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Rock Creek Station

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In der Zeit von 1859 bis in das Frühjahr 1861 hinein, fuhr James Butler Postkutschen und Frachtwagen auf dem Santa Fe Trail hinunter in das New Mexiko-Territorium, eine von dem amerikanischen Händler William Becknell im Jahre 1821 begründete Handelsstraße, die ihren Ausgangspunkt in Independence, Missouri hatte und die in Santa Fe endete.

Über Hickoks Aktivitäten während dieser Zeit ist jedoch nur wenig bekannt. Zwei Legenden haben allerdings die Zeiten überdauert und sollen an dieser Stelle dann auch kurz erwähnt werden. Einer ersten zeitgenössischen Erzählung nach, soll er bei einer seiner Fahrten mit dem berühmten Kundschafter Christopher „Kit“ Carson (1809-1969) zusammengetroffen sein, der ihn in das sündige Nachtleben von Santa Fe eingeführt haben will, wobei er ihn vor den leicht zu habenden mexikanischen Señoritas „gewarnt” haben soll. Darüber hinaus soll er ihm einen Colt-Dragoon-Revolver geschenkt haben und auch kurz vor Carsons Tod, am 23. Mai 1868 in Fort Lyon, Colorado, sollen die beiden Männer nochmals zusammengetroffen sein. Klingt diese Geschichte noch einigermaßen glaubhaft, so steht sie im krassen Gegensatz zu einer weiteren Legende, die man Hickoks früheren Biografen John W. Buel anlasten muss. Laut dessen Erzählung, soll Hickok am Raton Pass in Colorado eine unfreundliche Begegnung mit einer angriffslustigen Bärin gehabt haben, die ihren Nachwuchs beschützen wollte. Nachdem Hickok sämtliche Kugeln aus seinem Revolver abgegeben hatte, ohne die wütende Bärin aufhalten zu können, musste er sich am Ende mit dem Messer gegen das Tier verteidigen, das sich mittlerweile in seinen Arm verbissen hatte. Nach hartem Ringen gelang es Hickok am Ende doch noch, seinen pelzigen Gegner zu erlegen, war aber bei dem zurückliegenden Kampf derart zerzaust und angenagt worden, dass seine Gefährten ihn in einen Wagen legen und ihn nach Santa Fe transportieren mussten, wo ihm die nötige ärztliche Hilfe angedeiht wurde. Eine dramatische Geschichte, die allerdings den kleinen Schönheitsfehler hatte, das sie lediglich Buels blühender Fantasie entsprungen gewesen war, wie spätere Biografen, unter ihnen auch Joseph G. Rosa, herausgefunden hatten. Im Winter 1859 jedenfalls war Hickok gesund und munter wieder nach Kansas zurückgekehrt, wo er aller Wahrscheinlichkeit nach erneut mit Buffalo Bill Cody zusammentraf, der wenig später beim berühmt gewordenen Pony-Express Karriere machen sollte.

Der von William Hephurn Russell (1812-1872) ins Leben gerufene Pony-Express wurde am 03. April 1860 offiziell in Dienst gestellt und Ziel des Unternehmens war es, Briefpost binnen von zehn Tagen zu Pferd von St. Joseph, Missouri bis nach Sacramento in Kalifornien und umgekehrt die dortige Post in der gleichen Zeit nach St. Joseph zu transportieren. Die Entfernung, die es dabei zu überwinden galt, war gewaltig. Runde 3.150 km weit führte die Strecke durch zerklüftete Gebirge, endlose Prärien und glutheiße Wüsten, wobei die Reiter zunächst dem North Platte River folgten, den South Pass in den Rocky Mountains überquerten, um anschließend das heutige Utah und die Sierra Nevada durchschneidend, in Sacramento anzukommen. Entlang dieser Route gab es 25 feste Gebäude, bei denen sich die Reiter ca. alle 120 km auf ihrem harten Ritt ablösten, sowie 165 Wechselstationen, wo die Reiter ca. alle 24 km ihr müde gerittenes Pferd wechselten. Waisen, jung, dünn und drahtig, die bereit waren, täglich ihr Leben zu riskieren, wurden als Express-Reiter bevorzugt - Kriterien, die Hickok im Gegensatz zu seinem jugendlichen Freund Bill Cody nur zum Teil erfüllte. Zwar war er um diese Zeit herum tatsächlich noch unverheiratet gewesen, doch als möglicher Reiter für den Pony-Express war er zu groß und auch zu schwer gewesen, sodass er weiterhin Frachtwagen nach New Mexiko hinunterfuhr.

Im September 1860 soll Hickok mit dem ebenfalls berüchtigten Revolverschwinger Joseph Alfred „Jack“ Slade (1824-1864) aneinandergeraten sein. In jenem Monat stahl eine Horde Indianer bei Plant's Station, Nebraska eine Pferdeherde des Pony-Express und einige beherzte Männer mit Hickok an der Spitze nahm die Verfolgung der Räuber auf. Am Clear Creek gelang es ihnen schließlich auch, sich die Pferdeherde zurückzuholen, nachdem sie das Indianercamp aufgespürt hatten. Am Ende befanden sich auch rund acht Dutzend Indianerponys unter den erbeuteten Tieren. Bei der sich anschließenden Siegesfeier in der Sweetwater-Bridge-Station, soll laut Berichten auch Slade kurz vorbeigeschaut haben, wobei er wenig später mit einem Postkutschenfahrer in Streit geriet, den er kurzerhand mit seinem Sechsschüsser über den Haufen schoss, womit die Party ihr abruptes und unappetitliches Ende gefunden hatte. Zwischen Slade und Hickok kam es jedoch zu keinerlei Auseinandersetzung. Slade selber wurde nur vier Jahre später am 10. März 1864 im Territorium von Montana von Vigilanten wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Ruhe gehängt und am 20. Juli 1864 in Salt Lake City, Utah zur letzten Ruhe gebettet.

Anfang März 1861 wurde Hickok, der zu dieser Zeit an irgendeiner Art von Verletzung am Bein laborierte, von Russell, Majors & Waddell zur Rock Creek Station im Nebraska-Territorium versetzt, wo er bis zu seiner vollständigen Genesung leichtere Arbeiten übernehmen sollte. Inzwischen war das von William Hephurn Russell, Alexander Majors (1814-1900) und William Bradford Waddell (1807-1872) im Jahre 1855 gegründete Unternehmen arg ins finanzielle Schlingern geraten, da die Kosten der Transportfirma weitaus höher als die erwirtschafteten Gewinne gewesen waren. Das endgültige Ende kam dann im Februar 1862, als der gewiefte als auch skrupellose Transportunternehmer Ben Holladay das Unternehmen übernahm, derweil der Pony-Express bereits am 26. Oktober 1861 sein jähes Ende gefunden hatte, nachdem man zwei Tage zuvor die transkontinentale Telegrafenlinie fertiggestellt hatte. Zu jener Zeit also, als es mit Russell und seinen Geschäftspartnern langsam aber stetig bergab ging, traf Hickok auf der Rock Creek Station ein, wo es zu jener obskuren und für ihn im Nachhinein wenig rühmlichen Schießerei kommen sollte, die seinen Mythos als Revolverheld eindrucksvoll ins Leben rief, aber auch als typisches Beispiel dafür gelten mag, wie die Wahrheit und Legende des Öfteren weit auseinanderklaffen. Fangen wir daher mit letzterer an und lauschen dabei Hickoks eigenen Worten, als er dem Colonel George Ward Nichols im Herbst 1865 in Springfield folgendes Interview zu diesem Ereignis gab:

McCanles war der Captain einer Bande von (...) Mördern und Halsabschneidern, die jedermann im Grenzgebiet terrorisierte (…) McCanles war der größte Schurke und Tyrann von ihnen allen und ein Aufschneider dazu (…) Er und seine Bande gehörten während des Kansas-Bürgerkrieges zu den Border Ruffians und es stimmt, dass sie zu den Konföderierten gehörten (…) Es war 1861, als ich eine Kompanie Kavallerie aus Fort Floyd als Kundschafter begleitete. Wir hatten die Grenze von Kansas überschritten und befanden uns nun im Süden von Nebraska. Eines Nachmittags verließ ich das Lager, um anschließend eine alte Freundin von mir, Mrs. Waltman, zu besuchen. Ich nahm lediglich einen Revolver mit und obgleich der Bürgerkrieg ausgebrochen war, glaubte ich nicht, dass ich die Waffe benötigen würde (…) Ich sah einige wilde Truthühner auf der Straße und schoss mir einen. Ich dachte bei mir, dass das Tier ein gutes Abendessen abgeben würde. Ich erreichte dann Mrs. Waltmans Haus (...) und betrat anschließend die Hütte durch den Vordereingang. Ich fragte Mrs. Waltman, wie es ihr ginge? Als sie mich bemerkte, wurde sie weiß wie ein Bettlaken und rief: 'Bist du das, Bill? Oh, Gott! Sie wollen dich töten!' Auf die Frage, wer mich töten wolle?, antwortete Mrs. Waltman: 'McCanles und seine Bande. Sie seien zu zehnt und ich hätte keinerlei Chance (…)' Doch es war zu spät, die Bande kam bereits die Straße hinauf (…) Ich lud meinen Revolver (...) als ich McCanles rufen hörte: 'Dort steht das Pferd von diesem Yankee Wild Bill. Er ist hier und wir werden ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen', woraufhin ich bei mir dachte, dass ich diesen Raum nicht lebend verlassen würde (…) McCanles rief: 'Umstellt das Haus und gebt keine Gnade!' (…) Ich schaute mich im Zimmer um und entdeckte einen alten Hawkins-Riffle, der über dem Bett hing. Ich behielt die Tür im Auge und just in diesem Augenblick steckte McCanles seinen Kopf durch den Türrahmen. Als er das Gewehr in meiner Hand sah, sprang er schnell zurück. Ich rief: 'Komm herein und kämpfe mit mir, du feiger Hund!' (…) Er sprang mit angelegtem Gewehr in den Raum, aber er war nicht schnell genug gewesen. Meine Gewehrkugel traf ihn ins Herz und er fiel rückwärts hinaus.“

Anschließend schilderte Hickok den weiteren Verlauf, wobei er nach eigenem Bekunden an diesem Tag wie ein Berserker gekämpft hatte und weiter:

Eins-zwei-drei-vier und vier Mann gingen zu Boden, doch das stoppte nicht den Rest der Bande (…) Zwei feuerten mit ihrer Schrotflinte auf mich (...) einen schlug ich mit der Faust nieder und dachte dabei: Für eine Zeit lang bist du außer Gefecht. Den zweiten schoss ich tot. Die anderen drei drückten mich auf das Bett. Ich kämpfte heftig und brach einem Mann den Arm (…) Bevor ich auf die Beine kam, erhielt ich einen Kolbenschlag auf die Brust und spürte, wie mir das Blut aus Mund und Nase lief. Ich wurde wütend und ich kann mich erinnern, wie ich ein Messer zu packen bekam (…) Ich war wild und ich stach um mich (...) bis ich wusste, dass alle tot waren. Ich blutete überall (...) Ich schleppte mich zum Brunnen und trank aus einem Eimer, dann fiel ich bewusstlos hin.“

Rosa, „THE CALLED HIM WILD BILL“, S. 34-36

Nichols schien überzeugt davon gewesen zu sein, dass diese Geschichte keinerlei Wahrheitsüberprüfung bedurfte, sie klang in seinen Augen zu überzeugend, als dass sie hätte frei erfunden sein können. Folgerichtig erschien im Februar 1867 ein Artikel mit Hickoks Version im „New Harper´s Magazine“ (Vol. XXXIV No. CCI), der seinen Ruf als Revolvermann eindrucksvoll ins Leben rief und seinen Namen auch bei den Menschen, die im Osten der USA lebten, berühmt machte. Hickoks Biograf J.W. Buel fand sich später sogar noch bemüßigt, dieses Ereignis weiter auszuschmücken und zu „vergrausamen“, indem er festhielt, dass Hickok von sieben Revolverkugeln, anstelle einer Schrotladung getroffen worden war und dass er durch den Kolbenschlag einen Schädelbruch erlitten hatte. Dazu kamen noch drei Messerschnitte und ein bis auf die Knochen aufgeschlitzter Unterarm hinzu. In einer Ergänzung dieser Biografie, die im Jahre 1882 veröffentlicht wurde, kamen auch noch eine aufgeschlitzte Wange und ein fast abgetrennter Stirnhautlappen hinzu, der Hickok während des Kampfes über die Augen gehangen und ihm somit die Sicht geraubt hatte. Kurz vor der Veröffentlichung des Artikels durch das „Harper's New Monthly Magazine“, schrieb der in Springfield ansässige „Weekly Missouri Patriot“ am 31. Januar 1867 kritisch:

Wir müssen leider sagen, dass die anschauliche Erzählung über den schrecklichen Kampf bei Mrs. Waltman, bei dem Wild Bill völlig auf sich alleine gestellt, den Bandenführer McKandless und zehn seiner Männer getötet hatte (...) nur wenig zuverlässig erscheint. Die Fakten, die sich über diesen Kampf zusammentragen lassen, besagen, dass (...) Wild Bill einen McKandless und zwei weitere Männer getötet hatte, die ihn angegriffen hatten. Aus diesem kleinen Rinnsal wurde mit den Tagen, Wochen und Monaten ein großer geschichtshistorischer Strom, und wenn viele so salzig sind, wie dieser eine, so mag es nicht verwundern, wenn am Ende auch der Hauptstrom brackig wird (…) Wild Bill war niemals an dem von ihm geschilderten Ort, wie es uns der illustrierte Holzschnitt weiszumachen versucht (…) Wir müssen Bill wohl zu der Tatsache gratulieren, dass Bild und Geschichte wohl eher nicht der Wahrheit entsprechen.“

Rosa, „THE CALLED HIM WILD BILL“, S.37

Tatsächlich liefert dieser Artikel einen brauchbaren Hinweis darauf, was sich am besagten Tag im Juli 1861 auf der Rock Creek Station wirklich abgespielt und was am Ende zehn konföderierten Buschräubern das Leben gekostet haben soll. Kommen wir daher zu den annähernd wahren Geschehnissen, die im völligen Kontrast zu dem stehen, was uns Wild Bill mit seiner Darstellung der Dinge hier weiszumachen versucht hatte:

David Colbert McCanles wurde am 30. November 1828 im Iredell County, North Carolina geboren. 1849 heiratete er Mary Green, die Tochter eines Nachbarn und ließ sich 1853 als Kandidat für die Wahl zum Deputy Sheriff des Watauga-Countys aufstellen, die er am Ende dann auch gewann. 1856 gewann er auch die Sheriffwahl, musste aber bald darauf Stadt und Land verlassen, weil er, sein Bruder James Alexander Leroy, als auch sein Amtsvorgänger Jack Horton angeblich illegal Steuergelder aus dem Stadtsäckel für sich abgezweigt haben sollen. Zusammen mit einer gewissen Sarah Shull, die auch als Sarah bzw. Kate Shell betitelt wurde, bestieg er einen Raddampfer, der ihn, wie einst Hickok vor ihm, 1859 auf dem Missouri westwärts bis nach Leavenworth brachte:

Sarah Shull kam zusammen mit sechs Männern in den Westen. Sie und McCanles blieben in Rock Creek, während die anderen weiter nach Colorado zogen (…) Sarah Shull wurde am 03. Oktober 1833 als Tochter von Philip Shull und seiner Frau Phoebe Ward im Watauga County geboren.“

Rosa, „THE CALLED HIM WILD BILL“, S. 40

Seinen ursprünglichen Plan, nach Colorado zu gehen, um dort nach Gold zu suchen, ließ David McCanles schnell wieder fallen, als er die Planwagen-Kolonnen und die enttäuschten Gesichter ihrer Besitzer sah, die ihm auf dem Weg nach dorthin entgegen rollten. Stattdessen erwarb er sich am Rock Creek in Nebraska von einem gewissen William N. Glenn eine kleine Ranch, die als Postkutschen- und Pony-Express-Station diente. Während des Sommers 1859 errichtete er auf der Ostseite des Rock Creek eine neue Ranch und bohrte einen Brunnen auf dem Anwesen. Während dieser Zeit lebte Sarah Shull auf der Original Ranch, die auch als Westside Ranch bekannt gewesen war.

Zeitgenossen beschrieben David McCanles als einen bullig gebauten Mann, mit einem derben, eigenwilligen Humor, der nicht jedermanns Geschmack gewesen war. Rau und direkt in seiner Art hatte er, im Gegensatz zu Hickoks späteren Ausführungen, weder einen Menschen im Kampf getötet, noch jemanden aus dem Hinterhalt heraus gemeuchelt, geschweige denn, dass er jemals der Anführer irgendeiner Bande von Konföderierten gewesen war. Zwischen dem Juli und August 1859 jedenfalls war das neue zu Hause fertiggestellt und so schrieb er einen Brief an seinem Bruder James Alexander Leroy, in dem er ihn bat, ebenfalls nach Nebraska zu kommen. Am 20. September traf dieser dann schließlich zusammen mit David McCanles Ehefrau Mary Green, dem gemeinsamen Sohn William Monroe, dem Cousin James Woods und einem Waisenjungen namens Billy Hughes auf der Rock Creek Station ein, wo letzterer bald darauf an Typhus erkrankte und wenig später verstarb. Die allgemeine Wiedersehensfreude wurde jedoch deutlich dadurch getrübt, als Mrs. Green erfuhr, dass Sarah Shull auf dem anderen Teil des Anwesens lebte. David McCanles versuchte seine aufgebrachte Frau zu beruhigen, wobei er ihr zu erklären versuchte, dass zwischen ihm und ihr nichts gewesen wäre, eine Aussage, der Mrs. Green wohl eher wenig Glauben geschenkt haben dürfte. Folgerichtig verbot sie ihrer Nebenbuhlerin dann auch das Haus auf der Eastside-Ranch, während ihr Ehemann ihr wohl oder übel versprechen musste, sich nicht mehr mit Sarah Shull zu treffen.

Im April 1861 verkaufte McCanles die Eastside Ranch an Russell, Majors & Waddell, stellte diesen Vertrag allerdings unter Eigentumsvorbehalt, und zwar so lange, bis die Company die volle Kaufsumme entrichtet hatte. Die Tilgung selber sollte in drei Monatsraten erfolgen. James Butler Hickok erreichte zu Beginn des Monats März 1861 die Rock Creek Station und übernahm dort leichtere Arbeiten, da er aufgrund seiner zurückliegenden Verletzung seinen linken Arm nicht richtig gebrauchen konnte. Außerdem hinkte er auf einem Bein, sodass er schnell das Opfer des derben Humors des Ranchers wurde, der Hickok wegen dessen Behinderung als „Duck Bill“ verspottete oder ihn mit seinen beiden Armen umschlang und zu Boden drückte. Erst als Hickoks Verletzungen langsam zu heilen begannen, ließ der Rancher von ihm ab und begann sich nach neuen „Opfern“ seiner eigenwilligen Späße umzusehen. Die weitaus gewichtigeren Animositäten zwischen Hickok und McCanles hatten jedoch andere Gründe und begannen von jenem Augenblick an, als ersterer ein Auge auf Sarah Shull geworfen hatte und diese wohl nicht abgeneigt gewesen war, dessen Gefühle ihr gegenüber zu erwidern, zumal sich ihr Verhältnis zu David McCanles in letzter Zeit doch um einige Grade abgekühlt hatte, seit dessen Frau auf der Ranch eingetroffen war. Den Verdruss des Ranchers mag man nur erahnen und so verbot er Hickok den zukünftigen Umgang mit Mrs. Shull und drohte ihm für den Fall der Zuwiderhandlung eine ordentliche Tracht Prügel an.

Anfang Mai traf ein neuer Stationsvorsteher namens Horace Wellman zusammen mit seiner Frau Jane auf der Rock Creek Station ein, um die dortige Leitung zu übernehmen. Als der Monat Juni ins Land ging, wartete McCanles noch immer vergebens auf das restliche Geld der Company und Ende Juni setzte der gereizte Rancher Wellman die Pistole auf die Brust und drohte mit der Stornierung des Kaufvertrages. Wellman erbat sich etwas Zeit und machte sich am 01. Juli 1861 zusammen mit William Monroe McCanles auf dem Weg nach Brownsville, wo sich die nächstgelegene Agentur der Overland Stage Company befand. Das Gesprächsergebnis dort war allerdings mehr als ernüchternd. Russells Unternehmen war so gut wie Pleite gewesen und es gab kaum noch etwas Verwertbares, geschweige denn Geld, was man von dem Transportunternehmen noch hätte eintreiben können. Am Nachmittag des 11. Juli erreichten die beiden wieder die Rock Creek Station und Wellman erklärte McCanles den ganzen Sachverhalt. Wie zu erwarten, schäumte der Rancher vor Wut und nach dem Prinzip des Faustrechtes beschloss er, Wellman und alle anderen, darunter auch Hickok, von der Rock Creek Ranch zu vertreiben, das entsprach im Groben und Ganzen seiner Auffassung von Recht und Gerechtigkeit.

Am Nachmittag des 12. Juli 1861 begab er sich zusammen mit seinem Sohn, dem Cousin James Woods und einem weiteren Arbeiter namens James Gordon zu Wellman, um seinen guten Vorsätzen nun auch Taten folgen zu lassen. Bei Rock Creek angekommen, stiegen die Männer aus den Sätteln ihrer Pferde und während Vater und Sohn in Richtung des Wohngebäudes gingen, blieben die anderen beiden Männer abwartend bei den Pferdegattern zurück. Als die beiden einen der beiden Eingänge des Wohnhauses erreicht hatten, rief David McCanles nach Wellman, der es aber angesichts der Drohgebärden des Ranchers vorgezogen hatte, im Inneren des Gebäudes zu bleiben. Statt seiner erschien aber Jane Wellman vor der Tür, mit deren Vater sich McCanles zwischenzeitlich auch schon überworfen hatte. Demzufolge beschimpfte sie nun den Rancher, der aber geflissentlich über ihre Worte hinweg hörte und weiterhin nach Wellman verlangte. Plötzlich jedoch erschien Hickok an der Haustür, woraufhin McCanles ihn anfuhr und meinte, dass ihm die ganze Sache hier mit Wellman nichts angehe und dass, wenn er sich hier einzumischen gedachte, sie das gleich vor Ort wie Männer regeln könnten. Hickok murmelte eine kurze Antwort, woraufhin der Rancher fragte, ob sie noch Freunde wären und dass er das wissen müsse: „Sind wir es, Hickok?“ Hickok antwortete: „Ich schätze schon“, woraufhin McCanles ihm auftrug, Wellman endlich vor die Tür zu holen. Hickok wandte sich um und ging wieder ins Gebäude zurück, doch auch in den nächsten Minuten ließ sich Wellman nicht blicken. Schließlich war es um die Geduld des Ranchers endgültig geschehen und so betrat er das Haus durch den Südeingang, wo er sah, dass sich Hickok gerade mit Wellman unterhielt. Trotz der gereizten Stimmung, in der er sich befand, verlangte er nach einem Schluck Wasser, welches ihm Hickok in einer Kaffeetasse reichte. Nachdem er seinen Durst gelöscht und seine Stimmbänder ausreichend befeuchtet hatte, begann er sich Wellman verbal zur Brust zu nehmen, während Hickok hinter einem Vorhang verschwand, der den Wohnraum von dem daneben befindlichen Schlafraum abgrenzte. McCanles, dem plötzlich ein ungutes Gefühl beschlich, unterbrach sein Gespräch mit dem Stationsvorsteher und wies Hickok an, augenblicklich hinter dem Vorhang hervorzutreten und wie ein Mann zu kämpfen, falls er etwas gegen ihn, McCanles, hätte. Als Antwort dröhnte ein Knall durch den Raum und tödlich von der Kugel in Brust und Herz getroffen, torkelte der Rancher einige Schritte rückwärts, bevor er schließlich sterbend zu Boden sank. Hastige Schritte waren zu hören, als William Monroe in den Raum gestürzt kam und sich über seinem Vater beugte, ohne jedoch noch etwas für ihn tun zu können.

Woods und Gordon hatten sich nach dem Schuss fragend angesehen und sich schließlich in Richtung des Wohngebäudes hin bewegt. Woods betrat schließlich den Raum, um zu schauen, was passiert war. Als Hickok seiner Person gewahr wurde, zog er seinen Revolver und schoss ohne zu zögern. Eine der Kugeln traf Woods, der panisch kehrtmachte und geschockt davonstolperte. In einem Unkrautbeet nahe dem Wohngebäude brach er schließlich zusammen und wurde dort von der mittlerweile hysterisch schreienden Jane Wellman mit den Worten: „Tötet sie! Tötet sie alle!“ mittels einer in der Nähe herumliegenden Gartenhacke erschlagen. Anschließend begab sie sich zurück ins Wohnhaus und wandte sich nun Monroe McCanles zu, der immer noch bei seinem Vater kniete, einen Schlag mit der Hacke ausweichen konnte und danach rasch die Beine in die Hand nahm, als er die pure Mordlust in Jane Wellmans Augen sah. Unverletzt erreichte er später die drei Meilen weiter südlich befindliche heimatliche Ranch. Als James Gordon seinerseits sah, wie der angeschossene Woods aus dem Gebäude stolperte, beschloss er, dass dies hier nicht sein Kampf sei und so suchte er sein Heil in der Flucht. Hickok schoss einige Kugeln aus seinem Revolver hinter ihm her und eine davon erwischte Gordon am Rücken.

Kurz nach den Schüssen trafen zwei weitere Männer, nämlich der Postkutschenfahrer George Hulbert sowie der Pony-Express-Reiter James W. „Doc“ Brink, von den Pferdeställen aus kommend, am Ort des Geschehens ein und erkundigten sich bei Wellman und Hickok, was um alles in der Welt denn passiert sei? Wenig später ließen die Männer einen Bluthund von der Leine, der die Spur des verwundeten Gordon aufnahm, der versuchte, sich zum nahegelegenen Rock Creek zu schleppen. Dort fanden ihn am Ende auch seine Häscher und Doc Brink schoss ihm eine Schrotladung in den Leib, die Gordons Leben ein abruptes Ende setzte. Seinen durchsiebten Körper verscharrte man der Einfachheit halber gleich vor Ort, während David McCanles und James Woods zunächst auf dem sogenannten Soldier Hill ihre vorläufige Ruhestätte fanden. 20 Jahre später wurden ihre Körper jedoch exhumiert und auf dem Friedhof von Fairburry endgültig beigesetzt.

Nach den Schüssen kehrten die Männer wieder zur Ranch zurück und trafen dort auf einen weiteren McCanles-Mann namens Joseph „Joe“ Baker. Hickok, noch ganz im Blutrausch und in Rage, wollte ihn sofort erschießen, doch als Bakers Schwiegertochter Sarah Kelsey um dessen Leben flehte, ließ Hickok sich „erweichen“ und zog Baker lediglich den Lauf seines Revolvers über den Schädel, sodass dieser stöhnend zu Boden sank und mit glasigen Augen in den sonnigen Himmel Nebraskas blickte. Damit war das blutige Gemetzel schließlich vorüber gewesen und Doc Brink, Wellman und Hickok wurden auf Drängen von James Alexander Leroy McCanles am 15. Juli vom Sheriff des Gage Countys, E.B. Hendee verhaftet und nach Beatrice gebracht. Bei der anschließenden Anhörung vor dem Friedensrichter T. M. Coulter, behaupteten alle drei Männer, dass sie in Selbstverteidigung gehandelt hätten, um das Eigentum der Company vor David McCanles und seinen Männern zu schützen. Aufgrund dessen wurden schließlich alle drei wieder auf freiem Fuß gesetzt, zu einer Gerichtsverhandlung sollte es nicht mehr kommen. Der beantragten Aussage eines wichtigen Augenzeugen der Schießerei, nämlich Monroe McCanles, wurde nicht entsprochen, er war nach dem Gesetz von Nebraska vom Alter her zu jung für eine Zeugenaussage gewesen. Sarah Shull, die sich am Tattag ebenfalls auf der Station aufgehalten hatte, hatte noch am gleichen Tag (auf Anraten Hickoks?) eine Postkutsche bestiegen und war in der Folgezeit unauffindbar geblieben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spürte der Biograf Frank J. Wilstach die mittlerweile 93-Jährige auf und versuchte die Wahrheit über die Episode am Rock Creek aus ihr „herauszukitzeln“, doch Shull nahm Hickok in Schutz und behauptete in dem Interview, sie wäre während der Schießerei überhaupt nicht anwesend gewesen und weiter, dass Hickok McCanles in Selbstverteidigung erschossen habe, Geldprobleme dabei keine Rolle gespielt hatten und dass McCanles ein Pferdedieb der Konföderierten gewesen sei. Spätere Hickok-Biografen, wie Richard O´Connor, Eugene Cunningham und nicht zuletzt auch Joseph G. Rosa beurteilten ihre Aussage jedoch als nicht glaubwürdig.

Viele Fragen zu diesem Ereignis bleiben somit unbeantwortet, so auch jene, ob die McCanles-Fraktion an jenem Tage bewaffnet gewesen war, oder nicht? McCanles soll eine Schrotflinte bei sich geführt haben, da er fest entschlossen gewesen war, die Sache mit Gewalt auszutragen, doch warum hatte er seinen 12-jährigen Sohn William Monroe mit auf den Ritt zur Station genommen, wenn er gewusst hatte, dass ein solcher Waffengang bevorgestanden hätte? Warum hatte Woods irritiert und unbewaffnet das Haus betreten, um nach dem Rechten zu schauen? Warum hatte James Gordon keinerlei Anstalten gemacht, aktiv in dem Kampf einzugreifen? Warum hatte keiner der drei Männer überhaupt einen Schuss abgefeuert, wenn doch alle wild zum Kampf entschlossen gewesen waren? Fragen, die viele Antworten offen lassen. Und so bleibt am Ende dann auch wenig übrig von Hickoks heldenhaften Kampf gegen die konföderierte McCanles-Gang, wo er auf sich alleine gestellt zehn Gegner getötet haben will. Das Ganze war mit Sicherheit ein blutiges Gemetzel gewesen, allerdings ein sehr einseitiges, denn Hickok selber hatte dabei nicht einen Kratzer abbekommen. Keine Spur von einer Schrotladung, etlichen Messerstichen oder ein entstelltes Gesicht, wo ihm der Stirnhauthappen heruntergehangen haben soll, während er verzweifelt um sein Leben gekämpft hatte. Das Ganze war dann wohl eher ein Racheakt Hickoks gegen David McCanles gewesen, der durch die Legendenbildung, basierend auf seinen „Lebenserinnerungen“ an dieses Ereignis, zu einer seiner heldenhaftesten Taten umgemünzt worden war. Und, um dieses „Legenden-Süppchen“ noch weiter zu verwässern, brach auf dem Tag genau, drei Monate vor der Schießerei auf Rock Creek, am 12. April 1861, der Amerikanische Bürgerkrieg aus, der vier blutige Jahre lang andauern sollte. Das Interesse der Menschen, auch in Nebraska, wandte sich schnell diesem Bruderkrieg zwischen dem Süden und Norden zu, während im gleichen Zuge das McCanles-Massaker mehr und mehr der Vergangenheit anheimfiel. Hickok selber hatte es klugerweise vorgezogen, Nebraska so schnell als möglich den Rücken zu kehren, um sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzuschauen, mit dem wir uns nachfolgend weiter beschäftigen wollen.

Wild Bill Hickok

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