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2.1. Wir sind die Roboter

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Erinnerst du dich noch an das Lied der Gruppe Kraftwerk aus den Anfängen des Synthiepop. Synthesizer, elektronische Musik, tauchten zum ersten Mal auf und die Pioniere von Kraftwerk loteten aus, was mit diesen Mitteln möglich war. Ob sie das gut fanden oder kritisieren wollten, vermag ich nicht zu sagen. In jedem Fall sprachen sie eine These aus, die ich hier wiederholen möchte.

Wir sind die Roboter.

Wir funktionieren nach Programmen. Ist dir das schon mal aufgefallen? Wir haben Handlungsabläufe vorprogrammiert und nach denen funktionieren wir. Das fällt vor allem dann auf, wenn eines dieser Programme nicht funktioniert oder wenn ein anderer nicht mitspielt.

Wenn du der Kassiererin Geld geben willst und sie nimmt es nicht.

Wenn du einer anderen Person die Hand hinstreckst und die greift nicht zu.

Wenn du deinen Partner zur Begrüßung küssen willst und dieser dreht den Kopf weg. Dann merkst du wie programmiert du funktionierst. Natürlich entgeht dir dabei etwas, vielleicht viel.

Und so ist es nicht dumm, doch einmal zu hinterfragen, warum wir denn so funktionieren.

Natürlich weil wir etwas dafür bekommen.

Und was? Na?....

Supergrundrecht Sicherheit

Genau Sicherheit, ein Wert der -gerade in unserem Kulturkreis- ungemein hoch geschätzt wird. Ein deutscher Innenminister sagte unlängst in einer Diskussion über Werte und Rechte, Sicherheit sei ein ‚Supergrundrecht’. Also gewissermaßen ein Grundrecht, das die anderen Grundrechte wie freie Meinungsäußerung, Datenschutz oder körperliche und seelische Unversehrtheit etc. zeitweise außer Kraft setzen kann. Wenn man sich die Milliarden von Euro oder Dollar anschaut, die weltweit für Rüstung oder/Sicherheitstechnologie eingesetzt werden, kann man ermessen wie viel Sicherheit uns bedeutet oder besser gesagt:

Den meisten von uns.

Mir auch.

Und wenn dir Sicherheit am Herzen liegt, dann magst du ihren Widerpart gar nicht.

Die Unsicherheit.

So bin ich ja überhaupt auf das Thema dieses E-Books gestoßen. Ich habe bemerkt, wie sehr mir die Unsicherheit in bestimmten Situationen unbehaglich war. So sehr, dass ich sie zu verdrängen suchte. Dass ich versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen, indem ich gewisse Situationen gar nicht mehr wirklich durchlebte, sondern ein Programm daraus machte.

Unbehaglich beim Treffen neuer Menschen-

ein festgelegter Ritus aus Händeschütteln half mir da heraus.

Unsicher beim Verabschieden-

ich habe mir bei meinem Vater die Abschiedsformel: 'Auf Wiederschaun' abgeschaut

Das klang sogar individuell und nicht so konform, wie 'Auf Wiedersehen', obwohl es ein Programm war.

In diesem Falle ein familiäres. Es wäre interessant zu untersuchen, woher unsere Programme kommen, was aus familiären Systemen stammt, was wir uns selbst ausgedacht haben und was uns die Gesellschaft eingetrichtert hat. (siehe 2.2.)

Zurück zu unserer Programmierung.

Ich habe die Verabschiedungsformel später geändert von 'Auf Wiederschauen' zu 'Tschüssi', wie man hier in Brandenburg sagt, um mich an die neue Umgebung nach meinem Umzug anzupassen. Das habe ich bewusst getan.

Oft geschehen solche Anpassungen aber unbewusst. Oft wird einfach ein Programm übernommen, das vielleicht gar nicht hilfreich ist. Wenn ich jetzt hier 'Tschüssi' sage, finde ich das meistens amüsant. Vor allem, wenn ich es so vertraulich zu SupermarktverkäuferInnen sage, die ich gar nicht kenne. 'Tschüssi' hat für mich so etwas Intimes, dass ich lächeln muss, wenn ich es im Supermarkt sage.

Ich sage dass, um darzulegen, dass Programme gar nichts Schlechtes sind. Im Gegenteil können sie sogar viel Gutes bewirken. Ich könnte euch dass hier gar nicht schreiben und ihr könntet es nicht lesen, wenn es keine Programme gäbe. Na gut, es ginge noch über handschriftliche Übertragung, wie im Mittelalter. Aber eines kann ich euch sagen, wenn ihr euch mit meiner Handschrift auseinander setzen müsstet, dann wolltet ihr bestimmt bald nicht mehr weiterlesen. So bringen Textverarbeitungsprogramme uns beiden einen großen Vorteil. Ich kann mich euch mitteilen und ihr könnt es lesen.

Programme erleichtern unser Leben, sie geben uns Sicherheit. Aber sie gehören eben nicht überall hin. An manchen Stellen wäre es schön, wenn nicht alles nach einem Programm abläuft. An bestimmten Stellen erwartet, erhofft, erwünscht man eine Abwechslung eine Art Unsicherheit, die zur Erheiterung beiträgt, das Leben lebendiger, lebenswerter macht.

Leider haben wir in unserem Sicherheitswahn, aber auch diese Bereiche von der Sicherheitsmafia übernehmen lassen. Wir schalten sozusagen auf Autopilot. Wer den Film ‚Klick’ (http://www.moviepilot.de/movies/klick) mit Adam Sandler kennt, der weiß, wovon ich rede. Hier bekommt der Hauptdarsteller eine Videofernbedienung für sein Leben, die automatisch vor spult, sobald etwas Unangenehmes passiert. Dann erlebt er die Zwischenzeit nicht wirklich, sondern schaltet auf Autopilot. Dadurch überspringt er zunächst das Unangenehme, aber mit der Zeit bemerkt er, dass ihm dadurch auch wertvolle Erfahrungen verloren gehen. So ist dass, wenn wir auf Autopilot unterwegs sind, wenn wir nur Programme ablaufen lassen.

Ist dir schon mal aufgefallen, dass in Diskussionen einfach nur Programme miteinander reden?

Dass ist leider oft nicht anders unter Freunden als unter Politikern. Keiner hört dem andern zu oder lässt sich gar verunsichern, sondern vertritt seine Meinung, oft umso unnachgiebiger je mehr Gegenargumente der Gegenüber aufbringt. Es gibt da die einen, die auf meiner Seite sind und die anderen, die gegen mich sind.

Gerade in Talkshows ist das oft so. Wenn sie das mal näher beobachten, stellen sie fest, dass schon am Anfang festgelegt wird, wer die Guten sind und wer die Bösen, oder die Dummen, was meist dasselbe ist.

Dann streiten die sich, das Publikum hat Stellung bezogen und nach viel Buh rufen oder verstörtem Raunen auf der einen Seite und viel Geklatsche auf der anderen Seite, ist es dann vorbei und man denkt, man hat eine offene Diskussion gesehen.

Aber habt ihr schon einmal im Fernsehen mitbekommen, dass einer der Diskussionsteilnehmer gesagt hätte:

'Das ist jetzt ein interessanter Punkt, den sie da anschneiden, so habe ich das noch gar nicht betrachtet, da könnte was dran sein, lassen sie uns da doch gemeinsam weiter drüber nachdenken.'

Natürlich nicht, da müsste man ja zuhören, sich verunsichern lassen und das ist das, was wir eben nicht wollen.

Vielmehr wollen wir unsere Meinung sagen, dafür einstehen, sie verteidigen aus dem Bedürfnis nach Sicherheit. (bei Gelegenheit könnte man noch mal darüber nachdenken, warum wir in unserer Sprache so viel militärische Nomenklatur haben).

Was dabei herauskommt ist selten etwas Gemeinsames, selten eine gemeinsame Meinungsbildung, schon gar kein Konsens. Eher ist der vorher bestehende Dissens noch stärker zu Tage getreten. Vor allem auch daher, dass man das Sicherheitsbedürfnis des Gegenübers nicht geachtet hat.

Denn das ist ja der eigentliche Clou:

Das Gegenüber hat genauso viel Angst wie wir. Nur ist uns das nicht bewusst und wir sehen ihn als ein grauenvolles Monster, das uns mit seinen langen Zähnen bestimmt bald den Hals durchbeißt.

Doch wir sehen für ihn genauso aus.

So poltert man sich da gegenseitig zu, wo man mit Einfühlung viel weiter käme.

Natürlich steigert sich erst mal die Angst, wenn wir uns verunsichern lassen, das stimmt.

Zunächst müssen wir den programmierten Wohlfühlbereich verlassen.

Aber seien wir mal ehrlich, wollen wir da wirklich verweilen?

Willst du wirklich die nächsten 20, 30 Jahre immer wieder dasselbe machen, dasselbe erleben nur damit es sicher ist?

Denselben Einkauf, dasselbe Essen, derselbe Sex. Oh ja, da wird’s dann schon augenfällig, dass das so nicht funktioniert bzw. keinen Spaß macht. Funktionieren tut das schon. Wie ein Uhrwerk. Jeden Freitag um die Mittagszeit Sex. Oder am Samstagmorgen, wenn die Kinder gerade spielen sind. Dass funktioniert, damit kannst du sicher alt werden. Aber willst du das? Willst du heute schon wissen, was du mit 65 zu Essen bekommst oder wie dein Sex dann sein wird? Oder willst du dich lieber überraschen lassen vom Leben, von dem was da durch die Tür kommt und der ganzen Vielfältigkeit des Lebens?

Ja, wenn wir das wollen, wenn wir Veränderung in unserem Leben wollen, dann müssen wir ihr eben auch die Tür aufmachen.

Übergänge und Zwischenräume

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