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1. Die handschriftliche Überlieferung der Septuaginta

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Die sehr umfangreiche handschriftliche Überlieferung der Septuaginta bietet eine größere Vielfalt von Varianten als die Textüberlieferung aller anderen Bibelübersetzungen zusammen. Bekannt sind bislang ca. 2000 verschiedene erhaltene Textzeugen der griechischen Bibel. Aufgrund der günstigen lokalen klimatischen Bedingungen stammt ein großer Teil dieser erhaltenen Texte aus Ägypten, gefolgt von der Wüste Juda. Keine der darin überlieferten Textformen hat jedoch die Urgestalt der Übersetzung der entsprechenden Schrift bewahrt. Bereits um die Zeitenwende kursierte jedes hebräische Buch in mindestens einer griechischen Übersetzung.

Textüberlieferung

Die komplizierte Textüberlieferung der Septuaginta nimmt ihren Anfang in den Umständen, daß sich der hebräische Bibeltext auch nach der Entstehung griechischer Bibelübersetzungen im Judentum noch weiterhin veränderte (s. u. 57) und daß auch deren Textbestand sich – zumindest in weiten Teilbereichen – ausgehend von einer ursprünglichen textlichen Vielfalt erst im Verlauf seiner Tradierung im Judentum und im Christentum nach und nach verfestigte und in einheitliche Traditionsströme mündete (s. u. 57 f.). Auch danach wurden die kirchlichen Bibelcodices weiterhin aus unterschiedlichen Vorlagen zusammenkopiert; selbst eine einzelne Handschrift konnte dabei durchaus verschiedenen älteren Texten folgen. Auch ein spätes und generell unzuverlässiges Manuskript kann deshalb gute und alte Lesarten enthalten. Insgesamt muß aber festgehalten werden, daß die Rekonstruktion einer bestimmten – christlichen oder jüdischen – Textwachstumsstufe der griechischen Bibel oder gar des Originals eines Buchs aus der Hand seines Übersetzers aus dem Hebräischen mit einer Sicherheit, die alternative Deutungen ausschließt, nicht zu erzielen ist.

Schon zur Zeit des frühen Christentums gab es wohl keine zwei textidentischen Exemplare eines ins Griechische übertragenen Buchs der hebräischen Heiligen Schriften des Judentums. Als die ältesten erhaltenen direkten materiellen Zeugen des griechischen Bibeltextes, die bereits die Vielfalt seiner vorchristlichen Überlieferung (bzw. eine rege vorchristliche Rezensionstätigkeit; s. u. 82) unter Beweis stellen, gelten die in Ägypten und der Wüste Juda gefundenen Handschriftenfragmente aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. Allesamt sind sie in Rollenform, aus Papyrus, Leder oder Pergament, und nur einseitig beschrieben (bei Papyri auf der inneren Seite [recto] mit waagerecht verlaufenden Fasern; bei Leder- oder Pergamentrollen auf der Fleischseite).

frühe Textzeugen

Bereits aus der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. stammen die aus zwei Stücken Mumienkartonage herausgelösten Rollenbruchstücke des Papyrus Rylands Greek 458 (Sigel bei Rahlfs 957; sie enthalten Teile von Dtn 23,24–24,3; 25,1–3; 26,12.17–19; 28,31–33) und die griechische Übersetzung des Dodekapropheton („Zwölfpropheten[rolle]“) in dem am Westufer des Toten Meers gelegenen Bachtal Wadi el Ḫabra (s.u. 83). Beide neuzeitlichen Handschriftenfunde gelten als die ältesten gegenwärtig bekannten Zeugen des von ihnen gebotenen Bibeltextes. Etwa ein knappes Jahrhundert jünger sind die griechischen Textfunde in den Höhlen von Qumran (s. u. 36) und der Papyrus Fouad Inv. 266 (Sigel bei Rahlfs 942; hilfreiche Vergleichstabellen der verschiedenen Handschriftensigla finden sich bei S. Jellicoe, The Septuagint in Modern Study, Oxford 1968 [Ndr. Winona Lake, In. 1989], 360–369), ein Konvolut aus Fragmenten von drei aus dem Fajjum (ca. 90 km südwestlich vom heutigen Kairo) stammenden Rollen (sie enthalten Gen 3,10–12; 4,5–7.23; 7,17–20; 37,34–38,1.10–12; Dtn 10,22; 11,1.10 f.16; 17,14 ff.; 31,26–29; 32,2.4; 33,14–19.22 f.26 f.). Als einer der ältesten christlichen Septuagintapapyri gilt der Papyrus Yale I 1 (Sigel 814 bei Rahlfs; enthält Gen 14,5). Aufgrund ihres hohen Alters und ihres Umfangs sind auch die aus christlichen ägyptischen Bibelcodices aus dem 2.–4. Jahrhundert n. Chr. stammenden Papyri aus der Sammlung Chester Beatty/Scheide (enthalten sind Gen 8,13–9,1; 9,1–44,22; 24,13– 25,21; 30,24–46,33; Num 5,12ff.; 25–34; Dtn 1,20–12,17; 18,22–34,12; Jes 8,18–19,13; 38,14–45,5; 54,1–60,22; Jer 4,30–5,1; 5,9–14.23 f.; Ez 11,25–17,21; 19,12–39,29 [mit Lücken]; Dan 3,72–8,27; Est 2,20–8,6; Sir 36,28–37,22; 46,6–11; 46,16–47,2) von besonderer Bedeutung für die Erhellung der frühen Textgeschichte. Die Textform gerade der ägyptischen Papyri gilt in besonderer Weise als „ursprünglich“ (d. h. als am wenigsten durch spätere Eingriffe verändert), weil weder die von Palästina ausgehenden jüdischen Rezensionen der griechischen Bibel noch deren christliche Überarbeitung durch Origenes (ca. 185–253/54) vollständig bis nach Oberägypten vorgedrungen sind (s.u. 93).

Majuskeln

Seit frühchristlicher Zeit erfolgte die kirchliche Texttransmission der griechischen Bibel nicht mehr ausschließlich in Rollenform, sondern zunehmend in Gestalt von gebundenen Codices. Deren praktische Vorteile gegenüber einer Buchrolle bestanden u. a. darin, daß sie beidseitig (recto und verso) beschreibbar und somit preisgünstiger waren, zahlreiche Schriften in einem Band vereinigen konnten, Textsammlungen von bestimmten Autoren oder zu bestimmten Themen ermöglichten, und schließlich auch das bequemere Auffinden eines Zitats ermöglichten. Mehr oder weniger vollständig erhalten sind davon über 300 Manuskripte und Manuskriptfragmente. Hiervon gelten die drei alten und halbwegs vollständigen, in Majuskeln (Großbuchstaben) geschriebenen Großhandschriften S (bzw. a), A und B als besonders wichtige Hauptzeugen der frühen christlichen Texttradition der griechischen Bibel:

S Der von drei Händen geschriebene, von dem Theologen und Paläographen Lobegott Friedrich Constantin Freiherr v. Tischendorf (1815–1874) im St. Katharinenkloster auf dem Sinai entdeckte Codex Sinaiticus, (größtenteils) British Library, Add. 43725, stammt aus dem 4.–5. Jahrhundert.

A Der vierbändige, stark von der Hexapla (s. u. 84) beeinflußte Codex Alexandrinus, British Library, Royal, 1 D. V–VIII, datiert auf das 5. Jahrhundert.

B Der von Einflüssen späterer Überarbeiter bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Jesaja) relativ freie und deshalb als besonders wichtig geltende, in Reihenfolge und Umfang der Schriften der Liste im 39. Osterfestbrief des alexandrinischen Bischofs Athanasius (s. u. 20) entsprechende Codex Vaticanus, Vat. gr. 1209, stammt aus dem 4. Jahrhundert.

Diese drei Großhandschriften enthalten allesamt den Text des Alten und des Neuen Testaments in Scriptura continua (d.h. in unstrukturiertem Fließtext ohne Satz- und Worttrenner, Akzente, und Hauchzeichen). Die Abweichungen dieser drei bedeutenden christlich tradierten Majuskelcodices bzw. Unzialhandschriften (von lat. uncia [„Zoll“], der ursprünglichen Größe eines Majuskelbuchstabens) voneinander sind von Buch zu Buch beträchtlich schwankend, jedoch deutlich genug, um die Herkunft des jeweiligen Textes aus verschiedenen Rezensionen erkennen zu lassen (s.u. 82).

Minuskeln und Erstdruck

Die Hauptmasse der Textzeugen der Septuaginta bilden die ca. 1500 christlichen Minuskelhandschriften aus dem 9. bis 16. Jahrhundert, die in einer – mehr oder weniger graphisch ausgebildeten – Kursiven geschrieben sind, und die trotz ihres relativ geringen Alters mitunter überaus wertvolle Textzeugen sein können, wenn sie auf gute untergegangene Majuskeln zurückgehen. Als Erstdruck der griechischen Bibel gilt der im Jahre 1517 fertiggestellte und fünf Jahre später erschienene, nicht selten auf eine andernorts nicht mehr erhaltene Vorlage zurückgehende Septuagintatext in der Complutensischen Polyglotte, einer unter der Leitung des Kardinals und Erzbischofs von Toledo Francisco Ximenes (1436–1517) in Alcalá de Henares (Complutum) verfertigten synoptischen Gegenüberstellung des hebräischen, aramäischen, griechischen und lateinischen Textes des Alten Testaments.

Einführung in die Septuaginta

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