Читать книгу Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel - Michael Schenk - Страница 7

Kapitel 5

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Die drei Elfen blickten über die große Bucht, die sich vor ihnen erstreckte. Sie

war von einem Strand in der Form eines Halbmondes gesäumt, dessen Enden

zum Meer wiesen und einander fast berührten, sodass nur ein schmaler

Wasserweg das offene Meer mit der geschützten Bucht verband. Der Strand

bestand aus feinstem weißem Sand, und so nannte das elfische Volk diesen

Ort die »Weißen Sände«. Hier hatten die Häuser der Elfen der See ihre Stadt

errichtet, und hier bauten sie ihre Schiffe.


Unmittelbar neben dem Strand erhoben sich schroffe Klippen, an deren

Innenseiten sich die Häuser des Elfenvolkes befanden. Diese wirkten grazil

und waren untereinander und mit dem Boden durch eine Vielzahl schmaler

Treppen verbunden.


Unten am Strand gab es nur wenige Gebäude, denn die Elfen wollten die

Schönheit der Weißen Sände nicht unnötig beeinträchtigen. Lange Stege

schoben sich hier in das Wasser der Bucht hinaus, und an ihnen lagen die

Schiffe des Elfenvolkes. Über Äonen hinweg waren es nur wenige gewesen,

aber jetzt wuchs ihre Zahl rasch, und ein großer Teil der Bucht war bereits mit

ihren Rümpfen angefüllt. Das Volk bereitete sich auf die große Reise in die

ferne neue Heimat vor.


Für Lotaras und Leoryn, die Geschwister aus dem Hause Elodarion, war

der Anblick der Weißen Sände nicht neu. Vor einigen Jahreswenden waren

sie von hier aus in See gestochen, als es darum ging, am Hofe des

Pferdekönigs Reyodem Neuigkeiten über das verschollen geglaubte elfische

Haus des Urbaums zu erfahren. Diesmal jedoch galt ihr Besuch einem ganz

bestimmten Schiff, und ebendies war auch der Grund, warum Elodarion, ihr

Vater und der Älteste ihres Hauses, seine Kinder auf dieser Reise begleitete.


Elodarion wirkte kaum älter als die beiden Geschwister, obwohl er zu den

ältesten Elfen gehörte. Aber noch immer wirkten seine Züge jung, und seine

Bewegungen waren geschmeidig. Die weich fließenden Gewänder, welche

die Körper der drei Elfen umhüllten, schimmerten in den blauen und grünen

Schattierungen, die für die Häuser des Waldes typisch waren. Darüber trugen

sie die zartblauen Umhänge der Elfen des Waldes und einen schmalen

goldenen Stirnreif mit einer Lilie aus Kristall, dem Symbol des Hauses

Elodarion.


Sie führten keine Waffen mit sich, wenn man einmal von Lotaras’

Langbogen absah. Nichts bedrohte einen Waldelfen im Gebiet seiner Häuser,

denn selbst die großen Pelzbeißer hielten respektvollen Abstand. Lotaras hatte

sich zudem die große Tasche mit den Reisevorräten umgehängt, denn sie

hatten den Weg zu Fuß zurückgelegt. Natürlich hätten sie reiten können, aber

sie alle hatten es genossen, die Strukturen des Bodens unter ihren nackten

Fußsohlen zu spüren. Erst in Sichtweite der Weißen Sände hatten sie ihr

Schuhwerk wieder angelegt.


»Ich habe die Bucht nun schon so oft gesehen«, bekannte Elodarion, »doch

der Anblick des Meeres fasziniert mich immer wieder aufs Neue.«


»Ja, der Anblick ist ganz nett«, seufzte Lotaras.


Seine Schwester Leoryn, die wie er kaum mehr als fünfhundert

Jahreswenden alt war, lachte fröhlich auf. »Er schätzt das Meer nicht

besonders, mein Vater. Als wir das Volk der Seeelfen zum ersten Mal

besuchten und mit einem seiner Schiffe fuhren, wurde ihm übel.«


»Es hat gewackelt«, erwiderte Lotaras errötend.


Elodarion lächelte sanft. »Ein alter Freund von mir sagt immer, man muss

mit den Bewegungen des Wassers und des Schiffes in Harmonie sein.« Er

lachte gut gelaunt. »Es ist nicht bedeutend anders, als auf dem Rücken eines

Pferdes zu sitzen.«


»Der Rücken eines Pferdes ist trocken. Das Meer hingegen ist nass«,

wandte Lotaras ein.


Sie standen ein Stück oberhalb des Strandes an einer der kleinen

Plattformen, die einen wundervollen Ausblick über die Bucht und das Meer

boten. Elodarion wies in die Bucht hinunter. »Das muss es sein. Das erste

Schiff von vielen, die unser Volk zu den Neuen Ufern tragen werden. Kommt,

Kinder, lasst uns hinuntergehen. Ich bin gespannt, was sich die Elfen der See

haben einfallen lassen.«


Das Wasser der Bucht schimmerte kristallklar, und so konnte man von

oben den Reichtum an Pflanzen und Fischen erkennen, der sich darin

entfaltete. Je tiefer die drei Elfen auf ihrem Weg zum Strand kamen, desto

stärker schimmerte die Oberfläche in grünen und blauen Farben. Eine frische

Brise ließ ihre langen weißblonden Haare auswehen und brachte den leicht

salzigen Geruch der See heran.


Der Weg, dem sie folgten, führte sie an der Innenseite der Klippe entlang

hinunter zur Mitte der Bucht und zu den Schiffen. Die Elfen der See hatten

drei verschiedene Schiffstypen entwickelt, in welche die im Laufe von Äonen

erlangten Fähigkeiten ihrer Erbauer eingeflossen waren.


Ein Pfeilschiff wirkte mit seinem einzelnen Mast zierlich und fast

verspielt. Es diente der raschen Erkundung des Meeres. Die größeren

Transporter waren fast dreimal so groß. Sie besaßen zwei Masten und größere

Segel, da sie auch mehr Last trugen. Viele waren bereits umgebaut worden

und weitere würden folgen, denn bald würden diese mächtigen Schiffe nicht

mehr nur Waren, sondern auch Passagiere über das Meer tragen.


Den dritten Schiffstyp bildeten die schnellen, starken Kampfschiffe, von

denen es nur wenige gab. Mit ihrem scharfen, extra bewehrten Bug waren sie

in der Lage, ein feindliches Schiff zu zerschneiden. Aber ihre eigentliche

Waffe bestand in den zwei Feuerrohren, die sich an Bug und Heck befanden.

Sie versprühten einen Strahl aus Feuer, der feindliche Schiffe verbrannte und

dem Schiffstyp die Bezeichnung »Flammschiff« eingebracht hatte. Es war ein

Feuer, das sich mit Wasser nicht löschen ließ, und die Elfen gingen sorgsam

damit um. Denn selbst sie, mit all ihrem alten Wissen, vermochten seine

Flammen nicht zu ersticken.


Diese drei Schiffstypen hatten dem elfischen Volk lange und gut gedient,

doch nun war eine neue Konstruktion hinzugekommen, die den

Anforderungen der langen Reise zu den Neuen Ufern standhalten sollte.


Elodarion winkte einer Gruppe Elfen zu, die am Ufer der Bucht standen

und den Ankömmlingen neugierig entgegenblickten. Die Männer und Frauen

trugen kürzere Gewänder, wie sie bei den Häusern der See üblich waren. Die

Muster waren den Schuppen der Fische und den Schalen von Muscheln

nachempfunden, und im Gegensatz zu den Waldelfen bevorzugten die Häuser

der See leuchtende und kräftige Farben.


Ein Mann in der Gruppe beschattete seine Augen gegen die grelle Sonne

und trat dann lächelnd hervor. Die Füße des Seeelfen waren bloß und wiesen

an den Sohlen dicke Schwielen auf, denn als Seefahrer legten sie Wert darauf,

ein Schiff und seine Bewegungen zu spüren. Daher verzichteten sie auf

störendes Schuhwerk, das sie auch an Land nicht anlegten.


Lotaras stieß ein leises Brummen aus. »Ich kenne den Mann.«


»Das will ich meinen.« Leoryn schob ihre Tasche mit den Utensilien ihres

Heilerstandes auf den Rücken und lachte fröhlich auf. »Das ist Gendrion, der

Steuermann der ›Sturmschwinge‹.«


Elodarion streckte seine Hand zum elfischen Gruß aus, und Gendrion

erwiderte ihn erfreut.


»Es tut gut, Bruder Elodarion, Euch nach so langer Zeit wieder einmal

willkommen zu heißen.« Dann sah Gendrion die Geschwister an. »Und auch

an euch beide kann ich mich gut erinnern. Doch dieses Mal werdet ihr mit

einem größeren Schiff als der ›Sturmschwinge‹ fahren. Kommt, Herolas

erwartet euch schon. Er ist begierig darauf, allen die ›Wellenvogel‹ zu

zeigen.«


Vor einigen Jahreswenden hatten die Geschwister den Steuermann und

seinen Kapitän Herolas an Bord des Pfeilschiffes »Sturmschwinge«

kennengelernt. Lotaras hatte die kurze Seereise allerdings in keiner

angenehmen Erinnerung, da ihm die Bewegungen des Schiffes nicht

bekommen waren.


Die Gruppe der Seeelfen wechselte freundliche Worte mit ihren Brüdern

des Waldes, während Gendrion die drei Gäste über den Strand zu einem der

langen Stege führte. Ein anderer Seeelf war auf sie aufmerksam geworden

und kam nun auf sie zu. Im Gegensatz zu Gendrion war der Elf gerüstet.


»Als wir vernahmen, dass Ihr zu uns kommt, hat Kapitän Herolas sich

Euch zu Ehren gerüstet, Ältester Elodarion.« Der Steuermann sah seinem

Kapitän freundlich entgegen. »Ein guter Seeelf, unser Kapitän, nur ist er noch

ein wenig jung.«


Herolas’ Anblick erweckte in Lotaras die schlimmsten Vorahnungen. Er

war bereit, sich jeder Gefahr zu stellen, aber er hatte kein Zutrauen zum

wässrigen Element. Der Kapitän hatte den hoch aufragenden Helm mit dem

Symbol seines Hauses, einem Seevogel mit ausgebreiteten Schwingen, unter

den Arm geklemmt und setzte ihn nun mit einem breiten Lächeln auf. Sein

Gewand war aus demselben weichen Stoff und mit denselben elfischen

Symbolen und Stickereien versehen, wie sie alle elfischen Häuser

verwendeten. Darüber trug er einen Panzer aus metallen blitzenden Schuppen,

was typisch für die seefahrenden Häuser war. An seinem breiten roten

Schwertgurt trug er das lange, leicht gekrümmte Schwert der Elfen. Während

der Kapitän seine Arme in einer freundschaftlichen Geste ausbreitete, rutschte

der blaue Umhang über seine Schultern zurück.


»Seid mir willkommen, Elodarion aus dem Hause Elodarions«, sagte

Herolas förmlich und verneigte sich leicht. »Es ist mir eine große Ehre, mit

Euch ein weiteres Mitglied des Hohen Rates der Häuser an Bord meiner

›Wellenvogel‹ begrüßen zu dürfen.« Der Kapitän lächelte herzlich. »Der

Hohe Rat Jalan-olud-Deshay aus dem Hause Deshay ist bereits an Bord. Er

freut sich darauf, Euch und Eure Kinder zu sehen.«


Elodarion erwiderte die Begrüßung ebenso förmlich und herzlich, und als

der Tradition Genüge getan war, konnte Herolas offensichtlich nicht mehr an

sich halten. Er legte Lotaras und Leoryn die Hände auf die Schultern. »Bruder

und Schwester des Waldes, es ist eine Weile her, dass ich euch Waldfüße an

Bord begrüßen durfte. Damals seid ihr auf meinem schönen Pfeilschiff

gereist, aber dieses Schiff hier wird euch unvergesslich bleiben.«


Lotaras verkniff sich die Bemerkung, dass die Weile ruhig ein oder zwei

Jahrtausende länger hätte anhalten können.


Der Kapitän schien seine Vorbehalte zu spüren und legte ihm die Hand auf

die Schulter. »Diese Fahrt wird ruhiger als deine letzte auf der

›Sturmschwinge‹, Bruder des Waldes. Die ›Wellenvogel‹ ist ein völlig

anderes Schiff. Sie wird dir gefallen, Lotaras.«


Dann wandte er sich zum Wasser und wies mit sichtlichem Stolz auf den

Segler, der am Steg festgemacht hatte. Wie Gendrion zuvor bereits angedeutet

hatte, war es ein vollkommen neuer Schiffstyp, und das Gesicht des

Steuermanns verriet dieselbe Freude, die auch seinen Kapitän zu erfüllen

schien.


Alle Schiffe des elfischen Volkes besaßen eine gewisse Anmut, doch für

die »Wellenvogel« traf dies in besonderem Maße zu. Das Schiff maß von

seinem scharf geschnittenen Bug bis zu seinem leicht nach oben gezogenen

Heck gute fünfzig und in der Breite knapp zwölf Längen. Dies galt allerdings

nur für das obere Deck, denn nach unten hin wurde der Rumpf breiter. Mit

seinen zwei Deckebenen überragte er die anderen Schiffe deutlich. Der Bug

stieg nach oben hin steil an, und man konnte meinen, er sei scharf wie die

Klinge eines Schwertes. Er ragte weit nach außen vor, und ein Gewirr von

starken Leinen führte von seiner Spitze zur Plattform des vorderen Mastes

hinauf. In der Mitte des Bugs war ein Wappen aufgemalt, das einen Seevogel

mit weit ausgebreiteten Schwingen darstellte, welcher über eine Welle flog.


»Zwei Decks über dem Wasser und eines darunter«, sagte Herolas stolz.

»Der Rumpf ist oben schmal und wird nach unten hin breiter, wegen der

Gewichtsverteilung. Die beiden Überwasserdecks sollen ja die Angehörigen

der Häuser aufnehmen, mitsamt ihrer persönlichen Habe. Da kommt Gewicht

zusammen, ihr Brüder des Waldes, viel Gewicht. Daher werden im

Unterwasserdeck die Vorräte verstaut: Nahrung und Trinkwasser.«


Gendrion stieß ein leises Grunzen aus. »Eine Menge Arbeit für uns

Seeelfen, das könnt ihr glauben. Denn auf der Reise zu den Neuen Ufern

werden die Vorräte langsam abnehmen, während Fracht und Passagiere

konstant bleiben. Das Gewicht wird sich also verlagern und der Schwerpunkt

sich verschieben.«


Herolas nickte. »Um die Balance zwischen Bug und Heck zu halten,

werden wir daher die Last während der Reise immer wieder neu verteilen

müssen. Problematischer ist allerdings das Gesamtgewicht. Wenn die

Proviantlast geringer wird, verlagert sich der Schwerpunkt im Rumpf

dramatisch. Wir müssen also von vornherein ordentliches Zusatzgewicht

laden. Das macht das Schiff schwerer und auch etwas langsamer.«


Elodarion nickte. »Ja, das kann ich verstehen. Sonst kippt das Schiff um,

nicht wahr?«


Gendrion bemerkte einen leichten Farbwechsel in Lotaras’ Gesicht und

schlug ihm aufmunternd gegen den Arm. »Es wird nicht kippen, Bruder des

Waldes. Wir haben genug Gold nach unten gebracht. Die ›Wellenvogel‹ liegt

schwer und ruhig im Wasser.«


»Sie wird dennoch wackeln«, ächzte Lotaras.


»Hab dich nicht so«, seufzte Leoryn. »Es ist auch nicht anders, als wenn

du an den Schlingpflanzen des Waldes schaukelst.«


»Das sagst du«, brummte ihr Bruder. »Aber wenn man von einer

Schlingpflanze herunterfällt, braucht man nicht zu schwimmen.«


Elodarion räusperte sich und sah die Seeelfen entschuldigend an. »Mein

Sohn hat einen gewissen Vorbehalt gegen die Seefahrt.«


Herolas nickte und versuchte dabei ein verständnisvolles Gesicht zu

machen, Gendrion hingegen murmelte unverhohlen etwas über Landfüße mit

schwachen Mägen, die eigentlich nicht auf ein Schiff gehörten.


»Können wir es uns näher ansehen?«, fragte Leoryn neugierig.


»Das ist der Grund unserer Reise, Leoryn, meine Tochter«, erwiderte

Elodarion sanft. »Wie ich euch schon sagte, wir werden uns das neue Schiff

ansehen und mit ihm fahren. Der Rat der Häuser muss wissen, ob es für die

lange Überfahrt zu den Neuen Ufern taugt.«


»Das tut es«, versicherte Herolas rasch und wirkte ein wenig beleidigt

darüber, dass man die Eignung seiner »Wellenvogel« in Zweifel zog. »Nie

zuvor haben die Elfen der See etwas Vergleichbares erschaffen. Nicht nur die

Größe, sondern auch die Kraft und Schnelligkeit betreffend. Einem Vogel

gleich wird sie über die Wellen gleiten, förmlich dahinschweben und …«


»Gut, gut, sehen wir uns das Boot an«, seufzte Lotaras.


»Schiff«, korrigierte ihn Gendrion und wippte leicht auf seinen verhornten

Füßen. »Es ist schließlich keine solche Nussschale, wie ihr Elfen des Waldes

sie auf eure Seen setzt. Dies hier ist ein Schiff, das die Meere befährt und

Wind und Wetter trotzt, eines, das auch dem stärksten Wellengang standhält

und … Du siehst blass aus, Bruder des Waldes. Fühlst du dich nicht wohl?«


»Die Bordwände sind an den Seiten eine halbe und am Bug sogar eine

volle Länge stark«, übernahm Herolas mit einem Seitenblick auf Lotaras, der

leicht zu schwanken schien. »Zudem sind Bug und Unterwasserschiff mit

Metall bewehrt. Die Fahrt zu den Neuen Ufern führt uns ins Kaltmeer und am

Eisland vorbei. Der Rumpf muss daher stark sein, und das ist er auch.

Dennoch ist die ›Wellenvogel‹ auch ein schnelles Schiff. Sie hat zwei Masten,

die etwas höher sind als bei den anderen Schiffen und die wir belastbarer

verankert haben. Wir werden zwei Arten von Segeln mit uns führen. Die

leichten für die warmen Meere und etwas kleinere, aus schwerem Stoff

bestehende, für die Umrundung des Eislandes.«


»Die Temperaturen dort sind unbehaglich.« Elodarion sah den Kapitän

forschend an. »Muss die Reise denn am Eisland vorbeiführen?«


»Nein, nicht unbedingt.« Herolas schürzte die Lippen. »Aber es verkürzt

die Überfahrt enorm.«


»Und schont die Mägen mancher Landfüße«, fügte Gendrion murmelnd

hinzu.


»Kommt an Bord.« Herolas wies zu der Laufbrücke, die vom Steg hinauf

an Bord des Schiffes führte. »Dort kann ich Euch das Schiff besser erklären,

und dann könnt Ihr auch die anderen treffen. Der Konstrukteur des Schiffes

und der Älteste des Hauses Deshay sind bereits vor einigen Tagen

eingetroffen.«


Herolas schritt die Laufbrücke hinauf, und die anderen erkannten eine

Gruppe von Matrosen, die zur offenen Pforte in der Reling eilten, um

Elodarion die Ehre zu erweisen.


»Jalan-olud-Deshay war begierig, das Schiff zu sehen.« Herolas nickte

bedeutsam. »Der Älteste war es, der als Einziger von den Neuen Ufern

zurückkehrte und von ihnen berichten kann. Doch er wird dieses Wissen erst

kurz vor der Abfahrt offenbaren, damit kein Elf es unter der Folter dem Feind

verraten kann. Aber er hat uns Angaben gemacht, die zu Veränderungen am

Schiff geführt haben. Aber jetzt kommt und seht selbst. Wir wollen in See

stechen, um die ›Wellenvogel‹ in ihrem Element zu erproben.«


Lotaras verharrte mitten auf der Laufbrücke. »Erproben? Soll das heißen,

sie war noch nie auf dem Meer?«


»Nun, sie schwimmt immerhin, und alles funktioniert«, seufzte Elodarion

und stieß seinen Sohn auffordernd an. »Und ich muss sagen, Lotaras, mein

Sohn, dass mich deine Angst vor dem feuchten Element zunehmend stört.«


Lotaras errötete auf die Rüge des Vaters hin und folgte rasch seiner

Schwester und Herolas. Gendrion kam brummend hinterher. »Es wird Zeit,

dass die ›Wellenvogel‹ zeigt, was sie kann. Zehntag um Zehntag haben wir

geübt. Segel auf, Segel ab, Rudermanöver, Ladung nach vorne und hinten,

nach oben und unten … Wirklich, es wird Zeit, dass wir endlich Meerwasser

kosten und aus dieser beengten Lagune herauskommen.«


Die Elfen an der Pforte verneigten sich zum Gruß, als Herolas und

Elodarion das Schiff betraten. Unter ihnen war ein alter Bekannter, der

Lotaras und Leoryn unverhohlen angrinste.


»Verzieh dein Gesicht nicht so, Rodas«, knurrte Gendrion, als er ebenfalls

an Bord trat. »Sag den anderen Bescheid, dass wir nun endlich auslaufen

können.«


»Alles ist bereit«, erwiderte Rodas und sah den Steuermann, noch immer

lächelnd, an. »Die zusätzliche Ladung Gold ist an Bord. Das Schiff ist

ausbalanciert und wird gut im Wasser liegen.«


»Davon werde ich mich selbst überzeugen, wenn wir auf dem Meer sind.«


Herolas hatte die Bemerkung gehört und klatschte in die Hände. »Die

Mannschaft an Deck. Verlieren wir nicht unnötig Zeit.«


Sofort nahm Rodas eine gedrehte Muschel, die an einer feingliedrigen

Kette um seinen Hals hing, und blies hinein. Ein heller Ton stand für einen

Augenblick vibrierend über dem Schiff, dann tauchten die Gestalten von

Elfen aus den Gängen auf, die ins Innere der »Wellenvogel« führten.

Elodarion und seine Kinder waren überrascht, wie viele es waren.


»Zweihundert Mann«, sagte Herolas stolz. »Zwar braucht es nicht so viele

Hände, um das Schiff zu führen, aber die zusätzliche Besatzung gibt mir die

Möglichkeit, seine Balance zu erproben.« Er sah Gendrion an. »Bereithalten

an Anker und Segel, Steuermann.«


Gendrion legte die Hände vor den Mund. »Bemannt die Ankerwinde vorne

und hinten. Die Mastmannschaften an die Segel und Leinen. Ich will

Steuerdruck am Ruder, noch bevor die Anker sich lösen.«


Das Wasser der großen Lagune war kristallklar und ruhig. Zwischen den

Rümpfen der ankernden Schiffe zogen Fische in vielfältigen Farben und

Formen dahin, und Schalentiere wanderten über den sandigen Grund, auf dem

sich Korallen in ihrer farbigen Pracht erhoben. An einem der Schiffe waren

Schwärme winziger roter Fische zu erkennen, die das Unterwasserschiff

völlig verdeckten.


Als Lotaras Herolas darauf ansprach, lächelte dieser. »Unsere Putzer,

Bruder des Waldes. Das Schiff dort war lange auf See und hat das südliche

Meer befahren. In dessen warmen Gewässern haften sich Seepflanzen an den

Rumpf. Sie sind nicht schädlich für das Schiff, aber sie machen es langsamer.

Damit es seine alte Schnelligkeit zurückgewinnt, müssen wir die Rümpfe

regelmäßig abkratzen. Die kleinen Putzer dort nehmen uns viel Arbeit ab,

denn sie ernähren sich von den Pflanzen.«


Elfen kletterten die eingekerbten Mastbäume empor und erreichten die

weit ausladenden Querhölzer, an denen die Segel befestigt waren. Längs unter

diesen Querhölzern waren Leinen gespannt, auf denen die Elfen standen. Bei

diesem Anblick wurde selbst den drei Landelfen klar, warum die bloßen

Fußsohlen der Seeelfen hornige Schwielen aufwiesen.


»Denkt daran, Elfen der See«, brüllte Gendrion hinauf in die Masten.

»Eine Hand für euch und die andere fürs Schiff. Dass mir keiner herunterfällt

und sich dann vor der Arbeit drückt.« Er wandte sich Herolas zu und grinste

breit. »Sind ein paar sehr junge Burschen dabei, denen noch das Süßwasser in

den Ohren steht.«


Der Kapitän räusperte sich und schwieg. Lotaras konnte sich erinnern, dass

Gendrion seinen Kapitän ebenfalls als sehr jung ansah, da dieser erst seit

tausend Jahreswenden zur See fuhr, während Gendrion zu den ältesten

Seeelfen gehörte und es wohl kein Gewässer gab, das er nicht schon selbst

befahren hatte.


»Anker vorne und hinten kommen auf«, erfolgten jetzt die Meldungen von

den beiden großen Ankertrommeln. Je zehn Elfen drehten die senkrecht

stehenden Trommeln mittels der massiven Rundhölzer an deren Oberkanten

um die eigene Achse, wodurch die Ketten, an denen sich die Anker befanden,

auf die Trommeln gespult wurden. Die Ankerketten begannen sich zu straffen

und die Elfen stemmten sich gegen den Zug, den der schwere Anker ausübte.

In regelmäßigen Abständen war ein metallisches Klicken zu hören, wenn ein

Fanghaken einrastete und so verhinderte, dass die Trommel sich wieder

abspulte.


»Am Vormast die Hauptsegel lösen«, befahl Herolas, und Gendrion gab

den Befehl weiter.


Umgehend wurden die beiden großen übereinanderstehenden Segel des

vorderen Mastes gelöst, die sich daraufhin entrollten, bis ihre Muschelform

erkennbar wurde. Der schwache Wind begann sie zögernd zu füllen.


»Holt die Leinen straff«, rief Herolas. »Ich will jeden Windhauch in den

Segeln haben.« Er wandte sich an seinen Steuermann. »Gendrion, übernimm

du das Ruder. Bei der ersten Fahrt will ich sicher sein, dass der beste Mann

am Steuer steht.«


Gendrion nickte und sah auf die beiden Elfen, die an dem großen

Ruderblatt standen, das am Heck ins Wasser ragte. »Legt das Ruder

rechtsweisend. Ich will, dass wir vom Steg freikommen, sobald wir

Steuerdruck haben.« Er sah zum Land hinüber. »He, Engas, zehn Mann mit

Stangen an die Seite. Passt auf, dass uns der Wind nicht gegen den Steg

drückt.«


Die Seeelfen am vorderen Mast holten mittlerweile die Leinen straff und

legten sie an metallenen Klauen fest, die in die Reling eingelassen waren. Die

beiden Segel füllten sich zunehmend, aber der Druck des Windes war noch

schwach.


»Notfalls können wir uns mit den Stangen weiter hinausstoßen«, knurrte

Herolas. »Mit meiner braven ›Sturmschwinge‹ wären wir längst auf See.«


Gendrion trat neben die beiden Elfen am Ruder. »Die ist ja auch ein

Pfeilschiff. Wir dagegen müssen uns mit dieser behäbigen Transportkiste

plagen.« Er klopfte mit der Hand auf die lange Führungsstange des Ruders.

»Aber wenn die ›Wellenvogel‹ erst einmal auf See ist, dann wird sie zeigen,

was sie kann.«


Sie standen am Heck des Schiffes. Auf dem Oberdeck herrschte geordnetes

Chaos, während die Elfen die Anker einholten und die Segel ausrichteten. Am

hinteren Mast standen bereits zwei Gruppen bereit, um auch dort die Segel zu

setzen, sobald der Kapitän den Befehl dazu gab.


»Bei den Flammschiffen gibt es hier hinten Aufbauten«, meinte Leoryn.

»Warum nicht auch auf diesem Schiff?«


»Flammschiffe sind für den Kampf bestimmt. Deren Heckaufbauten sollen

Rudergänger und Kapitän ein wenig Schutz vor feindlichen Geschossen

geben«, erwiderte Herolas. »Uns bedrohen jedoch nur Wind und Wetter, und

die muss ein Seeelf im Gesicht spüren, wenn er sein Schiff sicher durch einen

Sturm hindurchführen will.«


Gendrion nickte beifällig. Er trat neben einen der Rudergänger und legte

die Hand an das Führungsholz. »Wir haben Steuerdruck, Kapitän. Minimal

zwar, aber es reicht.«


»Dann bring sie raus, Steuermann.« Herolas rieb sich die Hände und

lächelte erfreut. »Die Anker kurz und festmachen! Am Hintermast

bereithalten!«


Die Anker der »Wellenvogel« hoben sich aus dem Wasser. Elfen zogen sie

mit Leinen dicht an den Schiffsrumpf heran und machten sie fest, sodass sie

auch bei schwerer See nicht gegen das Schiff schlagen konnten. Der Bug

drehte sich langsam vom Steg weg und zeigte nun zu der zwischen

aufsteigenden Felsen hindurchführenden Einfahrt der Bucht. Auf den Stegen

und Laufgängen, welche die Häuser der Seeelfen in den steilen Klippen

miteinander verbanden, standen jetzt Elfen und sahen dem Schiff zu, wie es

der offenen See entgegenstrebte.


Auf dem langen Oberdeck der »Wellenvogel« hatten sich unterdessen die

Matrosen zwischen Kästen und Rollen ordentlich aufgerollter Seile

nebeneinandergereiht und warteten auf die Kommandos des Kapitäns oder

seines Steuermanns, während die Elfen mit den langen Stangen zurücktraten

und diese in Halterungen am Vormast stellten.


An der hinteren der beiden Treppen, die in den Rumpf hinunterführten,

stiegen nun drei weitere Elfen auf das Oberdeck. Zwei von ihnen hatten

langes schwarzes Haar, was für das elfische Volk sehr ungewöhnlich war. Es

stellte eine Eigenheit der Elfen des Hauses Deshay dar, des lange verschollen

geglaubten Hauses des Urbaums. Der Mann und die Frau hätten Geschwister

sein können, doch handelte es sich um Jalan-olud-Deshay und seine Tochter

Llarana. Jalan war der Älteste und Erste des Hauses Deshay und so etwas wie

eine Legende im elfischen Volk, da er dessen künftige Heimat gesehen hatte.

Seine Rückkehr war der Anlass gewesen, den endgültigen Aufbruch zu den

Neuen Ufern nicht länger hinauszuzögern. Seine Tochter hatte die natürliche

Schönheit und das Ebenmaß des elfischen Volkes, doch während Leoryn ihr

Haar offen trug, hatte Llarana einen Teil davon zu zwei Zöpfen geflochten,

die über ihre Schultern nach vorne hingen, eine Angewohnheit, wie sie

üblicherweise die elfischen Kämpfer zeigten und daher für eine Elfin recht

ungewöhnlich war. Zudem trug sie, wie ihr Vater, das leicht gebogene

Schwert eines Kriegers an der Hüfte. Von ihrem Bruder war Leoryn es

gewohnt, dass er sich kaum von seinem Bogen trennte. Die schöne Llarana

schien es ähnlich mit ihrem Schwert zu halten.


Der Elf, der jetzt hinter den beiden auftauchte, wirkte dagegen schmächtig

und gebeugt. In seinem langen weißblonden Haar zeigten sich die braunen

Strähnen des Alters, und in das Gesicht des Mannes hatten unvorstellbare

Zeiträume tiefe Furchen gegraben. Obwohl ein Elf nicht körperlich alterte,

sondern selber bestimmte, wann sein Körper die richtige Reife erlangt hatte,

gab es Einflüsse, denen auch das Volk der Unsterblichen unterworfen war. So

konnte zum Beispiel eine schwere Erkrankung den Leib in Mitleidenschaft

ziehen und altern lassen.


Mionas war einer der Ältesten des Volkes, älter noch als Elodarion, aber

jünger als Jalan aus dem Hause Deshay. Für ein anderes Wesen wäre es

verwirrend gewesen, die Generationen der Elfen nebeneinander stehen zu

sehen und ihr Alter zuordnen zu müssen. Mionas gehörte zu jenen Wesen,

deren Drang, neues Wissen zu erlangen und zu erproben, nie zu ermüden

schien. Er hatte viele Dinge ersonnen, darunter auch die »Wellenvogel«. Es

war also verständlich, dass er nun aufgeregt war und an die Reling des

Schiffes trat, wo er sich festhielt und mit hastigen Blicken um sich sah.


Immer wieder nickte er stumm, und das sanfte Lächeln auf seinen Lippen

verriet seine Zufriedenheit.


Er war so versunken, dass er Jalan und Llarana gar nicht beachtete, die

soeben zum Heck traten, wo Lotaras und Leoryn mit den anderen standen.


»Es freut mich, euch wiederzusehen«, sagte Jalan freundlich. »Das Haus

Deshay wird nie vergessen, was die Kinder Elodarions für seinen Bestand

taten.«


»Wir taten es mit ganzem Herzen«, erwiderte Lotaras und lächelte. »Aber

wir hatten nur geringen Anteil, wie ich einräumen muss.«


»Die Pferdemenschen, ja.« Der Älteste und Erste des Hauses Deshay

nickte. »Sie befreiten unser Haus aus der Gewalt der Grauen Wesen, weshalb

wir dem Pferdevolk bei Merdonan aus Dankbarkeit beistanden.« Er seufzte

leise. »Dennoch haben wir damit die Schuld nur zum Teil begleichen können.

Das Haus des Urbaums hat den Menschenwesen viel zu verdanken.«


»Sie sind uns zu Freunden geworden«, bestätigte Elodarion. »Vor allem

meinen Kindern, die mit den Pferdemenschen vieles gemeinsam erlebten.«


»Freundschaften mit Menschenwesen sind immer eine schmerzliche

Erfahrung.« Jalan-olud-Deshay trat neben Elodarion und sah auf die

näherrückende Zufahrt zum offenen Meer, hinter der bewegtes Wasser zu

erkennen war. »Noch vor wenigen Jahreswenden hätte ich nicht geglaubt,

dass man ihnen überhaupt trauen kann. Doch die Menschen um den

Pferdereiter Nedeam und seinen Ältesten Garodem haben mich eines anderen

belehrt. Ich kann keine Freundschaft zu ihnen empfinden, aber ich respektiere

sie als aufrechte Wesen und gute Kämpfer.«


Leoryn schüttelte den Kopf. »Für uns sind die Menschen des Pferdevolkes

zu wirklichen Freunden geworden, Ältester. Wir haben Seite an Seite mit

ihnen gekämpft, und sie haben es sich wohl verdient, in unsere Herzen

aufgenommen zu werden.«


Jalan sah sie kurz an und lächelte dann wehmütig. »Aus dir spricht die

Jugend, Leoryn aus dem Hause Elodarion. Nein, meine Brüder des Waldes

und der See, Freundschaft zu den Menschen ist mit Schmerz verbunden, denn

wer sieht schon gerne zu, wie ein Freund altert und verwelkt?«


Leoryn musterte die junge Elfin Llarana, deren seltsam umwölkter Blick in

eine weite Ferne gerichtet schien. Ein Schmerz lag nun in ihren Augen, der in

dem Moment sichtbar geworden war, als ihr Vater die Namen der Männer des

Pferdevolkes genannt hatte. War es die Erinnerung an das grauenvolle

Schicksal, welches das Haus Deshay beinahe vernichtet hätte, oder bewegte

etwas anderes die junge Frau?


Vor vielen Menschenaltern, zur Zeit des Ersten Bundes, den die Häuser der

Elfen mit den Königreichen der Menschen geschlossen hatten, hatte sich das

Haus Deshay auf den Krieg vorbereitet. Aber ein Verrat jener Grauen Magier,

die man einst auf der Seite des Lichts gewähnt hatte, die jedoch den

Verlockungen des Schwarzen Lords verfallen waren, hatte das Haus Deshay

fast widerstandslos überwältigt. Dessen Krieger waren unter den Bann der

Zauberer geraten, und so blieben die Frauen und wenigen Kinder über viele

Jahrtausende der Willkür der Finsternis ausgesetzt. Zu der Zeit, als das Haus

überwältigt wurde, hatte Llaranas Geburt kurz bevorgestanden, und ihre

Mutter hatte ihre Niederkunft hinausgezögert, da sie nicht wollte, dass

Llarana in Finsternis aufwuchs. Aber die Macht des Schwarzen Lords und

seines Gefolges, der Grauen Zauberer und der Legionen der Orks, war groß

gewesen, und Llaranas Mutter begann ihrem Zauber zu verfallen. So gebar sie

in ihrer Not Llarana, kaum fünfhundert Jahreswenden bevor schließlich ein

Menschenwesen namens Nedeam und seine Gefährten das Haus erlösen

sollten. Leoryn kannte Nedeam gut und wusste, dass er bei einem Kampf in

engsten Kontakt mit einem der Grauen Wesen geraten war. Sie ahnte, dass

sich bei diesem Ringen auch ein geistiges Band zwischen dem

Menschenwesen Nedeam und der Elfin Llarana gespannt hatte. Leoryn

konnte dies spüren, seit sie dem Abschied beider vor den Toren Merdonans

beigewohnt hatte. Andere mochten es nicht bemerkt haben, aber Leoryn hatte

die unterschwelligen Schwingungen deutlich gefühlt. Dachte Llarana in

diesem Moment womöglich an das Menschenwesen Nedeam?


»Sie wird sich bewähren.« Der kurze Satz des Gelehrten Mionas schreckte

Leoryn aus ihren Gedanken.


Mionas löste sich von der Reling. Die »Wellenvogel« war der Zufahrt nun

so nahe, dass die Schatten der umgebenden Felsen auf sie fielen. »Sie wird

sich bewähren«, sagte der Gelehrte nochmals. »Sie ist ein gutes Schiff. Ich

habe die Last im Frachtraum überprüft, Kapitän Herolas. Ihr habt richtig

daran getan, so viele Goldgewichte aufzunehmen. Das macht die Fahrt

sicherer.«


»Wir werden noch einige davon brauchen«, erwiderte der Kapitän

lächelnd. »Es sollen noch viele Schiffe gebaut werden, und dafür benötigen

wir jede Menge zusätzliches Gold.«


»Das ist bereits angefordert«, versicherte Mionas. »Die Menschenwesen

werden es uns liefern.«


Jalan musterte den Gelehrten. »Wissen sie, welchem Zweck es dient? Dass

wir mit seiner Hilfe zu den Neuen Ufern aufbrechen werden?«


»Natürlich nicht.« Mionas schüttelte entschieden den Kopf. »Es würde sie

nur beunruhigen.« Er lächelte sanft. »Die Menschenwesen mögen unsere

Freunde sein, doch müssen sie nicht alles wissen.«


»Hm.« Elodarion sah, wie der Schatten über das Schiff wanderte. Langsam

und bedächtig tauchte die »Wellenvogel« in die Zufahrt und schob sich

zwischen die Felsen, die steil zu beiden Seiten aufragten. »Sie werden es

wohl erfahren, wenn sie das Gold herbringen. Dann werden sie die Schiffe

sehen.«


»Sie werden es nicht hierher bringen.« Mionas zuckte die Achseln.

»Sondern nach Gendaneris. Dort holen wir es dann ab.«


»Am Rückmast die Hauptsegel lösen«, befahl soeben Kapitän Herolas.

»Gendrion, leg das Ruder mittschiffs. Gib Acht, dass uns die Strömung unter

den Klippen nicht zur Seite drückt, wir haben noch wenig Fahrt.«


Gendrion wiederholte die Anweisungen und murmelte dann irgendetwas

von jungen, unerfahrenen Seeelfen. Die »Wellenvogel« begann sich leicht auf

und ab zu bewegen, als der Wellengang an den Klippen sie traf. Der scharfe

Bug teilte das Wasser, als würde er es zerschneiden, und ließ es dann in

sanften Wogen an der Bordwand entlanggleiten.


Leoryn legte ihre Hände auf die Reling. »Dieses Schiff ist das erste von

vielen«, sagte sie leise und warf einen flüchtigen Blick auf ihren Bruder. »Sie

werden rasch gebaut sein. Ich kenne den Fleiß der Elfen der See.«


Lotaras legte seine Hand unmerklich auf die ihre. »Ja, die Reise zu den

Neuen Ufern wird bald beginnen.«


Seine Schwester seufzte leise. »Die Menschenwesen wissen, dass unsere

elfischen Häuser eines Tages die alte Heimat verlassen werden, um zu den

Neuen Ufern aufzubrechen. Aber sie ahnen nicht, wie nah dieser Tag schon

ist. Wir sollten es ihnen sagen.«


Lotaras räusperte sich beklommen. »Der Ältestenrat der Elfen in seiner

unendlichen Weisheit wird gute Gründe dafür gehabt haben, es vor den

Menschen verborgen zu halten.«


»Vielleicht ist es wirklich so«, erwiderte sie zögernd.


Als das Schiff langsam aufs offene Meer hinausglitt, empfanden sie beide

dasselbe unbehagliche Gefühl.


Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel

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