Читать книгу Touch only - Michel Faucon - Страница 7

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Von: sundowner

Betreff: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:00:28 MESZ

An: meretseger


Bevor ich jetzt den ganzen Morgen auf meinen Rechner starre und warte, dass Madame endlich das Wort an mich richtet: Gestatten Sie, dass ich einfach den Anfang und mich anschließend an mein Tagwerk mache: Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag. Und danke für den gestrigen Abend.

Von: meretseger

Betreff: Re.: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:04:17 MESZ

An: sundowner


Gern geschehen.

Von: sundowner

Betreff: Re-2: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:06:47 MESZ

An: meretseger


Welche Ehre! Die gnädige Frau hat das Wort an mich gerichtet! Geruhen Sie das heute Morgen öfter zu tun? Dann hätt ich die ein oder andere Frage an Sie ...

Von: meretseger

Betreff: Re-2: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:09:29 MESZ

An: sundowner


Warum möchten Sie wieder riskieren, mich zu verärgern?

Von: sundowner

Betreff: Re-3: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:12:13 MESZ

An: meretseger


Meine Liebe, wenn ich kein Freund des Risikos wäre, wären wir uns niemals auf eine so intensive Weise begegnet. Also darf ich nun fragen oder nicht?


Von: meretseger

Betreff: Re-2: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:17:34 MESZ

An: sundowner


Aber Sie sind es doch, der leidet, wenn ich Ihre dämlichen Fragen mit Missachtung strafe. Also gut, fragen Sie, aber lamentieren Sie nicht wieder, wenn Sie keine Antwort bekommen.

Von: sundowner

Betreff: Re-3: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 09:27:59 MESZ

An: meretseger


Akzeptiert. Ich verspreche, nicht mehr rumzupienzen. Und will es wagen:

Meine Liebe,

wie erklären sich diese ungeheuerlichen Unterschiede in der Art, wie Sie schreiben – knapp, unterkühlt, nüchtern –, und der Art, wie Sie lieben – hingebungsvoll, heißblütig, unendlich zärtlich?

Bisweilen glaube ich, ich hätte es da mit zwei verschiedenen Frauen zu tun ...


Von: sundowner

Betreff: Re-3: Danke!

Datum: 17. Mai 2011 11:23:14 MESZ

An: meretseger


Ah ja. Ich verstehe. War doch wieder eine dämliche Frage. Wobei ich Ihre Definition von „dämliche Frage“ mal so interpretiere: Ich könnte mir die Antwort selber geben, wenn ich nur richtig drüber nachdächte.

Okay. Ich werde mich bemühen.

Oder strafen Sie mich speziell für diese Frage mit Missachtung, weil ich angedeutet habe, eventuell hinter Ihr Geheimnis gekommen zu sein? Oder sagen wir lieber: hinter eines Ihrer Geheimnisse?

Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel – und dass sich nichts an dem ändert, was zwischen uns ist. Apropos: Wie soll ich eigentlich nennen, was zwischen uns ist? Eine Beziehung? Ein Verhältnis? Eine Affäre? Ein Arrangement?

Ich betone: Dies soll kein Lamentieren sein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und hoffe, bald wieder von Ihnen zu hören.

Von: bigapple

Betreff: meretseger

Datum: 17. Mai 2011 19:37:12 MESZ

An: boe@oettingerundpartner.de


Nur mal schnell ein paar Zeilen aus der Mittagspause, nachdem ich nun einen halben Tag Zeit hatte, mir ein paar Gedanken über Dein merkwürdiges Abenteuer zu machen.

Zunächst einmal muss ich sagen: Du hattest recht.

Du hättest auf Dich hören sollen.

Denn: In diesen Kontaktforen im Internet tummeln sich tatsächlich nur Gestörte. Jetzt, wo Du Dir dies bewiesen hast, solltest Du aufhören, Dich dort herumzutreiben.

Bei all Deinen Überlegungen, was hinter diesem merkwürdigen Vorschlag zu einer solchen gegenseitigen „Blindverkostung“ stecken könnte, habe ich eine vermisst: die einfachste, banalste, nächstliegende. Sieht Dir aber ähnlich, dass Du darauf nicht gekommen bist. Das heißt: Vielleicht spukte sie Dir schon im Kopf herum, doch sie schien Dir nicht spannend genug, sie zu erwähnen.

Was, wenn Dir, als Du dieses dunkle Zimmer betreten hattest, eins über den Schädel gehauen worden wäre? Und Du am nächsten Tag wach geworden wärst – sofern Du überhaupt noch mal wach geworden wärst – ohne Geld und Papiere, oder vielleicht sogar mit einer Niere weniger? Erzähl mir nichts von wegen, das sei abwegig. Ich habe vielleicht eine kriminelle Phantasie, aber die ist längst nicht so abwegig wie Deine lächerlich romantischen Gedankenspielereien.

So, wie die Sache für Dich ausgegangen ist, kannst Du froh und glücklich sein. Und ich bin froh, dass Du selbst schon zu der Erkenntnis gekommen bist: Ein solches Erlebnis kann man nur einmal im Leben haben. Wie wahr.

Was Deine geheimnisvolle Schöne angeht: Ich glaube, im richtigen Leben ist sie eines von diesen ganz eiskalten Businessweibern. Sie denkt, sie hätte mit dieser Masche den ultimativen Weg zur Triebabfuhr gefunden: Ohne Namen und Gesicht bleiben, das heißt, hinterher nichts erklären oder ausdiskutieren müssen, keine Telefonate, kein Gesimse, kein wartender Jammerlappen im Hausflur, der nach einer Aussprache verlangt, wenn man spätabends nach Hause zu seinen Designermöbeln und seiner Mikrowelle zurückkehrt und einfach nur seine Ruhe haben will. Sie will sich die Freiheit bewahren, sich jederzeit einen neuen Lustknaben suchen zu können, wenn man den alten über hat. Sich mit nichts beschäftigen müssen, was die Konzentration aufs Kerngeschäft stören könnte, das Big Business, dem man sich verschrieben hat.

Klingt für einen Mann, der auch auf nichts aus ist als schnellen, unkomplizierten Sex, vielleicht sehr reizvoll, aber nur im ersten Moment. Bei näherer Überlegung ist dies alles doch nur traurig und armselig. Und ich bin sicher: So erfolgreich ist sie in ihrem Business gar nicht. Wer derart verquer sein Liebesleben zu organisieren versucht, hat auch im Job nichts drauf.

Dass es sich um eine „Dame von Rang“ handeln könnte, vielleicht sogar um eine Prominente, die nicht erkannt werden will, ist so eine typische Brunophantasie. Dies ist nicht nur die unwahrscheinlichste Möglichkeit, als die Du sie ja hellsichtigerweise schon selbst bezeichnet hast, sie ist auch die mit Abstand idiotischste.

Ein für mich viel näher liegender Gedanke, auf den Du ebenfalls nicht gekommen bist: Dass sie vielleicht Muslimin ist, die ihre sexuellen Phantasien auf diese Weise auslebt, versteckt vor ihrem Mann oder dem, dem sie versprochen ist, oder ihrer Familie und natürlich Allah. Wenn sie ihre Kleider ablegt, wird die Dunkelheit zu ihrer Burka, verstehst Du? „Meretseger“ – das deutet doch auf den Vornamen „Meret“ hin, oder etwa nicht?

Klingt doch besser als Deine gesammelten Theorien, oder?

Auf jeden Fall bin ich froh für Dich, dass diese Geschichte keine Fortsetzung findet. Und glaube mir: Das schreibe ich nicht, weil ich Dir keine aufregenden Abenteuer gönne. Ich bin sicher, Du kannst und wirst noch viele tolle Frauen kennenlernen: im Stadtpark, in der Kneipe, im Schwimmbad, und sie tummeln sich auch in den Cafés und den Bistros herum, in denen Du Dich jetzt ja schon nachmittags herumtreibst, Du musst nur die Augen offenhalten. So ein knackiges und pfiffiges Kerlchen wie Du bleibt schon nicht unbeachtet. Die Mädels müssen aber in Dein Gesicht sehen können, um von Dir angezogen zu werden. Und Du in ihres, um Dich von ihnen angezogen zu fühlen. Das nämlich ist die natürliche Art, sich kennenzulernen. Hat sich einfach bewährt in Tausenden von Jahren. Alles andere ist krank.

Nichtsdestotrotz war das eine sehr anregende und spannende Geschichte. Danke, dass Du Dich überwunden hast und mich daran teilhaben ließt. Behalte das bitte bei, ich will alles wissen, alles, und ich bin auch kein bisschen eifersüchtig. Was nicht heißen soll, dass Du mir egal bist. Du bist nach wie vor ein wichtiger Teil meines Lebens.

Allerdings ist Deine Geschichte daran schuld, dass ich heute Morgen nichts Vernünftiges auf die Reihe bekam, die Mittagspause nun an dieser Mail geschrieben und somit auch nichts zu beißen bekommen habe.

Von: : boe@oettingerundpartner.de

Betreff: Re.: meretseger

Datum: 17. Mai 2011 16:05:21 EDT

An: bigapple


Zunächst einmal: Von wegen Meret. Der Name „Meretseger“ stammt von einer alten ägyptischen Göttin. Sie war allmächtig, konnte helfen und vergeben, aber auch bestrafen. Übersetzt bedeutet ihr Name „Die das Schweigen liebt“. Passt doch wunderbar zu ihr, oder?

Und hat mit dem türkischen Vornamen „Meret“ rein gar nichts zu tun. Du siehst, Deine Theorie ist sogar noch idiotischer als sämtliche, die ich mir zusammenfabuliert habe.

Und von wegen kaltes Businessweib: Meine Liebe, Du hast ja keine Ahnung. Oder aber, ich habe Dir doch nicht genügend Einzelheiten geschildert von der Nacht, die ich mit ihr erlebt habe. Du machst Dir ja keine Vorstellungen, Du moderne Frau des 21. Jahrhunderts, die sich bewusst und mit allen Konsequenzen für ein Jahr trennt, um herauszufinden, ob es tatsächlich nichts Besseres gibt als mich.

Ich könnte natürlich auch sagen, „der Gentleman genießt und schweigt“, aber das ist mir zu idiotisch. Ich kann Dir nur versichern: Meretseger mag vielleicht eine Businessfrau sein, aber sie ist alles andere als kalt. Und das, was ich mit ihr erlebe, ist alles andere als bloße Triebabfuhr. So viel Ahnung von Frauen darfst Du mir ruhig unterstellen.

Ja, ich schreibe im Präsens. Denn wir haben uns gestern wieder getroffen. Die Geschichte geht also doch weiter. Aber Du darfst Dich trotzdem für mich freuen. Wenn Du es jetzt noch willst.

Dass ich gestern geschrieben habe, so etwas ließe sich nur einmal im Leben erleben, nehme ich übrigens zurück. Das zweite Mal war sogar noch überwältigender als das erste Mal. Es war, als müssten wir erst wiederentdecken, was wir nach wie vor noch nicht mit eigenen Augen gesehen haben. Wir mussten erst herausfinden, ob alles noch auf seinem Platz ist, ob wir überhaupt noch dieselben sind wie zwei Abende zuvor, oder ob einer von uns vielleicht doch jemand anderen geschickt hat. Und wir hatten nur unsere Hände und unsere Lippen, um dies herauszufinden.

Wir haben uns diesmal sogar noch mehr Zeit gelassen als beim ersten Mal. Vielleicht nicht mit dem Begrüßungsritual am Vorhang, dafür aber ließen wir dann im Bett die Zeit stillstehen. Ich nahm zunächst wieder die passive Rolle ein, und sie genoss es, mich dagegen ankämpfen zu lassen, die Beherrschung nicht zu verlieren. Sie bearbeitete mich mit dem Mund und den Händen und Lippen, bis ich mich im Bettlaken festkrallte, am ganzen Körper bebte, mich hin und her warf vor Erregung. Zeitweise glaubte ich, es zerreißt mich. Aber ich ließ meine Hände im Laken festgekrallt. Revanchieren durfte ich mich erst gefühlte hundert Jahre später, und Du kannst Dir nicht vorstellen, mit welcher Hingabe ich dies tat.

Danach schliefen wir sogar Arm in Arm ein. Erwachen musste ich allerdings wieder allein. Aber das ist in Ordnung. Ich war von ihr noch erfüllt, noch verzaubert, noch gestärkt genug, um wieder hinauszuziehen in die Welt mit all ihrem Lärm und Geflimmer, ihren Verkehrsstaus, ihrem Gehupe, dem Baulärm, der mich im Büro terrorisiert, den Mahnbescheiden in meinem Briefkasten und den ach so tollen Frauen, die von mir angezogen werden wollen mit ihren getuschten Augen, ihrem grellen Makeup, ihrem süßen, schweren Duft, ihrem Geschnatter, ihren nervenden Handys.

O wie ist das doch so natürlich! Bewährt seit Tausenden von Jahren. Welche Ehre, da mittun zu dürfen. Vielen Dank auch.

Sie dagegen soll kalt sein? Von wegen. Triebabfuhr? Von wegen.

Du hast keine Ahnung, meine Liebe.

Der Schrott, den Du schreibst, hat allerdings was für sich: Er hilft mir, sie zu verstehen. Worte sind so unwichtig, so verdammt unwichtig. Sie vermögen einfach nicht genug auszudrücken. Zumindest nichts Wahrhaftiges, nichts wirklich Intensives. Wörter taugen zum Heucheln, Lügen, Vertuschen, Betrügen, Verarschen. Oder dazu, Neid und Missgunst auszudrücken, nicht wahr?

Hast Du mittlerweile mal was Neues von Deinem Mark mit dem schönen Mund gehört? Ich frage natürlich nur für den Fall, dass er überhaupt existiert. Denn wenn ich ehrlich sein soll: Auch wenn Du Dir wirklich Mühe mit der Schilderung von Kleinigkeiten gegeben hast – die Nummer vor der nächtlichen Skyline Manhattans war mir am Ende doch einen Tick zu durchgestylt. Schmeckte zu sehr nach Playboy TV, zu wenig nach Reality.

Doch wenn dieser Mark mit dem schönen Mund tatsächlich echt sein sollte: Wenn Du wirklich nur zu ihm geschickt worden bist, weil sie Dich testen wollten, hast Du Dich jetzt ganz schön in die Nesseln gesetzt, oder etwa nicht? Denn das hieße ja, er wurde von Deinen Vorgesetzten für ihre Zwecke eingespannt. Was wiederum den Schluss zulässt: Er ist ihr Vertrauter, auf jeden Fall kennt er sie näher. Und wird ihnen brühwarm berichten, dass er nicht nur die fachlichen Fähigkeiten des Frolleins aus Germany ausgiebig getestet hat, und das gleich am ersten Abend. Was wiederum schnell die Runde machen dürfte in der Bank. Scheiß Einstieg für Dein Jahr in NYC, was?

Ehrlich gesagt, da setze ich lieber auf Blindverkostung ...

Schöne Zeit noch in der Stadt, die niemals schläft.

Von: bigapple

Betreff: Re-2: meretseger

Datum: 18. Mai 2011 12:25:18 MESZ

An: boe@oettingerundpartner.de


Huch, was für ein Ton ist das denn auf einmal? Kann die ägyptische Göttin der Stille außer strafen, helfen und vergeben etwa auch Gehirne waschen?

Schon merkwürdig: Gestern noch ist mein Brunolein tieftraurig, weil ihn seine geheimnisvolle Königin der Nacht am langen Arm verhungern ließ, nachdem er sie beglückt hatte. Er schreibt sich die Seele aus dem Leib, versichert am Ende aber, er wäre froh, davongekommen zu sein, will keine Beileidsbekundungen lesen und nimmt dankbar unsittliche Angebote seiner fernen Freundin aus Amerika entgegen – auch wenn Blindverkostung mit ihr, wie charmant, „nicht dasselbe“ wäre.

Doch kaum hat er die längste Mail, die er jemals schrieb – was für eine Untertreibung! Es war überhaupt die längste Aneinanderreihung von Wörtern, zu der sich Brunolein in seinem 37-jährigen Leben bisher aufraffte, und das, obwohl er nicht einmal einen halben Tag später zu der Erkenntnis kommt, dass Wörter zu gar nichts zu gebrauchen sind, schon gar nicht dazu, etwas Substanzielles, Wahrhaftiges auszudrücken –, kaum hat er diese Mail also abgeschickt, gefällt es Lady Midnight, den kleinen Bruno wieder zu sich zu zitieren. Und natürlich kommt er prompt gehoppelt wie ein geiles Karniggel, das heißt, wohl eher hechelnd wie ein geiler Köter, erlebt abermals die Herrlichkeit auf Erden – und schon will er nichts mehr wissen von wegen grade noch mal davongekommen zu sein. Nein, seine schräge Welt erstrahlt ihm plötzlich wieder in rosaroten Farben, obwohl er im wahrsten Sinne des Wortes nur in tiefschwarzer Nacht Erfüllung findet, doch das schreckt ihn nicht, schon gar nicht sieht er die Symbolik darin, warum sollte er auch, es ist ja alles so schrecklich aufregend und kein bisschen krank oder gefährlich.

Wie soll er die Zeichen an der Wand auch sehen, wenn es dunkel ist?

Die treue Freundin dagegen, die versucht, ihn von überm Teich aufzumuntern, schreibt plötzlich nur noch „Schrott“ und hat „keine Ahnung“ beziehungsweise ist ja doch nur neidisch oder missgünstig oder eifersüchtig oder was auch immer.

Außerdem weiß die blöde Kuh nicht einmal, wer oder was Meretseger ist. Ja, gibt’s denn so was! Brunolein, ich weiß, Du würdest es niemals zugeben, aber ich wette, Du bist heute Morgen selbst zum ersten Mal auf die Idee gekommen, mal bei Wikipedia nachzuschauen, was der Name überhaupt bedeutet. Zuvor hattest Du selbst keinen blassen Schimmer, aber wenn es darum geht, kleines, dummes Vera als dämlich darzustellen, holt Brunolein sogar ein bisschen versäumte Bildung nach, gell?

Ich weiß schon, wo dieser Ton herrührt: Es ist Deine Art, über sie zu triumphieren, die moderne Frau des 21. Jahrhunderts, die sich für ein Jahr von Dir trennen wollte, um im Job und privat noch einmal was Neues zu probieren, damit sie sich sicher sein kann, wenn sie sich danach in festgefügte Bahnen begibt. Du hast das zwar offiziell alles abgenickt, aber wahrscheinlich nur aus Ritterlichkeit, weil Du sowieso nichts mehr ändern konntest und mich ziehen lassen wolltest, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen habe. Tatsächlich aber habe ich Dich zurückgelassen in Deinem Schmerz, den Du so mannhaft verborgen hast, bin ausgezogen, um in der großen, weiten Welt mein Glück zu finden, Abenteuer zu erleben, aber das hast jetzt Du gefunden, in Deiner kleinen Welt, die mir zu eng, zu provinziell war.

Darüber lachst Du Dir jetzt ins Fäustchen, nachdem Miss Mystery ein zweites Mal nach Dir gegriffen hat, aus dem Dunkeln auch noch. Was für ein Aphrodisiakum! Es wirkt sich wahrscheinlich auf Dein Ego sogar noch stärker aus als auf Deine Libido. Wobei das ja eigentlich keine Rolle spielt, denn gerade bei Männern, erst recht bei Dir, ist beides ja miteinander verzahnt. Keine Libido, kein Ego – und umgekehrt.

Und ich? Ich habe plötzlich Angst allein in der großen Stadt, verstoße aus Verzweiflung sogar gegen meine Prinzipien und lande in meiner schönen, neuen, freien Welt prompt mit einem Typen auf der Couch der mich an meinem Arbeitsplatz unmöglich macht. Ist das nicht großartig, ist das nicht gerecht? Haha!

Aber nein, der Witz reicht meinem lieben Bruno ja nicht einmal. Er unterstellt mir sogar, ich hätte „die Nummer“ sogar nur erfunden. Weil sie zu „stylish“ gewesen sei, um wahr zu sein. Wie scharfsinnig. Glaubst Du, Deine Begegnungen mit der Königin der Nacht lesen sich glaubwürdiger?

Du kannst unbesorgt sein: Dieser Mark mit dem schönen Mund existiert tatsächlich. Gemeldet hat er sich nach der Nacht nicht mehr, ich weiß, findest Du auch saukomisch, ganz wunderbar, geschieht mir recht, vielen Dank auch. Und mit Deinem Verdacht, dass unsere kleine Romanze jetzt in der Bank die Runde macht, könntest Du auch richtig liegen. Da bin ich nämlich schon ganz allein draufgekommen, ob Du’s glaubst oder nicht.

Ja, ich war schön blöd. Aber ich erlaube mir, Dir das ganz ohne jeden Unterton zu sagen. Ich will dafür weder Spott noch Häme ernten, noch nicht einmal Mitleid, sondern ich will lediglich einen Menschen weiter an meinem Leben teilhaben lassen, der mir in den vergangenen fünf Jahren so nahe war wie noch nie jemand zuvor.

Beziehungsweise: Ich wollte ihn weiter an meinem Leben teilhaben lassen.

Wenn Du aber in diesem Stil mit mir weitermachen willst, hör einfach auf, mir zu schreiben. Ich komme hier schon zurecht, auch allein, ich werde diese Stadt für mich erobern oder sie wird mich erobern. Und ich werde mich im April nächsten Jahres bei Dir melden und fragen, ob es wie verabredet bei unserem Wiedersehenstermin bleibt. Den möchte ich mir nämlich nicht nehmen lassen, auch nach diesem großkotzigen Geschreibsel eben nicht.

Bis dahin kann ich Dir nur sagen: Pass auf, wo Du da hineingerätst. Nein, ich bin nicht neidisch oder eifersüchtig, ich gönn Dir jedes Liebesabenteuer, das Du Dir mit Deiner Brunophantasie ausmalen kannst, aber diese Geschichte ist einfach zu abgefahren. Die geht nicht gut aus, glaub mir.

Und denk dran: Das schreibt Dir nicht die, die das Schweigen liebt, sondern Vera. Die, die mal Deine Vera war. Und Vera heißt Wahrheit.

Von: sundowner

Betreff: Einmal mehr: Danke!

Datum: 2. Juni 2011 08:04:23 MESZ

An: meretseger


Vermutlich langweile ich Sie mit meinen Danksagungen an jedem Morgen „danach“ nur, aber sehen Sie es mir, wie so vieles, einfach nach. Wie sagt doch der Volksmund: Wem das Herz voll ist, dem quillt der Mund über.

Auch wenn Sie es nicht mehr hören können: Einmal mehr sage ich danke für die wundervollen Stunden gestern. Wenn ich Sie wäre, würde ich mich gar nicht einmal so sehr an dem ständigen „Danke“ stören, sondern an den jämmerlichen Attributen, die ich immer und immer wieder absondere: „großartig“, „überwältigend“, „einzigartig“, „unvergesslich“ – ist immer wieder dieselbe Leier, ich weiß. Aber mir fallen einfach keine Worte ein, die Ihnen gerecht werden.

Keine Angst: Ich werde heute auch nicht versuchen, Sie zu einer Antwort auf eine Frage zu nötigen, die Sie ohnehin wieder als dämlich erachten würden.

Stattdessen möchte ich Sie ermuntern, mich zu fragen. Gibt es nichts, was Sie von mir wissen möchten? Über mich? Eindrücke, die Sie mit mir teilen möchten? Empfindungen? Vielleicht stellen Sie mir ja klügere Fragen, als ich Ihnen stelle.

Keine Angst: Das soll kein „Fishing for Compliments“ sein. Es ist vielmehr so: Wenn wir zusammen sind, spüre ich eine Nähe zwischen uns, die mehr als nur körperlich ist. Warum sollen wir diese Nähe nicht auch auf einer höheren, geistigen Ebene suchen, finden und gemeinsam erleben? Finden Sie nicht, dass wir uns das schuldig sind, gerade weil wir auf der körperlichen Ebene so ungeheuer Überwältigendes – schon wieder dieses langweilige, nichtssagende Wort – erleben?

Oh, das waren jetzt doch wieder Fragen von meiner Seite. Aber ich glaube, Sie waren nicht so dämlich wie meine vorangegangen. Ich bin gespannt auf Ihre Reaktion.

Von: meretseger

Betreff: Re.: Einmal mehr: Danke!

Datum: 2. Juni 2011 09:17:54 MESZ

An: sundowner


Auch ich habe den Abend mit Ihnen sehr genossen. Wie jeden Abend mit Ihnen. Daher auch von mir ein Dankeschön.

Vielen Dank auch für Ihr Angebot, Ihnen Fragen zu stellen. Wenn ich einmal ein Bedürfnis nach verbaler Kommunikation haben sollte, werde ich nicht zögern, mich an Sie zu wenden.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Von: sundowner

Betreff: Einmal mehr: Danke!

Datum: 2. Juni 2011 09:25:03 MESZ

An: meretseger


Nun ja – nicht gerade erschöpfend, Ihre Replik. Aber immerhin: Ihre Formulierung „verbale Kommunikation“ lässt mich aufhorchen. Es wäre töricht zu glauben, dass sie einfach ungeschickt oder ungelenk ist, nicht, wenn sie von Ihnen stammt. Damit habe ich nun für eine Weile zu grübeln.

Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag.

Von: lea75.groninger@gmx.de

Betreff: Bruno

Datum: 30. Juni 2011 3:12:53 EDT

An: bigapple


Hi, Vera,

na, alles im Lot bei Dir da drüben? Kannst Du mittlerweile ruhig schlafen zwischen den Lichtern der Großstadt?

Mann, wie ich Dich beneide ...

They say the neon lights are bright in broadway, they say there’s always magic in the air ...

So sehr ich Dir viele lange Nächte am Broadway wünsche – ich wär froh, wenn ich endlich mal wieder zur Ruhe käme. Vorgestern: Morgens Anwaltsgespräch in Stuttgart wegen Scheidung, dann mit Vollgas zurückgebrettert, weil: 14 Uhr Vorstellungsgespräch wegen Job. Wird aber nichts. Für das, was die zahlen wollen, kann ich auch putzen gehen.

Abends wieder brave Tochter geben. Diesmal haben sie mich im Verein der Wanderfreunde rumgezeigt. Ich wollte lieber auf der Couch liegen bleiben und in die Glotze schauen. Diskutiert, festgestellt, dass beide schwer beleidigt sind, wenn ich nicht mitgehe, eingelenkt, Jacke angezogen und mitgewackelt.

Altersdurchschnitt im Vereinsheim: gefühlte 130 Jahre über mir.

Die reservierten, aber intensiven Scans der Frauen ertragen und die altersgeilen Blicke der Männer. Mann, ist das hart, mit fünfunddreißig noch mal bei seinen Eltern leben zu müssen. Ich kann es kaum erwarten, wieder für mich zu sein. Und ich arbeite daran. Wie an so vielem in diesen Tagen. Und an allem arbeite ich gleichzeitig.

Danke nochmals für die Kontaktdaten von Bruno. Habe mich gestern mit ihm getroffen. Mein Gott, war der reserviert. Wir sind nach der Besichtigung noch kurz in den Biergarten gegangen. Hatte ihn eingeladen. Dachte, wir quatschen noch ein bisschen, über früher, über ihn, über Euch beide, darüber, wie es ihm geht, seit Du weg bist.

Schien ihn aber alles nicht zu interessieren. Er antwortete immer nur in knappen Worten, ein, zwei Mal versuchte er, von den Themen abzulenken, auf die ich ihn bringen wollte, indem er mir lustige Episoden aus seinem Berufsleben erzählte. Dabei ging es immer um den Beziehungsknatsch, den er bei seinen Wohnungssuchenden so erlebt. Den scheint er echt lustig zu finden. Ansonsten wirkte er so teilnahmslos, dass ich zeitweise dachte, er wäre hinter seiner megaouten Fliegersonnenbrille eingepennt. Ab und zu blickte er der Bedienung oder anderen Frauen hinterher.

Mann, ich dachte eigentlich, ich hätte eine gewisse Wirkung auf Männer. Aber bei Deinem – darf ich ihn überhaupt noch „Deinen“ nennen? – Bruno könnte ich glatt vom Glauben abfallen.

Kann das sein, dass er die Trennung von Dir noch nicht verkraftet hat? Oder habt Ihr Euch noch gar nicht richtig getrennt? Falls Eure Trennung nur vorübergehend sein soll, dann kann ich Dir versichern, dass Bruno seine Freiheit offenbar nicht nutzt, um alles und jede anzubaggern. Zumindest nicht mich. Kann natürlich auch sein, dass er einfach nicht abfährt auf meine braunen Löckchen.

Was mich natürlich schon ein wenig kränkt. Mir gefällt er nämlich ganz gut. Besser als früher jedenfalls. Da hätte ich gar nichts mit ihm anfangen können. Für mich war er der Inbegriff des Kaffeehausschwätzers, der es zu gar nichts bringen wird im Leben. Gutaussehend, sicher, auch witzig, aber irgendwie leer, ohne Kanten und Ecken. Insofern war ich schon ein wenig erstaunt, dass ausgerechnet Du Dich seiner angenommen hast. Was für ihn sicher ein Glück war, denn sonst wäre er wohl als armer Poet auf einem Spitzweg’schen Dachboden geendet. Du hast ihn wenigstens durch die Ausbildung zum Immobilienkaufmann geprügelt.

Und hast ihm offensichtlich gut getan. Er ist nicht nur reifer geworden, er wirkt auch männlicher, entschlossener, selbstständiger. Muss er ja wohl auch sein, denn er muss den Laden, den Du mit ihm aufgebaut hast, ja nun alleine schmeißen.

Die Wohnung, die er mir gezeigt hat, finde ich nicht schlecht. Nicht gerade ein Traum, aber im Rahmen dessen, was ich mir leisten kann. Windmühlenstraße, Mehrfamilienhaus, 3. Stock, drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon, 89 Quadratmeter, einigermaßen gepflegter Laminatfußboden. Kennst Du sie? Hattet ihr die schon im Programm, als Du noch in Amt und Würden warst?

Lass mal von Dir hören. Auch wenn’s bei Dir da drüben bestimmt viel aufregender ist.

Und denk immer dran: If you can make it there, you can make it everywhere ...


Von: bigapple

Betreff: Lea

Datum: 30. Juni 2011 12:32:14 MESZ

An: boe@oettingerundpartner.de


Hallo, Arschloch!

Na, immer noch selig mit der schweigenden Göttin?

Dein Hirn jedenfalls scheint sich mittlerweile auch empfindlich zu verdunkeln.

Ich habe Dir vor ein paar Tagen Lea Groninger als Kundin vermittelt: Mitte dreißig, braune, lockige Haare, schlank, attraktiv – wär Dir früher sicher aufgefallen. Sie hat derzeit viel um die Ohren, Scheidung, Wohnsitzwechsel, Arbeitsplatzwechsel – ich weiß, für Dich ist das alles nur ein weiteres trauriges Einzelschicksal im ewigen, ach so schwachsinnigen Wechselspiel des Zusammenziehens und Sich-wieder-Trennens, das die bescheuerte Menschheit in ihrer geradezu zwanghaften Engstirnigkeit immerfort wiederholt. Du stehst da natürlich drüber und betrachtest Dir das Ganze unbeteiligt vom Spielfeldrand, cool, wie Du bist – aber Lea ist meine Freundin.

Meine FREUNDIN, verstehst Du?

Kannst Du Dir unter diesem Begriff überhaupt noch etwas vorstellen? Durch mich war sie früher übrigens auch mal eine Zeitlang mit Dir befreundet, ehe sie heiratete und nach Stuttgart zog, aber diesen Teil Deiner Hirnfestplatte hat Dir die schwarze Witwe offenbar gelöscht.

Ich hatte sie zu Dir geschickt, weil ich dachte, Du könntest ihr wenigstens die Suche nach einer neuen Wohnung ein wenig erleichtern. Dass Du Dich ihr gegenüber dann wie ein Arschloch benimmst – okay, das ist wohl jetzt so, Du kannst offenbar nicht mehr anders.

Aber dass Du versuchst, ihr die Windmühlenstraße aufzuschwatzen – bist Du jetzt vollkommen übergeschnappt? Du weißt ganz genau, dass der asbestverseuchte Büroklotz dort gegenüber in einem Vierteljahr abgerissen und anschließend ein neuer hochgezogen wird. Das bedeutet: Zwei Jahre Baulärm.

Wie kannst Du Lea das zumuten? Jemandem, den Du kennst? MEINER Freundin!

Abgesehen davon wird der Wohnwert in dieser Ecke dort in den nächsten Jahren noch weiter in den Keller gehen, weil die Nachbarschaft mindestens genauso räudig bleiben wird, wie sie es jetzt schon ist, tendenziell noch räudiger. Auch das weißt Du, und dennoch hast Du versucht, ihr die Bruchbude anzudrehen.

Ich warne Dich – wenn Du auf Krieg aus bist, kannst Du ihn haben!

Du wirst Lea dieses Objekt ausreden und ihr das beste und schönste anbieten, das im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu haben ist. Und Du wirst keine Provision dafür nehmen.

Tust Du das nicht, nehme ich Kontakt zu unserem Anwalt auf. Der ist nämlich eigentlich MEIN Anwalt, verstehst Du? Immer gewesen! Ich bin sicher, es steckt noch einiges Geld im Geschäft, auf das ich Anspruch habe – und das ich rausziehen kann, wenn ich will.

Und grüß mir die Dame im Dunkeln. Aber, Moment mal: Ihr richtet euch ja keine Grüße aus, Worte sind ja viel zu bedeutungslos für euch – so ein Ärger aber auch.

Ich hab’s: Beiß ihr meine Segenswünsche einfach in ihren perfekten Hintern. So long.

Von: boe@oettingerundpartner.de

Betreff: Re.: Lea

Datum: 30. Juni 2011 14:02:42 EDT

An: bigapple


Schön von Dir zu hören. Im Ernst.

Das ist nicht sarkastisch, nicht hämisch, nicht spöttisch, nicht beleidigend, das ist ganz ohne jeden Unterton gemeint: Ich bin froh, dass das Eis gebrochen ist. Dass Du es gebrochen hast. Wenn auch nur, um ein Donnerwetter zu entladen. Aber so ist sie eben, meine Vera. Ich wollte mich in den vergangenen Wochen auch immer wieder mal melden, habe mich aber nicht überwinden können. Wie immer.

Jetzt, da der erste Schritt getan ist, kann ich es endlich schreiben: Entschuldigung.

Entschuldigung für mein letztes Schreiben mit sämtlichen darin enthaltenen Unter- und Obertönen. Du hattest recht. Ich war noch dermaßen entflammt, euphorisiert, enthusiasmiert und was weiß ich noch alles von der Nacht, die ich zuvor gerade erlebt hatte, dass ich einfach nichts Mahnendes, Warnendes oder sonst wie Negatives hören wollte. Und wild um mich geschlagen habe.

Doch nun zu Deiner Freundin Lea. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr noch immer so eng befreundet seid. Für mich war es nur eine Tussi, die mich damals nicht einmal mit dem Hintern angeguckt hat. Jetzt taucht sie wieder auf und macht auf gute, alte Bekannte. Die hat’s grad nötig, denke ich. Offenbar ist sie auf Vorzugsbehandlung und eine Provision zum Freundschaftspreis aus, wahrscheinlich will sie sogar alles geschenkt. Solche Leute waren mir schon immer zuwider, das weißt Du. Daher habe ich so reagiert, wie ich reagiert habe.

Die Windmühlenstraße mag keines unserer Topobjekte sein, aber an irgendwen müssen wir sie ja mal verscherbeln. Also habe ich versucht, sie Lea anzudrehen. Sie gefällt ihr ja gar nicht mal schlecht, und ich bin nicht verpflichtet, ihr unser Hintergrundwissen weiterzugeben. Ich habe also nichts Verwerfliches getan.

Da es Dir aber ein Herzensanliegen ist, sie bevorzugt zu behandeln, werde ich es tun. Versprochen.

Frieden?

Und: Geht es Dir gut?

Von: boe@oettingerundpartner.de

Betreff: Re.: Lea

Datum: 1. Juli 2011 15:04:17 EDT

An: bigapple


Noch immer keine Antwort – na gut. Du schmollst also immer noch. Oder willst Du einfach nur Fakten lesen und keine leeren Versprechungen – und wirst mich erst begnadigen, wenn Du von Deiner Lea gehört hast, dass der eifrige, rund um die Uhr bemühte Bruno ihr ihre absolute Traumwohnung besorgt hat? Dann soll es eben so sein.

Von: bigapple

Betreff: Lea

Datum: 2. Juli 2011 01:11:35 MESZ

An: boe@oettingerundpartner.de


Hallo, Rübennase,

immer mit der Ruhe. Wie Du vielleicht weißt, bin ich in NYC, um zu arbeiten, und ich kann Dir sagen, ich habe sogar mehr als gut zu tun. Daher kann ich nicht auf jede private Mail gleich antworten, manchmal komme ich tagsüber auch gar nicht dazu und kann mich erst am Abend wieder an meine Apfelmaschine setzen.

Wobei ich zugeben muss: Nachdem ich Deine zweite Mail gelesen habe, hat es mich schon gejuckt, Dich noch ein wenig zappeln und Dich tatsächlich erst mal Deinen Job mit Lea machen zu lassen.

Aber dann habe ich es selbst nicht mehr ausgehalten. Ich bin nämlich auch froh, wieder von Dir zu hören, Du Stoffel. Hättest Du Dich nicht selbst mal überwinden können, wenigstens dieses eine Mal?

Aber so, wie es jetzt gekommen ist, ist es auch gut. Werten wir es mal als glückliche Fügung des Schicksals.

Will sagen: Frieden.

Zu Lea: Na ja, so ganz akzeptiere ich Deine Entschuldigung nicht. Auch wenn sie vor ein paar Jahren weggezogen ist, ich kenne sie länger als Dich. Sie ist in der gleichen Straße aufgewachsen wie ich, wir haben zusammen unsere Puppen spazieren gefahren, sind Seite an Seite in die Grundschule getrippelt. Unser Kontakt zueinander ist nie abgerissen, das hättest Du eigentlich noch wissen können. Ist aber auch mal wieder typisch für Dich, so hörst Du eben zu.

Doch auch wenn Du das alles nicht gewusst oder vergessen hast, hättest Du Dich ihr gegenüber nicht ganz so arschlöchrig verhalten müssen. Gehst Du so mittlerweile mit all Deinen Kunden um? Lea schreibt, Du hättest Dich kaum auf sie konzentrieren können, nur Blödsinn gelabert und hinter anderen Weibern hergeschaut – Bruno! Also wirklich.

Aber ich verlass mich darauf: Du wirst ihr jetzt was Schönes suchen. Ich habe nicht mehr den Überblick über unser Angebot, auch nicht die Zeit, mich mal bei uns einzuloggen, aber ich erwarte, dass Du das erste Sahnestückchen, das Du reinkriegst, jetzt erst mal Lea zeigst, bevor Du’s bei Immoscout reinstellst.

Ich muss es aber noch mal sagen: Wie kannst Du nur hinter anderen Weibern herschauen und die attraktive Frau, die Dir gegenüber sitzt, ignorieren? Nur, weil Du damals keine Chance bei ihr hattest? Die Zeiten ändern sich, mein Freund. Glaub mir, mittlerweile findet sie Dich gar nicht mehr so übel, aber genug jetzt. Ich will nicht den Eindruck erwecken, ich wollte sie mit Dir verkuppeln, das törnt Dich doch nur ab, ich kenn Dich doch.

Was mich angeht: Mir sitzen derzeit weder attraktive Männer gegenüber noch habe ich das Gefühl, dass mir welche hinterherschauen, wenn ich morgens durch die Straßen haste – der Lärm ist selbst am frühen Morgen schon ohrenbetäubend.

Mittlerweile hat auch der Sommer begonnen. Und der ist in NYC wirklich die Hölle. Hitze und Abgase stauen sich in den Häuserschluchten, es ist, als brutzele die Stadt unter einem riesigen Brennglas. Tagsüber zumindest. Die Nächte dagegen sollen herrlich sein, und das Freizeitangebot ist, wie mir die Mädels im Büro erzählen, gigantisch. Ein kaltes Bier im Bryant Park, Chillen auf Governors Island, Rummel auf Coney Island, Konzerte im Amphitheater an der Jones Beach – hört sich alles verlockend an, aber unter der Woche? Am nächsten Morgen will das Frollein aus Germany doch wieder ausgeschlafen sein, anders kennt man es doch nicht. Manchmal fühle ich mich auch wirklich willens und erlebniswütig, wenn ich abends aus der vollklimatisierten Bank stürze. Aber dann laufe direkt in diese hupende Hitzewand, fange an, um Luft zu ringen, und erreiche gerade noch lebend meine Wohnung. Möge niemals die Klimaanlage ausfallen. Wie immer will ich mich am Wochenende aufraffen, die Stadt endlich zu meiner machen.

Mag sein, dass ich mir das alles ein wenig anders vorgestellt habe. Broadway-Shows und Bars, Jazz-Keller, Shopping Malls mit endlosen Rolltreppen, Galerien und Museen, und jeden Abend spät nach Hause im gelben Taxi. Ist ja auch alles da, und ich bin mittendrin. Und dennoch ist es mir so fremd, so fern.

Aber still. Jammern gilt nicht. Sonst kommt mein Bruno und erklärt, dass ich mich nicht zu beklagen habe, denn ich selbst habe es ja genau so gewollt. Stimmt ja auch. Ich werde durchhalten, will und werde es hier schaffen, werde ein freches, frivoles „Sex and the City“-Girl werden, das samstagmorgens mit seinen Freundinnen beim Caffè Latte sitzt und über den Kerl herzieht, den es am Abend zuvor vernascht hat.

Ich glaube, ich brauche einfach so was wie eine Initialzündung. Einen Kick. Von mir aus auch in der wörtlichen Übersetzung: einen Tritt, ja, gerne auch in den Hintern. Kann ja vielleicht nur ein ganz leichter, sanfter sein. Getreten mit nackten, gepflegten Zehen. Von einem intelligenten, kultivierten Mann, der durchaus auch gut aussehen darf, den Big Apple in- und outside kennt und ihn mir öffnet.

Ich weiß, das klingt jetzt nicht sehr emanzipiert. Aber es fällt verdammt schwer, hier einfach so alleine loszuziehen. Auch wenn die Mädels im Büro immer sagen, New York sei die Stadt der Singles und es sei überhaupt kein Problem, auf eigene Faust was zu unternehmen.

Ab und zu schaffe ich es, frühmorgens joggen zu gehen. In der Morgenluft habe ich das Gefühl, freier atmen zu können. Ich laufe dann die Lower East Side entlang, Richtung Battery Park. Fast immer begegne ich dabei einem jungen Glatzkopf, der die gleiche Strecke läuft, und mich jedes Mal freundlich anlächelt, wenn er mich sieht.

Mit freundlich meine ich: nicht aufdringlich, auf die Art: „Na, Süße, wie wär’s mit uns beiden?“. Mein Glatzkopf – nein, kein muskelbepackter Skinhead, sondern ein zartgliedriger, fast ein bisschen zerbrechlicher – lächelt nur verschämt, nickt mir sogar kurz zu, wendet dann aber sofort den Blick von mir, damit er ja nicht in den Verdacht kommt, mit mir flirten zu wollen. Ein Schüchterner halt. Die waren mir schon immer lieber.

Ja, ich weiß, hör bitte auf zu grinsen. Es ist so. Du hast damals auch nicht gerade versucht, mich im Sturm zu nehmen, und das war Dein Glück.

Ab und zu treffe ich ihn, da stretcht er gerade an einer Parkbank oder bindet sich die Schuhe. Fast könnte ich glauben, er hätte auf mich gewartet.

Solche Typen sind mir jedenfalls lieber als alles, was so bei uns im Büro herumläuft. Ich meine, es gibt sie schon, die durchtrainierten, gutaussehenden Maßanzugträger mit den markigen Gordon-Gekko-Kinnen. Aber die mustern mich, als tauge ich bestenfalls für einen Stehfick auf der Toilette.

Nach meinem Ausrutscher mit Mark schienen übrigens auch ein paar zu glauben, ich sei dafür leicht zu haben. Entsprechend Deinen Befürchtungen – oder sollte ich besser schreiben: freudigen Erwartungen? – hat sich mein One-Night-Stand anscheinend flächendeckend herumgesprochen. Natürlich spricht mich niemand drauf auf, aber ich spür’s halt. Scheiß Gefühl.

Ich werd jetzt als so was wie Freiwild angesehen. Da kommt es schon mal vor, dass sich einer beim Smalltalk in der Kaffeeküche eine Spur zu heftig an mich randrängelt – und dann gespannt wartet, ob das Frollein aus Germany zu hyperventilieren beginnt. Das ist aber noch zu ertragen, wenn die Typen attraktiv sind und nach teurem Rasierwasser riechen. Schlimmer ist die Sorte der verschwitzten Fettsäcke, die den väterlichen Freund gibt. Sie schleicht sich bevorzugt von hinten an, wenn ich am Kopierer stehe, fingert mir dann mit der Rechten um die Hüfte, während sie mir mit der Linken bedeutet, wie man an dem Gerät die Papierformate verändert. Ist diese Sorte dann fertig mit ihrem Vortrag, verschwindet sie erst mal für eine Weile – ich vermute, um sich an einem stillen Ort Erleichterung zu verschaffen.

Das sind, wie Du sicher gerade feststellst, keine idealen Voraussetzungen für eine grundsätzlich promiskuitiv konditionierte Mittdreißigerin, die ihre wiedererlangte Freiheit gerne stilvoll ausleben würde. Ich bin aber gerade dabei, mich in eine kleine Kaffeeklatsch-Clique zu integrieren, in der sogar schon ein, zwei Mal der Gedanke auftauchte, man könne doch auch nach Feierabend mal etwas unternehmen, vielleicht ja sogar mal zusammen ins SOB’s. Ob da jedoch konkret was draus wird, weiß ich nicht. Die Mädels fahren zum Teil eine Dreiviertelstunde U-Bahn, bis sie zu Hause sind. Da werden sie eine Feierabendtour kaum bis in die Puppen ausdehnen wollen.

Du siehst aber, ich gebe nicht auf. Und bin trotz allem überzeugt, das Richtige zu tun.

Und wie ist es Dir im vergangenen Vierteljahr so entgangen?

Bevor Du Dich jetzt aber in Allerweltsgeblubber ergehst – „alles super, alle wohlauf“ und so weiter – lass mich Dich gleich direkt fragen, also flipp nicht gleich aus: Wie ist’s Dir mit Deiner Fürstin der Finsternis weiter ergangen? Trefft ihr euch etwa immer noch – und treibt ihr´s immer noch im Dunkeln, ohne ein Wort miteinander zu wechseln?

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