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Prolog

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In die immerwährende Stille mischten sich leise Geräusche. In den ersten Tagen hatte sie noch darauf gehofft, dass man sie finden würde. Doch je länger ihr Aufenthalt dauerte, desto schärfer sah sie die Tatsache vor Augen, dass ihre alte Welt für sie unwiederbringlich verloren war. Jemand hatte für sie entschieden, dass sie sich dort befand, und es schien seine Richtigkeit zu haben. Sie wusste nicht, wann sie zum ersten Mal den Gedanken gefasst hatte, dass sie in einer Todeskammer lebte, doch irgendwann setzte er sich in ihr fest. Mit brutaler Macht. Jeden Morgen hatte sie an ihren Fesseln gerüttelt, als sich die Tür öffnete und der schmale Spalt Tageslicht in ihr Gefängnis fiel. Dann schob jemand das Tablett mit einem Glas Wasser und einem Stück Brot in ihre Zelle und nahm das vom Vortag wieder mit. Sie schrie aus Leibeskräften, doch derjenige, der danach die Tür wieder hinter sich schloss, hatte kein Mitleid mit ihr. Brit Andresen hatte schon von Entführungen gehört. Meistens wurden die Opfer nach einiger Zeit freigelassen, sobald das Lösegeld gezahlt worden war.

Aber sie konnte noch nicht einmal sagen, ob man sie entführt hatte. Niemand kam, um ihr einen Telefonhörer an ihr Ohr zu halten, weil ihr Mann ein Lebenszeichen von den Entführern forderte. So kannte man es aus den amerikanischen Filmen. Das Opfer litt, aber die Angehörigen waren ebenfalls Opfer. Sie litten mit. Wie gut es ihr auch anfangs gelungen war, daran zu glauben, dass man sie wieder frei lassen würde, spätestens nach den ersten drei Wochen ließ sie die Hoffnung fahren.

Der Gedanke an die ersten Tage verblasste mit der Zeit und an seine Stelle trat irgendwann die Hoffnung, dass es doch endlich vorbei sein würde. Sie war sicher, kein Entführungsopfer zu sein. Wenn die Entführung schiefgegangen war, hätte man sie getötet, um die Spuren zu verwischen, doch nach drei Monaten wusste sie, dass sie hier in diesem Gefängnis den Rest ihres Lebens verbringen würde. Die Handschelle hatte sich tief in ihr Handgelenk eingeschnitten, sie konnte sich nur so weit bewegen, dass sie das Tablett und ihren Eimer erreichen konnte, in dem sie ihre Notdurft verrichtete.

Wie würde es ihrem Mann gehen? Was tat er wohl, um nach ihr zu suchen? Neben all der Angst um ihr eigenes Leben machte sie sich vor allem Sorge um ihn. Diese Entführung betraf ihre Familie, auch ihren Bruder und ihre Freunde. Anfangs hatte sie den Vermummten angebettelt, geheult, ihn angeschrien. Dann hatte sie die Wahrheit erkannt, dass sie schreien, wüten und weinen konnte, so viel sie wollte, sie würde ihn nicht erweichen. Sie würde nicht mehr nach Hause kommen. Es würde damit enden, dass sie sterben würde. Man würde sie nicht freilassen. Nach einem halben Jahr in ihrem Gefängnis griff der Wunsch zu sterben mit aller Macht nach ihr. Doch wie sollte man sich töten in einem Gefängnis aus Stahl, in dem es nur sie, das Tablett und ihren Toiletteneimer gab? Der Gedanke, dass sie nicht einmal Herr über ihren eigenen Tod war, setzte ihr arg zu. Doch die Hoffnung, dass es ihr irgendwann gelingen könnte, hielt sie am Leben.

Oliver Hell - Feuervogel

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