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Kapitel 2 Noch mal zu Hause

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Lina fuhr mit Herrn Fuchs in einem großen weißen Auto mit dem Aufdruck der Stadt und der vielen Werbung. Sie saß in der mittleren Sitzreihe auf einem Kindersitz, der wohl schon sehr alt, jedenfalls aber sehr schmutzig war.

An einer Stelle war der Bezug durchgescheuert oder aufgerissen und Kinderfinger hatten eine Höhle in das Styropor gebohrt.

Herr Fuchs saß schräg vor ihr am Steuer und redete unentwegt: „Es wird dir bestimmt gefallen im Sankt Georg, da gibt es viele Kinder, einige sicher auch in deinem Alter, sicher ist deine Mutter bald wieder gesund, es gibt auch Taschengeld für die Kinder dort und die Erzieher und Erzieherinnen sind sehr nett und unternehmen viel mit den Kindern.

Bestimmt wirst du schnell neue Freundinnen finden und wenn etwas, ist kannst du dich jederzeit bei mir melden.

Ich habe schon öfter Kinder dorthin gebracht.

Was ist eigentlich dein Lieblingsschulfach?

Gehst du eigentlich gerne in die Schule…….“

Lina hatte schon lange nicht mehr zugehört, sie hing ihren eigenen Gedanken nach.

Herr Fuchs roch nach kaltem Kaffee, ein bisschen nach Schweiß und auch etwas nach Apfelshampoo.

Oben hatte er schon eine Glatze, aber an der Seite waren die Haare lang und er hatte versucht die Haare über seine Glatze zu kämmen, eine lange Strähne hing jedoch widerborstig über seinem Ohr.

Herr Fuchs war sehr rot im Gesicht und seit er im Auto angefangen hatte zu sprechen noch roter geworden.

Weil er auch ziemlich schwitzte, glänzte er wie die polierten Äpfel, die es in der Weihnachtszeit immer zu kaufen gab.

Er trug eine Cordhose und ein kariertes Hemd und eine dunkle Lederjacke, die genauso speckig glänzte, wie sein Gesicht.

Neben ihm auf dem Beifahrersitz stand ein alter Aktenkoffer mit einem gelben Aufkleber. So einen hatte Lina schon einmal auf dem Marktplatz am Stand der „Grünen“ gesehen. Damals war sie mit Mama und Jonas an einem Samstag in der Stadt gewesen. Auch Gummibärchen hatte es dort in kleinen Tütchen gegeben und Jonas und sie hatten welche nehmen dürfen.

Komisch, dass sie sich daran erinnerte, denn das war schon einige Zeit her, Lina erinnerte sich genau, dass ihre Mama gelacht und gescherzt hatte und dass sie zum Schluss alle in der Eisdiele einen großen Eisbecher gegessen hatten.

„….Jetzt fahren wir eben noch schnell bei euch vorbei und holen ein paar Kleidungsstücke, etwas Spielzeug und dein Lieblingskuscheltier, wenn du eins hast.

Hast du eine Musikanlage und CDs oder Cassetten?“

Lina nickte. Herr Fuchs sah es durch den Rückspiegel.

„Prima“, sagte er, „dann nehmen wir die auch mit.“

Jetzt waren sie in der Straße angekommen, in der Linas Familie wohnte. Herr Fuchs fand einen Parkplatz direkt vor dem Haus.

Er stieg aus und öffnete die Schiebetür für Lina.

„Geh du nur vor“, sagte er und reichte Lina die Wohnungsschlüssel. „Die hat deine Mama mir gegeben, als ich kurz bei ihr im Krankenhaus war“, erklärte er.

„Ich habe selber welche“, sagte Lina und zog ein grünes Band aus dem Halsausschnitt ihres Sweatshirts. Daran baumelte ein Schlüsselbund mit dem Haus und dem Wohnungsschlüssel, sowie dem „Violetta“ Schlüsselanhänger hervor.

Das Schlüsselband war auch vom „Grünen“ Stand und Lina musste schlucken, als sie schon wieder an diesen schönen und fröhlichen Tag dachte. Sie alle drei…

„Ja sicher, du bist ja schon groß“, stellte Herr Fuchs anerkennend fest.

Kaum waren sie im Hausflur, öffnete sich die Tür von Frau Eberhard.

„Lina….“, sagte sie.

Lina beschleunigte ihren Schritt und sah plötzlich sehr böse drein, nur wegen dieser Petze war Mama schließlich jetzt im Krankenhaus.

Frau Eberhardt schaute unglücklich und wollte etwas sagen.

Herr Fuchs machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Sie haben alles richtig gemacht“, raunte er ihr zu, sodass Lina die schon an ihrer Wohnungstür angekommen war, es nicht hören konnte.

Lina schloss die Tür auf und betrat die Diele.

Dort sah alles aus wie immer.

Im Wohnzimmer roch es nach Zigarettenqualm. Eigentlich rauchte Mama auf dem Balkon und meist auch nur eine oder zwei Zigaretten am Tag. Jetzt aber stand der Aschenbecher -voll von schäbigen Kippen- auf dem Wohnzimmertisch, daneben Mamas BVB-Tasse, noch halb voll mit Kaffee. Mama mochte den BVB eigentlich nur wegen dessen Trainer, Lina interessierte sich gar nicht für Fußball und Jonas war für Schalke, weil der neue Praktikant im Kindergarten auch Schalker war.

Lina nahm die Tasse, um sie in die Küche zu bringen. In der Küchentür wurde sie starr vor Schreck. Die Tasse rutschte ihr aus der Hand und zersprang mit einem lauten Knall in tausend Stücke. Kalter Kaffee spritzte auf Linas Hosenbein: Der gesamte Küchenboden war übersät mit Scherben von Tellern, Tassen und Gläsern.

Die Besteckschublade war ausgeschüttet worden und die gerahmten Bilder mit den Blumenfotografien, die Mama selbst gemacht hatte, lagen zerschmettert dazwischen.

Ganz oben auf dem Chaos aber lag die Keramikkeksdose, die Mama von Oma bekommen hatte, bevor diese gestorben war, die hat sie von ihrer Mutter bekommen und so weiter.

Die Dose war ein großer Schatz und Lina und vor allem Jonas durften nicht alleine an die Dose gehen.

Mama hatte gesagt „irgendwann bekommst du die Dose, Lina mein Schatz, das ist Tradition bei den Frauen unserer Familie“ -Jonas war beleidigt gewesen, hatte eine Schnute gezogen und hatte gemault: „Immer nur Lina!“

„In diesem Fall ja“, hatte Mama bestimmt gesagt und Lina war sehr glücklich gewesen.

Und nun lag sie da, ihre Keksdose und hatte einen Riss vom Boden bis zum oberen Rand und der Deckel mit den schönen Rosenblüten war in tausend Teile zersprungen.

Lina bückte sich und murmelte: „Ich muss aufräumen.“

„Jetzt nicht“, sagte Herr Fuchs sanft und schob sie an der Schulter aus der Küche, „jetzt müssen wir ein paar Sachen zusammenpacken. Hast du eine Reisetasche oder einen Koffer?“

Lina nickte und holte die rote Reisetasche aus der Kammer, an der noch das Namensschild von der Klassenfahrt ins Münsterland vom Schuljahresbeginn baumelte.

Da hatte sie das erste Mal für ein paar Tage woanders geschlafen und obwohl sie zuerst gar nicht mit gewollt hatte, weil es Mama damals schon nicht gut gegangen war, war es doch schön gewesen, auch weil Mama plötzlich ein paar Tage bevor es losging fast wie früher gewesen war. Sie waren sogar zusammen shoppen gewesen war. Jonas war bei Birgit, Mamas bester Freundin gewesen und die beiden „Mädels“, wie Mama sagte, hatten sich einen tollen Nachmittag in der Stadt gemacht. An dem Tag hatte sie die Tasche bekommen und im Café echte Cola trinken dürfen.

Herr Fuchs schaute zu, wie Lina Kleidung in die Tasche packte, dann holte er die Altpapierkiste aus der Kammer, die aber leer war, weil Lina noch gestern beim Container gewesen war.

War das wirklich gestern gewesen? Es kam Lina viel weiter weg vor als nur einen Tag.

„Hier kannst du hineinpacken, was dir sonst noch wichtig ist“, sagte Herr Fuchs. Lina packte den neuesten Band der „Vampirschwestern“ in die Kiste, ihren Wecker, die Schweinchenkarte von Papa, zwei „Bibi und Tina“ CD’s, die sie noch nicht so oft gehört hatte und ihre Lieblings CD von Justin Bieber, die ihre Freundin Jule ihr gebrannt hatte.

Von Jonas Bett nahm sie eins seiner bunten Schnuffeltücher, von denen er mindestens zehn besaß.

Es waren gefärbte Stoffwindeln und sie rochen ein wenig nach dem Mandelöl, mit dem Mama Jonas die trockene Haut einrieb und ein ganz kleines bisschen nach Jonas.

Lina hielt sich das Stück Stoff unter die Nase und sog den vertrauten Duft tief ein. Sorgfältig legte sie das Schnuffeltuch ebenfalls in die Kiste.

Ganz zum Schluss schnappte sie sich noch „Toastbrot“, einen grell lilafarbenen, riesigen Plüschaffen, den sie, als sie ganz klein gewesen war, von der Kirmes bekommen hatte und den sie heiß und innig liebte.

Er gehörte fast so zur Familie wie Jonas und Mama und inzwischen mehr als Papa.

Mehr packte sie nicht ein.

Die Drachen von Sankt Georg

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