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KEINE MITTE NIRGENDWO

Für die Bundesregierung kann ich sagen, dass wir Recht und Gesetz einhalten wollen und werden, und dass wir das, wo immer das notwendig ist, auch tun.

Angela Merkel, Bundespressekonferenz vom 20.07.2018

Wieviele Menschen seit 2015 nach Deutschland geflüchtet/gekommen/eingewandert sind – niemand kann es genau sagen. Legt man die Zahl der Asylanträge zugrunde, so wurden bis August 2018 ca. 1,6 Millionen Asylanträge gestellt. Rechnet man die ca. 350.000 Menschen hinzu, die im Zuge der Familienzusammenführung, die ja für anerkannte Flüchtlinge nie ausgesetzt war, nach Deutschland nachgeholt werden durften, so kommt man auf eine Zahl von ca. 2 Millionen Menschen. Das dürfte pi mal Daumen eine realistische Zahl sein, auch wenn diejenigen „neu Hinzugekommenen“, die keinen Asylantrag gestellt haben und sich „illegal“ im Land befinden, durchs Raster fallen. Die Anführungszeichen bei „illegal“ sollen hier andeuten, dass es im Deutschland seit 2015 gar nicht mehr um legal oder illegal geht, sondern nur noch um bekannt, gemeldet und abgespeichert.

Von den ca. 1,6 Millionen Asylanträgen sind rund die Hälfte abschlägig beschieden worden, wobei die ca. 50% positiver Bescheide nicht den Rechtsstatus als Asylant zur Folge hatten (nur ca. 0,5%), sondern größtenteils den Flüchtlingsstatus (ca. 34%) und den Rechtstitel als subsidär Schutzbedürftiger (ca. 16%). Und trotzdem verbleibt auch der Großteil der abgelehnten Asylantragsteller in Deutschland – entweder weil der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen oder weil gegen den Asylbescheid geklagt wird. Die häufigsten Gründe, der Ausreiseverpflichtung nicht nachzukommen, sind: kein Pass; Identität ungeklärt; Heimatland (oder sicherer Drittstaat) verweigert Rücknahme; Strafverfahren läuft. So absurd es klingt, aber wer eine Straftat in Deutschland begeht, wird, solange das Verfahren anhängig ist, nicht ausgewiesen. Wer sich länger als 18 Monate im Land befindet, erhält eine Duldung. Meist ist die Duldungserlangung der Grund für die Klage gegen einen negativen Asylbescheid. All diese Kosten trägt der Sozialstaat, denn ob abgelehnt oder nicht, geduldet oder ausreisepflichtig: der Anspruch auf Grundversorgung bleibt bestehen.

Um es kurz zu machen: Wer es nach Deutschland geschafft hat, der hat es geschafft, jedenfalls mit gut 90-prozentiger Sicherheit. Fast alle können bleiben, wenn sie es halbwegs klug anstellen, die Anerkannten wie die Abgelehnten. Unser Asylsystem in einem Satz zusammengefasst: Wer drin ist, ist drin. In der Geschichte funktionierender Nationalstaaten dürfte dies ein einmaliger Vorgang sein: die Grenze ins Land für jeden zu öffnen, und die Grenze aus dem Land heraus faktisch zu schließen. Oder mit der Bundeskanzlerin zu sprechen: Nun sind sie halt da!

Das BAMF, das Asylgesetz, Grenzkontrollen, Klagewege – man könnte alles abschaffen und es würde sich nichts ändern. Das einzige, was sich ändern würde, wären die Datensätze in den Erfassungsprogrammen und die Entlastung der Gerichte. Der Grund, den Behördenweg dennoch nicht abzuschaffen, ist allein dem Umstand geschuldet, dass ein derartiges Signal eine Außenwirkung hätte, die jedes Land zusammenbrechen lassen würde: „Germany legalizes everybody“ (vergl. hierzu den ausgezeichneten Artikel von Robert von Loewenstern vom 05.06.2018 auf achgut.com).

Die Absurditäten der deutschen Asylpraxis fielen bis 2015 nur den wenigsten auf, weil das Dublin-Verfahren angewendet wurde, dadurch Deutschland Asylbegehrer, die schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt hatten – und anders als über ein anderes EU-Land kam man nicht nach Deutschland –, abweisen und sich im Großen und Ganzen trotz schildbürgerstreichartiger Asylpraxis schadlos halten konnte. Mit der Aussetzung der Dublin-Verfahren seit August 2015 tritt die ganze groteske Pracht von Schilda erst in ihre Erscheinung.

Nun geriert sich Deutschland als ein so weltoffenes und gutmütiges Land, dass die Absurditäten des Asylrechts, die immensen Kosten, die Überforderung der Verwaltungsgerichte, die grassierende Wohnungsnot und alles andere, was mit dem Zuzug von Millionen staatlich alimentierten Neubürgern zusammenhängt, scheinbar verkraften und wegstecken würde, wenn da nicht ein Umstand wäre, den man die Verwolfung des öffentlichen Raums sowohl real wie auch im übertragenen Sinne nennen könnte.

Es ist einer merkwürdig widersprüchlichen und gänzlich naturromantischen grünen Weltsicht geschuldet, dass in einem fast restlos durchkultivierten Land wie Deutschland der Wolf wieder angesiedelt werden soll. Hunderte von gerissenen Schafen und der immer öfter stattfindende Kontakt zu menschlichen Ansiedlungen lassen die Grünen gänzlich unbeeindruckt in ihrem Plan, so viele Wölfe wie möglich nach Deutschland zu holen. So recht passen mag es nicht zu ihren vermeintlichen Idealen von Veganismus und Tierschutz, könnte sich aber in nuce als ein passendes Bild für den Umgang der grünen Eliten mit ihrem Volk erweisen: Erst werden die Menschen im Trommelfeuer der grünen Ideale zu einer vollständig durchkultivierten Schafherde geformt, bevor dann die Wölfe ins Land gelassen werden. Welch ein Spektakel! Was für eine Erniedrigung! Zugeben würden das die Grünen selbstredend niemals. Ver... was? – Verwolfung? Ach, i wo!

Nun ist die Statistik der größte Feind der Ideologen. Unter den 1,6 Millionen neu Hinzugekommen, für die belastbares statistisches Material vorliegt, machen Männer im Alter zwischen 14 und 39 Jahren einen Anteil von ca. 50% aus. Und da es immer heißt, dass Männer in dem genannten Älter überrepräsentativ aggressiv seien und straffällig würden, zucken jene, die 2015 noch von Goldstücken und Menschengeschenken sprachen, heute nur müde mit den Schultern und verweisen darauf, dass eben der Umstand, dass die Kriminalität zugenommen habe, mit dem Geschlecht und der Altersgruppe der Neubürger zusammenhänge. Alles also ganz normal.

Dennoch: die Zahlen des Bundeskriminalamtes für das kürzlich ausgewertete Jahr 2017 sprechen eine Sprache, die auch die notorischen Schulterzucker aufhorchen lassen sollte: Dreizehn ermordeten oder getöteten Deutschen durch Menschen, die im Zuge der offenen Grenzen nach Deutschland kamen, stehen Null durch Deutsche ermordete oder getötete Migranten im Jahr 2017 gegenüber. Hier darf jedoch der Hinweis nicht fehlen, dass die Toten des Berliner Breitscheidplatz-Terrors in dieser Zahl noch gar nicht enthalten sind, weil die Ermittlungen zum Zeitpunkt der statistischen Erfassung nicht abgeschlossen waren.

Für die Verbrechenskategorie „Vollendete und versuchte Straftaten gegen das Leben“ – also Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung – bietet die polizeiliche Kriminalstatistik 2017 des Bundeskriminalamtes exakte Zahlen, was einen Vergleich von Deutschen und über das Asylsystem Zugewanderten in der Kategorie „männlich, Alter 14-39“ zulässt. Aus der Gruppe von 10,5 Millionen deutschen Männern im Alter zwischen 14 und 39 Jahren wurden 966 Straftaten gegen das Leben begangen. Aus der Gruppe der 811.000 über das Asylsystem zugewanderten Männer dieser Altersstufe wurden 443 Straftaten gegen das Leben begangen. Das bedeutet, wenn man es hochrechnet: Aus der Gruppe der 811.000 zugewanderten Männer im Alter zwischen 14 und 39 Jahren wurden im Jahr 2017 so viele Straftaten gegen das Leben begangen wie aus einer Gruppe von 4,8 Millionen Deutschen gleichen Geschlechts und Alters.

Im Klartext: selbst wenn man nur die Hochrisikogruppe der jungen Männer – also die „Wölfe“ – miteinander vergleicht, werden über das Asylsystem Zugewanderte sechsmal so oft straffällig wie Deutsche. Man kann das als erschütternd ansehen, dass Menschen, die in einem Land Schutz suchen, dermaßen überproportional straffällig werden, oder man kann das für logisch halten, da Menschen aus zerfallenden Staatsgebilden anders mit Konflikten umzugehen gelernt haben als Deutsche. Nur gilt auch hier wieder: God is in the details. Denn es sind vor allem die aus dem Bürgerkriegsgebiet geflohenen Syrer, die auffallend weniger straffällig werden als beispielsweise die Zugewanderten aus den Maghreb-Staaten, also aus Algerien, Tunesien und Marokko, was interessanterweise Länder sind, in die sehr viele Deutsche gerne reisen, um ihren Urlaub zu verbringen. Daher lautet die so simple wie naheliegende Frage: Warum wurden diese Menschen überhaupt erst ins Land gelassen? Und warum werden sie nicht, nachdem sie einmal polizeibekannt wurden, umgehend abgeschoben? Ein Staat, der seine entwaffneten Bürger den Wölfen zum Frass vorwirft, hat ein erhebliches Legitimationsproblem.

Das Legitimationsproblem wird ja noch dadurch befeuert, dass wenige Tage, bevor die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgestellt wurde, die verantwortlichen Stellen im Bundesinnenministerium nicht müde wurden zu betonen, dass die kommende Statistik einen großartigen Rückgang der Kriminalitätszahlen beweisen würde. Und natürlich stimmten die wohlmeinenden Medien in diesen Chor mit ein. Die Erleichterung war förmlich mit Händen zu greifen. Nur: die Zahlen geben zu Entwarnung alles anderes als Anlass – und so ähnelt auch dies mediale Hurra eher einer kollektiven Verschaukelung.

Was stimmt: die Gesamtzahlen für 2017 sind rückläufig. Was jedoch auch stimmt: das geht fast ausschließlich auf die zurückgehende Zahl von Wohnungseinbrüchen zurück. Hier zahlten sich die steuerbefreienden Maßnahmen der Bundesregierung zur Wohnungssicherheit und intensivierte polizeiliche Ermittlungsarbeit aus. Man kann also sagen, dass im Raum des Privaten in der Tat die Kriminalitätszahlen rückläufig sind. Nur ist eben auch festzuhalten, dass die Gewalt im öffentlichen Raum weiter zugenommen hat.

Abgesagte Straßenfeste, die berühmt-berüchtigten Merkelpoller auf Weihnachtsmärkten, die Rückkehr des Messers in den öffentlichen Raum, Tätlichkeiten gegen Mitarbeiter in Job-Centern, Angriffe auf Krankenwagen, Sanitäter, Ärzte, Krankenhauspersonal, schließlich die Verwilderung der Hauptbahnhöfe – bei all den zurückgegangenen Kriminalitätszahlen ist das größte Rätsel für Politik und Medien: das gesunkene Sicherheitsempfinden der Bürger. Oder um einen Satz von Joseph Beuys zu variieren: Die Mysterien scheinen auf den Hauptbahnhöfen stattzufinden. Und auf den Straßenfesten und Weihnachtsmärkten. Und in den Parks und Grünanlagen.

Die berühmte Armlänge Abstand, die die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker nach den Silvesterunruhen 2015/16 empfahl, oder Hinweise der Polizei an Joggerinnen, bestimmte Parks zu bestimmten Uhrzeiten zu meiden und am besten nicht alleine zu laufen, führen bei den Medien regelmäßig dazu, die Sorgen und Ängste der Bürger ins Lächerliche zu ziehen. Wie von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchungen diverser Stiftungen jederzeit beweisen könnten, entspricht nämlich das rapide gesunkene Sicherheitsempfinden der Bürger ganz und gar nicht den Tatsachen. Von der Leiter zu fallen oder bei einem Autounfall zu sterben, sei wahrscheinlicher.

Rolf Peter Sieferle analysierte diesen Zustand bereits in seinem postum erschienen kleinen Bändchen „Das

Migrationsproblem“: „Die letzten Menschen werden erstaunt sein, wie viele Alltagskonflikte plötzlich mit ungewohnter Gewalt ausgetragen werden (...) Eine Welle unfassbarer blutiger Gewalt überspült die letzten Menschen, die von einer Vertreibung aus ihrem Rentnerparadies bedroht sind. Sie werden die Verunsicherung in innere Konfliktlinien transformieren, sie werden in den eigenen Reihen Feinde identifizieren, die leicht zu bekämpfen sind, da sie aus dem gleichen Holz geschnitzt sind wie sie selbst.“

Genau dieses Muster der Transformation der Verunsicherung in innere Konfliktlinien lag dem Umgang mit dem August-

Toten im Chemnitz des Jahres 2018 zugrunde. Da wird ein Familienvater auf einem Straßenfest mutmaßlich von einem wegen Gewaltdelikten polizeibekannten Migranten real totgestochen, und Kanzlerin und Kanzlerinnensprecher ereifern sich über vermeintliche Hetzjagden gegen Ausländer. Und als der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz darauf hinweist, dass hier als regierungsoffizieller Beweis ein Sekunden-Mitschnitt der für ihre Seriosität nicht gerade bekannten „Antifa-Zeckenbiss“ gedient habe, muss er sein Amt aufgeben, ganz so, als wären hohe Beamte nicht mehr auf die Verfassung sondern auf die Führerin höchstselbst vereidigt. Währenddessen der furchtlose Bundespräsident Steinmeier den Untertanen ein Gratiskonzert „gegen Rechts“ in Chemnitz empfiehlt, auf dem Bands auftreten, die „Gewalt gegen Bullen“ besingen und „Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck“ brüllen.

Selbstverständlich wusste die Politik bereits 2015, was sie anrichten würde, und es gibt verlässliche Hinweise darauf, dass in der Bundesregierung die offenen Grenzen genauso kontrovers diskutiert wurden wie in der deutschen Bevölkerung. Immerhin schien die Schließung der deutschen Außengrenzen nur einen Wimpernschlag entfernt gewesen zu sein. Hätte Deutschland statt eines aus dem 19. Jahrhundert gefallenen preußischen Untertans als Innenminister einen beherzten und mutigen Querkopf gehabt, der sich gegen die Fahrlässigkeit seiner Kanzlerin gestellt hätte, viele Verwerfungen wären diesem Land erspart geblieben. So hoch man Thomas de Maizière für seine besonnene und loyale Art auch wertschätzen kann, rückblickend stellt er die größte denkbare Fehlbesetzung eines Innenministers dar, als im September 2015 die Entscheidung innerhalb der Bundesregierung, die Grenzen nach zweiwöchiger Offenheitsparty zu schließen, bereits gefallen war. Er mag mit seinen „rechtlichen Bedenken“ (vergl. Robin Alexander: Die Getriebenen), die dazu führten, die Grenzen dann doch offen zu lassen, die Kanzlerschaft Angela Merkels gerettet haben, seinem Land hat er damit einen Bärendienst erwiesen.

Dass die politische Klasse im September 2015 ob der Zehntausende, die sich täglich über die deutschen Grenzen schoben, in Panik geriet, darf unterstellt werden. Wie aus österreichischen Diplomatenkreisen durchsickerte, war jener Plan Angela Merkels, ausgerechnet und unbedingt mit der Türkei ein Abkommen zu schließen, der reinen Verzweiflung geschuldet. Wie es heißt, wollte die deutsche Bundeskanzlerin ein Abkommen mit dem klar erklärten Ziel, dass „gar niemand mehr hereinkommen kann“ (DER STANDARD vom 12.08.2018).

Ein bereits zur Jahreswende 2015/2016 von EU-Kommissar Frans Timmermans und Ratspräsident Donald Tusk ausgearbeiteter Vorschlag reichte der Kanzlerin bei weitem nicht aus, da er die verpflichtende Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei nicht vorsah.

„Der Timmermans-Tusk-Ansatz hatte aus Berliner Sicht den Nachteil, dass er die Syrer nicht umfasst hätte. Und Merkel wollte 100 Prozent zudrehen, während sie international die humanitäre Heldin spielte“, berichtet ein diplomatischer Insider der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD. Drei Milliarden Euro mehr als den Timmermans-Tusk-Vorschlag ließ sich Deutschland den Türkei-Deal im März 2016 schließlich kosten (der der Öffentlichkeit als ein europäischer untergejubelt wurde), so viel waren Angela Merkel die verpflichtenden Rückführungen von Flüchtlingen wie auch der Bau eines Grenzzauns zwischen Syrien und der Türkei wert. Kurzum: die Verzweiflung und Verstörung der Bundesregierung über die weder abreißenden noch wieder abreisen wollenden Flüchtlingsströme wird sehr groß gewesen sein – womöglich größer, als wir es je erfahren werden.

Das Eigentümliche an der deutschen Politik Ende 2015/Anfang 2016 war diese Mischung aus panikartigen realpolitischen Schritten unter gleichzeitiger Beibehaltung der hochmoralisch aufgeladenen Argumentationsweise. Sich national wie international in progressiven Kreisen für offene Grenzen und humanitäre Imperative feiern zu lassen, dabei aber ausgerechnet die Türkei darauf zu verpflichten, mit deutschem Geld einen Grenzzaun nach Syrien hin zu errichten, erschließt sich widerspruchslos nicht auf den ersten Blick. Auf den zweiten auch nicht – allenfalls nur, wenn man Moral und humanitäre Imperative als notwendige Großlügen begreift, um einem nach Wiedergutwerdung lechzendem Volk eben jenen Zucker zu geben, nach dem der Affe giert. Genau das war der politische Tabubruch, den Angela Merkel und die ihr unterstehende Bundesregierung 2015 begingen.

Es hätte dem Land und dem Irrsinn, in das es da hineingetaumelt war, Heilung und Abkühlung verschafft, wäre Angela Merkel offen mit ihrem Irrtum umgegangen, dass sie sich in der schieren Masse der Ankommenden völlig verschätzt hatte und deswegen nun den türkischen Partner mit viel Geld überzeugen müsse, eben jene Schritte einzuleiten und durchzusetzen, zu denen die Bundesregierung und die deutsche Bevölkerung noch nicht bereit seien. Es hätte den moralischen Hochtrabereien der No-borders-Apostel ein realpolitisches Ende gesetzt und darüber hinaus wieder den Raum eröffnet, politische Schritte jenseits der Gesinnungsethik zu debattieren.

Stattdessen blieb die Kanzlerin der missgelaunten Gesichtszüge auf dem hohen Ross der heiligen Johanna der offenen Außengrenzen sitzen, lehnte mehrmals ganz explizit Obergrenzen ab, ließ sich in Selfies mit sogenannten Flüchtlingen ablichten und signalisierte damit der ganzen Welt, dass jeder kommen dürfe und solle. Inzwischen hat sich das Narrativ durchgesetzt, dass das freundliche Gesicht, das Angela Merkel auf den Selfies abgab, zu den größten humanitären Leistungen der Geschichte zähle und dass Deutschland damit die fragile Staatlichkeit auf dem Balkan rettete, indem es die Flüchtlingsrouten nach Deutschland umleitete.

Abgesehen von der Tatsache, dass die Balkanroute in Ungarn endete, und Deutschland, indem es die Wandernden aus Ungarn öffentlich nach Deutchland einlud, das EU-Land implizit zu einem menschenunwürdigen Unrechtsstaat erklärte, was die Ungarn sicher nur widerwillig zur Kenntnis nahmen, hört sich die Rettung der fragilen Staatlichkeit auf dem Balkan einfach zu gut an, um weitere Fragen nach sich zu ziehen. Sarajevo 1914 und die Jugoslawien-Kriege seit 1991 werfen ihre Schatten.

Doch selbst wenn das Vorhaben wirklich die Rettung des fragilen Balkans war, muss die Frage erlaubt sein, warum Deutschland, statt mit den Balkanstaaten sowie mit Ungarn, Tschechien, Polen und Österreich zusammenzuarbeiten, um die Balkanroute zu befrieden, ausschließlich auf die Türkei als Partner setzte. Es waren die Visegrad-Staaten mit Hilfe Österreichs, die, bevor der Merkel/Erdogan-Pakt abgeschlossen wurde, die Balkanroute bereits wieder geschlossen hatten. Selbstverständlich wurde den Balkanstaaten von den Visegrad-Staaten Hilfe zugesagt, während das Deutschland Merkels wie ein Rohrspatz über die Schließung der Balkanroute schimpfte. Selbst die Rettung des fragilen Balkans war also politisch schlecht umgesetzt und national wie international fahrlässig. Das zum Einen.

Zum Anderen hält der Zustand, der als humanitäre Rettung und Ausnahmezustand verkauft wurde, auch im Jahr 2018 weiterhin an. Bis zum lautstarken Streit zwischen dem Innenminister Horst Seehofer und der Bundeskanzlerin im Frühsommer 2018 war nur Eingeweihten geläufig, dass an den deutschen Außengrenzen immer noch jeder, der das Wörtchen Asyl sagt, durchgewunken wird, egal ob eine Vorstrafe, eine Einreisesperre oder ein terroristischer Verdacht vorliegt. Der Ausnahmezustand, der aus den horrend hohen Flüchtlingszahlen abgeleitet wurde, hält also unverändert an, obwohl die Zahlen doch erheblich gesunken sind. An der Rettung des Balkans dürfte es also nicht mehr liegen.

Der Verdacht, einen der größten politischen Fehler nicht zugeben zu können und ihn deswegen jeden Tag aufs Neue wiederholen zu müssen, damit er wie Methode aussieht, ist ja noch ein wohlwollender. Der Verdacht, Angela Merkel ist der Schutz des Landes, dem sie vorsteht, schlicht schnurzpiepe, und sie verändert es nun mit Freuden in ein soziales Experimentierfeld, ist weniger wohlwollend, aber eben nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Oder wie hat es der Harvard-Gelehrte und Ex-SPDler Yascha Mounk in den Tagesthemen vom 20.02.2018 so schön gesagt: „Dass wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln. Das kann klappen, das wird, glaube ich, auch klappen, dabei kommt es aber natürlich auch zu vielen Verwerfungen.“ Ob es klappt, wissen wir wirklich nicht. Was wir jedoch wissen: Zu den Verwerfungen ist es bereits gekommen.

Eine der Begleiterscheinungen der Politik Angela Merkels und ihrer ständigen Pflicht zur Aktivierung der Angst vor Rechts ist der Umstand, die radikal-progressiv linken Kreise befeuert zu haben, die seit ihrem Wiedervereinigungstrauma nun das erste Mal wieder Morgenluft wittern. Und die radikal-progressive Linke nimmt sich, was sie bekommen kann. Jeder, der nicht in den begeisterten Chor der Willkommenskulturschaffenden mit einstimmt, läuft Gefahr aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen zu werden. Hinweise auf die deutsche Rechtslage, auf internationale Abkommen oder einfach nur die Interessen des eigenen Landes führen schon dazu, einen ruchlosen Gesinnungsabtrünnigen zu wittern und ihm oder ihr eine Nähe zu rechtsradikal-völkischem Gedankengut zu unterstellen. Die Grenzen des Sagbaren wurden unter Aufsicht von Politik und Medien derart eng gesteckt, dass immer mehr Menschen den Eindruck gewannen, aus der Mitte der Gesellschaft rechts herausgefallen zu sein, während andere, die sich selbst zur Mitte zählten, mit einem Mal ein aggressiv linksextremes Gedankengut offenbaren.

Wie das funktioniert, kann man auch heute, drei Jahre später, immer noch beklemmend anschaulich erfahren. In der ARD-Talk-Sendung Anne Will vom 11. März 2018, in der es zum ungezählten Mal um die Integration der Eingewanderten geht, wirft der FDP-Vorsitzende Christian Lindner ein: „Ich würde nicht sagen, dass ein Flüchtling integriert werden muss. Ihm muss Schutz gewährt werden.“ Woraufhin Anne Will ihm vorhält: „Das ist die Position der AfD“, was Lindner nur trocken kontert: „Das ist die Position des internationalen Völkerrechts.“

Bereits einige Monate vorher, während des Bundestagswahlkampfes 2017, hatte Focus-Online in einem Kommentar vom 8. September zu Christian Lindner dessen Aussagen zur Flüchtlings- und Integrationspolitik auf den Prüfstand gestellt. In einem Interview mit der BILD hatte Lindner gesagt: „Es gibt kein Menschenrecht, sich seinen Standort auf der Welt selbst auszusuchen“ und hinterhergeschoben: „Wenn Frieden herrscht, müssen Flüchtlinge zurückkehren, wenn sie nicht die Kriterien eines neuen Einwanderungsgesetzes erfüllen, das ihnen einen neuen Aufenthaltsstatus verschafft.“ Diese Aussagen empfand die Focus-Online-Redaktion als offenbar derart schockierend, dass sie diese „breaking news“ folgendermaßen kommentierte:

Auch auf die Nachfrage, ob das tatsächlich sein Ernst sei, gibt sich Lindner knallhart: Flüchtlinge „werden gefördert, bekommen Sprachkurse und Zugang zum Arbeitsmarkt, die Kinder gehen in die Schule“. Aber am Ende, „wenn es in Syrien wieder sicher ist, muss der Flüchtlingsschutz in Deutschland erlöschen“.

Da war es wieder, dieses unsäglich unmenschliche

internationale Völkerrecht. Dass Deutschland natürlich anders und besser sein muss als die schnöden anderen Völker, darüber lässt Focus-Online keinen Zweifel:

Dann soll es laut Lindner zwar möglich sein, sich um einen legalen Daueraufenthalt zu bewerben. „Aber wenn man unsere Kriterien nicht erfüllt, muss man gehen.“ Die Anforderungen schiebt der FDP-Spitzenkandidat gleich nach: Flüchtlinge müssen die deutsche Sprache sprechen, „dürfen sich nichts zuschulden kommen lassen“ und müssen die Verantwortung für den Lebensunterhalt der Familie übernehmen. Trifft das nicht zu, werden sie ausnahmslos zurückgeschickt.

Im Kern heißt das: Wer dem Staat auf der Tasche sitzt und die Wirtschaft nicht mitankurbelt, darf nicht bleiben.

Wer diese Aussage Lindners zu skandalisieren versucht, muss sich die viel naheliegendere Frage bereits beantwortet haben: Warum sollte jemand, der aus einem inzwischen befriedeten Land kommt und in Deutschland durchalimentiert wird, denn bleiben dürfen? Und die schlichte Antwort darauf kann nur lauten: Weil es ein Menschenrecht sein soll, sich das Land, in dem man lebt, frei auswählen zu können. Die Kurzformel dafür aber heißt: no borders, no nations. Es ist der Traum des schwarzen Blocks.

Blöd nur, dass das derzeit auch auf rund 2,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland zutrifft. Circa 900.000 sind langzeitarbeitslos, unter ihnen bestimmt auch Menschen, die straffällig geworden sind.

Müssen wir die dann auch ausweisen? Die Antwort der FDP lautet nein. Wieso? Weil ein Großteil von ihnen schlichtweg Glück hatte, in einem reichen Land wie Deutschland geboren zu sein.

Wer das Glück nicht hatte, muss sich Lindner zufolge beweisen. Konsequent liberal ist das nicht, vielmehr setzt der Parteichef auf Liberalismus light: Nur „wir“ dürfen uns etwas zuschulden kommen lassen. Die Freiheit, in einem Industrieland leben und von ihm profitieren zu wollen? Sie ist offenbar an das Land geknüpft, in dem man geboren ist.

Nun, das ist ganz offenbar so. Und ebenso gelten sehr viele Gesetze nur für die Menschen, die in dem Land auch geboren sind oder zumindest dessen Staatsbürgerschaft besitzen. Das Wahlrecht ist beispielsweise eines dieser, wenn es nach der Focus-Online-Redaktion ginge: völkerrechtswidrigen und knallharten Gesetze.

An diesem kurzen Kommentar wird exemplarisch deutlich, wie sich der politische Diskurs in Deutschland Richtung Kindergarten-Irrsinn verschoben hat. Allein schon die Definition von Liberalismus, den die Autorin des Kommentars unterstellt, ist an politischer Infantilität nicht zu übertreffen: „Liberalismus light: Nur ‚wir‘ dürfen uns etwas zuschulden kommen lassen“ – was dann im Umkehrschluss bedeutet: Liberalismus „strong“ wäre, wenn sich alle etwas zuschulden kommen lassen dürfen.

Politische Selbstverständlichkeiten, dass beispielsweise nationale Gesetze für die Angehörigen der Nation gemacht wurden und nicht für die ganze Welt, gelten inzwischen als „knallhart“. Das allgemeine Wahlrecht für Asylbewerber wäre logischerweise dann das nächste Kapitel im

kosmopolitkorrekten Forderungenkatalog.

„Kein Mensch ist illegal“, „no borders, no nations“ oder „Refugees welcome“ waren bis 2015 die Insignien der Antifa und der extremen Linken, inzwischen sind sie zu Markenzeichen der „neuen Mitte“ geworden.

Internationale Abkommen? Zählen nicht, könnten ja AfD sein! Staatsbürgerliche Rechte? Gelten nicht, weil sie andere ausschließen. Sozialgesetze? Können – ja: müssen nonchalant ausgehebelt werden, weil „die Freiheit, in einem

Industrieland zu leben und von ihm profitieren zu wollen, offenbar an das Land geknüpft ist, in dem man geboren ist“ – und das bedeutet nach der inzwischen gängigen post-nationalen One-World-Ideologie ein himmelschreiendes Unrecht.

Das Lied, wie sehr sich die Regeln des politischen Diskurses nach linksextrem verschoben haben, kann auch eine Hamburger Privatfrau (parteilos) singen, die – selbst ehemalige CDU-Wählerin, wie sie angibt – nun ihrer Ablehnung der Merkelschen Politik Ausdruck verleihen wollte, indem sie sich – natürlich polizeilich genehmigt – mit einigen Mitstreitern allmontaglich auf den Jungfernstieg stellte, um Plakate in die Luft zu halten, auf denen „Merkel muss weg“ stand. Diese Art öffentlicher Demonstrationen gibt es in einem freien Land zuhauf; man kann gegen Tierversuche demonstrieren, gegen Atomkraft und Altersarmut, gegen TTIP oder für die Scharia. Immer finden sich einige Menschen, die mitmachen.

In der zweiten Woche stand die Dame mit vielleicht 60 Mitstreitern wieder montags dort in der Hamburger Innenstadt, als die linke Szene auf sie aufmerksam wurde. Daraufhin wurden ihr daheim die Scheiben eingeworfen, die Hauswand mit Parolen besprüht, die Reifen ihres Autos aufgeschlitzt und sie selbst bedroht. Sie gab die Organisation des friedlichen Protests auf und resümierte, dass die Antifa inzwischen wohl zu einer Art Schutzstaffel der Bundeskanzlerin mutiert sei. Das macht im Lichte der ehemals linksextremen One-World-Ideologie, die im Zuge der obergrenzenlosen Willkommenskultur zur deutschen Staatsräson erhoben worden war, durchaus Sinn.

Vielleicht ist dies die tiefste und das Land am stärksten spaltende Veränderung, die mit der Großlügen-Politik seit 2015 einherging: der internationalen Linken wurden ideologische Freiräume eröffnet, von denen sie vor 2015 nicht zu träumen gewagt hatte. War die internationale Linke als staatszerstörerische Kraft 2014 ins Bett gegangen, so wachte sie nun, 2015, im Zuge der Willkommenskulturmobilmachung als wichtige Stütze der Obrigkeit wieder auf.

Die bereits lange vor 2015 existierenden Flüchtlingsräte, Integrations-Koordinations-Treffs, Willkommenskomitees, Kirchenasylgemeinden, Wohlfahrtseinrichtungen und

Anwaltsinitiativen – also all das, was man inzwischen wenig charmant die Abschiebe-Verhinderungs-Industrie schimpft –, erhielten im Zuge der proklamierten und von keiner Obergrenze flankierten Offenheit der Grenzen staatstragende Aufgaben, was sicherlich der eklatanteste Widerspruch zu einem wehrhaften bürgerlichen Staat sein dürfte. Bis 2015 galt „no borders, no nations“ als Ausdruck eines Spektakels, das wohlstandsverwahrloste Halbstarke veranstalteten. Seit 2015 gilt „no borders, no nations“ als kurz vor der Vollendung stehende Utopie, zu deren Experimentierfeld sich Deutschland und seine Regierung bereiterklärt haben. „No borders, no nations“ ist, und das sollte der Umgang mit Christian Lindner belegen, in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die deutsche Gesellschaft von den Füßen auf den Kopf gestellt zu haben, dürfte sich als das Vermächtnis Angela Merkels erweisen, mit dem sie, um in die Geschichte einzugehen, ein noch außerordentlicheres Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen haben wird, als lediglich die erste bundesdeutsche Kanzlerin weiblichen Geschlechts gewesen zu sein.

Als Angela Merkel einen Tag nach der für die Große Koalition aus SPD, CDU und CSU desaströsen Bundestagswahl – das Parteienbündnis hatte fast 15% der Wählerstimmen eingebüßt – vor die Kameras trat, ließ sie verlauten: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Man kann das Chuzpe nennen, Starrsinn oder gar Lüge, und doch ist und bleibt es eines der eigentümlichsten Wesensarten dieser Regierungschefin, den Eindruck zu vermitteln, die real existierende Außenwelt dringe gar nicht mehr an sie heran. Zumindest öffentlich. Ihre bis aufs Blut abgekauten Fingernägel lassen darauf schließen, dass die Kanzlerin in den besseren Stunden ihrer Existenz um die von ihr angefachten Zerstörungen weiß.

Wer nun unterstellt, Angela Merkel habe die Fehler ihrer Politik bereits zu korrigieren begonnen, der übersieht, dass sich die Politik der Bundesregierung zwischen 2015 und 2018 nicht grundlegend geändert hat. Zwar kann inzwischen die völlig aus dem Ruder gelaufene Organisation der Flüchtlingszuwanderung thematisiert werden, und die Bundesregierung entschuldigt sich auch eilfertig bei jedem neuen das Licht der Öffentlichkeit erblickenden Skandal, der die hanebüchene Politik 2015 begleitete. Aber die bewusst zerstörten Grundlagen eines stabilen, wehrhaften und um den eigenen Schutz bemühten Rechtsstaats sind weiterhin aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen. Seit der Bundestagswahl 2017 kann also die verheerende Organisation der Fehler thematisiert werden, die verheerenden Fehler selbst müssen jedoch weiterhin unbenannt und unbearbeitet bleiben, so dass die Grundpfeiler der Gesellschaft im Rekordtempo wegfaulen.

Auch nach mehr als drei Jahren, in denen die Völkerwanderung Deutschland mit Wucht getroffen hat, gibt es noch immer kein Konzept, dieses Land vor weiterem Schaden zu bewahren. Und es stehen ja nicht Hunderttausende in den Startlöchern, sondern es sind Millionen, die sich da auf den Weg nach Europa und vorzugsweise nach Deutschland machen wollen.

Milliardenzahlungen an einen fundamentalistisch-islamischen Diktator, auf dass ebendieser keine Wandernden mehr durchlasse, sind ja alles andere als ein Konzept, das auf Tragfähigkeit oder Nachhaltigkeit beruht. Es ist maximal eine Steilvorlage, sich in die Abhängigkeit dieses Diktators zu begeben und sich erpressbar zu machen.

Ein politisches Konzept müsste die drei folgenden Problemfelder der verfehlten Politik angehen und dazu radikale Schritte einleiten, Gesetze ändern und vor allem: bestehende Gesetze mit aller notwendigen Härte wieder durchsetzen.

Wie hält man die Menschen, die Asyl begehren, davon ab, nach Deutschland hineinzukommen, ohne sie je wieder außer Landes schaffen zu können?

Wie schafft man es, die mittlerweile unüberschaubar große Masse abgelehnter Asylbewerber wieder abzuschieben?

Wie unterbindet man den Sog, der weltweit von Deutschland ausgeht, und wie schafft es ein Staat, innerhalb dieses Soges die Hasardeure, Glücksritter und Gefährder von den wirklich Verfolgten zu unterscheiden?

Ein Staatswesen, das in Zeiten von islamistischem Terror nicht gegen jede Form der islamischen Ereiferung mit Wucht vorgeht; ein Staatswesen, das jahrelang dem mutmaßlichen Leibwächter Osama bin Ladens Schutz und Sozialhilfe gewährt; ein Staatswesen, das Kinder- und Vielehe nicht sanktioniert; ein Staatswesen, das eine Taliban-Mitgliedschaft als Asylgrund anerkennt; ein Staatswesen, das bei fehlenden Papieren jeden ohne Identitätskontrolle das Staatsgebiet betreten lässt und gleichzeitig damit seine Chance verspielt, bei Ablehnung wieder abschieben zu können, da die Papiere fehlen; ein Staatswesen, das bei fehlendem Identitätsnachweis darauf verzichtet, zur Herkunftsfeststellung Mobiltelefone auszulesen; ein Staatswesen, das den Eingewanderten leichtfertig die Möglichkeit einräumt, mit mehreren Identitäten durchs Land zu reisen; ein Staatswesen, das bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen auf eine medizinische Altersfeststellung verzichtet und dann in Wahrheit 25-Jährige auf 15-jährige Klassenkameradinnen loslässt (ist das nicht schon Beihilfe zur Pädophilie?); ein Staatswesen, in dem Mörder und Attentäter, bevor sie dann endgültig zuschlagen, immer bereits „polizeibekannt“ sind: Ein solches Staatswesen hat nicht nur ein Legitimationsproblem, es könnte schlicht dem Untergang geweiht sein.

Drei Jahre, nachdem die Völkerwanderung Deutschland mit Wucht getroffen hat, macht die politische Klasse weiter, als wäre nichts geschehen. Freilich, deutsche Politiker reisen nach Libyen, um mit der Küstenwache „Deals“ abzuschließen. Auch besucht die Kanzlerin immer mal wieder die Türkei, um auch dort „Deals“ abzuschließen. Und natürlich beehren deutsche Politiker auch diverse afrikanische Länder, um mit Millionenzahlungen die Wandernden am Durchqueren des Sahelzonen-Nadelöhrs zu hindern. – So machen sie allüberall und immerzu ihre „Deals“ und versuchen so, mithilfe der sprudelnden Steuermilliarden mal hier, mal dort ein paar Korken einzupfropfen, auf dass die aktuellen Flüchtlingsrouten geschlossen werden mögen. Doch die Politik im eigenen Land, all die Verordnungen und Gesetze in Deutschland, die Sozial- und Asylpolitik – sie wurden seit Ende 2015, als die Asylpakete I und II verabschiedet wurden, nicht mehr angetastet. Und ein Einwanderungsgesetz für Deutschland? Es scheint schlicht nicht im Fokus der deutschen Politik zu liegen, die nationalstaatlichen Interessen zu definieren und abzusichern.

Damit ändert die Politik nichts Grundlegendes, sondern versteift sich darauf, immer weitere internationale Abhängigkeiten und multilaterale Vereinbarungen zu schaffen, hinter deren Misslingen sie sich dann verstecken kann, wenn das nächste Millionenheer die deutsche Grenze, die keine mehr ist und keine mehr sein darf, überschreitet.

„Aber die deutschen Grenzen werden doch inzwischen kontrolliert!“, heißt es dann vollmundig. Jedoch: Eine Kontrolle, die ihren Sinn nicht verfehlt, müsste Menschen, die unberechtigterweise Einlass begehren, abweisen. Doch genau das geschieht nicht, wird doch weiterhin jeder Asyl-Antragsteller, der aus einem sicheren Drittstaat einreist, ins Land gelassen.

Grenzkontrollen ohne Konsequenzen mögen die Organisation der Asylpolitik etwas erleichtern, ändern aber nichts an den grundlegenden Fehlern und stehen weiterhin für eine Politik, die sich feige davonstiehlt, wo es um Veränderungen im eigenen Land ginge; Veränderungen, die zu allererst auch den Irrsinn des politischen Diskurses beträfen.

Jede staatliche Ordnung zerstört sich selbst bei grenzenloser Überdehnung. Ob diese Überdehnung nun bei ein oder zwei oder drei Millionen Kulturfremden aus oft tausenden von Kilometern entfernten Ländern einsetzt, ist von dem abhängig, was ein Gemeinwesen zu leisten imstande ist. Dass ab einem gewissen Punkt diese Überdehnung eintritt und zu Rissen in der staatlichen Ordnung führt, dafür gibt es inzwischen mehr Anzeichen, als jedem lieb sein kann. Ob dieser Zustand hierzulande bereits irreparable Schäden gezeitigt hat oder ob, wie es der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki noch im Mai 2018 mahnend beschwor, Deutschland keineswegs bereits an sein Limit gegangen sei („Es darf nicht durch die Hintertür zu einer Obergrenze kommen!“), ist Gegenstand des politischen Diskurses. Dieser Diskurs wird mit einer Hartnäckigkeit verweigert, die der Demokratie schwersten Schaden zufügt.

Der Begriff der Obergrenze wurde in die Nähe von „KZ“ und „Rampe“ gerückt und damit, moralisch hyperventilierend, aus dem Diskurs ausgeschlossen. Dass jedem Staatswesen eine Obergrenze innewohnt, veranschaulicht ja Angela Merkels Bemühen um den Türkei-Deal, der „den Hahn zudrehen sollte“. Warum der Forderung nach einer Debatte zur Obergrenze sofort ein Nazi-Vorwurf auf dem Fuße folgt, entzieht sich daher jeder Rationalität und kann nur als Versuch gewertet werden, mit unlauteren autoritären Mitteln eine Diskurshoheit zu verteidigen, indem man die Andersmeinenden aus dem Diskurs ausschließt.

Desweiteren ist eine Strategie, andere Länder mithilfe hoher Geldgeschenke zu etwas zu nötigen, zu dem man selbst nicht willens oder in der Lage ist, an Unredlichkeit nicht zu übertreffen. Der Politikstil Angela Merkels seit ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin im Jahr 2005 war und ist immer gewesen, politischen Debatten im eigenen Land aus dem Wege zu gehen und Veränderungen, die sie und ihr Beraterstab für vorteilhaft befinden, im Handstreichverfahren durchzusetzen. Dies ist das jede gesunde demokratische Kultur verachtende Band, auf dem der Atomausstieg, die Eurokrise, die Völkerwanderungsdramatik, ja selbst die „Ehe für alle“ wie Perlen aufgereiht sind, und nicht wenige erkennen darin das Erbe von Angela Merkels DDR-Vergangenheit, bei der sie es immerhin zur FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda gebracht haben soll.

Debatten zu verhindern, führt jedoch zwangsläufig dazu, dass es durch die vollendeten Tatsachen Gewinner dieser nicht geführten Debatten gibt, während sich die Verlierer um Wort und Stimme betrogen und erniedrigt fühlen. Dieses politische Strategiekonzept verfolgt die schlichte Devise von der normativen Kraft des Faktischen: „Jetzt sind sie halt da!“ Angela Merkel hat es perfektioniert und damit das Land, dem sie vorsteht, restlos gespalten.

Die Folgen dieser humanitär hochgelogenen Politik sind desaströs. Die europäischen Partner wandten sich reihenweise von Deutschland ab, die Briten traten aus der EU aus, der lupenreine Islamo-Despot Erdogan streckte, aufgepumpt mit Bedeutung und Macht, seine gierigen Finger nach der Innenpolitik der europäischen Länder aus, und Deutschland selbst versank in einem mentalen Chaos.

Merkels moralische Hochnäsigkeiten konnten innenpolitisch nur verfangen, weil der Wunsch deutscher Eliten nach moralischer Wiedergutwerdung und Erlösung vom Fluch der Vergangenheit im kritischsten Moment seit 1989 einfach aus dem Hut gezaubert und mobilisiert werden konnte. Der Professor für Soziologie an der FU Berlin, Prof. Dr. Sérgio Costa, brachte es am 31. Juli 2015 in der Huffington Post, die sich im Jahr der Grenzöffnung zum neuen Organ der Hurra-Mobilmachung befleißigen wollte, auf den Punkt:

Liebe Flüchtlinge, es ist gut, dass ihr hier seid, weil Deutschland und Europa, indem sie euch empfangen, ihren historischen Verantwortungen nachkommen. (...) Wer Menschen helfen kann, muss es auch tun – immer und bedingungslos. (...)

Individuen oder ganze Gesellschaften, die in ihrer Existenz bedrohten Menschen Hilfe verweigern, sind moralisch abscheulich. Nehmen Individuen und Gesellschaften ihre Verpflichtung zur Hilfeleistung jedoch wahr, werden sie moralisch vollkommen.

Die deutsche (wie auch andere) Kriegsmaschine vertrieb Millionen Menschen im Ersten und im Zweiten Weltkrieg aus Deutschland und aus anderen Ländern. Viele aus Deutschland und/oder von Deutschen vertriebene Menschen wurden als Flüchtlinge weltweit empfangen und konnten somit überleben. Die jetzige Flüchtlingskrise stellt für Deutschland eine Chance dar, nun seiner Reziprozitätspflicht nachzugehen.

Diesen wenigen, schwindelerregend hohen, hehren Worten wohnt genau jene Schuld-Überkandideltheit inne, derentwegen hierzulande jedwede Flüchtlingsdebatte so krachend entgleisen musste: empörte Abscheu, historische Schuld, moralische Vervollkommnung, bedingungslose Begeisterung.

Das Vorhaben der deutschen Eliten kann man in aller Kürze so zusammenfassen: Die historische Schuld kann in moralische Vollkommenheit nur durch die Pflicht zur Reziprozität verwandelt werden – also durch den Ausgleich dessen, was man ehedem als Unrecht selbst angetan hat. Und das alles bedingungslos.

Ein Vulgärchristentum, das von der Schuld- und Sündhaftigkeit des Menschen überzeugt ist, trifft hier auf einen Vulgärbuddhismus, bei dem man sein Karma verbessert, indem man das im vergangenen Erdenleben zugefügte Leid im jetzigen ausgleicht. Selten war der politische Diskurs pseudoreligiös so aufgeladen wie 2015, wenn auch gedanklich dabei nur ein kosmischer Kuhhandel mit einer Portion karmischem Kitsch herauskam.

Nun könnte man über solcherart Polit-Katechismus herzhaft lachen, hätte sich dieser moralische Vervollkommnungswunsch, garniert mit einem klassischen Schuldkomplex, nicht bis weit in die höchsten bürgerlichen Kreise der politischen Klasse hineingefressen. Dass die linken und grünen Bewegungen für diese Art von Betroffenheitskitsch aus Selbstanklage, Geißelung und Selbsterniedrigung nicht nur empfänglich sind, sondern dieser Mix gar zur Gründungs-DNA ihrer (nach eigenem Selbstverständnis „progressiven“) Bewegungen gehört, haben viele immer schon geahnt. Dass nun aber selbst bürgerliche Parteien wie die CDU und CSU diese Form des Selbstanklageokkultismus übernommen haben, überrascht dann doch.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller, seines Zeichens Mitglied der CSU, hielt am 18. Mai 2017 eine Rede vor dem deutschen Bundestag, in der er die Parlamentarier folgendermaßen aufklärte: „Glauben Sie nicht, dass wir unseren Wohlstand auf Dauer auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungsländer aufrechterhalten können, ohne dass die Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen und sich dann das holen, was ihnen zusteht.“

Hier macht ein CSU-Minister aus seinem sozialrevolutionären Herzen keine Mördergrube. Wir – die Deutschen – genießen unseren Wohlstand auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungsländer. Was genau Minister Müller mit dem „Rücken Afrikas und der Entwicklungsländer“ meint, führt er nicht näher aus, doch nach all den medialen Beschallungen der letzten Jahrzehnte fällt – soviel Spekulation muss erlaubt sein – als erstes ein: der CO2-Fußabdruck des Menschen in westlichen Gesellschaften ist um ein Vielfaches höher als der eines Afrikaners. „Wir“ verschmutzen also die Luft und die Umwelt, während den Afrikanern die Mittel dazu fehlen. Das muss der Rücken sein, auf dem wir unseren ebenso fragwürdigen wie unverdienten Wohlstand genießen.

Bundesminister Müller, der in seiner Rede eine eklatante Gerechtigkeitslücke zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern meint ausmachen zu müssen, spricht hier zum deutschen Parlament wie auf einem protestantischen Kirchentag. Und weil die Gerechtigkeitslücke so groß sei, kommen dann eben die Menschen „und holen sich, was ihnen zusteht.“

Hier wird in einem einzigen Satz der Wohlstandsverzicht der Industrieländer angemahnt, die Verrechtfertigung der offenen Grenzen geleistet und der nationalen Politik nicht mehr als die Rolle eines Zuschauers zugebilligt, ganz so, als könnte die Politik keine Maßnahmen treffen, diejenigen, die sich holen wollen, was ihnen vielleicht doch nicht zusteht, davon abzuhalten. „Wir“ – die Schuldigen – dürfen also nur noch mit Interesse staunen, wie die Menschen aus den Entwicklungsländern kommen und sich holen, was ihnen zusteht. Der von jedem Minister geschworene Amtseid, das Wohl des eigenen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, klang auch schon mal überzeugender.

Bei der deutschen Bundeskanzlerin heißt es dann am 11. November 2017 in einem Video-Podcast an das deutsche Volk: „Die Dringlichkeit – ich glaube, wir merken das alle an den Naturkatastrophen – ist groß. Und gerade wenn wir auch über Migration und anderes sprechen, wissen wir, dass das indirekt oft auch mit dem Klimawandel zusammenhängt.“

Wissen wir das?

Nur weil es von jedem Rednerpult und jeder Kanzel, auf jedem Kirchen- und Grünen-Parteitag sowie aus beinahe allen Print- und Funkmedien erschallt, so heißt das ja noch nicht, dass es richtig sein muss.

In einem Vortrag vor der Hayek Gesellschaft im Oktober 2017 stellt der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin einen Vergleich an, um die Kurzsichtigkeit und Unterkomplexität dieser Schuldlust zu verdeutlichen: „Die Menschen im unwirtlichen Schweden habe sich durch Fleiß, Wissen und eine gute staatliche Ordnung einen großen Wohlstand erworben, obwohl sie niemals eine Kolonie besessen hatten. Die Menschen in Äthiopien, die, bis auf wenige Jahre unter italienischer Herrschaft, niemals kolonialisiert waren, könnten viel reicher sein als die Schweden, denn sie verfügen über fruchtbare Landstriche und im Hochland über ein sehr angenehmes Klima. Hätten sie in den letzten 200 Jahren wie die Schweden gelebt, gäbe es allerdings keine 100 Millionen Äthiopier, sondern allenfalls fünf.“

Welche Reziprozitätspflichten und Wanderungsrechte aus diesem Beispiel abzuleiten wären, das weiß im Zweifelsfall niemand – oder nur die Bundeskanzlerin höchstselbst, die am 24. Januar 2018 auf dem World Economic Forum in Davos verlauten ließ: „Wir Europäer haben eine tiefe Schuld gegenüber dem afrikanischen Kontinent aus den Zeiten der Kolonialisierung.“

Doch genug der Zitate! Mit den wenigen Beispielen sollte hier nur in aller Kürze aufgezeigt werden, dass selbst in bürgerlichen Kreisen inzwischen ein Denken vorherrscht, das in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts noch als sozialrevolutionär galt und sich an Frantz Fanons bereits 1961 erschienenem Hauptwerk „Die Verdammten dieser Erde“ orientiert. Es war die Pflichtlektüre aller Progressiven, Aufgeklärten und in ihrem Hass gegen den Westen Vereinten. Und nachdem den internationalen Sozialisten das arbeitende Proletariat verlustig gegangen war, schufen sie sich als neues revolutionäres Subjekt den Menschen aus der Zweiten und der Dritten Welt.

Nach Fanon hat der weiße Mann jene unheilvolle Kultur hervorgebracht, welche den Rest der Welt unterwirft und blutsaugerisch ausbeutet. „Europa hat seine Pfoten auf unsere Erdteile gelegt, und wir müssen so lange auf sie einstechen, bis es sie zurückzieht“, so der französische Philosoph Jean Paul Sartre im Vorwort zu Fanons „Verdammten dieser Erde“.

Alles Böse stammt aus der westlichen Kultur und dieses Böse agiert und agierte in Gestalt des Kolonialismus. Dieser hat die Welt aufgeteilt in Herren und Knechte; er hat dem kolonisierten Teil der Welt den Rassismus eingepflanzt, ihn in Klassen gespalten und ihm die Stammesfehden mitsamt aller Xenophobie eingehaucht. Der deutsche Historiker Egon Flaig benennt in seinem Buch „Die Niederlage der politischen Vernunft“ das Ansinnen hinter Fanons Ausführungen: „Der Rassismus von Frantz Fanon besteht nicht darin, eine einzige Rasse über alle anderen zu erheben, sondern eine einzige Rasse dem Rest der Menschheit entgegenzustellen: Er dämonisiert die weiße Rasse als das Böse schlechthin“.

Und wenn der weiße Mann Schuld an Kriegen und Hungerkatastrophen, an der Ausbeutung von Mensch und Umwelt und neuerdings auch an der Klimakatastrophe und überhaupt der Armut der Welt trägt, dann gebietet es die „Reziprozitätspflicht“, jeden als Kriegs-, Armuts- oder Klimaflüchtling willkommen zu heißen und sich mit Untertänigkeit anzudienen. Aus diesem Grund müssen auch Morde, Vergewaltigungen, Messerstechereien und alle anderen Verbrechen, die die „Verdammten dieser Erde“ in den jeweiligen Aufnahmeländern begehen, mit Nachsicht behandelt werden. Sie sind die gerechte Strafe für die Verbrechen der Weißen, und die Armen holen sich jetzt nur, was ihnen zusteht.

Es ist ein wenig wie beim Mühle-Spiel, wo es darum geht, eine sogenannte Zwickmühle aufzubauen: egal wie der Gegenspieler seinen Stein setzt, man selbst kann durch das Öffnen einer Mühle gleichzeitig eine andere Mühle schließen und gewinnt. Wer sich nicht von der vergangenen Schuld des Kolonialismus bereits genug ins Bockshorn hat jagen lassen, der bekommt es eben nun mit dem aktuellen Komplex der Klimasünde zu tun. Denn egal, wie man es dreht oder wendet: Schuld ist und hat immer der (alte) weiße Mann.

Ob die herrschende politische Klasse wirklich daran glaubt oder nur meint, mit diesem Schuldspiritismus ihren Einflussbereich absichern und ihre Macht weiter ausbauen zu können, sei dahingestellt. Als Verargumentation der internationalen Politik wird der Schuldspiritismus allemal regelmäßig unters Volk posaunt, und man darf unterstellen, dass nicht wenige ihm auch wirklich auf den Leim gehen.

Der aufgeklärte Mensch hielt sich immer zugute, Institutionen, die mit der Funktionsweise von Sünde und Schuld operieren, abzulehnen, zu durchsichtig war der Versuch, dergestalt die Menschen unmündig zu halten. Inzwischen gehört das Eingeständnis der großen, großen Schuld zum Inventar des progressiven Denkens mit dem interessanten Twist, dass die Funktionsweise der Schuld, nämlich die Herde zusammen und somit kontrollierbar zu halten, geleugnet wird. Diesmal ist die Schuld nämlich: echt!

Ob die Proklamation der eigenen Schuld Ausdruck einer tiefen Überzeugung oder nur eine zynische Wahl der politischen Mittel ist, ändert nichts an ihrer Funktionsweise: Die Reichen haben ihren Reichtum abzugeben, auf dass den Armen endlich Gerechtigkeit widerfahre – und sie in den Genuss jenes Wohlstands kommen, der ihnen bisher von den Reichen vorenthalten wurde.

Das Prinzip des Sozialstaats, der auf ein jeweils nationales Territorium beschränkt war, wurde dem heutigen Zeitgeist entsprechend transzendiert auf die ganze Welt. So darf es heute nicht mehr nur heißen: Teile deinen Wohlstand mit den Armen und Schwachen deines Landes, sondern: Teilen wir unseren Wohlstand mit den Armen und Schwachen der ganzen Welt.

Und hier schließt sich der Kreis: der Traum eines jeden Sozialisten – die Reichen werden bestraft, um den Armen zu geben –, er steht dank Selbstanklage, Klimareligion und bedingungsloser Flüchtlingsliebe kurz vor der mentalen Vollendung, ganz elegant und ohne dass es jemand gemerkt hätte. Die Überführung des nationalen Wohlfahrtstaates in den globalen Wohlfahrtsstaat ist eingeleitet, und wer könnte besser für die Umverteilung sorgen als die supranationalen Gebilde, wie sie sich weltweit als UNO und europaweit als EU gegründet haben? Dass sie demokratisch nicht zu legitimieren sind, ist halt einer jener Widersprüche, um die sich die Träumer einer sozialistischen One-World-Internationale noch nie wirklich geschert haben.

MACHT HOCH DIE TÜR

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