammengerollt liegen, macht sich ganz flach und wartet weiterhin ab. Es vergehen wieder Stunden und Pfeffi ahnt, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Irgendwann schläft er ein. Doch es ist ein unruhiger Schlaf. Pfeffi zuckt ununterbrochen mit den Pfoten. Er träumt von Matthi, der ihn ruft und zum Spielen auffordert. Er hört das Lachen des Kindes und sieht, wie Matthi das Bällchen wirft. Pfeffi will dem Ball nachlaufen, um ihn einzufangen und dem Jungen zurückzubringen. Pfeffi springt auf und wird in diesem Moment wach. Er steht nun total durcheinander vor seinem Korb. Es ist dunkel und Matthi ist nicht da. Der kleine Hund fühlt in diesem Augenblick große Trauer und jault auf. Er senkt den Kopf und schaut nach, ob Matthi vielleicht doch zurückgekommen sei. Er geht zu seinem Zimmer, aber es ist leer. Der kleine Hund fühlt einen Schmerz in seinem Herzen, den er zunächst noch nicht versteht. Da er nicht weiß, was er tun soll, wandert er weiter suchend durch das Haus. In diesem Moment hört er, wie ein Auto auf das Grundstück fährt. Pfeffi wirbelt erwartungsvoll herum und rennt über den Flur zur Terrasse auf den Hof. Dort steht mit laufendem Motor ein vom Mondlicht angestrahltes beigefarbenes Taxi. Im Innenraum geht das Licht an. Gleichzeitig wird ein schwarzes Schild mit dem gelben Wort Taxi auf dem Autodach beleuchtet. Pfeffer wird hiervon für einen kurzen Augenblick abgelenkt und schaut darauf. Er blinzelt etwas, weil sich seine Augen an das plötzliche Licht erst gewöhnen müssen. Dann aber erkennt er drei Personen im Innenraum des Fahrzeugs. Zwei befinden sich im hinteren Teil des Wagens, der Dritte sitzt hinter dem Steuerrad. Er erkennt seine Menschen Christin und Tristan. Tristan, der seine Frau im rechten Arm hält, reicht mit der freien Hand dem Fahrer etwas nach vorn. Dann öffnet sich die hintere rechte Tür und Tristan und Christin steigen gemeinsam an dieser Seite aus. Dabei lässt Tristan Christin keinen Augenblick los. Pfeffi schaut auf seine Menschen und sieht die unaufhörlich über ihre Gesichter laufenden Tränen. Christin schluchzt herzzerreißend. Tristan wirft die Tür des Wagens hinter sich zu und geht mit Christin ins Haus. Pfeffer stellt sich auf seine Hinterpfoten und blickt kurz in das Innere des Autos, weil er Matthi vermisst. Aber außer dem Fahrer ist niemand mehr im Fahrzeug. Dieser schaut noch eine Sekunde seinen Fahrgästen nach und fährt dann mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck los. Pfeffi wendet den Kopf und sieht hinter seiner Familie her. Im Haus geht jetzt das Licht an, und er hört, wie Christin nun ihrer Trauer freien Lauf lässt. Ihr Weinen endet in ein entsetzliches Jammern und Schreien. Es folgt die leise aber von Tränen und Trauer erstickende Stimme von Tristan. Pfeffer wusste nun: Sein bester Freund war im Alter von acht Jahren heute Nacht im Krankenhaus der nahegelegenen Stadt gestorben.


Das Haus ist leer ohne Matthi. Es wird nur erfüllt von tiefster Trauer. Alle Fenster sind mit leicht durchsichtigen schwarzen Tüchern verhangen. Auf den Sofern, Sesseln und Stühlen liegen schwarze Decken, ja selbst die Tischdecken sind schwarz. So ist es im Haus auch am Tage so dunkel, dass die Deckenlampen fast immer angeschaltet bleiben. Auf den Kommoden, Regalen und auch auf Tristans großem Schreibtisch stehen Bilder von Matthi mit schwarzen Rahmen und Trauerfloren über den rechten oberen Ecken. Daneben hat Christin an jedem Bild eine kleine Vase mit roten Moosröschen positioniert. Sie hofft, dass der Junge von irgendwoher diese sehen kann und weiß, wie sehr sie ihn liebt. Schließlich war Matthi ihr einziges eigenes Kind und wird es auch bleiben.


Am Tag der Beerdigung kommen viele schwarz gekleidete Menschen ins Haus. Alle sprechen ihr Mitgefühl aus. Es ist Tristan, der Stärke zeigen muss, und die Trauerbekundungen entgegennimmt. Christin hält sich mit ihrer Trauer im Hintergrund. Sie erscheint erst, als es an der Zeit ist, sich auf den Weg zur kleinen Kirche zu machen, wo die Trauerfeier stattfinden soll, und wo auch der weiße Sarg mit Matthi darin in mitten einem Meer von Blumen steht. Die leisen Gespräche der Trauergemeinde verstummen als Christin erscheint. Alle drehen sich zu ihr um, und jeder einzelne Gast kann ihr Leid nachempfinden. Einige Frauen weinen leise, aber Christin ist wie versteinert. Man sieht ihr auch durch den schwarzen Schleier an, wie sehr sie die letzte Zeit gelitten und gezeichnet hat. Alle sind gekommen, um Matthi die letzte Ehre zu erweisen und um seinem Sarg zu der letzten Ruhestätte auf dem Friedhof zu folgen.


Auch Pfeffer will wissen, wo man sein geliebtes Herrchen hinbringen wird. Er möchte den Platz sehen, wo man Matthias beerdigt. Deshalb will Pfeffi den Menschen vorsichtig und in einem gebührenden Abstand folgen, die er liebt und die Matthi lieben. Doch es wird für den treuen Hund alles ganz anders kommen….


Pfeffer ist besorgt, dass er den Anschluss an die Trauergemeinde verpasst. Deshalb läuft er aufgeregt hin und her und schaut nach jedem, der gekommen ist. Bei seinem Handeln ist er so eifrig, dass er wohl dem einen oder anderen lästig ist. Er wird von den meisten Gästen wieder und wieder zur Seite geschoben bis Tristan ihn greift. Er klemmt sich den kleinen Hund unter den linken Arm und hält mit der linken Hand dessen Vorderpfoten fest. Pfeffi missversteht die Situation völlig, begrüßt seinen Herrn freudig und leckt ihm über die Wange. Dieser zieht aber den Kopf ärgerlich weg und brummt irgendetwas, was Pfeffi nicht versteht. Tristan läuft mit ihm eilig durch den Flur zu einer Abstellkammer. Er öffnet die Tür, hockt sich nieder und schiebt den Hund nicht grob, aber doch bestimmt und auch ein wenig mürrisch in die Kammer. Er schließt die Tür, und ehe Pfeffi überhaupt begreift, was passiert ist, sitzt der kleine Hund in der Falle. Er schaut hoch zur Türklinke, dreht den Kopf hin und her und erwartet, dass ihm wieder geöffnet wird. Doch nichts passiert. Er beginnt zu bellen, es passiert weiterhin nichts. Er springt in seinem Gefängnis hin und her, wirbelt herum, springt hoch zur Türklinke, erreicht sie aber nicht, und bellt immer weiter bis sich seine Stimme überschlägt und in Hysterie übergeht. Doch es nützt alles nichts, die Tür bleibt verschlossen. Pfeffer gibt auf und legt sich nieder. Erst jetzt bemerkt er, dass man ihm Futter und Wasser auf den Boden gestellt hat. Er soll wohl hier länger bleiben müssen. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er von seiner Familie enttäuscht. Leise weinend und fiepend bleibt er liegen. Sein Blick folgt einem Lichtschein auf dem Boden und er sieht, dass die Tür nicht komplett schließt. Durch einen Spalt zwischen Türblatt und Rahmen kann er einen Teil des Flures sehen und auch etwas vom Wohnzimmer. Die Menschen waren in der Zwischenzeit alle gegangen. Es ist im Haus völlig still geworden. Pfeffer fühlt sich vergessen und beginnt von neuem an zu bellen. Zunächst kläfft er ärgerlich, dann heult er so laut er kann; es hört ihn aber niemand, weil keiner mehr da ist. Zum Schluss winselt der kleine Hund nur noch und irgendwann schläft er ein.


Es ist ein traumloser fester Schlaf aus dem er jäh gerissen wird. Die Tür der Kammer ist geöffnet worden. Im Türrahmen steht Matthis Vater. Pfeffer weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Er versucht ein Schwanzwedeln, um Tristan zu zeigen, dass er nicht beleidigt ist und bietet seinem Herrn auf seine Weise an, Frieden zu schließen. Er steht auf und geht weiter schwanzwedelnd mit gesenktem Kopf auf Tristan zu. Erst jetzt erkennt Pfeffi, dass hinter Tristan noch jemand steht. Es ist ein älterer kleiner und schmuddelig wirkender Mann, der Pfeffi mustert. Der Mann tritt etwas beiseite, um besser an Tristan vorbei in die dunkle Kammer gucken zu können. Pfeffi sieht, dass dieser Mensch einen alten speckigen schwarzen Anzug trägt. Er riecht ungewohnt. Von seinen Menschen ist Pfeffi den Geruch von Seife und Sauberkeit gewohnt. Jetzt riecht es nach Schweiß, billigem Schnaps und alter ungewaschener Wäsche. Pfeffi spitzt irritiert seine Ohren und schaut den Mann an. Dieser hat schwarze von billiger Pomade glänzende Haare. Seine Hände sind schmutzig und die Fingernägel schwarz vor Dreck. „Was will dieser Kerl hier??“ Pfeffer kann nicht glauben, was er jetzt hört, denn Tristan sagt: “Nehmen Sie ihn bitte mit und sorgen Sie dafür, dass er in gute Hände kommt! Er war der Spielkamerad unseres verstorbenen Sohnes. Meine Frau hat große Probleme mit der Gegenwart des Tieres. Sie kommt mit der Erinnerung nicht zurecht, wenn der Hund im Haus bleibt. Es ist alles viel zu schmerzhaft besonders für Christin. Sie hat nicht verlangt, dass Pfeffi wegkommt, aber ich glaube, es ist besser so.“ Pfeffi erschrickt über diese Worte. Ihm wird in diesem Moment ganz schlecht. Er sieht noch, wie Tristan diesem schrecklichen Menschen Geldscheine herüberreicht, der danach gierig greift. Dann dreht sich Tristan um und geht, ohne noch einmal nach dem kleinen Hund zu schauen. Der Mann lächelt unterwürfig hinter Tristan her und brummt schleimig: “Das wird alles erledigt, Herr Gruhn. Ich suche für ihr Tier ein besonders gutes Zuhause!“ Nun greifen diese schmutzigen Hände nach dem Hund. Pfeffer erstarrt bis ins Mark. Sein kleines Herz rast, und es droht zu zerspringen. Er wird gepackt und in einen uralten Lieferwagen geworfen. Niemand rührt das Schicksal des jungen Hundes. Aber das soll noch nicht alles sein. In diesem Moment erkennt er den Mann. Es ist derselbe alte Mann, den Matthi und er schon öfter auf dem Hof gesehen haben. Christin hatte beiden immer verboten, zu diesem Menschen hinzugehen. Und nun wird Pfeffi der Willkür dieses Mannes ausgesetzt….


Der Mann, den alle nur bei seinem Vornamen Arthur nennen, hat schon einige Male mit dem alten grauen Lieferwagen auf dem Hof vor der Küche gestanden. Familie Gruhn ist zwar nicht reich aber doch wohlhabend. Christin, die eine recht gläubige Frau ist, vertritt die Meinung, von den Gaben, die sie von Gott und dem Leben erhält, etwas wieder abzugeben besonders an Mitmenschen, denen das Leben nicht so wohl gesonnen ist. In ihrer Gutmütigkeit achtet sie nie darauf, dass der eine oder andere Mensch möglicherweise an seinem Schicksal doch eine gewisse Mitschuld trägt. So kauft sie von dem alten Bauern Arthur regelmäßig Eier, Obst, Gemüse und Kartoffeln. Dieser verdient sich auf diese Weise mit seinem heruntergekommenen Hof etwas Geld. Kind und Hund haben Arthur nur aus der Entfernung gesehen. Er parkte sein Auto stets an der Küche, die über einen eigenen Hofeingang verfügt. Hier gab er seine Ware ab und erhielt sein Geld, das Christin für diese Zwecke in einer Teetasse aufbewahrte. Arthur trug sonst immer die gleiche Kleidung: Ein altes braunes Wollhemd und eine Latzhose, die wohl einmal blau gewesen sein musste. Seine Sachen waren stets schmutzig und löcherig. Außerdem hat Christin wahrscheinlich durchaus bewusst den Fuselgeruch ignoriert, den Arthur regelmäßig umgibt. Sie hat eben ihre eigene Meinung über die menschlichen Unzulänglichkeiten und verzeiht, was nach ihrer Meinung nach zu verzeihen gilt, oder wo es die Aufgabe anderer Mächte ist, ein Urteil zu fällen. Da sie aber ihr Kind immer geschützt hat, und Schmutz für Matthi gefährlich werden konnte, durften weder er noch der kleine Hund in Arthurs Nähe. Niemand war über diesen Umstand etwa betrübt. Pfeffi hätte die Seite seines Herrn ohnehin nicht verlassen, und Matthi konnte mit dem alten Bauern nichts anfangen, was umgekehrt ebenfalls zutraf.


Und nun hat Matthis Vater ausgerechnet diesem Mann Pfeffer überlassen. Da sitzt er jetzt im Heck des Lieferwagens zwischen alten Holzkisten und alle möglichen rostigen und kaputten Gerätschaften. Da der Boden des Fahrzeugs nur aus nacktem und zerkratztem Blech besteht, findet Pfeffi mit seinen Pfoten keinen Halt. Er rutscht hin und her, wenn Arthur bremst oder in die Kurven fährt. Da dieser wie üblich nicht nüchtern ist, ist sein Fahrstil auch ausgesprochen ruppig. Die Räder kreischen, wenn es in Kurven geht. Und wenn Arthur bremst, tut er das so hart, dass sich der Wagen hinten aus der Federung hebt. Es gibt zum Fahrerhaus keine Zwischenwand und Pfeffi fliegt bei einer Vollbremsung unversehens nach vorne in den Fußraum vor dem Vordersitz auf der Beifahrerseite, wo er zunächst liegen bleibt. „Mach dich vom Acker, du Mistvieh!“, herrscht ihn der Alte an. Bei der nächsten Chance springt Pfeffer zurück in den Laderaum. Er kann gerade noch sehen, wie Arthur eine flache Flasche aus der Tasche seiner Anzugsjacke hervorholt und aus dieser einen großen Schluck trinkt. Der Alkohol enthemmt den alten Mann total und er fährt wie ein Verrückter, wobei er unaufhörlich vor sich her schimpft. Pfeffer wird im Auto hin und her geworfen. Obwohl er das Autofahren gewöhnt ist und eigentlich auch sehr gern fährt, kann er bei dieser Schaukelei nicht verhindern, dass ihm auch noch schlecht wird. So erbricht der Hund sein Futter mitten zwischen die Utensilien im Auto. „Verdammter Köter!“, schreit Arthur von vorne. „Wenn ich dich kriege, bist du tot.“ Der Lieferwagen rast mit seinen Insassen auf Arthurs Hof. Der Alte steigt auf die Bremse und das Auto kommt endlich zum Stehen. Obwohl der Weg nicht weit war, so kam Pfeffi die Reise doch wie eine Ewigkeit vor. Arthur springt plötzlich auffällig beweglich aus dem Auto. Er rennt wütend zum Heck, reißt die Türen auf und greift nach Pfeffi, der in seinem Erbrochenen sitzt. Er schreit auf als ihn die riesigen schmutzigen Hände packen. Die Wut gibt dem Alten so viel Kraft, dass er Pfeffi weh tut, der nun entsetzlich jault und sich vor Schreck bepinkelt. Arthur kocht vor Wut, böse schaut er auf das Bündel, das er am Nackenfell haltend vor sich herträgt. Noch nie hat Pfeffi nach einem Menschen geschnappt, aber jetzt tut er alles, um sich zu befreien. Er versuchte tatsächlich seinen Peiniger zu beißen, kann ihn aber nicht erreichen. Dieser hat das Fell im Nacken des Hundes so eingedreht, dass jede weitere Bewegung dem Tier fürchterliche Schmerzen verursacht. So lässt sich Pfeffi in sein Schicksal ergeben wie ein Sack hängen, alle Bemühungen sind zwecklos. Er kriegt nur noch mit, wie Arthur mit ihm vor der Hundehütte stehen bleibt. Pfeffi wird auf den Boden gedrückt. Eine große Hand hält ihn unten, die andere Hand des Alten würgt dem Tier eine Kette um den Hals. Erst jetzt wird Pfeffer losgelassen. Arthur wendet sich schnaufend ab und geht. Pfeffi will ihm nach springen, um ihn in den Hintern zu beißen. Doch da ist die Kette schon am Ende. Sie zieht sich zu und erwürgt den Hund fast. Dieser wird mit Wucht zurückgerissen, er stürzt und verliert das Bewusstsein.


Irgendwann kommt Pfeffer wieder zu sich. Er versteht nicht, was passiert ist, wieso man ihn hierher verfrachtet hat. Ihm tut alles weh, vor allen Dingen schmerzt sein geschundener Hals. Die Kette tut ihr übriges. Sein Fell ist blutig. Das Blut kommt von den Wunden am Hals, die Kettenglieder haben sich in die Haut und das Fleisch eingeschnitten. Die Wunden brennen, was das rostige Metall der Kettenglieder verursacht. Pfeffer wünscht sich in diesem Augenblick, dass man ihm wenigstens sein Halsband gelassen hätte. Er setzt sich auf, versucht sich dabei aber so wenig wie möglich zu bewegen. Er sieht, dass weiter entfernt in einer Senke ein Hof mit Haus, Scheunen und Stallungen steht. Von dort kommt eine alte Frau. Sie bringt zwei Schüsseln mit Wasser und etwas Fressbaren. Die Alte hat auch etwas Puder dabei. Sie löst ein wenig die Kette und verteilt den Puder auf den Wunden des Tieres. Pfeffi ist ihr dankbar, obwohl er gleichzeitig Angst vor ihr hat, denn sie riecht sehr stark nach Arthur. Zu diesem Zeitpunkt ahnt der kleine Hund noch nicht, dass diese alte Frau für viele Jahre seine einzige Verbündete sein wird, denn Arthur wird nichts tun, um dem Hund wie versprochen ein neues und schönes Zuhause zu suchen.


Arthurs Frau heißt Frieda. Sie leidet wie alle Geschöpfe auf diesem Hof unter dem Jähzorn und der Trunksucht ihres Mannes. Frieda arbeitet so gut es eben geht im Haus, auf dem Hof und in dem großen Garten. Arthur hilft ihr selten, weil er meist zu betrunken ist und auch tagsüber häufig schläft. In dieser Zeit versorgt Frieda die wenigen Tiere des Hofes, zu denen nun auch Pfeffer gehört. Er erhält meist einen Rest vom Mittagessen. Frieda kommt dann mit einem Teller und einer Kanne Wasser. Sie gießt den Wassernapf auf und lässt den Essensrest in den anderen Napf laufen, ohne die alten Reste zu entsorgen oder jemals die Näpfe auszuwaschen. Mit der Zeit gewöhnt sich der Magen des früher so umsorgten Hundes und überwindet Ekel und Schmutz, und er frisst und trinkt, was ihm vorgesetzt wird. Die erste Zeit muss er sich häufiger übergeben und er nimmt stark ab. Später gibt sich das. Irgendwann fällt ihm auch gar nicht mehr auf, wie es um ihn herum aussieht. Er sitzt in seinen Futterresten und Fäkalien. Pfeffis Fell ist bald schmutzig und verklebt und sein Umfeld stinkt mörderisch. Trotzdem heilen seine Wunden. Er nimmt aber nicht mehr zu. All dies geschieht als der Hund noch kein Jahr alt ist und so vergehen weitere elf Jahre.


Das Wetter ist schön und relativ warm. Pfeffer schaut zum Hof wie so oft und hofft, dass Frieda mit etwas Fressbaren erscheint. Dabei verlässt er sich fast nur noch auf seinen Geruchssinn. Er ist nun fast blind und erkennt den Hof auch nur noch schemenhaft. Sein Gehör ist ebenfalls schlecht geworden. Arthurs Schreien und Schimpfen vernimmt er noch. Wenn dieser im Anmarsch ist, verkriecht sich Pfeffi in seine Hütte und wünscht sich, dass er weitergeht. Meist tut der alte Bauer das auch, doch manches Mal ist es auch so, dass er seine Wut an dem kleinen Hund auslässt. Er schlägt ihn rücksichtslos und trifft dann meist den Kopf. Dabei hat er Augen und Ohren des Hundes so oft getroffen, dass wahrscheinlich die Seh- und Hörschwäche von diesen Quälereien herrühren. Dies tut Arthur fast immer dann, wenn er sich mit Frieda streitet. Meist geht es um den Schnaps, den Frieda ihm wegnimmt.


Pfeffi legt sich wieder nieder und schließt die Augen. In der letzten Zeit hat er häufig einen schönen Traum. Auch heute schläft er ein und träumt von einer wohlriechenden Wiese mit Blumen und Kräutern. Auf ihr spielen Kinder und Hunde. Plötzlich steigt ihm ein wohlbekannter Geruch in die Nase. Ein Geruch, den er vor langer, langer Zeit gerochen hat. Dieser wohlbekannte Duft gehörte seinem kleinen Freund Matthi. Pfeffi rollt sich auf den Rücken, reckt seine Pfoten in die Luft und erwartet, dass Matthi ihn krault und mit ihm spricht. „Ach, was ist das für ein herrlicher Traum“, denkt der kleine Hund. „Ich will nie wieder die Augen öffnen, ich will nie wieder in mein Elend zurück“. Gerade in diesem Moment erschrickt Pfeffer und springt auf. Es kraulte ihm tatsächlich jemand den Bauch und er hört diesen jemand sagen: „Na, du kleiner Kerl! Hat man dich hier vergessen? Wer behandelt denn so sein Tier?“ Pfeffi reißt die Augen auf und hofft in Matthis Antlitz zu schauen. Man kann sich vorstellen, wie verdattert der kleine Hund ist als er einen Jungen entdeckt, den er überhaupt nicht kennt. Er erfährt, dass der Junge Philipp heißt. Philipp hat sich neben Pfeffi mitten in all den Dreck gesetzt und nimmt ihn jetzt in seine Arme. „Oh, was ist das für eine wunderbare Berührung“, denkt Pfeffi. Schon lange ist er nicht mehr mit so viel Freundlichkeit behandelt worden. Phil streichelt Pfeffi liebevoll und ausgiebig. Ja, er teilt sogar seine Brote mit ihm. Pfeffi ist dem Jungen so dankbar. Artig wartet er ab, bis Philipp Brocken von seinen Broten abreißt und diese dem Hund hinhält. Vorsichtig schlabbert er die Stückchen aus den Fingern des Kindes. Pfeffi wedelt mit dem Schwanz und leckt das Kindergesicht. Der Junge vor ihm sieht ganz anders aus als Matthi und doch erinnert er ihn an seinen Freund. Philipp ist älter als Matthi war. Er mag so dreizehn Jahre sein. Seine Haare sind knallrot und umspielen fast wild das mit Sommersprossen übersäte Gesicht. Die blauen Augen schauen temperamentvoll und klug in die Welt. Dieser hoch aufgeschossene Junge weiß sicher genau, was er will. Phil steht nun auf und sagt dem kleinen Hund: „Ich muss nach Hause. Man macht sich sonst Sorgen um mich. Aber ich besuche dich morgen wieder. Ich werde fragen, ob wir etwas für dich tun können, das verspreche ich dir. Da, das Schild…, ist Janusch dein Name??“ So wird Pfeffer zu Janusch. Der Name ist ihm aber egal. Er schaut traurig dem Jungen hinterher, der nun zu seinem hellgrünen Fahrrad geht, das im Gras liegt. Er hebt es auf und dreht sich noch einmal zu dem Hund um und ruft: „Bis morgen, Janusch!“ Dann fährt Philipp los. Pfeffi schaut ihm noch hinterher als er schon verschwunden ist. Er kann gar nicht glauben, was eben passiert ist. Ob der Junge mit den kurzen Hosen, den langen dünnen Beinen und Armen wirklich wiederkommt? Ist Philipp tatsächlich real oder hat Pfeffi sich das alles nur eingebildet?


Philipp ist real. Am nächsten Mittag kommt er angeradelt. Im Gepäck hat er leckeres Hundefutter. „Hallo, mein Kleiner! Wie geht es dir? Ich habe gestern gleich meine Eltern gefragt. Sie haben mir versprochen, dich hier heraus zu holen. Sie wollen in den nächsten Tagen mit mir hierher kommen, dann werden sie mit deinen Leuten sprechen und Papa wird dich abkaufen. Dann kommst du mit zu uns und es wird dir gut gehen“, plappert Phil munter darauf los. Pfeffi alias Janusch versteht das alles nicht so richtig, aber er fühlt, dass etwas ganz Besonderes passiert. Er freut sich, den Jungen zu sehen und springt ihm soweit es die Kette zulässt entgegen. Philipp hat heute einen Rucksack dabei. Er zieht das olivgrüne Stoffbehältnis von seinem Rücken und wirft es vor sich und dem Hund auf den Boden, kniet sich nieder und holt verschiedene Dinge daraus hervor: Neben einer Büchse Hundefutter kommen zwei Näpfe, ein Löffel und eine Flasche mit frischem Wasser zum Vorschein. Phil öffnet mit Hilfe einer Metalllasche den Deckel der Büchse. Er stellt dem Hund die Näpfe vor die Nase und löffelt in den einen das Futter, in den anderen gießt er Wasser. Das Futter duftet, doch Pfeffi traut sich nicht davon zu fressen. Er schaut zu dem Jungen hoch. Dieser lächelt seinen neuen Freund an und nickt mit dem Kopf in Richtung der Näpfe. Diese Aufforderung versteht der Hund sofort. Er schlingt gierig das Hundefutter herunter und leckt das Schüsselchen bis auf den letzten Krümel leer. Auch vom Wasser trinkt er reichlich und Phil gießt ihm nach. Danach holt er noch einen groben Handfeger aus seinem Rucksack und fegt den gesamten Platz um die Hütte und auch darinnen sauber so gut es eben geht. Auch an eine weiche Bürste hat der Junge gedacht. Er streicht damit vorsichtig über das verfilzte Fell des Hundes, um ihn nicht zu ziepen. Pfeffi ist begeistert, so umsorgt zu werden. Philipp setzt sich zu ihm und krault noch eine Weile den Kopf des Tieres. Dann sagt er: „Nun muss ich nach Hause. Ich habe heute viele Hausaufgaben zu erledigen, außerdem will ich Mutti noch im Haus helfen. Vati ist heute schon sehr früh ein paar Tage zu einem Seminar gefahren. Wir sind also beide allein. Mutti ist nicht gern allein. Sie leidet dann immer sehr. Ich komme aber morgen nach der Schule wieder zu dir. Das verspreche ich. Wenn Papa wieder da ist, bringe ich meine Eltern zu dir, dann wird alles gut.“ Philipp steht auf, wirft den Rucksack auf seinen Rücken und marschiert zu seinem Fahrrad, das wieder im Gras liegt. Er winkt Pfeffi noch einmal zu und radelt los.


Der Hund bleibt zurück. Doch heute ist er nicht traurig, weil er weiß, dass der Junge wiederkommen wird und er freut sich schon darauf. „Das Leben kann ja doch noch schön sein“, denkt sich Pfeffi. Dann legt er sich gesättigt nieder. Mit dem Kopf auf den Vorderpfoten schläft der kleine Hund ein. Wieder einmal träumt er von der Wiese mit den duftenden Kräutern und Blumen. Er erkennt Hunde wie er einer ist und hört plötzlich Matthi rufen: „Pfeffer, Pfeffiiii…, wo steckst du? Komm zu mir!“ Pfeffi fühlt sich wohl und ganz warm. Er folgt weiter diesem wunderschönen Traum und genießt die Blumen und wohlriechenden Kräuter. Pfeffi macht es sich in seinem tiefen Schlaf gemütlich. Er legt sich auf die Seite, streckt alle Viere von sich und atmet tief und gleichmäßig. Bald umhüllt ihn Dunkelheit. Es ist wohl in der Zwischenzeit Nacht geworden. Es vergeht Zeit, sicherlich etliche Stunden. Und plötzlich hört Pfeffer eine bekannte Stimme: „Komm Pfeffer, es ist Zeit zu gehen!“ Pfeffer öffnet die Augen. Da ist wieder die Wiese und es ist strahlend heller Sonnenschein, ein bisher unbekanntes klares Licht. Nur dieses Mal ist die Wiese ganz nah und er erkennt Ondra, seine Mutter. Sie wiederholt: „Komm, mein Sohn, es ist Zeit zu gehen!“ Pfeffi versteht in diesem Augenblick nicht die Tragweite der Worte. Er steht auf und fühlt eine unendliche Freiheit. Nichts schmerzt mehr, nichts stört mehr. Ihm ist nicht kalt und auch nicht heiß. Er kann klar sehen und wunderbar hören. Was ist denn nur passiert? Wieso ist alles so leicht, hell und schön und wieso fühlt er sich so wohl, gesund und jung? Ondra steht vor ihm und wedelt wie zur Begrüßung mit dem Schwanz ihm entgegen. Pfeffi bemerkt, dass er nicht mehr angekettet ist, außerdem scheinen seine Füße den Boden nicht zu berühren. Er ist erstaunt, dass er sie gar nicht bewegen muss, um fortzukommen. Es genügen allein die Gedanken. Diese sind voller bunter Farben, Freude und Freiheit. Die Gefühle sind nur noch positiv und voller Glück. Es ist alles paradiesisch schön, wunderschön. Pfeffi wirbelt herum und landet irgendwo über dem Erdboden. Mutter Erde hat mit ihrer Anziehungskraft keinen Einfluss mehr in diesem Universum. Es bedarf wohl einiger Übung bis man mit dieser Schwerelosigkeit richtig umgehen kann. Doch was soll`s. Auch kopfüber ist alles genauso schön. Nur die Aussicht ändert sich in den verschiedenen Stellungen.

Und jetzt versteht der kleine Hund, was passiert ist. Er hat seinen irdischen Körper entdeckt, der noch angekettet, auf der Seite liegend sich vor der alten Hütte befindet, die ihm so viele Jahre ihr spärliches Obdach gegeben hat. In diesem Moment hört Pfeffi ein Geräusch, das von dem Tretmechanismus eines sich nähernden Fahrrades herrührt. Er sieht, wie sich Philipp diesem Ort nähert. Er möchte ihm entgegen laufen, um ihm auf seine Weise zu sagen, dass nichts Schlimmes geschehen ist und dass es ihm bestens geht, dass Phil keine Angst haben muss, dass es keinen Schmerz mehr gibt, wo er nun ist. Ach, alles hätte Pfeffi gern erklärt. Doch es ist Ondra, die ihren Sohn zurückholt: „Pfeffi, du kannst die Lebenden nicht erreichen. Du kannst deinem Freund in seiner Welt nicht mehr begegnen. Es ist nur ganz wenigen Geschöpfen vergönnt, sich im Tod und im Leben zu treffen. Hier drüber entscheidet eine große Macht und keiner weiß, wann und ob es geschieht. Da kann man nichts machen!“ So kann Pfeffi die folgende Szene nur noch beobachten: Philipp lässt sein Fahrrad ins Gras sinken. Auf dem Rücken hat er wieder seinen Rucksack geschnallt. Diesmal hat er für Pfeffi neben Futter eine warme Decke mitgebracht, die er unter dem Arm geklemmt hat. Er hüpft lächelnd auf die Hütte zu und ruft nach Janusch. Im nächsten Augenblick entdeckt er das tote Tier und erstarrt. „Jan…..? Um Himmels willen!“ Er lässt die Decke fallen und kniet nieder. Seine Hände tasten Pfeffi ab, doch der Junge kann nichts finden. Er nimmt den Hund in seine Arme und beginnt schrecklich zu weinen. So verharrt er mehrere Minuten. Dann streicht sich Phil die Tränen aus den Augen und erlöst Pfeffi von der Kette, er legt ihn in die Decke und wickelt ihn darin ein, steht auf und nimmt das Tier mit sich. Mit dem Fahrrad in der freien Hand und dem toten Hund auf dem Arm geht Philipp los, um seinen Freund daheim zu beerdigen.


Pfeffi ist von der Szene doch sehr berührt. Es ist also so, dass einige Gefühle dem verstorbenen Geschöpf zunächst noch bleiben, zumindest den geliebten Lebenden gegenüber, die selbst über alles lieben und geliebt haben und auch hier noch von großer Bedeutung sind. Alles Negative fällt aber ab und hat keinen Einfluss mehr. Pfeffi konnte sogar Phils liebevolles Streicheln seines toten Körpers nachempfinden. Trotzdem ist der kleine Hund weder traurig noch verzweifelt. Abgesehen davon, dass es diese Gefühle hier nicht mehr gibt, wird ihm in diesem Moment klar, dass er Phil eines Tages wiedersehen wird. In diese Situation hinein wird Pfeffi plötzlich von einer ihm bekannten Stimme gerufen: „Pfeffer, Pfeffiiii…, komm zu mir!“ Pfeffi dreht sich herum und entdeckt ----MATTHI----! Die Freude, die den Hund übermannt, ist nicht in Worte zu fassen. Er stürmt auf Matthias zu und beide wirbeln umeinander herum. Es ist eine großartige Begrüßung. Beide Spezies, Mensch und Tier, können nicht überschwänglicher ihre Liebe und Wiedersehensfreude zeigen. Pfeffi hält inne und guckt nach Philipp. „Mache dir keine Gedanken, mein Kleiner! Es wird ihm gut gehen. Er steht uns sehr nahe und wir werden ihn vielleicht begleiten dürfen.“ Pfeffi folgt nun Matthi vertrauensvoll. Ondra bleibt auch bei ihnen. Sie machen sich auf den Weg zu der herrlichen Wiese, von der Pfeffer in letzter Zeit so oft träumte. Dort spielen Hunde und Kinder miteinander wie sie es wohl auch im Leben schon getan haben. Umso erstaunter ist Pfeffi als ihnen ein anderer Foxterrier freudig entgegen springt, der offensichtlich allein ist. Dieser andere Hund ist aber nicht allein. Es ist seine Schwester Pinta, die hier auf ihre Lieben und den Neuankömmling gewartet hat. Pfeffi freut sich riesig, sie zu sehen und ist ganz erstaunt, dass sie schon hier ist. Pinta erkennt sein Erstaunen und sagt nur: „Es war ein Unfall.“ Ondra hingegen ist im Alter von fast dreizehn Jahren gestorben. Sie war nicht krank und sie ist auch erst kürzlich gekommen, es war eben das Alter. Matthi und die drei Hunde wenden sich wieder der Wiese zu und dem großen Licht, welches dahinter aufgegangen ist. Es ist hell und klar und frisch, und sie verschwinden darin.


Die Begriffe Raum und Zeit haben in der Welt danach keine Bedeutung mehr. Aber es gibt verschiedene Ebenen und Tiefen. Ihre Grundlagen sind im irdischen Leben bereits gegeben. In welche Ebene das verstorbene Geschöpf eintauchen darf, ist davon abhängig, wie es sein reales Leben gestaltet hat. Ein Mensch oder Tier mit schlechtem, gar boshaftem Charakter geht eben in eine sehr niedrige Ebene über. Jeder hat aber die Möglichkeit durch entsprechendes Verhalten, eine höhere Ebene zu erreichen. Dies ist der Grund, warum sich nicht alle Bekannten, Freunde oder Familienmitglieder nach dem Ableben je wiedersehen. Dies ist so gewollt, um jede eventuelle Erinnerung an erlittenen Schmerz vergessen zu dürfen. Hier sind alle frei und unbeschwert. Es gibt aber auch verirrte Seelen, die keine Ebene finden. Häufig müssen sie in einer Art Zwischenuniversum warten bis die Macht entscheidet, was mit ihnen geschehen soll. Doch von den himmlischen Strukturen wissen die Freunde nichts. Sie wissen auch nicht, wie viel Zeit bei ihren lebendigen Freunden und Familienangehörigen vergangen sein mag und wer überhaupt noch am Leben ist. Es ist Ondra, die irgendwann meint: „Ob wir wohl nachschauen dürfen, wie es den anderen ergangen ist?“ Und Matthi antwortet: „Ich glaube, es ist uns erlaubt, unsere Lieben zu besuchen, wenn wir uns das wirklich wünschen. Ich würde wirklich gern nach meinen Eltern schauen. Außerdem ist ein Besuch unschädlich. Sie können uns nicht sehen und wir können keinen Kontakt aufnehmen.“ Und Pfeffi seufzt: „Wie mag es Phil gehen?“


Die Freunde haben in der Zwischenzeit gelernt, sich Kraft der Gedanken fortzubewegen. Es ist ganz einfach. Sie denken also alle gemeinsam an den Uhlenhof. Und tatsächlich befinden sie sich im nächsten Augenblick im Arbeitszimmer von Tristan. Hier hat sich kaum etwas verändert. Es gibt immer noch die schweren dunklen Stühle und den großen Eichenschreibtisch, an dem Tristan früher so oft gearbeitet hat und auf dem ein Foto von Matthias mit schwarzem Rahmen und schwarzer Schleife steht. Daneben befindet sich eine kleine weiße Vase mit frischen roten Moosröschen. Auf den Regalen stehen mehr Bücher als früher, dafür sind die Pokale verschwunden, die Christin auf den unzähligen Hundeausstellungen gewonnen hat. An die Wände hat jemand etliche Ölgemälde gehängt, die Landschaften und Tiere zeigen. Die vielen Fotos, die früher in schwarzen und silbernen Rahmen auf den Kommoden standen, sind ebenfalls verschwunden. Auch steht noch der große gelbe Ofen mit den handgearbeiteten Kacheln. Daneben gibt es eine flache Kiste, die den Dreien unbekannt ist. Darinnen liegt auf Kissen gebettet ein großer schwarzer Hund. Er hat sich ganz lang gemacht und blickt die Ankömmlinge geradewegs an. Die sind verunsichert. Es ist Pfeffer, der fragt: „Ob der uns wohl sehen kann?“ „Kann ich“, antwortet dieser bevor jemand anderes etwas sagt. Matthi schnauft: „Wer lebt jetzt hier?“ Er befürchtet, dass sich mehr verändert haben muss und dass wohl doch mehr Zeit vergangen ist als er geglaubt hat. „Bleib ruhig, Freund. Es ist vieles noch beim alten und doch hat es Veränderungen gegeben. Ich weiß, wer du bist. Mein Frauchen stellt täglich frische Blumen an dein Bild dort drüben, und wir gehen sehr häufig zum Friedhof.“ Nun ist es Ondra, die sich einmischt: „Ich habe es immer für mich behalten, aber als Matthi so krank wurde, war es schnell beschlossen, dass wir Tiere abgeschafft werden müssen. So gingen Pina und Paula zu einer Züchterin, mit der Christin befreundet war. Da sich die Mädels nie vertrugen, blieb Pinta bei mir. Wir kamen zu Christins Schwester, Adele. Sie und ihr Mann, Bernd, hatten einen Sohn, der damals so etwa zwei Jahre alt war. Bernd war ein großer Fan von Autorennen. Wenn sie zu den Rennbahnen fuhren, ließen sie mich und den Kleinen bei dem Kindermädchen, das sie eingestellt hatten. Für den Jungen waren diese Touren noch nichts und ich habe das Autofahren nie wirklich vertragen. Deshalb blieben wir daheim. Adele hat Pinta immer gern mitgenommen. So musste sie nicht komplett auf uns Tiere verzichten, weil Pinta nie den Innenraum des Wagens beschmutzt hat. Ich musste jedes Mal kotzen. Auf der letzten Reise kam es zur Tragödie. Ein Lastwagenfahrer war während der Fahrt eingeschlafen. Sein Fahrzeug brach aus und drängte das Auto mit Adele, Bernd und Pinta von der Fahrbahn. Das Auto raste direkt in ein Brückengeländer, durchbrach es und stürzte in die Tiefe. Es überlebte niemand von ihnen. Es war natürlich sofort beschlossene Sache, dass das Kind von Bernd und Adele zu den Gruhns geholt wurde. Auch ich kam damit hierher zurück und der kleine Junge, der nun Vollwaise war, wurde mit der größten Selbstverständlichkeit von Christin und Tristan adoptiert“, schloss Ondra ihren Bericht. Pinta, die aufmerksam zugehört hatte, setzte sich nun zu dem großen Hund und fragte: „Wie bist du hierhergekommen?“ „Ach, das ist eine hässliche Geschichte. Ich bin angefahren worden und meine früheren Leute wollten mich einschläfern lassen. Ich bin hier operiert worden und man hat mich eben behalten. Es sind gute Menschen hier. Aber nun noch einmal zu euch. Geht doch mal auf die Terrasse. Ihr werdet überrascht sein.“


Auf der Terrasse stehen andere Möbel als früher. Es gibt einen riesigen Tisch, ganz viele verschiedene Stühle und Liegen und eine hölzerne Bank, auf der ein nicht mehr ganz junger Herr sitzt. Auf einer Liege schläft eine Dame. Überall stehen große und kleine, kurze und lange Kübel mit den verschiedensten bunten Blumen, die angenehm duften. Matthi lächelt. Die beiden Personen, die sich dort ausruhen, sind seine geliebten Eltern. Erst jetzt fällt Pfeffi auf, dass Matthias nicht mehr der kleine Junge ist. Er wirkt wie ein Jüngling, den ein strahlendes Licht umgibt. Auch er selbst hat sich verändert. Pfeffer ist längst nicht mehr der alte Hund. Ihm wurde Jugend zurückgegeben, sein Fell war nun schneeweiß und auch ihn umgibt dieses sonderbare Licht. Er schaut zu Ondra und Pinta, die eine ähnliche Verwandlung erfahren haben. Oder fällt dies auf der Erde nur besonders auf?


Tristan sitzt auf der Kante der Fläche der Bank. Er hat zwischen seinen Knien einen Wurzelstock mit silbernem Knauf. Auf diesem Knauf hat er seine Hände und darüber das Kinn gestützt. Er beobachtet die schlafende Christin. Matthias geht auf Christin wortlos zu und küsst ihr Haar. Sie öffnet die Augen und lächelt als ob sie die Berührung spüren könnte. Dann wandert ihr Blick zu ihrem Mann und sie legt ihre schlanke Hand auf die gefalteten Hände von Tristan. Die beiden verbindet immer noch ihre große Liebe und das gemeinsame Schicksal. Die Szene ist so rührend, dass alle in Stille verharren und in sich gekehrt dieses dargebotene Bild aufnehmen. In diese Idylle stolpert ein Mann hinein, der einen hellblauen Kittel und einen weißen Mundschutz trägt. In den Händen hält er jeweils einen rotbäckigen Apfel. Neben ihn taucht der große schwarze Hund auf: „Na Jan, alter Löwe. Alles in Ordnung? Haste auf meine Eltern auch aufgepasst?“ Der Mann riecht ein bisschen wie der Doktor von Matthi damals und doch völlig anders. Er geht auf Tristan und Christin zu und umarmt jeden einzeln. Als er Christin einen Kuss geben will, zieht er seinen Mundschutz herunter. Es haut Pfeffi fast um. Es ist Philipp, der jetzt gut und gern dreißig Jahre sein mag. Philipp ist der adoptierte Waise. Sie haben Philipp an Kindesstatt angenommen. Pfeffi ist völlig aus dem Häuschen vor Freude und Aufregung. Er kann seinen Augen kaum glauben. Philipp war damals schon etwas Besonderes für den kleinen Hund und Philipp ist etwas Besonderes geblieben. Jan, der schwarze Hund, beobachtet eine Weile seine Menschen, die sich nun leise unterhalten. Philipp knabbert dabei an seinen Äpfeln. Dann befiehlt Jan den Vieren: „Kommt mal mit!“ Alle folgen dem Hund, der um das Haus läuft. Und nun ist das Erstaunen der Freunde riesengroß. Hier hat sich alles geändert. Es gibt Parkplätze auf Schotterböden an Stelle der Wiese, die hier früher angrenzte. Die Hausfront ist total umgebaut. Es gibt neue dunkelbraune Fenster und Türen. Helle Holzbänke stehen an den freien weißen Wänden und überall sind farbige Wassernäpfe aufgestellt. Jan führt die Freunde an eine besonders große Tür. An ihrem Blatt ist ein silbernes Schild befestigt. Darauf steht mit schwarzen Buchstaben geschrieben:



Dr. vet. Philipp Gruhn

Fachtierarzt für kleine Haustiere

Kreisläufe des Lebens

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