Читать книгу Atlantis - Michael Ullrich - Страница 4

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„Sue, du siehst phantastisch aus“, stellte Dick Adam bewundernd fest, als sie sich vor der Villa in Son Vida trafen. Flüchtig dachte er an ihre Business Kleidung, die eine derart feminine Ausstrahlung nicht besitzt.

„Aziza beriet mich. Gestern traf die Kombination ein. Dick, überweise von meinem Honorar 700 US Dollar an Aziza, so lautet unsere Vereinbarung.“

„O.K.! Dreh dich mal langsam um. Ich möchte dein schickes Outfit von allen Seiten bewundern.“

„Wirft die Kleidung Falten?“ fragte Sue besorgt, während sie sich drehte.

„Nein! Ich bewundere deine grazile Figur, schlanken Beine, den reizvollen Po ….“

„Du hörst sofort mit derartigen Komplimenten auf, sonst fahre ich nicht mit“, unterbrach Sue energisch weitere Aufzählungen ihrer körperlichen Vorzüge.

„Ich bereitete eine Überraschung vor, die auf High Heels keinen Spaß macht! Du solltest auch robuste Schuhe mitnehmen.“


Während Sue in die Villa zurückkehrte, verstaute Dick zwei Decken, einen Picknickkorb und eine Kühlbox mit Getränken im Kofferraum. Sue kehrte mit praktischen Laufschuhen zurück.

„Du hast mich mit dem Hinweis auf traumhaft schöne Aussichten zum Ausflug überredet. Wohin geht die Reise?“ interessierte Sue.

„Ich entführe dich in die Tramuntana! Vor der Ankunft der Wissenschaftler auf Mallorca unternahm ich die gleiche Fahrt und war restlos begeistert. Zunächst fahren wir nach Valldemossa.“


Dick konzentrierte sich auf den regen Verkehr, Sue schaute erfreut auf die in zartem Rosa blühenden Mandelbäume, die einen herrlichen Kontrast zu den noch blattlosen Bäumen bildeten. Vor dem Tunnel nach Sóller verließen sie den Highway. Das Tal verengte sich zunehmend, dann lag Valldemossa auf einem Bergrücken vor ihnen.

„Von weitem sieht die Stadt malerisch aus“, rief Sue entzückt! „Ich bin auf unsere Eindrücke gespannt, wenn wir sie erkunden.“

In Serpentinen fuhren sie die Straße hoch. Je näher sie dem Ort kamen, desto malerischer wirkte er. Sie fanden einen freien Parkplatz, stiegen aus, besichtigten die kleine Stadt, fanden die spätbarocke Klosterkirche und das sich anschließende Kloster mit den historischen Schätzen sehenswert.


„Hier verbrachten Frédéric Chopin und seine Geliebte, die französische Schriftstellerin George Sand, einen Winter“, berichte Dick, während sie durch die geschlossene Tür des kleinen Konzertsaales eines seiner Klavierstücke hörten. In den Klosterräumen standen Türen zur Talseite auf. Von den schmalen Terrassen bot sich ihnen ein herrlicher Ausblick auf Teile der Stadt und das tiefer gelegene Tal, durch das sie gekommen waren.

Nach einem erfrischenden Kaffee im urtümlichen „Ses Espigues“ fuhren sie in Richtung Deià. Sie erreichten die hoch gelegene, von d´Andratx kommende Küstenstraße mit gigantischen Panoramablicken auf das tief unter ihnen liegende Meer. Unerwartet bog Dick auf eine schmale Straße nach Port de Valldemossa ab.


Carlos hatte ihm berichtet, die Serpentinenfahrt, die Ausblicke auf schroff abfallende Felspartien und das Meer seien atemberaubend. In der Tat verlief die Straße steil nach unten. Sie war so eng, dass zwei Wagen gelegentlich nicht neben einander passten. Häufig konnte Dick die vor ihm liegende Kurve nicht einsehen.

Durch die ungewohnt engen Radien verlangten die Serpentinen sein ganzes fahrerisches Können. Aufgeregt biss er die Zähne zusammen, Sue klammerte sich an die Haltegriffe. Sie erreichten die nur aus wenigen Restaurants bestehende Ortschaft und erholten sich bei einem Espresso.

Als im kleinen, felsigen Talkessel ein Touristenboot nach dem anderen anlegte, ergriffen sie die Flucht. Dick empfand die Rückfahrt noch gefährlicher, weil er in die steil nach oben führenden, engen, häufig nicht einsehbaren Kurven mit Schwung fahren musste. Entsetzt überlegte er, wie es hier im Sommer mit den zahlreichen Touristenbussen zugeht?


Auf dem Bergrücken angekommen, folgte Dick der Straße in Richtung Deià. An schönen Aussichtspunkten hielten sie an, bewunderten den Blick auf das Kloster Son Miramar, parkten bei dem in unvergleichlich schöner Lage gelegenen Son Marriog, der ehemaligen Residenz des Habsburger Erzherzogs Ludwig Salvator.

Von der Loggia des Herrenhauses bot sich ihnen ein spektakulärer Ausblick auf die zerklüftete Steilküste und den Park mit dem markanten, blendend weißen Marmorpavillon. Das historische Anwesen faszinierte Sue, schweren Herzens ließ sie sich zur Weiterfahrt überreden.

In Deià fand Dick an der engen, von der Polizei streng auf falsch parkende Autos überwachten Hauptstraße einen gerade freigewordenen Parkplatz. Sie stiegen aus, suchten ein kleines Restaurant, genossen den windgeschützten, sonnigen Sitzplatz mit schönem Blick ins Tal. Der Wirt nahm ihre Bestellung entgegen, der frisch gepresste Orangensaft schmeckte köstlich.


Es wurde immer wärmer. Sue zog ihre Jacke aus, knöpfte ihre leuchtend rote Bluse auf, öffnete sie leicht, um die wärmende Sonne auf ihrer Haut zu spüren. Beim Anblick ihres ausgeschnittenen Tops, das den Ansatz ihrer Brüste betonte, hielt Dick unwillkürlich den Atem an.

Sie sieht wahnsinnig gut aus, ist eine ernsthafte, kluge, zurückhaltende Frau, stellte er erfreut fest. Ich liebe sie jeden Tag mehr, hoffentlich erwidert sie bald meine Liebe. Sue spürte Dicks bewundernde Blicke und schloss schüchtern ihre Augen. An mein neues Outfit und seine Wirkung auf Männer muss ich mich noch gewöhnen, empfand sie.

Seine verstohlenen Blicke auf ihre grazilen Beine waren ihr nicht entgangen. Sue beschloss, bei Aziza noch die kürzeste Rockvariante in schwarz zu bestellen. Mit den hochhackigen Schuhen wirken meine Beine wahnsinnig sexy. Sich so anzuziehen, stärkte ihr Selbstbewusstsein!

Zum ersten Mal fühle ich mich als begehrenswerte Frau. Mein spontan gefasstes Vorhaben, mein Leben grundlegend zu ändern, macht nicht nur Sinn, es bereitet mir ein außerordentliches Vergnügen, erkannte Sue mit zunehmender Vorfreude auf ihren neuen Lebensstil.


***


Aziza landete in Madrid. Ihr blieb 1 Stunde Zeit, den Flug nach Mallorca zu erreichen. Sie war in Marrakesch früh aufgestanden, entsprechend müde und genehmigte sich an einer Kaffeebar einen doppelten Espresso. Morgen geht das Brainstorming mit den neun Wissenschaftlern weiter, erfuhr sie in einem Telefongespräch von Sue.

Noch immer hatte ihre Mutter die Familienchronik nicht gefunden, in der eine Unbekannte berichtete, wie eine riesige Insel mit großen Vulkanen, ihre Heimat im Meer versank. Kurz darauf zerschmettert ein Tsunami ihr Schiff. Seit Aziza den Bericht der Überlebenden von ihrer Mutter erzählt bekam, beschäftigte sie die Erzählung, die sich vermutlich vor Jahrtausenden ereignete, denn das zerstörte, hochseetüchtige Boot benötigte noch über 40 Ruderer.

Vor fünf Jahren lernte Aziza den Archäologen Ahmed Sawaris, vor drei Jahren den Unternehmer Peter Nolden kennen, seitdem bedrängte sie Beide, herauszufinden, wo und wann die Insel im Meer versunken ist. Ihre Recherchen blieben erfolglos, deshalb veranstaltet Peter auf Mallorca das Meeting der Wissenschaftler mit unterschiedlichen Fachkenntnissen.

Unwillkürlich griff Aziza zu ihrem Talisman. Er glänzt ungewöhnlich, enthält 10 Prozent eines unbekannten Minerals und trägt, wie zwei Vasen in ihrem Elternhaus, völlig unbekannte Grafiken und Hieroglyphen. Aziza fragte sich wohl zum hundertsten Mal, ob die von ihrem Großvater Mustafa gefundenen Raritäten Teil eines verborgenen Schatzes sind?


Bevor sie gestern Abend zu Bett gingen, hatte ihre Mutter ihr in der Bibliothek eine Geheimtür und einen bisher unbekannten Treppenaufgang gezeigt, der hinter einem Bücherregal liegt und in einen leeren Kellerraum führt. Vor 20 Jahren war Mustafa völlig unerwartet an einer mysteriösen Erkrankung gestorben. Vorsichtshalber machte ein verwandter Arzt in einem Schutzanzug Abstriche, um herauszufinden, ob in dem Gang tödliche Keime verborgen sind.

In der letzten Woche überwachte der marokkanische Geheimdienst lückenlos die Reise ihres ältesten Bruders Abdul nach Istanbul, Damaskus, Sanaa, Cairo und Tunis. Der mittlerweile seines Amtes enthobene königliche Schatzmeister hatte vermutet, dass Abdul einen Schatz sucht. Aziza bezweifelte, dass es einen verborgenen Familienschatz gibt. Falls die Untersuchungen der Abstriche keine gefährlichen Keime ergeben, wird ihre Mutter Saida mit ihren Söhnen den geheimnisvollen Gang erkunden.


In den ersten Wochen ihres Meetings trugen die Wissenschaftler bemerkenswerte Beweise für die Existenz einer bisher unbekannten Hochkultur während der letzten Eiszeit zusammen. Ob die in der Familienchronik beschriebene Schiffbrüchige und der dramatische Untergang ihrer Heimat mit der rätselhaften Kultur in Verbindung standen, interessierte Aziza brennend. Sie war gespannt, welche Erkenntnisse die beiden nächsten Wochen bringen.


Die Durchsage, „Mrs. Aziza Nejjarine, please forward to gate A 21“, riss sie aus ihren Überlegungen. Unter keinen Umständen wollte sie ihren Flug nach Mallorca verpassen. Dort warten Ahmed und Peter gespannt auf ihre Entscheidung. Sie hatten Aziza erneut gebeten, ihre Frau zu werden.

Während Aziza aufgeregt zum Gate A 21 eilte, dachte sie darüber nach, wie sie die Absage an den Mann formuliert, den sie nicht liebt. Ihre Mutter bat sie eindringlich, ihn nicht zu verletzen.


***


Morgens hatte Carlos zunächst Fernando Lopez und Thomas Neumann zu Peters Yacht „Poseidon“ gefahren. Danach brachte er Richard, Julia, Rafi und Debbie in die Stadt. Er wies die Damen darauf hin, im Februar wären die Geschäfte in Palma an Sonntagen geschlossen, die Boutiquen in Port d´Antratx geöffnet. Dort könnten sie schönste Sachen zu Schlussverkaufspreisen erwerben.

Vor der Ankunft im Stadtzentrum vereinbarte Carlos, sie um 12 Uhr an der gleichen Stelle abzuholen und nach Port d´Antratx zu fahren. Julia und Richard bummelten durch die Innenstadt. Anhand des Stadtplans versuchten sie die wesentlichen Sehenswürdigkeiten zu finden und ihre historische Bedeutung zu ergründen.

Richard genoss den Rundgang. Ihn faszinierte Julias Anblick, die Wahl ihrer Worte, ihre Gesten, ihr Lächeln, besonders ihr Charme. Interessiert betrachtete er die Jugendstil Elemente an den Fassaden oder Türen einiger Häuser. Den verspielt wirkenden Stil sah er zum ersten Mal.

Am vereinbarten Ort trafen sie Rafi und Debbie, kurz darauf hielt Carlos. Sie stiegen ein, fuhren durch die schöne, sonnendurchflutete Landschaft Mallorcas bis zum Hafen von d´Andratx. Carlos versprach, sie am späten Nachmittag im Hafen von Palma abzuholen.


***


Peter war überrascht, welche Fülle an Erkenntnissen die Wissenschaftler in den 14 Tagen ihrer Zusammenarbeit sammelten. Ihr Brainstorming begann mit dem Vortrag der quicklebendigen Rafaela Villon, die alle Rafi nennen. Sie hatte ihre Zuhörer nicht nur durch ihr Aussehen, sondern auch mit zahlreichen Land- und Seekarten aus dem Mittelalter beeindruckt. Sie zeigen die damals noch unentdeckte, unter einem riesigen Eispanzer verborgene Antarktis einschließlich der heute durch seismografische Messungen bekannten Landpartien.

Nach Aussage des Klimatologen Thomas Neumann begann die Vereisung der Antarktis vor 20.000 v. Chr..

„Dann gab es zu der Zeit eine uns unbekannte Hochkultur, die hochseetüchtige Schiffe besaß und die eisfreie Antarktis besuchen und kartographieren konnte“, lautete Rafis logische Schlussfolgerung.


Auch die Vorträge vom Ägyptologen Ahmed Sawaris, der Astronomin Debbie Oakwood, dem Klimaforscher Thomas Neumann und Geologen Richard Johns führten zu überraschenden Erkenntnissen. Sie bewiesen, dass die weltbekannten Gizeh – Pyramiden Teil eines Gesamtplans sind, der um 10.400 v. Chr. von „Göttern in Menschengestalt“ entworfen wurde.

Die Lage von 5 Pyramiden, obwohl später gebaut, entsprechen exakt dem Stand des Sternbildes Orion zu der damaligen Zeit. Auch der Sphinx entstand wesentlich früher, als bisher angenommen. Er wurde aus dem ihn umgebenden Felsen geschlagen, kauert auf der Ost – West Achse, blickte um 10.400 v. Chr. in die aufgehende Sonne und sein Sternbild „Löwe“, das seinen Umrissen entspricht.


Das Gebiet der heutigen Sahara war damals eine blühende Landschaft mit Flüssen, Wäldern und reichem Wildbestand. In seinem Vortrag behauptete Thomas, der Golfstrom wäre um 21.000 v. Chr. von einer riesigen Insel im Atlantik nach Afrika abgedrängt worden, deshalb die nördliche Halbkugel zunehmend vereist.

Nach dem Untergang der Insel sei er gegen 10.400 v. Chr. wieder nach Nordeuropa geströmt und hätte das Ende der letzten Eiszeit eingeleitet. Während die Eismassen auf der nördlichen Halbkugel über 1.000 Jahre abschmolzen, stiegen die Weltmeere um 120 Meter an und überfluteten Monumente der bisher unbekannten Hochkultur, die Rafi in einem weiteren Vortrag beschrieb.


Richard erklärte ihnen geologische Vorgänge, auch wie Inseln entstehen oder versinken. Die Vorträge über die weltweit verbreitete Megalithkultur bestätigten die bereits gewonnene Erkenntnis, dass die unbekannte Hochkultur mit Vorliebe riesige Steinquader, in Erdbeben gefährdeten Zonen auch vieleckig behauene Steine verwendete, die sie meisterlich bearbeitete.

Sie erkannten, dass der Untergang der Insel im Atlantik auf den angrenzenden Kontinenten Naturkatastrophen in Form von dramatischen Überschwemmungen oder Vulkanausbrüchen auslöste. In Amerika starben zu der Zeit 70 Tiergattungen aus, weltweit kosteten die Naturereignisse Millionen Menschen das Leben. Peter nahm sich vor, die Zusammenfassung ihrer wichtigsten Erkenntnisse vor Beginn des Vortragszyklus von Fernando Lopez vorzutragen.


Er konnte sich nicht länger auf seine Zusammenfassung konzentrieren. In zwei Stunden trifft Aziza in Mallorca ein. Dann erfahren wir, ob und wenn sie liebt. Peter suchte seinen Konkurrenten Ahmed. Sie vereinbarten, Aziza gemeinsam vom Flughafen abzuholen.


2


Als Dick mit Sue in das breite Tal nach Sóller hinab fuhr, bat er um Verständnis, dass sie ohne Stopp in die Berge der Tramuntana weiter fahren.

„An einem anderen Tag genießen wir die Reise mit der berühmten Eisenbahn nach Sóller, dann erkunden wir die Stadt“, schlug er vor. „Für heute bereitete ich ein Picknick vor!“

Die Fahrt durchs Gebirge beeindruckte Sue. Mehrfach hielten sie an, um schöne Ausblicke zu genießen, bis Dick den Wagen in der Nähe der Talsperre von Cuber parkte und Sue bat, ihre festen Schuhe anzuziehen. Er übergab ihr Decken, nahm den Picknickkorb und die Kühlbox.

Auf einem leicht abfallenden Weg wanderten sie zum See, den im Februar hunderte Zugvögel bevölkerten. Sie begegneten wenigen Touristen, fanden einen schönen sonnigen Platz, breiteten erst die Decken, dann das Picknick aus.


Im Angesicht eines kahlen, von einer hässlichen Radarstation gekrönten Berges öffnete Dick die mitgebrachte Flasche Champagner und stießen mit Sue auf die ansonsten einmalig schöne Landschaft an.

„Bereust du es, mitgekommen zu sein?“ sorgte Dick sich.

„Keinesfalls! Ich habe einen Bärenhunger.“

„Greif zu!“ Sue bestrich eine Scheibe körniges Landbrot mit salziger Butter, nahm ein Stück kalten Braten, krönte ihn mit Preiselbeeren und wünschte Dick: „Guten Appetit!“


Sie konzentrierten sich auf ihr Essen, prosteten sich gelegentlich zu, nahmen die nur von Vogelrufen unterbrochene, totale Stille wahr. Dick, der immer häufiger an ein Leben mit Sue dachte, fragte schließlich: „Magst du Berge, oder liebst du mehr das flache Land? Willst du für immer in Singapore wohnen? Oder zieht es dich an einen anderen Ort?“

„Singapore ist eine ständig wachsende Großstadt. Im Gegensatz zum angrenzenden Malaysia voller tropischer Blumen, vielseitig und wunderschön. Ich wohne gerne auf einem Berg, dabei denke ich an mein Haus in Hong Kong. Die Aussicht ist traumhaft, allerdings kann ich mich auf Dauer nicht mit dem kommunistischen System anfreunden.

In Taiwan, in der Nähe von Taichung, gibt es wundervolle Berge mit herrlichen Ausblicken auf schroffe Felsen und das Meer. Wie vor Deià verschwimmt dort am Horizont das Blau des Meeres mit dem des Himmels. Ich liebe die Form der unendlich erscheinenden Weite, die Unbegrenztheit des Blickes.

Ob ich immer in Singapore leben werde, weiß ich noch nicht. Vor Tagen entschied ich, meinen Lebensstil zu ändern, Hauptstädte in Europa zu besuchen und ihre kulturellen Angebote zu genießen. Ich möchte an Universitäten Vorlesungen halten, Europa und die Mentalität der unterschiedlichen Völker kennen lernen. Vielleicht gefällt mir der Kontinent so gut, dass ich dort sesshaft werde“, überlegte Sue.


Im windgeschützten Talkessel wurde es ihr zu warm. Unbefangen zog sie ihre Jacke und Bluse aus, genoss die Sonne, Dicks bewundernde, zunehmend begehrlichen Blicke auf ihr Top. Er legte sein Jackett ab, füllte die Gläser, prostete ihr zu, fragte hoffnungsvoll: „Möchtest du in Amerika leben?“

„Die Amerikaner lernte ich als freundliche, positiv gestimmte, stets Fröhlichkeit verbreitende Menschen kennen. Sie zeigen sich jedermann zugetan, ich empfinde sie als oberflächlich. Amerika reizt mich nicht“, gestand Sue.

„Ich bewundere deine festgefügten Ansichten. Wie gerne wüsste ich, wie mein zukünftiges Leben verläuft!“ Dabei dachte er an seine geheimen Hacker Fähigkeiten, die er Sue in einem unbedachten Moment gestanden hatte.

„Dick, bau dir, falls du nicht mehr als Sekretär für Peter arbeitest, eine selbständige Tätigkeit auf, die dich unabhängig macht“, empfahl Sue.

„Eine unternehmerische Aufgabe würde mir gefallen. Als ständig dienstbereiter Angestellter kann ich mich selbst nicht mehr leiden“, räumte Dick ein. „Welche Tätigkeit empfiehlst du?“

„Aus dem Stegreif kann ich dir keinen Vorschlag machen. Kommt Zeit, kommt Rat, besagt ein Sprichwort. Leeren wir unsere Gläser auf deine noch unbekannten Ziele. Lass uns zurückfahren!“ bat Sue.


Sie erhob sich, strauchelte, Dick fing sie auf. Seine Hände umfassten ihre Oberarme, sie erschauerte, versicherte, der Wind ließe sie frieren. Hastig zog sie ihre Bluse und Jackett an. Sie packten das restliche Picknick ein.

„Kannst du noch fahren?“ fragte Sue besorgt.

„Ich bringe dich wohlbehalten zurück“, versprach Dick.


***


In den steil ansteigenden Gassen von d´Andratx entschieden die Damen sich für ein Restaurant mit italienischer Küche. An zwei vom eifrigen Kellner eilig zusammen geschobenen Tischen ließen sie sich in der wärmenden Sonne nieder, genossen die Freizeit, Gerichte und Getränke.

Anschließend bummelte Julia mit Richard durch attraktive Boutiquen. Sie staunte über die extrem reduzierten Preise für internationale Marken. In einem der Geschäfte hingen gewagte Dessous. Julia nahm einige heraus, hielt sie hoch, dachte an Rafis Worte und griff zur empfohlenen List.

Mit verlegenem Augenaufschlag fragte sie, ob Richard ihr ein Set schenkt? Plötzlich wurde er munter, erkundigte sich, wo ihre Größen hängen, blätterte aufmerksam das vorhandene Angebot durch, wählte sieben Garnituren, wollte wissen, welche ihr gefallen.


Drei farblich unmögliche Dessous sortierte Julia aus und stellte scheinbar empört fest: „Die sind zu unanständig. So etwas trug ich noch nie!“

„Ziehe sie mal an“, verlangte Ricky grinsend.

„Die sind zu frivol“, zierte Julia sich. Richard schob sie in eine Umkleidekabine. Sie probierte eine Garnitur nach der anderen, bat ihn um Begutachtung und schloss jedes Mal wieder den Vorhang.

An Rickys Wolfsaugen erkannte sie, wie gut ihr die Winzigkeiten standen. Als sie in den Verkaufsraum zurückkehrte, legte sie die Dessous auf die Theke und wollte wissen, welchen Set er ihr schenkt? Wie von Rafi vorhergesagt, zog er die gewagtesten Kreationen in die engere Wahl, konnte sich nicht entscheiden, wählte schließlich zwei aus.

„Ich bedanke mich, wenn ich sie trage“, strahlte Julia ihn an und kaufte noch ein weißes Nichts, das Ricky sehr gefiel. Die Verkäuferin packte die verführerischen Etwas ein, kassierte, als Rafi und Debbie den Laden betraten.


Sie vereinbarten, sich in einer halben Stunde im „Cappuccino“ zu treffen. Weil sie ihre sündige Unterwäsche in England ließ, wollte Debbie Reizwäsche für heiße Stunden mit Yasmin kaufen. Damals ging sie davon aus, dass sich ihr in Chile keine Gelegenheit bietet, sie zu tragen. Von Rafi beraten zu werden, gefiel Debbie. Sie freute sich auf die prickelnde Anprobe.


***


Am Vormittag hatte Ahmed eine lange Wanderung durch Son Vida unternommen und überlegt, für wen Aziza sich entscheidet. Nach wie vor hoffte er, dass seine Argumente sie überzeugten, sie könnten bei ihrer Mutter in Marrakesch wohnen, in ihrem vertrauten Kulturraum leben und ihre Kinder im Glauben an Allah erziehen.

Während Aziza in Paris und Los Angeles ihre Modegeschäfte besucht, baut er in Marokko neue archäologische Aktivitäten auf oder hält Vorlesungen in Cairo. Besucht Aziza ihre Niederlassung in London, kann er das Britische Nationalmuseum beraten, sie in ihrem Apartment leben.


Fünf Jahre umwarb er Aziza, machte ihr, wie Peter, zahlreiche Heiratsanträge, die sie stets kühl ablehnte. Sie schlief mit ihnen, erklärte, es sei nur Sex, den jeder von Zeit zu Zeit benötige und verschwand wieder.

Sie waren austauschbar, bis sie auf Mallorca ihre überlegene Distanz verlor, sich an den Abenden mit Sue zu Gesprächen zurückzog. Ahmed konnte noch nicht glauben, dass Aziza sich heute entscheidet.


Um sich abzulenken, überlegte er, in welcher Gegend die „Insel der Götter“ einst lag, die überflutet wurde. Im Brainstorming gingen sie davon aus, dass Abgesandte der unbekannten Kultur Ägypten zum ersten Mal um 13.000 v. Chr. besuchten und den Einheimischen die Landwirtschaft beibrachten. Statt des Sandes der Sahara bedeckten damals blühende, wildreiche Savannen Nordafrika.

Wegen ihres außerordentlichen Wissens erklärten die Einheimischen die Vertreter der Hochkultur nach ihrem Tod zu „Göttern“. Thomas behauptete, während der letzten Eiszeit hätte eine riesige Insel den Golfstrom im Atlantik nach Afrika abgedrängt, der nach dem Untergang der Insel wieder in den Norden Europas strömte. Er habe als Wärmepumpe gewirkt und die mächtigen Eisfelder über 1.000 Jahre zum Schmelzen gebracht.


Nach wie vor bezweifelt Ahmed die These, obwohl sie mit den Gegebenheiten am Ende der letzten Eiszeit übereinstimmt. War es die „Insel der Götter“, auf der die unbekannte Hochkultur im Atlantik lebte, die „überflutet“ wurde?

Gab es auf ihr zahlreiche, hohe Vulkane, deren Spitzen heute als Inseln aus dem Atlantik ragen, wie Fernando behauptete? Er unterstellte, dass weiße Siedler im salzigen Titicacasee eine künstliche Insel anlegten, auf ihr die Stadt Tihuanacu für 20.000 Einwohner errichteten, weil die Lebensbedingungen ihrer Heimat entsprachen! Heute liegen die weltbekannten Relikte ihrer Ansiedlung auf dem Festland, weil im Laufe der letzten 12.000 Jahre der See mit der erstaunlichen Meeresfauna geschrumpft ist!


Aziza wird nicht eher ruhen, bis wir die Insel aus ihrer Familienchronik lokalisieren konnten, deren Untergang von der Schiffbrüchigen überliefert wurde. War es die Insel, die nach der Vorstellung von Thomas im Atlantik im Bereich des Golfstroms einbrach? Stammt Azizas geheimnisvolles Medaillon von der Hochkultur, fragte Ahmed sich zweifelnd?

Wird Peter das vielversprechende Brainstorming aus blinder Eifersucht beenden, wenn Aziza mich liebt und heiratet? Müssen wir dann alle vorzeitig abreisen, ohne die begonnene Suche nach der Hochkultur zu beenden? Kann Fernando in den kommenden Tagen weitere wertvolle Beiträge vortragen? Bisher war er kreativ, eine Bereicherung für unser Meeting.


Ahmed bezweifelte, dass Indianerstämme außerordentliche astronomische Kenntnisse besaßen. Welche Hinweise bringt unsere Astronomin Debbie in der nächsten Woche? Weiß sie, welches unbekannte Volk in Teotihuacán unser Sonnensystem durch Pyramiden maßstabsgerecht abbildete?

Sue wird keine aufschlussreichen Mythen zitieren, schließlich verbrannten die spanischen und portugiesischen Eroberer Amerikas alle indianischen Überlieferungen, deren sie habhaft wurden. Welch eine Fülle an Informationen gibt es über die Jahrtausende währenden Dynastien der Ägypter, freute Ahmed sich dankbar.

Vom Geologen und Vulkanologen Richard versprach er sich keine neuen Erkenntnisse. Auch unsere Historikerin Julia wird nichts Wesentliches vortragen. Sie ist überwiegend auf die griechische Geschichte fixiert, zudem hoffnungslos in Richard verliebt.

Aus dem Blickwinkel wäre es nicht bedauerlich, wenn Peter das Brainstorming wutentbrannt beendet, überlegte Ahmed. Es klopfte an seiner Türe, Peter rief mit belegter Stimme: „Kommst du mit zum Flughafen?“

„Ja!“

Beide ahnten nicht, welche Überraschungen ihnen bevorstehen!


***


Als erste trafen Rafi und Debbie im „Cappuccino“ ein. Sie setzten sich an die Hafenpromenade und bestellten Cappuccini. Als die heißen Getränke serviert wurden, gesellten sich Julia und Richard zu ihnen, orderten bei der ständig hin und her wieselnden Kellnerin das Gleiche. Am Nebentisch unterhielten sich Deutsche.

Ihre zweite Flasche Chablis, die im Eiskübel auf Temperatur gehaltenen wurde, neigte sich dem Ende zu. Gut hörbar orderten sie eine weitere Flasche und ausreichend Gläser für die schönen Damen am Nachbartisch.

„Seid ihr heute angekommen?“ fragte der Älteste der Gruppe neugierig.

„Wir halten uns seit 14 Tagen auf der Insel auf! Ich verstehe nicht, wie ihr uns übersehen konntet?“ entgegnete Rafi herausfordernd.

„Wir liegen hier mit unserer Yacht vor Anker. Wenn du meine Kabine siehst, schlägst du lang hin“, versicherte ein kahlgeschorener Glatzkopf zweideutig.


„Wo befindet sich euer Kahn?“ forschte Debbie kumpelhaft. Der Älteste rückte näher, zeigte auf den gegenüber liegende Hafen.

„Das weiße Schiff mit der hohen Antenne gehört mir!“

„Dort sind alle Boote weiß“, bemerkte Richard sarkastisch, während die Kellnerin den Chablis verteilte.

„Bring eine weitere Flasche“, bat der Älteste mit überheblicher Mine.

„Wenn du meine Kabine siehst, schlägst du lang hin!“ wiederholte sich der angeheiterte Glatzkopf mit bedeutungsvollem Blick in Rafis Augen.

„Imponierend kann deine Yacht nicht sein, sonst wäre sie zu sehen“, stellte sie fest.


Der Don Juan der Runde rückte seinen Stuhl hinter Julia. Sein nach Wein riechender Atem strich über ihren Nacken, ungeniert umarmte er sie. Ricky fixierte den aufdringlichen Kerl.

„Lass meine Frau in Ruhe! Setz dich gefälligst woanders hin!“ zischte er drohend. Der Don Juan betrachtete abwägend Rickys durchtrainierten Körper, erhob sich wortlos und parkte seinen Stuhl hoffnungsvoll zwischen Debbie und Rafi.

„Wenn der Chablis ausgetrunken ist, fahren wir zum Haupthafen und genehmigen uns an Bord meiner Yacht noch einige Gläschen“, schlug der Älteste mit gewinnendem Lächeln vor, bevor er das in die Bucht einlaufende Schiff fachmännisch begutachtete.

„Die Privatyacht ist der helle Wahnsinn, eine Klasse für sich!“ rief er begeistert.

„Oh, die „PoseidoN“ läuft ein! Ich erwartete sie nicht so früh“, rief Rafi mit charmantem französischem Akzent, sprang hocherfreut auf und fügte hinzu: „Wenn ihr meine Kabine seht, schlagt ihr lang hin und steht nie mehr auf!“

„Gib nicht so an. Das ist niemals deine Yacht! Du spinnst“, rief der Älteste erbost.


Richard bezahlte die Cappuccini, die Yacht hielt mitten in der Bucht ihre Position, ein Beiboot legte ab und rauschte auf das Café zu. Bevor es anlegen konnte, bedankten sich die Damen für die generöse Einladung. Mit Richard bestiegen sie das von zwei freundlich grüßenden Seeleuten an die Mole gezogene Boot.

„Die sind eine Klasse zu groß für uns!“ stellte der Älteste bewundernd fest, als das Beiboot ablegte.


Eine exotische Schönheit mit wallendem Haar, riesiger Sonnenbrille und kleinem Hund an langer Leine, deren Profil Peter gestern an Aziza erinnerte, verfolgte interessiert die Szene am Nachbartisch. Sanft lächelnd, mit leicht gebeugtem Kopf gab sie vor, ihre mitgebrachte Modezeitschrift zu lesen.

Von ihrer Sonnenbrille verdeckt, hatte die bekannte spanische Schauspielerin die unverkennbare Anmache der Männer begutachtet. Wie in einem Stummfilm verfolgte sie die Mimik und Gesten der Beteiligten, verstand die Wünsche und Ziele der Draufgänger, auch die abwehrende Haltung der Damen und ihres Begleiters. Er war zum Kampf bereit.

Sie bewunderte den grandiosen Abgang der umworbenen Frauen, speicherte in ihrer Erinnerung die Gesten und durch ihre Körperhaltung ausgedrückte Freude, der unangenehmen Situation zu entkommen. Vielleicht kann ich meine Beobachtungen bei einem meiner nächsten Stücke verwenden, überlegte sie, bevor sie sich wieder ihrem Modemagazin zuwandte.


Am Fallreep der „PoseidoN“ begrüßten Thomas und Fernando die Freunde mit herzlichen Umarmungen. Das Beiboot wurde hochgezogen, die Yacht wendete fast auf der Stelle, nahm wieder Fahrt auf, verließ ständig an Speed gewinnend die traumhaft schöne Bucht.

Richard, der noch nie auf dem Schiff war, ließ sich von Julia herumführen. Rafi und Debbie berichteten von dem Erlebnis mit den Deutschen und ihre stereotype Feststellung und forderte dann Thomas zum Besuch einer Kabine auf. Er erkannte ihre Absicht und wiederholte seine Aussage von gestern Abend. „Ich bin in festen Händen!“

„Ist Brit wirklich so liebenswert?“ fragte Rafi resignierend.

„Ich heirate sie so bald als möglich!“ Die letzten Worte hörten Julia und Richard, die ihren Rundgang beendet hatten.

„Welch löbliche Entscheidung. Ich wünsche euch alles Gute. Toi, toi, toi!“, fügte Julia nachdenklich hinzu.

Als sie im Hafen von Palma eintrafen, verabredeten sich alle zu einem Aperitif vor dem Essen. Der Slogan des leicht angeheiterten Glatzkopfs, „wenn du meine Kabine siehst, schlägst du lang hin“, wurde während ihres Aufenthaltes auf Mallorca in abgewandelter Form zum geflügelten Wort!


***


Am Nachmittag landete Aziza mit einer Linienmaschine auf Mallorca. Ahmed und Peter holten sie am Flughafen ab. Sie wirkte heiter und ausgeglichen. Höflich erkundigten sich ihre Freunde nach Saidas Wohlbefinden, wie der Flug verlief, an welchem Ort sie umsteigen musste? Aziza berichtete kurz von der Reise, bevor sie das von den Rivalen insgeheim erhoffte Thema ansprach.

„Während der Unterhaltung mit meiner Mutter entschloss ich mich, zu heiraten! Nachdem ich mich frisch gemacht habe, spreche ich zunächst mit Ahmed, dann mit Peter.“


Die Ankündigung ihrer für alle Beteiligten bedeutsamen Entscheidung klang wie ein geschäftliches Statement, offensichtlich hatte Aziza ihr seelisches Gleichgewicht wiedergefunden. Mit entschlossenen Schritten eilte Ahmed in sein Zimmer und fühlte sich erleichtert, nicht lange auf das Gespräch warten zu müssen. Er ging davon aus, dass seine bevorstehende Tätigkeit in Marokko Azizas Reise ausgelöst hatte, ihrer Mutter der Gedanke gefiel, bald ihre Tochter und zukünftigen Enkel bei sich unterzubringen.

Ihre arabische Abstammung, die gleichen kulturellen Wurzeln, der uns verbindende Glaube gewähren eine solide Basis für ein glückliches Zusammenleben, ebenso für die Erziehung unserer Kinder, hoffte Ahmed.


Peter fühlte sich wie ein Student, der in Kürze erfährt, ob er bei der wichtigsten Prüfung seines Lebens durchgefallen ist. Wenn Aziza zunächst mit Ahmed spricht, entschied sie sich für ihn. Sie klärt Details über den Wohnort und die Weiterführung ihres Unternehmens. Freundlich aber bestimmt erteilt sie mir dann eine Absage, befürchtete Peter.

Seine Annahme schien sich zu bestätigen. Seit einer Stunde spricht Aziza mit Ahmed! Unglücklich, voller Ungeduld, mit geringen Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft wartete Peter auf sie. Wie ein Gefangener ging er in seinem Zimmer auf und ab und überlegte, wie er ohne Aziza leben soll?


***


Carlos versprach, die Herren auf seiner zweiten Tour abzuholen. Thomas, Fernando und Richard begaben sich zum Sonnendeck der PoseidoN, genossen ein kühles Bier, während die Frauen fröhlich zwitschernd im Audi verschwanden. Nach kurzem Winken stieg auch Carlos ein und fuhr los.

„Nur um die Insel zu „schippern“, finde ich langweilig. Euch in Port d’Andratx abzuholen, war eine super Idee!“ stellte Thomas begeistert fest.

„Wie verlief euer Tag?“ wollte Richard wissen.

„Zunächst fuhren wir entlang der Bucht von Palma nach Norden, bewunderten die teilweise steile Felsenküste der Serra de Llevant, die bei der Bucht von Alcudia weit ins Meer hinausragt. Die Umrundung der Felsen, die Fahrt in die weit geschwungene Bucht waren Highlights. Fernando bat die Crew, uns per Beiboot an der lang gezogenen Sandküste abzusetzen.“ Thomas wandte sich an Fernando und forderte ihn auf, mit dem Bericht fortzufahren.


„Durch Mails erfuhr ich von hiesigen Archäologen, dass die ersten Siedler nach Analysen der in Höhlen gefundenen Holzkohlereste um 9.200 v. Chr. auf der Insel eintrafen. Für die Überfahrt vom spanischen Festland benutzten sie vermutlich ähnliche Schilfboote, wie ich sie bereits beschrieb.

Auch auf Mallorca gibt es Zeugnisse der Megalithkultur. Die Gebäude und Türme liegen aber im Landesinneren. Mit dem Beiboot fuhren wir zu einer den Phöniziern zugeschriebenen Nekropole, die südöstlich von Son Bauló, direkt an der Küste liegt. Wir sahen Grabnischen, rechteckige, runde und ovale Steineinfassungen, deren Sinn und Bedeutung wir nicht erkannten.“

„Wie ging es dann weiter?“ forschte Richard.

„Als wir wieder an Bord kamen, stand auf dem Sonnendeck ein festlich gedeckter Tisch. Der Koch freute sich sichtlich, uns verwöhnen zu können. Nur die Mannschaft zu versorgen, macht auf Dauer keinen Spaß, lautete seine Entschuldigung für das üppige Mahl.

Währenddessen umfuhren wir im respektablen Abstand das hohe, felsige Cap de Formentor, danach folgten wir endlos lang der steil aufragenden Felsenküste der Serra de Tramuntana, in die Dick und Sue einen Ausflug unternahmen. Bei Sant Elm fuhren wir dicht an der Küste vorbei, nahmen in einer malerischen Bucht eine unternehmungslustige Gruppe an Bord, den Rest kennt ihr.“

Der Audi kehrte zurück, die Männer verabschiedeten sich von der Crew und fuhren zur Villa.


***


Neunzig qualvolle Minuten vergingen, bis Aziza endlich erschien, sich in einen Sessel sinken ließ, ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte, schweigend verharrte. Schließlich blickte sie auf, sah ihn prüfend an, begann zögernd:

„Peter, du weißt, wie sehr ich meinen Beruf liebe, ihn nicht aufgeben möchte. Du kennst meinen Drang zur Freiheit, stark zu sein, mich nicht unterordnen zu müssen. Ich schlief mit Männern, wie du mit deinen Betthasen! Mittlerweile erkannte ich, unserem Verhalten lag die gleiche Ursache zu Grunde. Wir suchten Sex ohne verpflichtende Gefühle.

Ich lernte Ahmed, zwei Jahre später dich kennen, stets bemühte ich mich, cool und geschäftlich zu bleiben, keine Liebe in mein Leben zu lassen. Nach jedem Treffen fiel es mir schwerer, in meine beziehungsarme Einsamkeit zurückzukehren. Während des Gesprächs mit meiner Mutter gestand ich mir zum ersten Mal ein, mich nach dem Mann, den ich liebe, nach gemeinsamen Kindern und der Geborgenheit eines eigenen Heims zu sehnen!


Auf dem Rückflug fragte ich mich, weshalb ich die unübersehbaren Anzeichen meiner veränderten Lebenseinstellung, meine Gefühle für einen von euch nicht früher erkannt habe? Liebe macht blind, sagt ein Sprichwort. Mit der Blindheit war ich reichlich geschlagen!

Rückblickend verstehe ich, warum ich am ersten Abend auf Mallorca bei dir sein, in deinen Armen liegen, dich fühlen musste, für mich eine unvergessliche Liebesnacht begann. Wir schauten einander an, empfanden eine wundervolle, wortlose Vertrautheit.

Es dauerte eine berauschende Ewigkeit, bis du die Decke anhobst, ich mich neben dich legte, die Wärme deines Körpers spürte, die Geborgenheit empfand, die keiner Worte bedarf. In der Rückschau verstehe ich die wahre Bedeutung der Ereignisse in jener Nacht. Wir fielen nicht übereinander her, es ging uns um mehr als körperliche Lust, banalen Sex. In der Nacht erlebten wir uns als ineinander ruhende, zu einer Einheit verschmelzende Liebende.


Als ich mit meiner Mutter über meine unbeherrschbaren Emotionen sprach, erklärte sie, ich sei über beide Ohren verliebt, sollte nicht nur meinem Verstand, endlich auch meinen Gefühlen folgen. Erst in dem Moment erkannte ich mein unterbewusstes Handeln in jener Nacht.

In unserer ersten Vereinigung leitete mich noch mein Verstand. Nach meinem bisherigen Lebensmotto wollte ich dich beherrschen, keinesfalls unterliegen! In unserer zweiten, lustvollen Umarmung überwältigten mich unbekannte Gefühle, durch ein gemeinsames Kind wollte ich untilgbare Spuren unserer Liebe hinterlassen!

Wann ich dich zu lieben begann, finde ich noch heraus, es geschah lange vor Mallorca!“ Aziza sprang auf, flog in Peters Arme, küsste ihn leidenschaftlich. Er hielt sie fest umschlungen, sah in ihre Augen, die ihn liebevoll anschauten. Nach einer Ewigkeit lösten sie sich von einander.


„Wie nahm Ahmed deine Absage auf?“

„Von dem Gespräch berichte ich dir ein anderes Mal ausführlich! Für ihn bedeutet die arabische Welt Geborgenheit, Heimat, in ihr fühlt er sich zu Hause. Vorgestern Abend stürzte er in mein Zimmer und bekannte, dass er eine Teilzeitarbeit als Archäologe in Marokko annahm, wir bei meiner Mutter leben könnten.

Ahmed ist und bleibt ein konservativer Araber, Anhänger der aus westlicher Sicht überholten Meinung, dass Männer wertvoller als Frauen sind. Die Geburt eines Sohnes wäre für ihn das Größte, eine Tochter hingegen, na ja! Sein erneuter Heiratsantrag setzte in mir eine Menge in Bewegung! Tief im Innersten erkannte ich, weder will ich in einem arabischen Land noch mit Ahmed leben. Ich schätze ihn als Freund, liebe ihn nicht, muss endlich klare Verhältnisse schaffen.

Meine unterschwelligen Empfindungen erkannte ich zunächst nicht! Vordergründig bedrängten mich ungeklärte Fragen, die mit einprägsamen Aussagen meiner Mutter in Verbindung standen, deshalb flog ich zu ihr!

Während der Aussprache begriff ich, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, dir meine Liebe zu gestehen! Schonend brachte ich Ahmed bei, dass ich ihn nicht liebe, niemals in der Heimat leben werde, der ich als Jugendliche entfloh!“


„Wie reagierte Ahmed auf deine Entscheidung?“

„Er war enttäuscht, wütend, verbittert, machte mir heftige Vorwürfe, reagierte mit völligem Unverständnis auf meine Vorbehalte gegenüber dem Islam. Er packt seine Koffer, reist noch heute ab, betrachtet unsere Freundschaft als beendet. Ahmed erträgt nicht, uns als glückliches Paar zu erleben! Ich stimmte zu, dass wir uns nie wiedersehen!“ berichtete Aziza.

„Seine Entscheidung ist richtig! Für alle Beteiligten wäre es unmöglich, so zu tun, als sei nichts geschehen! Dafür kämpften wir zu lange um dich, wurden fast zu Feinden. Seine Abreise beeinträchtigt unser Meeting nicht. Morgen wenden wir uns dem amerikanischen Kontinent zu, das ist Fernandos Domäne.“


„In den letzten Tagen nahm meine innere Zerrissenheit ständig zu. Ich konnte nicht mehr klar denken, fühlte mich reif für den Psychiater! Nach unserer letzten Nacht hätte ich erkennen müssen, wie sehr ich dich liebe!“ Aziza umschlang und küsste Peter mit nie erlebten, sie heiß durchflutenden Gefühlen. Als sie wieder zu Atem kamen, erinnerte Aziza sich an ungeklärte Fragen.

„Kannst du mir erklären, wie wir andauernd in der Welt Umherreisenden, ein gemeinsames Leben führen, ein zu Hause finden wollen? Was aus meiner Firma wird?“ fragte Aziza skeptisch.

„Bevor ich auf deine Fragen eingehe, erkläre ich, was sich in meinem beruflichen Leben verändern wird. Mir missfällt, dass sich bei erfolgreichen Videospielen immer mehr Menschen in eine Fantasie- oder Parallelwelt begeben. Neben brutalsten Kampfspielen kann man bei einem Programm Genre sogar Spielgeld erwirtschaften, imaginäre Villen, Yachten oder andere Dinge kaufen, eine nicht existierende Frau heiraten, das ist dekadent!

Ich beschloss, die Entwicklung zur Vereinsamung und Verblödung der Menschheit nicht auch noch durch meine Unternehmen zu fördern! Innerhalb der nächsten zwei Jahre verkaufe ich schrittweise alle Gesellschaften. Den Zeitraum benötige ich, um den Wert der Gesellschaften nicht durch überhastete Veräußerungen zu mindern, mich selbst unter Druck zu setzen. Drei kleinere Unternehmen habe ich bereits verkauft. Mein Aufenthalt von einem Monat auf Mallorca beweist, dass mir zunehmend Freizeit zur Verfügung steht! Gefällt dir mein Entschluss?“ hoffte Peter.

„Wirst du den mutigen Schritt nicht eines Tages bereuen?“ zweifelte sie.

„Keinesfalls! Die Resultate unserer Konferenz bestärken mich in dem Entschluss, mir andere Betätigungsfelder aufzubauen, weitere Meetings auf Basis der bewährten Brainstorming Methode durchzuführen.“

„Peter, soll ich mein Unternehmen verkaufen, um für dich frei zu sein?“


„Überdenke bei passender Gelegenheit dein geschäftliches Engagement, aber nicht jetzt! Ich möchte nicht, dass du später einen voreiligen Entschluss bereust! Fühle dich frei in deinen Entscheidungen! In deine beruflichen Aktivitäten greife ich nicht ein!“ versprach Peter.

„Deine liberale Einstellung lässt mir jede gewünschte Freiheit! Du hast Recht. Im Moment kann ich mich beim besten Willen nicht entscheiden, ob und wie ich mein Unternehmen fortführe. Bisher gab es keine Alternative zu meiner geschäftlichen Tätigkeit. Ich muss mich erst daran gewöhnen, mit dir zusammen zu leben, nicht nach wenigen Tagen wieder abzureisen. Ich bin gespannt, ob mir die Umstellung gelingt!“

„Aziza, machst du dir Sorgen, wir könnten nicht dauerhaft zusammen leben?“

„Keinesfalls! Aber unser Zusammenleben kommt für mich so überraschend, wie die neue Erfahrung, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen! Die meisten Menschen gewöhnen sich in der Phase der Verliebtheit und Sehnsucht nach ständigem Zusammensein allmählich an den Gedanken, ein Ehepaar zu werden.

Wir springen völlig unvorbereitet, sozusagen aus dem Stand ins kalte Wasser. An welchem Ort werden wir leben, eine Familie gründen?“ fragte Aziza mit hochgezogenen Brauen.


„Die schwer zu beantwortende Frage sollten wir in den nächsten Tagen besprechen. Ich möchte in schöner Umgebung an der Peripherie einer Großstadt wohnen. Hoffentlich interessieren dich kulturelle Events gleichermaßen wie mich! In Gesprächen müssen wir herausfinden, in welchen Bereichen unsere Interessen liegen, was wir von unserem gemeinsamen Leben erwarten!

Es ist möglich, dass wir südliche Gefilde bevorzugen, weil wir unsere Kindheit in Gegenden mit heißem Klima verbracht haben! Wegen meiner ständigen Reisen fühle ich mich nirgendwo zu Hause und bin in Bezug auf unseren Wohnort völlig offen! Ich überlasse dir das Vorschlagsrecht für unser Domizil! Sollte ich mit dem ausgewählten Standort nicht einverstanden sein, lege ich ein Veto mit ausführlicher Begründung ein. Bist du mit der Vorgehensweise einverstanden?“

„Selbstverständlich!“ rief Aziza total überrascht.

„Weshalb machte ich mir so viele Sorgen um meine Freiheit, völlige Unterwerfung? Wenn man in der unverkrampften Form über Probleme und anstehende Entscheidungen spricht, scheint alles einfach zu sein! Peter, ich möchte erst ein Kind bekommen, wenn wir für die Gründung der Familie ein Domizil besitzen. Bis dahin ergreife ich im kritischen Zeitraum weiter die Initiative!“

„O. K.!“

„Lass uns in den Salon gehen und mit den Anwesenden auf unsere Liebe anstoßen. In der Zeit kann ein Hausmädchen meine Sachen holen“, schlug Aziza vor.


***


Zur Happy Hour versammelten sich die Ausflügler im Salon, die ausnahmslos einen erbaulichen Tag verbracht hatten.

„Vor zwei Stunden kehrte Frau Nejjarine zurück. Sie führte lange Gespräche mit ihren Verehrern. Dick fährt den finster dreinschauenden Ahmed zum Airport!“ verkündete Miguel diskret, wenn er Drinks servierte. Vorsorglich legte er mehrere Flaschen Champagner kühl. Als Letzte trafen Aziza und Peter ein. Sie eilte zu Sue, zog sie in ihre Arme. „Ich liebe Peter!“ flüsterte sie glücksselig.

„Ich gratuliere und wünsche euch viel Glück“, erwiderte Sue leise. „Ich bin gespannt, wie du mir die Liebe beschreibst“, fügte sie neugierig hinzu.


Während der innigen Umarmung beider Frauen verspürte Debbie eine rasende Eifersucht. Sie bezwang sich, nicht aufzuspringen und fluchtartig den Raum zu verlassen. Peter nahm Azizas Hand, aller Augen richteten sich auf das strahlende Paar.

„Miguel, schenke für alle Champagner ein. Wir möchten mit euch anstoßen!“ Mit dem knappen Hinweis leitete Peter eine kurze Ansprache ein.


„Liebe Freunde, zwischen Ahmed und mir kam es gelegentlich zu Reibereien. Wir unterbreiteten Aziza zahlreiche Heiratsanträge, die sie stets kühl ablehnte! Gestern flog sie zu ihrer Mutter.“ Peter schaute Aziza auffordernd an.

„In vielen Situationen sind Mütter klüger als ihre Kinder. Sie fühlen mit dem Herzen, was ihnen fehlt. Ich gestand ihr, wie sehr ich Peter liebe, dass ich ihn heiraten möchte!“ Miguel verteilte gerade das letzte Glas Champagner.

„Stoßen wir auf unser aller Glück und Zukunft an!“ bat Aziza glücklich.


Julia und Richard sahen sich an, fragten sich insgeheim, wie ihre Zukunft aussieht? Alle umringten das strahlende Paar. Debbie wünschte ihnen viel Glück, trank einen Schluck auf ihr Wohl und brachte insgeheim einen Toast auf die gemeinsame Zukunft mit Jasmin aus und beschloss, sie nach Mallorca einzuladen. Wenn Liebende hier ständig zusammenziehen, kann ich das auch, entschied sie und hoffte, dass Peter keine Einwände erhebt.


Nach weiteren Gläsern Champagner stieg die Stimmung. Der Hunger nahm zu, willig folgten sie der Aufforderung des Küchenchefs, der voller Stolz sein Menü verkündet. „Es gibt


Wachtelbrust in Balsamicojus

auf lauwarmem Linsensalat


Lammrücken mit Bärlauch Kruste

Estragon – Wirsing sowie violettes Kartoffelpüree


und Rohmilchkäse vom Maitre Waltmann!“


Peter bat Fernando, neben Aziza Platz zu nehmen.

„Wie viele Tage benötigt ihr für eure Vorträge?“ erkundigte er sich bei Fernando vor dem Nachtisch.

„Die umfangreiche Thematik erfordert sechs Tage, geht das?“ fragte Fernando verunsichert. Peter nickte zustimmend.

„Nach euch kommen Julia und Richard zu Wort. Für ihre Referate baten sie um drei Tage. Falls keine weiteren Vorträge angemeldet werden, genießen wir am nächsten Wochenende eine erneute Freizeit. Fernando, ihr müsst die Reihenfolge eurer Vorträge unter einander abstimmen“, bat Peter jovial.

„Worüber referieren Julia und Richard?“ interessierte Fernando.

„Sie verrieten nicht, um welchen Themenkreis es sich handelt, baten um Verständnis, dass sie noch Zeit für umfangreiche Recherchen benötigen.“


Erlesene Weine rundeten das köstliche Menü ab. Die ausgelassenen Teilnehmer des Meetings hatten sich gut erholt, sahen voller Tatendrang der Fortführung des Brainstormings entgegen und unterhielten sich in ungewohnter Lautstärke.

Peter bat den Chef de Cuisine zu sich, applaudierte für die exquisite Mahlzeit, spendierte der Mannschaft Champagner und bat, auf aller Wohlergehen zu trinken.


***


„Aziza und Peter werden heiraten, ist das nicht wundervoll? Wie geht es mit uns, den so weit auseinander Lebenden, weiter?“ fragte Julia tief bewegt in ihrer Sitzecke. „Ich komme mir wie die zwei Königskinder im Märchen vor. Sie konnten nicht zu einander finden, das Wasser war viel zu tief!“ heißt es dort. „Sind wir zu fest in unseren unterschiedlichen Welten verwurzelt? Die Frage beschäftigt mich seit Tagen! Let’s face it! Einer von uns muss nachgeben, sonst kommen wir nicht zusammen! Warum treffen wir uns nicht in der Mitte?“ schlug Julia vor.

„Meinst du das geographisch?“

„Nein! Wir müssen einen Ort finden, an dem wir unsere unterschiedlichen Berufe ausüben und unser Privatleben adäquat gestalten können. Liebe kann Berge versetzen! Wenn wir uns bemühen, finden wir eine Lösung. Als Vulkanologe kannst du nicht in Rom, ich als habilitierte Historikerin nicht in Hawaii arbeiten.

Wenn wir uns nicht aus den Augen verlieren wollen, müssen wir auf unsere bisherigen Wohnsitze, Freunde, beruflichen Aufgabenstellungen und vertrauten Umgebungen verzichten!“

„Das befürchte ich auch“, stimmte Ricky mit sorgenvoll gefurchter Stirne zu.


Sie saßen stumm nebeneinander, hingen ihren Gedanken nach, fragten sich wiederholt, ob es eine gemeinsame Zukunft gibt, wie die aussehen könnte. Julia war froh, dass sie den Ortswechsel erneut ansprach. Richard, der Hawaii Besessene muss endlich darüber nachdenken, ob er sich zu einer Veränderung in seinem bisher so statischen Leben durchringen kann.

Sich in den Umarmungen des Geliebten zu verlieren, ist eine Seite der Medaille, elementare Veränderungen in beider Leben zu bewirken, die andere Seite, ahnte Julia. Zu einschneidenden Veränderungen oder Kompromissen bin ich bereit, denke aber nicht daran, ihm zu Liebe nach Hawaii zu ziehen. Amerika entspricht keinesfalls meiner Lebensphilosophie, erkannte sie erneut, bevor sie ein weiteres, sie beschäftigendes Problem ansprach.


„Dick installierte mit einer Mail eine Software in unseren Laptops, die, ohne Spuren zu hinterlassen, Kopien unseres Schriftverkehrs an ihn sendet. Wenn meine Vermutung stimmt, möchte ich ihm das Handwerk legen!“ verkündete Julia.

„Glaubst du das wirklich?“ fragte Richard ubgläubig. Julia erklärte die Gründe für ihre Überlegungen und berichtete über das Gespräche mit ihrem Bruder.

„Nach Rücksprache mit meinem Scheidungsanwalt in Rom sendet er mir eine Mail, in der er sich als mein Mann ausgibt, seine Liebe zu mir gesteht, mich um der Kinder willen bittet, bei ihm zu bleiben und den Scheidungsantrag zurückzuziehen!

Nach Eingang der fingierten Mail teile ich meinem Anwalt mit, dass er meinen Antrag auf Scheidung zurückzieht, weil ich meinen Mann nach wie vor liebe. In der Mail duze ich den Anwalt, daran erkennt er, dass er sie in den Papierkorb werfen muss“, beschrieb Julia ihr beabsichtigtes Vorgehen.

„Was geschieht dann?“

„Sollte Dick aufgrund der unrechtmäßig installierten Software Kopien von dem digitalen Schriftwechsel erhalten, rechne ich mit seiner männlichen Solidarität. Er wird dich warnen, welch falsches Spiel ich treibe!“ unterstellte Julia.

„Wie geht es nach deinem Regieplan weiter?“ interessierte Richard.

„Lass ihn erst einmal den Köder schlucken, in meine Falle tappen, dann sehen wir weiter!“ beendete Julia das Thema, ging ins Bad und kehrte in einem durchsichtigen Shorty, darunter dem heißesten Dessous zurück, dass Ricky ihr heute schenkte.


Er starrte sie fasziniert an. Welch ein Hauch von Wäsche, die seine Phantasie anregte, ihn maßlos erregte. Erfreut stellte Julia fest, der Einkauf hatte sich gelohnt. Sie blieb außerhalb seiner Reichweite stehen, genoss seine bewundernden, immer sehnsüchtiger werdenden Wolfsblicke. Mit kühler Stimme erklärte sie: „Mein Herr, trotz meines herausfordernden, höchst unanständigen Dessous bin ich eine anständige Frau und ….“ weiter kam sie nicht. Der Wolf riss sie in seine Arme, heiße Küsse raubten ihr die Sprache.


***


„Aziza liebt Peter, sie werden heiraten. Wärst du hier, würde ich mich hinknien und dich bitten, meine Frau zu werden“, gestand Thomas bewegt.

„Kannst du dich gedulden, bis du wieder in Berlin bist? Bei deinem Heiratsantrag möchte ich dir in die Augen schauen, mit Champagner auf unser Wohl anstoßen!“ bat Brit.

„Meine Sehnsucht wächst und wächst! Ständig zähle ich die Tage bis zu meiner Rückkehr. Weißt du, wie viele es noch sind?“ wollte Tom wissen.

„Im Gegensatz zu dir zähle ich die verbleibenden einsamen Nächte! Es sind zwölf, bis wir uns wieder in die Arme nehmen! Wie war die Fahrt mit der Yacht?“

„Wir umfuhren Mallorca, machten viele Aufnahmen, die Schönsten maile ich dir. Was unternahmst du?“


„Außer waschen, bügeln, kochen, eine ständige Sehnsucht nach dir empfindend, unternahm ich an dem freien, regnerischen, trüben, verdammt einsamen, saublöden, langweiligen, tausendfach verfluchten, freien Sonntag nichts! Komm endlich ins kalte Berlin zurück und wärme mich in meinem einsamen Bett. Ich bin es leid ohne dich“, beschwerte Brit sich und fügte hinzu:

„Sorry, ich bin nicht gut drauf! Lass mich in meinem Saft schmoren, vergiss mich trotz aller Liebe in eurer Villa nicht. Ständig ziehen bei euch Paare zusammen. Der „Frauentrakt“ ist bald leer! Ich will nicht wissen, was mir noch mit der verdammten Rafi bevorsteht!“ Entmutigt beendete Brit das Gespräch. Thomas rief zurück,

„Entschuldige, mir geht es nicht gut! Mich deprimierte der freie Tag ohne dich“, meldete Brit sich verzagt. „Seit unserem Kennenlernen verbrachten wir jedes Wochenende miteinander! Morgen darf ich wieder arbeiten. Eine derart miese Stimmung und Traurigkeit kenne ich sonst nicht!“


***


Mit geschlossenen Augen saß Dick in seiner Sitzecke, erlebte noch einmal die Fahrt mit der bezaubernden Sue, fühlte sich unendlich glücklich, so glücklich wie noch nie in seinem Leben. Er machte sich Hoffnungen, sie zu erobern und zu heiraten.

Der Schauer, der sie durchlief, als er sie am Ende des Picknicks auffing, sie für Sekunden in seinen Armen lag, war eine unbewusste Bestätigung, dass auch sie sich zu ihm hingezogen fühlt. Wie bei einer Droge versetzt die Liebe Menschen in einen rauschartigen Zustand. Er verstand Peter, der über Jahre gehofft, gebangt, um Aziza gekämpft hatte.


Um sich abzulenken, öffnete er den Laptop, fand zwei Mails. Ahmeds Nachricht voller Wut und Enttäuschung verdeutlichte, wie es mir geht, falls Sue meine Liebe nicht erwidert! Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt. Welch seelische Himmel und Talfahrt der Gefühle kann Liebe auslösen, wundert Dick sich.

Die zweite Nachricht kam von seiner Dienstelle. Sie enthielt die Information, dass die Überwachung der Familie Nejjarine eingestellt wurde, ihr Agent nach Ägypten zurückgekehrt sei. Dick wollte nun wissen, ob der marokkanische Geheimdienst die Familie noch überwacht.

Er hackte sich in den Regierungscomputer, fand in Omars digitalem Briefkasten eine Menge an marokkanische Botschaften versandte Mails, in denen er bat, ihn bei der Suche nach einer abgebildeten Person zu unterstützen. Aus Cairo lag eine Antwort vor. Unter dem Decknamen „Ali El Hadary“ arbeite der Mann erfolgreich für den amerikanischen Geheimdienst.

Dick fand die Nachricht alarmierend und informierte seine Dienststelle im Pentagon, die „Ali 15“ am nächsten Tag in ein arabisches Land versetzte, in dem der lokale und amerikanische Geheimdienst vertrauensvoll zusammenarbeiten.


***


„Noch immer begreife ich die unverhoffte Wende in meinem Leben nicht! Lass mir Zeit, mich an unsere Zweisamkeit zu gewöhnen“, gestand Aziza.

„Nach zwei kurzen Nächten bin ich todmüde. Peter, schlafe gut!“

„Schläfst du schon?“ wisperte Aziza nach geraumer Zeit.

„Dafür bin ich viel zu aufgeregt!“

„Seltsam, auch ich fühle mich überhaupt nicht mehr müde, bin hellwach!“

„Es gibt ein natürliches Schlafmittel mit sehr angenehmen Nebenwirkungen!“

„Ich kann mir vorstellen, woran du denkst! Ist es rezeptfrei?“

„Ja, Milliarden Menschen genießen es!“


„Dein Schlafmittel wirkt überhaupt nicht!“ freute Aziza sich nach einer Stunde.

„Wenn du mich so streichelst, denke ich an unsere Vollmondnacht auf dem Hoteldach in Tamegroute, in der pure Lust meinen Körper wie Brandungswellen überflutete! Als ich morgens wieder denken konnte, glaubte ich, es seien Hormonschübe gewesen. Wie blöd und verbohrt war ich?

Dabei wünschte ich mir, als die Sonne am Horizont glutrot aufging, du würdest mich nach Timbuktu oder einen anderen Ort entführen! Schon damals wäre ich mit dir ans Ende der Welt gereist! Stattdessen fuhrst du, wie ein Besessener, nach Marrakesch zurück!“

„Hättest du nur eine Andeutung gemacht, nichts wäre mir lieber gewesen, als mit dir durchzubrennen. Uns wäre manches Leid erspart geblieben!“

„Das stimmt! Bei Sue beschwerte ich mich über das entsetzliche Gefühl von eisernen Reifen um meine Seele. Ich weinte unmotiviert, war aufgewühlt, wurde zickig. Erkundigte Sue sich, wen ich liebe, erklärte ich, nicht zu wissen, was Liebe ist!“

„Was man nicht wahrhaben möchte, verdrängt man!“ nickte Peter zustimmend. „Wie hast du unsere Nacht auf Mallorca …“

„Peter! Deine Hände elektrisieren mich erneut! Ich liebe dich, will dich spüren“, unterbrach Aziza kurzatmig ihre Unterhaltung.


***


Konsterniert las Fernando zum zweiten Mal Marias Mail. Ihn packte eine unbeschreibliche Wut, dass er ihr nicht beistehen konnte. Trotz der Sachlichkeit ihres Berichtes, empfand er ihre unterschwellige Empörung.

Liebster, ich berichte erst jetzt über einen Vorgang im Ministerium, der mich stark beunruhigte, Gott sei Dank ein glückliches Ende fand. Hätte ich dich zwischenzeitlich informiert, wärst du vor Sorge umgekommen!

Vorgestern rief mich der allgewaltige Kämmerer zu sich, erklärte mit scheinheiligem Lächeln, unsere Gehälter seien dürftig, du befändest dich auf einem Kongress. Er garantiere mir die nächsthöhere Besoldungsgruppe, wenn ich mit ihm schlafe. Entrüstet wies ich sein Angebot zurück.

Er wies mich darauf hin, mit den heutigen elektronischen Möglichkeiten würde er die laufende Videoaufzeichnung so manipulieren, dass ich nackt in seinem Büro sitze und ihm den Beischlaf anbiete. Das Video wäre ein Hit im digitalen Postverteiler des Ministeriums.

Zum Schein ging ich auf seine Erpressung ein und forderte als Gegenleistung die Genehmigung eines Deiner Projekte. Von meiner Unverfrorenheit beeindruckt, wechselte er zum trauten „du“.

„Maria, ich begehre dich seit langem. Du bist ein schönes, verführerisches Weib. Komm morgen Mittag zu Beginn der Pause zu mir!“ forderte er und verabschiedete mich dreist grinsend.

Voller Empörung über die schändliche Forderung und Tatsache, dass er Dich monatelang auf einen Gesprächstermin warten ließ, marschierte ich zum Personalchef. Die Sekretärin wurde hellhörig, als ich erwähnte, der gefürchtete Kämmerer sei der Grund für meine Bitte um ein Gespräch.

Fünf Minuten später öffnete sie die Tür zum Büro des Personalchefs. Er las in meiner elektronischen Akte, blickte auf, lächelte mich freundlich an, hörte sich geduldig meine empörte Reaktion auf den unsittlichen Antrag des Kämmerers an.

„Endlich kommt mal eine Frau vor der Tat“, freute er sich sichtlich. „Sie ahnen nicht, wie viele Frauen sich hinterher hier beschwert oder ausgeweint haben. Da konnte ich nichts mehr unternehmen!“

Der Personalchef schickte mich ins Sekretariat, führte mehrere Telefongespräche, anschließend bat er mich, am nächsten Tag eine halbe Stunde vor der Mittagspause in seinem Büro zu erscheinen. Ich müsse mir keine unnötigen Sorgen machen, die entwürdigende Tat würde verhindert, versuchte er, mich zu beruhigen.

Natürlich schlief ich miserabel, erschien bei ihm, bewaffnet mit Deinem Projektantrag für den Bau eines archäologischen Museums in Rio und hohem Adrenalin Spiegel. Er stellte mir einen Staatsanwalt und zwei Beamte vor, die ihre Dienstausweise zückten.

Sie deponierten einen Sender in meiner Handtasche, befestigten das Mikrofon in einer seitlichen Falte, unterwiesen mich über mein weiteres Vorgehen beim Kämmerer und versprachen, vor dessen Tätlichkeiten einzuschreiten!

Ich erschien pünktlich beim Kämmerer, der mir entgegeneilte, mich umarmte. Ich stieß ihn zurück, überreichte Deinen Antrag und forderte: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“

Meine Handtasche legte ich auf seinen Schreibtisch, um meine Hände frei zu bekommen. Routiniert schlug er den Bereich der Kostenübersicht auf. Er wurde blass, murmelte etwas von einem Reptilien Fond, den er anzapfen müsse und der teuersten Liebesstunde seines Lebens, bevor er sich beruhigte.

Er hatte erkannt, dass vor der Verabschiedung des Projektes ein Architekten Wettbewerb steht. Wohl wissend, dass er das Projekt wegen eines „momentanen finanziellen Engpasses“ jederzeit stoppen kann, stempelte er den Antrag ab und unterzeichnete ihn hämisch grinsend.

Bei der Rückgabe des Dokumentes bemerkte er meine angespannte, verteidigungsbereite Armmuskulatur, das erregte ihn maßlos.

„Maria, entspann dich! Wenn wir mit einander fertig sind, fühlst du dich wunderbar“, versicherte er mir selbstbewusst, schob mich an die hellste Stelle im Raum, vermutlich, um geheime Videoaufnahmen qualitativ zu verbessern. Während ich mich auf einen für ihn äußerst schmerzhaften Schulterwurf vorbereitete, ließ er mich los, forderte lüstern, ich solle mich entkleiden und ging zur Eingangstür, um sie abzuschließen.

In dem Moment betraten der Personalchef und der Staatsanwalt mit zwei Beamten das Dienstzimmer und verhafteten den Kämmerer! Hasserfüllt schaute er mich an, während der Staatsanwalt mir versicherte, mein Name würde weder in den Akten noch in der Pressenotiz erwähnt.

In mein Büro zurückgekehrt, lud ich Luisa zum abendlichen Kochen ein. Sie löcherte mich mit Fragen über die geheimnisvolle Verhaftung des Kämmerers. Seltsamer Weise erfuhr sie trotz ihrer exzellenten Verbindungen innerhalb des Ministeriums keine Details.

Geliebter Nando! Abends zog ich Deinen Schlafanzug an, nahm Dein Kopfkissen fest in meine Arme und dachte vorm Einschlafen an die wunderschöne Zeit unseres Kennenlernens.

Es liebt Dich, Deine Maria

Atlantis

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